Kitabı oku: «Mühlviertler Kreuz», sayfa 4

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5. KAPITEL

Die Gruppeninspektoren Hermann Kolanski und Edwin Mirscher fuhren zu den Eltern der Braut. Durch den Umstand, dass Stern und Grünbrecht neben dem Bräutigam auch dessen Eltern befragten, fiel Kolanski und Mirscher nun doch eine der schwierigsten Aufgaben der Mordermittlung zu: den Eltern sagen zu müssen, dass ihr Kind tot war.

»Wenn ich mir denke, dass Mara und ich auch bald heiraten, wird mir ganz flau im Magen«, ließ Mirscher während der Fahrt seinen Kollegen wissen.

»Du bekommst doch nicht etwa kalte Füße?«, fragte Kolanski überrascht.

»Ich? Nein! Im Gegenteil! Ich kann es kaum erwarten, dass Mara meine Frau wird.« Mirscher strahlte bei dem Gedanken, was ihn wie einen kleinen Jungen aussehen ließ. Er fuhr sich mit der Hand mehrmals durch seine Stoppelhaare und lachte. An die kurze Pracht musste er sich erst gewöhnen, genau wie Kolanski, der seinem Kollegen, seit dieser eine neue Frisur hatte, bei jeder passenden Gelegenheit wie einem Lausbuben durch die Haare rubbelte. Die Neckerei würde Kolanski vermissen, wenn Mirscher nicht mehr bei der Mordgruppe, sondern beim Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung arbeitete. Schon bald sollte der Wechsel vollzogen werden. Wahrscheinlich war dies Mirschers letzter Fall im Team, was Kolanski betrübte. Er mochte den Kollegen, arbeitete gerne mit ihm zusammen. Doch irgendwie vermieden sie es alle, dieses Thema anzusprechen. Es ließ sie sentimental werden, obwohl der eigentliche Grund für Mirschers Wechsel ein durchaus schöner war.

»Wie geht’s mit den Hochzeitsvorbereitungen voran?«, wollte Kolanski wissen. »Recht viel Zeit habt ihr ja nicht mehr, der 21. Juni ist bald da.«

»Das Aufgebot ist bestellt, der Priester informiert, und die Familie und die engsten Freunde sind eingeladen.«

»Was? Keine Tante Pepi und kein Onkel Horst?« Kolanski wusste, dass die Gästeliste bei Maras und Edwins Hochzeit ein besonders heikles Thema war. Mirscher wollte eine große Hochzeit – Kolanski vermutete allerdings, dass hinter diesem Wunsch wohl eher Mirschers Mutter steckte –, aber Grünbrecht zog es vor, im kleinen Kreis zu heiraten. Die selbstbewusste Gruppeninspektorin hatte sich durchgesetzt. Kolanski schmunzelte.

»Du weißt ja, wie überzeugend Mara sein kann«, erwiderte Mirscher.

»Und deine Mutter? Was sagt sie dazu?«

»Sie ist nicht begeistert, wie du dir vorstellen kannst. Sie hat gemeint, dass ich das meinen Tanten und Onkeln selber erklären muss. Sie will damit nichts zu tun haben.« Mirscher ahmte die Stimme seiner Mutter nach.

Kolanski lachte.

»Das ist nicht lustig!«, fuhr Mirscher ihn an. »Du kennst Tante Pepi nicht.«

»Nein, da hast du recht. Und so, wie du von ihr sprichst, will ich sie auch nicht kennenlernen«, erwiderte Kolanski immer noch amüsiert.

Nach weiteren zehn Minuten erreichten sie das im Zentrum von Pregarten liegende Haus der Balduins. Die Gruppeninspektoren stiegen aus und sahen sich um. Der Stadtplatz mit der etwa fünf Meter hohen Mariensäule wirkte wie ausgestorben, nur ein paar Jugendliche saßen in dem Grünflächenoval in der Sonne und blickten auf die Displays ihrer Handys, anstatt sich zu unterhalten. Ein mittlerweile gewohntes Bild, nicht nur in dieser Altersgruppe.

»Sind wir hier richtig?«, fragte Kolanski, der die Adresse prüfte. Ein Großteil der Pregartner Bevölkerung befand sich zu dieser Zeit wahrscheinlich in der Stadtpfarrkirche St. Anna zur heiligen Messe. Immerhin war Sonntag, der Tag des Herrn. Wie zur Bestätigung läuteten die Glocken der Kirche.

»Ja, sind wir«, war sich Mirscher nach einem Blick auf sein Smartphone sicher und schritt auf das Stadthaus zu. Auf dem Türschild stand kein Name, dennoch betätigte er die Klingel.

