Kitabı oku: «Bissula», sayfa 8
Achtes Kapitel
V. vor den Calenden des September
Paulus wünscht Ausonius Heil.
Gestern schrieb ich dir von dem reizenden Barbarenkind, — ›Kind‹? Sie ist es nicht mehr! Berückend runden sich die zarten, aber doch reizvoll schwellenden Formen! Und »Barbarin«? Ist sie es je gewesen, — so ist sie es nicht mehr, seit Ausonius sie den Pomp der latinischen Rede gelehrt hat. Wie soll ich sie dir schildern, ohne sie — nicht zu zeichnen, — sondern zu malen. Denn gerade der Farben Reiz ist so unvergleichlich. Hätt‘ ich nur Paralos, meinen jonischen Sklaven, mitgeführt, der so schön die Nymphen gemalt hat — du weißt — in meinem kleinen Speisesaal dort in der Villa im Gau Noverus! Und der Ausdruck! Das Leben in diesen stets bewegten, bald von schelmischem Zorn, bald von Scherz, bald von einer mir rätselhaften Trauer der Sehnsucht beseelten Zügen! Und die zierliche Gestalt! Neulich blieb ihre Ledersohle stecken in dem Sumpf vor dem Lagergraben! Wie weiß und wie reizend dies Füßlein! Wie kann es nur die Gestalt tragen, so leicht diese auch schwebt! Die Muse, die mich so lange gemieden, — in Gestalt dieses suebischen Mädchens hat sie sich wieder eingestellt: in einer schöneren Metamorphose, als je Ovidius sie geahnt. Unablässig quellen mir die Verse! Höre nur!
»Bissula schmückte Natur mit dem Reiz, den der trefflichste Maler
Wiederzugeben umsonst sich bemüht. — Wohl anderen Mädchen
Mag er werden gerecht, wenn er Mennig verwendet und Bleiweiß —
Doch dies Farbengemisch, es entzieht sich dem Künstler: es sei denn,
Daß mit der Lilie Glanz er sie malt, der von Rosen behaucht ist.«
»Ach, Freund, bei den Empfindungen, die mir kommen, schäme ich mich manchmal des halben Jahrhunderts, das ich mit mir trage. — Ich möchte Anteros etwas opfern, — am liebsten: — meine grauen Haare! Neulich hat die Kleine gar zu unserer aller Staunen — zumeist aber war Saturninus überrascht, ich weniger: denn ich traue ihr schon bald Übermenschliches zu — strategischen Scharfblick bewährt.
Bei einem Rundgang auf dem Südwestwall war die Rede davon, daß ihr kleines Hüttlein durch mich vor dem Verbrennen war beschützt worden, während unsere Kohorten sonst mit wahrer Emsigkeit die Fackel in die Holzhäuser der Barbaren warfen. Da meinte Saturninus, durch Zufall sei bisher auch noch ein anderes Gehöft verschont geblieben, das weiter südwestlich auf einer Anhöhe ragt mit hochaufsteigendem Giebeldach: — keine unserer Streifscharen war in diesen Tagen in jener Richtung ausgezogen. Mein Neffe rief nun einem seiner Panzerreiter zu, morgen sollten ein paar hinübersprengen und das Gezimmer niederbrennen.
Da rief auf einmal die Kleine mit blitzenden Augen: »Wie dumm!« und lachte — Höflichkeit ist nämlich nicht ihre Lieblingstugend! — und mein Neffe und sie verlieren wenig Liebe einer an den andern. — »Wie einfältig,« wiederholte sie. »Der Bau ist sehr fest, der Pfahlzaun sehr hoch: — es ist fast eine Burg, wie hier dies euer Lager! — Und hier: zwischen euch und dem See — wohin ihr doch flüchten müßt, wenn die Meinigen kommen! — da könntet ihr euch gerade wieder setzen, wenn ihr hier ausreißen müßt, wie die Füchse aus dem Bau gejagt.« Höhnisch lachte Herculanus. Aber Saturninus warf einen Blick von der Wallkrone auf jenen Hügel und das hoch ragende Gehöft und sprach mit jenem ruhigen Ton, der Widerrede ausschließt: »Ich selbst hatte bereits für morgen die Verbrennung beschlossen. Aber das Kind hat Recht. Das feste Haus wird nicht verbrannt: — eher vielleicht — später — besetzt, wann die Schiffe da sind.«
Wenn sie nur endlich kämen, diese Schiffe! Der eifrige Tribun verzehrt sich vor Ungeduld des Thatendrangs. Schon wiederholt ist er über den See gefahren auf einem elenden, morschen Nachen der Barbaren, welchen wir im tiefsten Röhricht versteckt, nahe Bissulas Waldhütte, fanden, und hat Nannienus zur Eile getrieben. Aber dieser konnte in Wahrheit mit Homer sprechen: »Was mahnst du den ohnehin Willigen?« Man kann nicht in Tagen herstellen, was in Monaten versäumt worden! Seine eignen elenden Beamten schaden dem Reich mehr als die Barbaren!
