Kitabı oku: «Polizeidienst en français», sayfa 2

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4.

Es war einer der heißesten Tage des Sommers. Renée Lebrun hatte sich in einem dünnen Shirt mit Spaghettiträgern ins Büro gewagt. Monteure mit nackten Oberkörpern, die durch die Räume schlichen, starrten unverhohlen auf ihren roten, spitzenverzierten BH, der unter dem Spaghettiträger-Shirt kaum verborgen blieb. Der Kriminalbeamtin war es egal. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Die Klimaanlage war ausgefallen. Wenn es die Monteure nicht von ihrer Arbeit ablenkte, sollten sie sie ruhig einmal flüchtig anglotzen. Sie war nicht mehr die Jüngste, aber mit ihrer Figur brauchte sie nicht zu hadern.

Sie grübelte über eine Serie von Kindesentführungen. Drei Kinder waren spurlos verschwunden. Sie hatte noch keinerlei Hinweise auf ihren Verbleib.

Pierre Moulin kam herein, ein kurzärmliges Hemd über der behaarten Brust weit geöffnet. Er fragte seine Kollegin, wann die Verstärkung aus Deutschland kommen würde.

„Gerd Pocher“, sagte Commandante Lebrun, und der Nachname klang wie „Pocker“: „Er soll heute oder morgen ankommen. Commissaire Lapin hat es mir gesagt. Meinst du, dass er uns in den Entführungsfällen weiterbringen kann?“

„Vielleicht hat er ja eine Idee“, meinte Pierre. „Aber ich denke, er muss sich erst einmal mit den Örtlichkeiten in Agde vertraut machen. Er kann sich ja noch nicht hier auskennen.“

„Außerdem muss er sich noch akklimatisieren. Das wird nicht einfach sein, solange die Klimaanlage nicht wieder läuft.“ Renée Lebrun verschränkte ihre nackten Arme hinter dem Kopf, um etwas Luft an die verschwitzten Haare in den Achselhöhlen zu bekommen, vergeblich. In dem Büro stand die Luft trotz weit geöffneter Fenster. Erneut trampelten die beiden halbnackten Monteure durch den Raum und schleppten eine Art Schrank aus Edelstahl hinaus.

„Der Konverter auf dem Dach muss ausgewechselt werden“, sagte einer der Monteure und pfiff anerkennend durch die Zähne, als er erneut und ungeniert auf ihren Busen starrte, der sich dadurch, dass sie die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte, aufgerichtet hatte, sodass der BH sich deutlich durch das verschwitzte Spaghettiträger-Top abzeichnete. Warum der Zugang zum Dach ausgerechnet durch ihr Büro führte, war ihr ein Rätsel. Aber offenbar war der Weg durch das Fenster und über eine Außentreppe einfacher als der offizielle Dach-Ausstieg vom Treppenhaus aus.

„Wir sollen am Anfang pfleglich mit ihm umgehen, aber wir sollen ihn auch nicht schonen. Der deutsche Kollege soll gleich in die Ermittlungsarbeit mit einbezogen werden“, sagte Renée. „Das hat Commissaire Lapin gesagt.“

Pierre hatte unterdessen Fotos von den Kindern besorgt und blätterte sie auf Renées Schreibtisch. „Lucas Grospièrre, 7 Jahre alt, aus Lyon, verschwunden am 22. Juli, er war in einem Ferienlager in der Nähe von Frontignan, zuletzt gesehen am 22. Juli in Frontignan.“

Das nächste Bild: „Hugo Martin, 5 Jahre alt, verschwunden am 24. Juli auf dem Weg von einer kirchlichen Veranstaltung, einer Kinderbibelwoche, in Agde. Er war auf dem Heimweg und ist von den Betreuerinnen zuletzt gesehen worden.“

Drittes Bild: „Raphaël Chapias, 7 Jahre alt, verschwunden am 25. Juli, ebenfalls auf dem Weg von einer Kinderbibelwoche nach Hause. Dort war er zuletzt gesehen worden. Seither fehlt von den Jungen jede Spur.“

