Kitabı oku: «Im Takt des Geldes», sayfa 6

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Verse, akzentmetrisch

Machen wir nun ein kleines Experiment – mit einem Satz ganz normaler Prosa:

Golch und Flubis, das sind zwei Gaukler aus der Titanei.

Sie haben den Satz gelesen, wundern sich vielleicht über die Namen, rätseln, welche Nation sich neuerdings zur Titanei ernannt haben mag, doch über all das mögen Sie sich rasch beruhigen: Es sind nur zwei Gaukler. Und nun lassen wir den Satz eine Weile liegen, bevor uns das Experiment zu ihm zurückkehren heißt.

Es geht um die Sprache. Denn nicht nur in Musik, auch an diesem Klangbereich des Rhythmus, dem komplexesten neben der Musik, zeigt sich der Taktreflex am Werk: an der Sprache in Versen. Wohlgemerkt, nicht in allen Versen, nicht in den Versen aller Zeiten und Kulturen, aber in den neuzeitlichen Versen nach betont und unbetont: in den alternierenden, akzentuierenden, syllabotonischen, dynamisch-prosodischen oder wie man sie sonst immer genannt haben mag – mir sollen sie kurz und knapp Akzentverse heißen. Auch wenn so gut wie alles, was heute an Lyrik entsteht, nicht mehr zu ihnen, sondern zu den sogenannten freien Versen zählt, zu Versen, an denen sich kein Versmaß, und das heißt hier, an denen sich eben nicht der rhythmische Wechsel von betont und unbetont einstellen will und auch nicht einstellen soll: die Akzentverse, in denen dies jedoch geschieht –

Die schönsten Dinge sind in Nacht

Wie in ein Weckglas eingemacht;

Man muss den Deckel schrauben:

Da duften sie, da steigen sie,

Da wallen sie, da reigen sie

Und schmecken süß wie Trauben.

– noch immer empfinden wir sie als den Inbegriff von rhythmischer Sprache.

Was Akzentverse ausmacht und was alle ihre Versmaße bestimmt, lässt sich noch kürzer als bei der Taktmusik zusammenfassen, in zwei Punkten:

Erstens: Die Silben verteilen sich auf Einheiten, die nach betont und unbetont geschieden werden.

Zweitens: Deren Abfolge kennt genau zwei Möglichkeiten: das strikte Abwechseln von betonten und unbetonten Elementen in Zweier-Gruppen oder die Ordnung in Dreier-Gruppen aus einem betonten und zwei unbetonten Elementen.28

Diese beiden Punkte umreißen genau, wonach Akzentverse grundsätzlich bestimmt sind. Nicht zu übersehen: Wiederum ist es das, was unser taktrhythmischer Reflex leistet, bewirkt und vorgibt – auch hier. Lediglich der dritte Punkt, der noch bei der Musik firmierte, ist nicht ausgeführt, die potenzierte Gruppenbildung. Nicht dass sie in Akzentversen völlig fehlen würde, doch vermag sie in ihnen nur sehr eingeschränkt zu wirken: zum einen auf Grund der üblicherweise recht knapp bemessenen Länge von Versen, also der geringen Zahl von Elementen innerhalb einer Folge; und zum anderen auf Grund ihres besonderen Klangmaterials, eben der Sprache. Ich deute diese Dinge nur an.

Sprache unterscheidet sich als Klangmaterial von dem der Musik ganz grundsätzlich dadurch, dass es in seinem zeitlichen Verlauf eben nicht frei und uneingeschränkt formbar ist. Die Klangelemente der Sprache sind die Silben, und diese sind nicht beliebig im Verhältnis zueinander zu kürzen oder zu längen, sie haben in jeder Sprache ihren ganz bestimmten, vorgegebenen Klang, der nur innerhalb sehr eng gezogener Grenzen zu variieren ist, wenn er nicht aufhören soll, Sprache und verständlich zu sein. Gesprochene Sprache, solange sie nicht als Gesang unmittelbar musikalisch verwendet wird, ist rhythmisch nicht frei zu formen, sondern gibt Elemente mit recht genau und für einen muttersprachlichen Hörer recht empfindlich festgelegten klanglichen Eigenschaften vor. Sprache muss der Takt-Synthesis also durchwegs mehr Widerstand bieten als die Musik, allein schon dadurch, dass es die Synthesis bei den Silben nie mit gleichen Zeiteinheiten zu tun bekommt, sondern mit Elementen von durchaus unterschiedlicher Dauer.29

