Kitabı oku: «Drei Mädchen am Spinnrad», sayfa 2
»Kinder, nun hört von dem Major auf!« rief die Mutter. »Sagt mir lieber, wie wir nach Hause kommen sollen. Kein Auto, keine Droschke. Und dabei sieht es ganz so aus, als ob es gleich schneien würde.«
»Es schneit sogar schon,« entgegnete Beate, »ich habe eben eine Flocke auf meiner Nase gespürt.«
Sie standen auf der Straße und schauten sich um. Das Wetter hatte sich verändert. Der Himmel war stahlgrau geworden und tiefer gerückt. Die Sonne hatte keine Leuchtkraft mehr; sie hing wie eine rote Metallscheibe im Märzendunst. Über dem Einschnitt der Eisenbahn quoll eine graue Dampfwolke. Die ersten Straßenreihen jenseits der Brücke umgitterte schon streifiger Nebel. Die Atmosphäre hatte eine beingraue Färbung; weiße Kristalle tanzten wie Federn durch die Luft.
Die elektrische Bahn klingelte heran,
»Wohin fährt sie?« fragte Beate.
»Ganz gleich,« erwiderte die Mutter. »Wir steigen ein und fahren mit, bis wir in belebtere Gegend kommen. Da werden wir ja eine Droschke finden.«
Die Elektrische hielt. Der Schaffner war höflich und wollte Frau von Göchhusen beim Aufsteigen die Hand reichen. Aber ein junger Mann mit einem großen Schlapphut auf dem Kopfe und, einem Schal um den Hals kam ihm zuvor.
»I, Krempel!« rief Frau von Göchhusen, »wo kommen Sie denn her?!«
»Herrjeh, Krempel!« rief auch Maxe und ebenso Elfriede, während Beate etwas feierlicher sagte: »Guten Tag, Krempelius; es ist merkwürdig, daß man dich überall findet, wo man dich durchaus nicht erwartet.«
Dann kletterten alle in den Wagen, mit Unterstützung Krempels, der jede der Damen an den Arm faßte und ihr beim Aufsteigen einen leichten Schwung, gab, wobei sein seltsam rundes pausbackiges Gesicht vor Freude glänzte, ohne daß er jedoch ein Wort sprach.
Früher hatten die Göchhusens ein ganzes Haus in der Regentenstraße bewohnt, aber seit der Scheidung der Frau Magda von ihrem Mann beschränkte sie sich auf die erste Etage. Es war ja richtig: ihr Gatte hatte sie und die Kinder nicht auf dem Trockenen sitzen lassen. Er hatte sie mit einer runden Million Mark abgefunden, und das konnte er auch ganz gut, denn er stammte aus reicher Familie, und seine zweite Frau war eine Espinosa del Mercado, eine Tochter des berühmten Generals, der nach der Erschießung Kaiser Maximilians durch einen jener merkwürdigen Zufälle, die man Eilboten des Glücks nennen könnte, die Silber- und Bleierzminen bei Queretaro entdeckt hatte. Aber auch mit den Zinsen dieser Million konnte Frau von Göchhusen das Leben im großen Stil, wie man es ehedem gewohnt war, nicht weiterführen. Sie hatte ursprünglich daran gedacht, das Haus in der Regentenstraße ganz zu verkaufen und sich irgendwo eine Mietswohnung zu nehmen. Doch sie hing an diesen Räumen, in denen sie so viel Glück und auch so bittere Stunden verlebt hatte, und in einer ihrer sentimentalen Anwandlungen, von denen sie bei aller sonstigen Realistik in der Daseinsbewegung nicht frei war, hatte sie beschlossen, sich nicht von dem alten Hause zu trennen.
Ein altes Haus war es freilich: zu einer Zeit erbaut, der das moderne architektonische Raffinement noch fremd war und die nicht einmal Dampfheizung und Warmwasserversorgung kannte. Aber sein altmodisches Äußere hatte doch auch einen Zug von großväterlicher Liebenswürdigkeit; der Stil erinnerte an die friderizianischen Jahre, und beim Anblick der girlandentragenden Putten über dem Gesims des ersten Stockwerks konnte man, an die bescheidenen Anakreontiker der brandenburgischen Mark denken. Zudem standen zwei alte Kastanienbäume vor dem Portal, die alle Frühjahr ihre roten Blütenkerzen entfalteten und im Herbst ihre Früchte verloren, so daß sich die Schulkinder mit den braunen Früchten ganze Schlachten liefern konnten. Auch lag hinter dem Hause, von hohen Mauern umschlossen, die mit Geißblatt und Efeu verkleidet waren, ein hübscher Garten, den die Mädchen um so mehr schätzten, als sie ihre Kindheit auf dem Lande verbracht hatten und auch ererbter Veranlagung nach Natursinn besaßen. Von diesem Gärtchen aus, dessen Hauptzier ein Tulpenbaum war, den man als Seltenheit einschätzte, weil er mit seltsamer Unregelmäßigkeit blühte, führte eine steinerne Treppe zu einem verdeckten Balkon, der den rückwärtigen Abschluß der Göchhusenschen Wohnung bildete.
