Kitabı oku: «Polizeidienst en français», sayfa 3

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7.

Pocher nahm den nächsten Zug nach Agde, glitt durch die Lagunenlandschaft, an Salinen vorbei, durch Industriegebiete mit großen Öltanks, am Hafengelände von Sète entlang, dann über die Landzunge, die den Étang de Thau vom Mittelmeer trennt. Als er in Agde den klimatisierten Zug verließ, kam es ihm so vor, als betrete er eine Sauna. Er bezog sein Zimmer im L’Avenue und schlenderte noch in die Stadt hinunter. Endlich wieder in Frankreich, dachte er bei sich. Er war mit sich und seiner Situation zufrieden. In einem Straßencafé bestellte er einen Pastis und betrachtete das rege Treiben im abendlichen Agde. Die Temperaturen waren kaum zurückgegangen. Es gab junge Frauen, die im Bikini durch die Altstadt schlenderten, lediglich eine lange XXL-Bluse übergeworfen, die hinten knapp über den Po langte. Es waren noch spielende Kinder auf den Straßen, und verliebte Pärchen schlenderten Arm in Arm vorbei. Das Treiben nahm sich so friedvoll aus, dass Pocher Zweifel daran bekam, dass er hier gebraucht werden würde. Aber dass hinter manch altehrwürdigem Gemäuer das Antlitz des Teufels zum Vorschein kommen konnte, sich hinter der lieblichen, in der Sommerhitze teilweise vertrockneten Landschaft mit ihren Weinbergen die Abgründe menschlicher Gewaltbereitschaft auftun würden, sollte er schon bald erfahren.

8.

Das Hotelzimmer war schlicht eingerichtet, den üblichen Standards entsprechend, ein französisches Doppelbett, ein kleiner runder Tisch mit zwei Stühlen am Fenster, das mit Jalousien verhängt war, eine zweiflügelige Balkontür war ebenfalls mit Jalousien verhängt. Ein Fernseher war an der Wand befestigt, mit Satellitenanschluss und Fernbedienung, es gab eine Schrankwand im Eingangsbereich und gegenüber ein Duschbad, unter dem Fernseher eine Anrichte. Auf einem der Nachttische stand ein Ventilator. Pocher richtete sich ein.

Er öffnete die Balkontüren, zog die Jalousien hoch, einen Balkon gab es jedoch nicht, sondern nur ein schmiedeeisernes Gitter mit einem Geländer in Hüfthöhe. Auf der Straße herrschte immer noch Betrieb. Pocher atmete die warme Luft ein und ließ sich von den vorbeifahrenden Autos und dem Stimmengewirr der Fußgängergruppen ablenken, die zum Teil mit laut knarrenden Rollkoffern vorbeizogen, vermutlich, weil sie gerade mit der Bahn angereist waren. Der Bahnhof lag dem Hotel direkt gegenüber, und die Avenue Victor Hugo war offensichtlich der wichtigste Verbindungsweg vom Bahnhof in die Stadt hinunter. Dann wich Pocher wieder zurück, ließ die Balkontüren zwar offenstehen, die Jalousien aber wieder herab. Im Zimmer war es kaum kühler als draußen, er startete eine kleine Klimaanlage, die jedoch kaum etwas ausrichtete.

Pocher zog sich Hemd und Hosen vom Leib, legte die Sachen sorgfältig über einen Stuhl und nahm die Dusche in Betrieb. Der lauwarme Wasserstrahl spülte die Spuren der Reise und der überfallartigen und schweißtreibenden Begegnung mit der Hitzewelle, die über Südfrankreich hinwegzog, hinunter. Er fühlte sich angenehm entspannt, so ließ sich das Leben aushalten, dachte Gerd. Weniger angenehm war es ihm, dass er um den Bauch herum etwas zugelegt hatte und mit den Händen aus seiner Körperoberfläche um die Taille herum kleine Wülste formen konnte. Der Speck muss weg. Er nahm sich vor, trotz der Hitze wieder etwas mehr Sport zu treiben als in den vergangenen drei Jahren. Außerdem glaubte er, allein durch die Bewegung in der Hitze mehr Fett zu verbrennen. Aber er fand auch, dass sich der Bauchansatz noch in Grenzen hielt. Sein BMI war immer noch von der fünfundzwanziger Marke weit entfernt. Tatsächlich lag er bei 24,6. Das hatte er ausgerechnet, als er zuletzt auf der Waage gestanden hatte, 78 Kilogramm geteilt durch 1,78 zum Quadrat, was aber auch schon wieder vor etlichen Wochen gewesen war.