Nun gehören zu dem, was den Klang einer Silbe ausmacht, neben Vokallänge, Konsonanten und vielem anderen auch die Akzente der Sprache und die unterschiedliche Gewichtung der Silben gegeneinander. Also trifft unsere rhythmische Synthesis bei der Sprache auf ein Klangmaterial, dessen Elemente teilweise – ähnlich wie bei den Experimenten mit lauteren und leiseren Tönen – bereits objektiv nach schwerer und leichter unterschieden sind. Und daher wird die Synthesis, wo sie an Sprache wirksam wird, auf diese Bestimmungen reagieren, indem sie sich so weit wie möglich an sie heftet und ihre Hervorhebung auch auf eine sprachlich betonte oder stärker gewichtete Silbe legt. Wo ihr das gelingt, verschmelzen wieder diejenigen Hervorhebungsbestimmungen, die wir synthetisch an die Silben heften, mit den sprachlich gegebenen Akzenten, und beides, Sprachakzent und synthetische Hervorhebungsbestimmung, ist für uns, die Wahrnehmenden, in denen sich diese Verschmelzung ja vollzieht, nicht mehr zu unterscheiden. Beides nehmen wir ja als Betonungen wahr, zuverlässig müssen wir deshalb wieder den Irrtum hegen, alle jene Betonungen, die man in einem Vers wahrnimmt, lägen irgendwie schon objektiv im Klang der Sprache. Genau so wird man es in ausnahmslos jedem Metrikbuch, -aufsatz oder -artikel behauptet finden: dass jenes betont/unbetont, das wir in solchen Versen als Versmaß hören, in nichts anderem bestünde als in der sprachlichen Betont- und Unbetontheit der Silben.

Kehren wir nun aber zurück zu unserem kleinen Experiment und dem schönen Satz:

Golch und Flubis, das sind zwei Gaukler aus der Titanei.

Diesmal aber fahre man fort und lese ihn ein weiteres Mal:

Golch und Flubis, das sind zwei

Gaukler aus der Titanei.

Zweimal derselbe Satz, und doch klingt er nicht zweimal gleich. Was hat sich verändert, wie klingt er jetzt? Er erfährt eine leichte Unterbrechung, und dadurch tritt ein Reim hervor. Aber nicht der Reim ist entscheidend, sondern dass der Satz nun rhythmisch wird, dass sich darin nun ein leichtes Auf und Ab von betont und unbetont einstellt, das beim ersten Mal fehlte. Dort, in der Prosalesung, hörte man allenfalls diese Betonungen:

Golch und Flubis, das sind zwei Gaukler aus der Titanei.

Beim zweiten Mal aber hören wir im selben Satz regelmäßig Betonungen auf jeder zweiten Silbe:


Was hat sich verändert? Es sind nicht bloß mehr Silben betont als vorher, sondern wir hören nunmehr alle Silben systematisch nach betont und unbetont abwechseln; und eben damit wird uns der Satz auf eine spezifische Weise, die in der Prosalesung fehlte, rhythmisch. Die Verwandlung, die sich für unser Ohr zwischen den beiden Leseweisen vollzieht, besteht darin, dass sich in der ersten Version nicht und in der zweiten Version sehr wohl der Rhythmus nach betont/unbetont einstellt: Er fehlt das eine Mal demselben Satz, an dem er das andere Mal hervortritt.

Das Experiment zeigt also recht einfach und rasch, dass nicht schon die Silben und die Sprache als solche den Rhythmus mit seinem regelmäßigen Auf und Ab der Betonungen in sich tragen können, den wir an Akzentversen wahrnehmen. Die Akzente in normaler Prosa reichen keinesfalls dafür aus, all die Betonungen zu begründen, die uns in einem solchen Vers vernehmbar werden. Dafür muss wiederum unsere taktrhythmische Synthesis wirksam hinzutreten. Weshalb sie dies das eine Mal tut, beim Vers, beim Prosaklang von Sprache dagegen unterbleibt, ist ein kleines Geheimnis, wirklich kein großes Geheimnis, das ich an anderer Stelle geklärt habe.30 Jedenfalls sind bei der Wahrnehmung von Akzentversen zwei Arten von Betonungen beteiligt: Die Sprache hat die ihren, Akzente, die sie in Prosa trägt und dort auf recht bewegliche, unterschiedliche Weise tragen kann; wir haben sie in der ersten Fassung des Satzes gehört. Auf diese Silbenfolge mit ihren Sprachakzenten aber legen wir – unter bestimmten Bedingungen, die unseren rhythmischen Reflex auf den Plan rufen – zusätzlich dessen regelmäßige Folge von betont und unbetont. Unsere Wahrnehmung versucht dabei diese ihre synthetischen Betonungen unwillkürlich an die sprachlich gegebenen zu heften, möglichst also so, dass diese mit jenen übereinstimmen, dass also beide Arten von Betonung zusammenfallen. Wo dies nicht möglich ist, treten daher die synthetischen Betonungen zusätzlich zu den sprachlichen auf – zuweilen gar abweichend von ihnen. Und so wird dasselbe Stück Sprache, das eben noch Prosa war, rhythmisch und Vers: indem es unser Reflex rhythmisch macht.

