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Kitabı oku: «Bissula», sayfa 11

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Achtzehntes Kapitel

Der Herzog hatte ihm bereits die Papyrosrolle aus der Hand genommen und sie, auseinander breitend, auf den Zelttisch gelegt: da blitzte sein Auge hellaufleuchtend in Siegesfreude. »Was lese ich da? ›Vier Geschwader Schuppengepanzerte an der Porta decumana, das ganze Gepäck ebenfalls vor der Porta decumana aufgetürmt. Der Wall acht Fuß hoch. Der Graben fünf Fuß tief. Der schwächste Punkt die Ecke im Nordwesten‹ — und so geht es noch lange fort! — Dank Wunschgott! Das sandtest du — kein anderer — deinen Söhnen! — Seht her: ein Plan des ganzen Lagers! Genau! Alle Maße! Und hier, am Rande vermerkt, die Stärke aller Scharen — Reiter — Fußvolk — Troß! — Und ihre Verteilung im Lager! — Sieh hierher, Adalo! Sogar die große Tanne — der Erdgöttin Baum — ist hier angegeben! Was ist da verzeichnet neben dem Baum? — Was steht da, oberhalb der Opfersteine, die neben der Tanne den Rasen bedecken? Ein Zelt, leer, ohne Truppen, nur mit Vorräten gefüllt! —

In diesem Blatt halt‘ ich den Sieg in Händen! — Geh nun, Zercho: — dein Lohn soll nicht ausbleiben! Wie ich‘s versprach: — ich kaufe dich frei, was auch Suomar, dein Herr, als Wertgeld fordere! — dich frei schenken kann er nicht: — denn nicht breit ist sein Ackerland und du bist seine wertvollste Habe.« — »Oh Dank, Herr, großer, großmächtiger!« — »Dann kannst du wieder frei zu den Deinen ziehn — nach Sarmatenland! Das wirst du doch wünschen?« Aber Zercho schüttelte den struppigen Kopf.

