Kitabı oku: «Drei Mädchen am Spinnrad», sayfa 3

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Er schwenkte seinen Hut zweimal mit kreisender Bewegung der Rechten und war dann bei den Mädchen.

»Meine gnädigsten Damen,« sagte er, »hohe Freude.«

»Höchste Freude, Kerr von Emmingen,« erwiderte Maxe, »wir bitten um den Superlativs wenn schon, denn schon.«

»Also höchste. Es ist auch richtiger. Hierher gehört die Steigerung. Auf Geschäftsgängen, wenn ich fragen darf, oder nur Promenade pour prendre l'air? Wär's letzteres, so würde ich den Mut fassen, gehorsamst zu bitten, die Gnädigsten ein paar Schritte begleiten zu dürfen. Bei einem Geschäftsgang, ob Schneiderin oder Hutmarchandage, wag' ich das nicht. Keinesfalls. Da respektiere ich den Ernst der Gedanken und die Absicht auf das Resultat ...«

Seine Augen kreisten über die drei, tatsächlich hatte er aber nur mit Maxe gesprochen. Die antwortete auch; Herr von Emmingen flirtete lange um sie herum, und die Schwestern hielten sich, diskret zurück: sie überließen ihn der Kleinsten.

»Sie können alles wagen,« sagte Maxe, »und wenn Sie uns bis an das Ende unsres Marsches, begleiten wollen: um so besser für uns.«

Er schloß sich an. Sofort teilte sich die Gruppe: Beate und Elfriede schritten voran, als hätten sie es, so verabredet. Es war aber nur kluger Instinkt.

»Und wohin, geht's, wenn ich fragen darf?«

»Sie dürfen immer fragen – auch ohne den Nachsatz. Nach der Lietzenburger Straße – in eine Gegend des freien Feldes.«

»Das gefällt mir. Die Flucht aus der Stadt, Sehnsucht nach der Natur. Ich kenne die Landschaft. Ganz reizend. Wie eine Schilderung Bret Hartes. Steppengras und aufgewühlter Boden, leere Sardinenbüchsen, Küchenabfälle, malerische Fetzen; alles unter dem Zeichen: ›Hier kann Schutt abgeladen werden.‹ Und darüber der Odem der Freiheit.«

Maxe lachte fröhlich. »Sie sind boshaft, Herr von Emmingen. Aber beinah haben Sie recht. Nur streben wir nicht so weit hinaus – nicht bis an die Region der Kjökkenmöddinger. Wir machen schon vorher Halt. Wir sind zu einem Freund geladen.«

»Freund? Ich verstehe doch richtig. Masculini generis?«

»Schaudern Sie. Es ist so. Zu einem jungen Mann namens Krempel.«

Herr von Emmingen nahm sein Monokel aus dem Auge. »Gnädiges Fräulein, das ist nicht möglich. Krempel gibt's nicht. Das wäre vieux jeu: alte Berliner Posse oder gar Kotzebue, nicht einmal Raupach. Ein moderner Mensch kann nicht Krempel heißen.«

»Es ist auch kein ganz moderner. Trotzdem heißt er so. Einer seiner Vorfahren war Magister – liberalium artium magister – und nannte sich Krempelius. Es war die Zeit, da man alles latinisierte. In der Gegenwart klingt Krempel immer noch hübscher als Krempelius. Wenn er nur wenigstens einen dazu passenden Vornamen besäße! Aber auch das ist nicht der Fall. Halten Sie Ihr Monokel fest, Herr von Emmingen, und bleiben Sie Ihrer Sinne Meister: unser Freund heißt Dionys Krempel.«

Der Legationssekretär schwieg zunächst ein kleines Weilchen, und dann sagte er: »Also, das ist der Gipfel. Es ist unter allen Umstanden etwas Ungeahntes. Es ist zunächst eine leichte Schreckwirkung, die sich aber bald zu einem behaglichen Empfinden abdämpft. Ganz gewiß: Dionys Kremsiel verbreitet eine Atmosphäre von Behaglichkeit um sich. Ist er auch selbst ein Original?«

»'n – ja ... halb und halb. Jedenfalls kein Dutzendmensch. Sein Vater war ein ausgesprochener Sonderling, und von dem hat der Sohn mancherlei geerbt. Der Alte war Pastor auf einem Gute, das wir früher besaßen, und der Sohn hat uns alle miteinander in den Anfangsgründen löblicher Wissenschaft unterrichtet. Daher unsre Freundschaft.«

