Kitabı oku: «Bissula», sayfa 7
Fünftes Kapitel
Ebarbold wollte einen giftigen Blick auf ihn werfen: — aber er mußte das Auge niederschlagen vor so viel Hoheit. Bitter die Lippe aufwerfend, meinte er: »Hüte dich, Hariowald. ›Herzog‹ heißest du: — nicht König. Und deine Herzogschaft ist aus, wann dieser Kriegsgang aus ist. Nach deinem Wunsch, so scheint es, sollte nur Einer walten aller Alamannen. Gaukönige haben wir seit alters her wie Graugrafen: — aber weh‘ uns, wenn je alle Gaue eines Volkskönigs Knechte geworden.« — »Sind die Götter Knechte, weil der Eine, der Hohe, als Volkskönig ihrer waltet?« — Drohend scholl des Alten Stimme.
Ausweichend antwortete der Gereizte: »Hier auf Erden aber sind wir gleichen Rechts, wir Alamannen. Und eher als —« »Was stockst du?« forschte Adalo zornig.
»Er stockt, weil er sich scheut zu sagen, was er sinnt. Mir aber gab der Hohe, der Menschen Gedanken von ihrer Stirn abzulesen wie gelöste Runen.«
Rot und bleich ward Ebarbold, er sprang auf.
»Dieser Sohn Eburs denkt:« fuhr der Herzog fort, »eher als einem Volkskönig der Alamannen beug‘ ich mich — dem Imperator.« Nun sprang Adalo vom Sitz empor. »Und wenn‘s so wäre?« schrie der Gescholtene. »Wolltest du‘s wehren? In wenigen Wochen, wann die Blätter fallen, fällt auch dein Heerbefehl! Einstweilen aber« ... — »Einstweilen aber rat‘ ich, zu gehorchen!« — »Dir?« »Nicht mir,« erwiderte der Alte mit unerschütterlicher Ruhe, »dem Volksding, das über allen Gauen steht — auch über deinem, dem Ebergau und seinem König! Aber setze dich wieder, raschgrimmer Held! Und du, Adalo, reiche ihm von der Zeltwand, wo es hängt, das Methorn: der Vergessenheit Reiher rausche über unsere Häupter und trage mit sich hinweg auf seinen Schwingen Zornwort und Zankwort!«
Die beiden Jüngern setzten sich wieder. Während das Auerstierhorn, an Mündung und Ende mit Erz beschlagen, kreiste, sprach Ebarbold: »Und sollten wir auch siegen diesmal und diese Streifschar vertreiben aus dem Lande, — wir haben‘s erfahren oft genug: es kommen immer wieder andre nach, die Geschlagenen zu rächen. So ging es viele Menschenalter lang,« »So wird es aber nicht mehr gehen,« sprach der Herzog langsam. »Es ist dafür gesorgt. Die böse alte Wölfin ist von zu vielen Hunden zugleich umstellt! Nicht mehr kann sie die linke Pranke heben, der von uns gepackten Rechten zu Hilfe zu kommen: der Gote hält ihr die Linke gar fest an dem Danubius; und kaum noch scheucht sie mit dem Gebiß den Franken am Rhein.« »Die Goten?« meinte der König. »Wer weiß, ob sie dies Jahr im Felde stehen!« »Ich weiß es,« erwiderte der Alte ruhig. »Kannst du von hier bis nach Thrakien sehen?« spottete Ebarbold: »Ich nicht!« »Aber ein anderer, der vom Hochsitz in den Wolken über alle Lande schaut; und der hat mir‘s verraten.«
»Ich aber schaue das Elend,« fuhr der König fort, »das um uns her der Römer angerichtet hat in unserem Lande, Schwer hat mein Gauvolk gelitten! Auf dem Durchzug haben die Kohorten alle Gehöfte verbrannt. Auch meine Halle!« »Man baut sie wieder auf!« lachte Adalo, das Horn an die Wand hängend. »Nicht weigert der Wald seinem Volke die Baume, — Auch mein Haus da unten am Seebühl!« — und ernst ward nun sein Antlitz, »Wert ist mir das Weite, heilig der Herd, an dem ich auf der lieben Mutter Schose saß, während der harfenkundige Vater von den Göttern sang und den Thaten unserer eigenen Ahnen! Auch in meines Geschlechtes altes Gehöft mit der Hirschhornrune wirft wohl bald der Centurio die Fackel. Nie hoff‘ ich mehr, den Hochsitz zu besteigen, auf dem ich so oft dem Vater das Trinkhorn füllen durfte. Aber, ob ich all‘ meine kommenden Tage dies Haupt nur zu bergen hätte unter wogenden Wipfeln des Waldes, nie beug‘ ich mich den Walen.« — »Beugen! Es gilt einen Vertrag zu festigen, wie wir so oft ihn geschlossen!« »Und wie so oft der Römer ihn brach!« warf Adalo ein. »Oder auch wir. — Was verlangt man denn von uns? Junge Mannschaft, des Cäsars Schlachten zu schlagen. Wir haben mehr Nachwuchs, als wir ernähren können. Dafür giebt man uns rotes Gold.«