Dann schmiss er sich aufs Bett und zappte sich durchs Fernsehprogramm. Zufällig stieß er auf eine Reportage in einem Kulturkanal, einen Bericht über einen der spektakulärsten Kunstraube der französischen Geschichte. Im Laufe der Sendung konnte er den Anlass ausfindig machen. Es war der zehnte Jahrestag. Es ging um den Diebstahl einer Marmorstatue aus der Antiken-Abteilung des Louvre. Und im Fernsehen liefen noch einmal die Bilder aus der historischen Pressekonferenz.

„Mesdames et Messieurs“, begann Phillip Reynouard die Pressekonferenz in der Halle des Palais Royal in Paris. „Eines der bedeutendsten und wertvollsten Stücke unserer Sammlung ist abhandengekommen. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde aus der Antikensammlung des Louvre die Aphrodite von Melos, bekannt auch als Venus von Milo, gestohlen. Die Diebe müssen mit größter Professionalität ans Werk gegangen sein und alle Sicherheitseinrichtungen und Überwachungsanlagen ausgeschaltet haben.“

Hinter der Reihe der Leute am Konferenztisch waren plakat-große Abbildungen der Venus aus verschiedenen Perspektiven aufgestellt.

„Die Täter müssen sich im Louvre bestens ausgekannt und auch Zugang gehabt haben“, fuhr der zuständige Abteilungsleiter im Kulturministerium fort. „Es wurden keine Spuren eines gewaltsamen Einbruchs entdeckt. Außerdem ging es ihnen offenbar gezielt um die Venus. Andere Skulpturen waren unberührt an ihren Standorten geblieben, auch sind alle Gemälde noch an ihren Plätzen.“

„Es ist in der Tat ein schwarzer Tag in der Geschichte des größten Museums“, ergriff Valeri Harnoncours, Sprecher des Innenministeriums, das Wort. „Wir gehen davon aus, dass sich die Täter in den Zentralrechner des Museums beziehungsweise aller Museen in Paris, die daran angeschlossen sind, gehackt haben, um die Sicherheitssysteme zu manipulieren. Es müssen mehrere Täter am Werk gewesen sein, und sie müssten mit Gerätschaften wie einem Minikran ausgerüstet gewesen sein, um die etwa eine halbe Tonne schwere Marmorstatue abzutransportieren. Drei Wachleute waren bei dem Raubzug überwältigt und betäubt worden, ehe sie Alarm schlagen konnten. Wir haben sie am nächsten Morgen in einem Putzmittelraum eingeschlossen gefunden. Wir stehen vor einem Rätsel: Die Venus ist spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.“

Die Nationalpolizei fahnde in alle Richtungen.

Während der O-Ton der Pressekonferenz weiter zu hören war, wurden in die Dokumentation Bilder der berühmten Frauenstatue eingeblendet.

„Wir haben eine bis zu 200-köpfige Sonderkommission Venus gebildet, im Wesentlichen aus der Abteilung organisierte Kriminalität“, sagte ein Mensch, den eine Bauchbinde als Fréderic Normande, Sprecher der Polizeidirektion, benannte. „Wir haben natürlich Kontrollen durchgeführt an den Ausfallstraßen, aber nicht den leisesten Hinweis bekommen. Wir hoffen nun natürlich, dass wir womöglich durch Ihre Berichterstattung doch noch den einen oder anderen Hinweis bekommen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!“

