Kitabı oku: «Medea», sayfa 2

Yazı tipi:

An der Rezeption des Hotels findet Marielena eine Nachricht von Bruno vor. Eine Einladung zum Abendessen.

Bruno Sagan weiß, dass Marielena immer im „Murano“ nächtigt, wenn sie in Paris ist. Ihm ist also bekannt, dass ich zu dem Seminar komme, sagt sie sich erneut aufgebracht.

Manchmal hilft es ja, innezuhalten, sich zu fragen: Was ist das Richtige? Marielena wägt das Für oder Wider der Begegnung ab, kommt jedoch wehmütig, außerdem übermüdet zu dem Entschluss: Diese Entscheidung verschiebe ich auf morgen, da ist wieder ein anderer Tag.

4.

Es weht ein rauer Wind. Der Himmel ist wolkenverhangen. Marielena würde am liebsten den Kopf noch tiefer im Mantelkragen vergraben. Doch das Beste an diesem unfreundlichen Tag – ihr Pariser Aufenthalt neigt sich dem Ende zu, grazie al cielo, ja, dem Himmel sei Dank, das Seminar ist ausgestanden.

Am Place de la Concorde, wo jeder mit hastigen Schritten sich einen Weg bahnt, muss ihr ausgerechnet Bruno Sagan entgegenkommen.

Sie hat sich bewusst nicht bei ihm gemeldet! Marielena kennt den Blick, dieses frech-charmante Grienen, mit dem er unbeirrt, ganz ruhig auf sie zu geht. Sie wortlos an sich zieht und leidenschaftlich mitten auf dem Platz küsst.

Das Aufregende daran ist, dass eine ungeklärte Situation zwischen ihnen steht. Keiner von beiden verliert darüber ein Wort. Bruno versucht, in ihren Augen, in ihrer Mimik zu lesen. Doch ihr Gesicht ist ausdruckslos, unbeweglich, gibt nichts her. Bis Bruno endlich den ersten Schritt wagt und ihr gesteht, dass er sie vermisst habe. Es ist kaum zu glauben, wie augenblicklich das Eis, auf dem Marielenas Sehnsucht lagerte, schmilzt.

Seltsam!? Begierde steht nicht einmal bei ihr im Vordergrund.

Nein! Emotionen! Das Plätschern des Brunnens lässt Brunos Worte widerhallen. Seine Einladung in ein Restaurant nimmt sie spontan an. Achtlos schiebt Marielena alle guten Vorsätze und die negativen Erinnerungen beiseite.

Bei Tisch ist Bruno entspannt, bewundert die Farbe des Rosè, wie er abperlt im Glas und prüft anhaltend die Aromen des Weins, als sei nichts wichtiger. Das Essen und der Wein lassen ihre Sinne flirren und leistet der Erregung Vorschub.

Beide gehen, wie kann es anders sein, auf sein Hausboot. Das gedämpfte Licht, die leise Musik, hinzu kommen seine erregende Worte, die er ihr ins Ohr säuselt, bewirken, dass sich ihre Körper vereinen.

All das ist so vertraut und doch so neu, träumt Marielena blindgläubig.

Sie ist verliebt und ihre Emotionen sind tiefgreifend. Empfindungen sind bei erotischen Spielen oft hinderlich. Marielena hält sich nicht daran, sie gesteht ihm ihre Zuneigung. Es wäre ratsamer gewesen, statt die Schleusen der Gefühle zu öffnen, im Gegenzug klug zu pokern.

Doch unseligerweise..., è l`amore cieca! Ja, die Liebe ist blind! Bei einem letzten Glas spricht Marielena den Lehrgang an. Sie kennt Brunos Unart, wenn er den Kopf neigt und die Augen ins Leere richtet. Die Vermutung, dass es Bruno war, der ihr die Fortbildung für Anfänger zugemutet hat, erhärtet sich. Warum nur, fragt sie sich. Diese Anweisung aus dem Hinterhalt gefällt Marielena nicht. Nachdem sie ihn in die Enge getrieben hat, gesteht er kleinlaut, dass er sie sehen wollte. Marielena befürchtet, das ist noch nicht alles, fragt nach.

