Kitabı oku: «Drei Mädchen am Spinnrad», sayfa 4

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»Aber Elfriede!« rief Beate, und auch Krempel schüttelte abermals mißbilligend den Kopf. »Das ist zu gewagt. Und zuviel Risiko dabei. Und hat einen unangenehmen Beigeschmack. Nur keine Dummheiten.«

»Herrschaften, erlaubt,« sagte Maxe, »was wäre dabei? Es wird ja kein Name genannt. Ich denke mir das höchst ulkig. Wir könnten auf dem Inseratenwege auch um die Photographien der Heiratslustigen bitten. Dann kriegten wir eine hübsche kleine Galerie zusammen –«

»Maxe, was redest du für Unfug!« fiel Beate ein, »Wir wollen abenteuerliche Ideen beiseite lassen und praktische Ziele verfolgen. Krempel hat recht: bloß keine Dummheiten! Krempel, hör' zu – du bist der einzig Verständige. Hast du keine geeigneten Herren in deiner Bekanntschaft, die du uns zuführen könntest?«

»Das wäre zu überlegen,« antwortete Dionys. »Unter meinen Kollegen nicht. Ein Philologe paßt auch nicht zur Mama. Wir müssen da sehr vorsichtig sein und neben allen Äußerlichkeiten Charakter, Gemüt und Herz berücksichtigen. Mein Direktor ist Witwer, ganz passable Erscheinung, hat neulich den Kronenorden dritter bekommen – aber er ist ein bißchen verknöchert und schnupft Tabak. Also fort! Apropos: Adel ist doch nicht unbedingt notwendig?«

»Nein,« sagte Maxe. »Mama ist nicht so. In solchen Dingen sind wir sehr liberal.«

Krempel schnippte mit den Fingern und sprang auf. »Ich hab's!« rief er. »Ich habe einen Kandidaten für unsre Zwecke, wie man sich ihn nicht besser denken kann! Einen, den ihr auch kennt und der sowieso bei euch Besuch machen wollte: den Superintendenten Warmuth.«

»Warmuth?!« rief Elfriede. »Den langen Herrn, den wir neulich bei Geheimrat Hegler trafen?«

»Denselben. Ein charmanter, liebenswürdiger Mann von Ernst der Gesinnung, dabei mehr weltfreudig als Asket – von recht gutem Sichgeben, vielleicht fünfzigjährig, stattlich, geliebt bei Gemeinde und Konsistorium – und außerdem heiratslustig.«

»Weißt du das?« fragte Elfriede.

»Nein. Aber warum soll er es nicht sein?«

»Wenn einer schon fünfzig geworden ist ... Zudem Geistlicher. Die heiraten immer frühzeitig.«

»Vielleicht hat er als Kandidat eine unglückliche Liebe gehabt. Aber das ist so lange her, daß er sie zweifellos schon wieder verschmerzt hat. Jedenfalls hegt er eine große Schwärmerei für eure Mutter.«

»Ich glaube, du schnurrst, Krempelius,« sagte Beate.

»Auf mein Wort nicht. Er hat mich bei Hegler förmlich ausgefragt nach der Mama. Alles wollte er wissen. Fand sie entzückend – und seine Augen folgten ihr, wo sie stand und ging ... Das wäre der eine. Nun kommt Nummer zwei.«

»Herrjeh,« rief Maxe, »hast du noch einen in petto?«

»Noch etwas Hervorragendes. Einen Witwer. Sozusagen ein Gegengewicht zur Theologie: einen Großkaufmann. Einen Kommerzienrat von schönen Einkünften: Herrn Friedrich Wilhelm Brökelmann.«

»Kenne ich nicht,« sagte Elfriede.

»Ich auch nicht,« setzte Beate hinzu. Doch Dionys rief lachend: »Natürlich kennt ihr ihn, wenn auch nicht persönlich. Ihr trinkt ja alle Tage seine Milch!«

Die Damen schwiegen einen Augenblick, dann lachten sie fröhlich auf, und Maxe rief: »Ach, den meinst du?! Den Brökelmilchmann!? ... Hör' mal, da glaube ich doch, daß Mama das geistliche Element vorziehen würde.«

»Das ist die Frage, Ihr dürft euch unter diesem Brökelmenschen nicht einen vulgären Milchmann vorstellen, der immer weiß beschülpert ist. Das ist ein halber Agrarier – mit industriellem Einschlag und von bedeutendem Unternehmungsgeist. Ein früherer pommerscher Gutsbesitzer – hat auch noch etwas von der Rasseneigentümlichkeit jener Landschaften beibehalten, aber großstädtisch abgeschliffen und durch häufige Besuche des Metropoltheaters geistig verfeinert. Ein Mann von Bildung und Lebensart, mit Hunderten von Kühen, die unablässig gemolken werden, um die Milch der frommen Denkungsart in unserm verpöbelten Zeitalter zu verbreiten. Außerdem ist er doch euer Nachfolger – was auch von einem gewissen Interesse ist.«

