Kitabı oku: «Erwin Rosenberger: In indischen Liebesgassen - Prostitution in Bombay - Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes», sayfa 3

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Ich glaube, meiner kleinen Japanerin ist der Kuss bloß ein Akt der Etikette, kein Ausdruck eines erotischen Bedürfnisses. Sie weiß vom Hörensagen, dass der Kuss dem Europäer ein wichtiges Ingrediens des Liebeslebens ist, sie sieht, wie die europäischen Männer, die in ihre Freudenstube kommen, oft genug mit allen Anzeichen einer Lustempfindung sich des Küssens befleißen, daher meint die Kleine in ihrer liebenswürdigen Höflichkeit, dass sie nicht versäumen dürfe, dem europäischen Gast mit einer Gunsterweisung aufzuwarten, die er offenbar recht hochschätzt. Die Japanerin gibt den Kuss, nicht sowohl weil sie ihn wünscht, als vielmehr weil sie glaubt, dass der Mann ihn wünscht. Sie zeigt sich also andersgeartet als die Europäerin, zumal die kusssüchtige. Diese nimmt mehr den Kuss als sie ihn gibt; sie küsst, weniger um den Mann zu erfreuen, denn aus Selbstsucht. Und während die Europäerin küsst, während sie den erotischen Genuss in den Lippen und in der Lippennachbarschaft lokalisiert, vermag sie sich am Kuss zu berauschen bis zu einer Art Bewusstseinsverlust. Der Mann, der das Objekt derartiger weiblicher Kuss Exzesse ist, muss nicht notwendigerweise ein geliebter Mann sein, – „geliebt“ im idealen Sinne des Wortes – er spielt gar oft die Rolle eines gelegentlichen Anlasses, eines Zufalls-Gegenstandes, woran sich die kusssüchtige Eva europäischer Gefühlsrichtung zu erhitzen – oder abzukühlen – sucht.

– – Ich habe mit meinen Feststellungen den Ereignissen vorgegriffen. Nicht nur der Begrüßungs-Augenblick, sondern auch die Art, wie die Japanerin in den späteren Phasen meines Gesuches sich benimmt, hat mich zu dem Vergleich mit der Europäerin – mit den Kussdurstigen unter den Europäerinnen – angeregt.

Während meine Japanerin nun Anstalten trifft, sich ihrer Bekleidung zu entledigen, frage ich, wie sie heißt.

Ajame ist ihr Name.

Ich habe keine Zeit, der Bedeutung dieses japanischen Frauen-Namens nachzuforschen, denn mein Sinn wird durch den Entkleidungsprozess auf Fragen der Kostümkunde hingelenkt.

Unter dem Kimono, dem langen Talar-ähnlichen Obergewand, trägt sie ein ärmelloses Woll-Leibchen europäischer Mache und einen Unterrock, der aus zwei Stücken eines Atlasstoffes zusammengefügt ist, aus einer oberen roten und einer unteren grünen Zone.

Und unter dem Unterrock hat sie noch eine Art Lendenschurz.

Obwohl ich auf dem Gebiete der japanischen Frauentracht noch ein Laie bin, so wage ich doch mir die naheliegende Meinung zu bilden, dass die Untergewandung nicht etwas typisch Japanisches ist, sondern dem persönlichen Geschmack und Bedürfnis dieses Mädchens seine Herkunft verdankt.

Dagegen sind, wie mich dünkt, die schneeweißen wunderlichen Strümpfchen ein echt japanisches Bekleidungsstück, gleichwie die Obergewandung.

* * *

Vom Reinlichkeitssinn der Japanerin geben Zeugnis das Zimmerchen im Allgemeinen, die Bett- und Leibwäsche, das Mädchen selber und sein ganzer appetitlicher Habitus. Aber ist dergleichen nicht eine Selbstverständlichkeit? Warum diesen Umstand besonders hervorheben und betonen?

Und wiederum kommen uns die Käfige der Inderinnen in den Sinn, zum Beweise, dass die Reinlichkeitsbestrebungen in Kamatipura nicht allerorten verbreitet sind.

Ich halte Umschau im Kämmerlein meines japanischen Mädchens: wer hier zu Gaste ist, der braucht nicht dem Bett mit gemischten Gefühlen, beschlichen von Unlustempfindungen, gegenüberzustehen, er braucht nicht zurückzuscheuen vor der Berührung mit einem Möbelstück, wenn er die Kleider ablegt.

