Kitabı oku: «In Liebe wachsen und glücklich werden», sayfa 3

Yazı tipi:

Etwas wollen und ich sein dürfen:
Warum es manchmal schwer ist, autonom zu werden

Wenn das Kind etwa zwei bis drei Jahre alt ist, entwickelt es ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Individualisierung. Das heißt, es wächst aus der Symbiose mit der Mutter heraus und grenzt sich zunehmend von ihr ab. Es lernt, sich als eigenständiges Wesen zu verstehen, und entwickelt folglich einen eigenen Willen, den es ausdrücken möchte. Mit »Ich will aber!« bringen die Kleinen Mama und Papa durchaus öfters auf die sprichwörtliche Palme.

Eltern müssen in dieser Phase viel Geduld aufbringen. Die allgemein als »Trotzphase« bezeichnete Zeit, in der das Kind erste Autonomiebestrebungen zeigt, kann recht anstrengend sein. Eltern sind nun besonders gefordert, eine gute Mischung aus Gewährenlassen, Schutz und liebevoller Grenzsetzung hinzubekommen – zugegebenermaßen keine leichte Aufgabe. Die Mutter muss ihr Kind jetzt verstärkt loslassen und ihm die Erlaubnis geben, sich von ihr fortzuentwickeln und in die Welt hinauszugehen. Sie muss lernen, dass das Kind aus der Symbiose aussteigt und Papa jetzt vielleicht »cooler« findet, weil dieser ihm einen spannenden Weg in die Welt zeigt. (Je nach Arbeitsteilung kann das natürlich auch umgekehrt der Fall sein!)

Erfahrungsgemäß fällt dies vielen Müttern zunächst schwer. Denn sie erleben das Verhalten des Kindes als frustrierend, sie fühlen sich abgelehnt oder im Stich gelassen. Es dauert manchmal eine Weile, bis sie verstehen, dass das Kind sie nicht wirklich ablehnt, sondern dass es einfach seinem natürlichen Drang nach Selbstständigkeit folgt. Und dass es im nächsten Moment wieder anhänglich wird und emotional bei ihnen auftanken will. Mütter, die selbst ein ausgeprägtes Bedürfnis nach symbiotischer Verbindung und Nähe haben, etwa weil ihnen das in ihrer eigenen Kindheit vorenthalten wurde, neigen manchmal dazu, das Kind übermäßig stark an sich zu binden. Das geschieht durch die (unbewusste) Weigerung, das Kind »gehen zu lassen« oder indem der Vater ausgegrenzt wird. Lässt der Vater das zu oder trägt er durch Passivität oder Abwesenheit dazu bei, dass Mutter und Kind allein aufeinander bezogen bleiben, gerät der Entwicklungsprozess des Kindes ins Stocken.

Eltern müssen in dieser Phase auch lernen, ihr Kind gelegentlich liebevoll zu frustrieren. Wenn Töchterchen das dritte Eis einfordert oder Söhnchen in der Quengelzone vor der Kasse einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil es keinen Lolli bekommt, müssen Eltern das tragen und aushalten. Und manchmal auch klar bei ihrem freundlichen »Nein« bleiben. Doch dann ist die Wut des Kindes gewiss, und damit können die meisten Eltern nur schlecht umgehen.

Den meisten von uns ist Wut früh abtrainiert worden. Oder zumindest haben wir gelernt, dass es nicht gut ist, sie zum Ausdruck zu bringen. Viele haben es sich darüber hinaus angeeignet, ihre Wut so zu unterdrücken, dass sie glauben, gar keine mehr zu spüren. Das ist eigentlich schade, weil Wut eine durchaus wichtige Selbstschutzfunktion erfüllt. Wenn ein Erwachsener jedoch selber keinen souveränen Umgang damit gelernt hat, ist es schwierig, mit der heftigen Wut des eigenen Kindes umzugehen. Insofern sollten junge Eltern diese erste Autonomiephase ihres Kindes als eine ganz besondere Einladung verstehen, sich mit ihrem eigenen Umgang mit Wut auseinanderzusetzen.