»Nachfolger – wieso und inwiefern?«

»Na ja – das wißt ihr auch wieder nicht. Er hat Zochin gekauft und dort seine Meierei angelegt. Aber diese Meierei, liehe Kinder, ist ein Institut, kein gewöhnlicher Rindviehstall. Ist eine ganze Stadt für sich, eine Sehenswürdigkeit: das Chicago des Schwielow. Das müßt ihr kennen lernen.«

»Wollen wir auch,« sagte Elfriede. »Nimm uns doch einmal mit!«

»Gern. Der Kommerzienrat hat einen Sohn; den unterrichte ich – einen prächtigen Bengel, mit dem ihr als Stiefbruder ganz zufrieden sein könntet. Durch den brauchen wir uns bloß anmelden lassen. Sein Vater hat übrigens auch eine Stadtwohnung, gar nicht weit von euch: in der Bendlerstraße. Außerdem ist er ein Jugendfreund des Superintendenten Warmuth, was wiederum eine niedliche Zufälligkeit ist.«

»Oder auch nicht,« warf Beate ein. »Wenn sich nun beide in die Mama verlieben und ihre Eifersucht zu gräßlichen Taten führt?«

»Ausgeschlossen,« rief Maxe. »Ganz unmöglich. Vergeßt nicht, daß der eine mit Milde, der andre mit Milch handelt.«

»Das ist frivol, Maxe, aber man verzeiht dir, weil es nicht unrichtig ist. Sie werden sich weder boxen noch schießen; der eine wird dem andern mit Anstand zuvorkommen. Also seid ihr einverstanden, daß wir den Kommerzienrat auf die Liste der Papabili setzen?«

Die Damen bejahten einstimmig: Beate mit der Einschränkung, daß man ihn erst einmal kennenlernen müßte. Aber Dionys erklärte nochmals, daß dies ein leichtes sein würde. Er wollte schon morgen dem kleinen Berthold, dem Sohne Brökelmanns, einen Brief mitgeben und um die Erlaubnis bitten, mit einigen befreundeten Damen die Meierei besichtigen zu dürfen.

»Gut,« sagte Elfriede. »Vielleicht kommt die Mama mit, dann finden sich gleich die ersten Anknüpfungspunkte. Sonst fordert ihn eine von uns aus Dankbarkeit auf, uns gelegentlich mit seinem Besuche erfreuen zu wollen ... Nun haben wir drei, die in Frage kämen: einen Offizier, einen geistlichen Herrn und einen Industriellen. Das dünkt mich vorderhand genug. Man soll nicht übertreiben. Bei allzuviel neuen Bekanntschaften könnte die Mama stutzig werden. Auf den Kommerzienrat rechne ich am wenigsten.«

»Und ich am meisten,« versetzte Krempel. »Ihr malt euch noch immer ein falsches Bild von ihm. Ihr denkt an Butter, Quark und dicke Milch. Aber er ist ein Gentleman, auch ein großer Mäcen mit einer schönen Bildergalerie und allerhand auserlesenen Kunstwerken in seinem Hause. Ihr werdet euch wundern, wenn ihr einmal zu ihm kommt.«

»Ist er denn äußerlich einigermaßen ansehnlich?« fragte Beate.

»Aber wie!« rief Krempel eifrig. »Denkt euch eine Mischung zwischen dem Farnesischen Herkules, dem alten Wrangel, dem Apoll von Belvedere und dem seligen Minister Miquel, dann habt ihr ihm vor euch. Er ist kraftvoll wie Herkules, geschmeidig wie Apoll, militärisch wie Wrangel und hat die buschigen Augenbrauen Miquels. Das Gesicht bartlos bis auf zwei Raupen auf den Backen. Die Augen etwas klein und zugekniffen, aber der Blick schelmisch und verliebt – ja entschieden verliebt. So ein Blick voll zärtlicher Gourmandise.«

»Nun bin ich aber wahrhaftig neugierig,« sagte Maxe. »Vor allem freue ich mich, daß wir so weit sind. Jetzt heißt es, die Mama mit Lang- und Sanftmut und großer Delikatesse auf das Kommende vorzubereiten. Sobald die Herren Besuch bei uns gemacht haben, müssen wir eine Gesellschaft geben. Und zwar schlage ich vor, daß jede von uns eins unsrer Opfer übernimmt, sich mit besonderer Liebe an den Betreffenden heranschlängelt und ihm das Lob der Mama in hellen Tönen singt.«

»Da bitte ich um den Major,« entgegnete Elfriede.

