Kitabı oku: «Spurlos», sayfa 4

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16

Als er erwachte, sah er über sich den Bären, braunes und zottiges Fell und funkelnde Augen. Hallo Daniel, nice to meet you. Im Yosemite hatten sich Bären im Camp 4 herumgetrieben, Zelte aufgerissen und Autos geknackt, immer auf der Suche nach Fressen. Auf Zucker waren sie besonders scharf. Der Gedanke an Zucker erinnerte ihn daran, wie er letzthin ein Zuckerbriefchen aufgerissen und aus der Hand geschleckt hatte, als sei auch er ein Bär. Er hatte schwer geträumt. Er fühlte sich den Puls, sein Herz schlug unregelmässig, er atmete durch, damit es sich beruhige. Durch weisse Vorhänge drang Dämmerlicht in das unbekannte Zimmer, in dem er lag, von einem Bären bewacht.

Die Biene Maya summte durch den dumpfen Gefühlsnebel in sein Bewusstsein. Maya Antenen, Pflegeleiterin, Onkologie. Ich hab doch nicht etwa Krebs?, schoss ihm durch den Kopf.

Daniel drehte sich auf den Bauch, sah in einer Spiegelwand zwischen zerwühlten Decken und Kissen eine müde Gestalt liegen, käsiges Gesicht, Zweitagebart. Auf der Bettumrandung hielt der Bär Wache mit gierigem Blick, hob plötzlich den Kopf, stellte den Schwanz und fauchte.

Bären haben doch nicht so lange Schwänze, sagte sich Daniel, drückte sein Gesicht ins Kissen, schloss die Augen. Sah das Mädchen vor sich, das auf einer Party eine falsche Droge erwischt hatte. Alkohol dazu, ein tödlicher Cocktail. Sie lag schon im Koma, als man sie brachte. Eine wachsweisse Prinzessin mit glasigen blauen Augen. Eine Nacht und einen Tag hatten sie gekämpft, er hatte mit ihr geredet, Geschichten erzählt, dann war sie hinter die sieben Berge entschwebt, still und leise und schön wie Schneewittchen. Die Eltern sassen im Korridor auf Plastikstühlen, er eilte an ihnen vorbei, fand den Mut nicht, es ihnen zu sagen.

Im Foyer war er der Pflegerin Maya begegnet. Er musste reden, um nicht zu heulen. Er erinnerte sie an seine Einladung zu Kaffee und Kuchen, doch so spät war kein Café in der Stadt mehr geöffnet. Er schleppte sie in eine Bar, kippte auf den doppelten Espresso zwei, drei Bourbon, vielleicht auch mehr und viel zu schnell, schwatzte unablässig, breitete sein ganzes verrücktes Leben vor ihr aus. Sie hörte ihm zu, mit traurigen, schwarz umrandeten Augen, im Taxi hielten sie Händchen, im Lift der erste Kuss. Liebe in Zeitraffer, er erinnerte sich nur noch an Bruchstücke. Hatten sie Kondome benutzt? Hatten sie überhaupt Sex gehabt, oder war er gleich eingeschlafen, behütet von diesem Bären, der ihn an wilde Tage im Westen erinnerte. Mit Andrea, dachte er, möchte ich einmal im Yosemite klettern, die Salathé am El Capitan fehlt mir noch, ein Klassiker. Würde ich vielleicht noch schaffen. Jetzt erinnerte er sich, dass er vom Yosemite geträumt hatte, er hängt in einer Wand, «Sea of Dreams», eine schwere Technoroute, auf der Hängematte neben ihm räkelt sich das Schneewittchen, ballt zarte Finger zu einem Fäustchen, hebt den Daumen, lächelt ihm zu. Ein abgründiges Gefühl der Verlassenheit hatte ihn ergriffen im Traum. Dann war er erwacht.

Er stemmte sich im Bett hoch, hockte auf den Rand, sah im Spiegel den Bauchansatz unter der behaarten Brust, die knochigen Schultern, er fasste sein Glied an, das sich warm und schlaff anfühlte. Bienensex, dachte er, honigsüsses Zungenlecken. Und der Bär hat zugeschaut. Blödsinn. Ich war viel zu besoffen und zu erschöpft, ein Schlappschwanz, klettere nicht mehr seit meinem Fehltritt in Israel und «Sea of Dreams» oder die Salathé schaffe ich nie im Leben. Die Muskelpakete sind weg, und vor Abgründen habe ich Angst.

