Kitabı oku: «In Liebe wachsen und glücklich werden», sayfa 4

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Delegationen: Wie unbewusste Aufträge
unser Leben mitbestimmen

Alle Eltern geben ihren Kindern unbewusste Botschaften mit auf den Weg. Diese werden nicht offen ausgesprochen, die Eltern wissen also gar nicht, dass sie diese Botschaften aussenden. Daher sind Eltern auch oft sehr überrascht, wenn Kinder sie mit diesen »gefühlten« Botschaften konfrontieren. So sprach eine Klientin ihre Mutter darauf an, dass sie sich als Kind nicht willkommen gefühlt habe: »Ich hatte oft das Gefühl, dass du mich nicht willst, irgendwie war ich dir lästig.« Die Mutter reagierte zunächst schockiert und wies die Behauptung als falsch zurück. Nach einiger Zeit gab sie aber unter Tränen zu, dass es tatsächlich eine Periode gegeben hatte, in der sie ihre Tochter ablehnte. Obwohl sie ihre Tochter immer gut versorgt hatte, kam die unbewusste Botschaft »Du bist mir gerade lästig« bei der Tochter an. (Sie konnten sich übrigens darüber aussöhnen, was für beide ein sehr berührendes Erlebnis war.)

Viele Eltern geben ihren Kindern zudem unbewusst Aufgaben mit auf den Weg, die vornehmlich mit eigenen unbefriedigten Bedürfnissen oder ungelösten inneren Konflikten zu tun haben. Man nennt diese übertragenen Aufgaben »Delegationen«. So kann ein Vater seinem Sohn unbewusst die Aufgabe übertragen, sich sexuell auszutoben, weil er selbst dies nicht zu tun wagte; auch Mütter erteilen ihren Kindern Delegationen, etwa: »Heirate nie!«, »Bekomm keine Kinder!« oder »Mach Karriere!«.

Weitere typische heimliche Aufträge lauten etwa:

 »Räche dich für die Ungerechtigkeit, die ich erlebt habe!«

 »Werde erfolgreicher als ich!«

 »Werde nicht erfolgreicher als ich!«

 »Tilge eine Schuld, die ich begangen habe!« oder Ähnliches.

Wenn Kinder loyal an ihre Eltern gebunden waren, sind sie auch noch im Erwachsenenalter geneigt, deren Delegationen zu befolgen. Daher ist es manchmal wichtig, sich mit den ausgesprochenen, aber vor allen Dingen auch mit den unausgesprochenen Erwartungen der Eltern auseinanderzusetzen. Manche Menschen merken erst in einer Therapie, dass sie sehr lange unbewusst damit beschäftigt waren, die von den Eltern delegierten Aufgaben zu bewältigen. Sie fühlten sich zwar schon länger wie fremdbestimmt, eingezwängt und erschöpft, konnten aber nicht erkennen, dass sie etwas taten, was die Eltern unbewusst von ihnen eingefordert hatten. Sie hatten diese Aufgaben in ihr Lebensskript, ihren Lebensentwurf, eingearbeitet und sahen es als selbstverständlich an, diese Aufgaben anzunehmen und zu erledigen.

Probleme mit Delegationen entstehen dann, wenn sie dem Betroffenen Kummer bereiten, etwa wenn er die Aufträge nicht erfüllen kann, weil sie ihn überfordern oder in starkem Widerspruch zu den eigenen Interessen stehen. Auch kann es sein, dass eine Person unterschiedliche Aufträge erhält, die sich gegenseitig widersprechen und ausschließen. So schilderte mir eine Klientin, ihr Vater verlangte (unausgesprochen) von ihr, sie sollte beruflich mehr erreichen als ihre Mutter, während die Mutter ihr jeden beruflichen Erfolg madig machte und neidete. Die Tochter befand sich folglich in einem Dilemma: Mindestens einen von beiden Elternteilen musste sie enttäuschen. Ihr Berufsleben war interessanterweise von vielen Unsicherheiten und großen Schwankungen zwischen Erfolg und Niederlagen gespickt. Sie war beruflich lange schon unzufrieden und wusste gar nicht wirklich, was sie selbst eigentlich wollte. Erst als sie sich aus dem Dilemma befreite, indem sie beiden Aufträgen eine Absage erteilte, konnte sie einen selbstbestimmten beruflichen Weg einschlagen, mit dem sie selbst zufrieden war.

