Kitabı oku: «Ein Kampf um Rom», sayfa 5
ZWEITES BUCH: ATHALARICH
»Wo wär’ die sel’ge Insel wohl zu finden?«
Schiller, Wilhelm Tell
ERSTES KAPITEL
Nicht ohne Grund fürchtete und hoffte Freund und Feind in diesem Augenblick schwere Gefahren für das junge Gotenreich. Noch waren es nicht vierzig Jahre, daß Theoderich im Auftrag des Kaisers von Byzanz mit seinem Volk den Isonzo überschritten und dem tapferen Abenteurer Odoaker, den ein Aufstand der germanischen Söldner auf den Thron des Abendlandes erhoben, Krone und Leben entrissen hatte. Alle Weisheit und Größe des Königs hatte nicht die Unsicherheit beseitigen können, die in der Natur seiner mehr kühnen als besonnenen Schöpfung lag. Trotz der Milde seiner Regierung fühlten die Italier — und wir wollen uns hüten, solche Gesinnung zu verdammen — aufs tiefste die Schmach der Fremdherrschaft. Und diese Fremden waren als Barbaren und Ketzer doppelt verhaßt. Nach der Auffassung jener Zeit galten das weströmische und das oströmische Reich als eine unteilbare Einheit und, nachdem die Kaiserwürde im Okzident erloschen, erschien der oströmische Kaiser als der einzige rechtmäßige Herr des Abendlandes. Nach Byzanz also waren die Augen aller römischen Patrioten, aller rechtgläubigen Katholiken von Italien gerichtet: von Byzanz erhofften sie Befreiung aus dem Joche der Ketzer, der Barbaren, Tyrannen. Und Byzanz hatte Macht und Neigung, diese Hoffnung zu erfüllen. Waren auch die Untertanen des Imperators nicht mehr die Römer Cäsars oder Trajans: noch gebot das Ostreich über eine sehr ansehnliche, den Goten durch alle Mittel der Bildung und eines lang bestehenden Staatswesens unendlich überlegene Macht.
An der Lust aber, diese Überlegenheit zur Vernichtung des Barbarenreiches zu gebrauchen, konnte es nicht fehlen, da das Verhältnis beider Staaten von vornherein auf Überlistung, Mißtrauen und geheimen Haß gegründet war. Vor ihrem Abzug nach Italien hatte die Goten, in den Donauländern angesiedelt, an Byzanz ein für beide Teile unerfreuliches Bundesverhältnis geknüpft, das infolge des Ehrgeizes ihrer Könige, mehr noch der Treulosigkeit der Kaiser, fast alle paar Jahre in offenen Krieg zwischen den ungleichartigen Verbündeten umschlug: wiederholt hatte Theoderich, obwohl in Zeiten der Aussöhnung mit den höchsten Ehren des Reiches, mit den Titeln Konsul, Patricius, Adoptivsohn des Kaisers ausgezeichnet, seine Waffen bis vor die Tore der Kaiserstadt getragen.
Um diesen steten Reibungen ein Ende zu machen, hatte Kaiser Zeno, ein feiner Diplomat, das echt byzantinische Auskunftsmittel getroffen, den lästigen Gotenkönig mit seinem Volk dadurch aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen, daß er ihm als ein Danaergeschenk Italien übertrug, das erst dem eisernen Arm des Helden Odoaker entrissen werden mußte.
In der Tat, wie immer der Kampf zwischen den beiden deutschen Fürsten enden mochte: Byzanz mußte immer gewinnen. Siegte Odoaker, so waren die Goten und ihr furchtbarer König, denen man schöne Provinzen und schwere Jahrgelder hatte überlassen müssen, für immer beseitigt. Siegte Theoderich, nun, so war ein Anmaßer, den man zu Byzanz niemals anerkannt hatte, gestürzt, gestraft. Und da Theoderich im Namen und Auftrag des Kaisers siegen und als Statthalter herrschen sollte, durch eine ruhmvolle Eroberung das Abendland wieder mit dem Ostreich vereinigt.
Aber der Ausgang des feinen Planes war doch nicht der erwünschte. Denn als Theoderich gesiegt und sein Reich in Italien gegründet hatte, entfaltete sich alsbald die ganze Großartigkeit seines Geistes und erwarb ihm eine Stellung, in der, bei aller Höflichkeit in den Formen, doch jede Abhängigkeit von Byzanz völlig verschwand.
