Kitabı oku: «Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945», sayfa 13

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Die Bauarbeiten begannen im Sommer 1938, kamen aber nur schleppend voran. Das Richtfest verzögerte sich um mehr als ein Jahr, und zu dem Zeitpunkt befanden sich die Werkhallen noch immer im Rohbau. Zur Überbrückung hatte Bosch in der Hildesheimer Innenstadt Räumlichkeiten angemietet und stellte dort seit 1939 für die Produktion des Stuttgarter Stammwerkes Einzelkomponenten her. Erst 1942 waren sämtliche Hallen des Hildesheimer ‚Waldwerkes‘ bezugsfertig.216 Es wickelte von da an Heeresaufträge über Lichtmaschinen, Anlasser, Schwungkraftanlasser und Magnetzünder für Panzer, schwere LKWs und Zugmaschinen bis 18 t ab. Seit Oktober 1943 war Bosch Hildesheim der einzige Ausrüster von Panzern, belieferte zudem Großabnehmer der Region von Büssing bis VW. Innerhalb kürzester Zeit stieg der Betrieb damit zu einem der bedeutendsten Rüstungsproduzenten im Rüstungskommando Hannover auf, was sich auch in der stetigen Aufwärtsentwicklung des Personalbestandes spiegelte.217

Zählte das Werk Ende 1940 noch 830 Mitarbeiter, so waren es im ersten Quartal 1942 schon 1.448 deutsche und 390 ausländische Arbeitskräfte.218 Ein Jahr später standen 1.981 und Ende März 1944 sogar 3.500 Personen an den Maschinen, bei einem Ausländeranteil von 46 %.219 Die Höchstzahl war Ende September 1944 mit 4.290 Beschäftigten erreicht.220 Zur Unterbringung der Ausländer unterhielt die Firma zwei Barackenlager,221 eines für Polen und Russen lag in etwa einem Kilometer Entfernung oberhalb des Dorfes Sorsum an einem Waldstück. Französische Kriegsgefangene sollen unmittelbar auf dem Werksgelände untergebracht gewesen sein.222 Von den schweren Luftangriffen auf Hildesheim im März 1945, die die Rüstungsbetriebe der Stadt in Schutt und Asche legten, blieb Bosch so gut wie verschont.223 Schon wenige Wochen nach Kriegsende nahm der Betrieb seine Produktion für zivile Zwecke wieder auf.224

Die Industrialisierung ‚auf der grünen Wiese‘ – der Aufbau der „Hermann Göring Werke“

Bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges gab es Überlegungen, deutsche Eisenerze, denen die Wirtschaft bisher nur wenig Beachtung geschenkt hatte, zu verhütten und zu verarbeiten. Die Reichswehr hatte früh darauf gesetzt, die Eisenerzvorkommen bei Salzgitter zu erschließen und im November 1928 den Abbau zu ihrer zentralen Forderung erhoben, um Deutschland in der Versorgung mit Eisen weitgehend vom Ausland unabhängig zu machen.225 Es war seit langem bekannt, dass es in Salzgitter umfangreiche Erzlagerstätten gab, die allerdings wegen ihrer ungünstigen chemischen Beschaffenheit, insbesondere ihres geringen Eisen- und hohen Kieselsäuregehaltes, kaum verwendbar schienen. Mit diesen eisenarmen, sauren Erzen war bei dem damaligen Stand der Technik und, solange die Wirtschaftlichkeit des Hochofenverfahrens oberstes Gebot war, nur wenig anzufangen. Wegen des enormen Koksverbrauchs waren die Erzeugungskosten für Roheisen viel zu hoch.226 Erst ein Verfahren der Bergakademie Clausthal, die Schmelze unter Verwendung saurer Schlacken zu bewerkstelligen, schuf 1934 die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Verwertung. Trotzdem zeigte die Industrie nur wenig Interesse an einer Erschließung der Erzlagerstätten der Region um Salzgitter.227 Die seit 1933 konsequent verfolgte Aufrüstung, die spätestens 1936 die Größenordnung der anderen Großmächte erreicht hatte,228 kurbelte die Wirtschaft innerhalb kürzester Zeit derart an, dass sowohl Roh- als auch Treibstoffe fehlten.229 Stark gestiegene Rohstoffpreise und eine immer dünner werdende Devisenausstattung taten ein Übriges, um die Einfuhr aus dem Ausland zu erschweren. Das NS-Regime versuchte, der Versorgungskrise für seine Kriegsrüstung einerseits durch staatliche Kontingentierung von Metallen, andererseits – wie auch von der Reichswehr gefordert – für Zentralbereiche wie Treibstoff und Eisen durch Gewinnung ohne Rücksicht auf die Kosten und fern aller Wirtschaftlichkeit zu begegnen230