Es wird gestrenge Richter geben, welche stirnrunzelnd erklären, dass Ajames Reinheit manches zu wünschen übrig lässt; indes, die Reinlichkeit Ajames ist über jeden Zweifel erhaben. Wohl gehört sie nicht zu den Unberührten, doch man darf sich getrost dazu verstehen, sie zu berühren.

Der Besucher ist begreiflicherweise einigermaßen gespannt, was für eine Art von Liebesglück ihm hier, im Kämmerlein der Japanerin, zuteilwerden soll.

Es ist klar, dass er in eine Freudenhütte, in eine japanische oder eine andersartige, nicht mit der naiven Hoffnung eintritt, er werde daselbst ein naives Magdtum antreffen; der Besucher ist demnach gar nicht verwundert, dass auch die Japanerin Ajame, bei der er jetzt weilt, kein unschuldsvoller ahnungsloser Engel ist. Nein, das ist sie keineswegs. Aus mancherlei Anzeichen ist klar zu ersehen, dass sie in ihrem Berufe Erfahrung hat. Sie ist kein Neuling im Umgang mit Besuchern, keine schüchterne Anfängerin.

Anderseits kann man jedoch konstatieren, dass sie durch die Erlebnisse ihres Berufes sicherlich nicht abgestumpft ist. Soweit der Besucher dermalen selber in der Verfassung ist, physiologische Beobachtungen anzustellen, gelangt er zur Überzeugung, dass die Japanerin ihre Erregbarkeit und Reaktionsfähigkeit bewahrt hat. Sie ist mit Freuden Freudenmädchen, zum mindesten im gegenwärtigen Augenblick.

Und der Gast dieser Japanerin wird durch ihr Betragen in die Meinung hineingeschmeichelt, dass in der Wärme seiner derzeitigen Gefährtin eine Regung ungeheuchelter Zärtlichkeit ist. Er nimmt die Fiktion gerne hin, ohne ihren Kern ernstlich zu prüfen.

Aber sind alle Erwartungen des Besuchers erfüllt? Vielleicht hat er gemeint, er werde in dieser Stube einem exotischen Abenteuer begegnen, einem Ereignis japanischen Kolorits, einem Erlebnis, das anders sein wird als frühere Liebeserlebnisse. Hat er gefunden, was er erwartet hat?

Nein und ja! Freilich, wenn der Besucher gefasst war auf „unerhörte“, außerordentliche Sensationen, wenn er gewähnt hat, die Liebesweise dieses japanischen Mädchens werde mit irgendwelchen unbekannten, fremdartigen Ornamenten ausgestattet sein, mit spezifisch-japanischen Eigenheiten: dann hat sich der Besucher ersichtlich verrechnet.

Nein! Ajame, die Japanerin, benimmt sich in der Liebe nicht anders als eine primitive Durchschnitts-Europäerin, sie äußert die natürlichen, „unverdorbenen“ Instinkte des Normal-Weibchens. Die Linie ihres erotischen Betragens weicht in nichts ab von dem geraden Pfad, den die Gelehrten und Laien als die vorschriftsmäßige, allgemein-gültige Norm betrachten.

Aber wir wollen uns wieder einmal des Sprichwortes erinnern: Wenn zwei das Gleiche tun, so ist es nicht das Gleiche. Wenn das eine Mal eine Europäerin auf einem natürlich-einfachen Pfad mit mir lustwandelt und das andere Mal auf demselben Pfad eine Japanerin, so ist das eben nicht der gleiche Spaziergang. Just dadurch, dass jetzt eine Tochter Japans meine Begleiterin gewesen, empfängt der Spaziergang sein japanisches Gepräge; weil meine Liebesgefährtin ein exotisches Menschenkind ist, wird dieses Liebesereignis von exotischem Zauber umsponnen.

Ja! Es ist ein außergewöhnliches Abenteuer! Blick auf das fremdartige Geschöpf, mit dem du da beisammen bist, und dich wird jäh die Erkenntnis überfallen, wie weit, weit jenseits des Alltags du jetzt weilst.

* * *

Gemessen an anderen Japanerinnen, die ich hier in der indischen Liebesgasse gesehen habe, ist Ajame, meine derzeitige Gefährtin, wohlgebaut und hübsch.

Wenn von fremdländischem, fremdrassigem Schön und Hässlich die Rede ist, müsste immer zur Einschränkung gesagt werden: sie ist hübsch im Rahmen ihrer Rasse-Eigentümlichkeiten; hübsch, vom Standpunkt ihres vaterländischen Schönheit-Ideals betrachtet.