»Hel schlinge dies Gold und diese Verträge,« rief Hariowald aus. »Unseres Volles Herzblut und junge Heldenbrut haben sie von Geschlecht zu Geschlecht dem Altfeind verkauft, der sie gegen uns selbst, gegen unsere Nachbarn brauchte. Wären die vielen Hunderttausende, die für Rom gefallen, gegen Rom zusammengestanden: — längst tränkten wir unsere langmähnigen Rosse im gallischen Meer. Aber wir schlagen dein Wort nicht in den Wind, Ebarbold. Wohlan, auch ich willige ein, ins Römerlager einen Boten zu senden — um Frieden!« »Was? Du wolltest?« rief Adalo ungestüm. »Was ich will, wird sich weisen.« — — »Frieden antragen? Sie abziehen lassen? Mit ihrer Beute?« — »Werden nicht schwer daran tragen!« Und hier zog ein Schmunzeln über des Gewaltigen Lippen, das ihm köstlich stand. »Sechs Töpfe in Iburninga und ein zersprungener Metkessel in Mariswik: so klagten mir zwei alte Weiber!« »Und die Gefangenen!« mahnte Adalo. »Sie haben nur Eine, hör‘ ich,« fiel der Gaukönig ein, »eines Kleinbauern Kind.«
»Gleichviel, unseres Volkes Tochter, eine freie Jungfrau ist auch sie,« rief Adalo lodernden Blickes. »Sie hat ein Recht auf ihres Volkes Schutz.« — »Schützen! Eine Gefangene! Was können wir« — — »Sie befreien — mit dem Schwert — oder sie rächen!« — »Um eines Weibes willen den Kampf aufnehmen, der das Volk verdirbt!« — »Du redest sehr wahr,« sprach da der Herzog langsam. »Seines Volkes Heil muß Weib sich opfern wie Mann. Sie bleibe, wo sie ist, — die kleine Bissula!« »Wie, Bissula?« fragte Ebarbold, erschrocken. »Albofledis, welche sie ,Bissula‘ nennen? Die schöne Rotelbin?« »Du kennst sie?« forschte Adalo. »Ha, wer hat nicht von ihr gehört! Am ganzen Seeufer spricht man von ihr. Und spricht so, daß der Hörer gespannt wird, sie zu sehen. So ward auch ich neugierig und ich suchte, sie zu sehen: erst jüngst — beim letzten Sunnwendsprung. — Schade um sie! Bei Freias Augen! Sehr schade! — Aber der Friede gilt mehr!« »Ja,« sagte Hariowald, »und noch mehr — der Sieg!« »Der Sieg ist uns gewiß!« rief Adalo. »Meinst du?« verwies der Alte. »Ich meine nicht, — noch nicht!« verbesserte er. »Führ‘ uns zum Sturm auf das Römerlager! In dichten Haufen sind, seit du den blutigen Heerpfeil von Gehöft gesendet zu Gehöft, unsere Heermänner schon hierher geströmt.« — »Noch nicht genug! Noch fehlt der Heerbann gar manches fern von uns gen Mitternacht oder Aufgang gelegenen Gaues: vom Alpgau, von Albwins-Bar, vom Wisent- und vom Drag-Gau.« — »Zähle nicht, — wäge!« — »Das thu‘ ich: — aber auch des Römerlagers festen Bau!« — »Doch auch die Feinde verstärken sich indessen! Ihre stolz geschnäbelten Schiffe liegen drüben in Arbor schon in großer Anzahl bereit: — bald bringen sie neue Kohorten herüber!« »Das sollen sie!« lachte der Alte leise vor sich hin und eine unheimliche, grimmige Freude sprühte dabei aus seinem Blick. »Indessen,« fuhr er nach einer Pause fort, »will ich morgen einen Gesandten schicken zu den Feinden.« »Sende mich!« rief Ebarbold eifrig. »Nein —: Adalo — du gehst.« — »Er! Der bringt nicht den Frieden heim!« — »Nein: — aber gute Spähe und,« flüsterte er dem Jüngling zu — »vielleicht: — Bissula!« — »Dank! Dank!« »Ich,« zürnte Ebarbold, »ich brächte sicher heim unsres Volkes ...« — »Unterwerfung!« schloß der Herzog. »Das eben sollst du nicht. Weisen die Walen billigen Vorschlag ab, dann befrag‘ ich das Volksding, das ganze Heer um seinen Beschluß« —
»Ich weiß voraus,« unterbrach Ebarbold unwillig, »was sie beschließen, geleitet von dir, du Wodansgefolge, du Zius-Opferspender! Aber ein anderes ist, was ihr beschließt, ein anderes ...« — Er fing das Wort auf seiner Zunge und stockte.