Am 9. September 1936 verkündete Hitler den „Vierjahresplan“, dessen Kern die Steigerung der Erzeugung von Eisen und Stahl, von synthetischem Treibstoff und Kautschuk (Buna) sowie von Zellwolle war.231 Die Abhängigkeit Deutschlands von der Einfuhr ausländischer Eisenerze war für Hitler besorgniserregend, so dass er mehr Engagement der Wirtschaft bei der Verwertung der deutschen eisenarmen Erze forderte.232 Nach dem Reichsparteitag im September 1936 übertrug Hitler Hermann Göring die Zuständigkeit für die Durchführung des Programms und erteilte ihm umfassende Befugnisse.233 Zu dessen Vierjahresplanbehörde gehörte das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe, in dem Paul Pleiger die Leitung des Hauptreferates Metalle erhielt. Pleiger war mittelständischer Unternehmer, Besitzer einer Maschinenfabrik in der Nähe von Sprockhövel, und war Gauwirtschaftsberater des Gaues Westfalen-Süd. Er verfocht die Idee, um jeden Preis die Lagerstätten um Salzgitter zu erschließen, notfalls auch durch ein Staatsunternehmen.234 Pleiger konnte Göring von seiner Idee zu überzeugen. Der verkündete daraufhin im Juni 1937 vor Vertretern der Eisenindustrie, „ein ganz großes Werk“ unter seinem Einfluss bauen zu lassen. „Es ist mir gleichgültig, ob das Werk dem Staat gehören soll oder ob es von Ihnen gebaut wird und dann Ihnen gehört. Es müssen die letzten Bedenken gegen die Förderung deutscher Erze fallen. Wir müssen es tun. […] Schon längst wäre es notwendig gewesen, die deutschen Erze zu fördern. Jetzt, in zwölfter Stunde muss es gemacht werden. Wo es nicht geschieht, nehmen wir Ihnen das Eisenerz ab und machen es selbst“.235

In fieberhafter Eile trieb Pleiger die Gründung der Gesellschaft voran. In einem Gespräch mit einem hohen Beamten des Reichsfinanzministeriums hatte Pleiger am 7. Juli 1937 vorgeklärt, dass das Ressort sich an dem Unternehmen mit zunächst 4,85 Millionen RM beteiligte und bei der Gründung als Treuhänderin des Reiches auftrat.236 Allerdings wartete Göring die schriftliche Zusage des Reichsfinanzministeriums über die Mittelbereitstellung nicht ab, gab Anweisung, die Reichsgesellschaft umgehend zu gründen, was am 15. Juli 1937 geschah. Pleiger erschien mit zwei Vorstandsmitgliedern der Deutschen Revisions- und Treuhand AG bei einem Berliner Notar und ließ den Gründungsakt der Reichswerke Aktiengesellschaft für Erzbergbau und Eisenhütten Hermann Göring vollziehen. Gegenstand der Firma sollte die Planung und Errichtung von Eisenhüttenwerken einschließlich aller Nebenbetriebe bergbaulicher und sonstiger Art sein. Die Gründer wählten den Aufsichtsrat in der von Göring bestimmten Besetzung und bestellten Pleiger zum Vorstand des Unternehmens.237 Bereits einen Tag nach Gründung der Reichswerke erhielt der amerikanische Architekt Brassert den Auftrag, drei komplette Eisenhüttenwerke zu entwerfen und auf deutschen Erzfeldern zu errichten. Die größte Hütte sollte in Salzgitter, die beiden anderen in Bayern und Baden gebaut werden. Die Aktivitäten der Reichswerke beschränkten sich zunächst aber auf den Raum Salzgitter. Das dortige Werk sollte in seiner ersten Ausbaustufe die Produktion von einer Million Tonnen Roheisen erreichen, mit der Option, die Kapazitäten bereits während der Bauzeit zu verdoppeln. Außerdem sollte die Anlage so geplant werden, dass die Möglichkeit der Erweiterung auf eine Erzeugung von vier Millionen Tonnen Roheisen bestand. Dies entsprach mehr als einem Viertel des im Deutschen Reich in 1937 produzierten Roheisens.