Thränen traten ihm in die Augen: »Nein,« sprach er, »lieber Herr! Ich bleibe, wenn mir Suomar die kleine Scholle beläßt, die ich bisher bebaut: — nur die zwölfte Garbe davon hatt‘ ich ihm zu bringen —, und die weidengeflochtene Hütte am See: — dann bleib‘ ich lieber!« — »Seltsam! Zieht es dich denn nicht in die Heimat zu den Deinen?« »Heimat! Wir haben keine, wir Sarmaten, wie ihr sie habt, ihr geduldigen, pflugführenden Männer, die ihr wohnt an dem unverrückbaren, in die Erde gemauerten Herd. Unsere Heimat ist die Steppe, die weite, die freie, die mit Augen und Rossen nicht zu durchmessende! Ha! und wohl ist sie schön —« und hier leuchteten die Augen des Mannes und plötzlich kam über den sonst scheinbar stumpfen und so wortkargen eine Begeisterung, die ihm, zum Staunen der Hörer, beflügelte Worte eingab. — »Ja, wohl ist sie schöner und herrlicher als alles, was ich je geschaut in Römer- und Germanen-Land. Wann im Lenz die Sonne den letzten Schnee hinweggeküßt hat, wann die Heide lacht, wann die Steppe blüht, wann bei Tage hundert Habichte zugleich kreischen in der blauen Luft, und die wilden Hengste, die nie einen Reiter getragen, so furchtbar wiehern in der Brunft und so sturmgewaltig, alles vor sich her niederrennend, an den Zelten vorüberjagen, die zitternden Stuten verfolgend, daß dem Mutigsten das Herz erbeben könnte vor Schreck und doch auch vor Freude an der wilden, unbändigen Kraft! — Und oh! des Nachts: — wann die tausend, tausend Himmelsgeister von oben niederschauen, viel, viel mehr Stern-Götter und viel heller strahlend, als bei euch, und wann im Dunkel die Kraniche und die wilden Schwäne wie dichte Wolken, — denn Schatten werfen sie im Mondenlicht, so groß sind ihre Haufen! — aber wie weittönende, klingende Wolken hoch durch die Lüfte ziehn! Wohl ist die Steppe der Sarmaten schön und frei das Reiterleben der Jazygen, wie kein Land sonst und kein Leben ist. — Aber Zercho: — Zercho taugt nicht mehr in die Steppe! Dem Vogel gleich‘ ich, dem Wildvogel der Heide, den Knaben jahrelang in engem Gitterkorb gehalten, darin er die Schwingen nicht entfalten mochte. Läßt man ihn frei, ja wirft man ihn in die Luft: — er fällt herab, — er bleibt liegen: er kann nicht mehr fliegen, er hat‘s verlernt. — So hat mich die Pflugarbeit vieler Jahre und das Dauern auf einer Scholle gebändigt: Zercho kann nicht mehr reiten wie die Jazygen reiten: mit dem Wind um die Wette! — Zercho kann nicht mehr jede Nacht auf anderem Stück Erde schlafen und, wenn‘s nicht besseres zu beißen giebt, Heuschrecken fangen und Eidechsen: an Korn und Brot, an die Frucht des Ackers, des selbstgepflügten, bin ich gewöhnt — ich will sie nicht mehr missen. — Und die Meinen? Ich habe sie alle — alle sechs! — sterben sehn vor meinen Augen in einer Nacht: — in jener Nacht des Schreckens, da die eidbrüchigen Römer — diese Völkerfresser, diese Mordwölfe! — im Waffenstillstand plötzlich unsere Karren am rauschenden Tibiscus und die strohgeflochtenen, runden Hütten überfielen! Hei, leuchteten ihnen so trefflich die grell brennenden Hürden zu ihrer Würgarbeit! Mein Vater erschlagen, — meine Mutter in die Flammen des Strohzelts geschleudert, — meine zwei Schwestern — oh schrecklich! — zu Tode gequält, — meine zwei Brüder in den rot von Blut dahin gurgelnden Strom gesprengt! Und ich — ich sah das alles mit an, niedergestreckt vor der Hütte: — einen Schwerthieb im Schädel: wehrlos, regungslos. So lag ich die ganze sternenhelle Nacht und fragte die tausend Sternengötter da droben: Warum? Warum? Warum? Als aber der Tag graute, da kamen die Sklavenhändler, die den Römern folgen auf alle Schlachtfelder, wie die Raben der Lüfte und die Wölfe des Steppensumpfs, — und traten alle Jazygen, die da lagen, mit Füßen, ob sie etwa noch lebten? Und ich zuckte unter ihren Tritten, ward auf den Wagen geworfen und fortgefahren viele, viele Tage und Wochen lang. Und endlich kaufte mich Suomar, der milde Mann, und erlöste mich! Denn nie, obzwar ich ein Knecht hat er mich ›Hund‹ geheißen, wie die Händler. Und hat mich gehalten wie — wie einen Menschen! — Und da nun die Kleine heranwuchs, — da — da ward meine Heimat Suomars Hof. Und dort, in der Weidenhütte am See, — da will ich bleiben auch als Freier, — wenn ich darf! — solang ich atme. Und wenn Zercho zu sterben kommt, dann soll das rote Geistchen — denn wir müssen sie wieder frei machen, Edeling, und wir werden! — mir mit der Hand über die Augen fahren, und dann sollen sie mich begraben auf der Blöße, an den Weiden nahe dem See. Da ziehen nachts die Kraniche vorüber, hoch in der Luft, mit Rauschen und Klingen: — und ich werde es hören unterm dünnen Rasen und im Todesschlafe träumen, ich liege in dem blühenden, duftenden Steppengras daheim.«

Er schwieg — seine Wange, glühte — sein häßliches Gesicht verschönte sich: nie hatte er im Leben so viele Worte auf einmal verbraucht! —

Der Herzog gab ihm die Hand und sprach: »Nein, Zercho, du bist kein Hund! — Du hast ein Herz, — fast wie ein Alamanne. Nur anders, — aber auch nicht übel.« Adalo schwieg, aber er faßte die andere Hand des Knechts und drückte sie herzhaft. Sippilo wandte sich: — er wollte seine Augen nicht sehen lassen.