»Was du thun wirst, willst du sagen, Gaukönig! Ich warne dich, Ebarbold. Dein Vater war ein wackrer Held: — er fiel an meiner Seite vor zwanzig Wintern in jener Mordschlacht gegen Julian. Sein gedenkend, warn‘ ich dich noch einmal: sieh dich vor!« »Sieh du dich selber vor,« rief der König unwillig — »du bist nicht mein Muntwalt!« Er sprang auf und stürmte aus dem Zelt.
Sechstes Kapitel
Auch Adalo erhob sich rasch, »Du laßt ihn ziehn, den Drohenden? Soll ich ihm nach?« Aber ganz ruhig blieb der Herzog. »Nicht fürchte Gefahr von diesem Mann.« Schauer durchrieselte den Jüngling und er fuhr zusammen, als jener, ganz leise nur den Speer erhebend, beifügte: »Er ist Wodan geweiht!« — »Du willst ihn — ?« — »Nicht ich. Er selbst wird sich opfern, — opfern müssen. Staune nicht: wart‘ es ab!« — »Und das von den Goten, Herzog? War es dein Ernst? Oder wolltest du nur den Feigherzigen ermutigen?« Der Alte lächelte: »Sieh, sieh, solche Arglist zu gutem Werk traust du mir zu?« — »Du bist Wodans Zögling!« — »Es ist, wie ich sagte. Einer unserer Gauleute hat als Schildner gedient im Heere des andern Kaisers: er kam auf Urlaub nach Hause. Er erzählte, wie viele ungezählte Haufen Goten über die Donau gedrungen sind und jenen Kaiser so hart bedrängen, daß er sicher nicht seinem jungen Neffen hierher zu Hilfe ziehen kann. Ja, vielleicht muß das ganze Heer des Neffen dem Oheim zu Hilfe eilen. Weil ich dies wußte, verstattete, ja befahl ich unsern jungen Gefolgsführern, im Frühjahr über die Grenze zu gehn, den Krieg zu erneuen. Du aber — schweige hiervon. Und öffne im Römerlager morgen weit die Augen: nicht nur jenes Kindes gedenke, wie gern ich dir‘s gönne, sie zu sehen, vielleicht, sie loszukaufen, oder etwa mit List sie zu retten. Denn, bei Friggas Gürtel! sie ist hold: und gern säh‘ ich sie frei, unseres Gaues zierlichste Zier.«
Adalo griff nach der Rechten des Herzogs, Aber dieser entzog sie und streng fuhr er fort: »Auf die Höhe des Walls, auf die Tiefe des Grabens, auf die Lage der Thore, auf die Zahl der Zelte, auf den Lauf der Zeltgassen achte mir scharf, daß du alles genau mir berichtest. Jetzt geh und sende mir Zercho, den Knecht. Nein, frage nicht, was ich mit ihm will — gehorche!« Adalo ging. Sein Herz klopfte. »Ich soll sie sehen! Loskaufen! All‘ meine Fahrhabe, ja — muß es sein — mein Erbgut setz‘ ich dran: — ich verkauf‘ es! — Aber wird sie losgekauft sein wollen? — Wird sie nicht lieber folgen dem klugredenden Walen, dem Reichen, in sein sonniges Land? — Und wie, wenn er sie nicht frei giebt? — Nun, dann giebt es zum Glück ein Mittel, sie herauszuholen, das nur der Herzog kennt und meines Vaters ältester Sohn.« Von solchen Gedanken wild bewegt, sandte er den Jazygen, der am Feuer kauerte, in das Zelt.