„Wir haben den letzten Juli. Die Kinder sind also mehr als eine Woche verschollen“, resümierte Renée. „Meinst du, dass sie noch leben?“

„Ich habe ja manchmal wenig Phantasie“, sagte Pierre. „Aber ich befürchte, dass sie nicht entführt wurden, um Geld zu erpressen. Dann hätten sich die Verbrecher längst gemeldet. Außerdem ist bei den Eltern nicht viel zu holen.“

Renée betrachtete die Bilder der unschuldigen Kinder. „Sondern?“

„Missbrauch!“

Renée beugte sich wieder nach vorne und spürte, wie ihr angenehm kühlend ein paar Schweißperlen an Hals und Rücken hinunterrannen. „Du meinst Pädophilie?“

„Exactement“, meinte Pierre. „Ich mache mir Sorgen. Du weißt, ich habe selbst zwei kleine Kinder, bald drei.“

„Wie geht es Katja?“, fragte Renée beiläufig.

„Na ja, die Hitze setzt ihr schon etwas zu, aber sonst geht es ihr den Umständen entsprechend gut.“

„Wann ist es soweit?“

„Es kann jetzt jederzeit losgehen.“

„Wenn nicht augenblicklich diese verdammte Klimaanlage in Gang gesetzt wird, gebe ich uns hitzefrei.“ Renée versuchte sich mit dem Top Luft zuzufächern, indem sie es am unteren Saum auf und ab wedelte, was den Monteuren offenbar gefiel, die gerade wieder mit einem schrankähnlichen Teil durch das Büro stapften, um durch das Fenster nach draußen und aufs Dach zu verschwinden. „Wir brauchen jetzt einen kühlen Kopf. Drei Jungs in der Hand von Pädophilen. Wir gehen alle Fälle von Pädophilie der letzten Jahre noch einmal durch. Vielleicht kriegen wir doch noch einen Anhaltspunkt. Oft sind die Täter Personen aus dem familiären Umfeld, nahe Verwandte, zu denen die Kinder Vertrauen haben. Nimm dir noch einmal Francine Chapias vor, die Mutter des kleinen Raphaël. Sie steht der Kirche nahe, sie singt im Chor und ist mit einem Pastor befreundet. Nein, warte, das mache ich selbst. Oder wir machen es zusammen.“

5.

Pocher ahnte, dass diese Reise ein Aufbruch in ein neues Leben sein würde. Vor 25 Jahren war er zurückgekehrt zur Polizei und kurz darauf nach Köln gegangen. 25 Jahre hatte er versucht, Kölner zu werden, aber irgendwie war es ihm nicht gelungen. Seine Kinder waren alle in Köln geboren, ihnen würde es wahrscheinlich leichter fallen, Köln als ihre Heimatstadt zu verstehen. Aber ihm war es einfach nicht gelungen. Er fühlte sich mehr als Europäer, über den Dingen und über jegliche Kirchturmpolitik stehend, und außerdem hatte sich die Domstadt wieder mehr von ihm entfremdet, seit er aus ihrem Einfamilienhaus ausgezogen war.

Tatsächlich hatte er sich im Laufe der Jahre in der Stadt ausgekannt wie kaum ein anderer, war er doch beruflich bedingt mit vielen Hinterhöfen, U-Bahnhöfen, Friedhöfen und anderen Höfen vertraut. Er kannte die einschlägigen Lokale, in denen sich die Dealer trafen. Er kannte die Leute, die die Geschicke der Stadt bestimmten, den Karneval, den berüchtigten Klüngel, das Milieu der Kleinkriminellen und Prostituierten, die Treffpunkte der Obdachlosen, die gesitteten Fassaden der gehobenen Gesellschaft und die Intrigenspiele hinter deren Kulissen.