Da rief der Herzog ihn an: »Du, Knabe, hast eine glückliche Hand! Dir les‘ ich den Wunsch der Seele aus den Augen! — Ja! Du sollst den Sieg, zu dem du durch kühne List viel, sehr viel mit geholfen, auch mit erkämpfen!«

Sippilo sprang auf den Alten zu und faßte seine beiden Hände: »Du Wunsch-Errater —, Wunsch-Erfüller! — Wodan acht‘ ich dich ähnlich! Vorigen Herbst hat mir Adalo noch die Schwertleite geweigert, weil ich« — hier hing er den Kopf — »weil ich damals noch den weidengeflochtenen Hermunduren-Schild in unserer Halle nicht mit dem Wurfspeer durchbohren konnte. — Bah, da war ich noch ein Kind! — Aber am Sunwendfest hab‘ ich den alten Römerschild sogar durchbohrt, den Suomar mir als Scheibe zu dem Fest geschenkt.« — »Ich hatte vorher sechs Löcher hineingebohrt und wieder verklebt,« raunte Zercho dem Herzog zu: »aber laß ihn nur! — Ich werd‘ ihn schon schützen.« Hariowald entließ die beiden.

»Wohlan,« mahnte Adalo heftig, »in diesem Blatt hältst du den Sieg in Händen: — du sagst es selbst: so schlag‘ endlich los.« Aber der Herzog schüttelte stumm das Haupt. »Bedenke — »Eile« — war ihr letztes Wort! Heute Nacht?« — »Nein! — Was wiegt ein Mädchen gegen ein Volk!« — »Ich bitte dich! Ich flehe dich an! Du bist mein Freund, — mein Vetter!«

»Herzog der Alamannen bin ich.«

»Wohlan!« rief Adalo erbittert. »Zögere du, — ich rette sie! — Ich allein! Ein Mittel giebt es, — das niemand ahnt als du und ich: — ich will es brauchen.« Und er wollte hinaus stürmen.

Aber rasch, drohend vertrat ihm der Alte den Weg. »Halt, Knabe! Nicht von der Stelle! Willst du um zwei blaue Augen deinem Volk den sichern Sieg verderben?«

— »Ich verderbe ihn nicht! Ich tauche nur heut‘ Nacht im Römerlager auf — ich allein —! Ich trage sie hinaus auf diesen Armen oder ich lasse das Leben dort!« — »Und lebst du oder stirbst du, — das Geheimnis wird entdeckt: — für unsern Angriff der sicherste Weg zum Siege!« — »Ihr werdet siegen — mit oder ohne Adalo — auch auf andern Wegen! Ich rette die Geliebte, eh‘s zu spät.«

Und er wollte sich an dem Herzog vorbei drängen und hinweg. Aber mit eisernem Griff faßte ihn der Alte an beiden Schultern und zwang ihn, zu stehn: »Und ich, ich klage dich an vor dem Volksding — wie jenen volksverräterischen König: — ich lasse dich, Heerbannbrecher, hängen zwischen zwei Wölfen am Ast der verfluchten dürren Eibe!« »Thu‘, was du willst, nachdem ich sie gerettet oder mit ihr starb,« rief der Jüngling außer sich und riß sich los. Jedoch mit ungeahnter Kraft schleuderte ihn der Greis in das Zelt zurück, daß er taumelte.

»Binden lass‘ ich dich an Händen und Füßen, wie einen Rasenden! Du bist rasend. Freia hat dich verzaubert. Hör‘ es, Adalger, hoch in Walhall: Adalo, dein Sohn, achtet nicht mehr auf Heldenpflicht und Mannesehre. Mit Weidensträngen, mit Stricken muß man ihn binden, daß er nicht zum Neiding werde und um ein Weib sein Volk verderbe.«

Erschüttert, überwältigt, gebrochen ließ sich Adalo auf die Erde sinken. Er griff mit beiden Händen in sein langlockig Haar und klagte: »Bissula! — Verloren! — Verloren!« Der Herzog warf unvermerkt einen prüfenden, doch auch teilnahmvollen Blick auf den Jüngling: er sah, daß er ihn überzeugt, bezwungen habe. Ernst, sinnend schritt er hinaus, ihn mit seinem Weh allein zu lassen.

Im Laufe des Tages trug ein Gefolge Adalos in das Römerlager heimlich einen Brief seines Herrn, gerichtet an Saturninus und Ausonius.