Dass Ajame, die Japanerin, tiefdunklen Augen und rabenschwarzes Haar hat, das fasse ich geradezu als eine Selbstverständlichkeit auf. Wenn man im Orient reist, jenseits des Suezkanals, sieht man endlich dunkles Haar und dunkle Augen als eine gesetzmäßige Sache an; wie ein natürliches Bodenprodukt, das einem nicht mehr bemerkenswert, kaum mehr erwähnungswürdig erscheint.

Gleich all den Japanerinnen, die ich bisher gesehen, ist Ajame sorgfältig frisiert. Eine lichte Masche sitzt vorne an dem kunstvollen Bauwerk aus wohlgepflegtem schimmernd-schwarzem Haupthaar.

Meine kleine Freundin hat sehr ausgeprägten japanischen Gesichtstypus. Ihr Auge ist von höchst deutlich mongoloidem Charakter. Das obere Augenlid legt sich in ausgiebigem Maße auch über den inneren Augenwinkel und bildet solcherart den „Epikanthus“, die „Mongolenfalte“.


Während Ajame da im Bett auf dem Rücken liegt, bleibt zwischen ihrem oberen und ihrem unteren Augenlid nur ein sehr schmaler, langer Spalt, infolge ihrer eigentümlichen Augenform, obwohl sie die Lider nicht zusammenkneift; Ober- und Unterlid sind einander sehr genähert und in der engen, schlitzartigen Lidspalte ist von der dunklen Iris und überhaupt vom Augapfel nur wenig zu sehen.

Diese Japanerin empfindet wahrscheinlich das Auge des Europäers als etwas Fremdartiges; so wie dem Europäer – oder sagen wir: dem Angehörigen der „Mittelländischen Rasse“ – das Mongolen-Auge als etwas Fremdes erscheint oder unter Umständen als etwas Unschönes, Komisches, – oder als etwas Reizvolles, je nach der Geschmacksrichtung und Stimmung des Betrachters.

Was würden wir wohl fühlen, wenn wir uns für ein Weilchen eine japanische Anschauungsweise aneignen könnten und mit dem Blick eines Japaners griechische Frauen-Statuen betrachten würden, zum Beispiel die βοωπιζ Hera, die „farren-äugige“ Himmelskönigin! – Spaßhaft, was für Augen diese griechischen Frauen haben! Wie die Kühe … Ein sonderbares Schönheitsideal!

Ich betrachte das Gesicht der auf dem Rücken liegenden Ajame und ich sage mir: man könnte von einer Gesichtsfläche, von einem Flächengesicht sprechen. Stirn, Augengegend, die Wangenpartien unter den Augen, all dies liegt, dem Anschein nach, wie in einer Ebene. Die Stirn nicht über dem Auge vorgewölbt, nicht vorspringend, und keine aus der Ebene hinausstrebende, hinausragende Nasenwurzel. Fläche, Flachheit! Ja, es ist überhaupt keine Nasenwurzel, kein Nasenteil zwischen den Augen zu sehen. Anstatt der Nasenwurzel nur eine flache „leere“ Stelle. Und unterhalb dieses Nichts erhebt sich wie das Näschen eines Kindes, wie ein niedliches Fleischknöspchen, das Näschen dieser Japanerin.

– Wenn man die Einzelheiten des Gesichts, eine nach der anderen, hier niederschreibt, mag das vielleicht so klingen, als hätte man's nicht eben mit Schönheiten zu tun. Indes, wie gesagt, der Gesamteindruck von Ajames Gesicht ist sehr angenehm und mancher sonderbare Einzelzug wirkt als reizvolle physiognomische Pikanterie.

* * *

Es wird vielleicht Leute geben, welche der Meinung huldigen: O, es genügt nicht, dass die Liebesgefährtin ein fremdartiges, exotisches Menschenkind ist; durch diesen Umstand allein wird das Liebesereignis noch nicht ungewöhnlich und wunderbar. Man muss viel höhere Anforderungen stellen. Soll das Erlebnis außerordentlich sein, so müssen, vor allem die Liebesgenüsse, welche die Frau spendet, von der gewöhnlichen Form und Norm abschweifen. Eine Frau, welche sich in der Liebe so regulär und einfach benimmt, wie irgendeine biedere schlichte Frau Meier oder Schulze, kann uns doch nicht ein seltsames Liebesabenteuer bieten, und wäre sie noch so sehr japanisch. –

Gewiss, für die Leute, welche unter einem besonderen, absonderlichen erotischen Erlebnis zunächst die außernormalen Gunsterweisungen und Liebkosungen verstehen, müsste die Japanerin Ajame allerdings eine Enttäuschung sein.