Nur wo es ihm diente, so, um die Abneigung der Italier zu schwächen, berief er sich formell auf jenen Auftrag des Kaisers: in Wahrheit aber herrschte er auch über die Italier wie über seine Goten nicht als Statthalter und im Namen des Byzantiners, sondern kraft eignen Rechts, kraft seines Sieges, als »König der Goten und Italier«. Dies führte natürlich zu Mißhelligkeiten mit dem Kaiser, die wiederholt im offenen Krieg zwischen den beiden Reichen aufloderten. Es war also kein Zweifel, daß man zu Byzanz sehr bereit war, dem Seufzen Italiens nach Abwerfung des Barbarenjoches ein Ende zu bringen, sowie man sich stark genug fühlte. Und die Goten hatten keine Bundesgenossen gegen diese innern und äußern Feinde. Denn Theoderichs Ruhm und Ansehen und seine Politik der Verschwägerung mit allen Germanenfürsten hatten ihm doch nur eine Art moralischen Protektorats, keine sichere Verstärkung seiner Macht verschaffen können.
Es fehlte dem Gotenreich, das eine geniale Persönlichkeit allzu verwegen und vertrausam mitten in das Herz der römischen Bildungswelt gepflanzt hatte, der unmittelbare Zusammenhang mit noch nicht romanisierten Volkskräften, es fehlte der Nachschub an frischen germanischen Elementen, der das gleichzeitig entstehende Reich der Franken immer wieder verjüngt und wenigstens dessen nordöstlichen Teil vor der mit der Romanisierung verbundenen Fäulnis bewahrt hätte, während die kleine gotische Insel, auf allen Seiten von den feindlichen Wellen des römischen Lebens umspült und benagt, diesen gegenüber von Jahr zu Jahr zusammenschmolz.
Solange Theoderich, der gewaltige Schöpfer dieses gewagten Werkes, lebte, blendete der Glanz seines Namens über die Gefahren und Blößen seiner Schöpfung.
Aber mit Recht zitterte man vor dem Augenblick, da das Steuer dieses gefährdeten Schiffes in die Hand eines Weibes oder eines kranken Jünglings übergehen sollte: Aufstände der Italier, Einmischung des Kaisers, Abfall der Unterworfenen, Angriffe der feindlichen Barbarenstämme waren zu besorgen. Wenn der gefährliche Augenblick gleichwohl ruhig vorüberging, so war dies vor allem der unermüdlich eifrigen und vorsorglichen Tätigkeit zu danken, die Cassiodor, des Königs Freund und lang bewährter Minister, schon seit Wochen entfaltet hatte und jetzt, nach dem Tode Theoderichs, verdoppelte. Um die Italier in Ruhe zu erhalten, ward sofort ein Manifest erlassen, das die Thronbesteigung Athalarichs, unter Vormundschaft seiner Mutter, als eine bereits vollendete und in aller Ruhe vollzogene Tatsache Italien und den Provinzen verkündete. Sofort auch wurden in alle Teile des Reiches Beamte entsendet, die den Huldigungseid der Bevölkerung entgegennehmen, aber auch im Namen des jungen Königs eidlich geloben sollten, daß die neue Regierung alle Rechte und Freiheiten der Italier und Provinzialen achten und in allen Stücken die Milde, ja Vorliebe des großen Toten für seine römischen Untertanen zum Muster nehmen werde.
Gleichzeitig wurde aber auch dafür gesorgt, daß eine Furcht gebietende Entfaltung der gotischen Heeresmacht an den Grenzen und in den wichtigsten oder unruhigsten Städten des Reiches äußeren und inneren Gegnern die Lust zu Feindseligkeiten vertreibe, während mit dem Kaiserhof das gute Vernehmen durch Gesandschaften und Briefe sehr verbindlicher Haltung befestigt oder erneuert wurde.
ZWEITES KAPITEL
Neben Cassiodor war es nun aber vor allem ein Mann, der in jenen Tagen des Übergangs eine bedeutende und, wie es der Regentschaft schien, hochverdienstliche Rolle spielte.
Das war kein anderer als Cethegus.
Er hatte das wichtige Amt eines Stadtpräfekten von Rom übernommen. Er war, sowie der König die Augen geschlossen, spornstreichs aus dem Palast und den Toren von Ravenna nach der ihm anvertrauten Tiberstadt geeilt und dort vor aller Kunde des Geschehenen eingetroffen.