Der Edeling hatte seinen Boten, eine Musterung der äußersten Wachposten vorschützend, mit sich von der Kuppe des Weihberges durch alle sieben Stockwerke der Ringwälle bis an den letzten Verhack am Fuße des Berges geleitet und war mit ihm in den Wald geritten, der sich zwischen den weiteren Verhauen und dem Idisenhang hin dehnte. Hier harrte er der Antwort des Rückkehrenden. Bleich, entstellt von lange ringendem Seelenkampf war des Jünglings edles Antlitz. — Als er den Hufschlag des zurückeilenden Rosses von ferne vernahm, — es war Abend darüber geworden und in Purpur glühten die Berghäupter jenseit des See‘s — lief er ihm, atemlos, entgegen: »Nun,« rief er, »wo ist der Antwortbrief?« »Sie gaben mir keinen Brief. Beide Römer-Feldherrn — denn ich ließ sie beide zusammenrufen, wie du befahlst, — lasen dein Schreiben vor meinen Augen mit großem, großem Staunen. Sie redeten untereinander — mit lauten Ausrufen — in Wörtern, die ich nicht verstand —: nicht römischen Wörtern! — Dann wandten sich beide zu mir und sprachen, zuerst der ältere, der früher schon im Lande war: ›Sag‘ deinem Herrn, die Antwort sei: ›Niemals‹. Und der jüngere fügte bei: ›Auch nicht um diesen Preis!‹« —

Da stürzte Adalo plötzlich zusammen: wie eine junge Edeltanne, deren letzten Halt oberhalb der letzten Wurzel das Beil durchschnitten hat. — Er war vornüber auf das Angesicht gefallen.

Der treue Gefolge sprang ab, setzte sich zu ihm in das hohe Gras und schob das Haupt des Bewußtlosen auf beide Kniee. Lang lag er so, in Ohnmacht, von Schmerz betäubt. Die Sterne standen schon am Himmel, — die Fledermäuse huschten durch den Tann, — als Adalo, schwer seufzend, den Weihberg hinanstieg.

»Das war das Äußerste,« sprach er zu sich. »Jetzt bleibt nur noch der Tod: — der Tod im Kampf, nicht um sie, ach, nur um ihre Leiche zu retten: denn, widerfährt ihr Schmach — wird sie‘s nicht überleben.«

Neunzehntes Kapitel

So eifrig aber Saturninus nach den von Arbor her erwarteten Segeln ausspähte: — viel früher als er sollte ein anderer ihre bevorstehende Abfahrt erfahren.

Das war Hariowald, der Herzog.

Auf einem umwaldeten Hügel, der Ziushöhe, dem Geerebühl, östlich vom Weihberg, ziemlich gerade gegenüber von Arbor, wachte Nacht und Tag ein Häuflein von alamannischen Späheposten und einer von ihnen blickte, stündlich abgelöst, unablässig über den See auf den »Mercuriusberg«, die nächste Anhöhe südlich hinter Arbor auf dem Südufer.

Das Gebiet um jene Hafenfestung, völlig unter römischer Herrschaft, war bewohnt durch Colonen von mancherlei Abstammung: darunter auch viele Alamannen, die Gefangenschaft oder freiwillige Ergebung und Überwanderung auf das besser angebaute, reichere Südufer geführt hatte.

Am Mittag des Tages von Adalos heimlicher Botschaft stieg von dem römischen »Mercuriushügel« des Südufers ein kaum wahrnehmbares Rauchwölklein auf: sofort erhob sich auf dem Geerebühl des Nordufers ein mächtig qualmendes, grauschwarzes Dampfgewölk. Deutlich war dies von der Ostkuppe des Weihbergs wahrzunehmen — denn den Mercuriushügel selbst über dem See konnte man vom Weihberg aus nicht sehen — und sofort stürzte eine der hier unablässig den Geerebühl beobachtenden Wachen in das Zelt des Herzogs. »Rauch steigt auf vom Ziusberg! Riesenhoher Rauch!« Da trat Hariowald aus seinem Zelt in voller Waffenrüstung: — er hatte sie in der letzten Woche Nacht und Tag kaum abgelegt, nur seinen Schlachthelm hatte er noch auf das hohe Haupt gesetzt.