Die Tür ging einen Spalt auf, Maya schaute herein, in schwarzem Lederrock und schwarzweiss gestreifter Jacke, die Haare gekämmt und gelackt, zum Ausgehen fertig. Kaffeeduft wehte ins Zimmer, sie beugte sich zu ihm, als sei er ein Patient, berührte mit den Lippen leicht seine Wange. Ihr Gesicht war kühl und glatt vom Make-up. «Ich hab Dienst», sagte sie. «Mach es dir gemütlich. Frühstück steht in der Küche bereit, der Schlüs sel liegt auf dem Tisch. Du kannst ihn mitnehmen.»

Sie schwebte davon, liess einen traumhaften Duft zurück, der Bär hüpfte vom Bett, trippelte ihr nach. Daniel hörte, wie sie mit ihm redete, mit ihrer sanften und langweiligen Stimme, er wollte etwas fragen, doch ein Schmerz fuhr ihm wie ein Messerstich von der Schläfe durchs Hirn.

«Im Bad liegen Frottétücher», rief sie. Dann ging die Wohnungstür. Die perfekte Pflegerin. Oberschwester Maya.

Endlich kam er hoch, betrachtete lange die Vitrine im Korridor, sie war ihm nicht aufgefallen, als sie in der Nacht nach Hause gekommen waren. Eine Sammlung von Barbiepuppen, schön drapiert auf gläsernen Tablaren mit Puppenstubenmöbeln, Barbie als Tennisgirl, Barbie in einer Bauerntracht, Barbie im Kampfanzug und natürlich als Krankenpflegerin mit Rotkreuzhäubchen. Sicher nähte Maya die Kleider selber in ihren einsamen Stunden. Ken allerdings, Barbies Boyfriend, fehlte. Offenbar sammelte Maya keine Männer. Ihr Beschützer war der Bär, der vollgefressene rote Perserkater. Er beobachtete Daniel aus Distanz mit seinem bösen gelben Blick, als wolle er ihn zerfleischen.

Daniel suchte seine Uhr, fand sie bei den Hosen, die gefaltet auf einem Stuhl lagen, darauf seine Unterwäsche, liebevoll glatt gestrichen. Jacke und Hemd hingen an Bügeln.

Er warf einen Blick in die Wohnküche, auf einem runden Tischchen in einem Erker war aufgedeckt, Käse unter der Glokke, Joghurt, Flocken, Schinken, mit Klarsichtfolie bedeckt, frisch aufgebackene Brötchen, Kaffee im Thermoskrug. Auf der Granitabdeckung der Kombination steckten zwei Eier in Bechern neben dem Eierkocher. Ein Zettel: Stell den Käse und den Schinken bitte in den Eisschrank, falls was übrig bleibt. Guten Appetit!

Es blieb alles übrig. Er mochte nicht einmal eine Tasse Kaffee, er musste so schnell wie möglich aus dieser Wohnung verschwinden. Den Schlüssel warf er in den Briefkasten.

17

Sie fand keinen Schlaf. Zählte die Glockenschläge vom Turm, die Viertelstunden, dann die Stundenschläge. Sie erinnerte sich, was Anita im Spital gesagt hatte: Da ist nur … der Glockenturm … Was hatte sie gemeint? Vielleicht hatte sie der Klang der Glocke oft um den Schlaf gebracht. Es gab Gerichtsurteile, die Kirchen- und Kuhglocken zum Schweigen brachten, weil sie die Anwohner störten.

Andrea drehte sich gegen die Wand, hörte leises Knacken und Knistern im Gebälk. Das Holz dehnte sich, spürte die Wärme und das neue Leben im Haus, die Holzwürmer nagten unentwegt. Es war ihre erste Nacht in der «Alpenrose». Sie hatte sich notdürftig eingerichtet, den Futon im hellsten Zimmer auf dem Boden ausgerollt, Nägel ins Täfer geschlagen für die Kleider, als ob sie sich nur vorübergehend hier aufhalten würde. Noch immer Nomadin. Der Gedanke, ein Haus zu besitzen, dieses uralte behäbige Haus, war ihr noch fremd. So ein Haus besitzt man nie wirklich, hatte Reto Kocher gesagt. Das Haus war hundert Jahre vor dir da und es wird hundert Jahre nach dir noch stehen. Du bist nur Gast, auch wenn du im Grundbuch als Besitzerin eingetragen bist. Vor dem Einzug hatte sich Andrea fast gefürchtet, obwohl das Haus gekauft und bezahlt war. Aus der abstrakten Zahl der Erbschaft war etwas Reales geworden.

