Kitabı oku: «Ein Kampf um Rom», sayfa 10
ELFTES KAPITEL
Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, daß sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in Haltung und Erscheinen, männlich, kräftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur Brust gebeugte Haupt, und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Hüfte.
»Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla«, rief er ihr laut und lebhaft entgegen. »Dein Blick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.«
So hatte er noch nie zu ihr gesprochen.
»Mein König«, flüsterte sie erglühend. Einen leuchtenden Blick noch warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein König! So hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt. »Dein König?« sagte er, sich neben ihr niederlassend, »Ich fürchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was alles heute geschehen.«
»Ich weiß alles.« — »Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt nicht, ich bin kein Tyrann.« Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um seine schönsten Taten.
»Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es — sie sind ja dein Volk! — Ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte. Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht«, fuhr er langsamer und feierlich fort, »vielleicht ist dies Reich schon verurteilt in den Sternen — gleichviel, ich, sein König, muß mit ihm stehen und fallen.«
»Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein König.«
»Dank dir, Kamilla, wie du heut’ gerecht bist oder gut! Solcher Güte darf ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir geworden. Sieh, ich war ein kranker, irrer Träumer: ohne Halt, ohne Freude, dem Tode gern entgegenwankend. Da trat an meine Seele die Gefahr des Reichs, die tätige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge wuchs in meiner Brust die Liebe, die mächtige Liebe zu meinen Goten, und diese stolze und bange und wachsame Liebe für mein Volk, sie hat mein Herz gestärkt und getröstet für... für andres bitter schmerzliches Entsagen. Was liegt an meinem Glück, wenn nur dies Volk gedeiht: sieh, der Gedanke hat mich gesund gemacht und stark, und wahrlich! des Größten könnt’ ich jetzt mich unterwinden.«
Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend.
»O Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! Oh, ging es zu Roß und in waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde Flut. Komm, komm mit in den Kahn.« Kamilla zögerte. Sie blickte umher. »Die Dienerin? Ach laß sie! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie schläft. Komm, komm rasch, eh’ die Sonne versinkt. Sieh die goldene Straße auf der Flut. Sie winkt!« — »Zu den Inseln der Seligen?« fragte das liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht errötend.
»Ja, komm zu den Inseln!« antwortete er glücklich, hob sie rasch in den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Quais, sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das Ruder in die Öse zur Linken, und im hintern Gransen des Schiffes stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische Bewegung und ein echt germanischer Fergenbrauch.
Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar flog im Winde, und herrlich waren die raschen und kräftigen Bewegungen des feingebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoß die leichte Barke durch die glatte Flut.
Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel, der leise Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich brach der König das Schweigen und sprach, dem Boot einen kräftigen Druck gebend, daß es gehorsam vorwärts schoß: »Weißt du, was ich denke? Wie schön muß es sein, ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu steuern zu Glück und Glanz. — Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken gewesen.« Sie errötete und blickte seitab in die Flut.
»O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.«
»Ich dachte«, flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch immer abgewendet, »wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so ganz vertraut, gesteuert zu werden durch die schwanke Flut des Lebens.« — »O Kamilla, glaub’ mir, auch dem Barbaren kann man sich anvertraun.« — — »Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig überwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen.« Entzückt hielt der König im Rudern inne, das Schiff stand: »Kamilla! Träum ich? sprichst du das? und zu mir?«
»Mehr noch, Athalarich, mehr! Ich bitte dich, vergib, daß ich dich so grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.« — »Kamilla, Perle meiner Seele!« — Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief plötzlich: »Was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine Mutter.« So war es. Rusticiana hatte, von des Präfekten furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie plötzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. Im höchsten Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des Königs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu lösen, gewann so einen unbelauschten Augenblick an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Präfekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle führte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. »Es ist geschehen«, flüsterte sie ihm dabei zu, und die Gondel stieß ab. In diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: »Nein, sie sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß noch mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O Kamilla, du mußt mir mehr, du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen sie uns finden.« Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf das Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß.