Und wir wissen gar nicht, wohin sie geschwunden, diese sonderbaren Landesverteidiger. Ach, da fällt mir auch wieder ein Geschichtchen von der Kleinen ein! — Wie sie sich doch immer wieder in meine Gedanken stiehlt! —
Selbstverständlich haben wir — in Ernst und Scherz — auch den Versuch gemacht, Auskunft über die Verstecke der Feinde zu erlangen von der einzigen Gefangenen, deren wir uns bisher berühmen können: aber da sind wir ›Sieger‹ übel angekommen! »Wo stecken sie denn, eure Helden?« lachte ich einmal gegen Ende der Hauptmahlzeit in meinem Zelt. »Ihr Heldentum ist freilich so unfindbar, wie sie selber.« »Sie werden es ihr schwerlich auf das kurze Näslein gebunden haben,« meinte Saturninus. »Denn die Barbarinnen können wohl so wenig schweigen als die Römerinnen. Sie weiß es nicht!« »Doch! Sie weiß es!« rief die Schelmin, trotzig die Lippen aufwerfend. »So? Dann wird man dir‘s abfragen,« — rief ich, »auf der Folter!« — »Nicht nötig. Ich sag‘s gern!« »Nun, wo weilen sie?« fragte der Tribun aufmerksam.
Da huschte sie zum Zelt hinaus, steckte mutwillig den Kopf durch den Vorhang des Eingangs herein und lachte neckisch: »Bei Wodan wohnen sie und bei der Seefrau im See. Da suchet sie selber!« Und fort war sie.
Ihr Lieblingsaufenthalt ist zu den Füßen einer ungeheuren Tanne — sie sei heilig, einer germanischen Göttin geweiht, die wohl, nach der Schilderung, der Isis entspricht —; dort hab‘ ich sie wiederholt gefunden.
Einmal gar auf den Zweigen derselben sich schaukelnd, wie ein Vöglein. Sie bat mich, diesen ihren Versteck ja den andern nicht zu verraten — dem Tribun und meinem Neffen: — sie liebe es, oft ganz einsam da zu träumen. Nun, ich verrate sie gewiß nicht! Wenn nur ich es weiß, wo sie zu suchen. Die andern sollen sie nicht — gegen ihren Willen — finden. —
IV. vor den Calenden des September
Neulich vermißte ich den Maler. Hierher kann ich ihn nicht schaffen. Aber vielleicht Bissula — später — zu dem Maler, nach Burdigala? Wie ich damals schon gewollt! Oh Paulus, könnte ich sie dir zeigen! Je mehr ich von ihr schreibe, dichte, — desto mehr gefällt sie mir, oder vielleicht umgekehrt! — Ich will einmal gar nicht mehr an sie denken, nicht mehr von ihr schreiben! —«
Neuntes Kapitel
»Du glaubst nicht, Teurer, wie mich auch dies lang nicht mehr geschaute kriegerische Lagerleben erfreut. Ich verstehe nicht viel davon: aber der Pomp und Stolz und die Kraft des Kriegswesens regen mich mächtig an. Es ist eine Lust, einen Mann wie Saturninus walten zu sehen. Eine alkäische Strophe kann er nicht skandieren, aber ein Lager nach den Anforderungen und Vorteilen der Örtlichkeit anzulegen, das versteht er besser als ich die alkäische Strophe zu bauen. Vortrefflich hat er auch hier, auf diesem steilen Hang mitten im Barbarenwald, die Regeln Frontins mit dem gegebenen Raum zu vereinbaren gewußt. Dich alten Soldaten würde es mächtig freuen, unseren Lagerbau, die Stärke von Graben und Wall, die Gliederung der Lagergassen, die Verteilung von Reitern und Fußvolk, von Gepäck und Troß mit anzusehen!