„Sie glauben doch wohl nicht, dass sich einer die Venus in seinem Vorgarten aufgestellt hat“, scherzte ein Reporter. „Aber im Ernst, wie kommt jemand auf die Idee, ausgerechnet die Venus von Milo zu stehlen? Ich meine, sie ist zwar von unermesslichem ideellen Wert. Aber auf dem Kunstmarkt kann sie sicherlich nicht ohne Weiteres verscherbelt werden.“

„Da haben Sie recht“, antwortete Reynouard. „Für Stücke von einem derartigen Bekanntheitsgrad, die Venus gehört zu den weltweit am meisten kopierten Statuen, gibt es keinen Markt, auch keinen Schwarzmarkt. Es muss ein Liebhaber, ein Verrückter sein, der ein solch wertvolles Kulturgut stiehlt, wohl wissend, dass niemand jemals davon erfahren darf.“ Er wies auf einen Informationstisch hin, auf dem Pressemappen bereit lagen mit Texten und Beschreibungen des Kunstwerks und je einer CD mit hoch auflösenden Abbildungen der Statue, die zur Veröffentlichung bestimmt seien.

„Wochenlang schnüffelte die Polizei in Paris und ganz Frankreich in allen Hinterhöfen, suchte alle möglichen Verstecke ab. Die Venus blieb verschollen. Die Polizei stocherte ein Jahr lang im Nebel“, kommentierte eine Sprecherin Bilder von Polizeikontrollen.

„Dann bekam das Kulturministerium eine Botschaft“, kam nun die Sprecherin selbst ins Bild. In einer Bauchbinde mit dem Logo des Senders Arte wurde sie als Mireille Lafontaine vorgestellt, Autorin der Dokumentation. „Ein Erpresser meldete sich und fragte an, ob der Regierung die Venus 50 Millionen Euro wert sei. Es folgten weitere Botschaften mit dem Hinweis, den sicheren Ort, der noch in Frankreich sei, zu verraten, wenn sie ihm 50 Millionen Euro in kleinen Tranchen auf diverse Bankkonten in der Schweiz, in Liechtenstein, Panama und anderen Ländern überweisen würden.

Fieberhaft versuchte die Polizei, die Herkunft dieser Botschaften zu ermitteln, während man sich im Ministerium schon darauf geeinigt hatte, auf keinen Fall auf die Geldforderung einzugehen. Alle Fahndungsversuche verliefen im Dunkeln. Der Absender war nicht auszumachen.

Zwei Jahre später, es waren keine weiteren Botschaften des Erpressers mehr eingegangen, es hatte offenbar Funkstille geherrscht, um die Zeit für sich spielen zu lassen, zwei Jahre später kam Phillip Reynouard bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Heute, zehn Jahre später, ist von dem spektakulären Raub der Venus nicht mehr die Rede. Die Sonderkommission, die schon seit Jahren ohnedies nur noch auf dem Papier bestanden hatte, wurde vor drei Jahren offiziell aufgelöst.“

Es geriet wieder eine Kamerafahrt ins Bild, die unablässig die Venus von Milo, wie sie noch im Louvre stand, umkreiste. Darauf wurde der Abspann eingeblendet, Autorin, weitere Sprecher, Redaktion, Kamera, Schnitt, Regie und so weiter.

Pocher wunderte sich über den Bericht, denn er hatte es zehn Jahre zuvor nicht mitbekommen, dass die berühmte Marmorfigur gestohlen worden war. Als Schüler hatte er sie einmal im Original gesehen, als sie auf Klassenfahrt in Paris gewesen waren und ein Besuch des Louvre auf dem Pflichtprogramm gestanden hatte. Ansonsten hatte er sich für antike Kunst auch nicht sonderlich interessiert. Seinerzeit hätte er alles dafür gegeben, einmal Melanies Brüste zu sehen und auch zu berühren, aber er hatte sich damals als pubertierender Junge nicht getraut, die Klassenkameradin anzufassen. Er hatte sie noch nicht einmal geküsst, obwohl er bis über die Ohren in sie verliebt gewesen war. Die antike Statue war aus Marmor gewesen und hatte ihn kalt gelassen.