Sofort, noch eh’ der Tag angebrochen, hatte er die Senatoren in dem »Senatus«, d. h. dem geschlossenen Hallenbau Domitians nahe dem Janus Geminus, rechtsab vom Severusbogen, versammelt, darauf das Gebäude mit gotischen Truppen umstellt, die überraschten Senatoren — von denen er gar manchen erst neuerlich in den Katakomben gesehen und zur Vertreibung der Barbaren angefeuert hatte — von dem bereits vollzognen Thronwechsel benachrichtigt und (nicht ohne einige auf die von dem Saal aus deutlich sichtbaren Speere der Gotentausendschaft gelinde hinweisende Worte) mit einer keinen Widerspruch duldenden Raschheit für Athalarich in Eid und Pflicht genommen.
Dann verließ er den »Senatus«, wo er die Väter eingeschlossen hielt, bis er in dem slawischen Amphitheater, wohin er eine Volksversammlung der Römer berufen, diese unter Beiziehung der starken gotischen Besatzung abgehalten und die leicht beweglichen »Quiriten« durch eine meisterhafte Rede für den jungen König begeistert hatte. Er zählte die Wohltaten Theoderichs auf, verhieß gleiche Milde von dessen Enkel, der übrigens bereits von ganz Italien, den Provinzen und den Vätern dieser Stadt anerkannt sei, meldete eine allgemeine Speisung des römischen Volkes mit Brot und Wein als den ersten Regierungsakt Amalaswinthens an und schloß mit der Verkündung siebentägiger Zirkusspiele — Wettfahrten mit einundzwanzig spanischen Viergespannen , mit welchen er selbst die Thronbesteigung Athalarichs und den Antritt seiner Präfektur feiern werde.
Da erhob tausendstimmiges Jubelgeschrei die Namen der Regentin und ihres Sohnes, aber noch lauter den Namen Cethegus, das Volk verlief sich in heller Freude, die eingesperrten Senatoren wurden nunmehr entlassen und die ewige Stadt war für die Goten erhalten. Der Präfekt aber eilte nach seinem Hause am Fuß des Kapitols, schloß sich ein und schrieb eifrig seinen Bericht an die Regentin.
Jedoch ungestüm pochte es alsbald an der ehernen Vortür des Hauses. Es war Lucius Licinius, der junge Römer, den wir in den Katakomben kennengelernt: er schlug mit dem Schwertknauf gegen die Pforte, daß das Haus dröhnte. Ihm folgten Scävola, der Jurist — er war unter den eingesperrten gewesen , mit schwer gefurchter Stirn, und Silverius, der Priester, mit zweifelnder Miene.
Vorsichtig lugte der Ostiarius an der Türe durch eine verborgene Luke in der Mauer und ließ, als er Licinius erkannte, die Männer ein. Heftig stürmte der Jüngling den andern voraus den ihm wohlbekannten Weg durch das Vestibulum, das Atrium und dessen Säulengang in das Studierzimmer des Cethegus. Dieser, als er die hastig nahenden Schritte vernahm, erhob sich von dem Lectus, auf dem hingestreckt er schrieb, und verschloß seine Briefe in einer Capsula mit silberner Kuppel. »Ah, die Vaterlandsbefreier!« sagte er lächelnd und trat ihnen entgegen.
»Schändlicher Verräter!« schrie ihn Licinius an, die Hand am Schwert; der Zorn ließ ihn nicht weitersprechen, er zückte halb das breite Eisen aus der Scheide.
»Halt, erst laß ihn sich verteidigen, wenn er kann«, keuchte, dem Stürmischen in den Arm fallend, Scävola, der jetzt nachgekommen war. »Es ist unmöglich, daß er abgefallen von der Sache der heiligen Kirche«, sprach Silverius im Eintreten.