III. vor den Calenden des September.
Und warum solltest du‘s nicht ansehen? Wofür hat uns Athene oder das kluge Phönikien die Schrift gelehrt? Ich bat Saturninus, seinem dicken Schreibsklaven eine Skizze unseres ganzen Lagers mit allen für die Verteidigung wichtigen Punkten und der Verteilung unserer Truppen zu diktiern«. Ich lege sie dem Papyros bei.
Wie stattlich beginnt das:
»Vier Geschwader Schuppengepanzerte an der Porta decumana, das ganze Gepäck ebenfalls vor der Porta decumana aufgetürmt. Der Wall acht Fuß hoch. Der Graben fünf Fuß tief. Der schwächste Punkt die Ecke im Nordwesten, deshalb dort die beste Truppe: Batavische Schildner und Speerträger aus des Kaisers thrakischer Garde: —« und so weiter. Ich wiederhole nicht hier, was die Beilage ausführlich enthalten wird; aber das Schriftstück ist noch nicht fertig. — Er hat es wieder abgeholt, die Zeichnung genauer zu vollenden.
II. vor den Calenden des September.
Ach, was hilft die Verstellung, das Versteckenspielen mit mir selbst! »Jagst du sie mit der Heugabel hinaus, zurück kehrt immer wieder die Natur,« sagt der Bandusische Kollege. — Ich mache dich glauben — und mich selbst —, ich denke an Gräben und Wall und Schuppengepanzerte! Es ist nicht wahr! Ich denke nur an die Kleine! Nur ihr Bild steht vor meinen Augen bei Nacht und Tag. Es ist schon halb beschlossen: du sollst sie sehen. Ist dieser Streifzug beendet, kehre ich jedenfalls nach Gallien zurück, — vielleicht das ganze Heer: denn Kaiser Valens scheint mit den Goten leicht, ohne unsere Hilfe zu brauchen, fertig zu werden; er verlangt nicht nach uns. Dann kann ich die Kleine als meinen Gast mitnehmen zu kurzem Besuch nach Burdigala. Freilich: noch gilt sie als Sklavin des Tribuns. Lächerliche Laune des wackeren Mannes! Nein, nein, mein Paulus! Es ist nicht das andere, was du jetzt meinst, das ihn treibt. Scharf wie ein Vater — oder am Ende gar wie ein Bräutigam? — hab‘ ich ihn beobachtet, argwöhnisch, fast eifersüchtig. Aber ich that ihm Unrecht — oder zu viel Ehre? — Er hat nichts im Kopf, als diese unsichtbaren Alamannen und unsere immer noch ausbleibenden Schiffe von Arbor.
Und warum nur zu Besuch? Warum sollte sie nicht für immer in meinem Hause bleiben, mein heranschreitendes Alter verschönern können mit dem Morgenrot ihrer Jugend! Ja, Eos, Aurora: das ist ein treffendes Bild für sie! So jung, so morgenfrisch, so hellrot umflattert von dem mutwillig krausen Kurzgelock. Vielleicht nimmt sie jetzt, verständiger geworden, mit Freuden an, was ich ihr, dem Kinde, damals schon anbot: mir zu folgen für immer als meine Adoptiv-Tochter.