»Willst du nicht weiter sprechen?«
»O mein Freund, mein König — dringe nicht in mich.« Er sah ihr nur in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel. »Nun warte dort auf der Insel — dort sollst du mir« — —
Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag — da erdröhnte ein dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück.
»Himmel!« rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein, ihr entgegen.
»Das Schiff ist geborsten — wir sinken«, sprach sie erbleichend. »Hierher zu mir, laß mich sehen«, rief Athalarich vorspringend. »Ach, das sind die Nadeln der Amphitrite — wir sind verloren.« Die Nadeln der Amphitrite — wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels kaum erkennen — waren zwei schmale, scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer und der nächsten der Laguneninseln: sie ragten kaum über den Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen über sie weg. Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt.
Mit einem Blick übersah er die Lage. Es gab keine Rettung.
Ein Brett im Boden des leicht gezimmerten Gefährts war durch den Anprall an der Klippe zertrümmert, gewaltig drang das Wasser durch das Leck.
Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde.
Schwimmend mit Kamilla die nächste Insel oder das Ufer zu erreichen, konnte er nicht hoffen, und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst abgestoßen. Mit Blitzesschnelle hatte er alles überschaut, erwogen, eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Mädchen. »Geliebte, du stirbst«, jammerte er verzweifelnd, »und ich, ich hab’s verschuldet.« Und er umfaßte sie stürmisch. »Sterben?« rief sie, »o nein! Nicht so jung, nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir.« Und sie klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz.
Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst immer höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. »Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.« — »Nein! Nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: — o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet« — und glühend drückte sie das Haupt an seine Brust — »o laß dir sagen, laß dir noch gestehen, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit — seit immer. All mein Haß war ja nur verschämte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen. Ja, du sollst wissen, wie ich dich liebe.« Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Küssen. »Oh, jetzt will ich auch sterben — lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein« und sie riß sich von ihm los — »du sollst nicht sterben — laß mich hier, springe, schwimme, versuch’s, du allein erreichst die Insel wohl — versuch’s und laß mich.«
»Nein«, rief er selig, »lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.«
Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch handbreit über’s Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jähen Sprunge an — da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung.
Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie loseilte.
Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Königs: vierzig Ruder, aus zwei Stockwerken von Ruderbänken zugleich in die Flut getaucht, beförderten den Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln daherschoß. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren, und bald — es war die höchste Zeit — lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches Wachtschiff, der goldene, steigende Löwe, das Wappen der Amalungen, glänzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es.
»Dank euch, wackre Freunde«, sprach Athalarich, da er wieder Worte gefunden. »Dank! Ihr habt nicht euren König nur, ihr habt eure Königin gerettet.«
Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Glücklichen, der die laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. »Heil unsrer schönen jungen Königin!« jauchzte der rotblonde Aligern, und die Mannschaft jubelte donnernd nach: »Heil, Heil unsrer Königin!« In diesem Augenblick rauschte der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betäubung, die sie ergriffen, da die beiden erschrocknen Rudersklaven die Gefahr des jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zugleich erklärt hatten, es sei ihnen unmöglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen.
Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorüberrauschte, an der Brust des jungen Königs lag? Und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen: »Heil, Kamilla, unsrer Königin?«
Sie starrte auf die vorübergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorüber und dem Lande nah. Es ankerte außerhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen hinein, und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo außer Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu begrüßen. Unter Glückwünschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen hinan.
»Seht hier«, sprach er, vor dem Tempel angelangt, »sehet, Goten und Römer, eure Königin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengeführt, nicht wahr, Kamilla?« Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die Aufregung und der jähe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum Genesenen übermächtig erschüttert: sein Antlitz war marmorblaß, er wankte und griff wie Luft schöpfend krampfhaft an seine Brust.
»Um Gott«, rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fürchtend, »dem König ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!« Sie flog an den Tisch, ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und drängte ihn in seine Hand.
Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner Bewegungen.
Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber plötzlich ließ er ihn nochmals sinken, er lächelte: »Du mußt mir zutrinken, wie’s der gotischen Königin ziemt an ihrem Hof«, und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn aus seiner Hand.
Einen Augenblick durchzuckte es den Präfekten siedend heiß. Er wollte hinzustürzen, ihr den Trank aus der Hand reißen, ihn verschütten.
Aber er hielt sich zurück. Tat er’s, so war er unrettbar verloren. Nicht nur morgen als Hochverräter, nein, sofort als Giftmörder angeklagt und überführt.
Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? — Um ein verliebtes Mädchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. — Nein, sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrückend, sie oder Rom:— also sie! Und ruhig sah er zu, wie das Mädchen, hold errötend, einen leichten Trunk aus dem Becher nahm, den der König darauf tief schlürfend bis zum Grund leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch niedersetzte, »Kommt hinauf ins Palatium«, sprach er fröstelnd, den Mantel über die linke Schulter schlagend, »mich friert.« Und er wandte sich.
Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah dem Präfekten eindringend ins Auge.
»Du hier?« sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte er nochmal und stürzte mit einem jähen Schrei neben der Quelle aufs Antlitz nieder
»Athalarich!« rief Kamilla und warf sich taumelnd über ihn. Der alte Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: »Hilfe«, rief er, »sie stirbt — der König!«
»Wasser! Rasch Wasser!« sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an den Tisch, ergriff den Silberbecher, bückte sich, spülte ihn schnell, aber gründlich in der Quelle und neigte sich über den König, der in Cassiodors Armen lag, indes Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Knie legte.
Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen Gestalten.
»Was ist geschehen? Mein Kind!« mit diesem Schrei drängte sich Rusticiana, die soeben gelandet, an der Tochter Seite. »Kamilla!« rief sie verzweifelt, »was ist mit dir?«
»Nichts!« sagte Cethegus ruhig, sich prüfend über die beiden beugend. »Es ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen König hat sein Herzkrampf hingerafft. Er ist tot.«
DRITTES BUCH: AMALASWINTHA
»Amalaswintha verzagte nicht nach Frauenart,
sondern kräftig wahrte sie ihr Königtum.«
Prokop, Gotenkrieg, I, 3
ERSTES KAPITEL
Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende die gotische Partei, die an diesem nämlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch gespannt hatte. Alle Maßregeln, die der König in ihrem Sinne angeordnet, waren gelähmt, die Goten plötzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war.
Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem Präfekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf.
»Und du kannst ruhig schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!« — »Ich schlief«, sagte Cethegus, sich auf den linken Arm aufrichtend, »im Gefühle neuer Sicherheit.« — »Sicherheit! ja, für dich, aber das Reich!«
»Das Reich war mehr gefährdet durch diesen Knaben als ich. Wo ist die Königin?« — »Am offenen Sarge ihres Sohnes sitzt sie, sprachlos! Die ganze Nacht.«
Cethegus sprang auf: »Das darf nicht sein«, rief er. »Das tut nicht gut. Sie gehört dem Staat, nicht dieser Leiche. Um so weniger, als ich von Gift flüstern hörte. Der junge Tyrann hatte viele Feinde. Wie steht es damit?«
»Sehr ungewiß. Der griechische Arzt Elpidios, der die Leiche untersuchte, sprach zwar von einigen auffallenden Erscheinungen. Aber, wenn Gift gebraucht worden, meinte er, müßte es ein sehr geheimes, ihm völlig fremdes sein. In dem Becher, daraus der Arme den letzten Trunk getan, fand sich nicht die leiseste Spur verdächtigen Inhalts. So glaubt man allgemein, die Aufregung habe das alte Herzleiden zurückgerufen und dieses ihn getötet. Aber doch ist es gut, daß man dich von dem Augenblick, da du die Versammlung verließest, immer vor Zeugen gesehen: der Schmerz macht argwöhnisch.«
»Wie steht es um Kamilla?« forschte der Präfekt weiter. — »Sie soll von ihrer Betäubung noch gar nicht erwacht sein; die Ärzte fürchten das Schlimmste. — Aber ich kam, dich zu fragen: Was soll nun weiter geschehen? Die Regentin sprach davon, die Untersuchung gegen dich niederzuschlagen.« — »Das darf nicht sein!« rief Cethegus. »Ich fordre die Durchführung. Eilen wir zu ihr.« — »Willst du sie am Sarge ihres Sohnes stören?« — »Ja, das will ich! Deine zarte Rücksicht bebt davor zurück? Gut, komme du nach, wenn ich das Eis gebrochen.«
Er verabschiedete den Besuch und rief seine Sklaven, ihn anzukleiden. Bald darauf schritt er, in dunkelgraues Trauergewand gehüllt, hinab zu dem Gewölbe, wo die Leiche ausgestellt lag. Gebieterisch wies er die Wachen und die Frauen Amalaswinthens hinweg, die den Eingang hüteten, und trat geräuschlos ein.