»Unmöglich?« lachte Licinius, »wie? Seid ihr toll oder bin ich’s? Hat er nicht uns, die Ritter, in ihren Häusern festhalten lassen? Hat er nicht die Tore gesperrt und den Pöbel für den Barbaren vereidigt?« — »Hat er nicht«, sprach Cethegus fortfahrend, »die edeln Väter der Stadt, dreihundert an der Zahl, in der Kurie wie soviel Mäuse in der Mausfalle gefangen, dreihundert hochadlige Mäuse?« — »Er höhnt uns noch! Wollt ihr das dulden?« rief Licinius. Und Scävola erbleichte vor Zorn. »Nun, und was hättet ihr getan, wenn man euch hätte handeln lassen?« fragte der Präfekt ruhig, die Arme auf der breiten Brust kreuzend. »Was wir getan hätten?« antwortete Licinius, »was wir — was du mit uns hundertmal verabredet! Sobald die Nachricht von dem Tod des Tyrannen eintraf, hätten wir die Goten in der Stadt erschlagen, die Republik ausgerufen und zwei Konsuln ernannt —« — »Namens Licinius und Scävola, das ist die Hauptsache. Nun, und dann? Was dann?« — »Was dann? Die Freiheit hätte gesiegt!«
»Die Torheit hätte gesiegt!« herrschte Cethegus losbrechend den Erschrockenen an. »Wie gut, daß man euch die Hände band: ihr hättet alle Hoffnung erwürgt, auf immer. Seht her und dankt mir auf den Knien!« Er nahm Urkunden aus einer andern Papyruskapsel und gab sie den Erstaunten. »Da, lest. Der Feind war gewarnt und hatte seine Schlinge meisterhaft um den Nacken Roms geschürzt. Wenn ich nicht handelte, so stand in diesem Augenblick Graf Witichis mit zehntausend Goten vor dem salarischen Tor im Norden, morgen sperrte der junge Totila mit der Flotte von Neapel im Süden die Tibermündung, und gegen das Grabmal Hadrians und das aurelische Tor war Herzog Thulun mit zwanzigtausend Mann von Westen her im Anzug. Hättet ihr heute früh einem Goten ein Haar gekrümmt, was wäre geschehen?«
Silverius atmete auf. Die beiden andern schwiegen beschämt. Doch faßte sich Licinius: »Wir hätten den Barbaren getrotzt hinter unsern Mauern«, sprach er, mutig das schöne Haupt aufwerfend. — »Ja. So wie ich diese Mauern herstellen werde — eine Ewigkeit, mein Licinius, wie sie jetzt sind — nicht einen Tag.« — »So wären wir gestorben als freie Bürger«, sprach Scävola. »Das hättet ihr vor drei Stunden in der Kurie auch gekonnt«, lachte Cethegus achselzuckend. Silverius trat mit offenen Armen, wie um ihn zu küssen, auf ihn zu; vornehm entzog sich Cethegus: »Du hast uns alle, du hast Kirche und Vaterland gerettet! Ich habe nie an dir gezweifelt!« sprach der Priester. Da ergriff Licinius die Hand des Präfekten, die dieser ihm willig ließ:
»Ich habe an dir gezweifelt«, rief er mit schöner Offenheit, »vergib, du großer Römer. Dies Schwert, das dich heute durchbohren sollte, dir ist es fortan für ewig zu Dienst. Und bricht der Tag der Freiheit an, dann keine Konsuln, dann salve, Diktator Cethegus!« Und mit leuchtenden Augen eilte er hinaus. Der Präfekt warf ihm einen befriedigten Blick nach. »Diktator, ja, doch nur bis zur vollen Sicherheit der Republik!« sprach der Jurist und folgte ihm. »Jawohl«, lächelte Cethegus, »dann wecken wir Camillus und Brutus wieder auf und führen die Republik da fort, wo sie diese vor tausend Jahren gelassen. Nicht wahr, Silverius?« — »Präfekt von Rom«, sprach der Priester, »du weißt, ich hatte den Ehrgeiz, die Sache des Vaterlandes wie der Heiligen zu leiten: ich hab’ ihn nicht mehr seit dieser Stunde. Dein sei die Führung, ich folge. Gelobe nur das eine: Freiheit der römischen Kirche — freie Papstwahl.« — »Jawohl«, sagte Cethegus, »sowie nur erst Silverius Papst geworden. Es gilt.« — Der Priester schied mit einem Lächeln auf den Lippen, aber schwere Gedanken im Herzen. »Geht«, sagte Cethegus nach einer Pause, den dreien nachblickend, »ihr werdet keinen Tyrannen stürzen: ihr braucht einen Tyrannen!«
Dieser Tag, diese Stunde wurden entscheidend für Cethegus: fast ohne seinen Willen ward er durch die Ereignisse fortgetrieben zu neuen Stimmungen und Anschauungen, zu Zielen, die er sich bisher nie mit solcher Klarheit vorgesteckt, oder doch nie als mehr denn Träume, die er sich als Ziele eingestanden hatte.