Sie war genügend geräumig für die vier Damen und die drei Domestiken, die zum Haushalt gehörten. Zwei von diesen Dienstboten waren altes Göchhusensches Inventar: nämlich Genander, der Koch (der aber bei Gelegenheit auch als Diener fungierte), und seine Frau Lina, die sich Wirtschafterin nannte, deren Tätigkeit jedoch mehr die eines Berliner »Mädchens für alles« umfaßte. Genander hatte Frau von Göchhusen nach ihrer Scheidung eigentlich entlassen wollen, weil sie sich sagte, daß zu einem Koch die Voraussetzung einer üppigeren Lebensführung gehörte, als sie sich eine solche künftighin zu leisten gedachte, während eine Köchin mehr im Ganzen bürgerlicher Schlichtheit steht. Aber Genander hatte dringend gebeten, ihn wenigstens noch ein Jahr zu behalten, und als das Jahr um war, sah Frau von Göchhusen ein, daß auch die beste Köchin diese Perle nicht zu ersetzen imstande sein würde: oder vielmehr diese Doppelperle, denn Lina war unzertrennlich mit ihrem Manne verbunden, und beide führten die Wirtschaft mit so viel Umsicht, daß die dritte im Bunde, die Zofe, eigentlich überflüssig geworden wäre. Aber dieser Zofe bedurften die jungen Damen dringend, zumal Elfriede, die etwas koketten Sinnes war und mit den Geheimnissen ihrer Toilette nie so recht fertig werden konnte. Und da sie aus Schönheitsgefühl nur hübsche Gesichter um sich haben wollte, so wurden auch immer nur niedliche Krabben engagiert. Dies hatte aber den Fehler häufigen Wechsels, denn erstens war die alte Lina eine Frau von stark eifersüchtigen Wallungen und Genander trotz seiner Jahre ein Mann, der für alles lebendig Frische und Rundliche viel Empfänglichkeit besaß, so daß es jenseits des großen Flurs häufig zu dramatischen Szenen kam, deren Rückschlag sich auch im Vorderhause ärgerlich bemerkbar machte. Und zweitens wohnte über den Göchhusens ein Generalstäbler, der zwei Burschen sein eigen nannte, und es dauerte niemals lange, so hatten sich zwischen diesen soldatischen Eroberern und der Zofe in der ersten Etage zarte Fäden angesponnen, die fast immer zum schrillen Zerreißen kamen. Nur die Letzte schien ihr Herz festhalten zu wollen und hieß dafür auch Johanna, wie das gepanzerte Mädchen aus Orleans.
Da Frau von Göchhusen sich trotz der Einschränkung ihres Haushalts von den meisten ihrer alten Mobilien nicht hatte trennen wollen, so waren ihre Zimmer fast überfüllt. Es gab da namentlich einen Salon mit gelben Damasttapeten, in dem ein mit den gepolsterten, gepufften und verschnürten Untiefen dieses Raumes nicht hinlänglich Bekannter sich nur nach forschender Übersicht und bedeutsamer Überlegung langsam hindurchwinden konnte. An diesen Salon, den Maxe den »Irrgarten der Mutter« getauft hatte, schloß sich auf der einen Seite das Speisezimmer, auf der anderen, nur durch Portieren getrennt, ein kleineres Wohngemach, in dem ein uralter, sehr struppiger und immer heiserer Papagei als Besitzer eines riesigen Messingkäfigs den Gnadenmais verzehrte. Das sogenannte Frühstückszimmer (mit einem fast schwarz gedunkelten altholländischen Stilleben an der türfreien Querwand) bot die Verbindung mit den drei Gemächern der Mädchen, die sie sich nach eigener Laune und individuellem Empfinden ausgestattet und eingerichtet hatten.
