Kitabı oku: «Im Takt des Geldes», sayfa 7

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Gesetz vs. Proportion

Die klare Überzeugung, die wiederum jeder haben wird – und die selbstverständlich auch ich lange Zeit gehegt habe –, Musik müsse nach Takten gehen und zwar, dank deren schlagender Einfachheit, gerade am »Ursprung« und je primitiver umso zwingender, diese Überzeugung zeigt sich stets ungetrübt von aller genaueren Kenntnis der Musik und ihrer Geschichte – übrigens auch bei Musikwissenschaftlern. Weidlich hat man sich einmal über die Scholastiker lustig gemacht, die behaupteten, Fliegen hätten acht Beine, nur weil es bei Aristoteles – ipse dixit – so stand; wie dumm von den Scholastikern, nicht einfach selber nachzuzählen! Nun, heute ersparen es sich die Wissenschaftler des Rhythmus auf dieselbe Weise, der älteren Musik auf die Füße zu schauen, und wissen auch ohne das, einfach weil sie es wissen, wie die gegangen sein muss: »Das Vorhandensein von Schlaginstrumenten in einer Kultur beweist das taktgemäße Musizieren« – solange man zum Beispiel noch nichts Genaueres von den Afrikanern gehört hat. »Das Zusammenspiel mehrerer Musiker ohne Takt ist unmöglich« – weswegen man zum Beispiel nichts vom Gregorianischen Gesang wissen darf. »Tanzformen, die von Musik begleitet werden, erfordern den gemeinsamen Taktschlag« – weshalb wir auf alles Anderslautende verzichten können, was die Antike dazu aufgeschrieben hat. Folglich »scheint es so zu sein, dass so ziemlich jede Musikkultur der Erde das Taktprinzip kennt und anwendet.« Ja, so scheint es, solange man sich den Autismus selbstgenügsam-zirkulärer Voraussetzungen leistet – und nicht nachschaut.

Tief ist der Graben, der die Takt- von jeder anderen Rhythmik trennt, so tief, dass kaum noch von der einen zur anderen Seite zu gelangen ist. Was also liegt da drüben, fern von uns und unseren Takten, was erstreckt sich da weit in unserem Rücken? Nicht bloß die Trommeln des traditionellen Afrika erklingen dort, nicht bloß Musik und Verse der Antike, dort tönt die Rhythmik zahlloser älterer Traditionen, europäischer und außereuropäischer Kulturen, näherer und fernerer Zeiten. Das rhythmische Reich jenseits der Takte ist ja keines der einheitlich einen, »der« anderen Rhythmik, es umfasst deren viele, jede geschieden von den übrigen durch eigene Besonderheit. Aber es liegt ihnen eine wichtige Bestimmung zugrunde, die sie verbindet und die sie alle, jede für sich, gemeinsam vom Taktrhythmus unterscheidet.

Beschrieben wurde sie bisher nur ein einziges Mal – von Thrasybulos Georgiades, einem Musiktheoretiker des zwanzigsten Jahrhunderts, und auch von ihm nur am Beispiel einer einzelnen Rhythmik, einer, die er den »griechischen Rhythmus« nannte. Damit meinte Georgiades zum einen den antiken Rhythmus, den er mit aller philologischen Schärfe aus den überlieferten Zeugnissen rekonstruiert hatte. Zum anderen aber war dem gebürtigen Griechen die gleiche Rhythmik noch unmittelbar präsent, da manche streng traditionellen Gesangs- und Tanzformen sie bis in das Griechenland seiner Gegenwart bewahrt hatten. An ihnen verfügte Georgiades, wie er nachwies, über lebendige, hörbare Beispiele eben jener Art von Rhythmik, die auch in der griechischen Antike gegolten hatte. Andererseits, als Einwohner des zwanzigsten Jahrhunderts, verfügte er selbstverständlich auch über die Taktwahrnehmung: eine Kenntnis des Alten sowohl wie des Neuen, die ihn wie keinen Musiktheoretiker zuvor befähigte zu zeigen, was die beiden Welten trennt.