In dieser heißen Phase ist der Vater übrigens von ganz besonderer Bedeutung: Er kann der Mutter helfen, das Kind innerlich loszulassen, indem er verständnisvoll an ihrer Seite steht und ihr ein liebevoller Begleiter ist. Wenn sich die Mutter von ihrem Partner unterstützt und geliebt fühlt, fällt es ihr leichter, das Kind groß werden zu lassen, weil sie auf die Zuneigung des Kindes emotional weniger angewiesen ist. Sie erfährt Bestätigung und Stabilisierung in der Erwachsenenbeziehung und das hilft ihr dabei, eine liebevolle und großherzige Mutter zu sein.

Gleichermaßen ist es auch Aufgabe des Vaters, dem Kind zu helfen, aus der Symbiose mit der Mutter herauszukommen, zum Beispiel indem er sich regelmäßig mit ihm beschäftigt. Erfahrungsgemäß nehmen nicht alle Väter diese Herausforderung an; viele fürchten, sich zwischen Mutter und Kind zu drängen, was die Mutter zunächst vielleicht nicht duldet und zu Ärger führen könnte. Gerade junge Väter sind oft unsicher, wie sie sich nun verhalten sollen. Viele glauben, sie seien als Bezugsperson für das Kind auch nicht so wichtig und »Mama« könne das alles ja ohnehin viel besser. Ist auch noch die Ehe wackelig, ist die Schieflage perfekt. In meiner Praxis sehe ich sehr oft Paare, bei denen das Verhältnis zwischen Müttern und Kindern ungleich enger ist als die Beziehung zwischen den Partnern – hier ist das Familiensystem aus der Balance geraten. Der Vater führt dann in der Familie eine Art Schattendasein, das er unglücklicherweise selbst zementiert, indem er mehr arbeitet und sich immer weiter aus dem System Familie herauskatapultiert.

Kinder, die in einer solchen familiären Schieflage aufwachsen, lernen zum einen, dass Papa wenig präsent ist; er wird oft entbehrt und als schwach erlebt oder als Held verklärt, während die Mutter als dominant erfahren wird. Diese frühen Rollenvorbilder beeinflussen unsere Vorstellungen davon, wie Väter und Mütter, Männer und Frauen »ticken«. Viele Männer, die abwesende Väter hatten, werden wiederum abwesende Väter, da ihnen die Ideen und der Mut fehlen, sich in der Familie als Mann angemessen zu positionieren. Interessanterweise suchen sie sich allerdings auch oft die passende überverantwortungsvolle und (vermeintlich?) starke Frau aus, die dazu neigt, den ganzen Laden alleine zu schmeißen und ihm als Ehemann und Vater wenig Platz zu lassen.

Erfreulicherweise durchbrechen mittlerweile aber viele junge Väter die Tradition des abwesenden Vaters: Sie nehmen intensiv Anteil an Schwangerschaft und Geburt, übernehmen einen Großteil der Säuglingsversorgung und bauen so von Anfang an eine intensive emotionale Bindung zu ihrem Kind auf. Diese Entwicklung ist aus psychologischen Gründen sehr zu begrüßen und sollte meiner Ansicht nach gesellschaftspolitisch noch stärker und nachhaltiger gefördert werden.

Kennzeichnend für diese erste Autonomiephase des Kindes ist auch sein ausgeprägter Bewegungsdrang. Es tobt gerne, lernt Dreiradfahren, spielt Ball oder klettert auf Bäume. Spaßkämpfe mit Papa oder Mama sind jetzt angesagt, in denen es sich spüren und bewähren kann. Von zartbesaiteten, traumatisierten oder sehr harmoniebedürftigen Müttern wird dieser Bewegungsdrang und die Kampfeslust oft als Ausdruck von Aggression verstanden und daher unterbunden. Dabei geht es hier um reine Lebensenergie, die ihren körperlichen Ausdruck in Bewegung findet. Wird diese Entdeckerfreude und Bewegungslust oft und wiederholt eingeschränkt, kann dies zu Frustration und einer verringerten kindlichen Lebensfreude führen. Kinder, die diesbezüglich stark eingeschränkt wurden (und das sind überwiegend Mädchen, denen das Wildsein aberzogen und das niedliche Bravsein anerzogen wurde!), neigen später dazu, ihren eigenen Impulsen zu wenig zu folgen und sich nach den Ansprüchen anderer zu richten. Auch diese erlernten Verhaltensmuster schlagen sich in späteren Liebesbeziehungen, besonders auch in der Sexualität, nieder.

