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Kitabı oku: «Ein Kampf um Rom», sayfa 3

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VIERTES KAPITEL

Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus. Dort angelangt, überzeugte sich dieser, daß alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zündete er die neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im Marmorgetäfel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den Priester, der die Leuchte ergiffen, mit den beiden andern in ein kleines, niederes Gemach treten, dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und geräuschlos wieder schloß. Keine Ritze verriet nun wieder, daß hier eine Tür.

Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wänden hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gästen gedient, deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert. Zur Zeit war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen — oder weltlichen — Gedanken des Diakonus. Schweigend setzte sich Cethegus, auf ein gegenüber in die Wand eingelegtes Mosaikgemälde den flüchtigen Blick des verwöhnten Kunstkenners werfend, auf den niederen Lectus. Während der Priester beschäftigt war, aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die bereitstehenden Becher zu gießen und eine eherne Schale mit Früchten auf den dreifüßigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegus gegenüber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vierzig Jahre alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas männlichen Schönheit, die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten hatte; schon war hier und da nicht graues, sondern weißes Haar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einen unsteten Blick, und starke Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel. Sie stützte die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend über die Stirn, dabei fortwährend Cethegus anstarrend. Endlich sprach sie: »Mensch, sage, sage, Mann, welche Gewalt du über mich hast? Ich liebe dich nicht mehr. Ich sollte dich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch muß ich dir folgen willenlos. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst meine Hand, diese Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler, welches ist diese Macht?«

Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zurücklehnend: »Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit.«

»Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seit ich denken kann. Daß ich als Mädchen den schönen Nachbarssohn bewunderte, war natürlich; daß ich glaubte, du liebtest mich, war verzeihlich: du küßtest mich ja. Und wer konnte — damals! — wissen, daß du nicht lieben kannst. Nichts: kaum dich selbst. Daß die Gattin des Boëthius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte, die du wie spielend wieder anfachtest, war eine Sünde, aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen. Doch, daß ich jetzt noch, nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tücke kenne, nachdem die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern, daß ich jetzt noch blindlings deinem dämonischen Willen folgen muß — das ist eine Torheit zum Lautauflachen.«

Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Der Priester hielt in seiner wirtlichen Beschäftigung inne und sah verstohlen auf Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rückwärts an den Marmorsims und umfaßte mit der Rechten den Pokal, der vor ihm stand:

»Du bist ungerecht, Rusticiana«, sagte er ruhig. »Und unklar. Du mischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen. Du weißt es, daß ich der Freund des Boëthius war. Obwohl ich sein Weib küßte. Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes, und du — nun, dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Du weißt ferner, daß ich diese Goten hasse, wirklich hasse, daß ich den Willen und — vor andern — die Fähigkeit habe, durchzusetzen, was dich jetzt ganz erfüllt: deinen Vater, den du geliebt, deinen Gatten, den du geehrt hast, an diesen Barbaren zu rächen. Du gehorchst daher meinen Winken. Und du tust daran sehr klug. Denn du hast zwar ein sehr bedeutendes Talent, Ränke zu schmieden. Aber deine Heftigkeit trübt oft deinen Blick. Sie verdirbt deine feinsten Pläne. Also tust du wohl, kühlerer Leitung zu folgen. Das ist alles. — Aber jetzt geh. Deine Sklavin kauert schlaftrunken im Vestibulum. Sie glaubt dich in der Beichte, bei Freund Silverius. Die Beichte darf nicht gar zu lange währen. Auch haben wir noch Geschäfte. Grüße mir Kamilla, dein schönes Kind, und lebe wohl.« Er stand auf, ergriff ihre Hand und führte sie sanft zur Türe. Sie folgte widerstrebend, nickte dem Priester zum Abschied zu, sah nochmal auf Cethegus, der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien, und ging mit leisem Kopfschütteln hinaus.

Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus.