Daneben sahen die Planungen der Reichswerke vor, die Erzförderung im Salzgittergebiet in fünf bis sieben Jahren auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr zu bringen, also auf fast das Dreifache der 1936 im gesamten Reichsgebiet geförderten Erzmenge. In vier Bauphasen sollten bis 1945/​46 insgesamt 32 Hochöfen fertig gestellt werden.238 Am 7. November 1937 kam Göring nach Salzgitter, um selbst das Baugelände für die neue Hütte zu bestimmen. Sachverständige hatten dafür ein Gebiet in der Nähe des Dorfes Watenstedt ausgewählt. Innerhalb von zwei Jahren sollte in der Region, die bis dahin vorwiegend landwirtschaftlich genutzt wurde, der erste Hochofenabstich erfolgen. Unmittelbar darauf setzte der Zustrom der Arbeiter ein, die aus allen Teilen Deutschlands in das größte Aufbaugebiet des Reiches dirigiert wurden. Nahezu über Nacht veränderte sich der ländliche Charakter vieler Gemeinden im Großraum der heutigen Stadt Salzgitter. Damals lebten dort lediglich etwa 20.000 Menschen in rund 30 Dörfern auf einer Fläche von mehr als 200 km2.239

Mit dem Aufbau der Reichswerke Hermann Göring kamen in den Jahren 1937 bis 1945 deutsche Arbeiter aus den verschiedensten Gebieten des „Altreiches“, Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa sowie schließlich KZ-Häftlinge in die Stadt. Die Bevölkerung schoss sprunghaft in die Höhe. Bereits im Mai 1939 registrierten die Orte der späteren Stadt Salzgitter 45.598 Personen, darunter 20.000 Ausländer.240 Am 1. April 1942 wurde die Stadt Salzgitter-Watenstedt als Zusammenschluss von sieben Ortschaften des ehemaligen preußischen Kreises Goslar und 21 des braunschweigischen Kreises Wolfenbüttel gegründet; schon im Juni 1942 zählte sie 108.480 Einwohner. Mehr als 1/​3 waren Ausländer, zumeist in Barackenlagern untergebracht. Die Reichswerke hatten 52 und die angeschlossenen Stahlwerke Braunschweig 14 solcher Lager eingerichtet. Zudem unterhielten die Baufirmen des Salzgittergebietes weitere 70 Gefangenenlager.241 Anfang März 1942 beschäftigten allein die Betriebsabteilungen der Reichswerke AG im Salzgitter-Gebiet über 43.000 Arbeitskräfte, darunter 29.000 Ausländer; 15.000 von ihnen waren beim Bau und ca. 14.000 in der Produktion tätig.242 Allerdings nahm der Arbeitskräfte-Bedarf weiter zu und veranlasste die Reichswerke Salzgitter zusätzlich zu ihren Heerscharen von Zwangsarbeitern Häftlinge aus Konzentrationslagern zu rekrutieren. Einen ersten Vorstoß, KZ-Gefangene in den Werken zu beschäftigen, hatte der Rüstungskonzern bereits im Frühjahr 1941 unternommen, doch Sicherheitsbedenken seitens des NS-Staates hatten ihn davon Abstand nehmen lassen.243