Eine wichtige Frage, die das Kind nun auch beschäftigt, ist: Darf ich auch mal Nein sagen und »böse sein«? Und werde ich dann trotzdem noch geliebt? Hier liegt oft einiges im Argen. Denn nach wie vor wird es Kindern in nahezu jeder Lebensphase abtrainiert, »böse« bzw. »unartig« zu sein.

Sigmund Freud hat diese Entwicklungsphase als »anale Phase« bezeichnet, da das Kind nun seine Ausscheidungsfunktionen beherrsche und daraus eine Stärkung seines Selbstwertgefühles beziehe. In der Körperpsychotherapie geht man davon aus, dass Kinder in dieser Phase oft schon lernen, »die Arschbacken zusammenzukneifen«, also sich zusammenzureißen, irgendetwas tapfer auszuhalten, was sie eigentlich nicht hinnehmen wollen oder ­können. Sie dürfen keine »kleinen Arschlöcher« sein; sie können ihren lustbetonten, spielerisch-aggressiven Impulsen nicht folgen, da diese als »schlecht« betrachtet und von den Eltern unterbunden werden. Daraus können muskuläre Blockaden entstehen, die sich später mitunter als massive, chronische Rückenschmerzen bemerkbar machen. Tatsächlich erweisen sich tief sitzende Rückenschmerzen bei Erwachsenen oft als Begleiterscheinung von Problemen, die das Thema Autonomie betreffen. So lösen sich bei manchen Klientinnen und Klienten Schmerzen in dieser Region auf, wenn sie es sich gestatten, ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen mehr Raum zu geben, sprich ihre autonome Seite bewusster zu leben.

In dieser »analen Phase« lernen wir also, ob wir unsere Autonomie und unsere Lebendigkeit leben dürfen, ob unsere Interessen wahrgenommen werden, ob wir weiterhin beschützt werden, ob wir auch mal Nein sagen dürfen und trotzdem noch geliebt werden. Kurzum: Ob es okay ist, man selbst zu sein mit allen Anteilen, die man so mitbringt (auch den lustvoll-aggressiven), und ob es in Ordnung ist, eigene Wünsche und Ziele zu verfolgen.

Menschen, die Probleme haben, im Rahmen ihrer Beziehung eigene Wünsche auszudrücken und etwas einzufordern, haben möglicherweise frustrierende Erfahrungen in dieser frühen Lebensphase gemacht. Auch sexuelle Hemmungen oder die Unterdrückung lustvoller Aggressionen haben hier oft ihren Ursprung.

Bindung und Autonomie: Zwei Seiten einer Medaille

Bindung und Autonomie sind übrigens keine Gegensätze, wie oft behauptet wird. Sie sind vielmehr zwei Seiten einer Medaille, bedingen sich wechselseitig. Wer als Kind einigermaßen sicher an eine Bezugsperson gebunden ist, kann auch leichter autonom werden, also eigene Ziele entwickeln und diese selbstbewusst verfolgen. Kinder, die eine frühe unsichere Bindung zu ihrer Bezugsperson entwickelt hatten, haben daher oft Probleme, sich in der Welt zurechtzufinden. Sie hatten laut einer US-amerikanischen Untersuchung »insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn es um zwischenmenschliche Nähe ging, um enges emotionales und körperliches Zusammensein«. Außerdem waren sie »zögerlich und wenig flexibel, oft hilflos, passiv und leicht frustriert«4. Es liegt auf der Hand, dass diese schon im frühen Kindesalter angelegten Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen auch in einer Liebesbeziehung zum Ausdruck kommen können. Paare, die sich in einem dauerhaften Nähe-Distanz-Konflikt befinden, können in ihrer Biografie möglicherweise Anzeichen einer unsicheren Bindung zu ihren Eltern finden. In Psychotherapien muss man daher auch bei offensichtlichen Autonomiethemen immer erst eine gute therapeutische Beziehung etablieren; erst dann kann der Klient in der Therapie seine Autonomiebestrebungen »ausprobieren« und dabei wachsen.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 4:

Unsere ersten Erfahrungen mit Autonomie

Da Bindung und Autonomie in Partnerschaften Dauerthemen sind, ist es sinnvoll, sich einmal damit zu beschäftigen, wie wir unsere erste Autonomiephase erlebt haben. Manchmal verstehen wir dann besser, warum uns beispielsweise viel Freiraum Angst macht oder warum wir so viel davon zu brauchen scheinen.