Es war die niedrig gewölbte Halle, in der ehedem die Leichen der Kaiser mit Salben und Brennstoffen für den Scheiterhaufen bereitet worden. Das schweigende Gelaß, mit dunkelgrünem Serpentin getäfelt, von kurzen dorischen Säulen aus schwarzem Marmor getragen, war nie von der Tageshelle beleuchtet: auch jetzt fiel auf die düstern byzantinischen Mosaiken auf dem Goldgrund der Wandplatten kein andres Licht als von den vier Pechfackeln, die an dem Steinsarkophag des jungen Königs mit unstetem Schimmer flackerten.
Dort lag er, auf einem tiefroten Purpurmantel, Helm, Schwert und Schild zu seinen Häupten.
Der alte Hildebrand hatte ihm einen Eichenkranz um die dunkeln Locken gewunden. Die edeln Züge ruhten in ernster, bleicher Schöne.
Zu seinen Füßen saß in langem Trauerschleier die hohe Gestalt der Regentin, das Haupt auf den linken Arm gestützt, der auf dem Sarkophage ruhte, der rechte hing schlaff herab. Sie konnte nicht mehr weinen.
Das Knistern der Pechflammen war das einzige Geräusch in dieser Grabesstille. —
Lautlos trat Cethegus ein, nicht unbewegt von der Poesie des Anblicks. Aber mit einem Zusammenziehen der Brauen war dies Gefühl wie ein Anflug von Mitleid erstickt. »Klarheit gilt es«, sprach er zu sich selbst, »und Ruhe.« Leise trat er näher und ergriff die herabgesunkene Hand Amalaswinthens. »Erhebe dich, hohe Frau, du gehörst den Lebendigen, nicht den Toten.«
Erschrocken sah sie auf: »Du hier, Cethegus? Was suchst du hier?«
»Eine Königin.«
»Oh, du findest nur eine weinende Mutter!« rief sie schluchzend. — »Das kann ich nicht glauben. Das Reich ist in Gefahr, und Amalaswintha wird zeigen, daß auch ein Weib dem Vaterland den eignen Schmerz opfern kann.«
»Das kann sie«, sagte sie, sich aufrichtend: »Aber sieh auf ihn hin. — Wie jung, wie schön —! Wie konnte der Himmel so grausam sein.« — »Jetzt oder nie«, dachte Cethegus. »Der Himmel ist gerecht, streng, nicht grausam.«
»Wie redest du? Was hat mein edler Sohn verschuldet? Wagst du ihn anzuklagen?« — »Nicht ich! Doch eine Stelle der Heiligen Schrift hat sich erfüllt an ihm: ‘Ehre Vater und Mutter, auf daß du lang lebest auf Erden.’ Die Verheißung ist auch eine Drohung. Gestern hat er gefrevelt gegen seine Mutter und sie verunehrt in trotziger Empörung: — heute liegt er hier. Ich sehe darin den Finger Gottes.«