Ein Dichter, der Akzentverse schreibt, hat die Silbenfolge in seinen Worten demnach so zu wählen, dass sie sich dem Rhythmusreflex entsprechend fügt, ihm sicher genug Anhalt bietet und ihn überhaupt auf den Plan ruft. Dass ein Dichter dies tut, wenn er Sprache auf ein Versmaß nach betont und unbetont bringt, davon muss er nichts wissen und davon hat bisher auch sicher noch kein Dichter etwas geahnt. Trotzdem tut er genau das, wenn er darauf achtet, dass ihm die Sprache das betont/unbetont ergibt. Er hat sich dabei auf nichts anderes zu verlassen als auf sein Gehör, wo Reflex und Synthesis genauso unwillkürlich wirken und wo deren Wirkung genauso unwillkürlich da ist wie später beim Leser. Und auf Grund dieses jeweils gleichen Reflexes in der Wahrnehmung von Dichter und Leser hören sie solche Verse gleichermaßen rhythmisch: im systematischen Abwechseln, einem Versmaß von betont und unbetont.

Das rhythmische Aushören von Sprache, das durch entsprechende Anordnung der Silben dem Rhythmusreflex sicheren Anhalt bietet, kann sehr schön gelingen:

Und drunten seh ich am Strand, so frisch

Wie spielende Doggen, die Wellen

Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,

Und glänzende Flocken schnellen.

Aber es kann selbst einer doppelten Dichtergewalt wie der von Schiller und Goethe auch peinlich misslingen – wie in ihrem Xenion »Literaturbriefe«:

Auch Nicolai schrieb an dem trefflichen Werk? Ich will’s glauben;

Mancher Gemeinplatz auch steht in dem trefflichen Werk.

Wer trifft hier auf Anhieb die von den Dichtern erhofften je sechs Betonungen in Hexameter und Pentameter? Gerade an miesen Versen empfindet man – besser als an den gelungenen –, wie sehr die Sprache, um Vers zu werden, darauf angewiesen ist, dass wir die entsprechenden, die taktrhythmischen Betonungen erst noch in ihre Silben hineinlegen – sie liegen nicht schon drin. Bei guten Versen macht es sich wie von selbst, bei den schlechteren kracht es und knackt es oder will einfach nicht gelingen.

Sprache, der gesprochene Klang einer Sprache, muss ja nicht in der Lage sein, den Reflex unserer taktrhythmischen Synthesis sicher auf den Plan zu rufen. Das verweigert sie vielmehr in den allermeisten Fällen, nämlich überall dort, wo wir alltäglich, wo wir in Prosa sprechen oder schreiben. Ja, es gibt Sprachen, deren Sprechklang sich grundsätzlich gegen jene Synthesis sperrt: Die romanischen Sprachen beispielsweise kennen keine Akzentverse. Nur Sprachen wie die englische oder die deutsche, die sich in ihrer Silbenfolge so anordnen und vor allem in dieser Anordnung auch so sprechen lassen, dass der Reflex wirkt, lassen sich damit auch in Akzentverse bringen. Doch selbst dort kann die Sache noch unsicher bleiben – so sehr, dass selbst Goethe über ihrer Schwierigkeit verzweifeln wollte.

