Kitabı oku: «In Liebe wachsen und glücklich werden», sayfa 2

Yazı tipi:

Mama, Papa, meine Geschwister und ich:
Wie frühe Bindungserfahrungen unser Lebensskript beeinflussen

»Muss das sein?«, seufzen Sie vielleicht angesichts dieser Überschrift. »Meine Kindheit war in Ordnung. Außerdem ist das doch schon so lange her! Und was hat das überhaupt mit meinen Beziehungsproblemen zu tun?«

Ich kann Ihr Seufzen förmlich hören. Und nachvollziehen: Nahezu alle Menschen entwickeln zunächst Widerstände, wenn sie aufgefordert werden, sich mit unangenehmen Themen aus der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Trotzdem kommen wir manchmal nicht darum herum, einen ehrlichen Blick in unsere Kindheit und Jugend zu werfen. Er hilft uns nämlich oft zu verstehen, warum uns bestimmte aktuelle Geschehnisse belasten. Umgekehrt kann es auch aufschlussreich sein, einen Blick in die Geschichte des Partners zu werfen, um seine Gefühle und Verhaltensweisen besser einordnen zu können.

Dafür muss man nicht unbedingt die gesamte Kindheit psychoanalytisch durcharbeiten. Vielmehr halte ich es für sinnvoll, sich persönlich oder im Rahmen einer Psycho- oder Paartherapie anzuschauen, welche jeweiligen Lebensthemen in den aktuellen oder chronischen Paarkonflikten zum Vorschein kommen: Welche Gefühle werden ausgelöst? Woher kenne ich sie? Und woher kommen sie ursprünglich? Werden alte innere Konflikte reaktiviert?

Ich arbeite mich in paartherapeutischen Settings mit meinen Klientinnen und Klienten jeweils von der Gegenwart kurzzeitig in die Vergangenheit und anschließend recht zügig wieder in die Gegenwart zurück. Denn nur hier und jetzt (als Erwachsene!) können wir unsere Probleme wirklich lösen. Die Erkenntnis, woher bestimmte Gefühle, Empfindlichkeiten oder seelische Nöte eigentlich rühren, ist somit der erste Schritt in Richtung Problemlösung und Klärung.

Selbstverständlich kann jeder der beiden Partner sich auch in einer Einzelpsychotherapie mit seinen kindlichen Erlebnissen auseinandersetzen. Der besondere Vorteil einer Paartherapie liegt jedoch meiner Ansicht nach darin, dass beide Partner gemeinsam etwas über den anderen lernen. Das schafft eine Vertrautheit, die dem Paar dabei helfen kann, sich einander wieder näher zu fühlen.

Blick zurück nach vorn: Warum es nicht um Schuld, sondern um Heilung geht

Bei einem Rückblick in die Vergangenheit im Rahmen einer Psycho- oder Paartherapie geht es nicht um »Eltern-Blaming«, also darum, den Eltern die Schuld für die aktuellen Probleme des Klienten oder der Klientin zu geben. Als Erwachsene sind wir natürlich selbst für unser Verhalten verantwortlich. Auch wenn Mutter und Vater noch so unzulänglich oder sogar gewalttätig waren, sollte das niemals eine Rechtfertigung dafür sein, dass wir uns unserem Partner gegenüber unfair, aggressiv oder ignorant benehmen oder uns umgekehrt von unserem Partner schlecht behandeln lassen.

Alle Mütter und Väter geben sich normalerweise die größtmögliche Mühe, gute Eltern zu sein und ihre Kinder gut zu erziehen – was immer das im Einzelnen bedeuten mag. Die allermeisten Eltern lieben ihre Kinder, und trotzdem erleidet fast jeder in seiner Kindheit kleinere oder größere seelische Verletzungen. Viele mussten phasenweise unter Entbehrungen leiden. Oder sie lernten, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken, weil diese von den Eltern nicht erkannt und nicht befriedigt wurden. Noch heute bringen viele Eltern ihrem Nachwuchs beispielsweise bei, dass es »böse« sei, seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Die Kinder werden hingegen belohnt, wenn sie lieb, brav und bescheiden sind, auch wenn das bedeutet, dass sie bestimmte Grundbedürfnisse dauerhaft unterdrücken müssen.