In jedem dieser Zimmer stand ein Himmelbett mit fröhlich geblümten Gardinen, sonst aber unterschieden sie sich wesentlich voneinander. Bei Beate herrschte ein sichtlicher Ernst; es überwogen hier die Regale mit Büchern, und eine Büste Gutenbergs zeugte für den freiwillig erwählten Beruf der Inwohnerin, der ihr freilich nichts nützte, da sie ihn nicht ausüben konnte. Elfriedes Zimmer dagegen war in ewiger Unordnung, allerdings – so behauptete sie wenigstens – immer in malerischer. Es ging nach Norden hinaus und hatte ein großes, halb verhängtes Fenster, vor dem die Staffelei stand, und auch sonst bewiesen zahlreiche Dinge, wie die Skizzen an der Wand, die dicken Mappen, eine japanische Vase, in der Pinsel steckten, und mancherlei andere Requisiten, daß hier ein künstlerischer Geist waltete, der es allerdings mit den Gesetzen kosmischer Ordnung nicht streng nahm und ohne Bedenken einen vereinzelten Strumpf, einen Brennapparat, eine Rechnung von Gerson und Lenaus lyrische Gedichte in traulicher Gemeinschaft liegen ließ.
Durch Maxes Zimmerchen ging immer Blumenduft. Sie liebte das Blühende und verschwendete ihr Taschengeld für Rosen, Veilchen, Narzissen und Flieder und namentlich für Orchideen, von denen gewöhnlich ein ausgewählt kapriziöses Exemplar in einem schlanken venezianischen Kelche auf ihrem Schreibtische stand. Denn an diesem Schreibtische saß Maxe viel, schrieb Märchen, verfertigte Gedichte und hatte sogar eine schöne Novelle begonnen, in der sie aber stecken geblieben war, weil die Heldin so stark von den Pfaden bürgerlicher Tugend abzuweichen begann, daß die Verfasserin selbst es mit einer gewissen schämigen Angst bekommen hatte. Außerdem wußte sie auch sonst nicht, wie die Geschichte eigentlich weitergehen sollte, und ließ es deshalb lieber, was ihr übrigens keinerlei Weh verursachte, da sie von literarischem Ehrgeiz durchaus nicht angekränkelt war und den Pegasus nur zu eigenem Vergnügen bestieg. Das Zimmer Maxes war das letzte in der Reihe und lag schon nach dem Garten hinaus; auch das Fenster war immer mit Blumen besetzt und das Gesims unaufhörlich von piepsenden Spatzen umlagert, die ganz genau wußten, zu welcher Zeit im Göchhusenschen Hause gefrühstückt wurde.
Heute war Schneidertag bei den Damen. Zwischen Küche und Zofenzimmer lag eine Stube, die offiziell den Namen Fremdenzimmer führte und sich dadurch auszeichnete, daß in sie alles das hineingelegt und gestellt wurde, was man in den anderen Räumlichkeiten nicht brauchen konnte: von aus der Mode gekommenen Makartbuketts und angestoßenen Nippes an bis herab zu dem ersten Zeichenbuche Elfriedes und einem Poesiealbum Beates in abgeschabtem Sammet, das noch aus der Schulzeit stammte. Hier thronte die Vegesack, die Schneiderin, Gemahlin des Hausportiers Herrn Vegesack, eines robusten Mannes mit den Gliedmaßen eines Giganten, ganz im Gegensatz zu seiner Frau, die sich noch als Dreißigerin die schmale Zierlichkeit ihrer Mädchenzeit erhalten hatte. Sie stammte aus besserem Hause, was sie gelegentlich auch gern betonte; ihr Vater war Bahnhofsvorsteher in Krebsjauche bei Frankfurt an der Oder gewesen, doch als sie sich in den Bierfahrer Vegesack verliebt hatte, war sie freiwillig von ihrer Höhe gestiegen, und die Mesalliance hatte ihr auch nicht weiter geschadet. Nun hatte Vegesack das Bierfahren längst aufgegeben, das eines ehemaligen Gardekürassiers auch nicht recht würdig war, und den Ruheposten in der Portiersloge des Göchhusenschen Hauses angenommen, wo er nichts weiter zu tun hatte, als die Türe zu öffnen, den Schnee vom Trottoir zu schippen und den Garten in Ordnung zu halten. Seine Frau aber hatte das Schneidern erlernt und war, wie Elfriede erklärte, namentlich eine Größe im Wenden. Es gab nichts, was ihr des Wendens nicht wert erschien, und es war geradezu erstaunlich, wie sie beispielsweise einen blauen Grund mit grauen Tupfen in einen grauen Grund mit blauen Tupfen zu verwandeln imstande war.