»Sonderbarer Kampf mit diesem Weibe«, sagte Silverius und setzte sich mit Griffel, Wachstafeln, Briefen und Dokumenten zu ihm. »Nicht sonderbar. Sie will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gutmachen, indem sie ihn rächt. Und daß sie diese Rache gerade durch ihren ehemaligen Geliebten findet, macht die heilige Pflicht besonders süß. Freilich ist ihr dies alles unbewußt. — Aber, was gibt’s zu tun?« Und nun begannen die beiden Männer ihre Arbeit, solche Punkte der Verschwörung zu erledigen, die allen Gliedern des Bundes mitzuteilen sie nicht für ratsam hielten. »Diesmal«, hob der Diakonus an, »gilt es vor allem, das Vermögen des Albinus festzustellen und dessen nächste Verwendung zu beraten. Wir brauchen ganz unabweislich Geld, viel Geld.« — »Geldsachen sind dein Gebiet«, sagte Cethegus trinkend. »Ich verstehe sie wohl, aber sie langweilen mich.«

»Ferner müssen die einflußreichen Männer auf Sizilien, in Neapolis und Apulien gewonnen werden. Hier ist die Liste derselben mit Notizen über die einzelnen. Es sind Menschen darunter, bei denen die gewöhnlichen Mittel nicht verfangen.« »Gib her«, sagte Cethegus, »das will ich machen«, und zerlegte einen persischen Apfel. — —

Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Geschäfte bereinigt, und der Hausherr legte die Dokumente wieder in ihr Geheimfach hinter dem großen Kreuz in der Mauer. Der Priester war ermüdet und sah mit Neid auf den Genossen, dessen stählernen Körper und unangreifbaren Geist keine späte Stunde, keine Anspannung ermatten zu können schien. Er äußerte etwas dergleichen, als sich Cethegus den silbernen Becher wieder füllte.

»Übung, Freund, starke Nerven und« setzte er lächelnd hinzu, »ein gutes Gewissen: das ist das ganze Rätsel.«

»Nein, im Ernst, Cethegus, du bist mir auch sonst ein Rätsel.« — »Das will ich hoffen.« — »Nun, hältst du dich für ein mir so unerreichbar überlegenes Wesen?« — »Ganz und gar nicht. Aber doch für gerade hinreichend tief, um andern nicht minder ein Rätsel zu sein als — mir selbst. Dein Stolz auf Menschenkenntnis mag sich beruhigen. Es geht mir selbst mit mir nicht besser als dir. Nur die Tropfen sind durchsichtig.« — »In der Tat«, fuhr der Priester ausholend fort, »der Schlüssel zu deinem Wesen muß sehr tief liegen. Sieh zum Beispiel die Genossen unsres Bundes. Von jedem läßt sich sagen, welcher Grund ihn dazu geführt hat. Der hitzige Jugendmut einen Licinius, der verrannte, aber ehrliche Rechtssinn einen Scävola, mich und die andern Priester — der Eifer für die Ehre Gottes.«

»Natürlich«, sagte Cethegus trinkend.

»Andere treibt der Ehrgeiz oder die Hoffnung, bei einem Bürgerkrieg ihren Gläubigern die Hälse abzuschneiden, oder auch die Langeweile über den geordneten Zustand dieses Landes unter den Goten oder eine Beleidigung durch einen der Fremden, die allermeisten der natürliche Widerwille gegen die Barbaren und die Gewöhnung, nur im Kaiser den Herrn Italiens zu sehen. Bei dir aber schlägt keiner dieser Beweggründe an und« —