»Warum?«

»Weil er auch malt und wir uns gut verstehen werden.«

»Schön, ich habe nichts dagegen. Ich werde die Geistlichkeit übernehmen. Die Bearbeitung ist am schwierigsten, aber ich traue sie mir zu.«

Beate protestierte. »Erlaubt,« rief sie, »da bleibt ja für mich nur der milkman übrig? Wovon soll ich mit ihm sprechen? Ich habe keine Ahnung von Buttermaschinen und Zentrifugen, und eine Molkerei ist für mich wie das Bild zu Saïs.«

Maxe wurde ärgerlich. »Sei doch keine Spielverderberin! Du hörst ja von Krempel, daß die Bildung des Mannes hoch über das Melken geht.« »Du kannst beruhigt jedes Thema bei ihm anschlagen,« sagte Dionys, »sogar aus der alten Welt. Sprich mit ihm über die Pythia oder die Äpfel der Hesperiden – er wird Bescheid wissen. Nur den Stall des Augias und die heilige Kuh der Inder erwähne nicht, weil er das für Anspielungen halten könnte ...«

Der Plan wurde noch lange und in allen Einzelheiten durchgesprochen. Krempel amüsierte sich über den Ernst, mit dem die Mädchen auf ihr Ziel losmarschierten: es war beinahe so, als ob sie eine neue Ordnung der Dinge erstrebten und vom Hochzeitstage ihrer Mutter an den Beginn einer besseren Gegenwart erwarteten. Das reizte seine Spottlust, für die er sowieso Vorliebe und Verständnis hatte; aber er hütete sich, ihr die Zügel schießen zu lassen. Er machte das Spiel mit, weil es ihn harmlos dünkte und weil er diese prächtigen Mädel lieb hatte, die ja auch in ihrem guten Rechte waren, wenn sie die Forderung stellten, den Bau ihrer Erziehung nicht in Untätigkeit zerbröckeln zu lassen. Sie waren alle drei heitere Freiheitsvögel, und man konnte es verstehen, daß sie sich aus dem Neste heraussehnten. Gewiß: sie hatten es gut unter den Fittichen der Mutter und ihrer liebenden Sorglichkeit. Aber die Mutter selbst hatte die Antriebe zu einer kräftigeren Entfaltung ihrer Individualität in ihnen geweckt, und nun hielt es schwer, wieder zum Stillstand zu bremsen.

Auch Frau von Göchhusen kannte Dionys seit vielen Jahren und schätzte sie aufrichtig. Sie hatte lange unter dem Druck ihrer Scheidung gestanden. Dann aber kam die Rückbildung um so rascher; sie fand ihren Humor wieder, und ihr altes glückliches Temperament erwachte von neuem. Sicher war es auch nicht nur eine gewisse philiströse Rückständigkeit, die sie veranlaßte, das Studium ihrer Kinder zu unterbrechen: es war zweifellos ein naiver Egoismus dabei im Spiel, der heiße Wunsch, die Mädchen bei sich zu behalten. Es war ihr schon schwer geworden, sie wechselweise von sich zu lassen; aber während Maxe in Hannover in Pension war, um sich für die Weihe des Abituriums vorzubereiten, verblieben wenigstens die beiden anderen bei ihr, und als Elfriede zu Weimar den Urgrund zu berühmter Zukunft legte, behielt sie doch immer noch Beate, die bei einem zoddelbärtigen Berliner Professor die Mysterien der Bibliothekwissenschaft mit leichter Mühe erlernte. Und nun wollten alle drei auf einmal in die Welt hinaus. Natürlich war das hart für die Mutter, der um ihre Küken bangte. Aber nein: vielleicht bangte sie sich gar nicht einmal. Sie war ihrer Mädel sicher: sie hatte ja doch selbst dafür Sorge getragen, daß in diesen jungen Seelen das Verständnis für die Umwelt mit allen ihren Kontrasten, dem Zusammenstoß der Kräfte, ihren moralischen Versuchungen und auch der Verschiebung ihrer sittlichen Begriffe Wurzel schlug. Sie hatte fünf Kindern das Leben gegeben. Die ältesten, Zwillingsmädchen, ein schwächliches Paar, waren bald nach der Geburt gestorben. Aber dann ging es weiter: wieder ein Mädchen, und wieder eins und nochmals ein Mädchen – und da hatte ihr Mann sie die »Mädelmama« getauft und ihr scherzend vorgeworfen, wie schwer es halten würde, diese umherkrabbelnde Weiblichkeit mit allem Komfort der Gegenwart zu erziehen.