III
Evidenz gegen Geschichte

Ein bescheidener, unscheinbarer Reflex bestimmt auf diese Weise über eine ganze Welt von Rhythmus: über unsere rhythmische Welt. Er ist ihre mächtige Voraussetzung, er bewirkt sie, sie ersteht allein unter seiner Wirksamkeit. Unscheinbar ist er als der Reflex: der wirkt, auch ohne dass wir das mindeste von ihm wüssten. Aber gerade als dies unbewusst, unwillkürlich Wirksame ist er von solch bedeutender Kraft. Und ist er dasjenige, was sich am Taktrhythmus verbirgt.

Denn das, wonach wir gesucht hatten, das, was da rhythmisch in uns wirkt, was sich uns am Taktrhythmus so zwingend unwillkürlich vorgibt, dass Canetti umstandslos vom Rhythmus der ersten Menschen glaubte sprechen zu können, und was sich unserer Erkenntnis eben dadurch so nachhaltig entzieht: das genau ist dieser Reflex taktrhythmischer Synthesis. Wann immer wir Rhythmus, nicht nur hören, sondern auch bloß erwarten, uns vorstellen, über ihn nachdenken, gibt uns dieser Reflex unwillkürlich, ohne unser willentliches, wissentliches Zutun, also so, als gäbe es ihn nicht, seine taktrhythmischen Bestimmungen vor. Wenn Canetti über den Ursprung von Rhythmus sinniert oder Nietzsche über den der Poesie, legt ihnen der Reflex zwingend das tik-tak ins Ohr. Wenn sich Hegel ins Wesen des Rhythmus vertieft, erheben sich vor seinem inneren Ohr reflexhaft zuverlässig die Taktteile in ihrem Hervorhebungsverhältnis. Wenn ein Philologe antike Verse liest, zwingt ihn der Reflex dazu, deren Silben geschichtswidrig mit dem abwechselnden betont und unbetont zu belegen.

Also ist es dieser Reflex auch, der die historischen Schwierigkeiten bereitet, von denen die Rede war; ist er jenes Neuzeitliche, das wir nachträglich über das Ältere legen, als wäre dieses schon immer gleich dem Neuen gewesen. Die Geschichtsfälschung selbst ergibt sich reflexhaft durch ihn. Er, der sich gegen jede solche Aufklärung massiv zur Wehr setzt, allein dadurch, dass er wirkt: weil er sich eben damit als gegebene Natur setzt, er macht die historischen Schwierigkeiten, da er selbst, was er durch seine bloße Natur leugnet, historisch entstanden sein muss. Dieser Reflex ist nicht ewig-menschlichen Wesens.

Das zu glauben, sträubt sich alle innere Evidenz unseres Empfindens. Der Leser sollte sich nicht wundern, falls er kaum an die Existenz dieses Reflexes glauben will oder wenigstens Taktrhythmus und Musik nicht von ihm mag abhängen sehen. Ich bin mir im Klaren darüber – vom eigenen Beispiel belehrt, belehrt durch die jahrhundertalten Irrtümer der Rhythmustheorie, aber auch durch zahllose Gespräche über das Thema –, dass uns noch der genaueste Nachweis von Existenz und Wirkung dieses Reflexes keine Vorstellung davon zu lehren vermag, wie weit er an bestimmten Hörvorgängen beteiligt sein muss. Hörvorgänge, die sich für uns ganz von selbst machen, Klänge, die uns einfach nur sie selbst zu sein scheinen, wir können uns in ihnen keine Leistung unserer selbst vorstellen, da wir nun einmal nichts von Anstrengung und Leistung in uns bemerken.

Umso schwieriger, geradezu unerträglich nun die Vorstellung seiner Geschichtlichkeit: dass wir diesen Reflex in uns tragen, die Menschen ihn aber nicht schon immer in sich getragen hätten. Wer den inneren Widerstand gegen eine solche Vorstellung so recht aktuell empfinden will, braucht nur einmal sein Audiogerät einzuschalten und irgendein Stück populärer Musik abzuspielen. Ohne weiteres wird er den zumeist recht wohl markierten Taktschlag darin wahrnehmen, der Rhythmus geht ihm unmittelbar ein, und ebenso unmittelbar ist ihm evident: All das ist so einfach wie nur möglich; das zu hören, kann doch gar keine eigene, aktive Leistung beim Hören erfordern; es kann gar keine noch einfachere Grundlage für Rhythmus geben als die Takte; also können sie auch gar nichts anderes sein als Grundlage und Charakteristikum von Rhythmus überhaupt. Die Evidenz des Unmittelbaren und Einfachen am Rhythmusgefühl scheint jede Möglichkeit auszuschließen, dass da etwas zu leisten statt einfach gegeben wäre. Und so widerstreitet sie erst recht der Vorstellung, diese einfache Gegebenheit von Rhythmus könne gar veränderlich, sie könne geschichtlich bedingt sein.