Pocher schlüpfte in frische Hosen und ging noch einmal in die Halle hinunter, setzte sich auf die Straßenterrasse, bestellte ein Glas Vin blanc de la maison und beobachtete gedankenverloren das Treiben auf dem Bahnhofsvorplatz. Allmählich schienen sich die Straßen von Agde zu leeren. Nur noch wenige Menschen saßen in dem Hotel, und auch aus dem Bahnhof kamen nur noch vereinzelt Reisende, nachdem ein Zug angehalten hatte. Er beobachtete ein Pärchen, das sich leidenschaftlich umarmte, und ersann die Geschichte dazu, dass der Mann seine Freundin vom Bahnhof abholte, nachdem er sie eine lange Zeit nicht in den Armen gehabt hatte, wie romantisch!

Eine Sekunde lang überlegte Gerd, ob er sich nicht bei Madame Lapin, Madame Commissaire, noch einmal ins Zeug legen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Er bestellte ein zweites Glas Blanc und sortierte seine gemischten Gefühle. Er war hier als Polizist, als Ermittler in Strafsachen, und er wollte seine Sache gut machen. Das war sein eigener Anspruch.

Im Augenblick fühlte er sich zwar so, als ob er in Urlaub wäre, aber er ahnte, dass der nächste Tag nicht einfach sein würde. Im Zimmer war es noch drückend warm. Pocher ließ den Ventilator laufen, der, sich hin und her drehend, die warme Luft über seinem nackten Rücken verteilte.

9.

Am nächsten Morgen verließ Pocher das Hotel Richtung Innenstadt. Als er zum Hérault-Ufer herunterkam, fiel ihm ein großes Polizeiaufgebot ins Auge. Er beschleunigte seine Schritte und trat an die Polizeibeamten heran, die gerade dabei waren, Sichtschutzsperren zu errichten. Er stellte sich einem Polizeibeamten vor und fragte, ob Madame Lebrun zufällig hier wäre.

Moment, sagte der und wandte sich zu den Leuten am Flussufer. „Renée!“, rief er. „Hier fragt einer nach dir, ein Monsieur Pocher oder so ähnlich aus Deutschland.“

Renée Lebrun kam die Uferböschung hinauf und begrüßte den neuen Kollegen. „O, was für ein Zufall! Eigentlich hatte ich Sie in meinem Büro erwarten sollen. Aber wir haben hier eine Wasserleiche.“

„Sans rancune! Ich kam auf dem Weg ins Büro zufällig hier vorbei. Das trifft sich doch gut. Dann stürze ich mich gleich in die Arbeit.“

Lebrun ließ ihn durch die Absperrung und stellte ihn ihrem Kollegen Pierre Moulin vor. „Manchmal spielt einem das Leben eben eine Abweichung von der Regel zu“, sagte sie. „Sie sollen also bei uns im Team mitarbeiten. Also ganz kurz: Ein Brotlieferant hatte gegen 6 Uhr die Leiche entdeckt und uns alarmiert.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Jetzt ist es gleich acht. Wo bleiben nur die Spurensicherung und die Kollegen der Wasserschutzpolizei?“

Die Wasserleiche hatte sich an einem Bootsanleger zwischen zwei Ruderbooten verfangen und trieb mit dem Rücken nach oben an der Wasseroberfläche. Die Polizeikräfte schirmten den Fundort der Leiche zu der belebten Kreuzung hin ab. Schließlich rückten die Spezialisten von der Spurensicherung an.

„Antoine, endlich, das Warten hat ein Ende“, grüßte ihn Renée Lebrun und deutete auf den Steg, wo die Wasserleiche sich schwimmend verhakt hatte.