Tochter! — — Es ist das Rechte nicht! — Das Rechte nicht mehr! — Sie ist zum Weib erblüht. Es käme mir doch nicht mehr bei, sie, wie vor Jahren, auf meine Kniee zu heben. Sie ward dafür zu — reif. Und ich — ich bin noch dafür zu — jung, sie nur als Tochter zu betrachten. Eher als ihr Bruder, ihr zärtlicher, auf ihre Schönheit freudig stolzer Bruder! — Es paßt auch nicht! — Neulich streifte mich ihr voller Arm — sie gehen mit ganz unbedeckten Armen, die Germaninnen —: mir ward heiß dabei. Ich kann fast nicht mehr zweifeln, ich —
Die Leute würde es gar nichts angehen, was ich für sie empfinde. Mit mir nehmen könnte ich sie zunächst jedenfalls: — dann adoptieren? — In welcher Rechtsform immer es sei: — festhalten in meiner Nähe werd‘ ich sie. Ihre anmutvolle Gegenwart, — ich fühl‘s, ich kann sie nicht mehr missen! Es würde kalt und dunkel um mich her! Schon fröstelt mich bei dem Gedanken, wieder mit dem eisherzigen Herculanus allein zu leben.
Sie ist meine Muse geworden! Eine barbarische, spottest du? Ei, sind diese Verse gar so barbarisch?
»Wonne du! Schmeichelndes Glück! Oh du Scherzspiel neckischer Anmut!
Wie die Barbarin doch Latiums Mädchen besiegt!
»Bissula«! Bäuerlich klingt für den Fremden der Name des Kindes:
Aber Ausonius tönt hold der berückende Klang.«
Zehntes Kapitel
»Es hilft nichts mehr, mir es zu verhehlen!
Und was ich mir gestehe, gestehen muß: — dir, meinem Paulus, meinem zweiten Ich, soll es nicht länger als mir selbst verborgen sein. Ach, ich fürchte, du hast es schon längst aus diesen Worten, in Prosa und Vers, herausgelesen. Ich bitte dich — schüttle nicht, wie du pflegst, dein kühles, kluges Haupt über deinen »allzujugendlichen« Ausonius: — ich hoffe, warm soll mein Herz schlagen, bis es still steht. Ich weiß alles, was du sagen willst — dagegen natürlich. Denn dafür würdest du etwa nur sprechen, hättest du sie gesehen! Aber ich bin doch froh, daß du jetzt nicht hier bist: — ich will nicht gewarnt sein!
Freilich — ein anderes ist es, in verschwiegener Brust, dem verschwiegenen Freund gegenüber mit der süßen Vorstellung spielen: — ein anderes, das Spiel in den Ernst des Lebens überzuführen. — Ich trage mich mit widerstreitenden Gedanken. Wohl bin ich fünfzig — ach nein! zweiundfünfzig Jahre! Aber welches Glück für das junge Geschöpf, nicht nur meinen Reichtum, — nein, die ganze launische Bildung mit mir zu teilen! Sie ist Heidin. Bah! Das Taufwasser wird ihr die Anmut so wenig abspülen, wie es mir die heidnischen Musen verscheucht hat. Glauben mag sie nach der Taufe, was sie vorher glaubte. Und opfern soll sie — der goldenen Aphrodite und — Hymen!
Ich schwanke. Sie ist mir sehr zugethan. Aber manchmal find‘ ich sie doch träumend, sehnend über den Lagerwall hinausblickend: seltsamer Weise nicht nach Osten, nicht nach ihrem Heimathause, — immer nach Nordwesten! Dort ragt nahe dem Wall ihre riesige Tanne, mit Zweigen, die bis zur Erde reichen: gestern fand ich sie wieder hier versteckt. Sie klettert so hoch empor in dem Gezweig, daß sie gerade über den Wall hinweg nach fernen Höhen schauen mag. Da steckt sie, wie ein Marder geduckt, in dem dichten Geäst. Mit Mühe entdeckte ich sie dort: — es war schon Abend. Als sie auf mein Geheiß herabhuschte, glaubte ich zuerst eine Thräne in ihren Äugen zu sehen.