Scheu, furchtsam stand der Knecht vor dem gewaltigen Greis, »Wie lang ist‘s her, daß dich Suomar erwarb?«
»Ist schwer sagen für Zercho: — ich rechne nur mühevoll weiter als beider Hände Finger reichen — und es sind mehr Jahre als Finger. Das Geistchen war da noch ganz klein. Wohlfeil erstand mich der Herr: — gar viele, viele von uns hatten die Römer als Gefangene fortgeschleppt aus den schönen Weidesteppen des Tibiscus, für ein Roß und ein Netz voll Fische ertauschte er mich drüben in Vindonissa von dem Händler.« — »Suomar hat mir dich gelobt. Er hat dich nie geißeln müssen.« Zercho machte ein verlegen Gesicht und rieb sich am Ohre, »Doch, Herr! — Einmal.« — »Warum?« — »Als ich zuerst das Geistchen sah: — es war damals ein Kind von etwa sieben Jahren: — ich hielt es für das Waldmädchen, die rote Vila, warf mich zur Erde und verhielt mir die Augen: denn wer die sieht, erblindet. Da schrie er ein Wort in eurer Sprache, das ich seither noch oft gehört — es bedeutet ein horntragend Tier — und schlug mich. — Aber seitdem nie mehr.« Der Knecht hatte all‘ das rasch herausgestoßen: — er fürchtete sich vor dem Herzog und er sprach immer fort, diese Furcht zu betäuben. »Du hängst treu an der Kleinen?« — »Mit der Pflugschar ließ ich mich für sie durchschneiden!« — »Du zupftest mich am Mantel, als du mir vor dem Edeling und der Alten deinen Bericht gabst. Du wolltest mir etwas vertrauen, was jene beiden nicht wissen sollten.« — »So ist es, großes Väterchen! Woher weißt du?« — »Das war nicht schwer zu erraten. Aber ich ahne mehr: das Mädchen ist nicht des gutartigen Schwätzers, der Ausonius heißt, ist eines anderen Beute geworden.« Mit Grauen sah der Slave zu ihm auf: »Hat dir das wieder dein Wuodanbog verraten, dein furchtbarer, wissender Gott?« — »Nein. Er gab mir nur, in der Menschen Augen zu lesen. Also eines anderen ward sie — so vermutete ich, — und du wolltest die Großmutter nicht noch tiefer in Gram versenken und den Edeling: — denn der liebt das Kind mit heißem Herzen.« — »Auch das weißt du?« »Dazu,« lächelte der Herzog, »braucht man nicht Wodans Hilfe. Auch ich war einmal jung. Du wolltest den Jüngling schonen.« — »Ja, Vater großer! Er würde sich verzehren vor Wut und Weh, Und kann doch nichts thun, sie zu retten.« — »Nur sich selber würde er verderben — und vielleicht unsere beste Siegeshoffnung — in verzweifelter That. — Ich bin zufrieden mit dir, Knecht. Schweig‘ auch fürder davon. Aber jener Ausonius war doch auch dabei?« — »Ja: der Fremde, der vor Jahren schon solang drüben in Arbor weilte. Aber nicht er griff das Geistchen: ein anderer, jüngerer.« — »Hörtest du nicht seinen Namen? Hieß er etwa Saturninus?« — »Herr, sein Name ward nicht gerufen. Oder ich hörte ihn nicht. Es war ein stattlicher Mann und glänzend waren seine Waffen.« — »Aber er führte doch die Gefangene dem Ausonius zu?« — »Wohl. Jedoch nicht auf des Ausonius weißes Pferd hob er sie, wie dieser zu fordern schien, sondern die Widerstrebende schwang er auf ein anderes Roß — ein schwarzes: vielleicht — ja, wahrscheinlich — sein eigenes.