Nach einigen Augenblicken knackte es in der Sprechanlage und eine weibliche Stimme meldete sich. »Ja?«

»Frau Balduin?«

»Wer will das wissen?«

»Gruppeninspektor Edwin Mirscher vom Landeskriminalamt Oberösterreich. Wir müssen Sie sprechen.«

»Ich bin noch im Morgenmantel«, drang es blechern aus der Sprechanlage.

»Es ist dringend!«, ergänzte Mirscher.

Es knackte wieder, dann herrschte Stille.

»Frau Balduin?« Mirscher starrte die Sprechanlage entgeistert an.

»Was hast du erwartet? Dass sie am Sonntag Fremde mit offenen Armen empfängt? Wir könnten ja auch Zeugen Jehovas sein.« Kolanski trat näher und drückte selbst auf die Klingel, deutlich länger als Mirscher. Und gleich ein zweites Mal.

»Ist ja schon gut!«, drang es aus dem Lautsprecher.

»Siehst du, so macht man das.« Kolanski grinste Mirscher an.

»Ich bin mir sicher, dass sie mir auch aufgemacht hätte. Ich hätte halt nur gewartet, bis sie sich etwas Ordentliches angezogen gehabt hätte und …« Mirscher verstummte. Jemand hantierte innen mit einem Schlüssel, und angesichts der Nachricht, die sie der Familie mitteilen mussten, war eine angemessene Haltung angebracht. Mirscher streckte den Rücken durch, Kolanski nahm die Sonnenbrille ab und schob sie in die Brusttasche seines Hemdes. Schließlich ging die Tür auf und eine Frau um die 50 stand vor ihnen. Sie trug einen blauen Morgenmantel, war jedoch schon geschminkt. Die braunen glatten Haare hatte sie mit einer Spange hochgesteckt.

»Gruppeninspektor Edwin Mirscher, das ist mein Kollege Gruppeninspektor Hermann Kolanski. Wir müssen mit Ihnen und Ihrem Mann sprechen, Frau Balduin.« Mirscher hielt ihr seinen Dienstausweis hin, und sie warf einen flüchtigen Blick darauf.

»Um was geht’s denn?« Die Frau klammerte mit einer Hand den Morgenmantel vor ihrer Brust zusammen.

»Das sollten wir lieber drinnen bereden«, sagte Kolanski ausweichend. »Dürfen wir reinkommen?«

Die Frau trat nach kurzem Zögern beiseite und ließ die Kriminalbeamten ein. Dann führte sie sie die Treppe nach oben in das Esszimmer, wo ihr Ehemann gerade Kaffee trank und die Sonntagszeitung studierte. Als sie eintraten, sah er hoch und ließ die Zeitung in den Schoß sinken.

»Die Herren sind von der Polizei«, stellte Frau Balduin die Besucher vor.

»Polizei? Sie müss’n unseren Aufzug verzeih’n. Wir sind spät zu Bett g’gangen, weil unsere Tochter gestern g’heiratet hat. Und da heute Sonntag ist, dachten wir, wir könnten ausschlafen. Ich bin Gustav Balduin, meine Frau Anna kennen Sie ja bereits.« Der Hausherr faltete die Zeitung und legte sie beiseite. »Wollen S’ einen Kaffee?«

»Nein, danke«, lehnte Kolanski ab.

»Bitte setzen Sie sich«, bot ihnen Anna Balduin einen Stuhl an. »Was ist denn passiert, dass Sie uns unbedingt an einem Sonntag sprechen müssen?«

Auf dem Tisch standen neben zwei Kaffeetassen mehrere Stücke des Hochzeitskuchens, wie Kolanski und Mirscher vermuteten. Diese waren offensichtlich vom Fest übrig geblieben, und die Gäste hatten sie sich mit nach Hause nehmen dürfen, wie es bei Hochzeiten üblich war. Das Vorhandensein des Kuchens machte das Überbringen der Todesnachricht noch schwerer. Mirscher zögerte, deshalb übernahm Kolanski das Reden.

»Wir haben Ihnen leider eine traurige Mitteilung zu machen. Ihre Tochter Marion wurde heute Morgen tot aufgefunden. Unser aufrichtiges Beileid.«

Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Offenbar waren die Balduins heute noch nicht im Internet gewesen, sonst hätten sie das Foto ihrer toten Tochter – wie sie mit ausgestreckten Armen wie ein Kreuz in den Bäumen hing – schon gesehen. Oder sie nutzten prinzipiell keine sozialen Medien. Ihre Überraschung schien echt zu sein.