»Daher also. Es ist hübsch, wenn man so anhänglich ist. Ich beneide Krempel.«

»Warum?«

»Wegen der Anhänglichkeit. Und weil Sie so ganz sans gêne zu ihm gehen können – also, weil er Ihnen nahe steht... Wenn ich Sie einmal einladen würde, Sie drei, da würden Sie doch keinesfalls kommen?«

»Weshalb denn nicht? Zu einem Damenkaffee mit Stippe? Ich glaube schon, daß das Mama erlauben würde. Sie sind ja doch kein Oger, der kleine Mädchen frißt. Sie sind ein sehr korrekter junger Herr aus der besten Gesellschaft.«

»Sagen Sie nicht korrekt, gnädiges Fräulein. Man sagt es mir zu oft. Mein Gesandter hält mich dafür, und die Kollegen niederer Art wiederholen es. Vielleicht bin ich es auch: aus Instinkt; aber eine gewisse Warmblütigkeit sträubt sich dagegen. Ja wahrhaftig: ich sträube mich vielfach gegen mich selbst. Es gibt ja solche Zweiseelenmenschen. Das Innere will hütt und das Äußere hü. Wie ist da ein Ausgleich möglich?«

»Der findet sich in der Ehe,« sagte Maxe mit weiser Harmlosigkeit.

Herr von Emmingen zuckte und ruckte mit Schultern und Armen. »In der Ehe – na ja. Da findet sich alles. Bloß die Ehe selbst findet sich manchmal nicht. Ich bin dreißig, unbescholten, habe ein leidliches Nährbrot und noch etwas dazu – aber werde immer allein bleiben. Nämlich weshalb? Wegen des Zweiseelenstands. Die eine Seele möchte gern, und die andre hat Angst. Die eine stürmt lebhaft vor, und die andre wirkt retardierend. Die eine will sprechen, und die andre sagt: halte den Mund. So geht's mir immer und in allem. Sogar in meinem Beruf. Ich bin eigentlich ein sehr unglücklicher Mensch...« Er blieb stehen: dicht am Portal der Gedächtniskirche... »Bemitleiden Sie mich und gestatten Sie mir, daß ich mich gehorsamst empfehle. Jetzt sprechen abermals die zwei Seelen. Die eine möchte Sie gerne bis an die Gegend der Kjökkenmöddinger begleiten, aber die andre weist auf die Uhr und mahnt mich daran, daß ich noch auf der russischen Botschaft eine Karte abzuwerfen habe.«

Maxe gab ihm die Hand. »Adieu, Herr von Emmingen. Ich bemitleide Sie nicht. Seien Sie energisch und würgen Sie die eine Seele ab: welche, müssen Sie wissen, und auch, wann es an der Zeit ist. Dann ist die andre frei.«

Der Legationssekretär hatte noch die Hand Maxes in der seinen und warf ihr einen Blick zu, der sie verwirrte. Er wollte auch sicher eine Antwort geben, aber da traten Beate und Elfriede hinzu, und er ließ es. Er verabschiedete sich mit liebenswürdiger Förmlichkeit und rief ein Auto heran.

Indessen gingen die Mädchen weiter.

»Hat er angebissen?« fragte Beate.

»Er beißt nicht,« erwiderte Elfriede. »Er gehört zu der Spezies je ne sais quoi. Er ist nicht einmal Schmetterling: er tut nur so. Er hat kaltes Blut.«

Aber Maxe verteidigte ihn. »Da irrst du dich. Er ist nur zu zag und steckt zu sehr in der Konvention. Er ist ein braver Mensch und soll auch tüchtig sein. Irgendwer hat mir neulich erzählt, er würde bald Rat werden, und dann kriegt er eine exotische Gesandtschaft. Aber heiraten möchte ich ihn um die Welt nicht.«

»Du bist ein Schäfchen,« sagte Beate. »Er paßt sehr gut zu dir – du könntest froh sein, wenn er um dich anhielte. Auf wen wartest du eigentlich?«

»Sie hat unentwegt ihren Krempel im Herzen,« warf Elfriede ein.

Maxe wurde ärgerlich. »Den Scherz hast du schon öfters gemacht, Friedl! – such' dir einen neuen. Durch eure albernen Anspielungen werdet ihr es dahinbringen, daß die Mama sich eines Tages jeden ferneren Besuch Krempels verbittet. Hätte auch recht so – und mir war's am liebsten. Dann hat der Unfug ein Ende.«

Sie war wirklich böse. Sie blies in ihren Schleier und hatte ein dräuendes Wetter auf der Stirn. Die Schwestern lenkten ein und sagten ihr gute Worte, und da dauerte es auch nicht lange, und das Wetter zog wieder ab. Nun gingen sie noch in einen Blumenladen, um die Geschenkveilchen zu kaufen, und blieben ein paar Minuten später vor einem großen Torweg stehen.