Vielleicht 10000 Meter unter sich konnte er tatsächlich Lyon ausmachen am Zusammenfluss von Rhône und Saône. Er folgte der Autobahn Richtung Süden, er erkannte unter sich den Flughafen Antoine de Saint-Exupéry. Die bergige Landschaft mit den Cevennen im Hintergrund kam allmählich näher. Sie befanden sich offenbar schon im Sinkflug. Pocher erkannte die Route du Soleil, die Autobahn, die sich wie ein endloses Band über die Hügel parallel zur Rhône schlängelte, er kannte die Strecke und die Orte an dem Fluss, Vienne, Valence, Montélimar, Orange, Avignon und Arles. Er erkannte die großen Kühltürme des Atomkraftwerks bei Montélimar. Weiter nach Osten war der Mont Ventoux auszumachen, dahinter im Dunst die Alpenkette.

Er hatte keine Vorstellung davon, wie ihm die neuen Kollegen begegnen würden, wie er eingeführt würde. Seine größte Sorge war, dass die Franzosen auf Distanz zu ihm blieben. Er schätzte sich selbst als umgänglichen, aufgeschlossenen Kollegen ein. Nicht dass er gerade extrovertiert wäre wie viele Kölner, aber er konnte gut auf Menschen zugehen. Das brachte der Job mit sich, aber auch im Privatbereich war er aufgeschlossen, Freunden zugewandt und eigentlich auch hilfsbereit. Trotz der Trennung von Barbara hatte er Kontakt zu den gemeinsamen Freunden behalten, auch zu ihrer Familie, ihrem Vater und ihren Geschwistern, ihren Neffen und Nichten, denn sie verstanden sich gut mit seinen Kindern. Sie hatten sich auch damit arrangiert, etwa, bei Geburtstagsfeiern oder anderen Familienfesten gemeinsam aufzutreten, wobei sie es allerdings vermieden, etwa an der Tafel nebeneinanderzusitzen. Es wurde spannend.

Eine Viertelstunde später – die Aufforderung, Sitze aufzurichten, Tische einzuklappen und sich anzuschnallen, war bereits erfolgt – war Pocher dann doch fasziniert von dem grandiosen Zielgebiet. Durchs Fenster erspähte er die Lagunenlandschaft am Mittelmeer, die endlosen Sandstrände der Camargue, die Badeorte mit ihren gewaltigen Wohnanlagen und Jachthäfen. Sein Herz pochte, als das Flugzeug in einer steilen Kurve die Richtung änderte und in dieser Lage auf der linken Seite durch das Fenster nur noch der blaue Himmel über dem Mittelmeer zu sehen war. Dann glitt der Flieger wieder in die Waagerechte. Er vernahm den Ruck, der immer durch das Ausklappen der Fahrwerke entstand, die Bremsklappen waren nun weit ausgefahren. Das Flugzeug schwebte dicht über der glitzernden Wasserlandschaft, ruckelte etwas und setzte schließlich auf der Landebahn von Montpellier auf.

In der Halle wurde sein Name aufgerufen: „Monsieur Pocher à l’information.“ Sie hatten es völlig falsch ausgesprochen, aber damit hatte er schon gerechnet. Das gab ihm eine gewisse Sicherheit in der fremden Situation: Er wurde also tatsächlich erwartet! In solchen Situationen hatte er immer Angst, dass etwas hätte dazwischenkommen können und sie ihn einfach vergessen hätten. Gerd Pocher blickte sich um nach dem Informationsstand und ging dann, einen Rucksack geschultert und einen großen Rollkoffer an der Hand, darauf zu. Ein uniformierter Polizeibeamter sprach ihn an. „Monsieur Pocher?“

Dieser lächelte erfreut. „Oui, Gerd Pocher“, korrigierte er die Aussprache.

„Bien“, sagte der Beamte, stellte sich als François Leclaire vor, er habe den Auftrag, ihn ins Präsidium, ins Hôtel de Police, zu begleiten. Sie fuhren in die Stadt hinauf, was etwas mühsam schien, denn in der Innenstadt von Montpellier waren viele Straßen wegen Bauarbeiten gesperrt. Pocher bemerkte, wie er ins Schwitzen geriet. Er trug unter dem grauen Sweatshirt ein Unterhemd und hatte noch ein Blouson darüber. Seine Kleidung war beim Abflug im verregneten Hahn noch angemessen gewesen, aber jetzt bemerkte er, dass er darunter zu leiden begann. Er entschuldigte sich beim Fahrer, dass er kurz seinen Gurt löste und sich den Oberkörper freimachte. Am Ende blieb ihm aber nichts übrig, als das Sweatshirt wieder überzustreifen. Seine Sommersachen lagen im Kofferraum.

