Kitabı oku: «Ein Kampf um Rom», sayfa 19
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Rasch eile Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Tores, mit starken Mauern und massiv gewölbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren zwei niedre, aber breite Gelasse zur Wohnung des Türmers bestimmt.
Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind.
In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strengster Ordnung die großen, schweren Schlüssel zu den Haupttüren und den Nebenpforten des wichtigsten Torgebäudes, dann das krumme Wächterhorn und der breite, hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse.
Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien, und aufmerksam hörte er den Worten eines jungen, unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des jüdischen Stammes lag.
»Sieh, Vater Isak«, schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, »meine Rede ist keine eitle Rede, und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab’ ich mit mir gebracht Brief und Urkund für jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien, jährlich fünfzig Goldsoldi und für jedes neue Werk zehn Soldi besonders. Eben erst hab’ ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstücke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gib mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.«
Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam das Haupt. »Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn — ich sage dir, laß ab, laß ab.«
»Warum? Was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?«
»Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe, und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehen, daß sich Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir selbst, ob du passest für Miriam, mein Kind.«
Und er schob mit seinem langen Stock sachte den grünwollenen Vorhang zur Seite, der das vordere Gemach abschloß.
Leise silberne Töne waren schon herübergeklungen in das Gespräch der Männer: jetzt sah man in den einfachen, aber gefälligen Raum. An dem weiten Rundbogenfenster, das über die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Mädchen, ein fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von überraschender Schönheit. Glühend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne noch in das hochgelegene Gemach und übergoß wie das weiße Faltengewand so das edel geschnittene Profil des Mädchens mit purpurnem Schimmer: es spielte auf dem glänzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr zurückgestrichen, die edlen Schläfen zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden träumerischen Blick aus diesen dunkelblauen Augen, die, in tiefes Sinnen versunken, über die Stadt und das Meer hinschweiften. »Dunkelmeeresblau« hatte diese Augen Piso, der Dichter, genannt. —
Wie im halben Traum berührten die Finger nur leise, leise die Saiten, während von den halbgeöffneten Lippen, geflüstert mehr als gesungen, eine alte, melancholische Weise erklang:
»An Wasserflüssen Babylons
Saß weinend Judas Stamm:
Wann kommt der Tag, da Judas Stamm
Nicht mehr zu weinen hat?«
»Nicht mehr zu weinen hat!« wiederholte sie träumend und neigte das Haupt auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbrüstung hielt.
»Sieh hin«, sprach der Alte leise, »ist sie nicht lieblich wie die Rose in den Gärten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram, und ist kein Fehl an ihrem Leibe?«
Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch mit der Hand über die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter.
Jochem trat an das Fenster, und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten. »Ha, der Christ, der gottverfluchte«, knirschte er und ballte die Faust. »Schon wieder der blonde Gote mit dem unbändigen Stolz! Vater Isak, ist das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin paßt?« — »Sohn, rede nicht Hohnwort wider Isak! Du weißt ja, der Jüngling hat sein Herz gesetzt auf ein Römermädchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda.«
»Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!«
»Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten Jagd, welche die verdammten Römer machten auf die Schätze und Goldhaufen von Israel, und als sie niederbrannten die heil’ge Synagoge mit unheil’gem Feuer, wie da eine Rotte dieser bösen Buben mein armes Kind aufjagte auf der Straße, wie ein Rudel Wölfe das weiße Lamm, und zerrten ihr den Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: wo war da Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der Gefahr mit hurtigen Füßen und ließ die Taube in den Krallen der Geier!«