Im September 1942 legten Rüstungsminister Speer und Oswald Pohl, Leiter des im März 1942 eingerichteten SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, die Grundlagen für den Häftlingseinsatz in der Rüstungsproduktion fest. Nicht die Industrie hatte ihre Betriebe in die KZ-Lager zu verlegen, sondern die SS hatte Häftlinge abzustellen und bei den Rüstungswerken Unterkünfte zu errichten.244 Die ersten Außenlager des KZ Neuengamme gründete die SS Ende August 1942 in Wittenberge und Anfang Oktober 1942 eben in Watenstedt-Salzgitter. Ab Sommer 1942 wurde in den Werken auch Munition hergestellt. Die gesundheitsschädliche und gefährliche Schwerstarbeit mutete man überwiegend KZ-Insassen zu; der Grundstein des Außenkommandos „Drütte“ war gelegt. Bald darauf entstanden weitere Lager in „Leinde“ (Stahlwerke Braunschweig GmbH) und „Salzgitter“ (AG für Bergbau und Hüttenbedarf). Diese drei betriebseigenen KZ-Außenkommandos unterstanden dem KZ Neuengamme bei Hamburg. Im November 1942 befanden sich 250 KZ-Häftlinge als Vorkommando in „Drütte“, im März 1943 waren es bereits etwa 1.200 und im Juni 1943 etwa 1.800. Im Juni 1944 zählte das Lager 2.550 KZ-Gefangene, bis September 1944 waren es 2.700.245 Ende 1944 belief sich die Zahl der Lagerinsassen der drei Außenkommandos im Salzgitter-Gebiet auf 6.289 : 1.063 Häftlinge wurden in der Produktion der Erzbergbau Salzgitter GmbH gequält, 473 bei der AG für Bergbau- und Hüttenbedarf und 2.390 bei der Stahlwerke Braunschweig GmbH. Weitere 2.860 verrichteten in der Paul-Pleiger-Hütte (ehemals Hütte Braunschweig) Zwangsarbeit.246


Blick auf die Hermann-Göring-Werke, im Vordergrund das KZ-Außenkommando Drütte (NARA)

Nur knapp ein Jahr nach Gründung der Reichswerke expandierten sie über die Grenzen der Stadt hinaus in die Region. Gleichzeitig eröffnete der „Anschluss“, die Annexion Österreichs dem Unternehmen die Möglichkeit, dort Eisenerzvorkommen sowie österreichische Maschinenbau- und Montangesellschaften zu übernehmen. Auch im „Altreich“ gingen die Hermann-Göring-Werke daran, sich mit unglaublicher Schnelligkeit Firmen einzuverleiben.247 So die renommierte Rheinmetall-Borsig AG mit ihren Werken in Düsseldorf, Sömmerda und Apolda.248 Anfangs sah Pleiger in dieser Expansion die Möglichkeit, den Reichswerken Absatzmärkte zu eröffnen. Sein Bestreben galt Firmen anzugliedern, die über gute Voraussetzungen für die Weiterverarbeitung von Stahl aus den Reichswerken verfügten. Zugleich wollte er mit gewinnbringenden Unternehmen einen Teil der während der Aufbauzeit in Salzgitter absehbaren Verluste ausgleichen. Damit verfolgte Pleiger rein wirtschaftliche Ziele, im Gegensatz zu Göring, der schnell Geschmack an der Ausweitung des unter seinem Namen firmierenden Konzerns gefunden hatte.