Freilich – solange der Legationsrat noch mitzureden hatte, wurde der sogenannte Komfort jedweder praktischen Betätigung vorgezogen, und Miß und Mademoiselle hatten nur darauf zu achten, daß die Kleinen artig waren und Englisch und Französisch besser zu lernen verstanden als die eigene Muttersprache. Aber dann kam es anders, und zwar kam es so, daß diese verständige Mädelmama sich ihrer Erziehung nicht zu schämen brauchte und zugleich wissen mußte: in dieser Erziehungsmethode ruhten die Triebkräfte zu einer späteren Selbständigkeit. Sie war zu klug, um das nicht einzusehen; was sie fürchtete, war sicher nur die Einsamkeit.

Also gut: da mußte man sie verheiraten. Dionys Krempel sprach nicht davon, daß es ihm noch sehr zweifelhaft erschien, ob alle gescheite Berechnung nicht doch etwas Falsches ergeben würde. Er ging nie einer humoristischen Wendung im Leben aus dem Wege; es gefiel ihm auch, daß die drei Mädel so forsch zuzupacken verstanden, alles Sentimentale ausschalteten und ohne heuchlerisches Pharisäertum auf die Entscheidung losmarschierten. Sie wollten ihre Mutter verheiraten, um sich selbst eine freiere Bewegung im Dasein zu schaffen. Das war die Hauptsache: der Egoismus der Kinder prallte gegen den der Mutter. Verständlich. Was sonst noch kommen konnte, war in Nebel gehüllt. Vielleicht verliebte sich wirklich einer der drei Auserwählten in die stattliche Frau. Vielleicht dachte keiner daran. Vielleicht erwiderte sie die Neigung dieses oder jenes; vielleicht gab sie allen dreien den Laufpass. Jedwede Hoffnung stand auf diesem »Vielleicht«. Aber gerade das machte Herrn Doktor Krempel Spaß.

Maxe sah die Zukunft bereits in rosigstem Lichte.

»Es bleibt dabei,« sagte sie, »unmittelbar nach Mutters Hochzeit nehmen wir uns eine gemeinschaftliche Wohnung. Das denke ich mir wundervoll. Dein Atelier hinten heraus, Elfriede, damit deine Modelle uns nicht beständig in die Quere kommen. Beate kriegt als Älteste das schönste Zimmer vorn, und meine Studentenbude gliedert sich an. Zur Einweihung laden wir Krempel ein: das ist die Revanche für heute.«

»Ich danke im voraus,« entgegnete Dionys, »und akzeptiere schon jetzt. In der Tat: es muß behaglich sein, wenn ihr drei erst zusammen haust. Aber das Trio kann sich bald in ein Duo verwandeln, und wenn von dem Duo eine von dannen zieht, wird sich die Übriggebliebene etwas verlassen vorkommen. Kinder, denkt ihr denn nicht an die eigene Heirat!?«

Eine aufgeregte Gegenwehr hub an. Aber die Stimme Beates durchdrang das Chaos.

»Krempel, wozu dieser Einwurf?!« rief sie. »Wir haben alle drei schon unsre Freier gehabt und haben kaltlächelnd gedankt. Muß denn immer geheiratet werden?«

»Nimm an, deine Mutter stellt die gleiche schwer zu beantwortende Frage.«

»Ach was, die Mutter,« sagte Elfriede, »hier handelt es sich um uns. Wir haben gar keine Ursache, uns in Abhängigkeit zu begeben, weder materiell –«

»Noch sonstwie,« ergänzte Maxe. »Wir gehören nicht zu den törichten Jungfrauen, die ihre Herzen nicht in Zucht zu halten verstehen, mein guter Junge.«

»Na, na – renommiere nicht. Es könnte doch einmal einer kommen –«

»Er soll nur! Er soll nur. Haha, wir lassen uns nicht überrumpeln! Ein bißchen vorsichtige Kaltschnäuzigkeit haben wir aus Mutters Erbe. Eine wird die andere beraten. Eine wird Schutz der andern sein. Wir halten zusammen.«

»Hoffentlich,« setzte Beate hinzu. »Krempel, es ist merkwürdig, wie du uns verkennst. Wir reißen uns nicht um die Männerwelt. Du weißt, ein bissel Pessimismus hat immer in mir gelebt. Ich glaube nicht an die wolkenlose Reinheit der Liebe. Wir haben ein vorbildliches Beispiel an der Ehe unsrer Mutter.«