Beginnen wir noch einmal mit unserer, derjenigen des Taktrhythmus. Dessen spezifische Rasterbildung macht Georgiades anschaulich im Bild eines Gerüstes.

Dieses Gerüst kann man sich als ein System von Punkten in gleichen Abständen vorstellen. Einige besondere Punkte darunter werden durch ihr höheres Gewicht hervorgehoben. […] Ähnlich gliedert man subjektiv ein objektiv gleichmäßiges Schlagen (tik-tik) in tik-tak oder gar in tik-tak-tok. Die Auswahl findet nämlich nach einem Gesetz statt, das auch subjektiv als Gesetz auffassbar ist. Es kann nichts anderes als die Ordnung der Abwechslung der Punkte mit verschiedenem Gewicht bestimmen. […] Es kann sich auf höhere Überordnungen ausdehnen, wenn nur das Prinzip der gleichen Abstände bei der jeweiligen Überordnung gewahrt bleibt. Das bedeutet, dass als Generationsprinzip höherer Ordnung nur Vielfache von 2 und 3 (z. B. 2x2, 2x3, 3x3, 3x2) angewendet werden können, dass also die höheren Rangordnungen durch Multiplikation von 2 und 3, durch zusammenfassende Unterordnung, nicht aber durch Addition (wie 2+3), durch Nebenordnung entstehen können. Durch dasselbe Prinzip werden auch die Unterteilungen der ursprünglichen Einheiten ersten Grades möglich, also die Achtel, Sechzehntel usw., sei es in der üblichen Form, durch Zweiteilung, oder in Triolenform, wenn die 3 als Grundlage verwendet wird.33

Wir kennen diese Verhältnisse bereits, zur besseren Anschauung aber hilft vielleicht eine kleine Grafik. Sie zeigt das »Gerüst« mit vier übereinander liegenden Ebenen, an die nach oben und nach unten jeweils noch einige weitere anzuschließen wären. Auf jeder dieser Ebenen werden durch Punkte in gleichen Abständen Elemente gleicher Länge abgeteilt, und diese Elemente – Georgiades spricht nur von den Punkten, da die Elemente ja nicht durch Klang gefüllt sein müssen, da die Markierung der Trennpunkte also genügt – werden verbunden, indem sie gegeneinander hervorgehoben werden. Die Grafik zeigt dabei allein den Fall, dass auf jeder Ebene die Zweier-Gruppe wirksam ist; die Dreier-Gruppierung bedürfte einer entsprechend veränderten Darstellung. Jedes Element wird »nach unten« in derselben Weise in zwei verbundene und gegeneinander hervorgehobene Elemente aufgeteilt, wie es »nach oben« mit einem benachbarten Element zur Gruppe aus hervorgehoben gegen nicht-hervorgehoben verbunden wird. Die Hervorhebung selbst ist angedeutet durch eine stärkere Linie auf Elementenebene, das Einwirken der Synthesis durch die gebogenen Linien, die sich von Element zu Element spannen, das Ergebnis ihres Einwirkens aber durch die Senkrechten: die vielfache Rasterung der Zeit in abwechselnd gegeneinander hervorgehobene Elemente gleicher Dauer.


Diese Ordnung oder das System, die auf diese Weise entstehen, nämlich in die Zeit gewirkt werden, sind in ihrer Gesamtheit die Leistung unserer taktrhythmischen Synthesis – sie sind das, was sie leistet. Und Georgiades sagt nun zu Recht, all das finde nach einem Gesetz statt, einem Gesetz, das er richtig auch mit dem Reflex des tik-tak in Verbindung bringt und als subjektiv erkennt, als Leistung des Subjekts, nicht objektive Gegebenheit im rhythmischen Klang. Es ist das Gesetz, als welches die Synthesis wirkt.