Aber das leuchtende Abendrot hatte mich wohl geblendet: ich sah die Thräne nicht mehr, als sie vor mir auf der Erde stand. Doch blickte sie ernster als sonst. »Was fehlt dir?« fragte ich. »Die Freiheit!« war die rasche Antwort. Ich mag wohl bestürzt, unwillig ausgesehen haben, denn hastig fuhr sie fort:
»Vergieb! Ich war thöricht. Ich weiß ja, ließest du mich jetzt schon frei, noch bevor der Krieg ganz zu Ende, — ich konnte, eh‘ ich die Meinigen erreichte, in die Hände andrer Römer fallen. Und undankbar bin ich obendrein. Wie gut bist du gegen mich! — Aber doch — manchmal spür‘ ich so arges Heimweh — nach — nach — ach ich weiß selbst nicht —!«
Da scherzte ich — denn nie zuvor, und auch jetzt nicht im Ernst, kam mir dieser Einfall: — »Nach einem Liebsten?« Da schnellte sie empor wie ein rotes Schlängelein! So zornig habe ich sie nie gesehen, — und es schäumt doch oft genug über, das kleine Strudeltöpfchen! — sie stampfte mit dem Füßlein, Glut schoß ihr in die Wangen und heftig rief sie: »Einen Liebsten? Ich? — Die rote Beißkatze! Ich habe ja kein Herz! — Womit sollte ich lieben.« Und trotzig sprang sie von mir weg, lief in ihr Zelt und ließ sich den Abend nicht mehr sehn. —
Nun, nun, das kennt man! Giebt sich — nach der Hochzeit. Aber ich freue mich, nun aus ihrem eignen Munde zu wissen: keine Neigung hält sie fest hier im Barbarenland, will ich mich wirklich entschließen, sie mitzuführen nach Burdigala. Ziemlich spät, wirst du spotten, fiel mir dies mögliche Hemmnis meiner Wünsche ein. Aber das macht: ich dachte sie so lang als Kind, bis ich — an mir selbst — von Tag zu Tag steigend es spürte nein, nein, diese Vollarmige ist kein Kind mehr: sie ist ein bräutlich Mädchen. —
Der holde Wunsch — kaum dräng‘ ich ihn noch zurück — er reift mir mächtig zum Entschluß! —
Und bei diesem guten Mädchen bin ich sicher: sie wird nicht um meines Geldes willen mein, was ich bei unsern gallischen Fräulein ängstlich fürchte: — und erst bei den Witwen! Bauchgrimmen krieg‘ ich, denk‘ ich an sie! — Vorsichtig will ich zuerst, die Scheue nicht zu erschrecken, — denn wie kann sich die Barbarin solche Ehre träumen lassen! — ihr nur den Vorschlag machen, als mein Gast mich nach Burdigala zu begleiten. Es ist undenkbar, daß sie sich weigert: jetzt, nachdem sie erwachsen! Und weigert sie sich, dann — aber nein, es wird ja nicht nötig werden. Und hat sie erst dort das reiche, schöne Dasein gekostet, dann verlangt sie nie mehr zurück in diese Wildnis. Dann wird es nicht mehr lange währen, daß ich diese Verse ihr vorlesen kann, welche ich jetzt nur dem Freunde vertrauen darf:
Bissula, jenseit des Rheins du, des kalten, gezeugt und entsprossen,
Bissula, die du erblüht nah des Danubius Quell:
Kriegegefangne, du hast, aus der Knechtschaft entlassen, gefangen
Deinen Besieger: sein Herz ward der Erbeuteten Raub.
Pflegender Mutter verwaist hast du nie doch die Herrin erduldet:
Als du in Knechtschaft gerietst, wurdest Gebieterin du,
Ob du durch römische Gunst so, Germanin, wurdest verwandelt: —
Blieb doch des Auges Blau, blieb dir das rötliche Haar.
Zwiefach erscheinst du uns nun und dir schmücken mit doppeltem Vorzug
Latiums Sprache den Geist, suebischer Reiz die Gestalt.
Wie gefällt dir das, mein Teurer? Nicht übel, hoff‘ ich! Mir wenigstens gefällt es sehr — und du weißt: ich bin gar nicht eitel. Nun denke dir, wie müssen sie, diese Wohllaut atmenden Zeilen, erst ihr gefallen — ihr, der sie gelten! —«
Elftes Kapitel
An dem Morgen, der auf diesen letzten Eintrag des Ausonius in sein Tagebuch folgte, teilte Bissula wie gewöhnlich das Frühmal in dessen Zelt mit Oheim und Neffe.
Der Präfectus Prätorio von Gallien war guter Dinge, scherzte oft, sprach viel, ließ sich von dem Bechersklaven wiederholt die Schale füllen und meinte wieder einmal, der Feldzug werde nun bald zu Ende sein. »Wenn die Schiffe kommen,« schloß er, »bitten die Barbaren um Frieden!« Fröhlich sah er auf: da traf zufällig sein Blick auf des Mädchens Antlitz.