»Sind S’ sicher, dass es Marion ist?«, fragte der Vater. Er war kreidebleich und starrte die Beamten ungläubig an.

Die Mutter stand abrupt vom Tisch auf und griff nach ihrem Handy, das auf einer Kommode lag. Sie wischte und tippte und hielt es sich ans Ohr. Bestimmt rief sie Marion an. Die würde jedoch nicht rangehen, wussten die Kriminalbeamten.

»Sie hebt net ab«, sagte die Mutter, während die Gewissheit, dass die Männer die Wahrheit sprachen, in ihr Gehirn vordrang. Sie ließ den Arm mit dem Smartphone sinken, jedwede Energie wich aus ihrem Körper. Sie torkelte und kippte zur Seite.

Mirscher sprang ihr sofort zur Hilfe und fing sie gerade noch auf, bevor ihr Kopf gegen den Schrank prallte. Kolanski half ihm, die Frau auf den Boden zu legen und die Füße hochzulagern. Sanft tätschelte er ihr Gesicht. »Frau Balduin? Hören Sie mich?«

Gustav Balduin saß noch immer auf dem Stuhl und rührte sich nicht. Er bekam vom Ohnmachtsanfall seiner Frau nichts mit. Er starrte auf einen Fleck und murmelte ein paar Worte vor sich hin, die sich wie »Was habe ich nur getan?« anhörten, aber auch etwas ganz anderes hätten heißen können.

»Wir brauchen einen Arzt«, erkannte Mirscher und wählte den Notruf.

Inzwischen erlangte Anna Balduin ihr Bewusstsein wieder. Als sie realisierte, dass alles kein Traum gewesen war und in ihrem Esszimmer tatsächlich zwei Kriminalbeamte waren – der eine über sie gebeugt und der andere telefonierend –, schrie sie sich die Seele aus dem Leib. Es waren die Schreie einer verzweifelten Frau, die den Tod ihres Kindes nicht wahrhaben wollte. Ihn nicht akzeptieren konnte. Lieber selber sterben wollte, als weiterzuleben mit dem Wissen, die eigene Tochter nie mehr in den Arm nehmen zu können. Kolanski wollte sie berühren, doch sie schlug nach ihm, als wäre er schuld am Tod ihres Kindes. Er ließ nicht locker, zog sie an sich, bis sie ihn gewähren ließ. Schreiend und weinend. Wütend und traurig. Eine Weile saßen sie so da, bis endlich in der Ferne die Sirene des Rettungswagens ertönte.

*

»Scheiße!«, raunte Mirscher Kolanski zu, nachdem der Notarzt und das Kriseninterventionsteam gleichzeitig eingetroffen waren und die Versorgung der Balduins übernommen hatten. »Eltern sagen zu müssen, dass ihr Kind tot ist, ist echte Scheiße, das mach ich nie wieder!«

»Das wirst du auch nicht mehr müssen«, erwiderte Kolanski. »Schließlich wechselst du bald ins Landesamt für Verfassungsschutz und darfst Terroristen bekämpfen.«

»Wie kannst du dabei nur so ruhig bleiben?«, fragte Mirscher irritiert.

»Was bringt es mir, wenn ich nicht ruhig bin?«, stellte Kolanski eine Gegenfrage.

»Klugscheißer!«, fauchte Mirscher ihn an.

»Auf alle Fälle können wir die beiden als Täter ausschließen. Niemand reagiert so, wenn er vom Tod des geliebten Menschen gewusst hat«, resümierte Kolanski.

»Außer er ist ein guter Schauspieler«, warf Mirscher ein.

»Dann muss er aber ein sehr guter Schauspieler sein«, antwortete Kolanski und deutete auf den Vater, der wie betäubt auf dem Stuhl saß und regungslos geschehen ließ, was die Sanitäter mit ihm anstellten. Als die Spritze mit dem Beruhigungsmittel in seine Vene eindrang, verzog er nicht einmal das Gesicht.

Während die Mutter im Wohnzimmer auf der Couch lag und dort medizinisch versorgt wurde, setzte sich Kolanski Gustav Balduin gegenüber und fragte: »Herr Balduin, können Sie uns ein paar Fragen beantworten?«

Der Vater richtete den Blick auf den Gruppeninspektor, doch es war, als sähe er durch ihn hindurch. Als nähme er ihn nur am Rande wahr. Dennoch nickte er.

»Was ist gestern auf der Hochzeit passiert, das nicht hätte passieren sollen?« Kolanski wählte seine Worte mit Bedacht.