Der Expansionskurs führte dazu, dass die Reichswerke bald gigantische Ausmaße annahmen. Nach einer Aufstellung des RWM zählten 1944 zu dem von Pleiger geleiteten Montanblock Hermann-Göring-Werke 228 Firmen.249 Bis März 1941 war das erst im Sommer 1937 gegründete Retorten-Unternehmen weltweit zur wohl größten Konzentration industrieller Macht angewachsen. Ein monströses Gebilde, das über mehr als 2,5 Milliarden RM Kapital verfügte und ca. 600.000 Beschäftigte kontrollierte. Damit waren die Reichswerke Hermann Göring größer als die beiden führenden privatindustriellen Unternehmen zusammen, die I.G. Farbenindustrie und die Vereinigten Stahlwerke (Stahlverein).250 Im Salzgittergebiet nahmen die Reichswerke eine ebenso rasante Entwicklung. Die Braunschweiger Hütte (ab November 1944 in „Paul-Pleiger-Hütte“ umbenannt) nahm im Oktober 1939 ihren Betrieb auf. Sieben Monate später erzeugte das Kraftwerk der Hütte den ersten Strom, einen Monat später arbeitete die erste Kokereibatterie und im August 1940 wurde der erste Thomas-Stahl erzeugt. In den folgenden Monaten setzten die Reichswerke weitere Produktionsstätten in Gang. Von den in Salzgitter geplanten 32 Hochöfen waren im Frühjahr 1945 zwölf realisiert, vier weitere im Bau. Es arbeiteten außerdem drei Tagebau- und fünf Tiefbaubetriebe, drei Aufbereitungsanlagen, zwei Kokereien, ein Kraftwerk, ein Thomas-, ein Siemens-Martin- und ein Elektrostahlwerk sowie ein Walzwerk.251 Zur Bearbeitung des Walzstahls aus dem Hüttenwerk war ein weiterer, ebenso überdimensionierter Unternehmenskomplex angeschlossen. Er erstreckte sich auf sieben Kilometern Länge und vier Kilometern Breite zwischen den Ortschaften Barum, Watenstedt, Heerte und Immendorf.

Die Stahlwerke Braunschweig GmbH war eine gemeinsame Gründung der Reichswerke und des OKH vom 23. August 1939. Noch inmitten der Bauphase wurden im November 1940 die ersten Hallengerüste mit Planen abgedeckt, um die Bombenproduktion aufzunehmen. Weiter stellten die Stahlwerke Abwurf- und Geschossmunition her, später auch Flak- und Pak-Rohteile, Rohlinge von Gleisketten und Geschützrohren für Kampfwagen.252 Die Produktion erreichte 1944 mit einem Monatsdurchschnitt ca. 450.000 Granaten unterschiedlicher Kaliber ihren Höchststand. Zudem verließen monatlich bis zu 100.000 Bomben und 750 Tonnen Geschützrohre die Hallen der Stahlwerke Braunschweig. Im Sommer 1942 begann auch die Hütte Braunschweig mit dem Bau eines größeren Munitionsbetriebes; seit 1944 lieferte er monatlich 300.000 bis 350.000 Flak-Granaten. In ihrer Hauptwerkstatt betrieb die Hütte zudem die Produktion von Granatenrohlingen und Bomben. Die zum Konzern gehörende AG für Bergbau und Hüttenbedarf erledigte ebenfalls Rüstungsaufträge.253

Gegen Kriegsende hatte im WASAG-Werk Reinsdorf bei Wittenberg der auf Raketenantriebe spezialisierte Sprengstoffchemiker Dr. Erich von Holt neuartige Geräte zur Abwehr feindlicher Bombern und Handgranaten entwickelt, die Ersatzsprengstoffe verwendeten. Allerdings hatte er sie nicht an den Mann bringen können, bis es ihm Anfang September 1944 gelang, Heinrich Himmler dafür zu begeistern. Unter Umgehung des Dienstweges stellte er den Kontakt zu Paul Pleiger, dem Vorsitzenden der Reichswerke AG, her. Am 18. und 19. Oktober 1944 besichtigte Holt mit Pleiger „sämtliche Bearbeitungswerkstätten im Salzgittergebiet“. Ohne Rückendeckung durch Speer – wohl auch ohne seine Kenntnis – machte Pleiger bei der Besprechung im Oktober 1944 bereits konkrete Zusagen, die neuen Waffengattungen in die Produktpalette aufzunehmen. Er bestimmte, unabhängig der fehlenden ‚Dringlichkeitseinstufung‘ unverzüglich die Herstellung der neuartigen Linsen-Handgranate (100.000 Stück) und 8-cm-Streuwerfer (100 Stück) bei den Reichswerken aufzunehmen. Unteraufträge gingen an die Stahlwerke Braunschweig (21-cm-Geier inklusive 5,5-cm-Munition, 10-cm „Tornado“ und 3-cm-Sprenggranaten „Windkanal“ mit Antriebsteil und Leitwerk) sowie die Hütte Braunschweig.254 Mit seinem eigenmächtigen entschlossenen Handeln könnte Pleiger versucht haben, ein Abwandern von Technologie vor allem in die seit Ende 1943 in Nordthüringen entstehenden Forschungseinrichtungen und Verlagerungsbetriebe zu verhindern; durch sie drohte die Salzgitterregion ins Hintertreffen zu geraten.