« Der Herzog schwieg nachdenkend. Endlich fuhr er fort: »Der Edeling soll erst bei Einbruch der Dunkelheit morgen im Römerlager eintreffen. Bevor er reitet, holt er sich von mir noch Aufträge. Sag‘ ihm das. — Und« — hier dämpfte er die Stimme ganz, zur Verwunderung des Slaven, da doch niemand im Zelte war — »wenn ein treuer und schlauer Mann wäre, der es wagte, sich oder einen anderen unvermerkt ins Feindeslager zu spielen und mir zu berichten, was er sah — denn ich fürchte, dem Edeling werden sie nicht viel zu schauen geben! — und wenn dieser Mann ein Unfreier wäre, — — ich kaufte ihn frei!« »Vater großer!« rief der Sarmate, warf sich vor ihm nieder und wollte ihm die Füße küssen. Unwillig stieß ihn der Herzog mit dem Speerschaft von sich: »Bist du ein Hund, daß du mir die Füße lecken willst?« »Zercho ist Jazyg,« entschuldigte dieser, aufstehend und das getroffene Schienbein reibend.»So ehrt mein Volk, wen es recht ehren will.« — »Wir aber, wir Söhne der Asen, wir beugen das Knie selbst vor dem großen Asgardhkönig nicht, wenn wir ihn anrufen und ehren wollen. Geh nun! — Vielleicht ist es gut, daß Adalo gar nicht erfährt, was etwa geschieht.« — »Er darf erst davon hören, nachdem es gelungen. — Denn er würde den anderen, der dabei sein muß, nicht mit mir gehen lassen.« — »Ich will nicht wissen — vorher — was im Werke. Sage draußen‘ niemand tritt jetzt ein, bis ich auf den Schild schlage.« Kaum war der Slave fort, als der Herzog den hinter ihm bis auf den Boden wallenden Linnenvorhang zurückschlug, der das hintere Zelt, den Schlafraum, abschloß. Hervor trat ein Alamanne in langen, grauen Haaren, kaum viel jünger als Hariowald, vorsichtig sich umschauend. »Wir sind allein, Ebarvin. — Wiederhole mir nochmals deines Königs Worte genau! Denn bedenke, du mußt sie ihm ins Antlitz, eidlich, vor der Volksversammlung vorhalten, falls er sie leugnet.«
»Er leugnet nicht,« sprach der Graukopf traurig. »Er ist zu stolz, sich dir zu beugen, aber auch zu stolz, zu lügen.« »Schad‘ um ihn,« meinte der Herzog kurz. »Er war ein furchtloser Mann.« »Du sprichst von ihm wie von einem Toten!« rief der andere, erschauernd. »Ich sehe nicht, wie er leben bleiben kann. Oder glaubst du, er ändert seine Wahl?« Schweigend schüttelte der Gefragte das Haupt, »Wie lange schon trägst du seinen Schild?« »Seit er einen Schild führen darf! Schon seinem Vater hab‘ ich ihn getragen,« seufzte der Mann. »Ich weiß es, Ebarvin! Und —« so fragte er lauernd, wie vorwurfsvoll, wahrend das graue Auge forschend blitzte, — »und du verrätst ihn doch?« Grimmig griff der Gefolge an das kurze Schwert. »Verrat? Offen klag‘ ich ihn an, nachdem ich ihn treu und oft gewarnt, nachdem ich ihm gedroht, ich würde dir alles aufdecken. Er lachte dazu, er glaubte das nicht.« — »Und weshalb thust du‘s? Er ist dir lieb gewesen.« — »Weshalb? Und das frägst du? Du, der es mich, der es uns alle gelehrt? Nicht zwar du allein: — vorher schon die Not! Weshalb? Weil dieser Bund der Alamannen ganz allein uns rettet vor dem Verderben, vor der Schmach der Verknechtung. Weshalb? O Herzog, fürchterlich sind die Eide, mit welchen du uns vor der Wodans-Esche gebunden hast schon vor Jahrzehnten! Nicht meineidig will Ebarvin werden! nicht will ich, ein Schwurbrüchiger, unendliche Nächte in dem gräßlichen Strome Hels dahin treiben, der Leichen, Schlangen und Schwerter wälzt! Und ich hab‘s gelernt ein langes Leben durch: wir müssen zusammenstehen, sonst bricht uns der Römer Gau nach Gau. Ah, meinen eigenen Sohn würde ich erwürgen, der, ungehorsam dem Herzog wie dem Volksding, unsern Volksbund wieder sprengen wollte.«