Er erkannte sich in diesem Augenblick als alleinigen Herrn der Lage: er hatte die beiden großen Parteien der Zeit, die Gotenregierung und ihre Feinde, die Verschworenen, völlig in seiner Hand. Und in der Brust dieses gewaltigen Mannes wurde die Haupttriebfeder, die er seit Jahrzehnten für gelähmt erachtet, plötzlich wieder in mächtigste Tätigkeit gesetzt: der unbegrenzte Drang, ja das Bedürfnis, zu herrschen, machte sich mit einem Male alle Kräfte dieses reichen Lebens dienstbar und trieb sie an zu heftiger Bewegung.
Cornelius Cethegus Cäsarius war der Abkömmling eines alten und unermeßlich reichen Geschlechts, dessen Ahnherr den Glanz seines Hauses als Feldherr und Staatsmann Cäsars in den Bürgerkriegen gegründet: man sagte, er sei ein Sohn des großen Diktators gewesen. Unser Cethegus hatte von der Natur die vielseitigsten Anlagen und die gewaltigsten Leidenschaften und durch seine gewaltigen Reichtümer die Mittel erhalten, jene aufs großartigste zu entfalten, diese aufs großartigste zu befriedigen. Er empfing die sorgfältigste Bildung, die damals einem jungen Adligen Roms gegeben werden konnte.
Er übte sich bei den ersten Lehrern in den schönen Künsten. Er trieb zu Berytus, zu Alexandrien, zu Athen in den besten Schulen mit glänzenden Erfolgen das Studium des Rechts, der Geschichte, der Philosophie.
Aber all das befriedigte ihn nicht. Er fühlte den Hauch des Verfalls in aller Kunst und Wissenschaft seiner Zeit. Die Philosophie insbesondere vermochte nur die letzten Reste des Glaubens in ihm zu zerstören, ohne ihm irgendwelche Befriedigung in positiven Ergebnissen zu gewähren. Als er von seinen Studien zurückkam, führte ihn sein Vater nach der Sitte der Zeit in den Staatsdienst ein: rasch stieg der glänzend Begabte von Amt zu Amt.
Aber plötzlich sprang er aus.
Nachdem er die Staatsgeschäfte zur Genüge kennengelernt, mochte er nicht länger ein Rad in der großen Maschine des Reiches sein, das die Freiheit ausschloß und obendrein dem Barbarenkönig diente. Da starb sein Vater, und Cethegus warf sich, nun Herr seiner selbst und eines ungeheuren Vermögens geworden, mit der Gewalt, mit welcher er alles verfolgte, in die wildesten Strudel des Lebens, des Genusses, der Lüste. Mit Rom war er bald fertig: da machte er große Reisen nach Byzanz, nach Ägypten, bis nach Indien drang er vor. Da war kein Luxus, kein unschuldiger und kein schuldiger Genuß, den er nicht schlürfte. Nur ein stählerner Körper konnte die Anstrengungen, die Entbehrungen, die Abenteuer, die Ausschweifungen dieser Fahrten ertragen.
Nach zwölf Jahren kehrte er zurück nach Rom.
Es hieß, er werde großartige Bauten aufführen; man freute sich, das üppigste Leben in seinen Häusern und Villen beginnen zu sehen, man täuschte sich sehr.
Cethegus baute sich nur das kleine Haus am Fuß des Kapitols, bequem und von feinstem Geschmack, und lebte mitten in dem volkreichen Rom wie ein Einsiedler.
Er gab unvermutet eine Schilderung seiner Reisen heraus, eine Charakterisierung der wenig bekannten Völker und Länder, die er besucht. Das Buch hatte unerhörten Erfolg; Cassiodor und Boëthius warben um seine Freundschaft, der große König wollte ihn an seinen Hof ziehen. Aber plötzlich war er aus Rom verschwunden. Das Ereignis, das ihn in jenen Tagen betroffen haben mußte, blieb allen Nachforschungen der Neugier, der Teilnahme, der Schadenfreude verborgen.
Man erzählte sich damals, arme Fischer hätten ihn eines Morgens am Ufer des Tibers vor den Toren der Stadt, bewußtlos und dem Tode nah, gefunden.
