Kitabı oku: «Bissula», sayfa 15
Dreißigstes Kapitel
Kaum waren die Vorhänge niedergerauscht, als Ausonius ausrief: »Er soll nicht sterben! Meiner Melania Sohn! Er soll fliehen — in Verbannung!«
»Das wird der Kaiser entscheiden. Du aber, Freund Ausonius, preise den Himmel, der dir dies Kind gesendet. Ihr allein dankst du das Leben.« Der Präfekt zog die Kleine zu sich auf das Ruhebett: — er küßte ihre Hände, ihre Stirn, — sie ließ es geschehen. Denn sie weinte. Er wollte auch ihren Mund küssen. Aber er vermochte es nicht! Das sonst so trotzige Geschöpf war gar so kindlich, so hilflos: vor lauter Rührung über — seine Rettung.
So strich er nur mit der Hand über ihr schönes Haupt und sprach, selbst ganz gerührt: »Die Christen haben einen Glauben, über den ich oft gespöttelt: von einem Schutzengel, den Gott dem Menschen gesellt. Ich werde nie mehr darüber spötteln! — Du, Bissula, du bist mein Schutzengel!« »Engel aber dürfen nicht Sklavinnen sein,« sprach der Illyrier, mit einem Lächeln, das ihm sehr schön stand. »Ich schenke dir dies Kind, Ausonius: — sie ist nun deine Sklavin. Thu‘ mit ihr, wie du willst.« — »Ich lasse sie frei — in diesem Augenblick! Bissula, — du bist frei.« »Oh Dank! Dank! Dank!« jauchzte das Mädchen und sprang von dem Lager auf. »Jetzt — fort! — Gleich fort zu den Meinen! Zur Großmutter! Zu —« »Nicht so rasch, Kleine,« wandte Saturninus ein. »Auch die pflichttreue und dankbare Freigelassene — es fehlt auch noch jede Form solcher Rechtshandlung! — muß des Patronus Willen folgen. Ich bezweifle, daß er dich entfliegen läßt, du holdes Waldvöglein.« Bittend, flehend heftete sie die rührenden Augen auf Ausonius: aber dieser sah es nicht: er blickte, starr vor Staunen, auf den Tribun. »Freund — ich verstehe dich nicht! — Warum jetzt auf einmal? — Fast glaubte ich, du selbst ...—?« — »Schonen wir des Kindes. Nur so viel will ich sagen: — das wird sie hören können, ohne allzustark rot zu werden: und es steht ihr so gut, das plötzliche Erröten! — Man braucht nicht gerade ein Dichter zu sein, mein Ausonius, um unsere — vergieb, um deine — Kleine sehr, sehr reizend zu finden! — Ich leugn‘ es nicht: — da ich zuerst sie sah: — nun, sie mißfällt ja keinem Mann! Aber bald sagte ich mir, was Freundespflicht gebot, — und erwog, wie mein Leben ungeteilt dem Kriegsgott angehört. Ich befahl meinem Herzen, meinem Blut zu schweigen: sie gehören einem Soldaten: sie gehorchten sogleich!« Bissula war bei diesen Worten, der Verwarnung zum Trotz, — oder vielleicht ihr zufolge! — über und über rot geworden und weit, weit von den beiden Männern hinweg gewichen. Eben wollte sie zum Zelte hinaushuschen: aber Saturninus haschte sie, mit schonender Hand, am Haare, hielt sie lachend daran fest und sagte: »Bleibe nur, Kleine: — jetzt ist‘s — von mir aus — mit dem ärgsten vorbei.« »Warum aber,« forschte Ausonius weiter, »diese ganze Zeit ...? — Gestern noch ...—?« — »Weil ich deines Neffen mörderische Pläne — freilich nur gegen sie! — ahnte. Nur als ihr Herr konnte ich sie schützen! Weilte sie, wie du gewollt, in deinen, des Arglosen, Zelten: — jede Stunde der Nacht und des Tages konnte er die Ungehütete treffen. — Ich hütete sie: — für dich! — Nun ist‘s nicht mehr nötig. Nun folge deinem Herzen. — Ich lasse euch allein.«