»Die ihr aber trotzdem rasch wieder unter die Haube bringen möchtet.«

»Gott, Krempel,« rief Elfriede, »wirf die Motive doch nicht geflissentlich durcheinander. Es gibt Zweckessen und Vergnügungsdiners, du verstehst wohl. Ich bin minder pessimistisch angehaucht als Beate, aber ich gebe ihr recht: wenn man die Liebe nicht als eine reale Macht anerkennen will, gegen die es kein Wehren gibt, dann ist sie in hundert Fällen neunundneunzigmal ein Possenspiel, eine törichte Schnurre oder gar ein Verbrechen.«

»Huhu!«

»Nee – mach' nicht huhu, es ist schon so. Ich bin nicht eingebildet genug, um zu behaupten, daß ich nie hereinfallen könnte. Natürlich kann auch ich mich mal verlieben. Da werden die Schwestern kommen und mir raten, was verständig ist: ob es nicht besser sei, zu entsagen, als auf die Gefahr hin zu heiraten, meine Freiheit gegen ein vermeintliches Glück einzutauschen ... Du mußt doch einsehen, daß wir drei viel vergnügter und vor allem sorgenloser leben können, wenn wir unter uns bleiben, als wenn wir uns in eine, ihrer Entwicklung nach vielleicht zweifelhafte Ehe stürzen.«

Maxe schüttelte den Kopf. »Er sieht es partout nicht ein,« sagte sie, »er ist ja selber ein Mann. Der Hochmut seines Geschlechts sitzt ihm im Nacken ... Krempel,« rief sie, »bist du der Ansicht, daß unsre irdische Seligkeit am Manne hängt? Ja oder nein?«

»Jawohl,« entgegnete Krempel, »erstens wegen eurer im Stadium der Verliebtheit sich proportional steigernden Illusionsfähigkeit und dann wegen der polarischen Ergänzung.«

Da wurde Maxe sehr ärgerlich. »Nun hört ihr's! Es ist die alte Geschichte: jedesmal, wenn er mich übertrumpfen will, fängt er mit Fremdwörtern an. Aber die verstehe ich auch, und auf deine polarische Ergänzung pfeife ich. Und wenn du nun noch ein Wort sagst, dann heirate ich überhaupt nie ...« Sie wurde verwegener und schlug wieder mit zwei Fingern auf die Tischkante. »Deshalb wollen wir ja eben zusammenziehen, damit eine von uns nicht von einem Manne fortgekapert wird! Jawohl, mein Teurer, wir bilden ein Schutz- und Trutzbündnis: keine wird heiraten, ohne daß die andern ihre Zustimmung geben – und daran halten wir fest. Wir stellen unsre Freundschaft über die Flüchtigkeit der Liebe und die polarische Übereinstimmung unsrer Seelen über deine Ergänzungstheorie. Wir sind freie Mädchen. Ja, mein Herr!«

Diese Rede gefiel Beate und Elfriede so wohl, daß sie lachend applaudierten. »Du bist geschlagen, Krempelius,« sagte Beate, »also schweige.«

»Vorläufig ja,« entgegnete Dionys, »aber wenn die Gelegenheit kommt, werde ich um so lauter sprechen. Ihr habt zu viel in den Schopenhauer geguckt und das Gelesene schlecht verdaut. Doch das macht nichts. Euer Pessimismus wird sich in das Gegenteil verkehren, sobald ihr beim Anblick eines gewissen Jemand das erste Herzklopfen spürt. Und dann bin ich sehr neugierig, wie die Schwestern das Herzklopfen der dritten beurteilen werden. Ich taxiere, daß in solchem Fall das berühmte Bündnis schmählich reißen wird ... Was darf ich euch noch anbieten? Frau Brendicke versteht es mit Meisterschaft, ein schlichtes Brötchen durch Aufputz von kaltem Ei und seltsam gekreuzten Sardellen förmlich ausländisch zu gestalten. Würde es euch danach gelüsten? Das Material ist zur Hand.«

Doch man dankte. Es war auch Zeit, allmählich an den Aufbruch zu denken. Krempel wurde noch einmal in ein Kreuzfeuer von Bitten, Fragen und Vorschlägen genommen, und dann empfahl man sich. Nun verschwand Dionys für einen Augenblick im Nebengemach und kehrte hierauf im Livreerock Genanders zurück, verbeugte sich tief und sagte:

»Wollen die gnädigen Damen die Güte haben, in das Antichambre zu treten ...«

Ein paar Tage später, in der sechsten Nachmittagsstunde, ließ der Major von Hartwig seine Karte im Göchhusenschen Hause abgeben. Die Mädchen waren gerade bei einer Freundin auf Besuch, und so mußte Frau Magda den Major allein empfangen. Er war im Überrock hatte aber den Helm in der Hand.