Er staunte: ein spöttisches, ja zorniges Lächeln spielte um den trotzig aufgeworfenen Mund: ihre Stirn war gefurcht: sie schwieg. Das Gespräch stockte.
Scharf bemerkte Herculanus das aufsteigende Wölklein. Eifrig schürte er den drohenden Brand. »Was?« rief er. »Frieden? Verknechtung, Ausrottung! Bald schleppt der Kaiser die letzten noch übrigen Alamannen vor seinem Triumph-Wagen auf das Kapitol: die Führer werden erdrosselt, der Rest billig verkauft: ein Alamannenkopf um einen Kohlkopf.«
Thränen der Wut traten in Bissulas Augen. Sie fand nicht Worte: der Zorn schnürte ihr die Kehle zusammen. Sie suchte in ihren Gedanken, in ihrem Gedächtnis nach Hilfe, nach Abwehr. »Adalo!« — war der Name, der allein ihr einfiel. »Ja, Adalo! Wärst du da! Oder hätte ich dein raschgeflügeltes, wodangeflüstertes Wort! Halt — sein Spruch — sein Trotzspruch. Wie lautete er doch?« Und sie schloß, nachsinnend, die Augen, die Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, die beiden kleinen Fäuste vor die pochende Stirn gedrückt.
»Ich trinke vor,« fuhr Herculanus fort, die Schale erhebend: »thut mir Bescheid — du, des Ausonius Schülerin, zählst ja zu uns: Schmach und Tod den Alamannen!« Da sprang sie auf: — das blaue Auge blitzte — das rote Haar flatterte um ihr Haupt — ein Schlag mit der geballten Faust — klirrend flog seine Silberschale zur Erde: und in ihres Volkes Sprache rief sie:
»Wehe den Walen!
Rache den Römern!
Brecht ihre Burgen,
Malmt ihre Mauern!
Schwinget das Schwert,
Bis sie rennen, die Räuber!
All‘ dies Erdreich
Weihete Wodan
Seinen und des Sieges Söhnen, —
Uns zu eigen, den Alamannen!«
»Ah Dank dir, Dank dir, Adalo!« Und sausend sprang sie aus dem Zelt.
»Wie thöricht,« schalt Ausonius den Neffen. »Wie unwirtlich! Wie kannst du sie so reizen — unseren Gast!« — »Gast? Unsere — das heißt des Illyriers — Sklavin! — Aber vergieb, Oheim. Es soll nicht wieder geschehen. — Wie wenig doch die Barbarin taugt in Gesellschaft von Römern! — Unsere Gedanken, unsere Wünsche, — allem ist sie feind, unversöhnlich feind. — Und Adalo? Den Namen hört‘ ich schon! Ist das nicht —?« »Gleichviel wer es ist!« polterte der Oheim. »Du aber — bist mein Neffe und hast an meinem Tisch, in meinem Zelt die Liebliche beleidigt, zur Wut gereizt. Wie würdest du wohl erst in Burdigala ...« —
Ein vielerratender, finsterer Blick des Neffen hemmte das unbedachte Wort. »Du mußt sie versöhnen. Jetzt verlaß mich: — ich will dich heute nicht mehr sehen! Oder bleibe: — Ich selbst eile ihr nach! Arme Kleine!« Ausonius stand erregt von dem Lectus auf und eilte hinaus.