»Ja, was soll denn nun noch werden?« fragte Bissula weinerlich und hielt den Tribun — sie wußte nicht, warum — am Arme fest. »Ich bin so müde!« klagte sie. — »Laßt mich jetzt doch schlafen gehen! — Und morgen: — fort! Zu den Meinen!«
»Ja, edler Freund,« sprach Ausonius mit einer gewissen Feierlichkeit, sich langsam erhebend von dem Lectus, »bleibe! Ich will es selbst so! Du sollst der erste Zeuge sein: mein Entschluß ist gefaßt: unabänderlich! Bissula —: mein Leben dank‘ ich dir: dafür giebt es nur einen Lohn: dies Leben, mein Leben selbst.« Erschrocken fuhr das Mädchen zurück: sie verstand ihn nicht! — »Eine Sklavin, — das stand außerhalb der Möglichkeit. Auch meine eigene Freigelassene — es ist gegen das Gesetz für einen senatorischen Mann! — aber ich erhalte die Dispensation vom Kaiser, ohne Zweifel, — und über die Witze der Kollegen setze ich mich hinweg.« — »Was willst du denn mit mir?« fragte die Kleine ängstlich. »Außerdem Kaiser,« fuhr er bedachtsam fort, »steht kein Mann im Westreich über mir: — nur etwa zwei sind gleichen Ranges mit mir: — ich bin Präfectus Prätorio von Gallien! Und noch mehr: — was noch niemand weiß — auch du nicht, mein Saturninus: — der Kaiser hat mir für das nächste Jahr eine allerhöchste Ehre im Römerstaate zugedacht! — Dies kommende Jahr wird seinen Namen tragen — von mir.« »Konsul wirst du?« rief der Tribun ehrfurchtsvoll. »Was ist denn das? Was ist‘s?« fragte die arme, nun ganz Verschüchterte, der diese Feierlichkeit und die vielen römischen Würdennamen immer mehr unheimlich wurden. Aber wohlgefällig nickend fuhr Ausonius fort: »Und als Dichter lebt keiner meinesgleichen! — Bissula: — das alles sollst du mit mir teilen! — Morgen fährst du mit mir nach Vindonissa zum Kaiser! — Ja, ja — schüttle nicht das Trotzköpflein! — du folgst mir für das ganze Leben — denn ich, Ausonius, Ausonius von Burdigala: — ich erhebe dich zu meiner Gattin!« — Er hatte sich nun hoch aufgerichtet und breitete beide Arme gegen sie aus.
Mit glühenden Wangen, mit laut klopfendem Herzen, mit vor Scham und Scheu — und Zorn! — blitzenden Augen hatte sie, allmählich errötend, die letzten Worte gehört und entsetzt auf den Näherdringenden geschaut. Jetzt stieß sie einen lautgellenden Schrei aus: »Nein! Nein! Niemals!« Sie riß sich von Saturninus, der sie halten wollte, los und sprang aus dem Zelt. Draußen rannte sie, hochaufatmend, so rasch die Füßlein sie trugen, durch das nächtlich schweigende Lager, erreichte ihr Zelt, band Bruna los, zog sie zu sich herein, drückte sie zur Erde, warf sich neben sie auf den Boden und vergrub, in strömende Thränen ausbrechend, das Gesicht in dem weichen, dichten Fell. — Das treue und kluge Tier merkte wohl, daß etwas nicht in Ordnung war. Die Bärin leckte ihr die Finger: ein ganz leises, leises, zärtliches Brummen vollführte sie dazu, wie eine Mutter ihr krankes Kind beschwichtet. Das eintönige, immer gleichmäßige Gedröhne wirkte einschläfernd, wie ein gesummtes Wiegenlied. Und so, im Schutz der Bärin, manchmal noch heftig aufschluchzend, schlief sie allmählich ein.