An diesem Tage handelte es sich zunächst um die geniale Umformung einiger Frühlingstoiletten vom vorigen Jahre, von denen man glaubte, daß sie noch, fähig sein würden, einige kurze Wochen des neuen Lenzes siegreich zu überdauern. Die drei Mädchen hatten vielerlei herangeschleppt, und so daß denn die Vegesack an ihrer Nähmaschine inmitten einer heiteren Farbenpracht, die ihren Glanz auf Stühlen und Tischen ausbreitete, und prüfte mit scharfem Auge und fühlendem Finger Stoff, Futter und Besatz.
»Vegesack,« sagte Maxe, ein blaßbläuliches Gewandstück in der Hand haltend, »es wäre doch eine Lächerlichkeit, wenn ich das nicht noch ein paar Wochen tragen könnte. Für Ostende und Scheveningen ist natürlich die Möglichkeit ausgeschlossen, aber in Zoppot und auf der Halbinsel Hela nimmt man es nicht so genau.«
Die Vegesack schüttelte den Kopf. »Gnädiges Fräulein,« entgegnete sie, »ich bin auch für Sparsamkeit, und wenn Vegesack so manchmal sagt: ›Tilde, dein Schwarzes ist unten ganz aus gefusselt, so kannst du nicht mehr gehen‹ – dann mache ich einen neuen Saum, und es geht doch noch. Aber was ich kann, können die gnädigen Fräuleins nicht. Das Blau ist verschossen, es hat keinen rechten Ton nicht mehr, es ist auch brüchig geworden, es war ein billiger Stoff.«
»Wenden!« rief Elfriede.
»Es lohnt sich nicht. Ich fahr mit der Hand hinein, da ist auch schon ein Loch da. Den Besatz kann man abnehmen, aber er müßte erst gereinigt werden. Und was das Reinigen kostet, dafür kriegt man's schon ebensogut auf neu.« »Also nichts,« sagte Maxe. »Ich habe heute kein Glück bei Ihnen, Vegesack. Das Blaue ist verschossen, und für das Halbseidene scheinen Sie auch keine rechte Meinung zu haben. Aber ich trage Ihnen das nicht nach. Ich ruiniere viel, ich weiß es. Das ist Charakterveranlagung. Fräulein Elfriede ist sanfter und Fräulein Beate die gediegenere. Ich bin zu stürmisch, ich zerreiße gleich alles ...«
Nun hatte Beate noch eine ernsthafte Aussprache mit der Vegesack zweier Blusen wegen, die vermittels! neuer Garnituren auf den Stand von heute gebracht werden sollten, und dann kam Elfriede mit dem wichtigen Anliegen, die vorjährige weite Glockenform eines, prunefarbigen Cheviotrocks in mondäne Enge zu verwandeln.
»Ich weiß bloß nicht, ob Sie sich das trauen werden, Vegesack,« sagte Elfriede besorgt; »da müssen Sie ganz ehrlich sein, denn ehe der Rock verschnitten wird, geb' ich ihn lieber zu Gerson. Er ist ja noch tadellos.«
»Ist er,« entgegnete die Schneiderin. »Ein Stoff wie Leder; gnädiges Fräulein kaufen immer besser ein als wie Fräulein Maxe. Aber er braucht nicht erst zu Gerson. Ich schneide unten einfach ein Stück ab, krause ihn um die Knie rum ein und setze ein Halbstück wieder an. Das ist keine Kunst.«
»Herrjeh!« rief jetzt Maxe, die nach der Uhr gesehen hatte, »Kinder, es ist Zeit – wir müssen zu Krempel. Wir sind doch zu vier geladen!«
»Ja, zu vier,« antwortete Beate. »Aber die Mama weiß noch nichts.«
»Hält sie noch Mittagsschlaf?«
»I wo. Sie räumt mit Lina und Johanna den Balkon auf.« Das tat sie. Es geschah immer um diese Jahreszeit. Da wurde der Balkon durch Lina erst unter Wasser gesetzt und gründlich gesäubert und empfing dann seinen Frühlingsschmuck. Johanna hatte die Korbmöbel aufgestellt und war soeben dabei, ein paar Knoten in der Schnur der Marquise aufzulösen, während Frau von Göchhusen blauweiße Tontöpfe mit eingepflanzten Primeln und Maiglöckchen auf dem Balkonsims arrangierte. Da stürmten die Töchter heran.
»Wir wollen nun gehen. Mutterchen,« rief Maxe, »adieu!«
»Wo wollt ihr denn schon wieder hin?«
»Zu Krempel.«
»Zu Krempel? Warum denn?«
»Er hat uns eingeladen, Mama,« sagte Beate, »zu Schokolade mit Schlagsahne und Nußtorte. Letztere nur, weil Maxe sie so gern ißt.«
Frau von Göchhusen schüttelte den Kopf. »Ist denn sein Geburtstag?« fragte sie.