 Wie sind meine Eltern mit meinen ersten Schritten in die Welt umgegangen? Wurden sie liebevoll begleitet oder ängstlich beäugt? Oder gar verhindert und bestraft?

 Durfte ich mich ausprobieren, zum Beispiel beim Klettern, Toben und Kämpfen? Oder wurde das rasch unterbunden?

 Wie sind meine Eltern mit meiner Wut umgegangen? Konnten Sie diese tragen und damit umgehen? Oder wurde sie unterbunden?

 Durfte ich auch mal rebellieren und meinen Willen durchsetzen? Habe ich mich getraut, auch mal etwas Unerlaubtes zu tun? Oder war meine Angst davor zu groß?

 Wie lebe ich heute Autonomie? Kann ich meine Ziele und Interessen verfolgen? Achte ich gut auf meine Bedürfnisse oder passe ich mich zu oft denen meines Partners an?

Wie geht Partnerschaft?
Das Elternpaar als erstes Vorbild

Unsere Eltern sind das erste (Liebes-)Paar, das wir als kleines Kind erleben und beobachten konnten. Wir haben früh gelernt, ob diese Menschen miteinander Spaß hatten, ob sie sich grundsätzlich mochten und respektierten oder ob die Stimmung zwischen ihnen ständig angespannt war oder sie sich sogar erbittert bekämpft haben. Man kann sehr gut beobachten, wie sensibel Kinder die Stimmungen ihrer Eltern wahrnehmen. Schon ganz kleine Babys reagieren irritiert, wenn zu Hause »dicke Luft« herrscht; sie werden unruhig und/oder fangen an zu weinen. Kleinkinder stellen auf Durchzug, verziehen sich in ihr Zimmer oder drehen mächtig auf, um die Eltern abzulenken. In familientherapeutischen Settings können schon manche Vierjährige verbalisieren, was in der Beziehung ihrer Eltern so alles los ist. Wenn sie offen sprechen dürfen, haben die Kleinen so allerlei pikante Details parat. Mütter und Väter sind oft überrascht davon, was ihr Kind alles mitbekommt, was es intuitiv erfasst und welche (vermeintlich) logischen Konsequenzen es daraus gezogen hat.

Damit an dieser Stelle keine Irrtümer entstehen: Natürlich dürfen Eltern streiten und schlechte Laune haben. Das allein schadet keinem Kind. Problematisch wird es erst dann,

 wenn die Eltern in einem destruktiven Dauerkonflikt verharren,

 wenn die Eltern darüber nicht kommunizieren bzw. keine Lösung finden,

 und vor allem, wenn sie das Kind in irgendeiner Weise in den schwelenden Dauerkonflikt hineinziehen.

Letzteres passiert allerdings schneller, als uns lieb ist. Denn kleine Kinder neigen dazu, alles, was um sie herum geschieht, zu sich selbst in Beziehung zu setzen. Sie geben sich daher oft die Schuld am Kummer ihrer Eltern. Sie haben ja auch oft keine andere mögliche Erklärung dafür, was da zu Hause vor sich geht. Latente Spannungen machen sie hilflos und ängstlich. Sie fangen an, die Schuld dafür auf sich zu nehmen. Denn sich schuldig zu fühlen, reduziert das Gefühl der Hilflosigkeit: »Wenn ich nächstes Mal etwas anders oder besser mache« – so die kindliche Hoffnung –, »kann ich die Familiensituation vielleicht kontrollieren und verbessern.« Daher versuchen Kinder von problembeladenen und zerstrittenen Paaren, mithilfe unterschiedlicher Strategien die Eltern zu entlasten und das Familiensystem zu stärken. Und das ist für das Kind genauso, wie es sich liest: extrem anstrengend.