Meine gute simple Ajame! Ihre Liebesbezeugungen sind nicht angekränkelt von raffinierten und überraffinierten Regungen, sie könnten vielmehr, wie erwähnt, ebenso wohl die rührend einfachen, rechtschaffenen Zärtlichkeiten einer hausbackenen Europäerin sein; zudem einer Europäerin, der auch an dem Kussgebiet des Liebeslebens nicht viel gelegen ist.

Soweit aus der kurzen Bekanntschaft ein Urteil abgeleitet werden darf, kann gesagt werden: Ajame ist das, was man als normal bezeichnet.

Der Mann, dem dergleichen unsympathisch ist, muss eben die Japanerin meiden und wenn er seine Sehnsucht nach dem Außerordentlichen befriedigen will – außerordentlich gemäß seiner Auffassung – dann wird er gut tun, sich an die Europäerin zu wenden, an eine der vorrätigen europäischen Freudendamen.

Bei den Europäerinnen dieser Gasse ist das Außergewöhnliche gar sehr gewöhnlich.

Mir fällt das europäische Freudenmädchen ein, das mich vor kurzem draußen auf der Gasse, in der Suklajistreet, angesprochen hat. Besagte Dame war reich an Jahren und Puderstaub und nachdem sie geheimnisvoll umhergeblickt, ob kein Lauscher – keine Lauscherin – in der Nähe sei, raunte sie mir zu, dass ihre Liebeswissenschaft durchaus nicht vulgär-dürftig, nicht ländlich-plump sei, sondern einen großstädtischen Zug habe, einer Hauptstadt entstamme, ja sogar der Metropole Frankreichs.

Die Europäerinnen dieses Schlages importieren nach Kamatipura ihre Gepflogenheiten, die Betätigungen, die neben der Norm dahinziehen oder sie kreuzen oder ihr zuwiderlaufen. Und wer darauf aus ist, Nicht-alltägliches zu erleben, hat allerdings die Wahl zwischen jener gepuderten, allseits gebildeten Veteranin aus Europa und dem Mädchen aus Japan, das nur über die primitiven Elementarkenntnisse der Liebe verfügt.

* * *

Außer den erwähnten Mängeln besitzt die Japanerin Ajame noch ein Gebrechen. Es gebricht ihr gänzlich an der Selbstüberhebung, dergleichen manche Europäerinnen zur Schau tragen, ob sie nun infolge ihrer Vorzüge eine Berechtigung hierzu haben, wie zum Beispiel jene Veteranin, oder auch nicht. (Ajames niedliches Näschen ist übrigens von Natur aus völlig untauglich, sich hochnäsig zu überheben.)

Nein, meine liebe Ajame ist nichts weniger als anmaßend oder dünkelhaft. Sie benimmt sich gegen den Mann gemäß der ursprünglichen Frauenempfindung: Er soll dein Herr sein!

In ihrer Liebenswürdigkeit ist etwas vom Sich-beugen einer Dienerin. Nicht sklavenhafte Unterwürfigkeit – wer könnte daran Gefallen finden! – aber die deutlichen Äußerungen eines weiblichen Instinkts, der den Mann als ein Übergeordnetes fühlt.

Sie ist zuvorkommend, freundlich, gutmütig, heiter, – eine mustergültige Gefährtin der Liebe, zum mindesten der Liebe, von der hier die Rede ist.

Schauspielerei oder Natur? – Ich weiß nicht, ob dir's vom Herzen kommt, du kleines Fräulein, wenn du lieb lächelst, aber ich weiß, dass mir dein Lächeln erfreuend zu Herzen geht.

* * *

Wieder in Indien – Fett oder nicht-fett – Die armen Inderinnen

Wieder in Indien – Fett oder nicht-fett – Die armen Inderinnen

Bombay, Mai 19..

Zum zweiten Mal in Bombay.

Diesmal mit dem Dampfer „AFRIKA“.


Jetzt ist's in Bombay tüchtig heiß, aber es ist eigentlich doch nicht so arg, wie ich erwartet habe. Man ist immerhin arbeitsfähig und arbeitslustig, die klimatischen Verhältnisse sind denn doch nicht so heillos, dass ihnen Leib und Seele schnöde erliegen müssten.