»Nein,« entgegnete Maxe, »der fällt in die Hundstage. Es handelt sich um die feierliche Einweihung seiner neuen Wohnung. Er hat jetzt zwei Zimmer und einen Vorflur, den er Diele nennt. Dort werden die Gäste empfangen.«
Frau von Göchhusen wiegte immer noch den Kopf hin und her. »Hört mal, das scheint mir doch nicht ganz passend,« meinte sie. »Drei Mädchen allein bei einem jungen Mann?«
Elfriede lachte. »Du legst den Ton fälschlich auf das Wort ›Mann‹, Mama. Für uns ist er ein neutrales Wesen.«
»So ist es,« bestätigte Beate. Und etwas nichtachtend setzte sie hinzu: »Gott, Krempel!« »Krempel hin, Krempel her. Ich kann mir nicht helfen: ich finde, ihr seid ein bißchen zu intim mit ihm geworden. Wenn ich nicht wüßte, was er für ein braver Junge ist ... Na also, da ihr mal zugesagt habt, geht in Gottes Namen. Aber um halb acht seid ihr wieder zurück.«
»Pünktlich, Mama ...« Nun empfing Frau von Göchhusen drei lebhafte Küsse, dann sprangen die Mädchen davon, Maxe voran: man hörte ihren flüchtigen Schritt in dem langen Korridor.
Ein Viertelstündchen später standen sie auf der Straße: gleichförmig gekleidet, in englischen Kostümen mit runden Blumenhüten. Bei Beate saß der Hut korrekt, Elfriede hatte ihn ein wenig in die Stirn gerückt, Maxe trug ihn seitwärts wie eine Ulanenczapka.
»Moppel, Droschke oder Elektrische?« fragte Elfriede.
»Ich schlage vor: einen Bummel zu Fuß,« antwortete Maxe. »Es ist erst viertel vier. Übrigens – stiften wir gar nichts?«
Das fiel allen dreien schwer auf die Seele. Natürlich forderte es der Anstand, daß man zu Krempels neuer Wohnung eine Kleinigkeit beisteuerte.
»Heut ist der Achtundzwanzigste,« seufzte Elfriede, »ich bin ganz blank.«
»Ich habe noch ein Fünfmarkstück,« sagte Beate, »das will ich opfern. Was bekommt man dafür? Eine Vase, einen hübschen Aschenbecher, ein Bücherbrett – alles mögliche. Aber da müßten wir zuerst zu Wertheim.«
»Lassen wir's,« erklärte Maxe. »Wir machen es so: wir kucken uns heute erst um, was er gebrauchen könnte. Und dann legen wir zusammen zu einem anständigen Geschenk.«
Elfriede nickte. »Ja natürlich; das ist das Praktischste. Vielleicht ein Teeservice – oder einen Regenschirmständer. Heut bringen wir ihm jede bloß einen Veilchenstrauß.«
»Anmutig und billig,« sagte Beate. »Aber in Anbetracht unsrer Notlage will ich nicht widersprechen. Im Übrigens bitte ich um eins: die Angelegenheit mit der Mama muß seriös behandelt werden. Vollkommen ernsthaft – sonst macht Krempel nicht mit.«
»Ernsthaft,« wiederholte Elfriede. »Selbstverständlich. Sie ist uns ja auch vollkommener Ernst.«
Maxe gab das zu. »Gewiß – trotz ihres etwas drolligen Beigeschmacks. Ein dreifacher Schrei nach dem Mann; aber wir schreien nicht für uns, sondern für die Mama. Leider sind ein paar Wenns dabei. Zunächst: wenn wir nur den Richtigen finden, Und dann: wenn sie bloß rangeht.«
»Abwarten,« sagte Beate. »Der Richtige ist die Hauptsache. Das ist eben unsre Sache, den zu finden. Ich weiß ganz genau, daß die Mama schon ein paar Freier abgewiesen hat.«
»Wen denn?« rief Maxe neugierig.