In Partnerschaften kommt es häufig zu Konflikten, wenn sich einer von beiden loyaler gegenüber seiner Herkunftsfamilie verhält als dem Partner gegenüber. Oft ist den Betroffenen diese übertriebene Loyalität zu den Eltern gar nicht bewusst, sie halten sie für »normal«. Erst im Konflikt mit dem Partner wird ihnen bestenfalls deutlich, dass sie an bestimmten Punkten nicht autonom agieren, sondern immer noch als verlängerter Arm des Vaters oder der Mutter.

Delegationen und unbewusste Botschaften sind normale Prozesse in Familien. Sie können aber – wie beschrieben – zu massiven inneren Konflikten und Paarproblemen führen und sollten daher bewusst gemacht und bearbeitet werden. Sich von Delegationen freizusprechen, ist nicht immer ganz einfach, es kann aber einem Befreiungsschlag gleichkommen. Auch für Partnerschaften ist es oft hilfreich, wenn Menschen sich aus dem unsichtbaren Netz der Ursprungsfamilie befreien – zumindest wenn diese besonders loyale Bindung Belastungen und Einschränkungen mit sich bringt.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 7:

Heimliche Aufträge und unbewusste Botschaften herausfinden

Beschäftigen Sie sich zunächst alleine mit folgenden Fragen:

 Welche Botschaften haben Sie von Ihrer Mutter erhalten?

 Welche Botschaften haben Sie von Ihrem Vater erhalten?

 Welche Delegationen hat Ihnen Ihre Mutter übertragen?

 Welche Delegationen hat Ihnen Ihr Vater übertragen?

Schreiben Sie die Ergebnisse anschließend auf. Reflektieren Sie:

 Wie geht es Ihnen mit diesen Botschaften und Delegationen?

 Welche Gefühle steigen auf?

 Welche Rolle spielen diese in Ihrem heutigen Leben?

 Welchen Einfluss haben sie auf Ihre Partnerschaft?

 Wollen Sie die Delegationen erfüllen oder stürzen diese Sie in Konflikte?

Berichten Sie Ihrem Partner / Ihrer Partnerin von Ihren Erkenntnissen. Was fühlt er/sie beim Hören dieser Botschaften und Delegationen?

Brüderchen und Schwesterchen: Der unterschätzte Einfluss von Erfahrungen mit den Geschwistern

Noch immer wird die Bedeutung unterschätzt, die unsere Geschwister für uns und unsere Lebensgestaltung haben. Auch Psychotherapeutinnen und Paartherapeuten vergessen oft, wie wichtig und ­prägend Erfahrungen mit den Geschwistern sein können. Denn tatsächlich beeinflussen sie oft unbewusst unser Verhalten im Beruf und unseren Umgang mit Freunden und Freundinnen. Und sie kommen auch in Liebesbeziehungen zum Tragen – im Positiven wie im Negativen. Da der psychotherapeutische oder paartherapeutische Fokus aber oft nicht auf die Erfahrungen mit den Geschwistern gelegt wird, bleiben die damit verbundenen Themen oft unentdeckt. Therapeutinnen und Therapeuten, die diesbezüglich jedoch sensibel und hellhörig sind, treffen mit ihren vorsichtigen Fragen oft auf verständnislose oder abblockende Klienten, die häufig dazu neigen, die Bedeutung ihrer Geschwister für ihr Leben herunterzuspielen und (alte) Geschwisterkonflikte zu verharmlosen. Auch das Ergebnis meiner Literaturrecherche in Bezug auf die Thematik »Erfahrungen mit den Geschwistern und Paarkonflikte« erwies sich als relativ dürftig.

Das ist schade. Denn man weiß mittlerweile, dass überwiegend positive Erfahrungen mit unseren Geschwistern uns als Ressource dienen. Eine hilfreiche Schwester oder ein solidarischer Bruder können das Selbstbild positiv prägen, vor allem, wenn man sich mit ihnen auch ordentlich zoffen konnte, ohne Verlustängste entwickeln zu müssen. Kinder lernen im Idealfall nämlich durch ihre Geschwister, sich für ihre Interessen einzusetzen, mal nachzugeben, mal sich durchzusetzen und mal Kompromisse einzugehen. Wer sich mit Bruder und Schwester in der Kindheit niemals gestritten hat – etwa um die belasteten Eltern zu schonen –, dem wird es auch im späteren Leben möglicherweise zunächst schwerfallen, Konflikte anzusprechen und angemessen zu lösen. Ganz einfach, weil dafür die Übung und Erfahrung fehlen.