»Ich bin ein Mann des Friedens«, sagte Jochem unbehaglich, »meine Hand führt nicht das Schwert der Gewalt.«
»Aber Totila führt es, wie einst der Löwe Juda, und der Herr ist mit ihm. Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Räuber und schlug den frechsten mit der Schärfe des Schwertes und verscheuchte die andern, wie der Turmfalk die Krähen, und hüllte sorglich den Schleier über mein lebendiges Kind und stützte ihren wankenden Schritt und führte sie heim, ungeschädigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehova der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades.«
»Nun, wohl«, sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, »ich gehe, diesmal für lange Zeit. Ich reise über das große Wasser, zu machen ein groß Geschäft.«
»Ein groß Geschäft? Mit wem?«
»Mit Justinianus, dem Kaiser übers Morgenland. Es ist eingestürzt ein Stück der großen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt des Konstantin. Ich hab’ entworfen Plan und saubern Grundriß, wieder aufzubauen das Gebäude.«
Heftig sprang der Alte auf und stieß seinen Stab auf den Boden:
»Wie, Jochem, Sohn Rachels, dem Römer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in die Asche gelegt den Tempel des Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des frommen Manasse? Wehe, wehe über dich!« — »Was rufest du Wehe und weißt nicht warum? Riechst du’s dem Goldstück an, ob es kommt aus der Hand des Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer, und glänzt es nicht gleich lieblich?«
»Sohn Manasses, du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon.«
»Aber du selbst, dienst du nicht den Ungläubigen? Seh’ ich nicht das Wächterhorn an der Wand deines Hauses? Führst du nicht die Schlüssel für diese Goten und tust ihnen auf und zu die Pforten für ihren Ausgang und Eingang und hütest die Burg ihrer Stärke?«
»Ja, das tu’ ich«, sagte der Alte stolz, »und wachen will ich für sie treulich, Tag und Nacht, wie der Hund für den Herrn, und solang Isak Odem hat, der Sohn Rubens, soll kein Feind dieses Volkes schreiten durch dies Tor. Denn Dank schulden die Kinder Israels ihnen und ihrem großen König, der weise war wie Salomo, und wie Gideons war sein Schwert! Dank’ wie unsre Väter dem großen König Cyrus, der sie befreiet hat aus Babylon. Die Römer haben gebrochen den Tempel des Herrn und zerstreut sein Volk über das Angesicht der Erde. Sie haben uns verspottet und geschlagen und verbrannt unsre heiligen Stätten und geplündert unsre Truhen und verunreinigt unsere Häuser und gezwungen unsere Weiber überall in ihren Landen und haben geschrieben gegen uns manch grausam Gesetz. Da kam dieser große König von Mitternacht, dessen Samen Jehova segne, und hat wieder aufgebaut unsre Synagogen: und wenn sie die Römer niederrissen, mußten sie alles wieder aufrichten mit eigner Hand und eignem Gelde, und er hat beschützt den Frieden unsrer Dächer, und wer einen schädigte aus Israel, der mußte es büßen, wie wer einen Christen gekränkt. Er hat uns gelassen unsern Gott und unsern Glauben und hat beschirmt unsre Schritte auf den Straßen unsres Handels, und wir feierten das Passah in Frieden und Freude, wie nicht mehr seit den Tagen, da der Tempel noch stand auf den Höhen von Zion. Und als ein Großer unter den Römern mir mit Gewalt meine Sarah geraubt, mein Weib, ließ ihm König Theoderich das stolze Haupt abschlagen noch am selben Tage und gab mir wieder mein Weib unversehrt. Und das will ich gedenken, solange meine Tage dauern, und will dienen seinem Volke treu bis zum Tode, und man soll wieder sagen, weit in allen Landen: treu und dankbar wie ein Jude.«
»Mögest du nicht Undank ernten von den Goten für deinen Dank«, sagte Jochem, sich zum Gehen rüstend: »Mir ist, einmal kommt die Stunde für mich, wieder um Miriam zu werben, zum letztenmal. Vielleicht, Vater Isak, bist du dann minder stolz.« Und er schritt durch Miriams Gemach zur Treppe hinaus, wo er Totila begegnete. Mit einer häßlichen Verbeugung und einem stechenden Blick drückte sich der Kleine an dem schlanken Goten vorbei, der beim Eintritt in die Türmerwohnung sich tief bücken mußte. Miriam folgte ihm auf dem Fuß.
»Dort hängen deine Gärtnerkleider«, sagte sie, ohne die langen Wimpern aufzuschlagen, »und hier am Fenster hab’ ich die Blumen bereitgestellt. Sie liebt die weißen Narzissen, sagtest du neulich. Ich habe weiße Narzissen besorgt. Sie duften lieblich.« Und die melodische Stimme schwieg.