Da sprang der Hohe auf: Freude loderte aus seinem Auge: mit der Linken hoch den Speer erhebend, schlug er mit der Rechten dem Erregten auf die Schulter: »Dank dir, Ebarvin, für dieses Wort! Und Dank dir, du Gewaltiger hoch in den Wolken! Lebt solcher Sinn im Volke der Alamannen, — dann wird der Bund nicht mehr gelöst.«
Siebentes Kapitel
Es war wirklich so, wie Zercho der Knecht vermutet hatte. Nicht des Ausonius Gefangene war Bissula geworden — und geblieben. Zum äußersten Staunen, ja kaum zurückgehaltenen Unwillen des Präfectus Prätorio von Gallien hatte der jüngere Mann seinen Anspruch nach Kriegsrecht geltend gemacht: Ausonius hatte keinerlei Recht auf die Gefangene: das war klar. Sein Neffe hätte sonder Zweifel Ansprüche erheben können. Er machte auch — anfangs — einen solchen Versuch. Aber seltsamer Weise verstummte er, als der Tribun, kaum ganz mit der Wahrheit übereinstimmend, ihn vor dem Oheim anfuhr: »Das Mädchen war wieder entsprungen. Ich zuerst habe sie — endgültig — gefangen. Soll ich sie rufen, auf daß sie selbst erzähle, wie alles war?« Da ging Herculanus mit einem giftigen Blick. —
Ausonius aber begriff die rechthaberische Schroffheit des ihm sonst so herzlich ergebenen und so wackeren Mannes nicht. Als dieser sich kurzweg auf das Kriegsrecht berief, unterließ es Ausonius, im weichen Gemüte tief verletzt, alle die Gründe anzuführen, die, wie er meinte, den Freund zwingen mußten, ihm gegenüber — in diesem Fall! — den Rechtsboden gar nicht zu beschreiten. Zuerst geriet der Dichter, nach Beweggründen für jene Handlungsweise suchend, natürlich auf den Nächstliegenden: staunten doch alle Männer im Lager das von ganz eigenartigem Reiz umschwebte Mädchenkind mit unverhohlener Bewunderung an: kein Wunder, wenn auch der Illyrier, in voller Manneskraft strotzend, für das schone Geschöpf, das in seine Hand gefallen, erglüht wäre, daß er, ohne gerade Böses zu planen, sie in seiner Macht behalten wollte, bis sich, in Güte oder Gehorsam, die Gefangene ihrem Herrn fügen werde! Aber bald gab er, beruhigt, diese anfangs schwer auf ihm lastende Besorgnis auf. Scharf, mit dem Argwohn der Eifersucht, beobachtete er den Nebenbuhler bei jedem Zusammensein.
Jedoch selbst das Mißtrauen vermochte nichts, gar nichts zu entdecken, was für jene Annahme gesprochen hätte. Ruhig, stet, sicher, wie immer, war die Haltung des festen Mannes auch in ihrer Nähe, die er weder mied noch suchte, sondern gleichgültig hinnahm: er sah nicht öfter in die wunderbaren Äugelein als das Gespräch es mit sich brachte und dann war sein Blick ruhig, seine Stimme zitterte nicht.
So nahm Ausonius die Handlungsweise des Freundes als eine seltsame soldatische Grille und zweifelte nicht, er werde sie bald aufgeben. Aber das erwies sich doch als Täuschung.
In das Lager zurückgekehrt, bat Ausonius den Tribun, unbeschadet seines Eigentumsrechts, das Mädchen in dem Nebenzelt des Präfekten unterbringen zu lassen, aus dem er die Sklaven und Freigelassenen entfernen wollte. Allein Saturninus bestand darauf, daß Bissula zu den Frauen der Freigelassenen und zu den Sklavinnen gebracht werde, die, weit abgelegen von dem Präfekten, neben den Händlern und deren Weibern, in einigen Zelten hausten.