Wenige Wochen später tauchte er wieder an der Nordostgrenze des Reiches in den unwirtlichen Donauländern auf, wo der blutige Krieg mit Gepiden, mit Awaren und Sclavenen raste. Dort schlug er sich mit todverachtender Tapferkeit mit diesen wilden Barbaren herum, verfolgte sie mit erlesenen, von ihm besoldeten Scharen freiwillig in alle Schlupfwinkel ihrer Felsen, schlief alle Nächte auf der gefrorenen Erde. Und als der gotische Feldherr ihm eine kleine Schar zu einem Streifzug anvertraute, griff er statt dessen Sirmium an, die feste Hauptstadt der Feinde, und eroberte sie mit nicht geringerer Feldherrnkunst als Tapferkeit. Nach dem Friedensschluß machte er abermals Reisen nach Gallien und Spanien und Byzanz, kehrte von da nach Rom zurück und lebte dort jahrelang in einer verbitterten Muße und Zurückgezogenheit, alle kriegerischen, bürgerlichen, wissenschaftlichen Ämter und Ehren ausschlagend, die ihm Cassiodor aufdringen wollte. Er schien für nichts mehr Interesse zu haben als für seine Studien,
Vor einigen Jahren brachte er von einer Reise nach Gallien einen schönen Jüngling oder Knaben mit, welchem er Rom und Italien zeigte und väterliche Liebe und Sorgfalt erwies. Es hieß, er wolle ihn adoptieren: solange dieser sein junger Gast um ihn war, trat er aus seiner Einsamkeit heraus, lud die adlige Jugend Roms zu glänzenden Festen in seine Villen und war bei den Gegeneinladungen. die er alle annahm, der liebenswürdigste Gesellschafter. Aber sowie er den jungen Julius Montanus mit einem stattlichen Gefolge von Pädagogen, Freigelassenen und Sklaven nach Alexandrien in die gelehrten Schulen entsendet hatte, brach er plötzlich wieder alle Verbindungen ab und zog sich in seine undurchdringliche Abgeschlossenheit zurück, grollend, wie es schien, mit Gott und der ganzen Welt. Mit schwerer Mühe gelang es dem Priester Silverius und Rusticianen, ihn aus seiner ablehnenden Ruhe heraus und zur Teilnahme an der Katakombenverschwörung fortzuziehen. Er wurde, wie er ihnen sagte, Patriot aus eitel Langweile. Und in der Tat, bis zu dem Tod des Königs hatte er das Unternehmen, dessen Leitung doch in seiner und des Diakons Hand lag, fast mit Abneigung betrieben.
Dies wurde jetzt anders. Der tiefste Zug seines Wesens, der Drang, in allen möglichen Gebieten des Geistes sich zu versuchen, die Schwierigkeiten zu überwinden, alle Nebenbuhler zu überflügeln, in jedem Lebenskreise, den er betrat, zu herrschen, allein und ohne Widerstand und, sobald er den Siegeskranz genommen, ihn gleichgültig wegzuwerfen und nach neuen Aufgaben auszuschauen, hatte ihn bisher bei keinem Ziele volle Befriedigung finden lassen. Kunst, Wissenschaft, Genuß, Amtsehre, Kriegsruhm: alles hatte ihn gereizt, alles hatte er wie kein anderer gewonnen, und alles hatte ihn leer gelassen. Herrschen, der Erste sein, über widerstrebende Verhältnisse mit allen Mitteln überlegener Kraft und Klugheit siegen und dann über knirschende Menschen ein ehernes Regiment führen, das allein hatte er unbewußt und bewußt von jeher erstrebt: nur darin fühlte er sich wohl.
In stolzen, vollen Atemzügen hob sich darum in dieser Stunde seine Brust: er, der Eisigkalte, erglühte in dem Gedanken, daß er über die beiden großen feindlichen Mächte der Zeit, Goten und Römer, heute mit einem Zucken seiner Wimper gebot: und aus diesem Wonnegefühl der Herrschaft stieg ihm mit dämonischer Gewalt die Überzeugung empor, daß es für ihn und seinen Ehrgeiz nur noch ein Ziel gab, welches das Leben der Mühe des Lebens wert machen könne, nur noch ein Ziel, ein sonnenfernes, jedem andern unerreichbares: er glaubte gern an seine Abkunft von Julius Cäsar, und er fühlte das Blut Cäsars aufwallen in seinen Adern bei dem Gedanken: Cäsar, Imperator des Abendlandes, Kaiser der römischen Welt! — — — —
Als vor Monaten dieser Blitz zum erstenmal seine Seele durchzuckt hatte — kein Gedanke — kein Wunsch — nur ein Schatten, ein Traum — erschrak er und lächelte zugleich über seine unermeßliche Kühnheit. Er, Kaiser und Wiederaufrichter des römischen Weltreichs! Und Italien bebte unter dem Schritt von dreimalhunderttausend gotischen Kriegern! Und der größte aller Barkarenkönige, dessen Ruhm die Erde erfüllte, saß gewaltig herrschend zu Ravenna. Und wenn die. Macht der Goten gebrochen war, so streckten die Franken über die Alpen, die Byzantiner übers Meer die gierigen Hände nach der italienischen Beute, zwei große Reiche gegen ihn, den einzelnen Mann!