Viele kindliche »Verhaltensauffälligkeiten« entstehen als Reak­tion auf die ungelösten Konflikte ihrer Eltern, ganz einfach weil die Kinder gestresst sind oder unbewusst auf die familieninternen Schwierigkeiten aufmerksam machen wollen. Kinder, die in der Schule über Tische und Bänke springen und kaum zu bändigen sind, halten die manchmal nur subtilen Spannungen in ihrem Elternhaus oft einfach nicht mehr aus. Andere Kinder fangen an zu stehlen oder zu lügen, um die Eltern zu beschäftigen: Immerhin müssen diese sich dann zusammenraufen und ihre Streitigkeiten (zumindest vorübergehend) beiseitelegen. Das Kind bietet sich sozusagen als Sündenbock an, um die Eltern einander näherzubringen und die Familienatmosphäre zu entlasten. Manche werden sogar psychisch oder physisch krank – natürlich nicht absichtlich. Aber wenn man sich – wie in der systemischen Therapie üblich – die Funktion von Symptomen und Krankheiten anschaut, findet man bei chronisch kranken Kindern oft vorhergegangene massive Spannungen, unbearbeitete Probleme oder traumatische Erlebnisse im Familiensystem.

Viele Kinder von konfliktbeladenen Paaren werden hingegen ganz brav, um nicht noch zusätzlich für familiären Zündstoff zu sorgen, sonst würde die Familie womöglich auseinanderfliegen – eine häufige und durchaus berechtigte Angst von Kindern. Sie tun dann alles Mögliche, um die Familie zu stabilisieren: Sie trösten Mama, beschwichtigen und bezirzen den wütenden Vater, kümmern sich um das verängstigte Geschwisterkind. Und sie halten als »Familienkitt« das Drama um sie herum einfach irgendwie aus, ohne noch zusätzliche Ansprüche zu stellen oder Probleme zu machen. Sind mehrere Geschwister vorhanden, so übernehmen diese unbewusst unterschiedliche Rollen, um das System zu stabilisieren: Der eine wird zum Beispiel zum Kasper, der für gute Stimmung in der Familie sorgt, die andere vielleicht zum Stolz des Vaters, womit sie ihn von seiner Traurigkeit ablenkt (allerdings oft die Mutter verärgert, da sie damit die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zieht und so zur Konkurrentin wird). Das dritte Kind zieht möglicherweise den gesamten Ärger der Eltern auf sich, indem es renitent wird.

Für all diese unbewussten Strategien – die zwar meistens nicht das erwünschte Ergebnis erzielen, nämlich aus den Eltern liebende Partner zu machen, aber immerhin die Familie zusammenhalten – zahlen Kinder einen hohen Preis: Sie opfern einen Teil ihrer unbeschwerten Kindheit, weil sie die Unfähigkeit der Eltern, ihre Probleme auf eine angemessene und reife Art miteinander zu lösen, auffangen müssen.

Kinder werden also früh in die unbearbeiteten Dauerkonflikte von Mutter und Vater eingebunden, sofern die Eltern diese Probleme nicht konstruktiv auf Erwachsenenebene lösen. Das passiert leider auch dann, wenn die Eltern es gar nicht wollen. All diese familieninternen Prozesse geschehen fast immer unbewusst und unreflektiert, bis vielleicht irgendwann das Fass überläuft und jemand professionelle Hilfe sucht. Oft bewirkt übrigens schon die Einsicht, dass etwas schiefläuft, erste positive kleine Veränderungen im System.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 5:

Wie haben wir unsere Eltern wahrgenommen?

Nehmen Sie sich (einzeln oder besser gemeinsam) ein paar Minuten Zeit, um sich ein Bild davon zu machen, wie Sie Ihre Eltern erlebt haben. Am besten stellen Sie sich den Wecker auf ca. 7–10 Minuten.

Setzen Sie sich dazu gemütlich hin, schließen Sie die Augen und atmen Sie ein paar Mal ruhig ein und aus. Stellen Sie sich innerlich Ihre Eltern vor, als Sie selbst etwa vier oder fünf Jahre alt waren.

 Wo befinden sich Mama und Papa? Wie sieht die Umgebung aus? Ist es warm oder kalt, hell oder dunkel?

 Wie sehen Mama und Papa aus?

 Wie ist ihr jeweiliger Gesichtsausdruck?