Als erste «Amtshandlung», wie Reto es nannte, hatte sie über dem Eingang mit Bohrdübeln das Schild befestigt: Rock’n’Ice – Kletterschule. Dazu das Signet, eine Seiltänzerin zwischen zwei Bergspitzen. Kletterfreunde hatten ihr beim Umzug geholfen, es hatte aus Kübeln gegossen, doch ihr Mobiliar war schnell im Haus. Reto liess einen Sektkorken knallen und bemerkte: Beim Zügeln regnet es immer. Andrea prostete den Freunden zu und trank zur Feier des Einzugs ein halbes Glas.

Sie zählte die Glockenschläge, zwei Uhr nachts. Sie begann zu rechnen, addierte, subtrahierte, summierte Zins und Zinseszins einer allfälligen Hypothek für die sanfte Renovation. Neue Fenster, hatte der Architekt empfohlen, neue Fensterläden, Sickerleitung, um den Keller zu entfeuchten. Den Ersatz der alten ausgetretenen Treppen verlangte das Baugesetz. Das Amt für Heimatschutz hatte sich gemeldet, machte Auflagen. Die Schindelfassade und das Dach mit den Schwalbenschwanzziegeln mussten erhalten bleiben, eine kostspielige Angelegenheit. Das Amt für Umweltschutz forderte die Sanierung der Abwasserleitungen. Die Lebensdauer von sanitären und elektrischen Installationen war längst abgelaufen. Küche, Toiletten, Gästezimmer waren renovationsbedürftig. Ein Fass ohne Boden. Seit Wochen stellte Andrea in Computertabellen das Notwendige dem Wünschbaren gegenüber und wünschte sich manchmal wieder die Zeit herbei, als ein Zelt, ein Rucksack voll Kletterwerkzeug und eine Sporttasche mit Klamotten ihr einziger Besitz gewesen waren und die Unendlichkeit des Himmels über Amerika das Dach über ihrem Kopf. Ein Dach, das nie leckte, an dem keine Würmer und Schimmelpilze frassen. War ein neues Dach wirklich notwendig, wie Reto Kocher empfahl? Solange es nicht hereinregnete, wollte sie zuwarten. Und wieder schlug die Glocke. Drei Uhr.

Ein Rumpeln über ihrem Kopf schreckte sie auf, sie war doch eingeschlafen. Sie vernahm ein flüchtiges Trippeln im Estrich, ein Gegenstand fiel um, rollte über den Boden. Einbrecher! Sie stützte sich auf die Ellbogen, horchte. Es war so still, dass sie glaubte, ihr Herz zu hören, das heftig klopfte. Ein Viertelstundenschlag vom Glockenturm. Das Rumpeln und Rollen setzte in einem andern Teil des Estrichs wieder ein. Ein Gepolter, als ob jemand mit Kegeln spielte.

Andrea tappte auf allen Vieren von der Matratze zum Rucksack, schnallte den Eispickel ab, suchte zwischen Kletterwerkzeug nach ihrer Stirnlampe, setzte sie auf, trat in Socken und Pyjama ins Treppenhaus, den Pickel fest umklammert. Die Stufenleiter zum Estrich knarrte leise, als sie hinaufstieg. Sie horchte, hörte keinen Laut mehr, stiess die Bodenklappe auf und rief: «Ist da jemand?»

Der Lichtstrahl ihrer Lampe tastete über alte Möbel, die mit Leintüchern zugedeckt waren, über Truhen, Tische, kaputte Stühle, Säcke mit verrotteten Lumpen, einen Stapel Dachziegel, Bündel vertrockneter Schindeln, Zeitungen, Hanfseile, eine Kiste verstaubter Schuhe. Sie glaubte, Trippelschritte zu hören, die sich hinter einem Kamin entfernten, rief nochmals, doch kein Einbrecher oder sonst ein Eindringling zeigte sich. Dafür schlug ihr ein penetranter Gestank entgegen. Gespenster hinterliessen bei ihrem Verschwinden einen Geruch nach Schwefel und faulen Eiern, hatte einmal jemand erzählt. Der Estrich stank eher wie das Raubtierhaus im Zoo.