»Hier ist es,« erklärte Maxe. »Krempel hat mir gesagt, rechts von ihm läge ein Kohlenkeller und links eine Bäckerei mit Schrippen im Schaufenster. Das Topographische stimmt also. Im Hausflur müssen wir uns rechtsseitig halten, weil wir sonst zu dem Aufgang für Herrschaften geraten, der uns nichts angeht. Also, nun vorwärts!«

Sie traten in das Haus.

Herr von Göchhusen, der immer gern seinen Launen gefolgt war, hatte eines Tages Lust verspürt, sich ländlich anzukaufen. Aber es sollte nur ein kleines Gut sein: in der Nähe Berlins, leicht zu bewirtschaften und leicht wieder loszuschlagen, wenn man der Sache überdrüssig geworden wäre. Das fand sich denn auch, und zwar in der Umgebung des Schwielowsees, und hieß Zochin. Zochin war ein Dörfchen wie andere am Ufer des Schwielow, hatte aber eine berühmte Kirche, deren Grundstein noch die Kurfürstin Dorothea gelegt, und einen gleichfalls berühmten Geistlichen, den Pastor Krempel. Er war so berühmt, daß man zuweilen aus Potsdam und Spandau, auch aus Berlin herüberkam, um ihn predigen zu hören: aber weniger aus frommer Lust an innerer Erbauung als aus Neugier. Denn Krempel war ein eigenartiger Prediger; er sprach wie Abraham a Santa Clara und wie die geistlichen Herren des Mittelalters, liebte kräftige Wendungen und eine ungemein ausdrucksvolle Mimik, die er durch lebendige Gestikulation unterstützte, und verstand es, die Themen der Bibel auf eigentümlich realistische Weise zu modernisieren und der Gegenwart nahe zu bringen.

Er war auch sonst ein origineller Kauz, kein Eiferer, aber ein Wetterer, immer im Kampfe mit dem Konsistorium, ein Schulmann von seltsamen pädagogischen Prinzipien, ein passionierter Imker und ein großer Fischfreund, der halbe Tage lang im Boot auf dem Schwielow liegen konnte, um seine Netze zu werfen oder die Angel in das Wasser zu hängen. Dieser Pastor, der ein riesiger Mann war mit eckigen Schultern und quadratischem Kopf, hatte ein ganz, kleines, zierliches Frauchen geheiratet. Es hatte damals einen Skandal gegeben, denn das Mädchen, Dionysia Madersteg, die Tochter eines Inspektors der Königlichen Porzellanfabrik, war katholischer Konfession, und es hieß, Krempel habe sie zum Übertritt gedrängt. Der Santa Clara von Zochin hatte anfänglich schlimme Tage; die Eltern seiner jungen Frau klagten wider ihn, das Konsistorium setzte ihm zu, schließlich kam die Sache auch an den zuständigen Minister. Ein riesiges Aktenmaterial häufte sich auf; aber Krempel verteidigte sich gut, und da seine Frau bei dem Zeugenverhör unter rinnenden Tränen erklärte, sie sei aus freien Stücken und innerster Überzeugung evangelisch geworden, so schlug man den Prozeß endgültig nieder. Im Pfarrhause zu Zochin begann nun ein glückliches Leben, und als die Ehe im fünften Jahre durch einen gesunden Jungen gesegnet wurde, ein Sonntagskind, hielt Krempel eine so schöne Predigt, daß sämtliche Weiber schluchzten und selbst die alten Fischer des Torfes in zarte Rührung kamen, sich heftig schnäuzten und mit ihren braunen Fäusten über die Augen wischten.