Dieser Helm war wundersam zu schauen: wer ihn plötzlich vor sich leuchten sah, der mochte wohl erschrecken. Ein seltner Gast am Bodensee war dazumal wie heute die Schnee-Eule. Kaum in einem Jahrzehnt einmal ward dieser Fremdling aus dem hohen Norden auf seinem Wanderzug durch Zufall soweit südwestlich bis in die Nähe der Alpen verschlagen. Im vorigen Frühwinter hatte Adalo ein riesig Exemplar des herrlichen Raubvogels im Seewald von hoher Föhre mit dem Pfeil herabgeholt und den gewaltigen Vogel mit dem schneeweiß glänzenden, von rostbraunen Wellenringen nur an der Brust leise durchzogenen Gefieder seinem greisen, weißhaarigen Vetter als herrlichen Helmschmuck geschenkt. Über der ehernen Sturmhaube hob nun die Eule die mächtigen, mehr als drei Fuß klafternden und doch noch nicht ganz ausgespreizten Schwingen. Und zwar nicht, wie man meist Adler- oder Schwanenflügel anbrachte, die Endspitzen der Federn nach des Helmes Rücken schauend, sondern umgekehrt, nach vorwärts gesträubt, so durch den dräuenden Anblick blendend und ängstigend — ein wahrer »Schreckenshelm« —, wie ihn Wodan trägt, wann er an der Spitze der Einheriar dahinbraust in die Schlacht. Diesen Helm auf dem Haupt und vollgerüstet trat nun der Herzog aus seinem Zelt und winkte einem der Fronboten, die hier stets seines Gebotes warteten. Der ergriff das lange, gekrümmte Horn des Auerstiers, das an einem Zeltpfosten bereit hing und stieß dreimal darein. Ein weithin dröhnender Ruf erscholl. Alsbald eilten die übrigen Fronboten, weiße Eschenstäbe in den Händen, mit kleineren Hörnern, die sie an Riemen über der Schulter trugen, nach allen Richtungen von der Kuppe des Weihbergs nieder, durch alle Stockwerke der Ringwälle hinab, bis an die äußersten Verhacke hin den Ruf des Herzogs tragend.

Da strömten von allen Seiten die Heermänner in ihren Waffen herbei und stiegen eilfertig die Berghänge hinan: nur die unerläßlichen Wachen blieben zum Schutz der Sumpffurten, der Verhacke, der schmalen Zugänge der Ringwälle zurück. Alles drang bergaufwärts und brauste, sowie die Kuppe erstiegen war, zusammen gegen eine mächtige Esche, die von dem Scheitel der höchsten Bergspitze ihren Wipfel in die Wolken hob. Hart an ihrem Stamm war eine Art von Richterstuhl gefügt aus großen Felsplatten: eine längliche lehnte im Rücken gegen den Baum, eine ebensolange, wagerecht über zwei in die Erde gerammte Kniesteine gelegt, bildete den Sitz. Mehrere Steinstufen führten zu dem Hochsitz empor; auf diesen lagen mannigfaltige und verschieden gezeichnete Waffenstücke: ein sehr schlichter Schild und Speer mit der Rune fe, entsprechend dem lateinischen F. Dann ein kostbarer »Eberhelm«, ein reich geschmückter Erzschild, mit einer Eberschur überzogen und, wie der Helm, zwei Eberhauer dräuend vorstreckend, ein Schwert in kostbarer Scheide von fein geglättetem Lindenholz, reich mit Erz beschlagen, eine scharfe Streitaxt und ein Speer, beide am Schaft mit vergoldeten Nägeln geziert zugleich und gefestigt: diese Waffen trugen als Hausmarke zwei eingeritzte Eberhauer. Endlich ein kleiner, ganz leichter Rundschild, ein kurzer Speer und an einem Wehrgehäng von weißem Leder, das durch Mennig gerötet, ein zierliches Schwert: jede der drei Waffen wies ein Hirschgeweih als Hausmarke.

Noch hatte sich der Herzog nicht niedergelassen. Vielmehr stand er aufrecht auf der wagrechten Platte und musterte, den Speer in der Rechten, das von allen Seiten herauf- und heranflutende Heervolk. Ein gewaltiger, länglicher, fast mannshoher Schild, rot, mit eingeritzten, schwarzen Runen, hing an einem Zweig der Esche ihm über dem Haupt.