DRITTES BUCH. DIE FREIGELASSENE
Erstes Kapitel
Ausonius war seiner Retterin tief dankbar: — gewiß! — und er hatte sie ja überschwenglich belohnen wollen. Aber er war doch auch recht empfindlich gereizt durch diese rauhe, wilde, thörichte, ja undankbare Verschmähung. Und noch dazu vor dem Tribun, — dem jüngern Manne! Diese Erbitterung beschäftigte ihn sehr lebhaft, mitten in dem Schmerz um den verbrecherischen Neffen. Dem Verwöhnten hatten Schicksal und Menschen von Geburt an kaum je einen Wunsch versagt: sogar die Forderung poetischer Begabung hatten ihm die Musen — und zwar, wie er fest überzeugt war, in selten erreichter Fülle — gewährt, und die Zeitgenossen versagten ihm keine Anerkennung, spendeten ihm jeden Kranz, nach dem er auf irgend einem Gebiete trachtete.
Sein kaiserlicher Zögling überhäufte ihn mit den höchsten Würden und Ehren des Staates: er war einer der reichsten, gebildetsten Männer im Abendland: er war liebenswürdig, heiter, gutartig, beinahe schön zu nennen von Antlitz, noch nicht gar zu alt: — Tausende der vornehmsten Römerinnen würden sich glücklich gepriesen haben, wenn ... — Und dieses Barbarenmädchen schlug ihn aus! Es war rein nicht zu begreifen! Und er beschloß, diese »Dummheit« nicht zu dulden. — Da sie zur gewohnten Stunde zum Frühmahl nicht erschien, schickte er Prosper nach ihr aus. Unverrichteter Dinge kam der Alte wieder: sie war nicht in ihrem Zelt und nirgends im Lager zu finden. Ausonius erschrak.
»Ah, Thorheit!« sagte er sich dann. »Unmöglich kann sie aus einem rings geschlossenen Römerlager entfliehen, das ein Saturninus bewachen läßt.« Aber er beendete doch hastig, unruhig sein Frühstück und ging aus, sie zu suchen: allein —. Denn er wollte seiner künftigen Gemahlin — das ward sie ja zweifellos! — ersparen, von Freigelassenen oder Sklaven aus irgend einem Versteck hervorgestöbert zu werden, in welches ihr thörichter, kindischer Eigenwille sie getrieben haben mochte. Zunächst eilte er unter die Tanne: umsonst: sie steckte nicht auf dem Baume: jetzt, bei hellem Tage, konnte man deutlich durch die Zweige sehen. — Er ging an ihr Zelt, trat ein: es war leer. — Aber als er wieder herausschritt, bemerkte er die breiten Fußstapfen der Bärin: er folgte der Spur: sie führte gegen Süden, an das »Seethor«, die Porta decumana. Schon war er dem Thore nahe, da begegnete er Saturninus.