»Nichts. Alles war so, wie es hat sein soll’n«, antwortete Balduin.

Die Kriminalbeamten wussten nicht, ob sich der Vater das jetzt einredete, um mit der Situation klarzukommen, oder ob es tatsächlich so gewesen war. Die Menschen neigten dazu, die Dinge im Nachhinein schönzufärben, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen.

»Gab es Streit?«

Gustav Balduin überlegte. »Nein.«

»Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?«

»Nach Mitternacht, als wir nach Hause g’fahren sind.«

»Wann war das?«

»So um 1 Uhr, vielleicht ein wenig später.«

»Was hat Marion da gerade gemacht?«

»Mich ang’schrien.«

»Sie hat Sie angeschrien?« Die Gruppeninspektoren waren überrascht, dass der Vater dies so offen zugab. Immerhin konnte man daraus ein Motiv ableiten. »Weshalb hat Marion Sie angeschrien?«

Der Vater räusperte sich. Anscheinend wusste er nicht, wie er das, was ihm auf der Zunge lag, sagen sollte. »Weil ich sie mit dem jungen Hallsteiner verheiratet hab und sie das plötzlich für keine so gute Idee mehr g’halten hat«, sagte er dann.

»Sie haben was?«, entfuhr es Mirscher, der inzwischen ebenfalls an den Tisch herangetreten war und sich mit beiden Armen dort abstützte.

»Sie mit ihm verheiratet«, beantwortete Balduin die Frage, als wäre es das Natürlichste, was es gab.

»Wie dürfen wir das verstehen? Haben sich die beiden denn nicht geliebt?« Kolanski war nicht klar, was sie mit Balduins Aussage anfangen sollten. Ob sie dadurch tatsächlich auf ein Motiv schließen konnten oder ob sie den Vater möglicherweise missverstanden.

»Ich hab Schulden. Meine Firma, Balduin Gewürze, läuft net mehr so gut wie früher. Wir hab’n schon lange Marktanteile an die billige Konkurrenz im Ausland verlor’n. Die Produktion in Österreich ist teuer, hochqualitative Rohstoffe sind teuer. Die Leute woll’n zwar Qualität, aber sie woll’n nix dafür bezahlen. Um net Insolvenz anmelden zu müssen, haben Viktor Hallsteiner und ich einen Deal abgeschlossen. Ich bekomm von ihm fünf Millionen Euro, und meine Tochter heiratet dafür seinen nichtsnutzigen Sohn«, erzählte der Vater ohne jegliche Gefühlsregung. Wahrscheinlich wirkte das Beruhigungsmittel schon, oder er war ein Mensch, der prinzipiell nicht offen zeigte, wie es ihm ging. Denn dass der Tod der eigenen Tochter keine Emotionen hervorrief, konnten sich weder Mirscher noch Kolanski vorstellen.

»Wow!«, stieß Mirscher aus. »Kein Wunder, dass sie Sie angeschrien hat.«

»Wieso nichtsnutzigen Sohn? Wie kommen Sie dazu, ihn so zu nennen? Und wieso haben Sie trotzdem Ihre Tochter mit ihm verheiratet? Erklären Sie mir das«, verlangte Kolanski.

»Sein eigener Vater nennt ihn so. Anscheinend taugt er net zur Arbeit, zumindest zu keiner, wie sie vonnöten wäre, um ein Unternehmen zu führen«, sagte Balduin. »Da ist Härte ang’sagt, dafür braucht man Disziplin und Fleiß und keinen verzogenen reichen Bengel, dem sein Leben lang alles in den Arsch g’schoben worden ist.«

Kolanski musste sich zusammenreißen, um Ruhe zu bewahren. Die Worte des Vaters wühlten ihn auf. Er sah Mirscher an, dass es ihm genauso erging.

»Aber wieso hat Marion Sie erst gestern deswegen angeschrien? Dass Sie Ihre Tochter mit Fabian verheiraten wollten, wissen die beiden sicher schon länger. Ihre Tochter müsste sich demnach bereits viel früher über diesen Deal empört haben, oder irre ich mich da?« Kolanski ließ nicht locker. Entweder tischte ihnen der Mann gerade das allergrößte Märchen auf, das im Mühlviertel je erzählt worden war, um etwas anderes zu vertuschen, oder seine Aussage entsprach tatsächlich der Wahrheit. So eine verrückte Geschichte konnte man sich unmöglich in so kurzer Zeit einfallen lassen.