Ich habe gestern um die Mittagszeit in den Gartenanlagen von Bombay ausführlichere Spaziergänge absolviert, zu botanischen Studien-Zwecken, habe die Pflanzen und deren Namen-Täfelchen besichtigt und bin bei diesem Studium der Bombay-Flora dennoch nicht – meines Wissens – von einem Sonnenstich angefallen worden.

– – – Den billigen Übergang von der Bombay-Flora zu einer anderen Art von Bombay-Flora will ich mir nicht versagen. Da die Mädchen-Flora, die in Kamatipura, im Stadtviertel der Freudenmädchen, gedeiht, erst nach Sonnenuntergang ihre Blüten entfaltet, so wurden die botanischen Studien, die ich während der vergangenen Abende in der Suklajistreet und in den benachbarten Gassen betrieb, minder von klimatischen Schwierigkeiten behelligt.

Wenn ich das Wort „Studien“ verwende, so will ich hiermit mir gegenüber sicherlich nicht die Tendenz meiner Kamatipura-Ausflüge beschönigen. Es ist möglich, dass diese Ausflüge einen nicht „rein-wissenschaftlichen“ Charakter haben, ja ich darf überzeugt sein, dass sie einigermaßen auch von den sogenannten fleischlichen Interessen veranlasst sind. – Tut nichts! – Ich sympathisiere mit dem wackeren Satz: „homo sum, humani nihil a me alienum puto.“ (Ich bin ein Mann, ich denke nichts Fremdes für mich)

Das „nihil“ hinlänglich unterstrichen.

Es ist anzunehmen, dass das gegenseitige Stärkeverhältnis der „rein-wissenschaftlichen“ und der „fleischlichen“ Interessen ziemlichen Schwankungen unterworfen ist; das eine Mal mögen jene stärker sein, ein andermal diese. Doch wie immer sich's auch mit den Triebfedern meiner Kamatipura-Ausflüge verhalten mag, sicher ist, dass meine nächtlichen Streifzüge durch Kamatipura die angenehme Folge haben: es ergibt sich Gelegenheit, die Zustände der indischen Eingeborenenstadt kennen zu lernen, Schlupfwinkel und Geheimnisse von Bombay zu erblicken, an welche ich vielleicht nimmer herangekommen wäre, wenn mich nicht das „homo sum etc.“ zu ihnen hergeführt hätte.

Ich spaziere in irgendein enges Nebengässchen der Suklajistreet hinein, und hier eröffnet mir dann und wann ein Zufall einen Rundblick auf Bombay-Verhältnisse, die eigentlich mit Freudenmädchentum in keinem unlöslichen Zusammenhange sind.

So weiß ich zum Beispiel nicht, ob ich jemals Gelegenheit gefunden hätte, in Behausungen der untersten indischen Volksklassen einzutreten und die Wohnungsverhältnisse kennen zu lernen, wenn mich nicht die Erwartung, dort ein indisches Mädchen zu finden, hineingeführt hätte. Ich meine hiermit nicht die käfigartigen Kammern im Erdgeschoß, hinter deren Gitterstäben indische „Freudenmädchen“ harrend hocken. Man kann, auf der Straße stehend und von außen durch die Gittertür blickend, die Einrichtung des Käfigs ganz gut erkunden, ohne eintreten zu müssen, und zudem sind die Käfige keine richtigen „Privatwohnungen“, sondern spezifische Werkstätten des Freudenmädchens. Einem Käfig hab' ich vorderhand noch keinen Besuch abgestattet.

In der Umgebung der Suklajistreet findet man noch eine reichliche Zahl anderer Gassen, die ebenfalls Freudenmädchen beherbergen. Töchter gar verschiedener Völker.

Darunter gibt es indische Freudenmädchen, welche nicht in derartigen charakteristischen Gitterkammern, sondern in „Privatwohnungen“ sich aufhalten; in Wohnungen, die mehr an ein Heim gemahnen und unter Umständen gemütlicher, heimischer anmuten. Der „öffentliche“ Zweck ist an der Einrichtung ersichtlich, aber nicht mit dermaßen schroffer karger Einseitigkeit wie in den Käfigen.

* * *

Auch in den Nebengassen der Foras-Road – einer anderen Freudengasse des Bezirks Kamatipura – geht es recht ungezwungen zu. Während ich durch ein Gässchen spaziere, gewahre ich einen Männerkopf, der gemütlich aus einem Bett hinausguckt.