Die ganze Hochfläche der Kuppe rings um den Baum war umfriedet und umhegt von »Schnüren und Stäben«: das heißt von Haselstäben und Speeren, die — letztere die ehernen Spitzen nach oben gekehrt — in Abständen von je sieben Fuß in die Erde gestoßen und untereinander verbunden waren durch fast handbreite, um die Mitte der Stäbe geknotete Linnenbänder, deren rote Farbe den Blutbann des Volksgesrichts verkündete.

Zwanzigstes Kapitel

Nachdem sich das Gewoge der in den Kreis Drängenden, die lauten Stimmen, das Klirren der Waffen ein wenig beschwichtet hatte, hob der Herzog den Speer und schlug damit auf den erzbeschlagenen Schild drei feierlich gemessne Streiche. Da ward augenblicks tiefe Stille. »Das Heerding ist geöffnet!« sprach Hariowald und ließ sich langsam nieder, im Sitzen den einen Fuß über den anderen schlagend.

Er warf den dunkelblauen, langen, weitfaltigen Mantel, der auf der linken Schulter von einer Spange zusammengehalten war, nach rückwärts, lehnte den Speer wie einen langen Stab über die rechte Schulter und sprach, die linke Hand mit ausgebreiteten Fingern hebend, langsam:

 
»Ich, der Richter, ich frage um Recht!
Ich frage die Freien:
Ist hier Stätte und Stunde,
Zu hegen und zu halten
Gerechtes Gericht
Über edler Alamannen,
Der Söhne des Sieges,
Haus und Habe,
Vieh und Fährnis,
Eigen und Erbe,
Frieden und Freiheit,
Leib und Leben?
Weiset, ihr Wissenden,
Dem Richter das Recht.«
 

Da traten vor zwei betagte Männer, zogen die Schwerter, hoben sie gen Himmel und sprachen in langen Absätzen, daß Wort des einen mit Wort des andern stets zusammenklang:

 
»Wir weisen, das wohl wir wissen,
Dir, Richter, das Recht:
Dies ist Stätte und Stunde
Für gerechtes Gericht:
Auf eroberter und ererbter
Alt-alamannischer Erde,
Bei der siegenden Sonne,
Der klimmenden, klaren,
Schimmerndem Schein,
Unter der alten
Esche der Ahnen,
In Wodans Weihtum,
Über Vieh und Fährnis,
Eigen und Erbe,
Frieden und Freiheit,
Leib und Leben
Richten wir Recht
Und finden, wir Freien,
Echtes Urteil.«
 

Beide traten zurück in den Ring. Der Herzog aber sprach: »Ehe wir ziehen zum Kampf gegen den Landfeind, — und bald, bald brechen wir auf ...« —

Da brach brausender Jubel und Waffenlärm aus, den der Alte erst verrauschen ließ, dann fuhr er fort: »Muß das Heerding über Rechtsklagen Urteil finden und Friedrechtshandlungen bezeugen. Zuerst über Fiskulf, den Fischer, aus Rohrmoos, der Schilfrodung. Wo ist der Bereder?« Adalo trat zögernd vor. »Hier: ich, Adalo, Adalgers Sohn.« — »Tritt zur Rechten! Wo ist der Wehrer?« »Hier!« sprach ein Mann in schlichtem, unscheinbarem Gewand: ein altes Fischernetz trug er statt des Gürtels: traurig den Kopf hängend, trat er vor und schlug die Augen nieder. »Auf was geht deine Klage?« fragte der Richter. »Heerbann-Bruch!« — »Das geht an Haut und Haar und Hals. Weiset mir das Recht: mag Adalo, Adalgers Sohn, hier solchen Klagruf heben?« Einer der beiden Alten trat wieder vor und sprach:

»Das Heerding kennt Adalo, den Edeling, als freien ungescholtenen Mann: sein Odalgut liegt im Linzgau: es würde jeden Anspruch wegen falscher Klage decken: er mag klagen auch um Haut und Haar und Hals.« Auf einen Wink des Richters begann der Edeling:

»Ungern erheb‘ ich die Klage: wider Wunsch und Willen: doch heischt es mein Heereid. Denn da ich den Befehl übernahm über die Hundertschaften vom Westsee, mußte ich in des Herzogs Hand schwören, jeden Bruch seiner Banngebote, der da geschähe in meiner Schar, zu rügen vor dem nächsten Heerding. So muß ich bereden: denn ich scheue den schweren Schwur. — Ihr wißt alle, bei seinem Blutbann hatte der Herzog verboten, daß auf den Kähnen, in welchen die Landflüchtigen zuerst im Schilf des Westsee‘s verborgen lagen, bei Tag oder Nacht irgend ein Feuer entzündet werde: entdeckten die Walen, am Seeufer vorüberziehend, durch Rauch oder Flamme, daß Leben in dem weiten Schilfwald lebte, — so konnte alles dort verborgene Volk verloren sein. Nochmal wiederholte ich, da ich aufbrach, das Verbot des Herzogs allen meinen Leuten; — Fiskulf stand dabei an meiner Schildseite. Und doch hat er auf dem Hechtstein, der aus dem Röhricht ragt, Feuer angemacht, während die Feinde am Ufer hinzogen. Zwar war es Tag, aber der Rauch war sichtbar. Schon machte die nächste Kohorte halt und schickte sich an, dem Feuer nachzuspüren, das ich mit Mühe rasch genug verlöschte, ihren Verdacht einzuschläfern. Ich muß nun Fiskulf dieses Bannbruchs zeihn.« Der Kläger schwieg und that einen Schritt zurück.

Ein Murren des Unwillens lief durch die Reihen, von manchem lauten Ruf des Zorns, des Vorwurfs durchbrochen. »Schweigt alle! Stille im Ring!« rief der Herzog von seinem hohen Steinstuhl herab, den Speer erhebend, »bis ich euer Urteil heische. Scheltwort verbiet‘ ich : — Friede gebiet‘ ich! — Du, Beredeter, was setzest du gegen die Klage: Bestreitung oder Gestehung?« »Gestehung,« antwortete der Gefragte traurig. »Es ist, wie der Edeling sagte.« — »Du kanntest den Bann?« — »Ich kannte ihn.« — »Du brachest den Bann?« — »Ich brach ihn. — Ach, ich schäme mich so stark! — Aus Hunger geschah‘s: — aber nicht, meinen Hunger zu stillen. — Viele Nächte schon lagen wir versteckt in dem Schilfwald: — verzehrt war der Vorrat von getrockneten Fischen, den ich in dem Kahne mitgenommen hatte. Ich bezwang meinen Hunger und kaute das jung aufgeschossne Schilf: — für mich, wahrlich, hätt‘ ich‘s nicht gethan! — Aber mein Bub, der mit mir war, erst kurz ist er von dem elbischen Fieber genesen, das in dem Rohrmoos haust: — er ist erst sieben Jahr‘ — das Kind weinte so bitterlich vor Hunger! — Und bat und bat: ,Vater, Vater, gieb mir zu essen.‘ — Das zerschnitt mir das Herz! — Ich speerte einen starken Hecht, der nah dem Stein sich sonnte, — ich zerschnitt ihn: — ich wollte ihn dem Knaben zu essen geben, ungekocht! Aber der Ekel würgte ihn: er weinte nun nur noch still —: er bat nicht mehr! Da rieb ich Feuer aus zwei trockenen Hölzern und briet den Fisch auf der Platte des Steins und gab dem Kind zu essen. — Und ich aß auch selbst,«

»Ich mußte rügen,« sprach Adalo. »Aber ich bitte das Heerding, keine Strafe zu sprechen über den Mann. Ist doch um der That willen kein Schade geschehen! Ein Vater ... —« »Schweig, Kläger,« unterbrach ihn der Richter. »Du hast gerügt: — er hat gestanden: du hast hier nichts mehr zu thun, als das Urteil zu vernehmen. Ich frage: was steht auf Heerbannbruch, wann der Feind im Lande haust? — Wie? Ihr schweigt? — Das ganze Volk konnte der Ungehorsam verderben! Wie? Ihr weigert mir, das Recht zu weisen?« fuhr der Alte grimmig fort. »Oder solltet ihr Graubärte nicht mehr wissen, was schon die Knaben lernen? — Gebt Bescheid, weiset mir das Recht —:« und drohend stand er auf, — »oder ich reiße den Dingschild von der Esche und klage den Göttern: die Alamannen haben ihres Volksrechts vergessen! — Was steht auf Heerverrat und Heerbannbruch?« — »Der Tod!« scholl es jetzt mit vielen Stimmen. »Ich wußte es,« sagte der Fischer schlicht. »Lebt Wohl, Landsleute! Sieg und Heil wünsche ich euch.«