Meine fällige Entgegnung, dass gerade diese Evidenz erst Leistung und Ergebnis des sich so einfach, eben unwillkürlich einstellenden Reflexes ist – ein Reflex macht eben alles einfach, worauf er sich erstreckt, indem er uns genau dies einfach macht –, wird wenig verfangen. Jeder Einwand, dass es ohne ihn dies Einfache nicht gäbe oder es eben deshalb nicht einfach wäre, wird mit aller Sicherheit nur den Gegeneinwand hervorrufen: Gerade die »primitive« und ursprünglichste Musik ginge doch aber nach Takten! Und zum Beleg für die Berechtigung eines solch unumstößlichen Glaubens wird man dann mit großer Zuverlässigkeit auf die afrikanischen Trommeln verweisen – Musterbeispiel einer ursprünglich-primitiv gedachten Musik und sicherer Anlass für die Offenbarung: Na, wenn es da nicht im Taktschlag geht!

Nein, tatsächlich, das tut es nicht. Selbstverständlich gibt es heute auch Afrikaner, die nach Takten trommeln, doch für die Rhythmusgeschichte ist das nicht aufschlussreicher als die Improvisation eines Deutschen auf dem Didgeridoo. Nein, für das Argument, der Taktschlag sei der Ursprung alles Rhythmischen, könnten allein die »ursprünglichen« Rhythmen zählen, also die traditionell gespielten Trommeln Afrikas. Und die gehen nicht nach Takten. Sie gehen vielmehr so entschieden nicht danach, dass sie geradezu als Paradebeispiel für eine andere Art von Rhythmik dienen können.

So zum Beispiel hat sie Robert Jourdain im Rhythmuskapitel seines Buches »Music, Brain, and Ecstasy« verwendet. In Schnitt-Gegenschnitt-Technik stellt er dort ein europäisches Orchesterkonzert dem traditionellen afrikanischen Trommelspiel gegenüber.

Es ist acht Uhr abends. Unter dem winterlich verhangenen Himmel Wiens versammelt sich eine Menschenmenge vor einem Konzertsaal. Sie kamen, um ein schon festes Ritual an Weihnachten zu begehen, die Aufführung des »Nussknackers«.

Am gleichen Tag zur selben Zeit findet sich eine andere Gruppe von Menschen zusammen, um Musik zu lauschen, allerdings nicht in Wien, sondern etwa sechstausend Kilometer weiter südlich in Zentralafrika. Etwa hundert Bauern haben sich auf dem zentralen Platz ihres Dorfes versammelt. Es ist die Zusammenkunft eines der traditionellen Naturvölker, bei denen ein Großteil der gesamten Weltmusik noch heute praktiziert und konsumiert wird.

Im Norden und im Süden beginnt im selben Moment die Musik.

In Wien beginnt die »Miniatur Ouvertüre«. Einige im Publikum klopfen diskret und lautlos den Takt mit dem Fuß. EINS-zwei, EINS-zwei, EINS-zwei.

In dem afrikanischen Dorf schlägt die Trommel folgendes Muster: EINS-zwei-drei-vier-fünf, EINS-zwei-drei, EINS-zwei-drei, EINS-zwei-drei-vier-fünf. Die Herumstehenden tanzen begeistert mit.

In Wien ist es jetzt Zeit für den »Marsch«: EINS-zwei-DREI-vier, EINS-zwei-DREI-vier.

Im Dorf schlägt ein zweiter Trommler ein EINS-zwei-EINS-zwei-drei-EINS-zwei-EINS-zwei-drei-EINS-zwei gegen das unterschiedliche Muster des ersten Trommlers.

In Wien erklingt der »Tanz der Rohrflöten«: EINS-zwei, EINS-zwei.

Im Dorf vermischt sich der Gesang von Frauen mit den Trommeln, setzt ein, setzt aus, in immer neuen Varianten.

In Wien neigt sich der »Nussknacker« seinem Ende zu. Waldhörner stimmen den »Blumenwalzer« an: EINS-zwei-drei, EINS-zwei-drei.