Luftbild der Hermann-Göring-Werke in Salzgitter (NARA)

Das Ausbleiben eines rüstungskonjunkturellen Aufschwungs in Nordthüringen

Die Situation im Regierungsbezirk Erfurt

Mit etwa 40.000 Einwohnern stellte Nordhausen das wirtschaftliche Zentrum des mit 150.000 Menschen dünn besiedelten Südharzes dar. Trotz Fortschritten in der Industrieentwicklung seit Beginn des Jahrhunderts waren die einheimischen Betriebe dem Konkurrenzdruck Ende der 1920er Jahre nicht gewachsen. In erster Linie betroffen waren der Maschinen- und Apparatebau; er erholte sich erst nach 1935, entwickelte sich in der Folge überproportional und avancierte sogar zur führenden Branche. Die Arbeitslosenzahl lag in Nordhausen in den Jahren 1927/​1928 wesentlich über der der Krisenjahre 1920/​1921; die Quote war von 1920/​21 bis 1927/​1928 um mehr als 350 % gestiegen.1 Im Umland von Nordhausen waren die Verhältnisse noch gravierender. Insbesondere der monostrukturell auf die Kaliindustrie ausgerichtete Nachbarlandkreis Worbis hatte unter Werksschließungen zu leiden. Den Anfang machte die Schachtanlage Neu-Sollstedt im Juni 1924. Massenentlassungen auch andernorts. Im Januar 1930 kündigten die Kaliwerke Bernterode, Neu-Bleicherode und Bischofferode ihren 241 Beschäftigten. Am 7. März 1931 kam die Förderung in Bernterode, am 11. Januar 1932 in Sollstedt zum Erliegen.2 Von den 32 Arbeitsämtern Mitteldeutschlands rangierte das Obereichsfeld mit 9.000 Arbeitslosen im Jahr 1933 an vorderster Stelle. In dieser Zahl spiegelt sich auch die besondere Strukturschwäche der Region. Zu einem Teil handelte es sich um Wanderarbeiter, die seit Generationen ihren Lohn in der Fremde verdienten und nur in den Wintermonaten ins Eichsfeld zurückkehrten.3 Die kärglichen Existenzbedingungen des Obereichsfeldes führten dazu, dass von 1933 bis 1939 etwa 7.000 Personen allein von dort in das industriereichere östliche (Jena, Pößneck, Saalfeld) und westliche Mittelthüringen (Erfurt, Weimar, Apolda) abwanderten. Neue Industrie-Ansiedlungen im Maschinen- und Fahrzeugbau, der elektrotechnischen Industrie und der Elektroporzellanherstellung zogen die Migranten an.4

Der Südharz war wirtschaftlich zunächst kaum von der Aufrüstungspolitik betroffen, bis auf die Einrichtung unterirdischer Heeresmunitionsanstalten in den stillgelegten Kaliwerken von Bernterode bis Sondershausen, die das NS-Regime von Beginn an forcierte. Selbst nach 1935, als sich erste Folgen der Rüstungspolitik in Nordhausen und Umgebung bemerkbar machten, änderte sich an der Gesamtwirtschaftslage der Region nur wenig, trotz des Bemühens der nordthüringischen Kommunen und Behörden seit Mitte der 1930er Jahre um Betriebsansiedlung. Von einem grundlegenden Strukturwandel von Anfang an, wie er in weiten Teilen des Gaues Südhannover-Braunschweig und in den thüringischen Industriestandorten Suhl, Zella-Mehlis, Jena, Eisenach, Gotha, Weimar und Erfurt sowie Altenburg ansatzweise eintrat, konnte in Nordthüringen bis in die ersten Kriegsjahre hinein keine Rede sein. Selbst massive dirigistische staatliche Eingriffe, die allein in den Jahren 1934/​1935 Rüstungsaufträge im Wert von 11,397 Millionen RM nach Thüringen brachten, änderten an der Wirtschaftslage der nordthüringischen Kommunen wenig.5 Gleichwohl führten ab 1935 verstärkte Rüstungsaufträge zu Verschiebungen in der regionalen Gewerbestruktur der Stadt Nordhausen und ihres Umlandes. Besonders profitierten davon der Maschinen- und Apparatebau. Die Nordhäuser Firma Schmidt, Kranz & Co. produzierte Zünder und versorgte damit die umliegenden Heeresmunitionsanstalten.6