»Du bist ein gutes Mädchen, Miriam«, sagte Totila, den Helm mit den silberweißen Schwanenflügeln abhebend und auf den Tisch setzend, »wo ist dein Vater?« — »Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldenen Locken«, sprach der Alte, in das Gemach tretend. — »Gegrüßt, treuer Isak!« rief Totila, warf den langen, glänzend weißen Mantel ab, der ihm von den Schultern floß, und hüllte sich in einen braunen Überwurf, den ihm Miriam von der Wand reichte. »Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene Treue wüßte ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!« — »Dank?« sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und ließ sie leuchtend auf ihm ruhen. »Du hast voraus gedankt für alle Zeit.«
»Nein, Miriam«, sagte der Gote, den braunen, breitkrempigen Filzhut tief in die Stirne ziehend, »ich mein’ es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak, wer ist der Kleine, den ich schon öfter hier gesehen und eben wieder begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen, wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt — ich helfe gern.« — »Es fehlt an der Liebe, Herr, bei ihr«, sagte Isak ruhig. — »Da kann ich freilich nicht helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewählt — ich möchte gern etwas tun für meine Miriam.« Und er legte freundlich die Hand auf das glänzende schwarze Haar des Mädchens. Nur leise war die Berührung. Aber wie vom heißen Blitz getroffen fiel Miriam plötzlich auf die Knie: die Arme über dem Busen kreuzend, und das schöne Haupt tief nach vorne beugend: wie eine tauschwere Blume glitt sie zu den Füßen Totilas nieder.
Dieser trat bestürzt einen Schritt zurück.
Aber im Augenblick war das Mädchen wieder auf: »Verzeih, es war nur eine Rose — sie fiel vor deinen Fuß.«
Sie legte die Blume auf den Tisch, und so gefaßt war sie, daß weder ihr Vater noch der Jüngling des Vorfalls weiter achteten.
»Es dunkelt schon, eile Herr«, sprach sie ruhig und reichte ihm den Korb mit den Blumen. — »Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich habe ihr viel von dir erzählt, und sie fragt mich stets nach dir. Sie möchte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald — heut’ ist’s wohl das letztemal, daß ich diese Vermummung brauche.«
»Willst du sie entführen, die Tochter von Edom?« rief der Alte. »Bring’ sie nur hierher! Hier ist sie wohl geborgen.«
»Nein«, fiel Miriam ein, »nicht hierher, nein, nein!«
»Weshalb nicht, du seltsames Kind?« zürnte der Alte.
»Das ist kein Raum für seine Braut — dies Gemach — es brächte ihr kein Heil.« — »Beruhigt euch«, sagte Totila, schon an der Türe, »offne Werbung soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl.« Und er schritt hinaus, Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schlüssel von der Wand; er folgte, ihm zu öffnen und die Abendrunde längs allen Pforten des großen Torbaues zu machen.
Miriam blieb oben allein.
Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben Stelle. Endlich strich sie mit beiden Händen über Schläfe und Wangen und schlug die Augen auf. Still war’s im Gemach; durch das offene Fenster glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen Mantel, der in langen Falten über dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf den weißen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heißen Küssen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf dem Tische stand, sie umfaßte ihn mit beiden Armen und drückte ihn zärtlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile träumend vor sich hin: endlich — sie konnte nicht wiederstehen — hob sie ihn rasch auf und setzte ihn auf das schöne Haupt: sie zuckte, als die Wölbung ihre Stirn berührte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schläfen und drückte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Händen an die glühende Stirn. Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu umblickend, auf seinen frühern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht. Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen aus in der alten Weise:
»An Wasserflüssen Babylons
Saß weinend Judas Stamm:
Wann kommt der Tag, der all dein Leid,
Du Tochter Zions, stillt?«
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas rascher, sehnsuchtsbeflügelter Schritt alsbald die Villa des reichen Purpurhändlers, die etwa eine Stunde vor dem capuanischen Tor gelegen war, erreicht.
Der Türstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen Valerias, dem die Sorge für die Gärten überlassen war. Dieser, der Vertraute der Liebenden, nahm dem Gärtnerburschen die Blumen und Sämereien ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhändler von Neapolis brachte, und geleitete ihn in sein gewöhnliches Schlafgemach im Erdgeschoß, dessen niedrige Fenster in den Garten führten: am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne — so wollte es die Geheimlehre der antiken Gärtnerei — müßten die Blumen eingesetzt werden, auf daß das erste Sonnenlicht, das sie in dem neuen Boden träfe, das segenbringende der Morgensonne sei. —
Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen Nachtmahl verabschieden konnte.
Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den Vorhang zurück, der die Fensteröffnung schloß; stille war’s in dem weiten Garten. In der Ferne plätscherte nur leise der Springbrunnen, und Zikaden zirpten in den Myrtengebüschen: der warme, üppige Südwind strich in schwülem Hauch durch die Nacht, stoßweise ganze Wolken von Wohlgerüchen aus Rosenbäumen auf seinen Fittichen mit sich führend, und weithin aus dem Pinienwäldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der tiefgezogene, heiße Schlag der Nachtigall.