»Kehre um, ich bitte dich!« sagte dieser gutmütig. »Ist sie nicht da unten?« — »Doch! Ich entdeckte sie, zufällig, vom Wall herunterschauend. Neben der Porta decumana hat sie sich, hinter Balken und Schanzzeug, verborgen, wie ein krankes Vögelein, das sich in einen Winkel verkriecht, dort einsam, das Köpfchen unter den Flügel geduckt, zu sterben. Gönne ihr Zeit! Sie wird sich — vielleicht! — drein finden.« Nur widerstrebend ließ sich Ausonius mit sanfter Gewalt am Arme fassen, umdrehen und zurückführen. Er zürnte heftig. Und er schämte sich vor dem Tribun. Unwillig sagte er: »Ich hoffe: — bald!« »Ja,« meinte Saturninus zögernd. »Wenn nicht ... —« — »Nun?« — »Wenn nicht ein anderer ihr im Herzen steht.«
»Das hat sie bestimmt geleugnet. Ganz zornig ward sie bei der Frage. Und Lügen ist des Trotzkopfes Fehler am wenigsten! Sie ist ja auch noch ein halbes Kind! Du siehst, wie sie sich benimmt. Nur einem Kind, einem unerzogenen, kann man solche Aufführung überhaupt hingehen lassen.«
Aber der andere zuckte die Achseln. »Warten wir‘s ab. Ich gönne sie lieber dir als einem — Barbaren. Aber denk‘ an das Anerbieten jenes Adalus! — Das kann doch nur ... —« — »Gewiß! Aber das beweist doch nicht, daß sie ihn liebt.« Ärgerlich wehrte er sich hartnäckig gegen eine Annahme, die seine Wünsche dauernd vereiteln konnte. Und um so hitziger verwarf er den Gedanken des Warners, je zudringlicher diese Besorgnis in ihm selbst, wenn niedergekämpft, leise immer wieder aufstieg. »Übrigens,« — fragte er den Tribun, ablenkend, »was willst du thun mit den Verhafteten? Laß beide entfliehen!« —
»Unmöglich! Meine Pflicht!« — »Mein Neffe darf nicht sterben!« »Es wäre zwar das beste,« grollte der Illyrier, »für ihn selbst und — seine › Gegen-Menschen‹: denn › Mit-Menschen‹ hat dieser Selbstling nicht! Aber ich habe es gefürchtet von deiner Weichheit! Nun: tröste dich! Da ich dem Sklaven das Leben gesichert, dem bloßen Werkzeug, kann der Kaiser den Anstifter auch nur in die Bergwerke schicken. — Aber du achtest ja gar nicht auf meine Worte. Wo sind deine Gedanken?« Ausonius war plötzlich stehen geblieben: er stieß den Stab, den er trug, heftig auf die Erde und rief:
»Höre! Wenn ich nun doch — gleich — zu ihr ginge? Ihr — ausführlich! — zuredete? Sie hat gestern Nacht, in der Aufregung, wohl gar nicht alles gehört, — begriffen! — Denke nur: Konsul!«
Aber der andere lächelte und zog den Widerstrebenden mit fort: »Laß sie, Ausonius. Du verschüchterst sie immer mehr. Vielleicht ist ihr ein alamannischer Fischerjunge lieber als ein römischer Konsul.« — »Undenkbar!« — »Doch, doch! Sehr denkbar! — Ich will dir nur gestehen: sie hat mich flehentlich gebeten ... —« — »Ei, Ei! — Wann?« — »Jetzt eben, da ich vom Walle zu ihr niederstieg und für dich sprechen wollte! — Sie bat mich, sie zu schützen — vor deiner weiteren Werbung ... —« »Ha, die Undankbare!« rief Ausonius, sehr zornig.