Amalaswintha verhüllte ihr Antlitz. Sie hatte dem Sohn an seinem Sarge seine Auflehnung herzlich vergeben. Aber diese Auffassung, diese Worte ergriffen sie doch mächtig und zogen sie ab von ihrem Schmerz zur liebgewordenen Gewohnheit des Herrschens. »Du hast, o Königin, die Untersuchung gegen mich niederschlagen wollen und Witichis zurückberufen. Letzteres mag sein. Aber ich fordere die Durchführung des Prozesses und feierliche Freisprechung als mein Recht.«
»Ich habe nie an deiner Treue gezweifelt. Weh mir, wenn ich es jemals müßte. Sage mir: ich weiß von keiner Verschwörung! und alles ist abgetan.« — Sie schien seine Beteuerung zu erwarten. Cethegus schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: »Königin, ich weiß von einer Verschwörung.«
»Was ist das?« rief die Regentin und sah ihn drohend an. — »Ich habe diese Stunde, diesen Ort gewählt«, fuhr Cethegus mit einem Blick auf die Leiche fort, »dir meine Treue entscheidend zu besiegeln, daß sie dir unauslöschlich möge ins Herz geschrieben sein. Höre und richte mich.« — »Was werd’ ich hören?« sprach die Königin wachsam und fest entschlossen, sich weder täuschen noch erweichen zu lassen. »Ich wär’ ein schlechter Römer, Königin, und du müßtest mich verachten, liebte ich nicht vor allem mein Volk. Dies stolze Volk, das selbst du, die Fremde, liebst. Ich wußte wie du es weißt —, daß der Haß gegen euch als Ketzer, als Barbaren in den Herzen fortglimmt. Die letzten strengen Taten deines Vaters hatten ihn geschürt. Ich ahnte eine Verschwörung. Ich suchte, ich entdeckte sie.« — »Und verschwiegst sie!« sprach die Regentin, zürnend sich erhebend. — »Und verschwieg sie. Bis heute. Die Verblendeten wollten die Griechen herbeirufen und nach Vernichtung der Goten sich dem Kaiser unterwerfen.« — »Die Schändlichen!« rief Amalaswintha heftig. — »Die Toren! Sie waren schon so weit gegangen, daß nur ein Mittel blieb, sie zurückzuhalten: ich trat an ihre Spitze, ich ward ihr Haupt.« — »Cethegus!« — »Dadurch gewann ich Zeit und konnte edle, wenn auch verblendete Männer von dem Verderben zurückhalten. Allgemach konnte ich ihnen die Augen darüber öffnen, daß ihr Plan, wenn er gelänge, nur eine milde mit einer despotischen Herrschaft vertauschen würde. Sie sahen es ein, sie folgten mir, und kein Byzantiner wird diesen Boden betreten, bis ich ihn rufe, ich — oder du.«
»Ich! rasest du?« — »Nichts ist den Menschen zu verschwören!’ sagt Sophokles, dein Liebling. Laß dich warnen, Königin, die du die dringendste Gefahr nicht siehst. Eine andre Verschwörung, viel gefährlicher als jene römische Schwärmerei, bedroht dich, deine Freiheit, das Herrschaftsrecht der Amaler, in nächster Nähe — eine Verschwörung der Goten.« —
Amalaswintha erbleichte.