»Untertänigst Verzeihung, gnädigste Frau,« sagte er, »daß ich nicht ganz genau die übliche Visitenstunde einhalten konnte. Der Aktendienst nimmt mich so in Anspruch, daß ich oft genug nur den Abend frei habe –«

»Sie wären uns auch abends willkommen gewesen, Herr von Hartwig, und hätten dann ein Butterbrot mit uns essen können. Ich gebe zwar viel auf den ›guten Ton in allen Lebenslagen‹, aber wenig auf allzu strengen Formalismus. Und außerdem sind wir ja alte Freunde.«

Hartwig verbeugte sich. »Es ist schmeichelhaft für mich, daß Sie sich der Freundschaft von einst erinnern, gnädige Frau. Das Haus Ihrer Eltern steht mir noch lebhaft im Gedächtnis. Sie wohnten damals, in der Königgrätzer Straße, ungefähr der Christuskirche gegenüber, und ich weiß, daß Sie den kleinen Salon, in dem gewöhnlich die Besuche empfangen wurden, die ›Laterne‹ zu nennen pflegten, weil er einen achteckigen Ausbau mit zahllosen Fenstern hatte. Rechts davon lag Ihr Zimmer und links das der Frau Geheimrat, Ihrer Mutter, das mich stets besonders traulich angemutet hat, weil auf dem sogenannten Tritt in der Fensternische der Nähtisch stand und auf dem Fensterbrett immer Begonien blühten: wie in einem Interieur von achtzehnhundertdreißig.«

Frau von Göchhusen lächelte wehmütig. »Ja, so war es, Herr von Hartwig, genau so. Meine Mutter war eine prächtige Frau, aber kein Gegenwartsmensch. Sie liebte die Affekte von gestern, und wenn Paulus Cassel in der Christuskirche predigte, fehlte sie nie, weil der es ganz besonders verstand, die Augen feucht werden zu lassen – und so wollte es die Mama: eine Predigt ohne Rührung und reichlichen Tränenfluß hätte bei ihr den Zweck verfehlt. Mir selbst gefiel Paulus Cassel nicht. Er war mir zu dick – und ich ein spillriges Mädelchen. Das hat sich freilich geändert,« fügte sie heiter hinzu.

Der Major machte eine Kopfbewegung, die eine stumme Schmeichelei bedeuten konnte.

»Wie lange ist es her? Zweiundzwanzig – dreiundzwangig Jahre ... aber zuweilen erscheint mir auch diese so weit zurückliegende Vergangenheit wie ein Tag von gestern und vorgestern, und seit ich Sie neulich wiedergesehen habe, ist mir, als ob sich die Empfindungen, die sich am Faden der Erinnerung aufreihen, noch stärker ausprägten. Ich entsinne mich mit fast farbiger Lebendigkeit gewisser Einzelheiten, die an sich kleinlicher Natur sind, aber eine feste Vorstellung in meinem Bewußtsein bilden, wie beispielsweise des Zimmers Ihrer Frau Mutter und des Korridors in Ihrer elterlichen Wohnung, in dem immer ein dunkler und ein erbsengelber Überzieher nebeneinander hingen und rechts und links vom Spiegel zwei bunte Lithographen: Ansichten von Teplitz ...«

Während er noch weiter sprach, erschienen Johanna, die Zofe, mit dem Theeservice, und Genander, der in den Besuchsstunden immer zum Diener avancierte, mit einem schönen alten Samowar, unter dem er die Flamme anzündete, um sich dann wieder zurückzuziehen. Das tat auch Johanna, und nun bereitete Frau von Göchhusen den Tee selbst, füllte die Tasse ihres Gastes, schob ihm den Teller mit Sandwichs zu und sagte:

»Ja, du lieber Gott, die Erinnerung! Es ist mir ja ganz ähnlich ergangen wie Ihnen, Herr von Hartwig. Als Sie neulich von dem Tode der zweiten Frau meines Mannes sprachen, haben Sie wohl gemerkt, wie heftig ich zusammenschrak. Das geschah aber, glaube ich, weniger zufolge der unerwarteten Plötzlichkeit der Nachricht, als aus einer blitzartigen Aufpeitschung des Gedächtnisses heraus. Ich sah in diesem Augenblick Wanda leibhaftig vor mir und hörte sie sprechen – hörte sie ganz deutlich sprechen: die Worte mit gewölbten Lippen prononzierend und mit dem scharfen Akzent, den sie sich trotz ihrer deutschen Erziehung nie abgewöhnen konnte.«

