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Kitabı oku: «Die Verdorrten», sayfa 3

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Er führte sie zur Vorortbahn; noch war es Zeit, hinauszukommen, bevor es dunkel wurde. In schwebendem Entzücken hatte er sonst die rußbeschwerte Luft der Lokomotive eingeatmet. Wie wundervoll waren die schwarzen Berge, an den Konturen leicht gezähnt, wie herrlich weiße Blütenbäume zur Nacht, Wirtshäuser mit Blechmusik am Sonntagnachmittag, Wege, wie Wurzeln sich krümmend, in die Täler gezielt, Waldgründe in Sommerfeuchtigkeit gewölkt, lichte Blumen, gestützt auf leichte Moose. In allem hatte er sich wiedergefunden. Daß anderes lebte, machte auch ihn aufs tiefste leben.

Alles war jung, blühend, glücklich um ihn, den Glücklichen. Bis auf den heutigen Tag. Nun war schon das Abteil wie ein Krankenzimmer. Alles war erfüllt von Berechnung, von Enge, von ewigem Absorgen. Endlich waren sie im Freien. Aber noch nicht frei genug. Er fragte sie, ob sie in ihrem Zustand gehen könne, ob ihr die Feuchtigkeit nicht schade, mußten sie langsam gehen, oder noch nicht?

Die Nacht war tief. Verborgen die Lichter des Ortes hinter schwankenden Zweigen. Ein Vogel schrie, pickte auf dem schon trocken gewordenen Waldboden hin und her, Bäume traten über einem kleinen Weg zusammen, die Kronen verschlangen sich, der Himmel verschwand, der Pfad war ein Tunnel. Weit vorne, jenseits der Lichtung, führte die Landstraße, ein Wagen knarrte, wie Honig schimmerte das Licht der Laterne.

Sie hatten von der Schweiz gesprochen, wenn er angegesichts der sicheren Sorgen auf alle großen Pläne verzichtete, gab es ja eine Möglichkeit. Er machte sich klein, er war im Augenblick der Mitleidwürdige, er wollte verzichten für sich, wenn es dann für Esther und das Kind reichte. Er stellte eine Bilanz auf, rechnete Ziffern zusammen auf seiner bloßen Hand, gut, ein ganzes Leben voll von Geldsorgen, eine elende Existenz auch für das Kind, aber es mußte ja sein? Kinder proletarischer Eltern, für die nicht vorgesorgt war, nicht einmal Wäsche war vorbereitet für Esthers Kind, hatten keine starken Lebensaussichten, aber ein Zufall konnte es doch am Leben erhalten? Sie ließ ihn reden, atmete schnell, sagte nichts.

Seit diesen drei Stunden sah ihr jeder die Schwangerschaft an. Zusammengeklumpt ihr sonst so zartes Gesicht, schwer ihr Gang, nichts mehr von dem Mädchen Esther, dem knabenschlanken.

Frühere Tage! Einst verlebte Herbststunden, so kühl, Wintertage, klar belebt, schwarz der Himmel in seiner tiefsten Bläue! Erwachendes Frühjahr, die Zweige geschwellt, warme Luft und warme Blätter, Esther voraus am Wege, rechts und links zugleich, von überallher ihr zwitscherndes Lachen, von überallher die Überraschung ihrer herrlichen Jugend, immer auf der Flucht, bis es plötzlich neben ihm aufrauschte, lautlos aufschwellend neben ihn sich drängte, scheu, wollüstig, Esther.

Heute, am siebenundzwanzigsten April, im vierten Jahre ihrer Gemeinschaft war Esther die unentrinnbare. Gegen seinen Willen zerrte ihn das unsinnigste Verhängnis zu der alten Geliebten, er mochte sich wie immer seine Zukunft vorstellen, irgendwo kroch doch dieses Kind umher. Er sah es immer im Alter von drei Jahren, ein halbes Tier, ohne Sprache, zudringlich, drohend, es zwang ihn, es zu hassen, wie es sich erzwungen hatte, auf der Welt zu sein. Aber die anderen, Esther und dieses Kind, wie fühlte er, daß diese anderen einander lieben würden ohne ihn! Er entschloß sich. Er zerstörte dieses Kind in seinen Gedanken, dann erst konnte es in Esthers Gedanken zerstört werden, und am Ende in Wirklichkeit.

IV

Edgar ging schnell, er lief, Esther begriff ihn noch nicht, sie eilte ihm nach, er rannte dahin, sprang über Wurzeln, die hoch bogenförmig sich spannten über kaum sichtbare Saumpfade. Winterlich schwere Gebüsche trat er herab, sie folgte ihm, schweigend, ihr Atem jagte, ihr Herz schlug.