Damals lachte auch über der Göchhusenschen Ehe noch blauer Himmel. Der Legationsrat (er hatte den Titel zum Abschied aus dem ihm langweilig gewordenen. diplomatischen Dienst bekommen) verlebte immer die Sommermonate in Zochin, stand sich mit seinem originellen, trinklustigen Pastor auf du und du und hatte nichts dagegen, daß auch die Kinder sich anfreundeten. Dionys war der älteste unter der kleinen Gesellschaft, was ihn aber nicht behinderte, bei allen Dummheiten der Anführer zu sein: sei es bei der Erstürmung der Kalkgrube, bei der die Kleider der Mädchen eine wunderliche Färbung annahmen, oder auch bei Wasserpartien, die nie ohne vollständige Durchfeuchtung abschlossen, oder bei halsbrecherischen Touren über Heuböden, in den Kirchturm, durch Holzställe und Kellerverließe oder bei sonstigen Extravergnügungen, wie sie die Kinderphantasie mit Märchenschreck, Räuberromantik und Prinzessinnenglück unaufhörlich auszuhecken pflegt. Dann wuchs Dionys heran, lernte zunächst in der Dorfschule die Grundzüge allgemeiner Bildung und kam hierauf unter die väterliche Fuchtel lateinischer Deklination und griechischer Grammatik. Allmählich wurde er so gelehrt, daß er schon selber den Präzeptor spielen konnte: Herr von Göchhusen berief ihn für die Unterrichtung Beates, bis sich später der Born seines Wissens auch über die beiden andern Kleinen im Schlosse ergoß. Denn die drei Mädchen hatten zu Beginn ihrer geistigen Entwicklung zwar eine englische Governeß und eine französische Bonne, der sich auch noch eine pikante Italienerin anschloß (so pikant, daß Frau von Göchhusen sie in Rücksicht auf ihren Gatten bald wieder entließ), aber keine deutsche Erzieherin mit gründlicher Vorbildung. So kam es, daß die Kinderfreundschaft zwischen dem Trio und Dionys auch die Studentenzeit überdauerte und daß das herzliche Verhältnis blieb, als die Mädchen zu ansehnlichen Jungfrauen herangeblüht waren und Krempel sich als Lehrer des Joachimsthalschen Gymnasiums »Herr Doktor« nennen lassen konnte. –

Das Göchhusensche Dreiblatt war also in den Torweg eingetreten und hielt sich nach dem Vorschlage Maxes rechtsseitig, um nicht links in den durch eine Marmorvase und einen Läufer gekennzeichneten Aufgang für Herrschaften zu geraten. Man durchquerte einen Hof mit einem abgezirkelten Rasenstück, einer großen Müllkiste und einem reckartigen Aufbau, der dem Teppichklopfen nützte, und beschritt hierauf das sogenannte Quergebäude, in dem die Treppe keinen Läufer besaß und die Fenster auch nicht so schön bunt verglast waren wie vorn.

Beate bemerkte dies sofort, aber Maxe verteidigte die Schlichtheit der Ausstattung.

»Teppiche sind Bazillenfänger,« sagte sie, »und helle Fenster lassen das Licht ein. Ich für mein Teil würde immer eine Gartenwohnung vorziehen, wenn man den Garten auch auf einem Schiebkarren forttragen könnte. Bemerkt ihr nicht die köstliche Ruhe in diesem sogenannten »Quergebäude rechts« und den guten Geruch, der durch die Spalten der Küchentüren strömt? Unten war es Schmorbraten mit Rotkohl, während hier ein gesunder Odem nach frisch, gekochtem Kaffee vorwaltet.«

»Es sind auch noch Nebenströmungen dabei,« erwiderte Elfriede und schnüffelte, »aber ich will nicht differenzieren. Außerdem glaube ich, daß wir am Ziele sind, und da vier Treppen unter uns gähnen, können wir hinzufügen: auf der Höhe der Situation.«

Sie standen vor einer Korridortür, auf die mittels vier Reißnägel eine Visitenkarte mit dem Namen »D. Krempel, Dr. phil.« geheftet war. Maxe drückte auf den Klingelknopf.

Es verstrichen ein paar Minuten, ehe geöffnet wurde, und dann sahen sich die Damen ihrem alten Freunde gegenüber, doch trug dieser zu ihrer Verwunderung einen blauen Livreerock mit Silberbesatz und verbeugte sich fremdartig.

»Ich bitte einzutreten,« sagte er. »Der Herr Doktor Krempel werden sofort erscheinen. Wollen die Damen die Güte haben, inzwischen abzulegen.«

Er half ihnen, sich von Jacken und Hüten zu trennen, ohne das Kichern der Mädchen zu beachten, und verschwand dann rasch mit den Worten: »Ich werde den Herrn Doktor benachrichtigen – wenn die gnädigen Damen freundlichst solange im Antichambre verweilen wollen ...«

»Es fängt gut an,« sagte Beate.

»Höchst verrückt,« ergänzte Elfriede. »Also dies ist das Antichambre oder besser die Diele. Oben Japan und unten deutsches Bauernhaus.«

So konnte man den Stil bezeichnen. Von der Decke herab hing ein großer japanischer Papierschirm, sonst bestand das Mobiliar aus drei Holzstühlen, einer Truhe und einem Garderobenständer.