Herculanus und der Bechersklave waren nun allein in dem Zelt. »Steht es schon so?« knirschte jener grimmig. »Ganz offen gesteht der kindisch gewordene, verliebte alte Narr seine Pläne? Ans Werk, Davus — gesund oder krank — ans Werk! Hast du Schierling? Hast du genug?« — »Ich glaube, es reicht. Und mißlingt es das erste Mal, so hast doch auch du in dem andern Fläschlein noch Vorrat?« Herculanus nickte. Der Sklave fuhr fort: »Er klagte gestern über allerlei Unwohlsein; ich will‘s nun bald wagen, bevor er wieder genesen. Aber — noch eins — heute Nacht schläft die Barbarin allein.« — »Wie? Nicht in dem Zelt der Troßfrauen?« — »Nein! Ein roter, ansteckender Ausschlag brach heut‘ Nacht in diesem Zelt aus —: ich hörte, wie Saturninus auf die Meldung befahl, sofort der Gefangenen ein frisches Zelt an der entgegengesetzten Seite aufzuschlagen.« — »Er wird sie aber wieder scharf bewachen lassen!« — »Doch heute Nacht macht er mit all‘ seinen unnahbaren Illyriern einen Streifzug: Bataver beziehen heute die Nachtwachen: — die trinken gern: — vielleicht ... —« — »Schweig! Diesen Ring zum Lohn für das Wort! Wir wissen noch nicht, ob der Anschlag gegen den Alten gelingt —: so haben wir zwei Sehnen bereit für unseren Bogen. Und ich hasse sie: — ihn hasse ich nicht: — ihn muß ich nur geschwind beerben. — Heute Nacht also! — Still, Prosper kommt! — Wegen des Giftes — in den zwei Fläschchen — sprechen wir noch später: — du weißt wo und wann. Wollen erst abwarten, was diese Nacht bringen wird.«
Einstweilen hatte der gutherzige Ausonius vergeblich die zornmütig Entsprungene gesucht. Eifrig sah er die langen und breiten Lagergassen nieder, welche sich im Geviert bei dem Prätorium kreuzten: — umsonst. Er hoffte nun sicher, sie an ihrem Lieblingsschlupfwinkel zu finden, dem abgelegenen Platz mit der hohen Tanne: der Platz war leer. Auch auf dem Baume saß sie diesmal nicht: genau sah er hinauf. Kopfschüttelnd schritt er noch weiter nach Nordwesten, gegen den Wall selbst: da hörte er zwei Stimmen, wie streitend: eines Soldaten und — Bissulas. Und nun sah er, wie Rignomer, der batavische Centurio, mit quergehaltener Lanze die langsam Weichende zurückdrängte: halb germanisch sprach der Mann, halb, zur Erklärung, Vulgärlatein: denn Bataver und Alamannen, obzwar beide Germanen, verstanden sich damals so schwer, wie heute etwa Schiffer vom Niederrhein und Bauern vom Bodensee sich verstehen. »Zurück, rote Elbin, — schöne Idise du, — Nympha! — Und versuch‘s nie wieder! Wäre schad‘ um dich: — zu hoch ist der Wall und der Graben zu tief.« — Da erkannte der Soldat den Präfectus Prätorio, grüßte und kehrte auf die Wallkrone zurück.
Bissula hatte sich, den ehrfurchtsvollen Gruß bemerkend, umgesehen: — nun eilte sie auf Ausonius zu, noch immer heftig bewegt. »Vater,« rief sie, »gieb mich frei! Gleich! Auf der Stelle!« Ausonius schüttelte das Haupt: »Bedenke —« »Wenn ihr denn wirklich wehrlose Mädchen fangt und mit dem Schwerte bedroht, ihr ruhmreichen Römer, — wie dein Neffe, der Neiding ...« — »Wann that er das?« — »Gleichviel! — so schicke mich mit sicherem Geleit, mit einem Schreiben von dir über eure Vorwachen hinaus.« — »Wohin?« Bissula schwieg eine Weile. Sie ward ganz rot.