 Was machen sie gerade?

 Sind sie aufeinander bezogen, beachten sie einander? Agieren sie als Team oder eher nebeneinanderher?

 Wie ist die Stimmung zwischen den beiden?

 Und wo befinden Sie sich in dieser Szenerie? Und wie fühlen Sie sich?

Lassen Sie dieses Bild intensiv auf sich wirken, und achten Sie darauf, welche Gefühle sich einstellen. Verabschieden Sie dann dieses innere Bild freundlich, öffnen Sie die Augen, sehen Sie sich bewusst im Raum um, schütteln Sie sich vielleicht aus, und seien Sie wieder ganz präsent im Hier und Jetzt.

Erzählen Sie Ihrem Partner / Ihrer Partnerin von Ihrem inneren Erleben.

Wichtig: Derjenige, der zuhört, unterlässt bitte zunächst jede Interpretation und jeglichen Kommentar. Würdigen Sie einfach, dass Sie sich gegenseitig etwas voneinander zeigen. Wenn sich Traurigkeit einstellt, nehmen Sie sich vielleicht einfach tröstend in den Arm.

Vater-Mutter-Kind: Wie uns die erste
Triade des Lebens prägt

Wenn Frau und Mann Eltern werden, entsteht aus der Zweierkiste eine Dreiecksbeziehung, eine sogenannte Triade. In dieser Triade (»Vater-Mutter-Kind«) lernt das Kind wichtige Verhaltensmuster, die es auch im späteren Leben anwenden wird.

Wenn Sie gerne mit zwei Freundinnen oder zwei Freunden unterwegs sind und sich im Dreierbund pudelwohl fühlen, dann ist wohl in Hinsicht auf die Vater-Mutter-Kind-Triade bei Ihnen alles richtig gelaufen. Fühlen Sie sich allerdings in Dreierkonstellationen eher unwohl, unsicher oder wie das »fünfte Rad am Wagen«, dann könnte in Ihrer ersten Triadenerfahrung mit Mama und Papa vielleicht etwas nicht ganz rund gelaufen sein.

Das Besondere an einer menschlichen Triade ist, dass es immer zwei Personen gibt, deren gegenseitige Bindung etwas stärker ist, während der/die Dritte im Bunde sich etwas weiter weg befindet. In der frühen Phase nach der Geburt bilden Mutter und Kind beispielsweise eine notwendige Symbiose, der Vater steht etwas außerhalb dieser sehr nahen Verbindung. Findet er jedoch einen guten Zugang zu dem Säugling und hat er eine liebevolle Beziehung zu seiner Frau, so wird der Abstand eher gering sein. Wenn das Kind mit etwa zwei Jahren in seiner ersten Autonomiephase nach draußen drängt, kann es sein, dass es sich stärker an den Vater bindet, weil dieser wilde und lustige Sachen mit ihm unternimmt. Er hilft ihm so dabei, die enge Bindung zur Mutter zu lockern. Dadurch wird die Mutter vorübergehend zu der Dritten, die etwas am Rande steht. Im besten Fall stehen die Eltern sich jedoch als Partner so nahe, dass auch das Kind mal zum »Dritten im Bunde« wird, etwa wenn die Eltern wieder alleine ausgehen, miteinander reden, kuscheln oder Sex haben.

Eine gesunde Vater-Mutter-Kind-Triade ist also dynamisch, flexibel und veränderbar. Sie kann sich den jeweiligen aktuellen Umständen anpassen, und jeder Beteiligte lernt, dass er mit jedem Einzelnen der Triade sicher verbunden ist – mal enger und mal weniger eng. Eine gut funktionierende, lebendige Partnerschaft ist eine gute Grundlage für eine funktionierende Mutter-Vater-Kind-Triade.

Wenn es allerdings massive ungelöste Konflikte und/oder Machtkämpfe zwischen den Eltern oder zwischen Eltern und Kind gibt, kann eine Vater-Mutter-Kind-Triade dysfunktional werden, d. h. sie wird starr und kann weniger dynamisch gelebt werden. Das kann für Kinder zum Teil hochproblematisch werden und ihr späteres Beziehungsverhalten nachhaltig beeinflussen.