Noch waren die Bäume feucht vom Regen, die Erde schwer am Fuße der hohen Bäume, wo kein Gras wuchs. Er lief weiter, beflügelte sie, verzweifelte Leidenschaft ließ sie jetzt dahinstürmen, Hand in Hand, er hielt die Zweige von ihren Augen ab, aber Esther riß er hoch, vor dem Abhang, der Dämmerung, der Tiefe.

Jetzt hatte sie wieder das alte Gesicht, wollüstig und scheu, Esther, aber war sie mit neuer Jungfräulichkeit geschwellt, „es“ lebte noch, „es“ würgte ihn wie ein Haar, in seiner Kehle tief. Aber Edgar und Esther, gemeinsam rasend in hingewölbtem Schwung, weiter Wiesen erstes Grün, unter den Füßen sinkender Hang, rollend in Geröll, fliehender Mond unter spiraligen Wolken, blasender Wind über der nächtlichen Waldblöße, der kalt versteinerten Ebene, von einem einzigen Trieb getrieben, schleuderten sie hin auf den Boden: Brust an Brust, Fleisch an Fleisch: in einer verzweifelten Umarmung umarmten sie ihre ganze Liebe noch einmal.

Tränen wurden. Überwältigung. Nun war Esther das Wesen ohne Wissen, die allem Bekannten unbekannte, ein nackter Schoß, eine Seele nackt, nicht der mütterlich schützende Leib, sondern nur des Geliebten Geliebte, Braut.

Sie schämte sich, ihn anzusehen nachher. Von dem Kinde sprach sie nicht mehr. Sie zitterte in Schmerzen, war elend, ohne Mitleid grub der Geliebte seinen Blick in ihr gemartertes Gesicht. In Esthers Gedanken war „es“ zerstört. Sie kam an dem nächsten Tage in ein Privathaus. Sie gab einen fremden Namen an. Er durfte ihr nicht schreiben, aber sie durfte es. Sie sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, das war Hohn und Zärtlichkeit zugleich. Er ließ sie dort, lange ging er unter den Fenstern hin und her. Hunde bellten, Kinder schrien, eine Maschine, vielleicht in einer Druckerei, bewegte sich stöhnend. Ein sehr schönes, sehr junges Mädchen ging vorbei, so leichte zarte Hüften, so feine Knöchel in glimmernden Seidenstrümpfen. Zum erstenmal ergriff Edgar Schmerz um die Geliebte, er wußte, über diesen Tag konnten sie weiterleben, aber nicht mehr so wie jetzt, eine Esther war auf ewig verloren, wenn auch eine Esther wiederkam.

Am nächsten Tage hatte er nur Angst. Angst vor dem notwendigen „Eingriff“, Angst, daß Esther im letzten Augenblick Angst vor dem Eingriff bekäme und „es“ zu retten versuchte. Fremde Augen, fremde, robuste Hände, brutale Worte, ihre, der armen Esther kranke Nacktheit fühlte er als seine eigene Schande.

Am dritten Tage dachte er nur an ihren Tod. Tausendmal war solches geschehen, die blühendsten Menschen hatte „es“ so hinweggerafft, warum sollte es nicht sie hinwegraffen, die er liebte? Er liebte sie? Alles, fühlte er tief erschüttert, tat sie seinetwegen, unauslöschlich war seine Schuld, ohne Grenzen ihre Liebe.

Was lag jetzt an der Freiheit, an dem ersehnten Alleinsein, an eines neuen Lebens Beginn? Er konnte sich nicht betäuben, Wein wirkte nicht gegen Wirklichkeit, die Welt war zu klein für Flucht. Sie sprechen, ihr schreiben? Esther lag vielleicht schon in dieser Minute auf dem schmutzigen Seziertisch eines Vorstadtspitals, sie krümmte sich nicht unter der knochigen Hand eines betrunkenen Sezierdieners, der ihren zerstörten Leib mit groben Bindfaden zusammennähte. Aber nicht erst der Tod, schon er, Edgar, hatte diesen Körper aufgerissen, ihn mit einem Atom Lust gefüllt und mit einem Berg von Schmerz und Tod. In ihren Fenstern war es dunkel.

Gebrochen von Ekel und Wut kam er nach Hause.

Schlaflos saß er die ganze Nacht, eingehüllt in graue Dumpfheit, mit der Hand ohne Aufhören ein Stück Kerze knetend, bis es, klebrig und grau geworden, an seinen Fingern hing. Am Morgen ging er zu ihr.