„Was meinst du, was auf den Straßen los ist“, sagte Antoine Riquet. „Die Baustelle in Frontignan ist eine einzige Katastrophe, das mitten in der Hauptreisezeit. Na ja“, versuchte er zu beschwichtigen, „die Leiche schwimmt uns ja nicht einfach davon. Lass uns mal gucken.“

Die Leiche hing mit dem Gesicht nach unten zwischen einem Ruderboot und dem Pfosten des Anlegestegs. Antoine Riquet von der Kriminaltechnik zog sich Schuhe und Hose aus. Der Hérault war hier relativ flach. Er ließ sich ins Wasser gleiten, eine Kamera umgehängt, und machte alle paar Schritte Fotos von der Leiche. Dann prüfte er, ob sich die Leiche vielleicht verheddert hatte. Er fasste in die Gesäßtaschen und zog etwas an dem Körper. Die Leiche ließ sich widerstandlos aus dem Stützwerk des Stegs herausziehen. Inzwischen waren drei Beamte in den Fluss gestiegen, um mit anzupacken. Sie hievten den Leichnam an Armen und Beinen auf die Uferböschung.

Riquet durchsuchte die Hosentaschen. Da war nichts zu finden. Dann drehte er den Körper um. Der Mann war etwa Mitte 30 und noch nicht lange tot. Mehr konnte er nicht sagen. „Das muss die Gerichtsmedizin herausfinden.“

Mittlerweile war ein Aufgebot von einem Dutzend Beamten am Ort des Geschehens, um die Passanten zum Weitergehen aufzufordern. Die Fundstelle lag an einem belebten Verkehrsknoten, und die Stadt, beliebtes Ausflugsziel, füllte sich allmählich mit Touristen. Ein Boot der Wasserschutzpolizei machte an dem Steg fest und versperrte so etwas den Blick von der anderen Flussseite her. Auf der gegenüberliegenden Seite, wo abends auf einer schwimmenden Bühne Unterhaltungsshows stattfanden, hatten sich Dutzende Schaulustige eingefunden.

Die Leiche hatte weder Geld noch Papiere bei sich. Sie war mit einer gewöhnlichen Jeanshose und einem blauen T-Shirt bekleidet. Hose und Hemd waren auffällig fleckig, vielleicht waren es Blutspuren. Pocher machte mit seinem Handy Fotos von dem Gesicht des Toten. Derweil nahm Riquet die nähere Umgebung in Augenschein, aber es gab keine Hinweise, die etwa auf einen Kampf hindeuteten.

„Ich glaube nicht, dass hier der Tatort ist“, sagte Pocher zu Renée Lebrun. Er blickte auf die viel befahrene Brücke hinauf.

Pocher, Lebrun und Moulin gingen zur Brücke hoch. Möglich, dass die Leiche von hier aus in den Fluss geworfen worden war. „Oder dass ein Verrückter sich in selbstmörderischer Absicht von der Brücke gestürzt hat“, fügte Lebrun hinzu. Sie kehrte zum Fundort zurück, wo inzwischen ein Gerichtsmediziner und die Leute mit der Leichentruhe eingetroffen waren. Moulin und Pocher suchten weiter oberhalb das Ufer des Hérault ab. Eine Fußgängerbrücke führte hier über einen Stichkanal in eine Art Parklandschaft, die offenbar bei Joggern beliebt war. Sie gingen den Fußweg bis zum Wehr hinauf, fanden aber nicht den leisesten Hinweis. Allerdings tauschten sie schon einmal ihre Handy-Nummern aus. Sie passierten das Château Laurens und erreichten das Ufer oberhalb des Wehres.

„Das ist dann doch merkwürdig“, sagte Moulin. „Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass der Wasserstand des Hérault in trockenen Sommern niedrig ist. Aber so niedrig habe ich den Fluss noch nicht erlebt.“ Das Wasser reichte gerade etwa bis zwei, drei Zentimeter unterhalb der Oberkante des Wehrs. Für eine Leiche wäre es unmöglich gewesen, das Wehr zu überwinden. „Da hinten“, deutete Moulin auf ein bewaldetes Gelände weiter flussaufwärts, „da hinten übernachten manchmal Jugendliche. Vielleicht kriegen wir da einen Hinweis.“

„Was ist das für ein Zweigkanal?“, wollte Pocher wissen. Auf dem Rückweg zur Leichenfundstelle erläuterte Moulin die Rundschleuse von Agde, die den Oberlauf des Hérault mit dem Canal du Midi verbindet. Ein Schleusentor im rechten Winkel dazu führt zu dem Stichkanal und damit zum unteren Hérault, mithin zum Mittelmeer. „Ist unbedingt sehenswert.“