„Ja“, sagt Bruno zögernd: „Da gibt es etwas!“ Erneut macht er eine Pause. „Deine Beziehung zu Capitano Silvio Amato. Bei unserer letzten Begegnung, im Winter, hat uns ein Kollege und guter Freund auf der Straße gesehen. Jean kennt Silvio Amato und weiß von eurer Beziehung. Er hat mich in der Nacht, als du schliefst, angerufen. Marielena, ich war enttäuscht, weil du nicht offen zu mir warst. Du musst dich entscheiden!“ Er spricht fordernd, allerdings mit leiser Stimme: „So kann es mit uns nicht weitergehen. Ich kann und will dich nicht teilen müssen!“ Es klingt nicht zynisch, eher so, als wünschte er sich nichts sehnlicher. „Vielleicht“, sagt er ergänzend, „seid ihr ein modernes Paar, das einander viel Freiheit zugesteht, nur da spiele ich nicht mit!“ Er wendet sich nun merklich von ihr ab. Marielena ist weder erschrocken noch überrascht, irgendwann, das wusste sie zu Beginn, muss sie den einen dem anderen vorziehen. Silvio oder Bruno. Das gefürchtete Abwägen setzt in ihrem Kopf ein, was natürlich schwerfällt und bange macht, das steht außer Frage.

„Bruno“, lächelt sie ihn an, „du hast die Courage, mir Bedingungen zu stellen, ohne mir zu sagen, was ich dir bedeute. Es muss nicht immer rote Rosen regnen, doch den Nachweis deiner Liebe habe ich vermisst.

Für mich gilt jetzt erst einmal herauszufinden, was für Folgen mir die Veränderung brächte.“ Bruno reagiert daraufhin befremdet.

Ein jähes Ende findet dieser Zwiespalt, der aufgekommen ist, durch das Telefon. Bruno muss sofort in die Zentrale, ein Alarm wurde ausgelöst.

Mit wehmütigem Blick verabschiedet er sich hastig von Marielena.

Der Dienstwagen wartet schon, unüberhörbar ist der Klang des Martinshorns. Bruno fährt mit viel Getöse davon. Marielena sieht schweren Herzens, wie das Schlusslicht des Autos immer kleiner wird, bis es am Horizont verschwindet.

Adieu Bruno!

Es ist noch früh am Abend, Marielena geht langsam in ihr Hotel.

Sie hat den letzten Flug Paris-Rom gebucht.

Sehnt sich nur noch nach ihrer vertrauten Umgebung, nach Rom.

Es ist der Sieg des Praktischen über die Leidenschaft.

Über den Wolken brütet sie über alles noch einmal nach, spürt instinktiv, dass sie auf der Hut sein muss. Denn der Pfad von der Realität in die Träumerei ist kurzweilig. Irrungen können langwierig sein. Marielena ist konfus, sie hat nicht damit gerechnet, dass der Tag so schnell kommt, an dem sie sich entscheiden muss. Brunos Anspruch steht ihrem Bedürfnis nach Freiheit im Wege.

Es ist aber auch unendlich schwer, die Vorstellung des anderen zu befriedigen, gleichzeitig seiner eigenen treu zu bleiben, rechtfertigt sie sich. Verlangt Bruno zu viel? Es ist riskant, wie sie von der Liebe träumt, die es so wahrscheinlich gar nicht gibt. Dennoch nimmt Marielena ein Bereitsein wahr.

Es ist Vollmond und schon nach Mitternacht in Rom. Marielena sitzt im Taxi vom Airport Leonardo da Vinci zu ihrem Appartement. Sie atmet tief durch, ist froh, wieder zu Hause zu sein. Bereits auf der Treppe ist ihr Blick sehnsüchtig auf die Tür gerichtet, ein wohliges Gefühl steigt auf, sie weiß, dass dahinter zwei Zauberwesen warten – Kater Peppino und Katze Lili.

Bruno ist erstmal ad acta gelegt. In ihrem Refugium verwandelt sich alles, hier ticken die Uhren anders als in Paris.

Das Telefonino holt sie aus dem Schlaf, neugierig sieht sie nach. Bruno simst, er habe voreilig gehandelt, könne vorerst noch keine Bindung eingehen, bräuchte Zeit zum Nachdenken! Auch wenn es hart ist, darf sie Brunos kapriziöse Launen nicht länger tolerieren. Marielena vermutet, dass sie Bruno zu viel Interesse gezeigt hat. Das muss ihn in Angst und Schrecken, vor einer Bindung, versetzt haben. Dämmert es ihr im Nachhinein.

Je mehr sie sich auf seine Gefühle verlässt, um so übler spielen die ihr mit. Was sagte Napoleon einst?, denkt sie ironisch: „Die Liebe ist die einzige Schlacht, die man durch Rückzug gewinnt.“ Es liegt ein seltsamer Unsegen auf dieser Liebe.

Marielena simst Bruno zurück: „Leb wohl!“ Sie weiß, was sie nicht will.

Ohne mich sagt sie sich entschlossen.

Fest steht – Bruno wird fortan Vergangenheit sein!

5.