So weit also die uns geläufigen und wohl bekannten Verhältnisse. Wie aber verhält es sich mit der anderen Rhythmik?

Hier verlangt das zugrundeliegende Prinzip nicht eine Differenzierung der Betonungen, sondern die der Dauer, der Quantität, wie man sagt. Genauer ausgedrückt: hier liegen zugrunde nicht untereinander gleich entfernte Punkte als bloße Abgrenzungen der Zeiteinheit, sondern die Dauer der Zeiteinheit selbst, die erfüllte Zeit. Während vorher ein fertiges aber neutrales, gleichmäßiges Maschensystem als Punktnetz vor mir lag, das ich durch die Schwergewichtsdifferenzierung gliederte, bin ich hier an ein solches Netz nicht gebunden. Vielmehr, da ich hier erfüllte Zeiten selbst untereinander vergleichen soll, muss ich verschiedene Dauer verwenden. Es werden in erster Linie die einzeitige Kürze, deren Dauer Chronos protos genannt wird, und die zweizeitige Länge benützt. Ihre Aufeinanderfolge unterliegt keinem Zwang einer periodischen Wiederkehr, denn dieser besteht nur bei Voraussetzung des Prinzips der bloßen Zeitabsteckung durch Punkte in gleichen Abständen und der damit verbundenen Schwergewichtsdifferenzierung. […] Bei der Quantitätsrhythmik […] erfasse ich die aus dem Nebeneinanderstellen von Längen und Kürzen entstehende Gestalt, indem ich von der einen zu der nächsten erfüllten Zeit fortschreite, ohne dass damit ein Bedürfnis nach zusammenfassender Unterordnung unter höhere Einheiten entsteht, ja, bei der Eigenart des Ausgangsprinzips, entstehen kann.

Denn dies »Bedürfnis nach zusammenfassender Unterordnung unter höhere Einheiten« wäre ja bereits wieder jenes Andere, das subjektive Gesetz, welches in der Taktrhythmik herrscht.

Aber noch einmal: Was also ist der entscheidende Unterschied zwischen beiden Arten von Rhythmus, zwischen der Takt- oder »Schwergewichtsrhythmik« auf der einen Seite und der »Quantitätsrhythmik« auf der anderen?

Das wesentliche Kriterium […] ist, ob die Gliederung als durch die bloße Zeitabsteckung oder durch die erfüllte Zeit stattfindend empfunden wird.

Bei der Quantitätsrhythmik wird die Zeit durch die verwendeten Elemente, Längen und Kürzen, völlig bestimmt. Indem sie primär durch die körperhafte Ausdehnung der Elemente erfüllt wird, wird sie durch deren Grenzen – Beginn und Ende – auch abgesteckt, gegliedert. Hier gehen wir gleichsam mit undurchdringlichen festen Körpern um. […] Anders bei der Schwergewichtsrhythmik [sc. der Taktrhythmik]. Ihre Durchführung ist nicht, wie bei der Quantitätsrhythmik, identisch mit der Verwirklichung einer besonderen Gestalt, sondern bedeutet zunächst weiter nichts als die Festlegung einer abstrakten, allgemeinen Gesetzmäßigkeit. Wenn ich z. B. im Sinne der Quantitätsrhythmik von Trochäen spreche, stelle ich mir ebensowohl die Zeitgliederung (durch drei Einheiten) als auch ihre Erfüllung [durch eine lange und eine halb so lange Einheit] vor. Wenn ich aber von 3/4-Takt spreche, stelle ich mir nur ein Gesetz der Zeitgliederung, ein noch leeres Schema vor, das über einen wirklichen, die Zeit erfüllenden Rhythmus nichts aussagt. Es liegt ein Punktnetz vor, worauf ich die verschiedensten Zeichnungen durchführen kann. Diese Scheidung zwischen Gesetz und besonderer Ausfüllung entspricht der Schwergewichtsrhythmik.