So kann es passieren, dass die Eltern sich miteinander gegen ein Kind verbünden, das ihrer Ansicht nach Schuld an bestimmten Familienproblemen ist. Dieses Kind wird zum Sündenbock für ihr eigenes Unglück und für sämtliche Probleme in der Familie verantwortlich gemacht. Dass alle anderen Familienmitglieder in irgendeiner Weise auch an dieser Rollenzuordnung beteiligt sind, will den Eltern zunächst nicht in den Kopf.

Auch wenn Eltern eine destruktive Hass-Liebe miteinander leben, werden Kinder oft in diese Problematik eingebunden. Neigt ein unzufriedener Ehemann beispielsweise dazu, seine Tochter zu idealisieren, sie zu seiner kleinen Prinzessin zu erklären, während er sich gleichzeitig von seiner Ehefrau emotional distanziert, stört er empfindlich die Beziehung zwischen Mutter und Kind: Er zwingt beide in eine unheilvolle Konkurrenzsituation. Lässt die Mutter das geschehen und geht sie auch noch aktiv in Konkurrenz zum Kind, schadet das der Mutter-Kind-Beziehung zusätzlich. Das betroffene Mädchen ist nun in doppelter Weise in Not: Einerseits profitiert es von der väterlichen Zuwendung, fühlt sich deshalb aber auch genötigt, seinen Vater weiterhin stolz und froh zu machen, was – wie wir wissen – eine schier unlösbare Aufgabe ist. Gleichermaßen verliert es die Rückendeckung und weibliche Solidarität der Mutter, die sich gekränkt zurückzieht. Aus solchen frühen Erfahrungen lernen die betroffenen Mädchen, dass sie im Umgang mit anderen Frauen vorsichtig sein müssen. Das Vertrauen ist gestört, Frauen werden eher als Konkurrentinnen denn als potenziell wohlwollende Freundinnen betrachtet.

Umgekehrt gilt dasselbe: Wenn eine Mutter sich ihrem Sohn näher fühlt als dem eigenen Partner und ihn so insgeheim zum »besseren Mann« erklärt, dann wird der Junge mit zu hohen Ansprüchen beladen. Er soll das erledigen, wozu der Ehemann offensichtlich nicht willens oder in der Lage ist, nämlich die Erwartungen der Mutter zu erfüllen. Ähnliche Dysbalancen können auch entstehen, wenn sich beispielsweise die Mutter mit der Tochter bzw. der Vater mit dem Sohn gegen den jeweiligen anderen Elternteil »verschwören«.

Richtig problematisch wird es, wenn Eltern ihre Kinder systematisch für die eigenen Zwecke benutzen, zum Beispiel, wenn Mutter oder Vater sich ein Kind als Unterstützung an ihre Seite holen und sich mit ihm gegen den anderen Elternteil verbünden. In der Familienpsychologie nennt man das das »Perverse Dreieck«. In dieser Konstellation wird das Kind nicht mehr als junger Mensch gesehen, der von beiden Elternteilen Schutz und Sicherheit bekommen sollte. Vielmehr wird es als emotionale, mentale und manchmal auch tatkräftige Unterstützung im Kampf gegen den Ehepartner eingesetzt. Es wird so zu einer Koalition gezwungen und zum Spielball fremder Interessen und Aggressionen. Diese sogenannte Parentifizierung bedeutet eine Rollenumkehrung: Der Elternteil, der die Unterstützung einfordert, mutiert zum hilfsbedürftigen Schwachen. Umgekehrt wird das Kind zum »Retter« erklärt. Es soll eine schier unlösbare Aufgabe lösen, nämlich größer und stärker zu sein als der Erwachsene selbst. Damit sind die Rollen verdreht, also pervertiert (daher der Name »Perverses Dreieck«).