Besonders wichtig für Geschwisterbeziehungen ist das Thema Rivalität. Jedes Kind kämpft auf seine Weise um die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Eltern, und manche sind damit erfolgreicher als andere. Verteilen die Eltern ihre Liebe einigermaßen gleichmäßig, dann ist der Kampf der Geschwister untereinander vermutlich nicht so ausgeprägt, wie wenn sich ein Kind permanent übersehen oder vernachlässigt fühlt. Diese Geschwisterkonkurrenz ist eine normale Begleiterscheinung und wird erst problematisch, wenn ein Kind dauerhaft den Kürzeren zieht und einem anderen gegenüber in der Gunst der Eltern deutlich unterliegt. Dann leidet nicht nur das betroffene Kind darunter, sondern zwangsläufig auch die Geschwisterbeziehung (Zitat einer Klientin: »Ich habe meine Schwester gehasst. Sie war immer besser in der Schule, sah hübscher aus. Meine Eltern hatten sie immer lieber als mich und haben mich das auch deutlich spüren lassen.«)

Wurden diese alten Konflikte nicht bearbeitet, können sie später unsere Verhaltensweisen in Beziehungen stark beeinflussen. So kann es zum Beispiel sein, dass ein Kollege uns durch sein dominantes Verhalten an unseren älteren Bruder erinnert, der sich oft rücksichtslos verhalten oder uns herumkommandiert hat. Oft wird uns diese Erinnerung zwar nicht bewusst, wir übertragen aber die ungeliebten Eigenschaften des Bruders auf den Kollegen und lehnen ihn daher ab.

Oder wir finden eine junge Frau »doof«, weil sie ähnliche Eigenschaften wie unsere kleine Schwester hat, die wir als zickig und verwöhnt erlebt haben.

Es handelt sich dabei um eine Geschwisterübertragung. Der Begriff der Übertragung kommt aus der Tiefenpsychologie und beschreibt den Vorgang, Eigenschaften von Eltern, Geschwistern oder anderen bedeutsamen Bezugspersonen auf andere Menschen zu projizieren. Übertragungen dieser Art kommen häufig in unserem Alltag vor, werden aber selten als solche erkannt. Sie können in massiver Form Leidensdruck erzeugen, denn erstens verstellen sie uns den Blick auf den Menschen, der zum »Opfer« unserer Übertragung wird. Wir sehen nicht richtig hin, weil unser Blick getrübt ist. Und zweitens bekommen wir Stress im Büro oder mit unseren Freundinnen und Freunden, weil wir unbewusst noch in unsere alten Familiengeschichten verstrickt sind. Es ist gut nachvollziehbar, dass es für solche Konflikte kaum eine gute Lösung geben kann, wenn wir uns nicht darüber klar werden, warum wir diese oder jene Person am liebsten auf den Mond schicken würden. Ist unser Partner derjenige, auf den wir unsere Erfahrungen mit einem Bruder oder einer Schwester übertragen, wird dieser sich nicht richtig gesehen fühlen. Er spürt auf eine subtile Weise, dass es gar nicht um ihn geht, kann dies aber oft nicht genauer definieren.

Findet ein solches Übertragungsgeschehen wiederholt und unreflektiert statt, kann das eine unheilvolle Dynamik in Gang setzen. Daher gilt es in der Paartherapie auch immer zu prüfen, ob sich hinter einer Paarproblematik alte, unbearbeitete Geschwisterkonflikte verbergen.

Umgekehrt gibt es zwar auch angenehme Übertragungen, aber auch diese sind auf Dauer für Liebesbeziehungen nicht hilfreich, etwa wenn der Ehemann mit dem fürsorglichen Vater »verwechselt« wird. Das drängt den Partner nämlich in eine Rolle, die er auf Dauer nicht erfüllen kann.

Allgemein bekannt ist immerhin die Tatsache, dass die Erfahrungen mit unseren Geschwistern auch die Partnerwahl mitbestimmen können. Einige Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass dabei die eigene Geschwisterposition besonders ausschlaggebend ist. Und sie wagen sogar Prognosen darüber, zu welchem Partner ein Erstgeborenes, ein Einzelkind, ein Sandwichkind oder ein Nesthäkchen am besten passt. Ich halte solche Konzepte für zu kurz gegriffen, denn es gibt viele weitere und auch wichtigere Parameter als die Geschwisterposition, die für die Geschwisterbeziehung und die spätere Partnerwahl von Bedeutung sind. Ich will damit nicht behaupten, die Position in der Geschwisterfolge spiele keine Rolle für unser Leben, denn das tut sie mit Sicherheit. Es kommt aber weit mehr darauf an, wie wir uns in dieser Rolle gefühlt haben. Schauen wir uns also doch mal an, wie wir uns mit unseren Brüdern und Schwestern gefühlt haben und was wir vielleicht von und mit ihnen gelernt haben.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 8:

Wie ging es mir in meiner Geschwisterposition?