Dies Anrufen des Tribuns gegen ihn kränkte ihn am bittersten; er hatte die Empfindung: die Jugend findet sich zusammen — von selbst — gegen das Alter! »Hüte dich,« warnte der Illyrier ernsthaft, »selbst sehr undankbar zu werden!« Aber das verfing nicht in diesem Augenblick bei der tief getroffenen Eitelkeit. »Da du nun doch mal, — wie soll ich sagen? — ihr Vormund oder ihr Verteidiger geworden bist gegen mich« ... — »Ich habe diese Stellung nicht gesucht.« — »Aber auch nicht abgelehnt! So sage denn deiner Schutzbefohlenen meinen ernsten, meinen strengen Willen: sie folgt mir jedenfalls morgen auf einem der Schiffe des Nannienus zum Kaiser nach Vindonissa, dann nach Burdigala. Ich thue nach deinem Rat — ich gehe nicht mit euch in die Wälder: — der Schmerz, der Ärger, — gar mancherlei Aufregung machen mich krank: — ich fühl‘s. Ich muß vor allem vom Kaiser die Dispensation einholen, als Senator meine Freigelassene zu heiraten: das liegt mir jetzt zumeist am Herzen. Das ist die Hauptsache! — Und bitte, mach‘ ihr klar, — ganz klar! — daß sie irgend ein Recht aus meinem gestern — übereilt — hingeworfenen Wort von der Freilassung durchaus nicht erworben hat. Sehr richtig hast du selbst gestern gleich bemerkt: dies Wort machte sie nicht frei: es fehlt an jeder vom Rechte vorgeschriebenen Form. Dies Wort ist nur ein Versprechen. Wenn ich will, ist sie auch jetzt noch meine Sklavin, — aber nicht mehr deine, sag‘ ihr das! In Burdigala dann, nachdem sie römisches Leben gekostet, mag sie wählen, was sie lieber ist: des Konsuls Gemahlin, oder seine Sklavin und einer Bärin Gespielin! Ich kann sie zur Ehe nicht zwingen, — jedoch das sag‘ ihr, — in ihr Barbarenland lass‘ ich sie nie zurückkehren.«
Saturninus wollte den sehr Erhitzten begütigen, aber schmetternde Tubatöne riefen nun beide Führer auf die Wälle. Die römischen Trompeten begrüßten mit freudigen Klängen die Schiffe des Nannienus, die nun, mit aller Leinwand vor dem Südostwind fliegend, rasch nah und näher kamen. —
Es war ein stolzer Anblick.
Nachdem der wackere Comes von Britannien, selbst ein segelkundiger Bretone, die sträfliche Verwahrlosung der Schiffe und die Unterschleife der schuldigen Beamten zu Arbor entdeckt, hatte er Nacht wie Tag unermüdlich gearbeitet und arbeiten lassen, seinem Freund und langjährigen Kriegsgefährten Saturninus doch noch die Schiffe und Verstärkungen zuführen zu können, auf denen dessen ganzer, die Umzingelung und Vernichtung oder doch bedingungslose Unterwerfung der Alamannen abzielender Plan aufgebaut war.
Und so hatte er denn wirklich im Laufe von wenigen Tagen und Nächten die vorgefundenen vernachlässigten Vollschiffe wieder in wogentüchtigen Stand gesetzt und dazu aus alten Handelskähnen und Fischerboten größten Umfangs eine Zahl von neuen Fahrzeugen zurecht gezimmert, die zwar entfernt nicht der stolzen Flotte des venetischen oder brigantinischen Sees zu vergleichen war, wie sie vor anderthalb Jahrhunderten Wasser und Ufer hier beherrscht hatte, aber doch bei dem für jetzt geplanten Absuchen der Barbarenverstecke längs allen drei Landseiten und dem Abfangen ihrer etwa über den See hin versuchten Flucht aus dem Kesseltreiben des Tribuns ausreichende Dienste leisten konnte. Seine zwanzig hochbordigen Kriegsschiffe mußten, wenn nicht vor Anker liegend, sondern in voller Fahrt kämpfend, durch die bloße Wucht ihres von Rudern und Segeln getriebenen Anpralls ganze Schwärme der kleinen Barbarenkähne zum Sinken bringen, wenn solche dagegen anzufahren wagten. Und jedem solchen Vollschiff hatte er je zwei bis drei kleinere, flachbordige und wenig tiefe Boote beigegeben, Vorräte und Truppen zu landen, den Verkehr der tiefgehenden Biremen, die vor Anker gehen mußten, mit dem oft sehr seichten, in Sumpf verlaufenden Ufer zu vermitteln. So waren es wohl über sechzig Segel, die im vollen Glanz der strahlendsten Septembersonne, nun gerade gegenüber dem Idisenhang teils vor Anker gingen, teils in ununterbrochener Kette eine Art Schiffbrücke von dem Ankerplatz bis an das Ufer bildeten.