Weitaus mehr Menschen, als wir glauben wollen, sind in ihrer Kindheit psychisch oder physisch gequält worden, erlitten zu Hause schwere Demütigungen oder wurden in der Schule gemobbt und ausgegrenzt. Auch gesellschaftliche Bedingungen können dazu führen, dass Kinder seelische Verletzungen davontragen. So war es sehr lange üblich, Eltern nicht zu gestatten, ihren Kindern im Krankenhaus beizustehen. Es galten kurze und strenge Besuchsrechte, an denen die Eltern nichts ändern konnten. Längere Krankenhausaufenthalte oder vom Arzt verschriebene Kuraufenthalte waren für Kinder daher oft extreme Belastungssituationen: Sie fühlten sich mutterseelenallein und von ihren Eltern verstoßen, auch wenn diese überhaupt nichts dafür konnten. Je jünger die Kinder waren, desto weniger konnten sie die plötzliche Trennung von ihren Müttern und Vätern und die dadurch entstehende Einsamkeit seelisch verkraften.

Auch die Erfahrung von massiver, wiederholter oder sogar ritualisierter sexueller Gewalt in der Kindheit ist leider keine Seltenheit. Diese extremen Traumatisierungen richten schwerwiegenden seelischen Schaden an und erschüttern das Grundvertrauen in die Menschheit und die Menschlichkeit. Sie führen zu schweren Traumafolgestörungen wie etwa der Posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Suchterkrankungen, Borderline-Störung und vielen anderen psychischen Erkrankungen, die fast immer mit massiven Bindungs- und Beziehungsproblemen einhergehen.

Ein Problem, das mit kleineren und größeren seelischen Verletzungen aus früheren Jahren auch einhergeht: Sie werden mithilfe unserer Abwehrmechanismen verdrängt oder verleugnet, weil die damit verbundenen Gefühle zu schmerzlich oder gar unerträglich wären. Schwere Traumata werden oft vom Gehirn durch sogenannte Dissoziation in viele kleine Erinnerungssplitter zersprengt, so dass sie als Ganzes bewusst nicht mehr abrufbar sind. Sie sind dann tief ins Unbewusste eingelagert, weil das in der damaligen Situation überlebensnotwendig war. Einen Zugang zu diesen verschütteten Gedächtnisinhalten und den dazugehörigen Gefühlen zu finden, ist mitunter mühselig. Nicht immer ist es möglich, ein Trauma vollständig aufzulösen und die schrecklichen Erlebnisse zu integrieren und zu verarbeiten. Man kann jedoch mithilfe spezieller Traumatherapien lernen, zumindest einigermaßen gut damit zu leben.

In diesem Buch geht es allerdings nicht in erster Linie um schwere traumatische Ereignisse, sondern um frühere Beziehungserfahrungen.

Wozu sollte man sich aber mit diesen alten Geschichten herumschlagen? Weil es manchmal wichtig ist zu wissen, wie es uns in unseren ersten Beziehungen ergangen ist. Es sind nun einmal normalerweise Mama und Papa, mit denen wir unsere ersten Bindungserfahrungen machen. Diese beeinflussen unser Bewusstsein und unser Unbewusstes, aber – wie man mittlerweile aus der Hirnforschung weiß – auch die Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns und des Nervensystems. Und damit zwangsläufig auch unsere Denkmuster und Verhaltensweisen in späteren Beziehungen.