»Und das ist sehr unbequem, nicht wahr? Denn mittels Kenntnis ihrer Beweggründe beherrscht man die Menschen? Ja, ehrwürdiger Gottesfreund, ich kann dir nicht helfen. Ich weiß es wirklich selbst nicht, was mein Beweggrund ist. Ich bin selbst so neugierig darauf, daß ich es dir herzlich gern sagen und mich — beherrschen lassen wollte, wenn ich es nur entdecken könnte. Nur das eine fühl’ ich: diese Goten sind mir zuwider. Ich hasse diese vollblütigen Gesellen mit ihren breiten Flachsbärten. Unausstehlich ist mir das Glück dieser brutalen Gutmütigkeit, dieser naiven Jugendlichkeit, dieses alberne Heldentum, diese ungebrochnen Naturen. Es ist eine Unverschämtheit des Zufalls, der die Welt regiert, dieses Land — nach einer solchen Geschichte — mit Männern wie — wie du und ich — von diesen Nordbären beherrschen zu lassen.« Unwillig warf er das Haupt zurück, drückte die Augen zu und schlürfte einen kleinen Trunk Weines. »Daß die Barbaren fort müssen«, sprach der andere, »darüber sind wir einig. Und für mich ist damit alles erreicht. Denn ich will ja nur die Befreiung der Kirche von diesen irrgläubigen Barbaren, welche die Göttlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen. Ich hoffe, daß alsdann der römischen Kirche der Primat im ganzen Gebiet der Christenheit, der ihr gebührt, unbestritten zufallen wird. Aber so lange Rom in der Hand der Ketzer liegt, während der Bischof von Byzanz von dem allein rechtgläubigen und rechtmäßigen Kaiser gestützt wird«

»So lange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof der Christenheit, solange nicht Herr Italiens, und deshalb der römische Stuhl, selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird, nicht das, was er werden soll: das Höchste. Und das will doch Silverius.«

Überrascht sah der Priester auf.

»Beunruhige dich nicht, Freund Gottes. Ich weiß das längst und habe dein Geheimnis bewahrt, obwohl du es mir nicht vertraut hast. Allein weiter.« Er schenkte sich aufs neue ein: »Dein Falerner ist gut abgelagert, aber er hat zu viel Süße. Du kannst eigentlich nur wünschen, daß diese Goten den Thron der Cäsaren räumen, nicht, daß die Byzantiner an ihre Stelle treten: denn sonst hat der Bischof von Rom wieder zu Byzanz seinen Oberbischof und einen Kaiser. Du mußt also an der Goten Stelle wünschen — nicht einen Kaiser — Justinian, sondern — etwa was?« »Entweder« — fiel Silverius eifrig ein — »einen eignen Kaiser des Westreichs« — »Der aber«, vollendete Cethegus seinen Satz, »nur eine Puppe ist in der Hand des heiligen Petrus —« — »Oder eine römische Republik, einen Staat der Kirche —« — »In welchem der Bischof von Rom der Herr, Italien das Hauptland und die Barbarenkönige in Gallien, Germanien, Spanien die gehorsamen Söhne der Kirche sind. Schön, mein Freund. Nur müssen erst die Feinde vernichtet sein, deren Spolien du bereits verteilst. Deshalb ein altrömischer Trinkspruch: wehe den Barbaren!«

Er stand auf und trank dem Priester zu. »Aber die letzte Nachtwache schleicht vorüber und meine Sklaven müssen mich am Morgen in meinem Schlafgemach finden. Leb’ wohl.« Damit zog er den Cucullus des Mantels über das Haupt und ging.

Der Wirt sah ihm nach: »Ein höchst bedeutendes Werkzeug!« sagte er zu sich. »Gut, daß er nur ein Werkzeug ist. Möge er es immer bleiben.«

Cethegus aber schritt von der Via appia her, wo die Kirche des heiligen Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt, nach Nordwesten dem Kapitole zu, an dessen Fuß am Nordende der Via sacra sein Haus gelegen war, nordöstlich vom Forum Romanum.

Die kühle Morgenluft strich belebend um sein Haupt.

Er schlug den Mantel zurück und dehnte die breite, starke, gewaltige Brust. »Ja, ein Rätsel bist du«, sprach er vor sich hin; »treibst Verschwörung und nächtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder ein Verliebter von zwanzig Jahren. Und warum? — Ei, wer weiß, warum er atmet? Weil er muß. Und so muß ich tun, was ich tue. Eins aber ist gewiß. Dieser Priester mag Papst werden: er muß es vielleicht werden. Aber eins darf er nicht. Er darf es nicht lange bleiben. Sonst lebt wohl, ihr Gedanken, ihr kaum eingestandenen, die ihr noch Träume seid und Wolkendünste: vielleicht aber ballt sich daraus ein Gewitter, das Blitz und Donner führt und mein Verhängnis wird. Sieh, es wetterleuchtet im Osten. Gut. Ich nehme das Omen an.«

Mit diesen Worten schritt er in sein Haus. Im Schlafgemach fand er auf dem Zederntisch vor seinem Lager einen verschnürten und mit dem königlichen Siegel gepreßten Brief.