Aber der Herzog fragte weiter: »Welches Todes muß er sterben? Durch Weiden-Wiede? Durch Wasserwoge? Durch rot ritzendes Messer? Oder durch rot brennendes Reißig?« Da trat einer der beiden Alten wieder vor und sprach: »Er hat durch die That Ziu, den Kriegsgott, gekränkt und Wodan, den Siegsender. Ziu heischt Blut auf dem Opferstein: — Wodan will ihn wehen wissen im Winde. Wodan ist der größere Gott und Zius Vater: es weicht der niedere, es weicht dem Vater der Sohn: Wodans Recht geht vor: der Bannbrecher ist Wodan geweiht: — er wird gehängt am Weidenstrang unter dem Kinn, das Antlitz gen Mitternacht, an dürrer Eibe — ein Wolf ihm zur Rechten und ein Wolf ihm zur Linken — des friedlosen, rechtlosen Rechtsbrechers ältestes Abbild.«

»Er ist Wodan geweiht,« wiederholte der Richter feierlich: — »wenn Wodan ihn will! — Fragen wir den Gott.« Mit Staunen blickten alle, mit leiser Hoffnung der Verurteilte zu dem Alten auf, der nun fortfuhr: »Schimpflich und schandvoll ist es dem Manne, zu schaukeln zwischen den Zweigen, zwischen Himmel und Hügel! Und er war wacker bisher: — nur gegen seines Kindes Weinen war er zu weich! Nutzlos seinem Volke stirbt er, hängt er da hoch am Holze. Wohlan: fragen wir Wodan, ob er vielleicht ihm vergiebt? Wolltet doch ihr alle, wie der Kläger selbst, zuerst die That ungestraft lassen. Das ging nicht an! Dem Hohen muß sein Recht dargeboten werden: aber — vielleicht will er es nicht nehmen. Ich rate: Fiskulf soll eine That wagen, in der er, zu seines Volkes Heil, fällt, unmeidbar fällt, wenn nicht etwa Wodan selbst sich seiner erbarmt und ihn rettend davonträgt in dem weithin wallenden Mantel.« »Sprich, rede! Was darf ich thun?« rief der Mann mit leuchtenden Augen. »Alles! Alles! Gern will ich den Speertod sterben: nur nicht den Strang der Schmach!« — »Du sollst zuerst, vor allen andern, auf das stolzeste Schiff des Römerführers springen und: — du verstehst dich ja so gut darauf, die Flamme zu wecken! — Feuer werfen in seine Segel,« »Ja, ja! Das soll er! Heil dem Herzog!« riefen da Tausende. Der Fischer aber sprang hart an den Stuhl des Richters, hob beide Hände zu ihm auf und rief: »Dank dir, Herzog! Ja, du kennst Wodans wahren Willen! Das größte Schiff der Römer, — das Feldherrnschiff in Arbor: — nicht? — Wohlan: — ich weiß noch nicht, wie ich an das Schiff gelangen werde da drüben: — aber ich sterbe oder ich vollbring‘s.« Da sprach der Herzog: »Das ist meine Sorge. Du sollst nicht zu jenem Schiff kommen: — Wodan wird das Schiff zu dir führen: — dann thu‘, wie ich dir sage.« — »Gern! Gern! Oh, gebt mir meine Waffen wieder!« Auf einen Wink des Richters gaben Fronboten ihm seinen Speer und seinen Schild, die mit F gezeichnet auf der Stufe beisammen lagen, zurück und er trat nun in den Ring der Heergenossen, von denen mancher sich nicht scheute, ihm die Hand zu reichen.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
290 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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