Auch wenn Mütter und Väter dieses Spiel eigentlich nicht aus böser Absicht betreiben, sondern aus dem Gefühl der eigenen Ohnmacht heraus, so ist es dem Kind gegenüber doch äußerst unfair. Außerdem schadet es ihm auch, und zwar in mehrerlei Hinsicht: Für das Kind bedeutet dieser Rollentausch eine Überforderung, die umso belastender ist, je länger sie anhält. Aber auch die Eltern-Kind-Beziehungen nehmen Schaden. Da dem Kind nichts anderes übrigbleibt, als sich auf die Seite von Mutter oder Vater zu schlagen – es ist das schwächste Glied in der Kette –, gerät es in eine unheilvolle Abhängigkeit von demjenigen Elternteil, der es emotional an sich bindet. Gleichzeitig gerät es aber auch in Loyalitätskonflikte dem »bekämpften« Elternteil gegenüber und entwickelt Schuldgefühle. Allerdings machen diese sich nicht unbedingt als solche bemerkbar. Sie werden vielmehr abgewehrt und in Abwertung umgewandelt. Auf diese Weise rechtfertigt das Kind sein Verhalten: Der bekämpfte Elternteil ist schlecht und böse, und deshalb wird er schlecht behandelt. Er hat es ja nicht besser verdient! So verpackt ist der Loyalitätskonflikt für das betroffene Kind besser zu ertragen.

Zur Ergänzung: Natürlich gibt es auch Situationen, in denen sich ein Kind freiwillig und bewusst auf die Seite eines Elternteils schlägt. In einer gesunden, einigermaßen ausgeglichenen Familie ist das jedoch nur selten der Fall und meistens von kurzer Dauer.

Kinder, die hauptsächlich in einer dysfunktionalen Vater-Mutter-Kind-Triade gelebt haben, haben oft gelernt, ausgleichend auf das Familiensystem zu wirken und dort eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Sie konnten kaum sie selbst sein, mussten ihre eigenen Bedürfnisse ständig in den Hintergrund schieben. Daher fällt es ihnen im späteren Leben oft schwer, sich auf die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren. Sie neigen dazu, sich permanent zurückzunehmen. In Liebesbeziehungen führt das oft dazu, dass man sich für den anderen verausgabt, ohne entsprechend fürsorglich mit sich selbst umzugehen. Das kann beispielsweise zu dem Gefühl führen, sich in einer Beziehung permanent aufzuopfern, ohne die erwünschte Gegenleistung zu erfahren. Das wiederum wird oft fälschlicherweise dem Partner angelastet und mündet fast immer in eine Beziehungskrise mit heftigen Vorwürfen und Angriffen. Letztlich kann daraus auch eine (Erschöpfungs-)Depression erwachsen.

Eine andere Möglichkeit, mit diesen Erfahrungen umzugehen, ist die Flucht vor Nähe: Man geht einer zu nahen emotionalen Verbindung aus dem Weg, weil man unbewusst fürchtet, wieder für fremde Zwecke benutzt zu werden.

Kleine Reise in die Vergangenheit, Teil 6:

Mama, Papa, ich: Unsere ersten Triaden-Erfahrungen

Manchmal kann es hilfreich sein, sich die ersten (und ggf. auch die späteren) Triaden-Erfahrungen einmal genauer anzuschauen, da sie vermutlich heute noch Einfluss darauf haben, wie Sie Ihre Freundschaften und Beziehungen gestalten. Aber natürlich können Sie damit auch herausfinden, was besonders gut gelaufen ist, und so Ihre Ressourcen (wieder-)entdecken.

Erarbeiten Sie die Antworten zunächst für sich selbst, vielleicht sogar schriftlich. Gerne können Sie diese dann anschließend miteinander besprechen.

 Wem haben Sie sich näher gefühlt, Mama oder Papa?

 Haben Sie sich mit Mama und Papa in einer Dreiersituation wohl gefühlt? Beschreiben Sie eine typische Situation möglichst detailliert.

 Haben Ihnen Mutter und Vater Sicherheit gegeben? Haben Sie sich geborgen gefühlt?

 Gab es Konkurrenzsituationen? Wie wurden diese gelöst?

 Waren Mama und Papa in gutem Kontakt miteinander?

 Haben Sie eine bestimmte Rolle innerhalb der Triade übernommen (Vermittler, Beschwichtiger, Clown etc.)? Welche Fähigkeiten haben Sie dadurch entwickelt? Wie haben Sie diese Rolle erlebt?

 Gab es Koalitionen? Wie sahen diese aus?

 Wem ging es in der Triade besser, wem schlechter?

 Was könnten diese Erfahrungen mit Ihren aktuellen Themen und Problemen in der Beziehung zu tun haben?

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