Die Maschinenbau & Bahnbedarf AG stellte seit 1940 Bauteile für Nebelwerfer her; bald dehnte sie ihre Produktionspalette auf Panzermotoren aus.7 Die in Nordhausen ansässigen Federnwerke Dannert und die Ewald Busse GmbH in Ellrich arbeiteten ebenfalls für die Rüstungsindustrie. Bei der Firma Lindner & Co. in Jecha-Sondershausen entstanden Sicherungen, Schalter, Steckdosen und Isolatoren für den Kasernenbau.8 Zulieferer für die Luftwaffe waren die Firmen Heinrich Engers in Nordhausen sowie Brunnquell & Co. in Sondershausen, die Geräte zur Radarabwehr und Triebwerke für Düsenjäger herstellte. Spätestens ab Frühjahr 1944 bestanden enge Verbindungen zum Junkers-Verlagerungsbetrieb in Langensalza (Langenwerke AG), für den das Unternehmen Tragflächenteile herstellte.9 Die Technischen Werkstätten Lange & Weinhold in Bleicherode produzierten Teile für Nachrichtengeräte, unter anderem Sprechkapseln für Telefone.10 Für Armeebekleidung sorgten die Strumpfwarenfabrik Gebrüder Rhode in Heiligenstadt und die Spinnerei Kämper in Dingelstedt.11 Die Bleicheröder Näherei Wernicke & Schwarzmann fertigte Kartuschbeutel für Artilleriemunition.12

Anders als im Oberharz, wo mit Staatsmitteln eine Vielzahl von Sprengstoffwerken entstanden und wirtschaftlich zur tragenden Stütze geworden waren, konnte sich die chemische Industrie in Nordthüringen nicht etablieren. Dies entsprach der landesweiten Entwicklung.13 Zwar wurde 1937 die Ansiedlung einer Hexogenanlage in der Umgebung von Nordhausen in Erwägung gezogen und das 30.000 qm große Fabrikgrundstück der seit 1931 brach liegenden Gipshütte bei Ellrich-Juliushütte als möglicher Standort in die Diskussion eingebracht, doch diese Planungen wurden nicht weiter verfolgt.14 Statt dessen wurden die Gebäude im Mai 1944 Teil des neu gegründeten „Arbeitslagers Erich“ und dienten als KZ, dessen Häftlingen ab Frühjahr 1944 auf den Baustellen B 3, B 11 und B 12 bei Woffleben und Niedersachswerfen beim Ausbrechen von Stollen geschunden wurden.15 Der einzige Chemiebetrieb um Nordhausen war bei ‚Schacht I‘ des Kaliwerkes Glückauf-Sondershausen der Wintershall AG verwirklicht.16 In Verbindung zu der älteren Mischdüngerfabrik, die während des Krieges Primär-Stickstoff als Vorprodukt für Sprengstoffe und Vernebelungsmasse liefern sollte,17 hatte die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft ein Werk zur Herstellung von hochkonzentrierter Salpetersäure (HOKO) errichtet. Die Wifo hatte es mit Staatsmitteln finanziert, die Wintershall AG betrieb es im Auftrag des Staatskonzerns.18 Das Grundstück hatte die Wifo schon im Jahr 1937 erworben und offenbar noch im selben Jahr mit dem Bau begonnen.19 Ende September 1939 erteilte das Thüringische Wirtschaftsministerium die endgültige „Genehmigung zur Inbetriebnahme der dem Reich gehörenden H.K.-Anlage“.20