In vorwurfsvoller Zwiesprache mit sich selbst ist Marielena zu Hause abgetaucht. Die abgeblendeten Jalousien tragen nicht dazu bei, ihre Wehmut zu mildern. Die Couch ist heute ihr Schlupfwinkel. Anrufe hat sie auf die Mailbox umgeleitet. Gut und schön, meine Liebe, setzt sie ihren Gedankenaustausch mit sich selbst fort, die Zeit der Abwege ist vorbei. Marielena muss Brunos Abfuhr hinnehmen, auch wenn ihr Ego sich damit schwer tut. Kummer in der Liebe haben schon viele ertragen müssen. Sehnen wird immer angeheizt aus dem Gefühl heraus, etwas zu begehren, was man nicht haben kann. Unmissverständlich ermahnt sie sich: Du musst zu Bruno auf Distanz gehen! Bei aller selbstbewussten Allüre im Alltag ist tief in Marielena das Verlangen nach Geborgenheit verankert. Sie ist auf den Boden der Realität zurückgekehrt, erhebt sich, öffnet die Jalousien und atmet tief durch, stellt die unvermeidliche Frage: Bist du von allen guten Geistern verlassen, mit Grübeln und Hadern deine Zeit zu vertun?

Es läutet. Draußen steht Signora Alba, Silvios Mutter. Mit dieser Überrumpelung hat sie weiß Gott nicht gerechnet. Marielena traut den Augen nicht, steht da wie vom Blitz getroffen.

„Störe ich, darf ich näher kommen?“ Noch bevor Marielena antworten kann, geht Alba an ihr vorbei und legt ab. Signora Amato geht ungeniert durch die Wohnung, tut so, als sei sie hier zu Hause. Fundstücke von der Porta Portese, dem größten Trödelmarkt Roms, Antiquarisches und Modernes schaffen in Marielenas Bleibe eine behagliche Atmosphäre. Auf den ersten Blick, denkt Alba, erkennt man nicht diese findige Planlosigkeit. Alba ist über das fantasievolle Gestalten mit Farben, Formen und Zeiten fasziniert, das hat sie nicht erwartet.

„Jetzt kann ich verstehen, dass du nicht zu Silvio ziehen möchtest und er sich hier wohlfühlt“, gesteht Alba unverhohlen. Marielena ist sprachlos, es kommt nicht häufig vor, dass Silvios Mutter ihr große Sympathie entgegen bringt. Meist verhält sich la Signora Marielena gegenüber sehr distanziert, um nicht zu sagen, ablehnend.

Marielena erinnert sich – Virgilia di Natale: Silvio lud sie Heiligabend nach Frascati ein, ohne seine Mutter vorher zu fragen. Beim Betreten der Villa las Marielena an Albas abweisendem Blick, dass sie im Hause Amato nicht wohl gelitten war. Es fehlte nicht nur der Weihnachtsbaum, auch die festliche Stimmung. Signora Alba, die Neapolitanerin, zieht die Krippe, wie es in Neapel Brauch ist, dem Baum vor.

Roberto begrüßte Marielena nur mit einem flüchtigen Nicken. Er war verstimmt. Sein Lebensgefährte, der Journalist Alberto Sari, durfte an der Familienfeier nicht teilhaben. Alba missbilligt vehement Robertos gleichgeschlechtliche Liebe zu seinem Freund. Daher mühte er sich am Klavier an Johann Sebastian Bach ab. Denn seiner Mutter wagte Roberto an Heiligabend keine Absage zu erteilen, das wäre undenkbar gewesen.

Laura, Silvios Schwester, war mit ihrem Mann Adolfo anhaltend im Streit. Von deren Sprösslingen ganz zu schweigen. Bauklötze flogen allen um die Köpfe, Barbie wurde enthauptet und der arme Hund Rocco auch nicht von Derbheiten verschont.

Silvios jüngste Schwester verließ erst gar nicht ihre vier Wände, die Technomusik aus Paulas Zimmer war nicht zu überhören.

Silvio verkroch sich meist in seinem Arbeitszimmer, um den familiären Querelen zu entkommen.

Marielena hatte am nächsten Morgen von dem Unfrieden genug – verließ die Familie Amato überstürzt. Buchte spontan einen Flug nach Paris. Doch anstatt sich in der Anonymität von Paris zu verkriechen, sank sie in die offenen Arme von Bruno Sagan, der ihr über den Weg lief.

Marielena hat Alba bis zum heutigen Tag nicht wiedergesehen.

Marielena kehrt in die Wirklichkeit zurück, zu Alba. Die ist immer noch beeindruckt von dem Appartement, besonders hat es ihr der Innenhof des Palazzo angetan, mit den Orangen- und Zitronenbäumen.