Nun aber öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer, und in dem blendenden Kerzenlicht, das von dort in das Vorgemach fiel, erschien abermals Krempel, diesmal in schwarzem Rock und auch sonst sonntäglich gekleidet.

»Eine große Freude,« sagte er, »auch eine Ehre, euch in meinem bescheidenen Heim bewillkommnen zu dürfen. Hat mein Diener euch schon die Mäntel abgenommen? Er war zuletzt bei dem Grafen Schuwaloff engagiert, macht aber trotzdem immer einen etwas befangenen Eindruck. Deshalb habe ich ihn fortgeschickt. Darf ich euch bitten, in den Salon zu treten, ohne Rücksicht auf den echten Perserteppich und das Polareisbärfell am Boden.«

Er hatte jeder der Damen die Hand gegeben, auch die Veilchen mit Dank entgegengenommen und wartete nun mit strahlender Miene ab, was seine Gäste zu der erleuchteten Pracht des Salons sagen würden. Sie waren des besseren Überblicks halber in der Nähe der Tür stehengeblieben und machten große Augen. Es war wirklich sehr schön. Die Rouleaux vor dem Fenster waren herabgelassen worden, um eine künstliche Nacht zu erzeugen. Dafür brannten auf dem Spiegeltisch zwei Kerzen in altertümlichen silbernen Leuchtern und auf dem Sofatisch eine sogenannte Astrallampe, wie sie in den sechziger Jahren Mode gewesen war. Alle Möbel im Zimmer stammten aus dieser Zeit; sie waren zum Teil aus gemasertem Birkenholz, zum Teil aus Mahagoni, aber die Stillosigkeit tat dem behaglichen Eindruck des Ganzen keinen Abbruch. Der echte Perser am Boden war nur Tapestry und der Polareisbär ein Ziegenfell, doch auch das schadete nicht. Über dem Sofa mit seinen gehäkelten Schutzdeckchen hingen ein paar Familienbilder und an der Wand gegenüber gekreuzte Schläger unter einem durchlöcherten Cerevis und einer alten Pistole. Der Tisch war sauber gedeckt mit weißen Tassen, die einen feinen Goldrand hatten; in der Mitte stand eine große Nußtorte und daneben eine Schüssel mit leuchtender Schlagsahne.

»Bravo, Krempelius,« sagte Beate, »es ist überwältigend.«

»Es ist mehr,« fügte Elfriede hinzu. »Der erste Eindruck blendet, das gestehe ich ein, aber dann kommt das Gefühl schöner Ruhe und einer gewissen traulichen Geschlossenheit.«

Maxe sagte anfänglich gar nichts. Sie war an die Bilder über dem Sofa getreten und betrachtete sie mit Rührung: den Mann im Lutherrock mit einem starken quadratischen Schädel und schauspielerhaft ausgearbeiteten Zügen und die Frau mit ihrem zierlichen Köpfchen unter merkwürdig altmodischem Haubenputz.

»Deine Eltern, Krempel – oh, ich entsinne mich ihrer noch gut!«

»Ja, das sind die Alten,« sagte Dionys; »sind sie nicht ähnlich? Ich habe sie nach kleinen Photographien vergrößern lassen – das macht man heute ohne Schwierigkeit. Sieht Vater nicht aus, als ob er lebte und eben mit einer Predigt losdonnern wollte? Denn er donnerte eigentlich immer mehr, als er sprach ... Wenn ich hier sitze, bilde ich mir manchmal, ein, ich wäre im Pfarrhause von Zochin. Ich habe mir alle Möbel der Eltern vom Speicher kommen lassen; die birkenen sind neu aufpoliert, bei den Mahagonis reichte es nicht ganz. Mein Stolz ist das Sofa. Es stand daheim in der guten Stube und hatte noch mehr gehäkelte Deckchen. Mutter häkelte beständig solche Deckchen, die einem gewissen Schonungsbedürfnis entsprangen. Aber der modernen Zeit sind sie unbequem, deshalb habe ich mich auf die zwei beschränkt, die der Pietät Rechnung tragen sollen.«