»Du hast gestern zu deinem Schrecken ersehn, daß nicht deine Hand mehr das Ruder dieses Reiches führt. Ebensowenig dieser edle Tote, der nur ein Werkzeug deiner Feinde war. Du weißt es, Königin, viele in deinem Volk sind blutdürstende Barbaren, raubgierig, roh: sie möchten dies Land brandschatzen, wo Vergil und Tullius gewandelt. Du weißt, dein trotziger Adel haßt die Übermacht des Königshauses und will sich ihm wieder gleichstellen. Du weißt, die rauhen Goten denken nicht würdig von dem Beruf des Weibes zur Herrschaft.« — »Ich weiß es«, sprach sie stolz und zornig.— »Aber nicht weißt du, daß alle diese Parteien sich geeinigt haben. Geeinigt gegen dich und dein römerfreundlich Regiment. Dich wollen sie stürzen oder zu ihrem Willen zwingen. Cassiodor und ich, wir sollen von deiner Seite fort. Unser Senat, unsre Rechte sollen fallen, das Königtum ein Schatten werden. Krieg mit dem Kaiser soll entbrennen. Gewalt, Erpressung, Raub über uns Römer hereinbrechen.« — »Du malst eitle Schreckbilder!« — »War ein eitles Schreckbild, was gestern geschah? Wenn nicht der Arm des Himmels eingriff, warst nicht du selbst wie ich der Macht beraubt? Warst du denn noch Herrin in deinem Reich, in deinem Hause? Sind sie nicht schon so mächtig, daß der heidnische Hildebrand, der bauerische Witichis, der finstre Teja in deines betörten Sohnes Namen offen deinem Willen trotzen? Haben sie nicht jene rebellischen drei Herzöge zurückberufen? Und deine widerspenstige Tochter und —« — »Wahr, zu wahr!« seufzte die Königin.
»Wenn diese Männer herrschen dann lebt wohl, Wissenschaft und Kunst und edle Bildung! Leb’ wohl, Italia, Mutter der Menschlichkeit! Dann lodert in Flammen auf, ihr weißen Pergamente, brecht in Trümmer, schöne Statuen. Gewalt und Blut wird diese Fluren erfüllen, und späte Enkel werden bezeugen: solches geschah unter Amalaswintha, der Tochter Theoderichs.«
»Nie, niemals soll das geschehen! Aber —«
»Du willst Beweise? Ich fürchte, nur zu bald wirst du sie haben. Du siehst jedoch schon jetzt: auf die Goten kannst du dich nicht stützen, wenn du jene Greuel verhindern willst. Gegen sie schützen nur wir dich, wir denen du ohnehin angehöret nach Geist und Bildung, wir Römer. Dann, wenn jene Barbaren lärmend deinen Thron umdrängen, dann laß mich jene Männer um dich scharen, die sich einst gegen dich verschworen, die Patrioten Roms: sie schützen dich und sich selbst zugleich.«
»Cethegus«, sprach die bedrängte Frau, »du beherrschest die Menschen leicht! Wer, sage mir, wer bürgt mir für die Patrioten, für deine Treue«
»Dies Blatt, Königin, und dieses! Jenes enthält eine genaue Liste der römischen Verschworenen — du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die Glieder des gotischen Bundes, die ich freilich nur erraten konnte. Aber ich rate gut. Mit diesen beiden Blättern geb’ ich die beiden Parteien, geb’ ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick bei den Meinen selbst als Verräter entlarven, der vor allem deine Gunst gesucht, kannst mich preisgeben dem Haß der Goten — ich habe jetzt keinen Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden deiner Gunst.«
Die Königin hatte die Rolle mit leuchtenden Augen durchflogen. »Cethegus«, rief sie jetzt, »ich will deiner Treue gedenken in dieser Stunde!« Und sie reichte ihm gerührt die Hand.
Cethegus neigte leise das Haupt. »Noch eins, o Königin. Die Patrioten, fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens, des Hasses der Barbaren über ihren Häuptern hangen. Die Erschrocknen bedürfen der Aufrichtung. Laß sie mich deines hohen Schutzes versichern: stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und laß mich ihnen dadurch ein sichtbares Zeichen deiner Gnade geben.«
Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen Augenblick noch zögerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurück: »Hier, sie sollen mir treu bleiben, treu wie du.«
Da trat Cassiodorus ein: »O Königin, die gotischen Großen harren dein. Sie begehren dich zu sprechen.«
»Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen«, sprach sie heftig: »du aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der Präfekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron.«
Staunend führte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam folgte Cethegus. Er hob die Wachstafel in die Höhe und sprach zu sich selbst: »Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser Liste trennt dich auf immer von deinem Volk.«