Er schnitt die Schnüre mit dem Dolch auf, schlug die doppelte Wachstafel auseinander und las:

»An Cethegus Cäsarius, den Princeps Senatus, Marcus Aurelius Cassiodorus Senator.

Unser Herr und König liegt im Sterben. Seine Tochter und Erbin Amalaswintha wünscht dich noch vor seinem Ende zu sprechen. Du sollst das wichtigste Reichsamt übernehmen. Eile sogleich nach Ravenna.«

FÜNFTES KAPITEL

Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwül über dem Königspalast zu Ravenna mit seiner düstern Pracht, mit seiner unwirtlichen Weiträumigkeit.

Die alte Burg der Cäsaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche stilwidrige Veränderung erfahren. Und seit an die Stelle der Imperatoren der Gotenkönig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war, hatte sie vollends ein wenig harmonisches Aussehen angenommen. Denn viele Räume, die eigentümlichen Sitten des römischen Lebens gedient hatten, standen mit der alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlässigt: Spinnweben zogen sich über die Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen Badegemächer des Honorius, und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten die Eidechsen über das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern. Dagegen hatten die Bedürfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemächer der antiken Häuser zu den weiteren Räumen von Waffensälen, Trinkhallen, Wachtzimmern auszudehnen. Man hatte anderseits durch neue Mauerführungen benachbarte Häuser mit dem Palast verbunden, und daraus eine Festung mitten in der Stadt geschaffen. Es trieben jetzt in der »piscina maxima«, dem ausgetrockneten Teich, blonde Buben ihre wilden Spiele, und in den Marmorsälen der Palästra wieherten die Rosse der gotischen Wachen. So hatte der weitläufige Bau das unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltenen Ruine, halb eines unvollendeten Neubaus: und die Burg dieses Königs erschien so wie ein Sinnbild seines römisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischen halbunfertigen, halbverfallenen Schöpfung.

An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten sah, lastete ein Gewölk von Spannung, Trauer und Düstre ganz besonders schwer auf diesem Haus: denn seine königliche Seele sollte daraus scheiden.

Der große Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe und Haß bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Dietrich von Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmückend bemächtigt hatte, der große Amalungen-König Theoderich sollte sterben.

So hatten es die Ärzte, wenn nicht ihm selbst, doch seinen Räten verkündet, und alsbald war es hinausgedrungen in die große, volkreiche Stadt. Obwohl man seit langem einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des greisen Fürsten für möglich gehalten, erfüllte doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhängnisvollen Schlages alle Herzen mit der höchsten Aufregung.

Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der römischen Bevölkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung. Denn hier in Ravenna, in der unmittelbaren Nähe des Königs, hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch besondere Wohltaten zu erfahren am häufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner fürchtete man nach dem Tode dieses Königs, der während seiner ganzen Regierung, mit einziger Ausnahme der jüngsten Kämpfe mit dem Kaiser und dem Senat, in welchem Boëthius und Symmachus geblutet, die Italier vor der Gewalttätigkeit und Rauheit seines Volkes beschützt hatte, unter einem neuen Regiment Härte und Druck von seiten der Goten zu erfahren.

Endlich aber wirkte noch ein anderes, höheres: die Persönlichkeit dieses Heldenkönigs war so großartig, so majestätisch gewesen, daß auch diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewünscht hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erlöschen sollte, sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschütterung nicht erwehren konnten.