«Ist jemand da!», rief sie nochmals, um Mut aufzubauen, drang Schritt für Schritt vor, leuchtete jeden Winkel aus. Hinter dem Kamin trat sie beinahe auf eine schwarze Wurst von frischem Kot. «Verdammte Scheisse, Marder!», rief sie aus. «Auch das noch!» Ein Gespenst wäre ihr lieber gewesen.

Andrea schlug die Pickelspitze in einen Balken, ihre Angst kippte in Wut. Marder, das bedeutete, dass das Dach sofort repariert werden musste, vielleicht sogar erneuert.

Sie wusste, dass es fast unmöglich war, einen Marder aus dem Haus zu vertreiben, wenn er seine Duftspur hinterlassen hatte. Auch Marder waren sesshaft, keine Nomaden. Nach dem Lärm zu schliessen, war es ein Weibchen mit Jungen, die mit Vergnügen im Estrich herumtollten. Sie war also nicht allein.

18

«Hast du deine Lehre abgeschlossen?» Iwan schüttete Milch über eine Schale Haferflocken. Seine Finger waren mit Heftpflaster beklebt, die Nägel hatten schwarze Ränder.

Magnus schob seine Unterlippe vor, schwieg. Der Geruch der warmen Milch weckte seinen Hunger, er schenkte sich eine Tasse voll ein, gab einen Schluck Kaffee dazu, löffelte Zucker und rührte. Rahmfetzen schwammen im Milchkaffee.

Suna trat aus der Schlafkammer in die Küche, rieb sich die Augen, schüttelte ihre Filzlocken und setzte sich. Iwan schob ihr eine Tasse hinüber. «Trink einen Kaffee, dann erwachst du.»

Sie gähnte. Am Abend hatten sie gekifft. Magnus roch es. Der Duft von Heublumen hing noch immer in der Luft. Im Heim hatte Iwan sie zu Strafen verknurrt, wenn er sie beim Kiffen erwischte.

Magnus schob zwei Finger zwischen Hemdkragen und Hals, klaubte einen Halm heraus, der seine Haut reizte. Er hatte sich tief ins Heu gegraben, trotzdem gefroren und kaum geschlafen. Der Heustaub klebte am kalten Schweiss, der ganze Körper juckte. Er fühlte sich zerschlagen und schmutzig. Warum ein Sozialarbeiter auf die Idee kam, sich auf die Alp zu verdingen, konnte er sich nicht vorstellen. Iwan war schon im Heim anders als die andern Erzieher gewesen. Launisch, mal Kumpel, mal Bulle. Man wusste nie, woran man mit ihm war. Wegen seiner weibischen Stimme spielte das Christkind den starken Mann.

«Du hast also die Lehre geschmissen?», bohrte Iwan weiter, während er seine Flocken löffelte.

«Es war nicht das Richtige.» Magnus tunkte Brot in den Milchkaffee. Trinken mochte er nicht, die Rahmfetzen ekelten ihn.

«Das Richtige gibt’s im Leben nicht umsonst. Was solltest du denn lernen?»

«Bäcker. Hab Ekzeme bekommen vom Mehl.»

«Allergien sind psychosomatisch», bemerkte Suna. Sie drehte sich eine Zigarette, schüttelte dazu ihre verfilzten Strähnen. Fremd sah sie aus, dunkle Haut, Tränensäcke unter Mandelaugen. Sie wirkte älter als am Abend im Kerzenlicht.

«Und jetzt? Was hast du vor?»

Magnus hob die Schultern. «Weiss nicht.»

«Warum treibst du dich in den Bergen herum?»

Magnus nahm einen Schluck, schob die Tasse von sich. Sie war noch fast voll. Keine Lust auf ein Verhör.

«Er ist verwöhnt.» Suna drückte die halb gerauchte Zigarette in ihrer Tasse aus, zischend verlöschte sie im Rest des Kaffees. «Du könntest uns auf der Alp helfen. Kost und Logis abverdienen.»

Magnus starrte angewidert auf die Tasse, Brotreste schwammen darin. Nach Hause wollte er nicht mehr, hier bleiben auch nicht.

«Er ist nicht begeistert.» Suna trat unter die Tür und streckte sich wie eine Katze. «Wir sollten zum Vieh.» Sie drehte sich um: «Kannst du vielleicht melken?»