Sie erreichten wieder den Fundort. Die Leiche war inzwischen abtransportiert. „Der Doktor meint, dass der Tod nicht länger als vier bis acht Stunden zurückliegt, also in dieser Nacht eingetreten ist“, sagte Renée Lebrun. „Er vermutet als Todesursache ein Schädel-Hirn-Trauma, verursacht durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf. Genaues könne er aber erst nach der Obduktion sagen.“

Riquet kam hinzu und packte seinen Untersuchungskoffer ein. Er blickte bedeutungsvoll das Ufer hinauf und hinab. „Das wird schwierig“, sagte er. „Hier deutet nichts auf ein Verbrechen hin.“

„Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte Lebrun. Sie leitete fortan die Ermittlungsgruppe Agde, die damit förmlich gebildet worden war. Sie verabschiedete sich Richtung Büro.

„Wir schauen uns mal oben beim Ruderclub um“, meinte Moulin.

„Und ich besichtige die Rundschleuse“, bot sich Pocher an.

„D’accord“, sagte die Chefin, „die Absperrung hier bleibt erst mal bestehen.“

10.

Moulin fuhr das kurze Stück die Avenue Raymond Pitet hinauf und ließ Pocher an der Schleuse raus. Er selbst bog hinter der Brücke über den Canal du Midi rechts ab und fuhr bis auf das Gelände des Ruderclubs. Er stellte den Wagen ab und trat auf zwei Jugendliche zu, die gerade dabei waren, ihre Schlafsäcke und Isomatten einzurollen und in die Rucksäcke zu verstauen, zeigte ihnen seine Dienstmarke und fragte sie, ob sie hier übernachtet hätten.

Der eine, vielleicht Anfang 20, zuckte nur mit den Schultern. Der andere, etwa gleich alt, fragte zurück: „Verboten?“ Es klang nicht wirklich französisch. Der junge Mann schob gleich hinterher, dass er nicht gut Französisch könne. Als der Polizeibeamte sie nach den Papieren fragte, ahnten sie aber, was er meinte. „Deinen Ausweis“, sagte der eine zum anderen. Beide kramten in ihren Hosentaschen und fischten ihre Papiere hervor.

Moulin nahm sie an sich und entzifferte die Ausweise. „Marco Wolgrebe aus Neuwied“, las er das Dokument laut ab, übersetzte das Geburtsdatum ins Alter. „Sie sind also Deutscher“, fuhr er auf Französisch fort, „und Dimitrij Woganow aus Andernach, ebenfalls deutsch und 20 Jahre alt. Haben Sie hier übernachtet?“

Die beiden Männer zuckten abermals mit den Schultern. „Pardon, je n’ai pas compris“, sagte Wolgrebe, offenbar derjenige, der wenigstens ein paar Wörter Französisch konnte.

Moulin gestikulierte, legte seine Hände aufs Ohr, neigte den Kopf zur Seite und schloss die Augen, dann zeigte er auf den Boden und sagte ganz langsam: „Cette nuit.“

„Do you speak english?“, suchte Wolgrebe nach einer Auflösung der Verständigungsschwierigkeiten.

„Yes, I do“, sagte Moulin, „but I‘ve got a better idea, please, wait a moment.“

Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer von Pocher.

Pocher hatte die Schleuse kurz in Augenschein genommen und war auf das Gelände getreten. Er glaubte zu träumen: Die Frau, die offensichtlich die Schleuse bediente, war jung, mehr noch, er hätte wetten können, dass er der Frau in seinem Leben schon einmal begegnet war. Fast anmutig bediente sie die Schleusentechnik, ließ das eine Tor schließen, gab Anweisungen, wo die Boote festmachen sollten. Er war wie elektrisiert. Er musste sich regelrecht einen Ruck geben, um sich seiner Aufgabe zu erinnern. Er war Polizist und mitten in die Ermittlungen um einen mysteriösen Todesfall geraten. Da gab es keinen Platz für Phantasien und Emotionalität. Er trat auf die junge Schleusenwärterin zu und sprach sie an: „Pardon, ich habe eine Frage.“ Derweil fischte er seinen deutschen Dienstausweis aus der Hosentasche und ein amtliches Schreiben der Polizeipräfektur dazu, das ihn als Ermittlungsberechtigten der französischen Kriminalpolizei auswies.