In diesem Moment schaltet sich die indirekte Beleuchtung ein, was die Anlage noch stimmungsvoller erscheinen lässt. Alba wendet sich nun zur Straßenseite hin, durch die hohen Fenstertüren zur linken Seite sieht man das Colosseum und zur Rechten die Piazza Venezia.

Sie setzen sich auf die Terrasse. Alba sieht berührt zum Forum Romanum hinüber, ehrfürchtig murmelt sie: „Che bella e Roma!“ Es klingt, als ob sie Roms Heiligstes zum ersten Mal sähe. Marielena ist verwundert, so sentimental kennt sie Silvios Mutter nicht.

Alba greift in die Tasche, stellt eine Flasche Prosecco auf den Tisch. „Aus unserem Weinkeller in Frascati“, hebt sie stolz hervor.

Marielena beunruhigt Albas artiges Benehmen; sie sehnt Silvio herbei, doch der ist noch nicht aus Mailand zurück.

Alba öffnet geschickt die Flasche. Erhebt das Glas: „Salute Marielena“, sagt sie etwas betreten. Marielena erwidert lammfromm, was bleibt ihr auch anderes übrig: „Grazie, Signora Alba, für ihren Besuch.“ Alba nickt kaum wahrnehmbar mit dem Kopf, das Glas immer noch in der Hand: „Marielena, ich habe dir in den letzten Jahren das Leben nicht leichtgemacht.“ Hält inne, blickt nachdenklich vor sich hin, dann fährt la Signora fort: „Wenn du selbst einmal Kinder hast, was ich hoffe, wirst du feststellen, dass man für seinen Sohn nur das Beste wünscht.“ Alba hält Marielena ihr Glas entgegen: „Ich möchte dir das Du anbieten.“ „Alba“, sagt Marielena, aus dem Konzept gekommen. Ihre Augen bekommen einen sichtlichen Glanz, nicht weil sie Alba von jetzt auf gleich lieb hat, nein, eher aus Rührung oder besser – Sentimentalität.

Nachdem Marielena die Sprache wieder gefunden hat, kann sie es nicht lassen, nachzufragen, was die plötzliche Veränderung bewirkt habe.

Marielena kennt Silvios Mutter gut genug, um bedenkenlos an ihren Worten Gefallen zu finden.

„Figlia mia, meine Tochter“, wiederholt sie etwas atemlos. Ich brauchte eine Weile, um einzusehen, dass du zu uns gehörst. Ich glaube nicht, dass Silvio mir noch eine andere Schwiegertochter bringen wird, denn er liebt dich sehr, basta.“ Marielena setzt ein hintergründiges Lächeln auf, sagt sich, bevor ich nicht über Albas unerwartetes Entgegenkommen den wahren Grund herausgefunden habe, werde ich auf der Hut sein. In einem freundlich geneigten Ton bedankt sich Marielena für das Vertrauen – prostet Alba wohlwollend zu.

Marielena fragt, wie es ihrer Tochter Laura gehe.

Da verändern sich Albas Gesichtszüge. „Meine Liebe“, beginnt sie traurig, „was mache ich nur falsch? Ich habe das Vertrauen meiner Kinder verspielt, außer Silvio sind alle gegen mich“, gesteht sie besorgt. „Laura hatte sich an Weihnachten von ihrem Mann Adolfo getrennt.

Und in diese Woche ist sie, gegen meinen Willen, zurück zu ihm gekehrt. Silvio hat seine Schwester darin bestärkt. Er findet, dass die Kinder den Vater brauchen.“ Ruhig hört Marielena zu, sie weiß, dass Alba niemanden hat, bei dem sie sich ausweinen kann. „Laura ist durch die Therapie, die sie im Winter gemacht hat, eigenständiger geworden. Den Beruf als Sommelier will sie beibehalten. Adolfo hat sie zum Hausmann ernannt, was kein Verlust für die Finanzwelt ist, denn ein erfolgreicher Banker war er nicht.“ Bei dem Gedanken an den eleganten Adolfo als Hausmann muss Marielena lachen und Alba stimmt mit ein.

„Auch Roberto ist ein Sorgenkind, mit seiner Homosexualität habe ich meine Last“, seufzt Alba. „Warum ist der Junge nicht veranlagt wie sein Bruder Silvio, frage ich dich?“ Bei allem Respekt, Roberto ist Marielenas Freund, hier muss sie eingreifen: „Alba, es ist keine Kunst, einen Sohn liebzuhaben, der sich in deine Vorstellung einordnet.“ Albas dunkle Augen weiten sich, doch Marielena lässt sich nicht einschüchtern.