Die mannigfaltigen Gestalten der Segel: — denn zu den dreieckigen, latinischen der Römer hatte man im Drang der Eile auch allerlei barbarische, altkeltische, wie sie seit Urzeiten hier auf dem See heimisch waren, und alamannische gesellt, — und ihre bunten Farben, zumeist blendend weiß, aber auch viele dunkelgelb, im Sonnenglanz schimmernd, vom frischen Winde gebauscht und gebläht, das wogende, wimmelnde Leben der aus den Schiffen ans Land und vom Ufer in die Schiffe drängenden Soldaten, die Begrüßungen alter Genossen, die freudige Anerkennung für das in Arbor Geleistete, die drohenden Ausrufe gegen die Barbaren, mit denen nun gründlich aufgeräumt werden sollte: — das alles gab ein Schauspiel voll Glanz, Leben, Bewegung und kriegerischen Lärms.
Zweites Kapitel
Das größte Fahrzeug — ein altes Kriegsschiff, es wies noch die Amphitrite als Schiffsbild, — zeigte Purpurwimpel, und auch das vorderste kleine Fockmastsegel prangte in dieser Farbe. Denn es trug den Befehlshaber des Geschwaders.
»Endlich!« hatte der tüchtige Offizier gerufen, als er, der erste von der ganzen Armada, aus seinem Admiralitätsschiff in das Boot, das vor dessen Bugspriet schaukelte, gesprungen war. Er lief über die ganze Reihe der kleinen Schiffe hin bis an das Ufer und schwang sich von dem letzten Nachen aus in ungeduldigem Satz über den Sumpfgrund auf das festere Ufer, dem Illyrier entgegen, der ihn mit beiden vorgestreckten Armen auffing.
»Endlich, Freund, bring‘ ich die Schiffe und Männer, — es hat lang gedauert.« — »Ich weiß, es war nicht deine Schuld.« — »Die Schuldigen hat der Kaiser schon in die Bergwerke geschickt. — Wo ist der Präfectus Prätorio?« »Oben. — Im Lager. Er ist nicht ganz wohl.« — »Ich habe Briefe für ihn vom Kaiser.« »Ist noch keine Nachricht vom Kaiser Valens da?« fragte Saturninus besorgt. — »Doch, ganz neuerliche.« — »Wie steht es mit ihm und mit den Goten?« — »Gut mit ihm und schlecht mit den Barbaren. Sie leiden elend Hunger! Sein letzter Brief weist ausdrücklich — und ziemlich hochfahrend! — jede Hilfe Gratians und unseres Heeres ab.« »Er will den Ruhm des Siegs nicht mit dem Neffen teilen,« meinte der Tribun, zu Roß steigend und den Freund einladend, auf dem für ihn mitgeführten schönen Pferd bergan zu reiten.