Also der Taktrhythmik: Durch das Hinzutreten der Rasterung scheidet sie, was vorher untrennbar Eines war, das eine nicht anders denkbar als im anderen. In eins mit der »Zeiterfüllung« war die »Zeitgliederung« gegeben, sie bestanden nicht getrennt, und daher fehlte auch die Begriffsunterscheidung, hatte die Abgrenzung der einen von der anderen kein Recht und keinen Sinn. Es gab nicht »Zeiterfüllung« als etwas, was in eine andere, leer zu denkende Zeit eintrat, als Material, das ein vorgegebenes Hohlmaß erst noch mit Körper, mit Füllung versah, es gab die Zeit nicht als etwas, was absolut für sich bestand und dann eben gefüllt werden konnte oder nicht.

Hier also stoßen wir auf den subjektiven Grund von Zeit: Nur ein zeiterfüllter Vorgang selbst war Zeit, sie war Körper, war Substanz.


Eine Grafik, die dem gerecht werden will, hat es daher einfach. Sie hat nichts weiter zu tun, als Körper nebeneinander zu setzen und allenfalls darauf zu achten, dass deren Größen in Proportion zueinander stehen. Diese drei Quader-Reihen beispielsweise sind so gewählt, dass sie den Tondauern dreier synchron gespielter Trommeln afrikanischer Tradition entsprechen. Eine leichte Verzeichnung entsteht nur dadurch, dass die einzelnen Blöcke zur Verdeutlichung des Körperhaften ein wenig auseinander gerückt sind, anstatt jeweils unmittelbar aneinander anzuschließen. Im proportionalen Verhältnis erschienen sie so:


Diese materiale Zeit aber, wie ich sie nennen möchte, wird zerfällt in dem Moment, da die Takt-Synthesis hinzutritt, und die ehemals körperlichen Zeitteile in ihre Raster einspannt. So wird die Zeit selbst in etwas verwandelt, was sie vorher nicht war und nicht sein konnte. Wenn sich sonst die Gliederung der Zeit in eins mit den erfüllten Zeitgrößen ergab, so kehrt sich dies Verhältnis nunmehr um, indem es überhaupt erst zu einem Verhältnis auseinandertritt, ja, aktiv aufgespalten wird: Die Subjekte geben nun gesetzmäßig eine Zeitgliederung vor, ein Raster leerer Zeitelemente, geschieden nach hervorgehoben und nicht-hervorgehoben; und die Zeitgrößen, die Klangelemente, haben sich nun, getrennt davon, jenem Raster als Füllung einzufügen und sich dessen Gesetzmäßigkeit anzupassen. In der Taktrhythmik gilt:

Die Zeitgliederung verwirklicht sich als abstraktes, vorhergegebenes Gesetz. Sie hat sich von der besonderen, sichtbaren Gestalt freigemacht und in unsichtbare, »entmaterialisierte« Gesetzmäßigkeit verwandelt. Die Zeiterfüllung muss sich nun diesem Gesetz fügen; sie kann nicht mehr wie bei der Quantitätsrhythmik frei walten […]. Sie muss die höhere Instanz der Zeitgliederung, die von der Zeiterfüllung abstrahierte Schwergewichtsordnung anerkennen.

»Abstrahiert« ist diese taktrhythmische Ordnung nach betont/unbetont tatsächlich, nämlich abstrahiert von den Elementen erfüllter Zeit. Aber nicht in dem Sinn, dass sie an ihnen als Abstraktion gewonnen, dass sie also deren Abstraktion wäre, so wie der Begriff »Pferd« von den Pferden abstrahiert ist, die sich auf Erden tummeln. Sondern so, dass die Schwergewichts- oder Taktordnung als Gesetzmäßigkeit für sich besteht, nämlich unabhängig von den materialen Elementen, absolut von ihnen, die sie nunmehr an sich bindet.