Im Dorf hat sich ein weiterer Trommler der Versammlung zugesellt: EINS-zwei-drei-VIER, EINS-zwei-drei-VIER. Er stimmt in die Trommeln ein, fängt aber auf einem anderen Schlag an. Das Fest dauert an bis weit in die Nacht.

Was geschieht an beiden Plätzen? Beim Wiener Konzert ist alles bis zum höchsten Maße der Verfeinerung gesteigert – der Konzertsaal, die Instrumente, die Noten, die Proben, die Ausbildung der Musiker. Die Musik selbst erblüht durch erlesene Melodien, Harmonien und geschickte Orchestrierung. In seiner rhythmischen Entwicklung scheint die Musik jedoch wie ein Baby, das mit einem Löffel gegen einen Topf schlägt. Die afrikanischen Dorfbewohner scheinen währenddessen trotz Mangels an technologischem Know-how den Rhythmus hoch entwickelt zu haben. Nur wenige der Wiener Musiker könnten mit ihren rhythmischen Fähigkeiten mithalten.

Aber nicht so schnell. 31

Nein, nicht so schnell; denn es geht nicht jeweils um dieselben rhythmischen Fähigkeiten, die nur beidemale unterschiedlich hoch entwickelt wären, sondern es geht hier und dort um grundsätzlich unterschiedliche Arten von Rhythmus: »in Wien« um denjenigen der Taktwahrnehmung, »im Dorf« – nun, um eine Rhythmik, die eben nicht der Taktwahrnehmung entspringt und ihr deshalb auch nicht gehorcht. Was »in Wien« hochentwickelt-primitiv und »im Dorf« primitiv-hochentwickelt erscheint, gehört »zwei sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Rhythmus« an, wie Jourdain schreibt, oder, wie richtiger zu sagen wäre, nicht bloß unterschiedlichen »Vorstellungen«, sondern einer bis in die Tiefen der synthetischen Leistungen hinein unterschiedlichen Wahrnehmung von Rhythmus.

Worin besteht der Unterschied zwischen beiden? Es fällt offenbar nicht leicht, das zu bestimmen, denn Jourdain gerät damit in einige – die übliche – Not. Schon seine Beschreibung des Taktrhythmus bleibt wie allermeistens grob unscharf und unvollständig:

Auf der einen Seite gibt es die bekannte Vorstellung von Rhythmus als Muster betonter Schläge. Diese Abfolgen können sich von einem Moment zum nächsten ändern und lassen sich durch Synkopen und andere Kunstgriffe modifizieren und damit abwechslungsreicher gestalten. Für den Großteil der populären Musik weltweit ist dies der vorherrschende Begriff von Rhythmus.

So viel oder wenig zu »Wien« und dem Taktrhythmus. Schwieriger noch wird es mit dem »Dorf« und seiner Rhythmik jenseits von Takten.

Die zweite Auffassung von Rhythmus ist so unterschiedlich, dass sie auf den ersten Blick gar nichts mit Rhythmus zu tun zu haben scheint.

Nämlich genau dann nicht, wenn man unter Rhythmus zwingend und unwillkürlich bereits Taktrhythmus versteht. Diese zweite »Auffassung«, nein, diese andere Art von Rhythmus fasst Jourdain nicht zu Unrecht als eine von zeitlich irgendwie strukturierten Abläufen. Wodurch sie sich spezifisch bestimme, vermag er lediglich negativ anzugeben: nicht durch Takte.

Es ist der Rhythmus eines Langstreckenläufers oder eines Stabhochspringers, der Rhythmus von Wasserfontänen und Wind, der Rhythmus der segelnden Schwalbe oder des schleichenden Tigers. Es ist auch der Rhythmus der Sprache. Dieser Form des Rhythmus fehlen die in Takte eingeteilten wiederholten und gleichmäßigen Akzente.

Eine Negation, die zweifellos zutrifft. Doch was weiß man damit von dieser »anderen« Rhythmik? Jourdain versucht es mit einem bildhaften Vergleich:

In der Musik wird diese Art von Rhythmik durch die Abfolge unregelmäßiger Klangfiguren gebildet, die sich auf wechselnde Art miteinander verbinden wie die Teile eines Gemäldes, die sich manchmal in exquisitem Gleichgewicht befinden, manchmal die Kräfte vereinigen, um zu kreisen, unterzutauchen oder herumzuwirbeln. 32

Ein schöner Vergleich; aber er klärt nicht genug.

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