Endlich hielt sich Totila nicht länger. Geräuschlos schwang er sich über die Marmorbrüstung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen Schritten der weiße Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebüsche dahineilte. Vorüber an den dunklen Taxusgängen und den Lauben von Oliven, vorüber an der hohen Statue der Flora, deren weißer Marmor geisterhaft im Mondlicht schimmerte, vorüber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den Wasserstrahl hoch aus den Nüstern bliesen, rasch eingebogen in den dicht verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden, und nun, noch ein Oleandergebüsch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in der die Quellnymphe über einer dunklen, großen Urne lehnte.
Wie er eintrat, glitt eine weiße Gestalt hinter der Statue hervor.
»Valeria, meine schöne Rose!« rief Totila und umschlang glühend die Geliebte, die leise seinem Ungestüm wehrte. »Laß, laß ab, mein Geliebter«, flüsterte sie, sich seinem Arm entziehend. »Nein, du Süße, ich will nicht von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab’ ich dein entbehrt! Hörst du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fühlst du, wie der warme Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geißblattes Liebe atmet? Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen glücklich sein! Oh, laß sie uns festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug, all ihr Glück zu fassen: all deine Schönheit, all unsre Jugend und diese glühende, blühende Sommernacht; in mächtigen Wogen rauscht das volle Leben durch das Herz und will’s vor Wonne sprengen.«
»O mein Freund! Gern möcht’ ich, wie du, aufgehn im Glücke dieser Stunden. Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der üppigen Schwüle dieser Sommernächte: sie dauert nicht: sie brütet Unheil: ich kann nicht glauben an das Glück unsrer Liebe.«
»Du liebe Törin, warum nicht?«
»Ich weiß es nicht: der unselige Zwiespalt, der all mein Leben scheidet, übt seinen Fluch auch hier. Gern möchte mein Herz sich trunken, wie du, diesem Glücke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert nicht — du sollst nicht glücklich sein.«
»So bist du nicht glücklich in meinen Armen?«
»Ja und nein! Das Gefühl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater lastet auf mir. Sieh, Totila, was mich zumeist an dir beglückt, ist nicht diese deine jugendschöne Kraft, selbst deine große Liebe nicht. Es ist der Stolz meines Herzens auf deine Seele, auf deine offene, lichte, edle Seele. Ich habe mich gewöhnt, dich klar und hell wie einen Gott des Lichts durch diese dunkle Welt schreiten zu sehen: der edle Mut siegessichrer Kraft, der Schwung, die freudige Wahrhaftigkeit deines Wesens ist mein Stolz: daß alles Kleine, Dumpfe, Gemeine versinken muß, wo du nahest, das ist mein Glück. Ich liebe dich wie eine Sterbliche den Sonnengott, der ihr in Fülle seines Lichts genaht. Und deshalb kann ich an dir nichts Heimliches, Verstecktes dulden. Auch die Wonnen dieser Stunden nicht — sie sind erlistet, und es kann nicht länger also sein.«
»Nein, Valeria, und es soll auch nicht. Ich fühle ganz wie du. Auch mir ist die Lüge dieser Mummerei verhaßt, ich trage sie nicht länger. Ich bin gekommen, ihr ein Ende zu machen. Morgen, morgen werf’ ich diese Täuschung ab und spreche zu deinem Vater offen und frei.« — »Dieser Entschluß ist der beste, denn« —
»Denn er rettet dein Leben, Jüngling!« unterbrach plötzlich eine tiefe Stimme, und aus dem dunklen Hintergrund der Grotte trat ein Mann und stieß das blanke Schwert in die Scheide.
»Mein Vater!« rief Valeria überrascht, doch in mutiger Fassung. Totila schlang seinen Arm um sie, sein Kleinod zu verteidigen.
»Hinweg, Valeria, fort von dem Barbaren!« sprach Valerius, befehlend den Arm ausstreckend.
»Nein, Valerius«, sagte Totila, die Geliebte fester an sich drückend, »ihr Platz ist forthin an dieser Brust.«
»Verwegner Gote!«
»Höre mich, Valerius, und zürne uns nicht um dieser Täuschung willen. Du hast es selbst gehört, schon morgen sollte sie enden.«
»Zu deinem Glück hab’ ich’s gehört. Gewarnt von dem ältesten meiner Freunde, wollt’ ich doch kaum glauben, daß meine Tochter — mich hintergeht. Als ich’s glauben mußte, beschloß ich, daß dein Blut deine List bezahlen sollte. Dein Entschluß hat dein Leben gerettet. Jetzt aber flieh: du siehst ihr Antlitz niemals wieder.« —
Totila wollte heftig erwidern, aber Valeria kam ihm zuvor: »Vater«, sprach sie ruhig, zwischen die Männer tretend, »höre dein Kind. Ich will meine Liebe nicht entschuldigen, sie bedarf es nicht, sie ist göttlich und notwendig wie die Sterne: die Liebe zu diesem Mann ist das Leben meines Lebens.