Indem der Takt-Reflex eben diese abstrakte Ordnung hervorbringt, scheidet er den Rhythmus in zwei »Komponenten« oder »Faktoren«, wie Georgiades sie nennt: in den vorgängigen »Hintergrund«, das gesetzmäßige Elementeraster, das rhythmische Metrum, das der Reflex hervorbringt; und in einen »Vordergrund«, die Klangelemente, die sich auf dieses Raster verteilen müssen, ihm dadurch erst Körper verleihen und so den bestimmten, besonderen Einzelrhythmus innerhalb des Rasters ergeben.

Die einzelnen Elemente des Vordergrunds müssen sich dem dynamischen Prinzip [sc. des Taktrhythmus] unterordnen. Das bedeutet aber nicht, dass Zeitgliederung [= das Takteraster] und Zeiterfüllung [= die erklingenden Töne, die »Elemente des Vordergrunds«] zusammenfallen müssen [dass zum Beispiel ein Vier-Viertel-Takt immer buchstäblich mit vier Viertelnoten gefüllt sein müsste]. Die Zeiterfüllung kann sich vielmehr die mannigfaltigsten Zusammenstellungen erlauben [in einem Vier-Viertel-Takt zum Beispiel die Zusammenstellung einer punktierten Halben mit zwei Achteln]. Denn wir erfassen die zwei Komponenten als zwei selbständige Faktoren, die oft sogar einander widerstreiten. Hier eröffnet sich die Welt der Synkopen, der Punktierungen, die Welt der Polyphonie, der komplementären Rhythmik.

Und die Welt der taktrhythmischen Notenteilungen:

Hier ist der einzelne Zeitwert unbegrenzt teilbar oder multiplizierbar, als Teil eines größeren fassbar.

Was er – man beachte – nach der anderen Rhythmik nicht war und wiederum nicht sein konnte:

In der Quantitätsrhythmik sind die einzelnen Elemente in sich geschlossene rhythmische Glieder […]. Deswegen sind sie auch nicht nach Belieben teilbar und kontrahierbar (Prinzip der Unteilbarkeit des Chronos protos). Hier entsteht kein Ineinander von Zeitwerten, wie bei den synkopischen Bildungen; denn hier fehlt die höhere vorhergegebene Einheit, die ihnen Sinn verleihen würde.

Dass sie hier fehlt, entscheidet: sie, die jeweils »höhere vorhergegebene Einheit«, bestimmend in der Form des Rasters, vorgegeben durch Reflex. Er fehlt in der Quantitätsrhythmik, und durch sein Fehlen fehlte ihr, was er und was also das Subjekt, in dem er wirkt, reflexhaft leistet, die Rasterung der Zeit nach dem Hervorhebungsverhältnis. Deshalb baut diese ältere oder »andere« Rhythmik ihre Gestalten notwendig aus körperlich gefassten Gliedern auf.

Das bedeutet umgekehrt: Da, wo es nach Takten rhythmisch wird, muss dieser Reflex hinzugetreten, muss er im Subjekt wirksam sein. Sobald er aber wirksam ist, verkehrt er die älteren rhythmischen Verhältnisse, zu denen er hinzutritt, ins Gegenteil: Dort baute sich Rhythmus von unten auf, hier leitet er sich von oben ab. Dort waren es feste Elemente, die sich variabel verbinden ließen, hier ist fest die Verbindung, in welche die Elemente variabel eingehen. Dort fügten sich Bausteine zu einer Ordnung, hier fügen sich Variablen einem Gesetz.

Das geschichtliche Apriori

Dies ist es, was den »griechischen« so grundsätzlich vom Taktrhythmus trennt. Aber eben nicht nur den »griechischen«, sondern alle traditionellen Rhythmiken, die einmal nicht nach Takten gingen. Dies ihr gemeinsames Kriterium, dies die zwei Welten, als welche sie und der Taktrhythmus sich unversöhnlich gegenüberstehen: dort die Proportion materialer Größen und hier das abstrakte Verlaufsgesetz, das ihnen vorgegeben wird.