So war die Stadt schon seit grauendem Morgen — da man zuerst vom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Häuser der vornehmen Goten und Römer hatte eilen sehen — in höchster Erregung. In den Straßen, auf den Plätzen, in den Bädern standen die Männer paarweise oder in Gruppen beisammen, fragten und teilten sich mit, was sie wußten, suchten eines Vornehmen habhaft zu werden, der vom Palaste herkam, und sprachen über die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Häuser. Mit den wachsenden Stunden des Tages strömte sogar schon die Bevölkerung der nächsten Dörfer und Städte, besonders trauernde Goten, forschend in die Tore Ravennas. Die Räte des Königs, voraus der Präfektus Prätorio Cassiodorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechterhaltung der Ordnung hohes Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, vielleicht Schlimmeres erwartet.

Seit Mitternacht waren alle Zugänge zum Palast geschlossen und mit gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor der Stirnseite des Gebäudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den breiten Marmorstufen, die zu der stolzen Säulenreihe des Hauptportals hinaufführten, waren starke Scharen gotischen Fußvolks, mit Schild und Speer, in malerischen Gruppen gelagert.

Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Eintritt in den Palast erlangen, und nur die beiden Anführer des Fußvolks, der Römer Cyprian und der Gote Witichis durften die Erlaubnis dazu erteilen. Ersterer war es, der Cethegus einließ. Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des Königs verfolgte, fand er in den Hallen und Gängen der Burg die Goten und Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben, in ungleiche Gruppen verteilt.

Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die jungen Tausendführer und Hundertführer der Goten beisammen oder flüsterten einzelne besorgte Fragen, während hier und da ein älterer Mann, ein Waffengefährte des sterbenden Helden, in einer Nische der Bogenfenster lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; in der Mitte des Saales stand, laut weinend, das Haupt an einen Pfeiler drückend, ein reicher Kaufmann von Ravenna: der König, der jetzt scheiden sollte, hatte ihm eine Verschwörung verziehen und seine Warenhallen vor der Plünderung durch die ergrimmten Goten gerettet.

Mit einem kalten Blick der Geringschätzung schritt Cethegus an dem allen vorüber. Er ging weiter.

In dem nächsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal, fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzogen, Grafen und Edeln beisammen, die offenbar Beratung hielten über den Thronwechsel und den drohenden Umschwung der Verhältnisse.

Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die Stadt Arles heldenmütig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Liguria, der Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der Bulgaren und Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren alten Adel, der dem Königshaus der Amaler wenig nachgab — denn sie waren aus dem Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte —, und auf ihre kriegerischen Verdienste, die das Reich beschirmt und erweitert.

Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen.

Das waren die Führer der Partei, die längst eine härtere Behandlung der Italier, welche sie haßten und scheuten zugleich, begehrt und die nur widerstrebend dem milden Sinn des Königs sich gefügt hatten. Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Römer, der da Zeuge der Sterbestunde des großen Gotenhelden sein wollte. Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den nächsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau, die, in schwarze Trauerschleier gehüllt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Tränen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs.

Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher, wenn auch kalter Schönheit. Sie trug das reiche, dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das große, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast männlichen Züge und die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde, und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der Tat einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet.

An ihrem Arme hing, mehr gestützt als stützend, ein Knabe oder Jüngling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines unglücklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden, und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, daß alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. Athalarich war schön wie alle Glieder dieses von den Göttern stammenden Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern beschatteten ein edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten Träumen zerfloß, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune wirre Locken hingen in die bleiche Schläfe, in der bei lebhafter Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edlen Stirn hatte leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet, befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Marmorblässe und heißes Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hoch aufgeschossene, aber geknickte Gestalt schien meistens wie müde in ihren Fugen zu hangen und schoß nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Höhe. Er sah den eintretenden Cethegus nicht, denn er hatte, an der Mutter Brust gelehnt, den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen, das bald eine schwere Krone tragen sollte. —

Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, der den Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewährte, stand, in träumerisches Sinnen verloren, ein Weib — oder war es eine Jungfrau? — von überraschender, blendender, überwältigender Schönheit: das war Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich der Mutter an Adel und Höhe der Gestalt, aber ihre schärferen Züge hatten ein feuriges, leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unter angenommener Kälte barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenmaß von blühender Fülle und feiner Schlankheit, mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesander, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt verbannen müssen, weil diese marmorne Sinnlichkeit die Jünglinge des Eilands zum Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauber höchster reifer Mädchenschönheit zitterte über dem Wesen. Ihr reichwallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so außerordentlicher Wirkung, daß er der Fürstin, selbst bei diesem durch die prächtigen Goldlocken seiner Weiber berühmten Volk, den Namen »Schönhaar« verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren glänzend schwarz und hoben die blendend weiße Stirn, die alabasternen Wangen leuchtend hervor. Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen, manchmal leise zuckenden Flügeln senkte sich auf einen üppig schwellenden Mund. Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schönheit war das graue Auge, nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch den wunderbaren Ausdruck, mit dem es, meist in träumerisches Sinnen verloren, manchmal in vermengender Leidenschaft aufleuchten konnte. In der Tat, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen, halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewählten Tracht, den weißen, hochgewölbten Arm um die dunkle Porphyrsäule geschlungen und hinausträumend in die Abendluft, glich ihre verführerische Schönheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmädchen, deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat. Und so groß war die Macht dieser Schönheit, daß selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus, der die Fürstin längst kannte, bei seinem Eintritt von neuem Staunen berührt wurde. —

Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuen Minister des Königs, dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aber hoffnungslosen Versöhnungspolitik, die seit einem Menschenalter im Gotenreich geübt wurde. Der alte Mann, dessen ehrwürdige und milde Züge der Schmerz um den Verlust seines königlichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches, stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen, der sich ehrfurchtsvoll verneigte. In Tränen schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an die kalte Brust des Cethegus, der ihn für diese Weichheit verachtete.

»Welch ein Tag!« klagte er. — »Ein verhängnisvoller Tag«, sprach Cethegus ernst; »er fordert Kraft und Fassung.« — »Recht sprichst du, Patricius, und wie ein Römer,« sagte die Fürstin, sich von Athalarich losmachend, »sei gegrüßt.« Sie reichte ihm die Hand, die nicht bebte, ihr Auge war klar. »Die Schülerin der Stoa bewährt an diesem Tage die Weisheit Zenos und die eigne Kraft«, sprach Cethegus.

»Sagt lieber, die Gnade Gottes kräftigt ihre Seele wunderbar«, verbesserte Cassiodor. »Patricius«, begann Amalaswintha, »der Präfectus Prätorio hat dich mir vorgeschlagen, wenn ich dich nicht längst schon kennte. Du bist derselbe Cethegus, der die ersten beiden Gesänge der Äneis in griechische Hexameter übertragen hat!« — »Indandum renovare jubes, regina, dolorem. Eine Jugendsünde, Königin«, lächelte Cethegus. »Ich habe alle Abschriften aufgekauft und verbrannt an dem Tage, da die Übersetzung Tullias erschien.« Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas. Cethegus wußte das: aber die Fürstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung. Sie war an ihrer schwächsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort: »Du weißt, wie es hier steht. Die Atemzüge meines Vaters sind gezählt: nach dem Ausspruch der Ärzte kann er, obwohl noch rüstig und stark, jeden Augenblick tot zusammenbrechen. Athalarich hier ist der Erbe seiner Krone. Ich aber führe an seiner Statt die Regentschaft und über ihn die Mundschaft, bis er zu seinen Tagen gekommen.« — »So ist der Wille des Königs, und Goten und Römer haben dieser Weisheit längst schon zugestimmt«, sagte Cethegus. — »So taten sie. Aber die Menge ist wandelbar. Die rohen Männer verachten die Herrschaft eines Weibes« — und sie zog bei diesem Gedanken die Stirn in zornige Falten. »Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten wie der Römer«, begütigte Cassiodor, »es ist ganz neu, daß ein Weib —« — »Die undankbaren Rebellen!« murmelte Cethegus, gleichsam für sich. »Wie man darüber denken mag«, fuhr die Fürstin fort, »es ist so. Gleichwohl baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen, mögen auch einzelne aus dem Adel Gelüste nach der Krone tragen. Auch von den Italiern hier in Ravenna, wie in den meisten Städten, fürchte ich nicht. Aber ich fürchte — Rom und die Römer.«

Cethegus horchte auf: sein ganzes Wesen war in plötzlicher Erregung, aber sein Antlitz blieb eisig kalt.

»Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewöhnen, es wird uns ewig widerstreben — wie könnte es anders!« setzte sie seufzend hinzu. Es war, als ob die Tochter Theoderichs eine römische Seele hätte.

»Wir fürchten deshalb«, ergänzte Cassiodor, »daß auf die Kunde von der Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin ausbrechen könnte, sei es für Anschluß an Byzanz, sei es für Erhebung eines eigenen Kaisers des Abendlandes.«

Cethegus schlug, wie nachsinnend, die Augen nieder. —

»Darum«, fiel die Königin rasch ein, »muß, schon ehe jene Kunde zu Rom eintrifft, alles geschehen sein. Ein entschlossener, mir treu ergebener Mann muß die Besatzung für mich — ich meine für meinen Sohn — vereidigen, die wichtigsten Tore und Plätze besetzen, Senat und Adel einschüchtern, das Volk für mich gewinnen und meine Herrschaft unerschütterlich aufrichten, ehe sie noch bedroht ist. Und für dies Geschäft hat Cassiodor — dich vorgeschlagen. Sprich, willst du es übernehmen?«

Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erde gefallen. Cethegus bückte sich, ihn aufzuheben. Er hatte nur diesen einen Augenblick für die hundert Gedanken, die bei diesem Antrag sich in seinem Kopfe kreuzten.

War die Verschwörung in den Katakomben, war vielleicht er selbst verraten? Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschsüchtigen Weibes? Oder waren die Toren wirklich blind, gerade ihm dies Amt aufzudrängen? Und wenn dem so war, was sollte er tun? Sollte er den Moment benutzen, sogleich loszuschlagen, Rom zu gewinnen? Und für wen? Für Byzanz oder für einen Kaiser im Abendlande? Und wer sollte das werden? Oder waren die Dinge noch nicht reif? Sollte er für diesmal — aus Treulosigkeit — Treue üben? Für all diese und manche andere Zweifel und Fragen hatte er, sie zu stellen und zu lösen, nur den einen Moment, da er sich bückte: sein rascher Geist brauchte nicht mehr: er hatte im Bücken das arglos vertrauende Gesicht Cassiodors gesehen, und entschlossen sprach er, den Griffel überreichend: »Königin, ich übernehme das Geschäft.« — »Das ist gut«, sagte die Fürstin. Cassiodor drückte seine Hand. »Wenn Cassiodor«, fuhr Cethegus fort, »mich zu diesem Amte vorgeschlagen, so hat er wieder einmal seine tiefe Menschenkenntnis bewährt. Er hat durch meine Schale auf meinen Kern gesehen.« — »Wie meinst du das?« fragte Amalaswintha. — »Königin, der Schein konnte ihn trügen. Ich gestehe, daß ich die Barbaren — verzeihe! — die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe.« — »Dieser Freimut ehrt dich, und ich verzeih’ es dem Römer.« — »Dazu kommt, daß ich seit Jahrzehnten dem Staat, dem öffentlichen Leben keine Teilnahme mehr zuwandte. Nach vielen Leidenschaften leb’ ich — ohne alle Leidenschaft — nur einer spielenden Muße und leichten Gelehrsamkeit, unbekümmert um die Sorgen der Könige, auf meinen Willen.« »Beatus ille qui procul negotiis«, zitierte seufzend die gelehrte Frau. »Aber eben weil ich die Wissenschaft verehre, weil ich, ein Schüler Platons, will, daß die Weisen herrschen sollen, deshalb wünsche ich, daß eine Königin mein Vaterland regiere, die nur der Geburt nach Gotin, der Seele nach Griechin, der Tugend nach Römerin ist.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
1270 s. 1 illüstrasyon
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Public Domain
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