»Sie hab’n recht«, pflichtete Gustav Balduin Kolanski bei. »Das hat sie auch getan. Aber gestern hat sie mir g’sagt, dass sie mich in nächster Zeit nicht sehen will und über so einiges nachdenken müsse.«

»Sie haben Ihre Tochter verkauft«, fasste Kolanski zusammen. »Wer kann ihr da verdenken, dass sie Sie nicht sehen wollte?«

»Ja, ich hab sie verkauft.« Balduin starrte mit versteinerter Miene aus dem gegenüberliegenden Fenster.

»Haben sich Ihre Tochter und der junge Hallsteiner vorher überhaupt gekannt? Oder von was reden wir hier?«

»Gekannt ist zu viel g’sagt. Die Hallsteiners wohnen ja in Gutau. Marion und Fabian sind sich ein paarmal begegnet, also waren sie sich net gänzlich fremd.«

»Und?«

»Was und?« Der Blick von Balduin richtete sich auf den Gruppeninspektor.

»Haben sich die beiden zumindest gemocht? Sympathisch gefunden oder dergleichen?«, half er dem Vater auf die Sprünge.

»Ich … ich weiß es net«, gab dieser zu.

»Und es war dir auch egal!«, zischte Anna Balduin. Sie stand plötzlich in der Tür und sah ihren Mann an. Ihr Gesichtsausdruck verriet Abscheu und Wut.

»Es war mir net egal …«

»Lügner!«, schrie sie.

»Aber …«

»Sei still!«

Erst jetzt bemerkten die Ermittler das lange Küchenmesser in Anna Balduins Hand.

»Es ist deine Schuld, dass Marion tot ist!«, rief sie und stürzte sich auf ihren Mann.

6. KAPITEL

Oskar Stern saß auf der bequemen Ledercouch im Wohnsalon der Hallsteiners und starrte die Tochter der Familie an. Christine hatte ihnen gerade mitgeteilt, dass Marion am Tag ihrer Hochzeit Sex gehabt hatte – jedoch nicht mit ihrem frisch angetrauten Ehemann.

»Können Sie das wiederholen?«, bat er so ruhig wie möglich. Denn auch die restlichen Familienmitglieder schienen diese Neuigkeit erst mal verdauen zu müssen, allen voran Fabian Hallsteiner. In dem Wohnsalon war es mucksmäuschenstill. Das Entsetzen darüber schien ähnlich groß zu sein wie über Marions Ableben.

»Ich habe Marion das letzte Mal gesehen, als sie mit dem Sänger der Band gevögelt hat«, wiederholte Christine genüsslich, wohl wissend, welche Lawine sie damit auslöste.

»Das kann nicht sein!«, zischte die Mutter empört.

»So war es aber, Mama«, bekräftigte Christine mit fester Stimme. Ihr Blick und jener der Mutter wanderten zu Fabian hinüber. Beide wollten wissen, wie er darauf reagierte.

»Ich glaube dir«, flüsterte der junge Mann, der jetzt nicht nur zu verkraften hatte, dass er kaum verheiratet schon Witwer war, sondern ebenso, dass seine Ehefrau ihn in dieser kurzen Zeit auch noch betrogen hatte.

»Du glaubst ihr?«, rief die Mutter schrill.

»Sie hat ihn vor mir und unseren ganzen Gästen geküsst, mitten auf der Bühne«, erzählte Fabian. »Und damit nicht genug. Sie ist mit ihm an die Bar gegangen und hat mit ihm getrunken … Sie wollte ihn. Das war offensichtlich.« Traurigkeit schwang in Fabians Worten mit, und jeder der Anwesenden wusste, dass er sich damit selbst belastete. Indem er zugab, Marion mit dem Sänger beobachtet zu haben, hatte er ein erstklassiges Motiv.

»Alle haben sie begrabscht, sogar dein Vater«, warf Stefanie Hallsteiner wieder etwas ruhiger ein. Es war ihr anzusehen, wie sehr es sie bei der Erinnerung ekelte, dass sogar der eigene Ehemann die Schwiegertochter unsittlich berührt hatte.

»Das hört sich nicht nach einer Hochzeit an, wie ich sie kenne«, sagte Stern. »Ich schlage vor, sie erzählen mir genau, was gestern vorgefallen ist, das nicht hätte vorfallen sollen. Zumindest nicht auf einer Hochzeit.«

»Der Albert war megaeifersüchtig«, sprudelte es aus Christine heraus.

»Christine!«, maßregelte die Mutter die Tochter, weil sie erneut Klatsch und Tratsch verbreitete.