In dieser Entgegensetzung spielt der Begriff des »Gesetzes« seine wichtige Rolle, und das mag irritieren: Waltet im antiken Rhythmus denn kein Gesetz? Verläuft ein griechischer Vers etwa nicht gesetzmäßig? Sagt denn »Gesetz« irgendetwas anderes als »Ordnung«, »Regelmäßigkeit«, vielleicht »Periodizität« – und sollte es die nur im Taktrhythmus geben? Nein, Regelmäßigkeit und Ordnung gibt es auch in der griechischen und in anderen Rhythmiken; trotzdem aber folgt keine von ihnen einem Gesetz. Dieser Begriff spricht sehr viel spezifischer, und es ist der Mühe wert, ihn von dem der »Regel« einmal abzugrenzen. Wir werden es später noch sehr gut brauchen können.

Bei einem Fußballspiel gilt die Regel, dass es als Tor zählt, wenn der Ball beim Verlassen des Spielfeldes die Linie zwischen den Torpfosten überquert. Als Gesetz dagegen gilt, dass der Ball, wenn er fliegt, annähernd auf der Bahn einer Parabel wieder auf die Erde zurückfällt. Ein erster Unterschied wäre demnach: Die Regel könnte auch anders lauten; kein Reglement und kein Schiedsrichter dagegen vermöchten an dem Gesetz zu rütteln. Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Übertragen wir beides auf den Rhythmus, und zwar der leichteren Darstellung wegen wieder auf die Verse. Für ein Stück griechischen Rhythmus, einen alkäischen Vers, gilt beispielsweise die Regel, er habe folgende Reihenfolge langer und kurzer Silben aufzuweisen:

lang lang kurz lang lang lang kurz kurz lang kurz lang/kurz

Bei einem anderen, dem Galliambus, sieht die Regel, vereinfacht, diese Reihenfolge vor:

kurz kurz lang kurz lang kurz lang lang kurz kurz lang kurz kurz kurz kurz kurz/lang

Und so gibt es unzählige weitere Regeln, nach denen antike Verse gebaut sein konnten – ohne irgendein Gesetz, das noch über all diesen Regeln walten würde. Vergleichen wir damit »unsere« Versmaße nach betont und unbetont aus der neuzeitlichen Ära. Zum Beispiel an den Versen:


Oder:


Oder:


Auch hier könnte eine lange Liste weiterer Muster und Regeln folgen, nach denen diese Verse, die Verse nach betont und unbetont, gebaut sein können. Ein Unterschied zu den antiken Verhältnissen wäre aber stets der folgende: Für jedes von den Akzentvers-Maßen gilt vorweg eine und dieselbe Gesetzmäßigkeit. Wir kennen sie inzwischen, aber sie lässt sich leicht auch an den Beispielen ablesen – nämlich erstens: Betonte und unbetonte Elemente müssen abwechseln; und zweitens: Von unbetonten Elementen können auch zwei aufeinander folgen. So lautet das Gesetz, dem alle weiteren möglichen Regelungen in den uns rhythmischen Versen unterstellt sind – wir wissen bereits, wodurch. Nichts dergleichen gibt es folglich in der Antike oder in irgendeiner anderen Rhythmik als der unseren. Eine Notwendigkeit wie die, dass dort etwa auf ein langes Element stets ein kurzes folgen müsste und auf ein kurzes ein langes oder allenfalls ein zweites kurzes, damit es rhythmisch wird, eine solche verpflichtende und allgemeine Notwendigkeit hat nicht bestanden – man vergleiche das alkäische und galliambische Versmaß – und hätte keinen Sinn gehabt.