Was uns oft daran hindert, einen realistischen Blick in unsere Kindheit zu werfen, ist ein altes, frühkindliches Urbedürfnis, die Eltern zu idealisieren. Immerhin sind Kinder komplett abhängig von den Eltern und müssen sich diesen anpassen, um zu überleben. Alle kleinen Kinder glauben, dass ihre Eltern die Besten seien, dass sie recht haben und zu den »Guten« gehören. Selbst Kinder, die von ihren Eltern misshandelt wurden, halten lange an diesem positiven Bild von ihren Eltern fest – zu erschütternd wäre die Erkenntnis, dass sie vielleicht doch nicht die guten Eltern sein konnten, die das Kind gebraucht hätte.

Auch Töchter und Söhne von überwiegend liebevollen Eltern scheuen sich, schmerzliche Erfahrungen von früher anzuschauen. Sie bekommen zum Teil unerträgliche Schuldgefühle, wenn sie etwas vermeintlich »Böses« über ihre Eltern denken oder sagen. Sie fürchten, ihre Eltern zu verraten, wenn sie etwas spüren, das sie als Kind vielleicht doch vermisst haben.

Noch einmal, weil es mir so wichtig ist: Viele Eltern sind überwiegend gute Eltern, aber an manchen Stellen konnten sie aus unterschiedlichen Gründen ihrem Kind einfach nicht das geben, was es gebraucht hätte. Zum Beispiel, weil sie sich um jüngere oder kranke Geschwisterkinder kümmern mussten oder weil sie mit der blanken Existenzsicherung beschäftigt waren, so wie das bei der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeneration der Fall war und wie es aktuell bei fast allen Menschen ist, die aus den Kriegsgebieten wie Syrien oder Afghanistan Zuflucht bei uns suchen.

Fast alle Menschen, die Mitte des letzten Jahrhunderts Eltern waren, sind kriegstraumatisiert und waren von daher kaum in der Lage, emotional geschmeidig auf ein kleines Kind einzugehen. Zumal diese Generation selbst als Kinder noch unter der »schwarzen Pädagogik« gelitten hatte, in der es darum ging, den Willen des Kindes zu brechen, um es gefügig zu machen. Die psychischen Folgen dieser gnadenlosen »Erziehung« sind gravierend und wirken bis heute nach. Denn die Eltern haben ihre Traumata unbewusst auf ihre Kinder und sogar Enkel übertragen: Dass Kinder die traumatischen Erlebnisse ihrer Eltern in ihrem Rucksack mitschleppen und deren Themen abzuarbeiten versuchen, ist nicht nur eine gefühlte Wahrheit. Vielmehr hat die Epigenetik mittlerweile sogar wissenschaftlich belegt, dass traumatische Erlebnisse die Gensubstanz verändern und diese so an die nächste Generation weitergegeben werden.

Andere Eltern dieser oder späterer Generationen bemühten sich zwar um eine liebevolle Beziehung zu ihren Kindern, hatten aber keine Vorbilder für eine gute Bindung. Sie liebten ihr Kind, wussten aber einfach nicht, wie man ihm Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, und konnten sich nicht auf so etwas wie »Intuition« verlassen.

Kurzum: Es gibt immer Gründe dafür, warum Eltern einem Kind manchmal nicht das geben konnten, was es benötigt hätte. Das macht sie nicht zwangsläufig zu schlechten Eltern. Es geht also nicht darum, Mutter und Vater zu verurteilen, sondern nur darum, die eigenen Denk- und Verhaltensmuster durch die Beschäftigung mit der eigenen Biografie besser zu verstehen.

In der Paartherapie ist es gleichermaßen wichtig, wesentliche Aspekte der Geschichte des Partners zu kennen, um dessen Verhaltensweisen besser einordnen zu können. Oft stellen sich schon in den ersten Paarsitzungen viele kleine »Aha«-Effekte ein: »Ich wusste gar nicht, dass du dich als Kind schon so verantwortlich gefühlt hast und damit überfordert warst. Das stelle ich mir sehr anstrengend vor!« oder »Es berührt mich sehr, dass du dich in deiner Kindheit so oft allein gefühlt hast!« höre ich oft Klienten zueinander sagen. Durch einen kurzen Blick in die Vergangenheit entsteht eine neue Sichtweise auf den Partner; fast immer ist diese liebevoll und von Verständnis geprägt. Der Partner ist – neben dem Therapeuten oder der Therapeutin – damit derjenige Mensch, der diese lang verborgenen Gefühle sehen und erkennen kann. Schon das kann heilsam sein: zu spüren, dass der Partner etwas erkennt, was die eigenen Eltern früher nicht wahrgenommen haben. Dadurch kann das einsetzen, was man als »Nachreifung« bezeichnet: Der Betroffene kann mit einem anderen Menschen eine neue Erfahrung machen, was ihm wiederum bei der Bewältigung des alten Problems hilft.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 1:

Meine Herkunftsfamilie, deine Herkunftsfamilie und wir

Also wagen wir einen ersten Blick in die Vergangenheit: Was haben Sie in Ihrer Herkunftsfamilie über Beziehungen und Beziehungsgestaltung gelernt?

Nehmen Sie diese Fragen gerne zum Anlass, mit Ihrem Partner / Ihrer Partnerin bei einem Glas Wein oder einer Tasse Kaffee ins Gespräch zu kommen.

 Wann wurde ich / mein Partner gelobt, wann kritisiert?

 Haben wir uns in unserer Familie (überwiegend) gesehen und verstanden gefühlt?

 War Mama einfühlsam im Umgang mit mir? Oder emotional distanziert? War sie (überwiegend) präsent oder mental oft abwesend? Wie habe ich das erlebt?

 Waren meine Eltern konsistent in ihrem Verhalten, also emotional zuverlässig? Oder habe ich sie eher als unberechenbar erlebt? Wie war das für mich als Kind?

 War Papa (wenigstens hin und wieder) für mich / meinen Partner da, hat er sich mit mir / meinem Partner beschäftigt und mir / meinem Partner die Welt gezeigt? Welche Kräfte hat das in mir / meinem Partner geweckt oder gestärkt?

 Wie sind meine Eltern miteinander umgegangen? Waren sie fürsorglich und einfühlsam gegenüber dem anderen? Oder eher wenig liebevoll? Welche Gefühle hat das in mir ausgelöst? Wie war das bei meinem Partner?

 Welche Konsequenzen habe ich aus diesen Erfahrungen gezogen? Und welche mein Partner aus den seinigen? Und was hat das alles möglicherweise mit unserer jetzigen Liebesbeziehung zu tun?

Pränataler Stress und Geburtserfahrung:
Unser Körpergedächtnis weiß alles

Schon intrauterine, also vorgeburtliche Erlebnisse können unser Lebensgefühl nachhaltig beeinflussen, ohne dass uns das überhaupt jemals bewusst wird. Geht es der werdenden Mutter überwiegend gut und wird das Kind freudig erwartet, so kann es sich im Uterus in aller Ruhe entwickeln. Es wird vermutlich neugierig auf die Welt kommen und sich darauf freuen, sie zu entdecken. Steht die Schwangere jedoch unter massivem, dauerhaftem Stress, so geht dieser auf das Kind über und beeinflusst seine Entwicklung.

»Pränataler Stress hebt beim Ungeborenen den Stresshormonspiegel dauerhaft an und beschleunigt die Hirnreifung«, so der Neurologe Matthias Schwab in einem Interview des Magazins Der Spiegel. Er leitet in Jena die Arbeitsgruppe Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von Erkrankungen im späteren Leben. Extremer Stress während der Schwangerschaft, der über den täglichen Belastungsstress deutlich hinausgeht, sei – so das Ergebnis seiner Forschung – »ein wesentlicher Risikofaktor für spätere Depressionen und andere Krankheiten«.1

Die Trauma-Expertin Michaela Huber weist in ihren Weiterbildungsseminaren darauf hin, dass sich bei starker Angst die Bauchdecke der Schwangeren anspannt. Da das Fruchtwasser aber nicht komprimierbar ist, erhöht sich dadurch zwangsläufig der Druck auf das Baby. Die natürliche Reaktion des Fötus ist, sich zusammenzuziehen und zu verspannen. Wenn dies chronisch wird, kann dies beim Kind zu Folgeerscheinungen wie Entwicklungsverzögerungen und Anpassungsstörungen (»Schreibaby«) führen.2