„Roberto erwartet von dir, dass du ihn annimmst, wie er nun mal ist, um nicht zu sagen, er setzt es voraus. Seine Veranlagung ist sein Leben, ein Leben, das du ihm geschenkt hast.“ Alba findet nur mühsam die Fassung wieder. „Die Lektion, meine Liebe, ist bei mir angekommen, die muss ich erst einmal verdauen. Roberto kann froh sein, eine Freundin wie dich zu haben.“ Marielena fährt, ob es Alba passt oder nicht, im Szenario der Familie Amato fort. „Da haben wir, cara Alba, noch Paula.“ Alba unterbricht sie amüsiert: „Na gut, beenden wir mit dem Enfant terrible unserer Familie dieses Beisammensein.“ Marielena fährt unbeirrt fort: „Paula ist eine Rebellin in der Pubertät, die dich gerne provoziert, weil sie deine Aufmerksamkeit – auch dein Verständnis braucht.“ Alba wird jetzt nachdenklich: „Du hast ja recht, nach dem Tod meines Mannes glaubte ich, alles gut machen zu müssen. Marco, mein Mann, war in meinen Augen vollkommen, ich wollte sein wie er. Silvio erinnert mich sehr an seinen Vater.“ „Alba, deine Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, ihren Weg finden. Sie können nicht alle Silvio nachschlagen, das musst du akzeptieren.“ „Marielena, du gibst mir heute allerlei zum Nachdenken mit auf den Weg.“ Alba bricht beschwingt auf. „Wir sehen uns am Wochenende auf Capri. Vergiss Silvios Geburtstag nicht.“

Spät in der Nacht kommt Silvio von der Reise zurück. Marielena geht ihm entgegen, ihr gefällt, was sie sieht. Hinter seiner unnahbaren Fassade verbirgt sich ein sensibler Mann. Silvio ist ein Liebhaber, der höchste Lust erlebt, wenn Marielena glücklich ist. Oft trennt man sich von einer Liebelei und achtet dann den Partner eher.

Die Gedanken an Bruno legt sie, „es war einmal“, ab, um sie verblassen zu lassen. Für einen Moment geht ihr ernsthaft die Frage durch den Kopf, ob sie bei klarem Verstand war, Bruno überhaupt in Erwägung gezogen zu haben.

Silvio fällt aus allen Wolken, als er von dem Besuch seiner Mutter hört. „Warum warst du so verbindlich?“, fragt er verwundert. „Bei all dem, was sie dir in den letzten Jahren zugemutet hat.“ „Sie ist nun mal deine Mutter, Alba sehnt sich immer noch nach deinem zu früh verstorbenen Vater, das hat sie etwas gnadenlos werden lassen.“ Silvio nimmt sie liebevoll in die Arme. „Weißt du“, fährt Marielena fort, „man sollte im Leben Veränderungen nicht im Wege stehen.“ Sie geht nun im Zimmer auf und ab. Die zu ihr gehörende italienische Gestik mit dem typischen Hang zur Übertreibung liegt im Blut, ihre Jugend war von Einsamkeit geprägt, deshalb gibt Marielena ungern etwas von sich preis.

„Ich bin zwischen Italien und Deutschland aufgewachsen. Die Eltern lebten ihr Leben, sie liebten sich sehr, mich schickte man hin und her, auf verschiedene internationale Schulen in Rom und Berlin. Eine ständige Aufbruchstimmung beeinflusste meine Kindheit.“ Silvio hört ruhig zu, denn Marielena hat bisher wenig von ihrer Familie erzählt, er weiß nur, dass ihr Vater ein bekannter Rechtsanwalt in Rom war und die Mutter eine gebürtige Berlinerin.

„Als meine Eltern auf dem Weg von Rom nach Berlin leider tödlich verunglückten, war ich untröstlich, denn es waren noch so viele Fragen offen. Ich wusste zu wenig über sie“, gesteht Marielena. „Ein besseres Bild konnte ich mir von ihnen machen, als ich einen Packen Briefe und das Tagebuch meiner Mutter von Frau Käthe, meiner Großmutter aus Berlin, bekam. Da erst wurde das Leben meiner Eltern für mich transparenter. Außer Nonna Käthe habe ich keine Verwandten mehr – wenn ich es genau nehme, hatte ich nie eine richtige Familie.“ Marielena setzt sich neben Silvio, ergreift seine Hand. „Die Amatos sind weiß Gott nicht das Idealbild einer Familie – jedoch gewöhne ich mich langsam an sie! Wo gibt es, frage ich dich, eine beispielhafte Sippe?“ Silvio ist gerührt, er kann seine Emotionen nur mühsam verbergen.

„Würdest du mich heiraten?“, fragt er übergangslos. Mit Tränen in den Augen bejaht sie seinen Antrag, nur mit einem Nicken.