»Es stimmt doch!« Christine lehnte sich nach vorn, damit der Chefinspektor sie besser verstehen und ihre Mutter sie nicht erneut unterbrechen konnte. »Er hat immer wieder zu Marion rübergeschaut, und die hat ständig mit den Männern geflirtet, wahrscheinlich aus Trotz, weil sie Fabian nicht heiraten wollte. Und das hat dem Albert halt nicht gefallen.« Christine kicherte, als unterhielten sie sich über die Intrigen einer Daily Soap.

»Wer ist dieser Albert? Hat er auch einen Familiennamen?«, hakte Stern nach und fragte sich, wo Grünbrecht so lange blieb. Viktor Hallsteiner hatte sich bestimmt längst beruhigt, immerhin hörte er ihn nicht mehr schreien. Vielleicht waren sie mit diesem Albert auf eine Spur gestoßen, da wäre es gut, wenn sie mithören würde, was die Familie zu berichten hatte.

»Albert Freiherr«, beantwortete Christine Sterns Frage.

Fabian und Stefanie Hallsteiner waren hingegen nicht so freizügig mit Informationen. Ihnen wäre es am liebsten, wenn Christine ebenso den Mund hielte. Während sie den Namen preisgegeben hatte, hatten sie sie mit Blicken bedacht, die Stern nicht klar deuten konnte. Aber eines war offensichtlich: Erfreut über Christines Redefreudigkeit waren sie keinesfalls.

»Was haben Sie vorhin damit gemeint, dass Ihr Ehemann Marion begrabscht hat?«, richtete Stern seine nächste Frage an die Mutter.

Die biss sich auf die Lippen. Anscheinend bereute sie es, diese Aussage getätigt zu haben.

»Ich hab gesehen, wie er ihr an den Hintern gegriffen und sie gekniffen hat«, antwortete Christine anstatt ihrer Mutter.

Die sog genervt die Luft ein und giftete ihre Tochter an. »Nichts hast du gesehen! Gar nichts! Das sind nur Spinnereien einer Halbwüchsigen.«

»Wir werden das nachprüfen. Vielleicht hat es ja wer anderer ebenfalls mitbekommen«, sagte Stern.

»Und dann war da noch so einer, ich hab ihn nicht gekannt, aber der hat sich auch an Marion rangemacht. Er hatte wunderschöne Augen, das weiß ich, weil ich mir gedacht habe, dass es doch irgendwie schade ist, dass der auf Marion steht, wo sie jetzt ja eh verheiratet ist. Die beiden sind sogar mal zusammen …«

»Christine!«, rief die Mutter erzürnt. »Nun ist es aber genug! Du bringst die ganze Familie in Verruf!«

»Nein, Mama, das brauche ich gar nicht zu tun. Das macht jeder von uns selber«, spie Christine ihrer Mutter entgegen, stand auf und wollte den Wohnsalon verlassen, aber Stern hielt sie zurück.

»Was sind die beiden zusammen?«, wollte er das Ende der Geschichte hören. Vielleicht war es wichtig.

»Abgehauen«, sagte Christine. »Sie sind zusammen abgehauen.«

Stern ließ die junge Frau los. Die stapfte an der Mutter und ihrem Bruder vorbei und knallte beim Verlassen des Wohnsalons die Tür hinter sich zu.

»Ich muss sagen, die Hochzeit war schon etwas ungewöhnlich«, fasste Stern das Gehörte zusammen.

»Sie sagen es«, seufzte die Mutter, die sich durch die Abwesenheit der Tochter ein wenig zu entspannen schien.

»Kann ich auch gehen?«, fragte Fabian.

»Einen Moment bitte. Sie können sich zwar nicht mehr daran erinnern, wie Sie nach Hause gekommen sind, aber wissen Sie vielleicht noch, wie spät es gewesen ist, als Sie die Burg Reichenstein verlassen haben?«

»Leider nein«, antwortete Fabian.

»Was ist mit Ihnen? Sie haben Fabian ja mit nach Hause genommen. Wie spät war es da?«, fragte Stern die Mutter.

»Brauche ich ein Alibi?«

»Alle, die auf der Hochzeit gewesen sind, brauchen ein Alibi.«

»Wir sind so zwischen 1 Uhr und halb zwei nach Hause gefahren. Um 2 Uhr lag ich im Bett«, sagte Stefanie Hallsteiner.

»Können Sie mir den Namen des Sängers der Band nennen?«

»Nein, den kenne ich nicht. Du, Fabian?«

»Er heißt Goliat«, wusste Fabian Hallsteiner.

»Goliat? Wie der aus der Bibel?« Stern hatte im Laufe seiner Karriere allerlei Künstlernamen gehört, doch ein Goliat war nie darunter gewesen. Er stellte sich diesen Goliat als Hünen vor, mindestens zwei Meter groß und einen Zentner schwer.