 Was habe ich als Erstgeborene/-r gelernt? Hat es sich oft gut angefühlt, die/der Älteste zu sein? Welchen Status hatte ich? War es gut für mich, Verantwortung für meine kleineren Geschwister zu übernehmen oder hat mich das oft überfordert?

 Wie war meine Beziehung zu den jüngeren Geschwistern? Haben sie mich genervt? Oder waren sie eine Bereicherung? Oder beides?

 Wie war es für mich, die/der Zweitgeborene zu sein? Musste ich mich verrenken und vermitteln? Oder war es von Vorteil, sich mal nach »oben« und mal nach »unten« orientieren zu können? Oder alles gleichzeitig?

 War ich als letztes Kind wirklich das Verwöhnteste? Hatte ich tatsächlich mehr Vorteile als meine Geschwister, wie diese oft behaupten? Oder hatten meine Eltern eigentlich gar keine Energie mehr für mich und haben mich einfach so laufen lassen, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren? Mochte ich meine älteren Geschwister oder eher nicht so?

 Wenn Sie ein Einzelkind waren: Wie haben Sie das erlebt? Was war schön, was weniger? Haben Sie etwas vermisst? Und mit welchen anderen Kindern haben Sie eventuell geschwisterähnliche Verbindungen gehabt?

Sie sehen, dass Geschwisterrollen und Geschwisterbeziehungen sehr komplex sind. Wenn wir auf der Suche danach sind, was wir in unserer Kindheit durch unsere Geschwister gelernt haben, hilft uns die klassische geschwistertypologische Einteilung nur wenig. Sinnvoller ist es, einen genaueren Blick auf das individuelle Erleben als Bruder oder Schwester zu werfen. Seien Sie also neugierig auf das, was Sie herausfinden werden.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 9: Zwiegespräch über die Geschwistererfahrungen

Nehmen Sie sich doch einmal Zeit, um in einem Zwiegespräch über Ihre jeweiligen Erfahrungen mit Ihren Geschwistern zu sprechen. Der bekannte Paartherapeut Michael Lukas Moeller hat diese »Methode« bereits in den 1970er Jahren entwickelt. Ein Zwiegespräch funktioniert so: Machen Sie es sich gemütlich, stellen Sie die Handys ab und sorgen Sie auch ansonsten dafür, dass Sie ungestört sind. Dann beginnt der erste Partner, 10 Minuten lang über seine Erfahrungen zu dem gewählten Thema zu erzählen, und zwar »frei Schnauze« einfach das, was ihm gerade diesbezüglich durch den Kopf geht. Das Gegenüber hört aufmerksam zu, ohne Zwischenfragen zu stellen oder das Erzählte zu kommentieren.

Wenn die 10 Minuten abgelaufen sind, wechseln Sie, und nun ist der andere mit Erzählen dran. Gerne können Sie diese beiden Sequenzen auch noch ein- oder zweimal wiederholen. Wichtig ist, dass jeder dieselbe Zeit zum Reden bekommt und dass der andere einfach achtsam zuhört.

Folgende Themen könnten dabei spannend sein:

 Welche Rolle(n) habe ich in unserem Geschwistersystem oft und gerne übernommen (Beschützer/-in, Vermittler/-in, die/der Kleine etc.)? Was war das Gute daran? Was habe ich in dieser Rolle gelernt? Welche Fähigkeiten habe ich dadurch verfeinert? Wende ich einige von diesen Fähigkeiten jetzt in meinem Beruf und meinem Privatleben an?

 Wie habe ich meine Geschwister erlebt? Was war schön, was war nervig? Was habe ich an meinen Geschwistern geliebt und was gehasst?

 Was habe ich durch mein gegengeschlechtliches Geschwisterkind gelernt (»Jungen sind …«, »Mädchen sind ….«)? Inwiefern hat das meinen Blick auf das andere Geschlecht geprägt? Und was könnte das mit meiner Partnerwahl zu tun haben?

 Wie habe ich Streit mit meinen Geschwistern erlebt? Konnte ich mich auch mal durchsetzen? Wer war dominant, wer oft unterlegen? Ging es fair zu oder auch mal fies? Und wie ist mein Streit- und Konfliktverhalten heute?

 Wenn Sie ein Einzelkind waren: Mit wem haben Sie als Kind gestritten? Wie haben Sie gelernt, Konflikte zu klären? Was hat Ihnen an der Situation gefallen, was war nervig?