Du kennst meine Seele: Wahrheit ist ihr Äther, und ich sage dir, bei meiner Seele: nie werd’ ich lassen von diesem Mann!« — »Und niemals ich von ihr«, rief Totila und ergriff ihre Rechte.
Hochaufgerichtet stand das junge Paar, vom Licht des Mondes voll beleuchtet, vor dem Alten: ihre edlen Züge und Gestalten trugen im Augenblick die Weihe heiliger Begeisterung: und so schön war die Gruppe, daß ein rührendes, erweichendes Gefühl davon sich unwillkürlich dem zürnenden Vater aufdrängte. »Valeria, mein Kind!«
»O mein Vater! Du hast mit einer Liebe und Treue all meine Schritte geleitet, daß ich bisher die Mutter, die verlorene, zwar beklagte, aber kaum vermißte. Jetzt, in dieser Stunde, vermiß’ ich sie zum erstenmal: jetzt, ich fühl’ es, bedürfte ich ihrer Fürsprache. O so laß ihr Andenken wenigstens für mich sprechen. Laß mich dir ihr Bild vor die Seele führen und dich an den Augenblick erinnern, da dich die Sterbende zum letztenmal an ihr Lager rief und dir, wie du mir oft gesagt, mein Glück auf die Seele band als heiligstes Vermächtnis.« —
Valerius drückte die linke Hand vor die Stirn; seine Tochter wagte die andre zu fassen, er entzog sie ihr nicht, offenbar rang es gewaltig in des Alten Brust. Endlich sprach er: »Valeria, du hast ein mächtig Wort gesprochen, ohne es zu wissen. Es wäre unrecht, dir zu verschweigen, was du ahnungsvoll berührt. Erfahre, was deine Mutter in jener Sterbestunde mir auferlegt. Noch immer drückte ihre Seele jenes Gelübde, das wir doch lange abgelöst. ‘Soll unser Kind nicht Braut des Himmels werden’, sprach sie, ‘so gelobe mir wenigstens, die Freiheit ihrer Wahl zu ehren. Ich weiß, wie römische Mädchen, zumal die Töchter unsres Standes, in die Ehe gegeben werden, ungefragt, ohne Liebe: ein solcher Bund ist ein Elend auf Erden und ein Greuel vor dem Herrn. Meine Valeria wird edel wählen — gelobe mir, sie dem Mann ihrer Wahl anzuvertrauen und keinem sonst.’
Und ich gelobte es in ihre lebende Hand. Aber mein Kind einem Barbaren geben, einem Feind Italiens, nein, nein!« Und mit heftiger Armbewegung riß er sich von ihr los.
»Ich bin vielleicht so gar barbarisch nicht, Valerius«, hob Totila an. »Wenigstens bin ich in meinem ganzen Volk der wärmste Freund der Römer. Glaube mir, nicht euch hasse ich; die ich verabscheue, sind eure wie unsre verderblichsten Feinde — die Byzantiner!«
Das war ein glückliches Wort. Denn in dem Herzen des alten Republikaners war der Haß gegen Byzanz die Kehrseite seiner Liebe zur Freiheit und zu Italien. Er schwieg, aber sein Auge ruhte sinnend auf dem Jüngling.
»Mein Vater«, sprach Valeria, »dein Kind würde keinen Barbaren lieben. Lern’ ihn kennen: und schiltst du ihn dann noch barbarisch — so will ich nie die Seine werden. Ich fordre nichts von dir als: lern’ ihn kennen, entscheide du selbst, ob meine Wahl edel sei oder nicht.
Ihn lieben alle Götter, und alle Menschen müssen ihm gut sein — du allein wirst ihn nicht verwerfen.«
Und sie faßte seine Hand.
»O lerne mich kennen, Valerius«, bat Totila, innig seine andre Hand ergreifend. Der Alte seufzte. Endlich sprach er: »Kommt mit mir zum Grabe der Mutter. Dort ragt es unter den Zypressen. Da ruht die Urne mit ihrem Herzen. Dort laßt uns ihrer gedenken, der edelsten Frau, und ihren Schatten anrufen. Und ist es echte Liebe und eine edle Wahl — so werd’ ich erfüllen, was ich gelobt.«