Er strich zärtlich über die gehäkelten Naivitäten und fuhr dann rasch fort: »Also nun bitte ich Umschau zu halten, ehe wir zur Tafel schreiten. An dem großen Schreibtisch arbeitete Vater seine Predigten, die Myrten darüber stammen vom Brautkranz meiner Mutter. Im Pfeifenständer in der Ecke seht ihr noch die mit dem alten Blücher auf dem Porzellankopf, die letzte Pfeife, die Vater geraucht hat. Das Zimmer ist eigentlich ein Museum. Aber wir wollen uns bei Einzelheiten nicht aufhalten, sonst wird die Schokolade kalt. Nur noch einen Blick in die Flucht der Nebengemächer...« Er öffnete eine Tapetentür, die in ein winziges Zimmerchen führte, in dem ein Bett, ein Waschtisch, ein großer Schrank und ein Regal mit Büchern standen ... »Das Schlafzimmer,« sagte Krempel und deutete auf das Bett; »das Ankleidezimmer« – er zeigte auf den Schrank –, »das Bibliothekzimmer« – dabei wies er auf das Bücherregal – »und schließlich das Badekabinett« – er verbeugte sich vor dem Waschtisch ... »Die Wohnung ist für einen einzelnen ja etwas geräumig, aber ich liebe die langen Enfiladen. Nun verbleibt noch die Küche ...« Es ging über einen schmalen Flur, in dem man sich kaum umwenden konnte, und dann in die Küche, in der eine dicke Frau am Herde hantierte... »Frau Brendicke,« sagte Krempel mit einer Handbewegung, »meine Haushälterin, ein kulinarisches Genie, namentlich bedeutend in falschem Hasen und in Brühkartoffeln, aber auch in feineren Sachen erfahren. Wie steht's mit der Schokolade, Frau Brendicke?«

Frau Brendicke hatte vor den jungen Damen einen Knix gemacht und zu dem Lobe Krempels etwas schämig geäußert: »Aber, Herr Doktor ...« Dann kehrte sie zu der Schokolade zurück. »Sie ist fertig, soll ich sie 'reinbringen?«

»Bitte zu servieren,« entgegnete Krempel. Nun trat man wieder in den Salon.

»Das Dienerzimmer haben wir noch nicht gesehen,« sagte Maxe.

Krempel lachte. »Ich will die Illusion fallen lassen. Es sollte wie bei wahrhaft vornehmen Leuten sein, ein Empfang in großem Stil. Deshalb habe ich mir von euerm Genander eine Livree geborgt und wandelte mich zunächst in einen Levkoien aus gutem Hause um. Aber jetzt bin ich wieder ich und bitte euch, Platz zu nehmen« Beate auf das Sofa, Elfriede rechts und Maxe links ...«

Nun trat Frau Brendicke wieder in die Erscheinung und trug auf einem Brett eine stattliche weiße Porzellankanne, goldumrändert wie die Tassen und mit einer kleinen goldenen Puschel auf dem Deckel. Die Schokolade floß in die Tassen, und Krempel setzte kunstgerecht einen Inselberg von weißer Schlagsahne auf die braune Flut. Dann schnitt er die Torte und versah auch hierbei ein jedes Stück mit einer Schlagrahmkrönung, so daß man nunmehr an die Tätigkeit des Vertilgens gehen konnte.

Während die jungen Damen mit angeregtem Appetit speisten (nur Beate ihrer Neigung zur Fülle halber etwas vorsichtiger), ging das Gespräch hin und her. Krempels frisches Jungengesicht, das sich die Harmlosigkeit der Kindheit bewahrt hatte und in dem der kleine blonde Schnurrbart beinahe ein befremdliches Element bildete, glänzte vor Freude, die Freundinnen bei sich zu haben. Er war ein Mensch glücklicher Illusionen, für den es einen Nullpunkt des Empfindens eigentlich gar nicht gab. Über das Bescheiden mit dem Notwendigen stieg bei ihm immer ein Augenblickswohlsein, das zu einer förmlichen Kette von Frohgefühlen wurde. Er war ein ausgesprochener Optimist, für den die These des Aristoteles, daß das Glück den Selbstgenügsamen gehöre, zur Wahrheit wurde. Kleinlicher Ärger, der in seinem Lehrerdasein ja auch nicht ausblieb, fiel von ihm ab wie rasch rinnende Regentropfen. Er kannte im Wechselspiel des Lebens die Unlust nicht.