»Es hat mir noch nachträglich schmerzlich leid getan, gnädige Frau, daß ich eine wunde Stelle berührt habe.«

Er sprach das im Tone innigen Bedauerns, und mit einem merkwürdig hilflosen Gesicht, das in fast komischem Widerspruch zu dem Stattlichen seiner Erscheinung und der Ausdrucksenergie seiner Züge stand. Aber Frau von Göchhusen erhob abwehrend ihre Hand. »So ist es nicht, lieber Major,« sagte sie, » – Sie haben gar keine Ursache, sich Vorwürfe zu machen. Ich kann über diese Dinge so ruhig sprechen, als handele es sich um etwas sehr Gleichgültiges. Vergessen Sie nicht, daß zwischen heute und damals eine Zeit liegt, in der ich meinen vollen Frieden wiedergefunden habe. Jawohl, meinen vollen inneren Frieden. Ich gestehe, es gehörte ein wenig Selbstzucht dazu – aber es ist mir gelungen, und ich bin sehr froh darüber. Und da wir doch einmal bei dem Thema sind – ich wußte übrigens, daß es sich nicht umgehen lassen würde, und war darauf vorbereitet: es würde mich interessieren, von Ihnen zu hören, wie Sie mit Herrn von Göchhusen bekannt geworden sind –?«

Er warf, während er die kleine Teeserviette auf den Tisch zurücklegte, einen raschen, forschenden Blick aus seinen hellen Augen auf Magda, einen Blick, in dem man Erkennen und Wollen hätte lesen können, der aber auch gütig war, und antwortete hierauf ohne weiteres:

»Das kam so, gnädige Frau: Ich erzählte neulich bereits Ihrer Fräulein Tochter Elfriede ... apropos, wo ist Ihr reizendes Dreiblatt? Es hätte mir doch Freude gemacht, die Damen begrüßen zu dürfen.«

»Sie können jeden Augenblick zurückkommen, Herr von Hartwig. Besuch bei einer Freundin – aber es sollte nur eine Sprungvisite sein.«

»Also ja ... wie ich schon Ihrer Fräulein Tochter erzählte, vertreibe ich mir meine müßige Zeit zuweilen durch harmlose Malereien. Pour passer le temps, wirklich nichts weiter, und ohne Ruhmbegierde, selbst, ohne Hoffnung auf steigende Qualitäten. Na – und da strich ich denn auch während meiner Rekonvaleszenz in Pallanza zu öfterem hie und da mit meinem Skizzenbuch herum und sah eines Tages durch das Parkgitter der Villa Esperenza eine Partie, die mir außerordentlich gefiel. Ein paar Boecklinsche Zypressen als Hintergrund eines Rasenplatzes, darauf eine alte Platane mit seltsam gescheckter und zerrissener Rinde, ein Weiher mit dem obligaten Schwanenpaar und allerhand Schilfgewächsen am Ufer. Aber die Szenerie hatte auch Staffage. Unter der Platane stand ein sogenannter TriumphstuhI, und auf ihm lag eine sorglich in Decken gehüllte Dame –«

»Wanda,« fiel Frau von Göchhusen ein.

»Ja, gnädige Frau – und war in die Lektüre eines Tauchnitzbandes vertieft. Zu ihren Füßen ein Barsoi, rechtsseitig ein Tischchen mit einer Schale voll Früchte. Das alles sah so hübsch und malerisch aus, daß ich indiskret genug war, den Leseeifer der jungen Dame auszunützen und von der Straße aus das Ganze zu skizzieren. Nun wurde ich selbst eifrig, bis der Hund mich entdeckte und anschlug und die Dame erstaunt und, wie ich glaubte, auch mißbilligend aufschaute. Da stellte ich mich vor und bat um Entschuldigung – immer durch das Parkgitter – und muß bei dieser Gelegenheit wohl einen ganz netten Eindruck gemacht haben, denn die Dame lud mich freundlich ein, näher zu treten, um meine Skizze in größerer Beschaulichkeit beenden zu können. Das tat ich denn auch – und ich gestehe unbefangen ein: ich witterte damals so etwas wie ein hübsches Abenteuer –kein tannhäuserhaftes, Gott bewahre, aber doch immerhin eins, das die Langeweile von Pallanza angenehm zu unterbrechen imstande sein würde.«

Frau Magda lachte. »Merkwürdig, wie die Männer sich gleich sind,« sagte sie.