„Dann lass uns morgen auf Capri nicht nur meinen Geburtstag sondern auch unsere Verlobung feiern“, flüstert er überglücklich.

6.

Der Golf von Neapel liegt malerisch schön in der Sonne. Im Meer reflektieren Licht und Wellen. Es ist ein strahlender Tag.

Marielena und Silvio sind auf der Fähre von Neapel nach Capri. Die meisten der geladenen Gäste fliegen mit dem Helikopter auf die Insel. Mit Hast oder Hektik hat das nichts zu tun, es ist eher eine Frage des Ansehens. Hoch oben an den sonnenverwöhnten Hängen, von Pinien und Oleanderhecken umgeben, liegt Alba Amatos Villa.

Im Hinblick auf Silvios Geburtstag und Albas Weinpräsentation ist das Ferienhaus für eine hochkarätige Gesellschaft herausgeputzt. Capri, die grüne Insel, ist für diesen Anlass werbewirksam.

Marielena und Silvio haben sich nach dem Abendessen zurückgezogen. Die Luft ist lau. Selbst mitten in der Nacht hört man nur leise das Meer rauschen. Die nächtliche Stille ist vollkommen. Marielena rekelt sich in den Kissen und betrachtet verträumt den Verlobungsring an ihrem Finger. Silvios Liebe und Fürsorge wiegen eben doch alles auf.

Ein Schatten fällt auf sie, Silvio steht vor ihr, sein brauner Körper glänzt im Kerzenlicht. Er begehrt sie. Sie lieben sich leidenschaftlich. Seine Lippen und Händen streifen über ihren Körper, entlocken ihr ein Schnurren – nur Lili, ihre Katze, bringt das noch besser auf die Reihe. Marielena ist glücklich in dieser Nacht, sie weiß, dass es keine Barriere gegen die Stimulanzen des Lebens gibt. Sie geschehen von heute auf morgen und können das Leben komplett auf den Kopf stellen.

Bruno war eine Amour fou. Jedoch, meine Gute, lass dir keine Beichte einfallen in puncto Affäre. Auf diese Episode musst du nicht stolz sein, erteilt sie sich selbst einen Verweis.

Silvio sitzt auf der Bettkante, erwähnt nebenbei, dass zu dem Fest auch seine Jugendfreunde kommen. Allzu oft geschieht das Gottseidank nicht, aber seine Mutter wolle es so. Alba findet, dass Namen von Belang die Gästeliste zieren müssen.

„Ich bin froh, wenn das Fest zu Ende ist. Der Einzige von den Freunden, der damals aus einfachen Verhältnissen kam, war Amedeo di Positano. Ob du es glaubst oder nicht, diese blasierte Bande lässt ihn heute noch spüren, dass seine Eltern nur eine satoria hatten.“ „Silvio“, unterbricht Marielena, „Amedeo ist ein weltberühmter Mann! Spielt da seine Herkunft noch eine Rolle?“ „Natürlich ist er angesehen, viele suchen seine Nähe, sich mit ihm zu zeigen, heißt dem Erfolg nahe zu sein. Doch ihn wirklich anerkennen, den Sohn eines Schneiders, wäre zu viel verlangt.“ Silvio geht ans Fenster und blickt hinaus in die Nacht. „Ich glaube“, fährt er fort, „man kann seine Schwächen auf die Dauer nicht verbergen.“ Marielena läuft es kalt über den Rücken, santo cielo, plötzlich ist es ihr mulmig zumute, meint er etwa mich? Was weiß er von meiner Affäre mit Bruno? Oder plagt mich nur mein schlechtes Gewissen? Silvio wendet sich Marielena wieder zu, stumm ruht sein Blick auf ihr. Sie schenkt ihm ein entschuldigendes Lächeln, beteuert, müde zu sein. Gähnend wünscht sie ihm eine gute Nacht, kriecht noch tiefer in die Kissen und stellt sich schlafend. Was wäre, wenn Silvio etwas vermutet? Ob er meinen Seitensprung durchschaut hat? Ihre Gedanken kreisen – beunruhigen sie. Silvio legt sich neben Marielena, streift ihr zärtlich über das Haar und wünscht ihr ,sogni d`oro.“ Ob ich heute Nacht süß träume, ist fraglich, sinniert sie beunruhigt.

Am nächsten Morgen, beim Erwachen, wandert Marielenas Blick zur hellblau bemalten Zimmerdecke, warum nicht – wie der Himmel von Capri. Silvio schläft noch, seine Züge sind entspannt.