Magnus schüttelte den Kopf.

«Er ist verwöhnt, er spricht nicht, er kann nicht melken.» Sie schlüpfte in die Stiefel und stapfte ins Freie.

«Komme gleich.» Iwan schenkte sich Kaffee nach. «Du bist doch im Heim recht anstellig gewesen. Melken ist ganz einfach mit der Maschine. Ich zeig’s dir.»

Magnus stand auf. «Ich muss jetzt gehen.»

«Wohin?»

«Hinüber.» Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Wohin sollte er sonst? Er hatte keine Lust, für die vergammelten Unterländer den Stallknecht zu spielen. «Hinüber», wiederholte er.

Bei der Tür packte ihn Iwan am Ärmel. «Du könntest drüben etwas besorgen für uns.»

«Ich hole keinen Stoff.»

«Du begleitest zwei Leute, die uns auf der Alp helfen.»

«Warum kommen die nicht allein?»

«Sie kennen den Weg nicht.»

«Geh doch selber.»

«Du hast hier geschlafen und gegessen. Könntest was dafür tun.»

Magnus schaute auf den Boden. Rund um die Hütte war er vom Vieh zertrampelt. In den tiefen Spuren der Klauen sammelte sich Wasser. Kühe standen im Dreck und glotzten ihn an mit grossen Augen. Sie hatten Wimpern wie gepflegte Damen. Unruhig waren sie, stampften und bedrängten sich gegenseitig mit ihren Leibern. Eine senkte ihren Kopf und stiess ein heiseres Muhen aus, eine andere sprang sie von hinten an, hockte auf sie wie ein Stier. Ihre Schellen schepperten und tingelten.

«Du kennst die Ziegenalp drüben?»

Magnus stiess seine Schuhspitze in den Dreck.

«Sag dem Hirten einen Gruss. Du kannst dort übernachten.»

«Und dann?»

«Morgen kommen zwei Männer. Du führst sie übers Joch zu uns. Kapiert?»

«Ja.» Magnus schritt über den aufgeweichten Vorplatz zum Heuschober und holte seinen Rucksack. Er kam sich vor wie im Heim. Christkind befahl, man gehorchte, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Die Erzieher waren immer am längeren Hebel.

Suna brachte ihm einen Plastiksack mit Brot, Käse und Äpfeln. «Damit du nicht verhungerst.» Sie drückte ihm etwas Geld in die Hand. «Mach’s gut.» Sie tätschelte seinen Arm und lächelte.

Magnus stopfte den Proviant in seinen Rucksack. Der Bergkamm glänzte im Licht der Sonne, die hinter ihm stand. Der zackige Grat zeichnete sich doppelt in den Himmel. Während er gegen das Joch anstieg, sinnierte er darüber nach, ob es sich um eine Luftspiegelung handle oder ob ihn seine Augen täuschten. Er blieb stehen, richtete den Feldstecher hinauf. Messerscharf trennte der Grat Licht und Schatten.

19

Der Schreiner arbeitete schweigend und schnell, Hobelspäne klebten in seinem Bart. In regelmässigem Rhythmus schrillte die Handfräse, Sägemehl sprühte über den Estrichboden.

«Kaffee?», fragte Andrea.

Er schüttelte den Kopf, griff nach einer Wasserflasche. Sein Adamsapfel wippte auf und ab, während er trank. Dann kniete er nieder, kroch unter die Dachschräge und nahm Mass. Er verschloss die Spalten zwischen dem Unterdach und der Wand mit Holzleisten und Metallgittern. Mit Mardern kenne er sich aus, hatte er gesagt. Es helfe nur eines: alles abdichten. Und Kampfer, den Geruch könnten die Marder nicht ertragen. Bevor er die Metallgitter festnagelte, legte er Kampfer aus. Einfangen und töten kam nicht in Frage, Marder waren geschützt. Es half auch nicht, denn sogleich würde ein nächster dem Geruch folgen und das Nest besetzen. Ein Glück, wenn sie den Jeep in Ruhe liessen, mit Genuss zernagten Marder elektrische Kabel in parkierten Autos.