»Keine Ahnung.« Fabian zuckte mit den Schultern. »Wenn unsere Familie etwas nicht ist, dann religiös. Vaters Religionen sind Geld und Macht, da ist kein Platz für einen weiteren Gott«, fügte er spöttisch hinzu.

»Na gut, also Goliat. Und wie weiter?«

»Das weiß ich nicht. Aber die Band heißt Canticum Lupi.«

»Wir brauchen unbedingt eine Gästeliste von der Hochzeit«, verlangte Stern.

Die Mutter erhob sich, ging zu einem Schrank, öffnete eine Schublade und zog ein mehrseitiges Dokument aus einer Klarsichtfolie heraus. Damit kehrte sie zurück und reichte es Stern mit den Worten, dass sie hoffe, dass er die Liste vertraulich behandle. »Darunter sind Geschäftspartner meines Mannes, hochrangige Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn die …«

»Ich kann Ihnen nichts versprechen, Frau Hallsteiner. Das ist eine Mordermittlung, und wenn uns die Herrschaften verdächtig erscheinen oder uns behilflich sein können, den Mord aufzuklären, müssen wir sie befragen«, stellte Stern klar.

»Ich bitte Sie ja nur, diskret vorzugehen.«

»Das tun wir immer. Gut, das war’s vorerst. Ich bin mir allerdings sicher, dass wir noch Fragen an Sie haben werden, also halten Sie sich zu unserer Verfügung. Ich finde alleine hinaus. Auf Wiedersehen.« Stern erhob sich und verließ den Wohnsalon. Er schritt den Flur des rechten Flügels entlang, über den sie die Haushälterin zuvor hereingeführt hatte. Plötzlich vernahm er laute Stimmen. Es waren jene von Mara Grünbrecht und Viktor Hallsteiner. Wie es sich anhörte, stritten die beiden.

»Fassen Sie mich nicht an!«, rief Viktor Hallsteiner in einem der vorderen Zimmer. Jemand erwiderte etwas in monotonem Tonfall, versuchte beruhigend auf den Hausherrn einzureden. Stern kam näher und ließ die angelehnte Tür aufschwingen, hinter der er Grünbrecht und Hallsteiner vermutete. Noch eine weitere Person war anwesend: ein Mann in Jeans und weißem Poloshirt. Nach seinem Streben zu urteilen war er Arzt und wollte sich die Wunde auf Viktor Hallsteiners Haupt ansehen, wogegen Hallsteiner heftig protestierte.

»Was ist hier los?«, wollte Stern wissen und betrat den Raum, der vollgestopft war mit Regalen und Ordner. An der Wand gegenüber dem Schreibtisch stand eine Couch, auf der sich Viktor Hallsteiner halb sitzend, halb liegend gegen den Arzt zur Wehr setzte.

»Er will sich nicht von Dr. Mostner untersuchen lassen«, erklärte Grünbrecht ihrem Chef. »Dabei hab ich den Arzt extra herbestellt.«

»Wenn Herr Hallsteiner nicht will, dann lasst ihn. Ist schließlich sein Schädel«, erwiderte Stern.

»Er gehört in ein Krankenhaus. Ich bin mir sicher, dass er neben der Platzwunde an seinem Kopf, die übrigens genäht werden muss, auch eine Gehirnerschütterung hat. Wie schwer die ist, müssen die Kollegen feststellen. Auf alle Fälle braucht er Ruhe«, sagte der Mediziner.

Grünbrecht trat an ihren Chef heran und flüsterte ihm zu: »Ich bin mir sicher, dass die Verletzung nicht von dem Sturz im Haus herrührt. Sie hat längst aufgehört zu bluten. Vielleicht passt seine DNA ja zu jener, die wir bei dem Mauervorsprung oben in der Hochburg gefunden haben, und vielleicht befinden sich in der Wunde Verunreinigungen, die wir dem Tatort zuordnen können.«

»Gut gemacht«, erwiderte Stern genauso leise, wandte sich von seiner Kollegin ab und diesem Dr. Mostner und Viktor Hallsteiner zu. »Herr Hallsteiner, wir lassen Sie ins Freistädter Krankenhaus bringen. Die sollen sich Ihren Kopf mal genauer ansehen.«

»Aber Sie können doch nicht …«

»Natürlich kann ich. Ich bin von der Polizei«, unterbrach Stern den Hausherrn und holte sein Handy heraus, um einen Krankenwagen zu rufen. Außerdem teilte er den Ärzten im Spital mit, dass sie die Materialien, die bei der Säuberung der Wunde anfallen würden, ins Landeskriminalamt zu seinen Handen schicken sollten. Viktor Hallsteiner war jetzt nicht mehr nur der Schwiegervater der Toten, der ihr an den Hintern gegriffen hatte, sondern außerdem ein Verdächtiger.