»Ein paar. Den Geheimrat von Lossow bestimmt. Seit vorigem Mai ist er nicht mehr bei uns gewesen; da hat er seinen Korb gekriegt. Und den Oberst Trittmann ebenso bestimmt. Den hatte sie auch sehr gern. Aber erst will sie uns versorgt wissen.«
»Das ist das Unglück« – und Elfriede neigte zustimmend den Kopf –, »das ist der einzige Haken. Mutter hat's ja auch ganz offen erklärt. Sie hat mir einmal in einer gemütlichen Stunde ihr Herz ausgeschüttet. Sie hätte gerne wieder geheiratet – mein Gott, sie ist ja doch noch jung und lebenslustig und eigentlich bildhübsch. Ist sie das nicht?«
»Bildhübsch. Sie hat einen so prachtvollen Teint.«
»Und eine Figur! Manchmal« – Maxe wurde ordentlich eifrig –, »wenn ich euch beide so von weitem kommen sehe, dich, Beate und die Mama – ihr seht wahrhaftig wie Schwestern aus. Seid euch ja auch fabelhaft ähnlich.«
»Jedenfalls steht das eine fest,« sagte Beate, »daß sich in die Mama bisher mehr Männer verliebt haben als in mich. Bis auf den kleinen Eggebrecht, den Piesematz mit dem Bürstenschnurrbart, hat bei mir noch keiner anbeißen wollen – und für den danke ich ...«
Während dieser Unterhaltung waren die drei in die Tiergartenstraße eingebogen und schritten nun westwärts hinauf, nicht auf der Häuserseite, sondern den Promenadenweg neben der Reitallee verfolgend, die Rousseauinsel rechts liegen lassend.
Der Lenz war dies Jahr früh ins Land gekommen: er spann seinen lichtgrünen Zauber über Bäume und Buschwerk und lockte aus der Erde des großen Parks den Duft fruchtreicher Hoffnung. Der wolkenüberflatterte Himmel strahlte ein sanftes Umbralicht aus, das den geschorenen Rasenflächen in den Vorgärten der Tiergartenpaläste einen feinen Ton matten Goldes gab. In diesen schön gepflegten Gärten blühten auch schon die ersten Frühlingsblumen: Maiglöckchen und Märzveilchen in oval geschweiften, oblongen und sternförmigen Rabatten, von der Hand des Gärtners in Ornamente gezwängt, oder in architektonischen Linien den Rasen umsäumend. Lenzfreude blickte aus den Fenstern: alle Blumenkästen waren frisch gefüllt, und zwischen hängendem Grün leuchteten heitere Farben. Nur ein großer Christusdorn war noch ängstlich mit Stroh und Bast umwickelt und sah wie ein frierender alter Mann inmitten seiner fröhlichen Umgebung aus.
Die drei Mädchen schritten rasch fürbaß. Sie liebten einen tapferen Schritt und trainierten sich gern: der Tennisplatz und die Eisbahn hielten ihre Glieder geschmeidig. Maxe war die Kleinste, aber sie brauchte sich nicht anzustrengen, um mitzukommen. Sie pendelte ein wenig mit den Armen, hielt den Kopf in dein Nacken und hatte die Angewohnheit, zuweilen mit geschlossenen Lippen ihren Schleier aufzublasen. Beate dagegen hielt sich kerzengrade und die Ellenbogen wie das Abbild einer Gibson-Girl dicht an den Seiten; sie marschierte auch am regelmäßigsten, während Maxe gewöhnlich im Laufschritt war. Zwischen beiden ging Elfriede, sich leicht in den Hüften wiegend, ihrer pikanten Schönheit bewußt, immer ein anmutiges Lächeln auf den Lippen und auf der Stirn die Ringelflut ihres goldenen Haares. Sie hatte nur einen Fehler: sie setzte die Füße schlecht – »verzwerg« sagte Maxe –, und wenn sie sich Mühe gab, ihren Gang zu korrigieren, stelzte sie zierig wie eine Ballettelevin.
Es war belebt im Tiergarten. Über den Fahrweg glitten die Equipagen, ratterten die Droschken und fauchten die Automobile; daneben, unter dem zartgrünen Buchenschleier, sprengten Reiter einher: ein paar Offiziere, junge Bankiers in schönstem Dreß, Damen von Welt und halber, und ihre langen Röcke wehten. Die Promenade war voller Menschen; ein lebendiger Strom rann die Parklisiere hinab, und auch zwischen den Bäumen weiterhin tauchten wandelnde Farben auf.,
Dem Malerblick Elfriedes, keinem geschulten, doch einem aufnahmefähigen, gefiel das wohl. Es war ein fröhliches Großstadtbild zwischen Häusermeer und Natur: ein Gewirr von geschäftigen und langsam schlendernden Leuten, von schönen Toiletten und Talmieleganz, huschenden Gören und Kinderwagen, blanken Zylinderhüten, blitzenden Uniformen; eine Revue von Gesichtern, frohgemuten und frischen, zermürbten, pastabelegten, lachenden und ernst durchfurchten, von charakteristischen Porträts und Karikaturen.
»Haltet mal!« rief Maxe plötzlich und blieb stehen.