Welche massiven Auswirkungen vorgeburtliche Erlebnisse auf das gesamte Leben eines Menschen haben können, sieht man insbesondere bei Erwachsenen, die ursprünglich abgelehnt wurden, weil sie aus persönlichen oder gesellschaftlichen Gründen nicht hätten da sein dürfen und eigentlich abgetrieben werden sollten. Sie entwickeln oft die (unbewusste) Überzeugung, generell lästig zu sein und kein Existenzrecht zu haben. Als Kinder waren sie extrem pflegeleicht und unauffällig, weil sie ihren Eltern keinesfalls zur Last fallen wollten. Auch später im Leben versuchen sie oft noch, anderen alles recht und bloß nichts falsch zu machen. Es fällt ihnen erfahrungsgemäß schwer, Ansprüche zu stellen und eigene Interessen durchzusetzen. Es liegt auf der Hand, dass solche inneren Überzeugungen Auswirkungen auf die spätere Beziehung haben.

Auch die Geburt ist für ein Kind ein einschneidendes Erlebnis: Wird es in einer dramatischen Not-Operation plötzlich ans Licht der Welt gezerrt? Oder kann es sich in einer entspannten Atmosphäre über Stunden hinweg Welle für Welle in die Welt hinaus­arbeiten? Ist nach der Geburt eine zärtlich sorgende Mutter da oder trennen die Ärzte Mutter und Kind sofort voneinander, wie es noch bis in die 1970er Jahre hinein in allen deutschen Kliniken üblich war? Ein Säugling, der direkt nach der Geburt von seiner Mutter getrennt wurde und ohne stabilen (Körper-)Kontakt zu einer fürsorglichen Bezugsperson wochenlang im Krankenhaus behandelt werden musste, kann im Erwachsenenalter unter massiven latenten Verlassenheitsängsten leiden, die er sich selbst rational nicht erklären kann.

Kinder, die kurz nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurden und davon lange nichts wussten, entwickeln später oft das diffuse Lebensgefühl, nicht gewollt zu sein, ohne dies genau begründen zu können. Auch sogenannte Kuckuckskinder (also Kinder, die einen anderen biologischen Vater haben, als es ihnen erzählt wurde) leiden häufig unter unspezifischen Ängsten und dem Gefühl, irgendwie »anders« und nicht am richtigen Ort zu sein. In beiden Fällen sind depressive Reaktionen im Erwachsenenalter keine Seltenheit.

All diese sehr frühen Erfahrungen von Irritation, seelischer Verletzung oder Trennung sind uns zwar nicht bewusst, aber trotzdem nicht vergessen. Sie sind vielmehr in unserem sogenannten Körpergedächtnis gespeichert und beeinflussen unsere Lebenseinstellung und -gestaltung weitaus mehr, als uns bewusst ist. Vieles von dem, was wir in der vorsprachlichen Lebensphase erfahren haben, beschäftigt uns bildhaft in unseren Träumen, dringt aber nie wirklich in unser Bewusstsein vor und kann selten verbalisiert werden. Oft werden diese verschollenen Gedächtnisinhalte durch Sinneswahrnehmungen wie Gerüche oder Geräusche aus der Tiefe des Unbewussten hochgespült und können unerwartete Gefühle (zum Beispiel diffuse Ängste) auslösen.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 2:

Das Körpergedächtnis erfühlen

 Gibt es einen Geschmack, Geruch oder Klang, der bei Ihnen bestimmte (Körper-)Empfindungen auslöst?

 Gibt es eine Körperberührung, die Sie besonders beruhigt?

 Reagieren Sie auf einen bestimmten Reiz sehr ablehnend?