Das Mädchen selbst kümmerte wenig der Streit der beiden Römer, dessen Sinn sie kaum verstand. Aus tiefster Todesangst, aus äußerstem Entsetzen, das ihr Herculanus erregt, befreit durch den Tribun und beschwichtigt durch die Nähe ihres verehrten Freundes, fand sich ihr junges, heiteres Herz bald in die neue Lage: das war nicht Tollkühnheit, nur kindliche Unkenntnis der Gefahren, die ihr — möglicherweise — drohten. Die Großmutter war nicht entdeckt, der treue Knecht nicht gefangen worden: sie aber war ja sicher in der Nähe, unter den Augen ihres Freundes, des vornehmsten Mannes im Römerlager: nicht ein Haar würde er ihr krümmen lassen, das wußte sie wohl. Dabei fiel ihr freilich schwer aufs Herz, — am wuchtigsten sofort, da sie gerade ergriffen ward — daß sie ihr Schicksal ganz allein verschuldet hatte durch ihren Trotz, — wäre sie dem doch wohl treu gemeinten Wink gefolgt! — Da kamen ihr fast die Thränen: — die Erfahrung hatte gelehrt, wie gut der Rat gewesen: — sie wäre sicher und geborgen, bei der Großmutter, — aber freilich auch — bei ihm! Ihm zu Dank verpflichtet! Da zerdrückte sie das Naß in den Wimpern. Nein, sie wollte sich‘s nicht eingestehen, daß er Recht gehabt! —
Nun hatte sie doch ihm, dem Stolzen, nichts zu danken. Das war auch ein Vorteil! »Und« — trotzig schüttelte sie das Haar in den Nacken — »sie werden mich nicht fressen hier! Nur nicht sich fürchten, Bissula,« sprach sie zu sich selbst — »und sich nichts gefallen lassen! Aber auch gar nichts!« Nur einen Augenblick hatte sie, nachdem sie Herculanus entkommen war, gezittert: — damals, da ihr kraftvoller Erretter mit einem Ausdruck, mit einem Blicke ihre ganze Gestalt maß, vor dem sie verwirrt die Wimpern gesenkt hatte. Aber als sie die unschuldigen Kinderaugen wieder aufschlug, war jener Ausdruck gewichen: und er kehrte nie mehr wieder! —
Auch ließ sie ihr Herr den ganzen Tag mit ihrem Vater Ausonius allein: nur wann es dunkelte, erschien er unerbittlich, sie abzuholen; er selbst begleitete sie in das ihr angewiesene Zelt: einen seiner illyrischen Landsleute stellte er des Nachts auf Posten vor dasselbe. Den Neffen ihres Freundes, den sie scheute, sah sie nie allein.
Sie zählte fest darauf, bei dem Abbruch des Lagers und dem Rückzug der Römer werde sie der Freiheit wiedergegeben werden: zum Kampfe kam es ja nicht, das versicherte ihr Ausonius wiederholt. So betrachtete die Frohgemute ihre Gefangenschaft, die alle Schrecken verloren hatte, als ein Abenteuer, das ihr das lang vermißte Gespräch mit dem väterlichen Freunde schenkte. Hatten doch gar manche ihrer Jugendgenossinnen als Geiseln, auch wohl als Gefangene, eine Zeit lang in römischen Lagern und in den Kastellen auf dem Südufer gelebt und ohne Harm bei Waffenstillstand oder Friedensschluß die Freiheit wiedererlangt. Daß sie gegen ihren Willen festgehalten, fortgeführt werden könnte, das befürchtete sie nicht: war doch der mächtigste Mann im Lager ihr Beschützer.
Jedoch — solche Gefahr schwebte immer näher an sie heran.
Ausonius führte eine Art Tagebuch, in welches er vor dem Schlafengehen Erlebnisse, Eindrücke, Entwürfe zu Poesien, kleinere Dichtungen einzutragen liebte: — eine Gepflogenheit, deren streng eingehaltene Regel er auch im Feldlager kaum unterbrach: ein pedantischer Zug war ihm eigen. Doch war das »Tagebuch« nicht ein Monolog, vielmehr eher eine Art »Dialog«. Denn er richtete es in Briefform an seinen ältesten und nächsten Freund Axius Paulus aus Bigerri, Rhetor, aber auch alter Kriegsmann. Jedes Vierteljahr faßte er zusammen, was er so geschrieben und schickte es diesem, um das Manuskript mit dessen Kritiken und Antworten in Randbemerkungen zurück zu empfangen. So schrieb er denn auch in diesen Tagen unfreiwilliger Muße.