„Oh, da ist ja unser neuer Kollege aus Deutschland“, begrüßte ihn Marie-Louise Lapin. „Kommen Sie herein, Monsieur Pocher. Ab heute beginnt für Sie ein neues Leben.“ Pocher korrigierte die Aussprache seines Namens und stellte Koffer und Rucksack ab und trat auf ihren Schreibtisch zu.

„Bonjour, Madame.“ Er klang etwas verlegen. Mit einer derart charmanten und attraktiven Empfangsdame hatte er nicht gerechnet.

Die Polizeibeamtin richtete sich auf und kam ihm entgegen. „Marie-Louise Lapin, Commissaire.“ Sie war groß und schlank, brünett und trug eine knappe weiße Bluse, deren Knöpfe bis unter den Busen geöffnet waren, sodass man den BH darunter sehen konnte. Dazu trug sie einen eng geschnittenen schwarzen Rock, der ihr nicht ganz bis zu den Knien reichte, die nackten Füße steckten in Sandaletten. Sie trug goldene Armreifen am rechten Handgelenk. Pocher schätzte sie auf Mitte 40. Sie reichte ihm die Hand. „Bienvenu en France!“

Dann deutete sie Pocher an, Platz zu nehmen, und setzte sich wieder auf ihren Sessel. „Ich will mich kurz fassen. Wir haben für Sie ein Zimmer in Agde besorgt, im L’Avenue. Es liegt direkt gegenüber vom Bahnhof. Es ist natürlich schwierig, im Hochsommer noch etwas Passendes zu finden in dieser Region.“

Er werde im Team von Renée Lebrun mitarbeiten. Die hätten es gerade mit einem Fall von Kindesentführungen zu tun, bei der sie nicht wirklich vorankommen würden. Mehrere kleine Kinder seien in den vergangenen Wochen spurlos verschwunden. Dennoch dürften sie etwas Spiel haben, um sich um ihn zu kümmern und in den Arbeitsalltag bei der französischen Kriminalpolizei einzuführen. „Melden Sie sich gleich morgen gegen 8 Uhr bei ihr. Sie wird dann im Commissariat de Police in Agde sein. Und wundern Sie sich nicht, dass wir nicht so viele Leute sind, wie Sie vielleicht erwartet haben. Die Hälfte der Belegschaft ist im Urlaub.“

Außerdem seien viele Kollegen in die Touristenorte abkommandiert. „Südfrankreich ist voll. Und wir sind auch für die Küste zuständig, von Palavas-les-Flots bis Cap d’Agde. Da ist was los. Wir hoffen natürlich immer, dass wir eine ruhige Zeit und nichts zu tun haben. Aber das bleibt wohl immer ein frommer Wunsch, dass es keinen Mord und Totschlag mehr gibt, keine Schießereien, keine Rangeleien, keine Autoaufbrüche oder Diebstähle, keinen Drogenhandel und natürlich auch keine Bombenanschläge.“

Marie-Louise Lapin erläuterte ihm, dass er natürlich auch auf das französische Gesetz verpflichtet und in den nächsten Tagen alles Weitere schon erfahren werde. Ein französischer Dienstausweis sei in Vorbereitung, ob er auch eine Dienstwaffe bekomme, sei noch nicht entschieden.

Sie erledigten einige Formalitäten. Pocher setzte dienstbeflissen sein Autogramm auf die vorgesehenen Stellen. Darunter war auch ein amtliches Schreiben, das ihn als Mitglied der Nationalpolizei auswies. „Und wenn Sie noch Fragen haben, können Sie sich gerne an mich wenden“, schob sie ihm ihre Karte zu. „So“, sagte sie, „es ist spät geworden. Gehen wir eine Kleinigkeit essen?“

„Warum nicht?“, antwortete Pocher.