Marielena zuckt zusammen, am Fußende sitzt Alba, die sie anlächelt. „Buon giorno, cara!“ Marielena zeigt ihr stolz den Finger mit dem Verlobungsring.

Alba ruft überrascht: „Na, endlich seid ihr offiziell verlobt. Auguri!“ Bei all dem Getöse erwacht Silvio: „Signore, warum soviel Lärm um nichts.“ Alba ist empört: „Lärm um nichts“, wiederholt sie, „eine Verlobung ist ein Wendepunkt im Leben.“ Silvio schüttelt gähnend, sich reckend, den Kopf: „Aber Mamma, doch nicht morgens um sieben.“

In der Villa Amato spürt man heute Morgen, dass sich das Familienchaos noch zurückhält. Bis jetzt ist alles noch harmonisch, denkt Marielena im Stillen. Über eine Wendeltreppe kommt man auf das Sonnendeck.

Bequeme gelbe Sitzmöbel spiegeln das Flirren der Sonne wider.

Von hier oben kann man sehr gut das Meer und den Hafen sehen.

Maria, der gute Geist der Familie, serviert ihnen das Frühstück.

Marielena trägt nur einen Hauch von Hausmantel und eine Sonnenbrille. Silvio sitzt ihr gegenüber. Noch ist sie mit sich im Gleichklang, stippt eben ihr cornetto in den Cappuccino, als Silvio das Behagen stört.

„Gott sei Dank ist deine Unsicherheit verflogen“, nach einer Atempause, „was unsere Lebensplanung angeht.“ Marielena schaut abrupt auf, die Brille rutscht ihr auf die Nasenspitze, das Hörnchen versinkt in der Kaffeetasse. Sie belauert seine Miene und fragt sich im Geheimen, was bedeutet das? Nachdem sie die Balance wieder gefunden hat, erwidert Marielena verlogen: „Caro, ich brauchte Zeit, um bei dir anzukommen.“ Silvio ergreift ihre Hand und schaut ihr ernst in die Augen: „Darüber bin ich sehr froh, dass du dich entschieden hast.“ Marielena hat immer noch keine Ahnung, wohin das führen soll.

„Dann lass uns deine Parisreise“, Marielena hält den Atem an, „als eine gelungene Therapie sehen.“ Heikle Situationen sind Marielenas Stärke. Mach jetzt nur keinen Fehler sagt sie sich. „Silvio, erwartest du eine Rechtfertigung?“, fordert sie ihn heraus. Erhebt sich, geht zum Fernglas, das an der Brüstung verankert ist und schaut zum Hafen hinunter.

Silvio schüttelt unmerklich den Kopf. „Nein“, sagt er schließlich überzeugend, „das ist nicht nötig, ich glaube, es ist alles gesagt.“ Marielena hütet sich, das fatale Zwischenspiel mit Bruno zu erörtern.

Zumal sie weiß, dass Silvio die Begebenheit nur deshalb vorbringt, um nicht wie ein Naivling dazustehen, einer, der die Affäre nicht bemerkt habe. Warum sind Verliebte so einfältig? Sie leben in dem Glauben, keiner könne ihr verändertes Gebaren wahrnehmen.

Durch das Fernglas entdeckt Marielena am Horizont eine Jacht. Am Heck steht Amedeo di Positano, der auf das Wasser schaut.

Unerwartet wird Marielena von hinten erfasst und herumgewirbelt, Paula und Roberto, Silvios Geschwister, begrüßen sie stürmisch.

Im Hintergrund steht ein gut aussehender Mann, der sich befremdet zurückhält. Roberto stellt ihn Marielena vor: „Alberto Sari, mein Lebensgefährte“, bringt er etwas verschämt hervor.

Silvio erhebt sich. „Ciao Alberto, herzlich willkommen.“ Silvio kennt Robertos Freund längst, stellt Marielena erstaunt fest.

Alba kommt hinzu und ist ebenso verblüfft wie Marielena. Sie umarmt Roberto, dann reicht sie Alberto Sari zögerlich die Hand: „Ich darf Sie doch Alberto nennen?“ Der beteuert mit Nachdruck: „Selbstverständlich, Signora Amato!“ Alba gibt Marielena mit den Augen zu verstehen: Na, wie findest du mich? Marielena würde gerne zum Strand gehen. Doch bevor sie Silvio ihren Wunsch vorschlagen kann, verfügt Alba über den Sohn, gebieterisch, wie sie nun mal ist. „Silvio, wir müssen heute Morgen noch den Wein für das Fest aussuchen.“ Alba hat nach dem Tod ihres Mannes in relativ kurzer Zeit Spitzenweine von erwähnenswerter Qualität produziert und außerordentlich viel Beachtung mit dem Rebgut errungen.