Sie schaute ihn fragend durch ihre Sonnenbrille an. Sie war leicht bekleidet, sie trug eine kurze, enge Jeanshose und ein hellblaues T-Shirt, dazu eine blaue Schirmmütze, ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der über ein Riemchen der Mütze durchgeführt war, ihre schlanken, nackten Beine endeten in einfachen Sandaletten, was angesichts der hochsommerlichen Temperaturen nicht ungewöhnlich zu sein schien. „Moment, ich muss die Schleusung zum oberen Hérault vorbereiten.“

Langsam stieg das Wasser in der Schleusenkammer. Es hatten drei Boote festgemacht, die nun darauf warteten, in den oberen Lauf des Hérault angehoben zu werden. Die Schleusenwärterin ging über den Steg des Südtores auf die andere Seite der Schleuseneinfassung und stieg eine Treppe empor zum Hérault-seitigen Schleusentor. Pocher folgte ihr und maß dabei ihren Körper. Sie hatte einen leichtfüßigen, beinahe tänzerischen Gang. Per Knopfdruck öffnete sie das Tor zum Hérault. Pocher stand jetzt dicht hinter ihr. Während sich die Torflügel allmählich öffneten, die Boote losmachten, um nacheinander ihre gemächliche Fahrt Richtung Hérault fortzusetzen, machte Pocher einen erneuten Annäherungsversuch und fischte sein Handy aus der Tasche.

Er zeigte ihr das Porträt von der Wasserleiche und fragte: „Kennen Sie diesen Mann?“ Die junge Frau blickte kurz auf den Bildschirm und schüttelte nur den Kopf, aber es kam Pocher so vor, als ob es auch ein Nicken hätte gewesen sein können.

„Nein, tut mir leid“, sagte sie, „nie gesehen.“ Sie wich Pochers Blicken aus, stützte ihre Arme in die Taille. Pocher vernahm ein leichtes Zittern in ihren Mundwinkeln. Nur für einen Moment nahm sie die Sonnenbrille ab und schaute ihn mit ihren dunklen Augen an. Pocher musste tief durchatmen, es fiel ihm schwer, in dem Augenblick vernünftig zu bleiben und nicht diesem Zauber zu verfallen, der sich um ihre Nasenspitze bemerkbar machte. Dann entsann er sich seiner Aufgabe und verwarf alle Ansinnen, sich dieser Frau anders anzunähern denn als Ermittler.

„Wir haben eine Wasserleiche im Hérault entdeckt. Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen in dieser Nacht? Wo waren Sie?“

„Non“, sagte sie. „Nachts ist die Schleuse geschlossen. Ich habe am Abend gelesen und bin dann zu Bett gegangen.“

Sie blieb geheimnisvoll. „Allein?“

„Ja, allein, ich hatte keinen Besuch, wenn Sie das meinen. Ich lese gerne.“

Pocher fragte noch nach ihrem Namen, Michelle Reynouard, als sein Telefon klingelte. „Allô?“, meldete er sich. „Pocher à l’appareil.“

Moulin hatte ihm kurz erklärt, dass er zu dem Ruderclub kommen sollte, weil er zwei Deutsche aufgegabelt hatte, die vielleicht wichtige Zeugen sein könnten. Das sei ja nicht weit, hinter der Brücke über den Kanal rechts runter.

Pocher war aufgefallen, dass ihn Pierre Moulin am Telefon geduzt hatte. Über solche Formalitäten wie Anreden hatten sie am ganzen Vormittag nicht gesprochen, einfach weil sie nicht dazu gekommen waren, sich ordentlich vorzustellen und über solche internen Gepflogenheiten zu sprechen.