Nannienus schwang sich in den Sattel und fuhr fort: »›Eine entscheidende Schlacht‹, schreibt Valens, ›steht bevor.‹ Er zieht auf Adrianopel, wo die Goten lagern. — Ei, sinkt hier der Gaul ein! So hoch hinauf noch Sumpf?« — »Ja, lauter alter Seegrund. — So ist dort am Ister die Entscheidung wohl schon gefallen! — Nun, unser kleiner Feldzug wird nun auch bald zu Ende sein. Wie viele Helme bringst du?« — »Dreizehnhundert.« — »Mehr als genug! Morgen früh teilen wir uns. Fünfhundert Mann bleiben im Lager: mit dem Rest ziehst du nach Nordosten, ich nach Nordwesten, bis wir sie endlich finden und einander zutreiben, diese unfaßbaren Feinde. — Du hast auf der Überfahrt auf dem See nichts Verdächtiges bemerkt?« — »Gar nichts! Kein Segel weit und breit.« — »Nun wir Schiffe haben, können wir auch die beiden Schilfstrecken absuchen, die sich rechts und links stundenlang hinziehen. — In dem westlichen Sumpf meinten wir einmal Rauch aufsteigen zu sehen.« — »Den See absuchen? Das soll morgen gleich geschehen, noch vor dem Abmarsch. Eine Seeschlacht auf dem venetischen See! Seit den Tagen des Tiberius ist das kaum mehr dagewesen.« — »Ich aber bin froh, dich hier auf dem Festland zu wissen mit den Deinen: willkommen nochmal auf dem barbarischen Ufer und in meinem Lager.« — Damit ritten beide, gefolgt von einem glänzenden Geleit von Anführern des Nannienus und von den Schuppengepanzerten des Tribuns, zur Porta decumana ein. Dies Thor stand jetzt weit geöffnet. Denn in aufgelöster Ordnung strömten immer noch die Leute des Tribuns hinaus und den Berghang hinunter, dann durch feuchte Wiesen und Sumpf die kleine halbe Stunde bis an das Ufer, die Waffenbrüder von der Flotte zu begrüßen. Wie ein Mäuslein hatte sich Bissula geduckt und so klein gemacht wie möglich, unvermerkt aus ihrem Versteck östlich vom Seethor mit hinauszuschlüpfen. Aber die Wachen des Illyriers waren streng geschult: zwei riesige Thraker hielten — je einer hinter und vor der Schwelle — die Speere gekreuzt vor die Öffnung des Thores und faßten jeden scharf ins Auge, der hinaus oder auch herein wollte. Glücklich war die Kleine durch die ausgespreizten Beine des einen gekrochen: da stieß sie mit dem Kopf gegen den Speerschaft des vor der Schwelle Stehenden. Der Mann ward merksam, erkannte sie und schob sie sanft, aber unwiderstehlich zurück. »Nein, nein!« lachte er. »Du schon gar nicht hinaus! Du rotes Schlängelein! Gäbe zwiefache Hiebe! Vom Tribun rechts, vom Präfekt links! Drin geblieben!«
Thränen des ohnmächtigen Zornes in den Augen mußte sie zurücktreten: und da draußen, da winkte die Freiheit: — da lachte — zum erstenmal sah sie hier durchs offene Thor — in blauer Pracht der liebe See: — da rechts rauschten die Bäume, die Adalos Hof umgaben: — und da flog eine Möwe, schreiend vor Lust des Lebens und vor Freude am freien Flügelschlag, in mutwilligem Flugspiel über das Schilf des Ufersumpfes hin! — Ach! — und sie — sie mußte zurück ins Lager: — in ein ungewisses Schicksal! — Morgen schon fort aus dem Lande: — und — wohin dann? »Oh Adalo, hilf bald!« Seinen Namen hatte sie seit gestern Nacht immer und immer wieder vor sich hin geflüstert, wie wenn er ein Zauberwort, ein schützendes, wäre. — In ihrer Lagergasse angelangt, band sie die Bärin los, die der Lärm der Krieger wild aufregte, und zog sie am Halsband mit sich in ihr Zelt, das sie den ganzen Tag nicht mehr verließ. Sie ward auch nicht gestört. Prosper brachte ihr Wein und Speisen: er sagte, der Herr sei durch Nannienus und die andern Gäste ganz in Anspruch genommen. Aber morgen in aller Frühe, lasse er ihr gebieten, möge sie sich bereit halten: es gehe zu Schiff nach Constantia, dann zum Kaiser nach Vindonissa und von da in die schöne Heimat. Bissula gab keine Antwort. Sie ließ die Speisen unberührt. Sie lauerte, einem gefangenen Waldtier ähnlich, im hintersten Winkel ihres Zeltes an der Erde, soweit wie möglich entfernt vom Eingang, die Augen starr auf diesen gerichtet und mit Angst und Schreck auf jedes Geräusch achtend, das durch die Lagergasse ihrem Zelte näher drang. Die treue Bärin lag quer über der Schwelle: das war ihr einziger Trost.