 Achten Sie gut auf Ihre Körperreaktionen! Denn unser Körper weiß mehr über uns, als uns selbst bewusst ist. In welchen Situationen wird Ihnen übel? Wann neigen Sie zu Kopfschmerzen? Wann werden Sie nervös oder unruhig? Es lohnt sich, diesen Hinweisen des Körpers nachzugehen. Oft finden sich vorhergehende Stresssituationen, auf die der Körper zwar reagiert, die aber nicht ins Bewusstsein vordringen.

 Und was wissen Sie diesbezüglich über Ihren Partner? Vielleicht mögen Sie sich darüber mal in Ruhe austauschen?

Was Babys brauchen.
Oder: Ist es gut oder schlecht, abhängig zu sein?

Der neugeborene Säugling ist – wie wir alle wissen – völlig hilf- und schutzlos. Er ist seiner Umwelt komplett ausgeliefert. Er kann sich nicht füttern, sich nicht vom Fleck bewegen, sich nicht wärmen, sich nicht trösten. Er ist vollkommen auf die Versorgung durch eine zugewandte Bezugsperson angewiesen. Doch es reicht nicht, ein Baby regelmäßig zu füttern und zu wickeln. Die wichtigste Aufgabe der Eltern besteht darin, das Baby zu beruhigen und ihm das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Denn der Zustand des kompletten Ausgeliefertseins produziert massiven Stress, den Mama und Papa dem Kind nehmen müssen. Sie müssen ihm vermitteln, dass es auf dieser Welt sicher und geborgen ist, dass es versorgt und geliebt wird. Das geht in erster Linie durch körperliche Nähe, Berührung oder sanftes Wiegen, und zwar am besten in Kombination mit einer liebevollen und beruhigenden Ansprache. Auch zärtliches Singen beruhigt einen Säugling. Wenn Eltern in der Lage sind, rasch und angemessen auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, kann sich das Kind schnell beruhigen und sich in der Welt sicher fühlen. Die meisten Eltern wissen ganz intuitiv, wie sie ihr Baby am besten beruhigen und wie sie ihm Sicherheit vermitteln können.

In dieser ersten Lebensphase lernt der Mensch also, wie es sich anfühlt, komplett abhängig zu sein. Sind Mutter und/oder Vater achtsam um das Kind bemüht, können sie seine Signale erkennen und es feinfühlig umsorgen, ist es dem Kind möglich, eine sichere Bindung zu entwickeln. Mit der Zeit entsteht im Kind ein »inneres Bild« der guten Mutter / des guten Vaters. Es kann Urvertrauen entwickeln, fühlt sich geborgen und willkommen in dieser großen, weiten Welt. Eine ausreichend sichere Bindung zu den ersten Bezugspersonen ist die Voraussetzung dafür, dass wir später mutig und fröhlich in die Welt hinausgehen können.

Wie verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen herausgefunden haben, zeigen sich Kinder mit frühen sicheren Bindungs­erfahrungen weniger ängstlich als solche, die unsicher gebunden sind; sie können Gefühle besser regulieren, haben mehr Spaß im Umgang mit Gleichaltrigen und können sich selbst in Stresssituationen schneller beruhigen.3 Es ist zu vermuten, dass diese Kinder sich als Erwachsene recht gut auf intime Bindungen einlassen können – immerhin haben sie ja bereits die innere Gewissheit entwickelt, dass die Menschen es prinzipiell gut mit ihnen meinen. Dieses Grundvertrauen ist eine wichtige Basis für eine gelingende Partnerschaft.

Anders sieht es allerdings aus, wenn Menschen schon in den ersten Lebensmonaten gelernt haben, dass es sich nicht gut anfühlt, abhängig zu sein. Wenn Babys beispielsweise zu wenig Körperkontakt und Ansprache erhalten, lernen sie, dass ihre Bedürfnisse unbeantwortet bleiben, dass sich keiner wirklich oder nur unzureichend um sie kümmert.