„Entschuldigen Sie“, sagte er zu Michelle Reynouard, „ich muss zu einem anderen Einsatz, aber ich bitte Sie, falls Ihnen doch noch etwas einfällt, sich zu melden.“ Er drückte ihr seine Karte in die Hand mit dem Hinweis, dass sie die deutsche Kennwahl 0049 vorwählen und dann von der Handynummer die erste Null weglassen müsse, um ihn zu erreichen. Außerdem könne sie sich jederzeit in der Polizeistation in Agde melden.

„À bientôt“, sagte die Schleusenwärterin und widmete sich geflissentlich ihrer Arbeit. Gerd Pocher war einerseits immer noch beeindruckt von ihrer Erscheinung, andererseits stieg in ihm der Verdacht auf, dass sie glatt gelogen hatte. Ihre Lippen hatten kaum merklich gezittert, als er ihr das Bild von der Leiche vorgehalten hatte.

Er kehrte um, lief über den Steg über die Schleusentore zurück zur Straßenseite und verfiel in einen leichten Trab, obwohl mittlerweile die Sonne vom wolkenlosen Mittagshimmel brannte. Ein leichter trockener Nordwestwind von den Bergen herab ließ die Hitze aber erträglich erscheinen. Er joggte leichtfüßig federnd den Weg hinab, der zu dem Ruderclub führte, und traf schließlich Pierre Moulin, der immer noch versuchte, mit den beiden Deutschen eine Verständigung herbeizuführen. Etwas außer Atem und völlig verschwitzt musste Pocher einige Minuten tief durchatmen. Die Lage war schnell erklärt.

Die Jugendlichen waren offensichtlich etwas verblüfft, dass nun ein Beamter die Fragen auf Deutsch stellte. „Wir haben hier gestern Abend gefeiert“, sagte Dimitrij Woganow. „Da waren noch ein paar Franzosen dabei, vielleicht fünf oder sechs. Wir haben ziemlich viel Wein getrunken. Es war halt lustig. Die Franzosen waren wohl eher keine Touristen. Also: Das waren Einheimische. Die sind spät in der Nacht abgehauen. Aber die haben uns gesagt, dass wir hier einfach pennen könnten. Auch wenn ich kein Französisch kann und Marco auch nur so ein bisschen, haben wir uns richtig gut verstanden. Na ja, zur Not ging es auf Englisch.“

„Wir haben eine Wasserleiche gefunden, etwas unterhalb am Ufer des Hérault“, sagte Pocher. „Wir gehen davon aus, dass der Mann in der vergangenen Nacht dahin befördert wurde. Ist euch irgendwas aufgefallen?“

Die beiden Jungs guckten sich fragend an, dann verneinte Marco Wolgrebe. „Wir waren, zugegeben, auch ziemlich betrunken.“

Pocher zeigte ihnen noch das Porträt der Wasserleiche auf dem Handy. „Haben Sie den Mann zufällig gesehen?“

Wolgrebe fragte zurück: „Ist der tot?“

„Mausetot.“

„Nein, ich habe den Mann nicht gesehen.“

„Ich auch nicht“, fügte Woganow hinzu.

Pocher wollte noch wissen, woher sie kamen und wohin sie wollten. Sie studierten eigenen Angaben zufolge Germanistik an der Uni Freiburg und waren schlicht auf Urlaub in Südfrankreich, möglichst billig. Sie beabsichtigten, noch nach Spanien zu fahren, per Anhalter. „Bleibt ruhig noch etwas in Agde“, sagte Pocher, „wenn euch doch noch etwas einfällt, meldet euch bei der Polizeistation. Es geht möglicherweise um einen Mord.“

Moulin händigte den jungen Männern ihre Ausweispapiere aus und fügte noch ein paar Sätze hinzu, die Pocher ins Deutsche übersetzte: „Wildes Campieren ist hier eigentlich nicht erlaubt, aber da drücken wir die Augen zu, außerdem sind wir von der Mordkommission und nicht vom Ordnungsamt.“

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