Denn wahrlich, einsam stand er in seinem Volk! Wie genau kannte, wie bitter verachtete er seine Landsleute, die unwürdigen Enkel großen Ahnen! Wie lachte er der Schwärmerei eines Licinius oder Scävola, die mit diesen Römern die Tage der Republik erneuern wollten!
Er stand allein.
Aber gerade dies reizte seinen stolzen Ehrgeiz. Und gerade in diesem Augenblick, da ihn die Verschworenen verlassen hatten, da seine Überlegenheit gewaltiger als je ihnen und ihm selbst klar geworden war, gerade jetzt schoß in seiner Brust, was früher ein schmeichelnd Spiel seiner träumenden Stunden gewesen, mit Blitzesschnelle zum klaren Gedanken, zum festen Entschluß empor.
Die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt, mit starken Schritten, wie ein Löwe seinen Käfig, das Gemach durchmessend, sprach er in abgerissenen Sätzen zu sich selbst:
»Mit einem tüchtigen Volk hinter sich die Goten hinaustreiben, Griechen und Franken nicht hereinlassen: das wäre nicht schwer, das könnte ein andrer auch. Aber allein, ganz allein, von diesen Männern ohne Mark und Willen mehr gehemmt als getragen, das Ungeheure vollenden, und diese Memmen erst wieder zu Helden, diese Sklaven zu Römern, diese Knechte der Pfaffen und Barbaren wieder zu Herren der Erde machen: das, das ist der Mühe wert. Ein neues Volk, eine neue Zeit, eine neue Welt schaffen, allein, ein einziger Mann, mit der Kraft seines Willens und der Macht seines Geistes: — das hat noch kein Sterblicher vollbracht: das ist größer als Cäsar: er führte Legionen von Helden! Und doch, es kann getan werden, denn es kann gedacht werden. Und ich, der’s denken konnte, ich kann’s auch tun. Ja, Cethegus, das ist ein Ziel, dafür verlohnt sich’s zu denken, zu leben, zu sterben. Auf und ans Werk, und von nun an: keinen Gedanken mehr und kein Gefühl als für dies eine.«
Er stand still vor der Kolossalstatue Cäsars auf weißem parischem Marmor, die, das Meisterwerk des Arkesilaos und der edelste Schmuck, ja nach der Familientradition von Julius Cäsar selbst dem Sohne geschenkt, das Heiligtum dieses Hauses, gegenüber dem Schreibdiwan stand:
»Hör’ es, göttlicher Julius, großer Ahnherr, es lüstet deinem Enkel, mit dir zu ringen: es gibt noch ein Höheres, als du erreicht: schon fliegen nach einem höheren Ziel als du, ist unsterblich, und fallen, fallen aus solcher Höhe: das ist der herrlichste Tod, Heil mir, daß ich wieder weiß, warum ich lebe.«
Er schritt an der Bildsäule vorbei und warf einen Blick auf die auf dem Tisch aufgerollte Militärkarte des römischen Weltreichs:
»Erst diese Barbaren zertreten —: Rom! — Dann den Norden wieder unterwerfen —: Paris! — Dann zum alten Gehorsam unter die alte Cäsarenstadt das abtrünnige Ostreich zurückheischen —: Byzanz! Und weiter, immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros — und zurück nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber — die Bahn, welche dir, Cäsar, der Dolch des Brutus durchgeschnitten. — Und so größer als du, größer als Alexander — o halt, Gedanke, halt ein!«
Und der eisige Cethegus loderte und glühte; mächtig pochten seine Adern an den Schläfen: er drückte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust Julius Cäsars, der majestätisch auf ihn niederschaute.