»Was ist los?« fragte Beate; »hast du wieder zu enge Stiebeln und kannst nicht weiter?«
»Ach was...« Sie starrte einem Reiter nach, einem stattlichen Herrn in mausgrauem Rock mit zurückgeschlagenen Schößen; er ritt einen Falben mit buschigem hellem Schweif, den das nervöse Tier wie einen Windmühlenflügel quirlen ließ ... »Habt ihr den gesehen?«
»Wen?«
»Gehn wir weiter ... Es war nur ein Momentbild und selbstverständlich eine Täuschung ... Besinnt ihr euch auf das Ölgemälde von Papa, das früher in Mamas Zimmer hing und dann verpackt worden ist?«
»Aber natürlich,« entgegnete Beate. »Du meinst das von Gussow? Das Reiterbild?«
»Ja, das. Mir hat's immer so gut gefallen, und es ärgerte mich eigentlich, daß Mama es in einem Augenblick der Verstimmung ... Na also, eben ritt ein Herr vorüber, der das Original des Bildes hätte sein können.«
»Ein Doppelgänger Papas? – Lieber Gott, es' gibt manche Ähnlichkeiten in der Welt. Papa war es jedenfalls nicht. Der kommt nicht mehr nach Berlin ...«
Nun sprachen die drei, während sie weiterschritten, ein weniges von ihrem halb vergessenen Vater, Maxe hatte ihn kaum noch in her Erinnerung.
»Nein, kaum,« sagte sie. »Nur in seinem Sportdreß haftet er mir noch im Gedächtnis. Ich weiß, daß unsre Lina mich manchmal auf das Fensterbrett stellte und daß ich ihn abreiten sehen durfte. Seine gelben Kniestiefel imponierten mir immer gewaltig. Ich glaube, er hatte auch ein freundliches Gesicht und hübsche braune Augen wie auf dem Bilde – und gerade solche wie Elfriede.«
»Er war ein schöner Mann,« antwortete Beate, »ich entsinne mich seiner noch gut. Groß gewachsen und sehr elegant und gab viel auf seine Toilette. In seinem Garderobenzimmer habe ich einmal gezählt, wieviel Paar Stiefel er hatte. Es müssen an dreißig gewesen sein.«
»Ich war immer sein Liebling,« erklärte Elfriede. »Mir hat er ja früher auch noch zuweilen geschrieben; ich habe die Briefe aufgehoben und lese sie manchmal durch. Sehr liebe Briefe voller Herzlichkeit – aber auf einmal hörten sie auf. Mama deutete gelegentlich an, seine Frau wäre wohl eifersüchtig auf uns. Das macht das spanische Blut.«
»Sie ist gar keine Spanierin,« sagte Beate; »das weiß ich nun besser. Sie ist eine Mexikanerin, aber ihre Mutter war eine Vollblutpolin, die Tochter eines Adjutanten Kaiser Maximilians – oder eines seiner Hofchargen oder so was, und hat dann einen mexikanischen General geheiratet ... Jawohl. Ich habe auch einmal ein Bild von Papas zweiter Frau gesehen – bei der Mama.«
»Bei der Mama?« rief Maxe erstaunt.
»Ja, bei der Mama. Sie spricht ja nie über derlei. Aber sie räumte einmal ihren Schreibtisch aus, und ich mußte ihr helfen. Da lag in einem Fache die Photographie eines bildschönen jungen Mädchens, und hintendrauf stand: »Ihrer geliebten Freundin Magda Tarrach Wanda von Skawcze.««
Maxe hielt fast den Atem an. »O Gott ... Also so... Also da war sie eine Jugendfreundin Mamas., Das ist ja ein ganzer Roman.«
»Ist es auch ... Mama riß mir das Bild aus der Hand. Und dann fing sie an zu weinen. Und wie ich nun zärtlich wurde, erzählte sie dies und jenes. Aber ich habe ihr versprechen müssen, nicht darüber zu reden. Sie liebt das nicht.«
»Nein, sie liebt das nicht,« wiederholte Elfriede, »und ich finde das eigentlich unrecht. Warum informiert sie uns nicht ruhig über alle diese Dinge? Wir sind doch erwachsene Mädel und können uns allein unser Urteil bilden.«
»Das möchte sie eben nicht, Friedelchen. Ein Mensch vor dem andern. Sie hat wohl viel durchmachen müssen. Denkt euch nur, von seiner besten Freundin betrogen zu werden!«
»Greulich,« sagte Maxe. Aber sie war doch höchlichst interessiert: persönliche Neugier mischte sich mit unklarem romantischem Empfinden. In ihre Augen trat ein schwimmendes Licht. Sie blies mit geschlossenen Lippen ihren Schleier auf. »Beate, da muß doch die – muß doch diese Wanda in Berlin gelebt haben?«