„Ihren Koffer können Sie so lange hierlassen.“

Marie-Louise Lapin ging leichtfüßig die Treppe hinunter. Sie hatte ein dezentes Make-up aufgelegt. Dazu kam eine fröhliche, unbeschwerte Art, die sie regelrecht jugendlich wirken ließ. Unweit des Polizeipräsidiums setzten sie sich an einen Tisch auf der Straßenterrasse einer kleinen Brasserie. Es herrschte trotz der Mittagshitze reges Treiben auf den Straßen.

„Ihr habt es ja richtig heiß hier“, redete Pocher über das Wetter. „Ich glaube, daran muss ich mich erst noch gewöhnen. In Köln hat es heute Morgen noch geregnet. Entschuldigen Sie, wenn ich das frage, aber damit hatte ich einfach nicht gerechnet: Ist die französische Kriminalpolizei immer so charmant?“

Madame Lapin lachte und bedankte sich für das Kompliment. „Nun, wir machen unseren Job, und wir versuchen, trotzdem fröhlich zu sein, uns unser Leben nicht vermiesen zu lassen, obwohl wir in vorderster Front an den dunklen Abgründen menschlichen Daseins arbeiten, in der Verbrechensbekämpfung eben. Man muss dem ganzen kriminellen Sumpf, mit dem wir es zu tun haben, etwas entgegensetzen. Ja, ich lebe gern. Und ich bin äußerst zufrieden mit meinem Leben.“

Die Bedienung brachte Kaffee und zwei Stücke Quiche Lorraine.

„Ich glaube, ich habe schon angefangen, mich hier sehr wohlzufühlen, nach nur einer halben Stunde Montpellier“, sagte Pocher.

Während sie aßen, erläuterte Madame Lapin die Erwartungen an die nächsten Tage. „Die Woche scheint ruhig zu werden. Renée Lebrun und ihr Kollege Pierre Moulin hatten zuletzt in Sète ermittelt. Das ist ihr Haupteinsatzgebiet. Einige Fälle sind zwar noch nicht abgeschlossen, aber es liegen keine akuten Kapitalverbrechen vor. Ich denke, dass Sie mit ihnen gut klarkommen werden. Die sind sehr aufgeschlossen wie wir eigentlich alle hier. Moulin ist ein guter Kumpel und Lebrun ebenso. Unterstützen Sie sie bei der Suche nach den verschwundenen Kindern!“

„Die Quiche Lorraine ist ausgesprochen gut“, sagte Pocher beiläufig. Madame Lapin hatte eine gebräunte Haut, die leicht gewellten Haare umwehten ein Gesicht, das kleine Fältchen in den Augen- und Mundwinkeln sympathisch wirken ließen. Sie hatte einen schlanken Hals und ein etwas spitzes Kinn, eine geradlinige Nase und dunkle Augen. Sie brauchte nichts zu verbergen.

„Sie sehen auch ausgesprochen gut aus“, sagte Marie-Louise Lapin. „Sie sind in den besten Jahren. Machen Sie was daraus! Ich hoffe, dass wir uns gut verstehen.“ Sie beugte sich etwas vor. Irgendwie erinnerte sie ihn an Barbara.

Sie plauderten noch eine Weile angeregt über Gott in Frankreich und die Welt und gingen dann ins Präsidium zurück. „Ich hoffe, wir sehen uns bald“, sagte Madame Lapin zum Abschied. „Leclaire bringt Sie noch zum Bahnhof. Nehmen Sie den nächsten Zug nach Agde. Die müssten jetzt eigentlich im Halbstundentakt fahren. Warten Sie noch einen Augenblick!“ Dann lehnte sie sich zurück in ihren Bürostuhl und rief den Fall mit dem mysteriösen Verschwinden der Kinder auf den Schirm ihres Rechners, inzwischen waren Bilder eingescannt. „Vielleicht wäre das Ihr Auftrag für den Anfang: Finden Sie Lucas Grospièrre, Hugo Martin und Raphaël Chapias!“