Im Laufe der Unterhaltung, die vom Hundertsten zum Tausendsten sprang, fiel das Niveau in der Schokoladenkanne: der Schlagrahmberg war abgetragen und die Nußtorte zu einem fragmentarischen Gebilde geworden. Maxe hielt es angesichts der Überwindung der Materie nunmehr für an der Zeit, mit dem Plane herauszurücken, für den man Krempel als Hilfskraft gewinnen wollte. Sie wischte mit dem Taschentuch über ihre Lippen, erbat sich eine Zigarette, rauchte ein paar Züge und begann also:

»Krempel, wie du siehst, sind wir deiner gefälligen Einladung gern gefolgt und haben auch auf dem Altar, den du uns errichtet hast, nach besten Kräften geopfert., Jetzt müssen wir dir aber sagen, daß du uns doch noch etwas anderes als nur die Lust an Schokolade und Nußtorte bewog, zu dir zu kommen: wir haben die Absicht, dich an einem Unternehmen zu beteiligen, dessen Gewagtheit dich vielleicht im ersten Augenblick erschrecken dürfte, dem du aber gewiß zustimmen wirst, wenn du in Ruhe unsre Gründe gehört und deren Nützlichkeit erwogen hast.«

Dionys machte ein verwundertes Gesicht, und zugleich flackerte in seinem Auge die Neugierde auf.

»Alle Wetter,« meinte er, »das klingt feierlich.«

»So sollte es auch, denn es liegt heiliger Ernst in der Sache.«

»Also schieß los.«

Maxe atmete stark auf und sagte dann mit Betonung:

»Wir wollen unsre Mama verheiraten ...«

Krempel klappte die rechte Ohrmuschel um, als habe er nicht recht verstanden und als wolle er noch einmal die Antwort hören. Aber das war nur eine unwillkürliche Bewegung, denn er hatte schon richtig vernommen, und da das Drollige der Äußerung nach dem ersten Stutzen in sein Bewußtsein trat, huschte zunächst ein Schmunzeln über sein Gesicht, dem leises Kichern und dann ein herzliches Lachen folgte.

»Entschuldigt,« rief er, »aber das ist wirklich ... Nehmt mir's nicht übel, aber ... Bitte, Maxe, wiederhole noch einmal: ihr wollt eure Mutter verheiraten?« »Das ist unser fester Wille,« antwortete Maxe, und Elfriede sagte: »Ich weiß nicht, weshalb du das so fürchterlich komisch findest, Krempel. Wenn die Mama uns verheiraten möchte, würde dir das ganz selbstverständlich erscheinen. Warum nicht auch umgekehrt?«

Nun nahm auch Beate das Wort. »Krempel, bemühe dich, die Sache ernsthaft aufzufassen. Es handelt sich keineswegs um einen frivolen Scherz – wahrhaftig nicht. Seit wir erwachsen sind und die Mama sich nicht mehr um uns zu sorgen hat, haben wir das Gefühl, daß sie sich nach einer neuen Ehe sehnt ... Jawohl, so ist es. Sie hat die Trennung von ihrem Manne verschmerzt, sie ist innerlich wieder frei geworden, und da sie noch nicht alt genug ist zu freiwilliger Entsagung, so ist die Hoffnung auf ein zweites Liebesglück doch etwas ganz natürliches. Selbstverständlich hat sie uns das nicht anvertraut. Mitteilung von Gefühlen hat immer seine Schwierigkeit. Vielleicht spricht bei ihr auch etwas Unbewußtes mit, aber die Übertragung in das Bewußte wird schon kommen, wenn erst der Bewußte sich zeigt.«

»Natürlich,« sagte Elfriede. »Krempel, wir sind verständige Mädchen und brauchen uns nicht hinter alberner Prüderie zu verkriechen. Wir wollen dir gegenüber auch ganz ehrlich sein. Wir sind immer noch Mutterkinder. Verstehst du, was ich damit meine? Wir müssen immer noch am Schürzenzipfel unsrer Mutter hängen, weil sie uns nicht freigeben will. Sie hat uns vernünftig erziehen lassen. Jede von uns hat etwas gelernt, aber sie verwehrt es uns, das Erlernte praktisch auszunützen. Warum? Weil sie eine etwas philiströse Angst vor der Öffentlichkeit hat.«

»Das hat sie,« rief Maxe. »Da wir doch einmal bei Konfessionen sind, müssen wir auch offen zugeben, daß diese in vieler Beziehung sehr unbefangen urteilende Mutter in manchen Dingen noch recht rückständig ist. Warum muß ich beim Abiturium haltmachen? Warum läßt sie mich nicht weiterstudieren?«

»Und warum darf ich,« fügte Beate hinzu, »mich nicht nach einer Stellung als Bibliothekarin umsehen? Warum hat sie Elfriede plötzlich die Malkarriere unterbunden? Weil sie Furcht hat, uns in Freiheit zu setzen, und diese Furcht ist nichts weiter als die Scheu, uns ohne Männer ins Leben treten zu lassen.«

Maxe schlug mit zwei Fingern auf den Tisch. »Und aus allen diesen Gründen,« sagte sie, »halten wir es für eine Notwendigkeit, die Mama schleunigst zu verehelichen.«

Krempel hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört und dabei abwechselnd den Kopf geschüttelt und genickt. Aber er lachte nicht mehr: er war wirklich ernsthaft geworden.