Andrea schleppte Kisten, Säcke und Schachteln aus der Dachschräge, packte aus und schob das meiste beiseite. Reto Kocher und Alwin, auch er ein Kletterkumpel vom Patagonientrip, trugen den Gerümpel die Treppe hinab und warfen ihn in die Mulde auf dem Parkplatz. Zwei Bananenschachteln mit Gämshörnern und Hirschgeweihen, voller Staub und Spinnweben, warfen sie weg. Der alte Wirt sei auch ein Jäger gewesen, sagte der Schreiner. Eine Kiste mit Büchern schob Alwin beiseite, da habe es wertvolle Stücke darunter, die man aussortieren müsse. Reto fand im Ramsch einen Zylinderhut und setzte ihn auf. Er erzählte von einem bekannten Bergsteiger, der in Zylinder und Frack die schwierigsten Routen geklettert hatte.

«Auch ich rüste mich neu aus!», rief Alwin. Er hatte in einer Kiste ein Paar genagelte Bergschuhe gefunden, verrostete Steigeisen, ein Hanfseil, einen Bund handgeschmiedete Felshaken mit dicken Ringen. Ehrfürchtig wogen die Männer das Material in der Hand, liessen Stahlkarabiner schnappen und Haken klirren. «Was sollen wir damit?», fragten sie Andrea.

«Vielleicht gibt es ein Museum, das solchen Krempel sammelt.»

Der Schreiner trat hinzu: «Tönis Ausrüstung.»

«Da hat er mal ein Stück vom Hanfseil abgeschnitten.» Reto hielt das gerollte Seil in die Höhe, an einem Ende fransten die Fasern aus.

«Ein Rückzug aus einer Wand», meinte Alwin. «Man kennt die alten Geschichten. Damals gab es noch keine Bandschlingen, man musste ein Stück Seil abschneiden, um eine Abseilstelle einzurichten.»

Der Schreiner presste seine Faust in die Seite, starrte auf das Seil.

«Wissen Sie was darüber? Töni war doch ihr Onkel», fragte Andrea.

Kernen schüttelte den Kopf, bückte sich, rutschte auf den Knien in die Dachschräge und nagelte eine Holzleiste fest.

Andrea hatte keine Idee, was sie mit der Ausrüstung des alten Bergführers anfangen sollte. Niemand konnte davon noch etwas brauchen, doch fand sie es respektlos, alles in die Mulde zu werfen. Die Schuhe, die Steigeisen, die Felshaken erzählten vom Leben des alten Wirts, den sie nie gekannt hatte. In der Wand der Plattenburg war sie solchen Haken aus Schmiedeisen begegnet. Das abgeschnittene Seilstück schien ihr ein Geheimnis zu bewahren, von dem der Schreiner wusste, das er aber nie preisgeben würde. Sie legte alles in die Kiste zurück, schob sie unter die Dachschräge an eine Stelle, die schon abgedichtet war.

Gegen Abend war die Arbeit beendet, Reto und Alwin fuhren zurück in die Stadt. Der Schreiner fragte nach einem Besen, um den Dachboden zu wischen. Andrea wollte das selber machen, doch er beharrte darauf. Noch jeden Arbeitsplatz habe er sauber hinterlassen, das gehöre zum Beruf. Die Abendsonne schien durchs Giebelfenster. Staub schwebte im Licht. Nach einigem Drängen gab er nach, setzte sich in die Gaststube zu einem Apfelsaft. Vornübergebeugt hockte er auf der Stuhlkante und klammerte sich ans Glas, als wolle er jeden Augenblick aufstehen und gehen.

«Sie schicken mir die Rechnung», sagte Andrea, nachdem sie sich längere Zeit angeschwiegen hatten.

Er strich sich über den Bartkranz, sagte dann ohne aufzublicken: «Ich habe mir gedacht, wir könnten das anders regeln. Die Plattenburg …»

Jetzt blickte er auf, als erwarte er ein Gerichtsurteil.

Andrea erinnerte sich an seinen Wunsch. «Aber klar. Wir steigen zusammen hinauf.»

«Es ist wohl eine Zumutung für Sie, als Bergführerin.»

Andrea lachte. «Herr Kernen. Ich führe Sie gern auf die Plattenburg. Ihre Arbeit bezahle ich trotzdem.»

Er stand auf. «Auf keinen Fall! Ein Tag Schreinerarbeit gegen einen Tag Führerlohn. Das ist gerecht.»

«Abgemacht», sagte sie. Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht. Sein Händedruck war fest.

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