Der sogenannte »kleine Klaps«:
Warum er heruntergespielt wird und wie er unser Selbstmitgefühl untergräbt

Im Namen von »Erziehung« sind leider sehr viele Ungerechtigkeiten und sogar Grausamkeiten geschehen – und sie geschehen leider immer noch. Noch bis in die 1950er Jahre hinein war es gang und gäbe, Kinder zu ohrfeigen und zu schlagen, sie zur Strafe in die Ecke zu stellen oder in einen dunklen Keller zu sperren, in dem sie die schlimmsten Ängste ausstehen mussten. Zwar wurde dieses Verhalten als Erziehungsmaßnahme deklariert und gesellschaftlich geduldet, oftmals diente es aber vornehmlich dem Aggressions­abbau der Erwachsenen, die ihrerseits durch Krieg und Kriegsfolgen psychisch stark geschädigt waren und auf diese Weise ihren Frust hemmungslos und sozial geduldet an ihren Kindern auslassen konnten. Erst in den 1960er Jahren setzte hier ein verändertes Denken ein. Allerdings dauerte es noch 40 Jahre (!), bis Gewalt an Kindern offiziell in Deutschland verboten wurde. Erst im Jahre 2000 wurde im Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch verankert, dass jedes Kind ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung hat: »Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.«5 Und einstimmig war diese Entscheidung leider auch nicht.

Kinder, die der mehr oder weniger willkürlichen körperlichen Gewalt ihrer Eltern ausgesetzt waren, haben es erfahrungsgemäß schwer, anderen wirklich tief zu vertrauen. Je nach Schweregrad und Intensität dessen, was sie erleiden mussten, fürchten sie ständig im tiefsten Inneren, wieder geschlagen zu werden, schlimmstenfalls sogar aus heiterem Himmel. In Partnerschaften führt das manchmal dazu, dass die Betroffenen stets auf der Hut sind und auch in kleineren Paarkonflikten das größtmögliche Drama erwarten. Wer einmal menschlicher Gewalt und Willkür ausgesetzt war, befürchtet verständlicherweise oft unbewusst, dass dies immer wieder passieren könnte. Manchmal suchen sich solche Menschen auch Partner, die selbst tatsächlich emotional instabil oder latent gewalttätig sind, wodurch ihre Befürchtungen schließlich bestätigt und genährt werden. Das unbewusste Lebensmotto lautet: »Nimm dich in Acht, traue niemandem!«, oder, »Du bist es nicht wert, anständig behandelt zu werden.« Der unberechenbare Partner bestätigt dieses Lebensmotto durch sein Verhalten – eine unheilvolle Dynamik, die sehr viel Leid hervorbringen kann.

Auch der so gerne verharmloste »kleine Klaps« hat es da durchaus in sich: »Das hat mir nicht geschadet!« oder »Ich habe es ja selbst verdient!«, sagen viele Klienten in meiner Praxis, wenn es um dieses schwierige Thema geht, »Wäre ich brav gewesen, hätte ich ja keine Ohrfeige bekommen. Also war ich ja selber schuld.«

Klienten, die so sprechen, sind von ihren Gefühlen komplett abgeschnitten, sie empfinden keinerlei Mitgefühl für das geschlagene Kind, das sie einmal waren. Es fällt ihnen auch manchmal schwer, Mitgefühl mit anderen geschlagenen Kindern zu haben. Das Perfide an dem verharmlosten »Klaps«: Mit Ohrfeigen und anderen körperlichen Übergriffen wird dem kindlichen Opfer – entweder ausgesprochen oder subtil – die Botschaft mitgegeben, dass es selbst schuld sei an dem, was ihm gerade widerfährt. Das Kind glaubt diese Erklärung und verschont so den Täter. Es ist offensichtlich leichter, die Schuld für Schläge oder andere Gewalt auf sich zu nehmen, als zu realisieren, dass Mama oder Papa schlecht sind und mir wehtun. Dass das auf Dauer für das kindliche Selbstwertgefühl sehr zerstörerisch ist, liegt auf der Hand: Wer sich von seinen Eltern schlagen lassen muss und dafür noch die Schuld auf sich nimmt, wird in doppelter Hinsicht gedemütigt. In schlimmeren Fällen von Gewalterfahrung installiert das Kind intrapsychisch ein sogenanntes »Täterintrojekt«, das besonders destruktive Energien freisetzen kann (siehe die Hinweise »Traumatisierte Ego-States: Warum Täterintrojekte so destruktiv sind«).

Leider ist Gewalt gegen Kinder immer noch ein großes Problem in unserer Gesellschaft. Immerhin gibt es jetzt aber ein Bewusstsein dafür, dass es Unrecht ist, Kindern psychische, physische oder sexuelle Gewalt anzutun. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die unbedingt weiter unterstützt werden sollte.

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