»Ja, das sind wir wohl, gnädige Frau: jedenfalls ist der Einschlag der Art immer unverkennbar, sobald uns das Ewigweibliche in gottgesegneter Fassung entgegentritt. Nur – – aber ich will bei meiner Geschichte bleiben. Mit dem Abenteuer war es in diesem Falle nichts: das merkte ich schon nach den ersten fünf Minuten meiner Unterhaltung mit Frau Wanda. Im übrigen erschien auch bald der Herr des Hauses der über die Abwechslung sichtlich erfreut war und mich zum Frühstück lud – und von diesem Tage ab war ich häufiger Gast in der Villa Esperenza und wurde schließlich ein Duzfreund Erichs.«

»A – ah ... so nahe sind Sie sich getreten?«

»Er bot mir das Du an. Ich hätte es nicht getan, weil ich – ich taxiere, well ich temperierter veranlagt bin. Aber ich akzeptierte, denn ich war Erich aufrichtig freundschaftlich zugetan. Das Gegensätzliche der Naturen bildete wohl auch hier die Anziehungskraft. Ich habe immer Neigung für hastige Phantasiemenschen gehabt, die mit dem Leben häufig in Widerspruch geraten – für intelligente Querköpfe, die einen Reiz in der Erschwerung des Daseins sehen – auch für die Noblesse des Gebens und Gewährens, wenn sie sich mit einem gewissen geistigen Raffinement vereint: also wenn sie von Kultur zeugt. Alles das, weil ich selber das Gegenteil bin: trotz meiner Liebe zur Kunst ziemlich nüchtern, von guter, aber schwerfälliger Logik, und nicht reich genug, um mir Genüsse zu gönnen, die ich zu schätzen weiß. Ästhetische Genüsse, doch auch materielle, falls sie eine Mischung von Griechentum und römischer Lebenslust sind...«

Frau Magda saß schweigend in der Sofaecke und hörte zu. Dieser Major aus dem Bezirksbureau hatte eine Art zu sprechen, die sie fesselte. Das hatte er schon als junger Leutnant gekonnt: und was sie damals mehr noch als der Inhalt seiner Worte bezaubert hatte, das war der gefällige und melodiöse Wohlklang seiner Stimme gewesen. Dies Organ bestach; aber zweifellos, es gehörte zum Menschen, vor allem zum Ausdruck der Augen, die in ihrer Klarheit jedes Empfinden auf den Punkt seiner Stärke zu bringen schienen. Es gehörte nur nicht zur Uniform.

Eine kurze Pause trat ein. Frau von Göchhusen schaute vor sich hin, mit einem Blick der Verinnerlichung, als streife durch ihr Gedächtnis eine Reihe von Vorstellungen, deren Bruchstücke sie im Bewußtsein zu ordnen sich mühte. Und dann zuckte sie ein wenig zusammen, zuckte gleichsam aus einem Halbtraum auf, und sagte:

»Seltsam, wie ausgezeichnet Sie Erich mit wenigen Worten zu charakterisieren verstehen. Er war ein Grandseigneur und auch ein Kulturmensch, ganz richtig – und ich will Ihnen zugeben, nicht nur in äußerem Sinne: er strebte immer aus der Enge heraus und hätte sich in einer Welt lebendiger Schönheit am wohlsten gefühlt. Und das war zugleich der Grund seiner ewigen Unruhe und, ich muß es sagen, auch des Unglücks unsrer Ehe: daß ihm das Behaglichkeitsgefühl für kleine Kreise absolut abging und daß ihm jedes Beharrungsvermögen fehlte. Er sollte ursprünglich Kaufmann werden und die Farbwerke seines Vaters übernehmen. Daran war gar nicht zu denken. Dann studierte er Chemie: auch das behagte ihm nicht. Er sattelte um und wurde Jurist, kam ins Auswärtige Amt, zur Gesandtschaft nach Bukarest und wieder zurück nach Berlin – aber die Diplomatie langweilte ihn wie jeder andre feste Beruf, so daß er schließlich den Abschied nahm, um ganz sich selbst leben zu können ... Lieber Freund, es ist das gewiß eine schöne Sache, ›sich selbst‹ leben zu können; aber dann muß man ein geborener Egoist sein und völlig in seinem Selbst aufgehen. Dann muß man allein sein und auch in seinem Alleinsein eine frohe Festigkeit besitzen. Erich hätte nicht heiraten dürfen. Die Ehe ist immer nur eine umgrenzte Welt, und mich dünkt, es ist gut, daß es so ist. Er war in gewissem Sinne auch Herrenmensch. Was er liebte, wollte er besitzen. So nahm er mich – und als Wanda in seine Kreise kam und ein neuer Schönheitsrausch ihn verwirrte, nahm er sie. Ich glaube aber, auch mit ihr hat er kein volles Glück gefunden.«

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