„Ich werde mir Mühe geben, Madame le Commissaire.“ Pocher lächelte seine neue Chefin etwas unsicher an. „Die verschwundenen Kinder?“

„Vom Erdboden verschluckt. Versetzen Sie sich in die Lage der Eltern, welche Not, welche Verzweiflung sie gerade erleiden und das Schlimmste befürchten. Je me réjouis de notre bonne coopération.“ Die charmante Kommissarin reichte ihm zum Abschied die Hand. „Übrigens ist Commandante Sabine Fréjus ebenfalls heute Morgen in Köln angekommen. Sie ist unsere Kollegin, die am Austauschprogramm teilnimmt, allerdings war sie hier in Montpellier im Einsatz und hatte nicht viel mit dem Team um Renée Lebrun zu tun.“

„Je m’attacherai“, sagte Pocher. „Au revoir!“

6.

Renée Lebrun und Pierre Moulin waren zu Fuß in die Altstadt gegangen. Es war zwar heiß, aber außerhalb des Polizeigebäudes, das sich ohne Klimaanlage regelrecht aufgeheizt hatte, war die Luft erträglicher, immerhin ging ein leichter Wind. Francine Chapias hatte in der Altstadt eine kleine, bescheidene Wohnung.

„Haben Sie Neuigkeiten, haben Sie etwas gehört, wo mein Sohn abgeblieben sein könnte?“ Mit diesen Worten öffnete die Sängerin erwartungsvoll die Wohnungstür.

„Non, pardonnez-moi“, sagte Renée Lebrun. „Nous pouvons entrer quand même?“

„Entrez s’il vous plaît!“

Renée und Pierre folgten der jungen Frau, die in ein schlichtes schwarzes Kleid gehüllt war, in die Wohnküche und setzten sich an den Tisch.

„Café?“, fragte die Frau.

Die beiden Polizeibeamten nickten zustimmend. „Café au lait pour moi“, ergänzte Renée Lebrun.

„Ich will nicht darum herumreden“, sagte die Beamtin, als Francine Chapias den Kaffee zubereitet hatte. „Wir wissen immer noch nicht, wo Ihr Sohn abgeblieben ist. Aber wir haben einen Verdacht. Oftmals sind es nahe Verwandte oder Bekannte, die das Vertrauen der Kinder ausnutzen, um sie für ihre, sagen wir: perversen Lüste zu gewinnen. Entschuldigen Sie bitte, es klingt vielleicht sehr hart für Sie, aber es könnte uns vielleicht weiterbringen: Gibt es im Umkreis Ihrer Familie jemanden, dem man zutrauen könnte, Ihren Sohn entführt zu haben?“

„Non“, sagte Madame Chapias. „Non! Ich habe keine Familie. Meine Eltern sind früh verstorben. Ich habe eine Schwester. Sie ist mit einem Amerikaner verheiratet und lebt in den USA. Oh, ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Sie meinen, dass so versaute Schweine dahinterstecken, die es mit kleinen Kindern treiben, ihre Hilflosigkeit ausnutzen. Sagen Sie, dass das nicht wahr ist!“

Pierre Moulin schaute sich in der Wohnküche um und bemerkte, dass einige Heiligenbildchen aufgehängt waren, Reproduktionen von biblischen Darstellungen berühmter Renaissance-Künstler, aber auch heidnische Szenen wie eine kleine Reproduktion der Geburt der Venus von Botticelli.

„Madame Chapias“, sagte Madame Lebrun. „Sie müssen uns schon helfen, wenn wir Ihren Sohn lebend wiederfinden sollen. Sie haben gesagt, dass Sie alleinerziehend seien, aber es muss doch einen Vater geben. Wer ist der Vater von Raphaël?“

Madame Chapias starrte die Beamtin entsetzt an. „Non“, sagte sie. „Non!“

„Sie können es ruhig sagen, im Vertrauen.“

„Non, j’ai juré par la Sainte Vierge Marie“, sagte Madame Chapias. „Niemals werde ich verraten, wer der Vater ist. Ich habe ein Gelübde darauf abgelegt. Aber Sie dürfen sich sicher sein, dass er für so etwas nicht infrage kommt.“

„Warum sind Sie sich so sicher?“ Renée Lebrun bemerkte, wie sich die Frau unwillkürlich das schwarze Kleid glatt strich und dabei über ihren Bauch fuhr. Sie schritt zum Fenster und blickte auf die Straße hinaus.