Ein Gesetz wirkt, was Rhythmus betrifft, allein bei den Takten. Zwar kann eine Tonfolge auch dann noch zusätzlich nach Regeln festgelegt sein, doch damit sie sich in den Taktrhythmus fügt, also wirklich taktrhythmisch gehört werden kann, muss sie selbst und müssen auch diese Regeln dem taktrhythmischen Gesetz gehorchen. Regeln gelten stets nur von Fall zu Fall, für eine bestimmte Versart, für einen bestimmten Einzelrhythmus, ebenso wie sie beispielsweise auch für Sprachen und ihre Grammatik einschlägig sind. Im Deutschen etwa besteht die Regel, Adjektive seien vor ein dazugehöriges Substantiv zu stellen. Aber es gibt kein Gesetz, das Sprachen allgemein darauf festlegen würde, einem Substantiv ein Adjektiv vorangehen zu lassen oder auch nur überhaupt Adjektive zu haben. Es gibt in der Sprache oder über alle Sprachen hinweg keine Gesetze, die für alle gelten würden und die es den Einzelsprachen nur noch überließen, innerhalb solcher Gesetzmäßigkeit ihre je eigenen Regeln aufzustellen. Nach solchen Universalien der menschlichen Sprache wurde lange, lange gefahndet; gefunden haben sie sich nicht.

Der Begriff des Gesetzes ist in diesem Sinn also sehr genau zu nehmen und durchaus genauer, als es einer gängigen Verwendung entspricht. Mit ihm ist etwas sehr Spezifisches gesagt. Gerade deshalb aber hat ihn die Wissenschaft, interessierte Ungenauigkeit walten lassend, geschickt missbrauchen können für ihren haltlosen Beweis, Rhythmus könne grundsätzlich und überzeitlich nur der eine sein, müsse nach Takten gehen und wäre nie nach etwas anderem gegangen.

Gottfried Hermann, einer der großen klassischen Philologen, hat diesen Beweis zu Beginn seines Hauptwerks angestrengt, in den »Elementa doctrinae metricae« aus dem Jahre 1816.34 Das Eingangskapitel handelt explizit »De numero et versibus in universum«, von Rhythmus und Versen im allgemeinen: Es soll eine allen Versen und dem Rhythmus überhaupt gemeinsame Bestimmung festgestellt werden. Dafür geht Hermann von einem zu rhythmisierenden Substrat aus; dies sei entweder eine Abfolge von Zeiteinheiten oder, räumlich gedacht, eine zusammenhängende Folge von Abständen: »vel successio temporum vel continuitas spatiorum«. Damit diese Folgen rhythmisch werden und nicht bloß irgendwelche Folgen sind, müssten sie geordnet sein – und wenn aber geordnet, so würde man fragen wollen: wie? Hermann aber fragt: wodurch? Und schon, allein damit, ist alles entschieden und Hermann hat sich die gewünschte Antwort unvermerkt bereits in die Tasche gespielt: Ja – jeder Rhythmus müsse nach Takten gehen.

Wie das? Die Frage: »Wodurch wird Rhythmus überhaupt geordnet?« macht zwei falsche, aber scheinbar unvorgreifliche Voraussetzungen, die dem Fragenden alles fertig an die Hand liefern, was er für seinen Irrtum braucht. Die erste Voraussetzung: Es gibt so etwas wie Rhythmus überhaupt – Rhythmus wäre grundsätzlich einer, transzendentale Einheit, keiner Veränderung unterworfen und keiner Geschichte. Die zweite Voraussetzung: Es gibt etwas, wodurch dieser Rhythmus überhaupt geordnet würde. Was kann das sein? Da dies Etwas »Rhythmus überhaupt« bestimmen soll, muss es also »dem« Rhythmus insgesamt vorgeordnet sein und damit jeder möglichen Ausformungen von Rhythmus die ihm, diesem Etwas eigene Ordnung bestimmend vorgeben. Ein solcherart bestimmendes Etwas aber kann tatsächlich nur eines sein: »Id autem apertum est non nisi in lege quadam inesse« – es kann offensichtlich nur in einem Gesetz bestehen. Durch ein Gesetz aber wird einzig und allein der Taktrhythmus bestimmt, kein anderer. Also braucht Hermann, sobald er nur den Begriff des Gesetzes in Händen hält, die Sache lediglich fertig durchzubuchstabieren, kommt dann vom Gesetz folgerichtig und zielgenau auf die Takte und damit, nach der scheinbar unverfänglichen Voraussetzung Nr. 1, zu dem strahlend falschen Ergebnis: Rhythmus überhaupt ginge, qua Gesetz, nach Takten.