Ich bleibe stehen und schau, was da los ist. Das Gässchen ist ziemlich dunkel und da ich immerhin einige Schritte von der Hausreihe entfernt bin, darf ich voraussetzen, dass ich neugieriger Beobachter von den Insassen der Freudenstube nicht wahrgenommen werde.

Und ich bemerke folgendes Idyll: In der hellerleuchteten Erdgeschoß-Stube ein hohes Bett, ein sogenanntes „Himmelsbett“, aus dem der Kopf eines Inders, mit einem großen Turban-Tuch umschlungen, hinausblickt. Im Bett liegend sieht der Mann mit dem Ausdruck leidenschaftsloser Aufmerksamkeit auf den Fußboden nieder; hier hocken vier junge Inderinnen, Freudenmädchen, in ein Kartenspiel vertieft. Der Mann oben im Bett ist Zuschauer, er „kiebitzt“ den kartenspielenden Mägdelein.

Die Situation ist klar. Der Inder ist ein Gast dieser Liebeskammer. Er hat offenbar vor kurzem dort auf dem Bett in Gesellschaft eines Mädchens dem Trieb, der ihn hierhergeführt, Genüge getan und er verweilt noch ein wenig, indes die Gefährtin seiner Freude, nachdem sie ihre Buhlpflicht erledigt, das Lager verlassen hat, um jetzt, als wäre nichts geschehen, mit ihren drei Freundinnen ein Kartenspiel zu beginnen oder vielleicht das Spiel, das durch den Eintritt des Besuchers unterbrochen worden, fortzusetzen.

– Als wäre nichts geschehen. Und es hat sich ja auch wirklich nichts zugetragen, was geeignet wäre, der mitwirkenden Teilnehmerin als etwas Besonderes zu erscheinen. Sie hat ihren Berufsakt ausgeübt, hat dem Gast ordnungsgemäß das geleistet, was er mit seinem Geld gekauft hat, und nun kehrt sie wieder seelenruhig zu ihrer Kartenbelustigung zurück.

Ein Kartenspielchen, dann ein bisschen sexual-gewerbliche Betätigung, dann wieder ein Kartenspielchen.

Und der Mann im Bett denkt: „Ich ruh' noch ein Weilchen aus. Ich hab' für meinen Platz da auf diesem Lager gezahlt, – es wird hoffentlich gestattet sein, dass ich noch eine Zeitlang bleibe.“

So ist die Liebe hier in den Liebesgassen.

* * *

Unter den indischen Buhlerinnen, die mir bisher vor Augen gekommen, waren sehr viele äußerst schlanke, – um nicht zu sagen: magere.

Auch unter den Ehrbaren, den ehrbaren indischen Mädchen und Frauen, die man in den Straßen von Bombay sieht, ist die Hagerkeit sehr verbreitet, zumal in der Frauenwelt der unteren Volksklassen.

In Bombay, – im Europäerviertel und in den Stadtteilen der Eingeborenen und in der Hafengegend, – hat ja der Spaziergänger reichlich Gelegenheit, Inderinnen zu sehen, zu betrachten. Sie haben kleine oder mittelgroße, gut-proportionierte Statur, aufrechte Haltung, ungezwungen-geschmeidige Gehweise. Wenn ich von Inderinnen spreche, so meine ich vor allem die Frauen und Mädchen der Hindu-Bevölkerung. Die Muslimin, die ehrbare Muslimin, ist in Bombay in der Öffentlichkeit des Straßenlebens selten zu erblicken.

Ich will nun durchaus nicht schlankweg die Regel aufstellen, dass hier auf dem Boden von Bombay die mageren Hindufrauen in der Mehrheit sind, oder gar in einer überwiegenden Mehrheit. Vielleicht sind sie's tatsächlich, – ich kann nichts Bestimmtes über diesen wissenswerten Gegenstand aussagen. Ich habe weder die Mageren gezählt, noch auch die Fetten und so bin ich außerstande, ein konkretes verlässliches Ziffernmaterial zu liefern, das einen Statistiker befriedigen könnte.

Allein es ist jedenfalls sicher, dass ich zuvörderst, auf den ersten Blick, in Bombay den Eindruck hatte: Du lieber Himmel, mich dünkt, ich bin gerade während der sieben dürren Jahre nach Bombay gekommen. Die Damenschlankheit scheint hier endemisch zu sein! Das zartere Geschlecht ist wirklich recht zart!