„Nein, der Vater des Kindes kann nicht sein Entführer sein“, sagte die Mutter. „Finden Sie Raphaël!“ Tränen standen ihr in den Augen.

Madame Lebrun erhob sich, schritt zu der Frau und schloss sie in ihre Arme. „Wir werden Raphaël finden“, versicherte sie. „Je jure par la Sainte Vierge Marie.“

Renée und Pierre kehrten zur Polizeistation zurück.

„Irgendwie ist es doch merkwürdig, mit welcher Beharrlichkeit sie sich weigert, die Identität des Kindsvaters preiszugeben“, sagte Renée. „Was meinst du?“

„Nun, sie wird ihre Gründe dafür haben. Vielleicht will sie die Erinnerung an den Vater aus ihrem Leben verdrängen“, sagte Pierre. „Meinst du nicht, dass sie ein wenig wie eine Nonne wirkt, auch mit ihrem schlichten schwarzen Kleid?“

„Das wird es sein“, sagte Renée. „Vielleich meint sie das damit, wenn sie sagt, dass sie ein Gelübde abgelegt hat. Vielleicht hatte sie sich ganz der Enthaltsamkeit verschrieben wie eine Nonne und schämt sich nun darüber, dass sie schwach geworden war und sich der fleischlichen Liebeslust hingegeben hatte, dass sie ein Kind bekommen hatte. Wer weiß, vielleicht ist sie ja sogar erneut schwach geworden.“

„Das verstehe ich jetzt nicht.“ Pierre blickte sie an, während sie nebeneinander durch die Stadt schritten.

„Ich bin mir nicht ganz sicher“, sagte Renée. „Aber ich glaube, sie ist schwanger. Sie hat zwar keinen Babybauch, aber doch so eine gewisse Gestik und Mimik. Ist dir aufgefallen, dass sie sich immer wieder mal ganz zärtlich über den Bauch strich? Sie stellte die Kaffeetasse ab, strich sich über den Bauch, sie holte eine zweite Tasse Kaffee, strich sich über den Bauch. Na ja, und so eine kleine Wölbung hatte der Bauch schon, finde ich, ein wenig zeichnete sich schon ab durch das Tuch ihres Kleids.“

„Vielleicht war es der Heilige Geist“, scherzte Pierre. „Trotzdem: Kannst du dir vorstellen, dass unter den Geistlichen hier in Agde Männer sind, die es mit kleinen Jungs treiben? Immer wieder kommt es ja ans Tageslicht, dass katholische Priester ihnen anvertraute kleine Jungen, Ministranten, Schüler missbrauchen, um ihre pädophilen und auch homosexuellen Neigungen zu befriedigen.“

„Schon möglich“, sagte Renée. „Aber sie nutzen ihre Autorität und die Frömmigkeit der Kinder, niemandem davon zu erzählen, sie hüten es als ihr Geheimnis im Schutz der dicken Kirchenmauern. Nichts dringt nach außen, bis es im späteren Leben doch herauskommt, dass Männer als Kinder systematisch missbraucht worden waren. Nein, Raphaël ist seit Tagen verschwunden. Das passt nicht zum pädophilen Priester, der das Vertrauen der Kinder missbraucht und während der Bibelstunde an ihnen herumfingert. Die halten die Kinder nicht tagelang fest.“

„Trotzdem sollten wir mal einen Blick auf den Klerus von Agde werfen“, meinte Pierre. „Es ist unsere verdammte Pflicht, auch hinter die heiligen Gemäuer zu schauen, wenn es dort nach Unsittlichkeit riecht.“

Sie erreichten das Polizeigebäude und bemerkten bereits im Treppenhaus, dass es deutlich abgekühlt war. Die Klimaanlage funktionierte offenbar wieder.

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