»Ich verabschiede mich.« Dr. Mostner klappte seine Arzttasche zu und ging zur Tür.

»Danke trotzdem, dass Sie gekommen sind«, sagte Grünbrecht, bevor der Arzt das Haus verließ.

»Herr Hallsteiner, erzählen Sie mir vom gestrigen Abend. Bis der Rettungswagen kommt, haben wir noch ein wenig Zeit«, forderte Stern den Hausherren auf, der nun niedergestreckt auf der Couch lag. Anscheinend hatte er den Widerstand aufgegeben.

Hallsteiner seufzte. »Es war ein Desaster. Ich war froh, als die Feier vorüber war.«

»Können Sie uns das näher erklären?«

»Die Hochzeit hätte ein Triumph sein können, wo sich alles, was Rang und Namen hat, die Hände schüttelt. Stattdessen war sie ein Rachefeldzug unserer Kinder, die beweisen wollten, dass sie sich nicht länger etwas von den Eltern sagen lassen.«

»Die Ehe war arrangiert, was haben Sie erwartet?«

»Diese Frau zu heiraten war ein Glücksfall für unseren Sohn!«, brauste Hallsteiner auf und hielt sich sogleich den schmerzenden Kopf.

»Warum sollte es ein Glücksfall für Fabian sein, wo er sie doch gar nicht geliebt hat?«, hakte Stern nach.

»Liebe wird überbewertet. Sie kommt und geht, danach ist nichts mehr.«

»Ist das bei Ihnen und Ihrer Frau der Fall?«

Viktor Hallsteiner schwieg.

»Weshalb hätte Fabian diese Ehe denn glücklich machen sollen?«, wiederholte Stern seine Frage.

»Marion war eine gute Partie. Wenn wir das Unternehmen ihres Vaters saniert hätten, hätte es bald wieder Gewinne abgeworfen. Wir hätten expandieren können, ein Gewürzimperium erschaffen, das die ganze Welt beliefert. Amerika! China! Australien! Nichts wäre unerreichbar gewesen! Wir hätten eine eigene Marke kreiert. Ich hatte schon Pläne …« Hallsteiners Gesicht leuchtete, als er davon erzählte. Das war seine Welt, in der er sich auskannte, in der er lebte und für die er bereit war, alles zu geben. Auch seinen Sohn, indem er ihn in eine Ehe zwang.

»Haben Fabian und Marion diese Pläne geteilt?«

Hallsteiners Miene verfinsterte sich. »Dafür waren sie zu jung und zu unreif, hatten nur das Ausgehen im Sinn, mit Freunden abhängen und so etwas. Aber eines Tages hätten sie es verstanden.«

»Herr Hallsteiner, wann sind Sie, Ihr Sohn und Ihre Frau von der Hochzeit nach Hause gefahren?«, fragte Stern, obwohl er die Antwort schon von der Ehefrau gehört hatte. Er wollte wissen, ob sich die Aussagen deckten.

»Ich glaube, es war so gegen 1 Uhr, ich hab nicht darauf geachtet. Ich wusste ja nicht, dass ich danach gefragt werde.«

»Als Sie Marion das letzte Mal gesehen haben, was hat sie da gemacht?«

»Sie hat mir zu verstehen gegeben, dass ich sie in Ruhe lassen soll.« Hallsteiner starrte an die Decke des Arbeitszimmers.

»Weshalb sollten Sie sie in Ruhe lassen?«, hakte Stern nach, obwohl er auch das wusste. Christine und Stefanie Hallsteiner hatten erzählt, dass er Marion unsittlich berührt habe. Mit ziemlicher Sicherheit war das der Grund für die Zurückweisung gewesen. Wenn die Presse Wind davon bekäme, dass der mächtige Viktor Hallsteiner – Großgrundbesitzer, Sägewerkinhaber, Bauunternehmer und Spielhallenbetreiber – seine Schwiegertochter belästigt hatte, gäbe das sensationelle Schlagzeilen. Somit hatte er ebenso ein Motiv, Marion zum Schweigen zu bringen, desgleichen seine Ehefrau, die sich mehr um das Ansehen der Familie Sorgen zu machen schien und weniger um das Wohlergehen ihres Sohnes.

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23 aralık 2023
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9783839269602
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