Sind Eltern aus diversen Gründen nicht in der Lage, sich in ihr Kind einzufühlen und seine Bedürfnisse wahrzunehmen, entwickelt es tiefe Einsamkeitsgefühle. Auch der plötzliche Verlust einer Bezugsperson kann zu einer massiven Verunsicherung führen, wenn er nicht von einer anderen angemessen aufgefangen wird. Psychisch beeinträchtigte oder suchtkranke Eltern können ihrem Kind oft nicht angemessen zur Seite stehen, auch wenn sie sich noch so viel Mühe geben; die Kinder merken, dass »etwas nicht stimmt« und reagieren ihrerseits mit innerem Rückzug oder Stress.

Auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen tragen leider oft dazu bei, dass die frühe Eltern-Kind-Bindung nicht gut funktioniert. Bis in die 1970er Jahre wurde jungen Müttern und Vätern von ihren Eltern und Ärzten eingetrichtert, sie sollten ihre Babys schreien lassen, angeblich, um die Lungen zu stärken oder die Kinder nicht zu verzärteln – grausame Reste der schwarzen Pädagogik des Nationalsozialismus. (Dort wusste man übrigens sehr genau, dass dadurch die Bindung zwischen Müttern und Kindern zerstört wird ‒ das war ja genau der Sinn der Sache …) All diese Kinder haben gelernt, dass es ihnen nicht hilft, den eigenen Bedürfnissen lautstark Ausdruck zu verleihen; Frustration und Resignation stellten sich ein und bewirkten bei vielen später ein Lebensgefühl, dass sich am besten mit den Worten »Nutzt ja eh’ nichts, ich werde ja sowieso nicht gesehen« zusammenfassen lässt und einen Menschen dafür prädestiniert, alles beim Alten zu lassen und um nichts zu kämpfen. Dass diese Lebenseinstellung in Beziehungen aber entweder zu Passivität und/oder zu einem extremen Wunsch nach sym­biotischer Nähe zum Partner oder der Partnerin führen kann, ist leicht vorstellbar.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 3:

Wie waren unsere ersten Bindungserfahrungen?

Tauschen Sie sich darüber aus, wie Ihr jeweiliges Babyleben aussah.

 War ich ein geplantes Kind? Was hatte meine Geburt zur Folge?

 Gab es Komplikationen in der Schwangerschaft? Hatte meine Mutter sehr viel Stress in dieser Zeit?

 Wie hat meine Mutter über die Schwangerschaft mit mir gesprochen? War ich erwünscht und ersehnt?

 Was weiß ich über meine Geburt und die erste Zeit danach?

 Wer hat sich überwiegend um mich gekümmert?

 Wer hat mich getröstet?

 Bin ich viel getragen worden?

 Wurde ich schreien gelassen?

 Wie ging es meiner Mutter in dieser Zeit?

 Habe ich viel Körperkontakt gehabt?

 War ich länger von Mama und Papa getrennt?

 Was für Körpergefühle spüre ich, wenn ich versuche, mich in meine Babyzeit zurückzuversetzen? Vielleicht hilft es Ihnen, Ihre Eltern zu Ihrer frühen Kindheit zu befragen oder sich Babyfotos von sich anzusehen.

 Wie gut konnte ich Vertrauen entwickeln?

 Wie geht es mir mit den Erkenntnissen aus dieser Übung?

Tipp: Sehr frühe Erfahrungen sind uns nicht bewusst, aber, wie bereits beschrieben, als Körpererfahrungen in unseren Nervenzellen gespeichert. Um zu erfahren, wie unsere ersten Lebensjahre waren, wie wir unsere erste Bindung erlebt haben, sind wir oft auf Erzählungen anderer angewiesen. Wenn Sie hier nachforschen wollen: Fragen Sie nicht nur Ihre Eltern und Geschwister, sondern auch entfernte Verwandte oder Bekannte, die oft einen ungetrübteren Blick auf das Geschehen haben. Viele Eltern ahnen, dass sie ihr Kind vielleicht nicht optimal bemuttert bzw. bevatert haben, und erzählen eine geschönte Version, um sich selbst vor Schuldgefühlen und möglichen Vorwürfen zu schützen.

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