Es ist aber auch weiterhin sicher, dass man, genauer beobachtend, denn doch eine schöne Anzahl von Hindufrauen und Hindumädchen wahrnimmt, die gewiss nicht als mager bezeichnet werden können, und dass man hierauf sein ursprüngliches absprechendes Urteil korrigiert, ohne es jedoch geradezu umzustoßen.

Freilich, eine gründlich und allseits Fette, ein wuchtig dickes Frauenexemplar, wie man deren auf dem europäischen Kontinent oder nicht selten in der Levante zu sehen bekommt, habe ich meines Erinnerns unter der Hindu-Weiblichkeit von Bombay bisher überhaupt nicht bemerkt.

Da ich nun schon einmal in das anthropologische Problem „Fett oder nicht-fett“ hinabgetaucht bin, so möchte ich mir auch Klarheit verschaffen, weshalb denn dem Reisenden, dem Neu-Ankömmling in Indien, die eingeborenen Frauen so fleischarm erscheinen.

Die Beine der Mädchen und Frauen sind es, die uns zu diesem Urteil bringen. Die Beine, die unteren Extremitäten.

Als ich von den „Fleischmädchen“ sprach, erwähnte ich, dass die Tracht der minder bemittelten Hindufrauen recht kümmerlich ist. Als einzige Rock- und Schoßkleidung tragen sie ein hosenartig verschlungenes Stück Zeug, das sich wie eine lockere Bandage um den oberen Teil der Oberschenkel und um den Unterleib legt und ein Stück Oberschenkel und die Unterschenkel entblößt lässt.

Da sieht man nun allerdings zumeist sehr schlanke Frauenbeine. Schön geformt, zierliche Knöchelgegend, aber just mit dem Nötigsten an Fleisch ausgestattet.

Und es kann nicht verschwiegen werden, dass man das eine und das andere Mal in Bombay auch Frauenbeine bemerkt, die mehr als billig mager sind.

Der gewissenhafte Forscher wird auch das Weshalb? und Woher? dieser somatischen Eigenheit ergründen wollen und er wird zur Ansicht gelangen, dass die Schmächtigkeit der erörterten indischen Frauenbeine zum Teil eine konstitutionelle Rassen-Eigentümlichkeit sein mag, zum Teil jedoch als eine Folge-Erscheinung der Ernährung betrachtet werden muss.

Die Mahlzeiten, die den Inderinnen der unteren Bevölkerungsklassen beschieden sind, enthalten kein Übermaß an Nährstoffen. Doch, wie gesagt, es ist außer der landesüblichen Verköstigungsweise auch die Rassenanlage mitwirkend. Man sieht eine hinlängliche Menge schmalgebauter hagerer Leute, die ersichtlich und offenkundig den wohlhabenden Ständen angehören und nicht genötigt sind, sich mit schmalen Bissen zu begnügen. –

Um jedoch wieder zu den Hindufrauenbeinen zurückzukehren, – der Betrachter wird verführt zur Folgerung: ich sehe schlanke Beine, – wie mager sind doch diese Frauen!

Er schließt aus der Einzelheit auf die Gesamtbeschaffenheit des Körpers. Manchmal kommt er zu einem richtigen Schluss, manchmal kann's ihm jedoch passieren, dass er sich sehr täuscht. Es ist nicht alles so mager wie es scheint.

Wenn man aufmerksamer beobachtet, wenn man den Oberkörper der Inderinnen ins Auge fasst, – und das sehr kurze, eng an die Haut sich anschmiegende Leibchen kann die Formen nicht verschweigen, – dann wird man in den Straßen von Bombay oft genug die Entdeckung machen: die Beine sind recht schmächtig, in ihrer ganzen Ausdehnung, und auch die seitlichen Leibeskonturen bezeugen Schlankheit, ja Zartheit, aber siehe, welch voll und reich entwickelte Brüste!

Als hätte Mutter Natur in weiser Fürsorge sich von der Erwägung leiten lassen: mögen die anderen Körperformen karg zugemessen sein, – das eine Organ, das ich zur Wohlfahrt des Säuglings brauche, zu Nutz und Frommen der Gattung, das darf mir nicht verkümmert werden.

– Man hat dergestalt in den Gassen von Bombay, in der Tramway, an Bord des Dampfers hinlänglich Gelegenheit, die Weisheit der Natur zu bewundern, sowohl die verhüllte als auch die unverhüllte, und man wird dabei nicht umhin können, seine Urteile in der Frage „Mager oder nicht-mager?“ zu prüfen und mit den Tatsachen in Einklang zu bringen.