„Mamma, warum lässt du Alberto nicht mit entscheiden?“, fragt Roberto seine Mutter. „Alberto hat einen Ratgeber der gehobenen Gastronomie Italiens geschrieben, er ist ein Weinkenner“, klärt er mit Nachdruck seine Mutter auf. La Mamma sieht erst Roberto, dann Alberto an: „Ach so, das habe ich ganz vergessen, Sie sind ja Journalist.“ Natürlich stimmt das nicht. Denn Alba denkt all zu oft an den Liebesbund, den ihr Sohn mit dem Journalisten eingegangen ist. Sie längst hat das Umfeld von Alberto Sari sondiert.

Silvio stellt belustigt fest, wie Roberto darauf aus ist, seinen Freund in die Familie einzuführen.

„Warum nicht“, hört Silvio seine Mutter sagen. Wenn man bedenkt, dass Alba noch vor wenigen Wochen jeden Homosexuellen in Grund und Boden verdammt hat, überlegt Silvio, ist das, was hier und heute geschieht, beachtlich. Grazie Marielena, das haben wir dir zu verdanken.

„Allora ragazzi, avanti – gehen wir“, fordert Alba Silvio und Alberto forsch auf.

„Und was machen wir?“, fragt unternehmungslustig Paula.

Das Klingeln von Marielenas Telefonino lässt die Antwort offen, nach einem kurzen Gespräch hören sie Marielena sagen: „Danke für die Einladung, bis gleich.“ Erwartungsvoll sehen alle Marielena an – Paula fragt neugierig: „Wer war das?“ Die zuckt nur mit der Schulter, denkt nicht daran, zu erwähnen, wer der Anrufer sei.

Was nicht perfekt ist, wird inszeniert. Marielena kleidet sich rasch an, wickelt ein Tuch zum Turban und streift Sandalen über. Beschwingt, hintergründig lächelnd, verlässt sie die Familie.

Amedeo steht am Hafen, blickt melancholisch ins Endlose. Die Haare sind nicht wie gewohnt zusammengebunden, sie flattern ihm ins Gesicht.

Seltsam, wie vertraut er sie begrüßt – wo sie sich vor nicht all zu langer Zeit erst begegnet sind.

Sie schlendern über die Piazzetta, den Salon der Capreser. Abrupt bleibt Amedeo stehen, entgeistert betrachtet er sein Schattenbild in der spiegelblank geputzten Scheibe einer Vitrine ruft affektiert aus: „Mein Gott, wie sehe ich denn aus?“ Er sieht erschöpft aus, denkt Marielena.

In der Via Camerelle zeigt ihr Amedeo seine neu eröffnete Repräsentanz, weist selbstverliebt auf die Inschrift an der Tür hin – „Amedeo di Positano“, es klingt erhaben aus seinem Mund.

Ohne zu fragen, lenkt er Marielena in die Bar von Tiberio. Sie trinken eine Limonade. Die Augen der Gäste sind auf ihn gerichtet, außer einem respektvollen „ciao Amedeo“ wagt es keiner, ihn anzusprechen.

Danach führt er Marielena in sein Appartement, das versteckt in der Ecke einer verwinkelten Gasse liegt.

Wildkatzen- und Zebradrucke, kombiniert mit floralen Dessins, stechen ins Auge. Selbst im persönlichen Bereich wird deutlich, dass Gestalten Amedeos Leben ist. Die Fenster sind mit Vorhängen verdunkelt, so als wolle er der Welt den Zutritt verwehren. Dennoch wird die Behaglichkeit von einem undeutlichen Summen beeinträchtigt, das anschwillt, wieder verhallt, egal, wo man sich aufhält. Das Gemurmel von vorbeigehenden Passanten auf der Straße ist immer gegenwärtig.

Je näher Marielena dem Designer kommt, desto imponierender findet sie ihn. Amedeo sitzt ihr gegenüber, schaut ins Nichts, als wäre er allein im Raum. Plötzlich setzt er heftig sein Glas ab. Die Eiswürfel klirren.

„Das Absurde, cara, ist in mir verankert“, sagt er maliziös lächelnd. „Man muss für alles bezahlen! Oft einen viel zu hohen Preis.“ Marielena wird allmählich bewusst, dass er sie nur eingeladen hat, um ihm die Beichte abzunehmen – doch die Absolution muss er sich bei einer übergeordneteren Stelle holen, denkt sie spöttisch. Ist es Weltflucht, rätselt sie, oder nur ein Klagelied? Eben noch, da draußen auf der Piazza, mimte er den Lässigen. Nun stellt er seine Ohnmacht gegenüber dem Leben theatralisch als Desaster dar.

₺188,24