»Ich verstehe schon,« entgegnete er, »daß ihr euch nach einer gewissen Selbständigkeit sehnt, nachdem ihr quasi zu solcher erzogen worden seid. Aber wer gewährleistet sie euch denn für den Fall, daß eure Mutter sich wieder verheiraten sollte? – Der künftige Stiefpapa? Das ist doch noch sehr die Frage.«

»Wir werden unsre Bedingungen stellen,« rief Maxe.

»Sei nicht vorlaut, Maxe,« sagte Beate. »Bedingungen stellen ist Unsinn. Wir brauchen gar keine Zwangslage zu schaffen.. Es ist klar, daß eine Wiederverheiratung der Mama auch für uns entscheidend sein würde.«

»Das scheint mir durchaus nicht so klar,« antwortete Krempel. »Es wird der Wunsch eurer Mutter sein, euch auch noch weiterhin im Hause behalten zu können. Und ihr Gatte wird nachgeben.«

»Und dann ist die Zwangslage da,« sagte Elfriede., »Gewiß, Beate, es kann immerhin zu einer solchen kommen. Was schadet es auch? Wir wollen ja der Mama nicht durchgehen. Wir wollen uns nur auf unsre persönlich gewachsenen Füße stellen. Das erlaubt uns nicht nur unsre Erziehung: wir haben auch eignes Vermögen und können von den Zinsen recht gut leben.«

»Gott sei Dank,« rief Maxe. »Rechne mal, Krempel. Jede von uns hat hundertfünfzigtausend Mark. Wenn wir nun –«

»Ach Gott, Maxe,« fiel Beate ein, »laß doch die Albernheiten. Wir brauchen gar nicht erst zu rechnen. Es langt. Wenn wir uns eine gemeinschaftliche Wohnung nehmen, können wir einen fürstlichen Hausstand führen.«

»Wenn,« sagte Krempel mit Betonung. »Ich begreife ja, daß es einen großen Reiz für euch haben würde. Es ist wenigstens eine relative Freiheit. Aber wißt ihr denn, daß die die Mama sie euch gewähren würde?«

»Wir werden es durchzusetzen verstehen. Ich glaube auch nicht einmal, daß das so schwer halten würde. Mutter selbst wird sich ihrer jungen Freiheit freuen. Natürlich – es muß ja für sie ein peinliches Empfinden sein, sich von den eigenen Töchtern in ihrer Liebe beobachtet zu wissen. Und auch für uns wäre es unangenehm. Es ginge nicht. Wir sind zu groß geworden.«

Krempel sah das ein. »Also schön. Rekapitulieren wir: eine neue Ehe eurer Mutter wäre für alle Teile gut. Wollt ihr nun die Gewogenheit haben, mir zu erklären, wie ich euch dabei helfen könnte. Mit Heiratsvermittlungen habe ich mich noch nie befaßt, weiß nicht einmal, ob ich Talent dazu habe. Aber es kann schon sein. Mein angeborener Optimismus würde mich zum Glücksstifter befähigen. Auf Prozente verzichte ich.«

Die drei Mädchen huben gleichzeitig zu sprechen an.

»Ruhe,« sagte Beate, »ich bin die Älteste. Ich bin die Sprecherin, ihr seid nur der Chorus. Die Sache liegt so, Krempelius. Bis jetzt haben wir nur einen Mann auf Lager, der für die Mama geeignet sein könnte. Er heißt Woldemar mit Vornamen – mit ›o‹ – und ist eine alte Jugendliebe von ihr. Also ein beachtenswertes Objekt, wenn ich mich so ausdrücken darf. Aber das genügt nicht. Wir müssen das Lager komplettieren. Wir müssen uns eine reichere Auswahl schaffen. Unter den Leuten, die bei uns verkehren, ist nichts Passendes.«

»Nein,« setzte Elfriede hinzu, »gar nichts. Die meisten kennst du ja. Unser Verkehr ist sowieso nicht sehr groß. Ich bin schon auf eine ganz verwegene Idee gekommen, aber ich ängstige mich beinahe, sie euch mitzuteilen, weil sie ein bißchen frivol ist. Wie wär's mit einem Inserat?«

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