* * *

Die Suklajistreet ist, wie ich seinerzeit berichtet habe, gewissermaßen die Zentralgasse des Freudenstadtteiles Kamatipura, in ihr lebt und liebt ein bunter Schwarm verschiedenartiger Buhlerinnen: Japanerinnen, Inderinnen, Somali-Mädchen, Europäerinnen und andere.

Die erste Freudenmädchengasse von Bombay, die ich im Februar dieses Jahres, während meiner ersten Bombay-Reise kennen lernte, war eben die Suklajistreet und sie zeigte mir wie in einem Extrakt, wie in einer gedrängten Übersicht, den Inhalt des ganzen Freudenmädchen-Bezirkes.

* * *

Die Hindu-Mädchen – und im weiteren Sinne die Inderinnen – sind unter allen Freudenmädchen von Bombay die am wenigsten geschätzten.

Das ist eigentlich einigermaßen merkwürdig. Denn manches indische Mädchen ist in Gesichts- und Körpergestaltung manchem Kamatipura-Mädchen anderen Volksstammes zum mindesten ebenwertig. Aber: nemo propheta in patria (kein Prophet in deinem Land).

Außerdem verstehen die indischen Mädchen nicht, „sich in Szene zu setzen“. Zumeist treten sie als bettelarme Geschöpfe ins Freudenmädchentum ein und diese Anfangsarmut ist der Urgrund, auf dem ihre lebenslängliche Dürftigkeit zustande kommt; weil sie von Beginn an so arm sind, bescheiden sie sich mit sehr geringen Lohnforderungen und entwerten sich solcherart selber.

Denn in Kamatipura und auf dergleichen Märkten gilt das Gesetz: einen je geringeren Preis die Hetäre verlangt, desto geringeren Wert misst ihr der Mann bei.

In dem Mann entsteht die Suggestion: sie mag wenig wert sein, da sie selber ihren Preis so niedrig ansetzt.

Man taxiert den Wert nach dem Preis. Sie gibt sich wenig Preis, um weniges „gibt sie sich preis“, sie bietet sich „sehr preiswert“ an und erscheint dadurch weniger wert, – weniger begehrenswert.

Circulus: weil sie arm, des Geldes sehr bedürftig ist, fordert sie wenig Geld; weil sie wenig fordert, bleibt sie arm und dürftig. Würde sie mehr verlangen, würde sie mehr verlangt sein. Und wäre sie mehr begehrt, dürfte sie sich's erlauben, mehr zu begehren.

Als ich jüngst wieder mal in Gesellschaft; die Suklajistreet besuchte, wollten wir auch in die Preisverhältnisse Einblick gewinnen, wir machten auf unserem Spaziergang vor mehreren Käfigen Halt und befragten die indischen Insassinnen, wie viel ihre Taxe betrage.

Das englische „How much?“, die Frage: „Wie viel?“, wird von vielen indischen Mädchen verstanden, mögen deren fremdsprachliche Kenntnisse im Übrigen auch noch so spärlich sein. „How much?“ und die englischen Vokabeln der nötigsten Zahlwörter sind in Kamatipura wichtige termini technici des Berufswortschatzes.

Auf unsere Anfrage wurde uns für gewöhnlich geantwortet: 1 Rupie.

Aber auch 8 Annas, also ½ Rupie, wurde da und dort als Taxe angegeben.

8 Annas, – das sind ungefähr 67 Pfennige …

Und die Fama berichtet in Bombay, dass diese armen Geschöpfe in berücksichtigenswerten Fällen ihren Leib sogar noch um geringeren Preis verleihen, in Fällen, wo sich's um eingeborene Besucher handelt.

Ins Bereich des oben erwähnten unerbittlichen Circulus, der diese indischen Freudenmädchen aus ihrer Armut nicht hinauslässt, gehört auch die klägliche Beschaffenheit der vergitterten Zelle.

Da sie arm sind, sind sie nicht in der Lage, den lockenden Rahmen einer hübschen Wohnung zu beschaffen, und da ihre Wohnung so wenig anziehend ist, bleiben die Mädchen arm an Besuchern und Einkünften.

Wenn auch vielleicht das eine oder andere dieser indischen Kamatipura-Mädchen Verständnis dafür hat, wie viel in erotischen Angelegenheiten auf Rahmen, Kostümierung und Hintergrund ankommt, welche Werbekraft von der nett bemalten Kulisse ausgeht, so gebricht es den armen braunen Mädchen hier in Bombay dennoch an Geldmitteln zur Realisierung solcher Erkenntnis.

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9783754175187
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