»Ja – bei einer alten Tante. Sie ist ja hier erzogen worden. Ihr Vater war eine Zeitlang aus Mexiko verbannt; er muß da irgendwelche Dummheiten gemacht haben. Sie hat auch in unserm Hause verkehrt, aber ich habe sie nie zu Gesicht bekommen – wenigstens entsinne ich mich nicht. Na – und da hat sich der Papa in sie verliebt – oder sie in ihn –«
»Oder sie taten es gegenseitig« ergänzte Elfriede. »Das kommt ja vor.«
»Vor kommt es,« entgegnete Maxe. »Natürlich kommt es vor und häufig genug und nicht bloß in Romanen und Dramen. Aber ich finde es doch abscheulich. Das sage ich frei heraus, wenn es sich auch um unsern Vater handelt. Wenn man eine reizende Frau und drei reizende Kinder hat, soll man zufrieden sein und sich nicht von einer hübschen Kokette einfangen lassen.«
Elfriede lächelte. »Das klingt schrecklich moralisch, Tugendreich. Aber es ist doch sehr dumm. Es gibt kein Wenn in solchen Dingen. Oder schön: es soll's geben. Auch die Überlegung soll mitsprechen, Pflichtgefühl und sonst alles Gute und Edle. Endgültig bleibt es doch immer fraglich, ob das moralisch Bessere den Sieg davonträgt oder die Unvernunft des Herzens. Nun denke dir, unser Vater wäre dem Pflichtgefühl gefolgt und hätte bei uns ausgehalten: weißt du denn, ob es ihm möglich geworden wäre, seine Wanda zu vergessen? ob er nicht kreuzunglücklich geworden wäre und die Mama mit? ... Na, und wie liegt jetzt die Sache? Mutter hat sich getröstet und würde – das ist meine Überzeugung – längst wieder geheiratet haben, wenn grade der Rechte gekommen wäre. Papa hat sein neues Glück gefunden, und uns – uns fehlt schließlich auch nichts. Seien wir doch ehrlich.«
Aber Maxe war eigensinnig. »Mit dir ist über derlei schwer streiten, Frieda. Du bist die Modernere oder spielst dich darauf auf. Deine Moral wackelt immer, wenn sie auf ein interessantes Problem trifft – weil dir das Problem meist mehr zusagt als die Moral. Nun bin ich wahrhaftig auch nicht der Tugendreich, der ich heiße, aber –«
»Stille, Kinder,« fiel Beate ein. »Euer Gespräch führt zu nichts, und außerdem kommt Herr von Emmingen über den Damm – da wollen wir rasch ein harmloseres Thema anschlagen ... Also: wo gehen wir diesen Sommer hin? Soll's bei Zoppot bleiben, oder wollen wir die Mama mit List und, Tücke auf Ostende dressieren? ...«
Der Herr, der über den Fahrdamm den Mädchen entgegenschritt, schwenkte bereits seinen glänzenden Zylinderhut und machte dabei ein sehr glückliches Gesicht. Es gibt Gesichter, die keiner Maske fähig sind oder auf denen sie immer verunglückt. Man liest in ihnen wie in den Seiten eines Buches, liest alles von ihnen ab, was Herz und Seele bewegt, selbst das Heimlichere und das Stille, wenn man es sonst versteht, ein Menschenantlitz zu deuten. So war es bei Herrn von Emmingen, der sich absolut nicht verstellen konnte, was ihm selber in hohem Grade unangenehm war, da er zum diplomatischen Korps gehörte und der Ansicht huldigte, daß ein Diplomat unbedingt schauspielerisches Können besitzen müßte. Aber es gelang ihm nicht, etwas anderes zu, zeigen als das, was er fühlte. Und da er trotzdem immer gern über sich hinauswollte, so hatte er sich ein merkwürdiges nervöses Zucken angewöhnt und ein gelegentliches kurzes Auflachen, das eigentlich nur ein Verlegenheitsmeckern war. In seinem sonst wenig sagenden Gesicht standen ein paar recht gescheite Augen; das blonde Bärtchen war nach englischer Sitte ganz kurz gehalten und die übermäßig schlanke Figur vom Zylinder bis zu den Stiefeln so elegant equipiert, daß die landläufige Redensart, der Mann sehe aus wie aus einem Modekupfer geschnitten, bei diesem Legationssekretär keine Übertreibung bedeutete.