So machtvoll ist der Begriff des Gesetzes. So genau nämlich lässt sich allein unter der Voraussetzung, dass Rhythmus durch ein Gesetz geregelt sei, schließen und feststellen, dass er dann notwendig Taktrhythmus sein müsse. Dieser Beweisgang ließe sich nunmehr sehr fruchtbar zu einem ganzen kleinen Kurs in Logik entfalten, doch werden wir zu diesem Thema ohnehin zurückkehren müssen, und deshalb deute ich die Beweisschritte nur in aller Kürze an:35 Falls Rhythmus nach einem Gesetz verläuft, muss er – erstens – auf gleichen, leeren Zeiteinheiten beruhen; denn ein Gesetz bedingt Elemente, auf die es zugreift, die als solche keine Unterschiede aufweisen dürfen, also zum einen einheitlich und zum anderen inhaltlich unbestimmt sein müssen. Zweitens müssen diese Zeiteinheiten durch Hervorhebung von jeweils einer gegenüber den benachbarten zu größeren Einheiten geschlossen werden; denn nur so werden gleiche Zeiteinheiten als solche, nicht erst durch ihren zusätzlichen Inhalt, durch das Gesetz bestimmt, nämlich unterschieden; anders gäbe es überhaupt keine Einwirkung des Gesetzes. Und schon hat man die Grundbestimmungen des Taktrhythmus beisammen.

Nun aber ein wenig weiter. Hermann macht sich anlässlich des rhythmischen Gesetzes auch Gedanken darüber, wie es dazu kommt, woher es stammt. Und er findet: »lex illa, quod attinet ad rationem, qua constituit atque ordinat tempora vel spatia, innata nobis sit necesse est, quam a priori definitam philosophi vocant« – jenes Gesetz muss darin, wie es Zeiteinheiten oder Abstände festlegt und ordnet, uns notwendig angeboren sein, philosophisch gesprochen a priori.

Übertragen wir diesen Schluss einmal vorsichtig darauf, was wir inzwischen vom Rhythmus wissen: Der taktrhythmische Reflex gibt diesem Rhythmus tatsächlich ein Verlaufsgesetz vor und er wirkt, als dieses Gesetz, zweifellos a priori im Subjekt. Denn a priori heißt im erkenntnistheoretischen Sinn: von vornherein, vor aller Erfahrung gegeben, aller Wahrnehmung und allem Denken vorgeordnet – etwas, was auf den Taktreflex zweifellos zutrifft. Wir entnehmen ihn nicht dem Wahrgenommenen, sondern er gibt sich, wo er denn wirkt, unserer Wahrnehmung jeweils wie schon immer vor, wie angeboren. Noch bevor wir das tok tok unserer Absätze wahrnehmen, ist da der Reflex, der es uns ins betont/unbetont eines tik-tak verwandeln wird. Er liegt, wo er in den Subjekten wirkt, apriorisch in ihnen; und muss sie so dazu verleiten, Taktrhythmus insgesamt zum rhythmischen Apriori zu erheben: zur Bestimmung von Rhythmus überhaupt.

Und doch ist er eben dies nicht, gibt es nicht diesen »Rhythmus überhaupt«, der zu allen Zeiten und in universum der grundlegend selbe gewesen wäre, gibt es ältere Rhythmiken, die jenes Gesetz nicht kannten und also nicht Taktrhythmus waren. Folglich hat es auch dieses Gesetz nicht immer gegeben. Und folglich – und jetzt wird es langsam gefährlich –, gab es auch nicht immer schon diesen Reflex: Er ist den Menschen nicht angeboren – dieses Apriori selbst ist geschichtlich entstanden.

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