»Wohin? Wohin du immer träumend spähst? Dahinaus?« »Nein,« sprach sie jetzt, die Zähne zusammenbeißend, — »nach Aufgang, in mein Haus! Ich helfe mir dann schon weiter.« — »Kind, du mußt bleiben, bis der Krieg zu Ende.«
»Nein, ich muß fort!« schalt sie. »Zu meinem Volk gehör‘ ich, — nicht zu euch! Nicht recht, abscheulich ist es von mir, daß ich hier in deinem Schutz sicher schlafe, Römerwein schlürfe aus goldner Schale, während die Meinen Mangel und Gefahr leiden. Laß mich fort!« Sie hob die Hand: — es sollte eine Bitte sein, aber es glich einer Drohung. »Kleine,« sprach Ausonius nun ernster, »laß die Thorheit. Meines Neffen thörichte, unziemliche Rede hat dich gekränkt, — ich verwies sie ihm: er wird dir abbitten.« Bissula machte eine verächtliche Bewegung. »Und alles wird vergessen sein.« — »Soll ich vergessen meines Volkes?« — »Vergessen? Nein! Aber allmählich dich desselben — — entwöhnen. Du staunst? Wohlan: dieser unwichtige Anlaß mag die wichtige Eröffnung beschleunigen, die ich dir zu machen habe. Du denkst daran, mich zu verlassen? Gieb das auf: liebes Mädchen,« — er bezwang sich und fuhr kühler fort: »mein Töchterchen, — du wirst mich nie mehr verlassen.«
Hoch erstaunt riß Bissula die Augen auf: mit der Angst des umstellten Rehes maß sie den Römer. Ganz nahe hörte man den ehernen Schritt einer zur Ablösung anziehenden Kohorte: aber die Zeltgasse verdeckte sie noch dem Blick. »Was willst du sagen?« stammelte sie. »Ich will sagen,« erwiderte Ausonius fester, strenger, als er je gesprochen — der jetzt geahnte Widerstand erbitterte ihn und er war entschlossen, seinen Willen durchzusetzen — »ich will sagen, daß ich beschlossen habe, meinen früheren Plan auszuführen. Ich nehme dich als meinen Gast — auf unbestimmte Zeit — als mein Töchterchen,« fügte er vorsichtig bei — »mit mir — nach Burdigala.« »Nimmermehr!« rief Bissula, beide Arme in hohem Schrecken erhebend. »Ja, gewiß!« — »Ich will aber nicht! Ich? — fort vom See? — Von —? Von den Meinen — ? Nein! Nein! Nein!« — »Ja, ja, ja! Das ist nicht tyrannisch, nicht grausam, wie du jetzt denkst!« — »Wer will mich zwingen?« — »Ich! Wir zwingen auch die Kinder, die wir erziehen, zu ihrem Heil. Du begreifst dein wahres Glück nicht: — ich zwinge dich dazu.«
»Ich bin aber kein Kind. Ich bin ...« — trotzig trat sie gegen ihn. »Gefangen bist du! Vergiß das nicht! Du mußt folgen deinem Herrn, und der —« »Bin ich,« sprach eine tiefe Stimme.
Saturninus trat zwischen beide: er hatte die Kohorte herangeführt: mit festem Griff hielt er Bissula, die, wie von Schwindel umgetrieben, sich drehte und unwillkürlich wieder auf die Wallkrone hatte springen wollen.
»Vergiß das nicht, Ausonius!«
Unwillig über die Störung, verwirrt, beschämt trat dieser zurück. »Was thust du?« — »Ich schütze meine Gefangene.« — »Gegen wen?« — »Gegen jede Bedrohung: gegen Tücke wie gegen Zwang, — auch gegen wohlgemeinten.« Sprachlos blickten beide zu ihm auf: in das Dankgefühl des Mädchens mischte sich aber leise Furcht: — auch vor diesem Beschützer.
Ausonius fand zuerst das Wort wieder. Ärgerlich, eifersüchtig, argwöhnisch rief er: »Und wer schützt sie gegen — dich?« — »Nichts, und niemand — als mein eigner guter Wille!« »O gieb mich frei,« rief Bissula, verzweifelt beide verschlungene Hände zu dem Tribun emporhebend. »Damit du den Barbaren alles erzählst, was du bei uns gehört und gesehen? Nein, Kleine — du bleibst — vielleicht für immer! Nichts da von entspringen! Höre, Landsmann!« — er winkte, — »führe sie in ihr neues Zelt! — Halte dort die Wache, bis ich aufbreche heute Nacht: — dann löst dich der Bataver Rignomer ab. Und höre, sage meinem Schreibsklaven, auch bei Tage soll er sie ... —«, den Rest flüsterte er in des Soldaten Ohr, der das ratlose, bestürzte Mädchen am Arme fortführte. Ohne Wort schieden Ausonius und Saturninus voneinander: letzterer grüßte ehrerbietig: aber der Gereizte sah den Gruß nicht oder wollte ihn nicht sehen. —