Die lückenhaft erhaltenen Unterlagen der Wintershall AG berechtigen zur Annahme, dass die Bauphase des Werks spätestens im zweiten Quartal 1940 abgeschlossen war. Am 25. Juni 1940 orderte die I.G. Farbenindustrie bei der Wifo Sondershausen für den Folgemonat 2.500 t Salpetersäure zur Versorgung ihrer WASAG-Werke Reinsdorf und Elsnig sowie der Verwertchemie Hessisch-Lichtenau und Nobel in Uckermünde.21 Die Produktion dürfte daher zu diesem Zeitpunkt bereits in Gang gewesen sein. Die Sondershäuser Salpetersäureanlage war im Vergleich zum ‚Schwesterwerk‘ in Langelsheim eher klein ausgelegt, und es bestanden nur geringe Lagerkapazitäten, so dass ein zügiger An- und Abtransport erforderlich war. Wegen zerstörter Eisenbahnlinien und fehlender Kesselwagen bereitete das insbesondere seit 1944 größte Schwierigkeiten.22 Für die laufende Produktion konnte die Wifo nur 200 t Oleum und 700 t Ammoniak vorhalten. Die Zwischenlagerung der fertigen Salpetersäure konnte nur 1.700 t aufnehmen.23

Im April 1944 beschäftigte die Wifo Sondershausen 40 deutsche Arbeitskräfte, 25 Ostarbeiter, fünf Franzosen, zwei Polen und einen Tschechen. Sie stellten im Monatsdurchschnitt etwa 2.500 bis 3.000 t hochkonzentrierte Salpetersäure her, die überwiegend an die Verwertchemie in Hessisch Lichtenau gingen.24 Die nordthüringische Produktionsstätte wurde 1945/​46 von einer russischen Spezialeinheit demontiert und nach Russland abtransportiert.25 Am 5. August 1948 teilte der Treuhänder für die Wifo-Außenstelle Niedersachswerfen dem Finanzamt Sondershausen mit, dass er bei einer Besichtigung der Anlage festgestellt habe, „dass die vorhandenen Gebäude vom Russen restlos demontiert und vollständig ausgebaut“ worden seien und die vorhandenen Hallen nur noch zum Abbau der Brandsteine zu verwerten seien. Aus Mangel an Vermögenswerten habe sich daher die Erstellung einer Bilanz erübrigt.26

Die Wifo, in der Region auch durch ihr Treibstofflager im Kohnstein, dem späteren „Raketenberg“ implantiert, nahm im März 1940 die Errichtung einer Schwefelgewinnungsanlage im benachbarten Niedersachswerfen in Angriff. Nach den ursprünglichen Planungen sollte sie im Herbst 1941 in Betrieb gehen. Aber die Verfahrenstechnik industrieller Herstellung war unausgereift, so dass in den folgenden Jahren umfangreiche Änderungen vorgenommen werden mussten. „Trotz großen Aufwandes an Zeit und Geld blieb man in der Weiterentwicklung vollkommen stecken“. Bis Kriegsende ließen sich die Konstruktionsfehler nicht beheben, so dass eine Aufnahme der Produktion nicht stattfand.27 In den von den Sowjets geräumten Hallen ließ sich 1950 der VEB Kältetechnik Niedersachswerfen nieder. Der Betrieb stellte dort bis 1990 Eismaschinen und Kühlschränke her.28

Im 30 Kilometer entfernten Mühlhausen zeigte sich ein etwas differenzierteres Bild. Bis Ende 1943 war annähernd die Hälfte der Erwerbstätigen in alteingesessenen Betrieben der Textil- und Kammgarnindustrie tätig; erst mit der Verlagerung der Rüstungsindustrie gegen Kriegsende wurden diese Werke schonungslos konfisziert, um Platz für „kriegswichtige Fertigungen“ zu schaffen, insbesondere für Ausrüster der Luftwaffe. Die wenigen metallverarbeitenden Unternehmen vor Ort hatten sich schon frühzeitig mit Erfolg um Rüstungsaufträge bemüht. Die Gebrüder Franke KG stellte unter anderem Patronenrahmen, Maschinengewehrgurte und Panzerteile her, aber auch Krankentragen sowie Fahrrad- und Motorradsättel.29 Ebenso war es der Firma Walter & Co. gelungen, staatliche Aufträge einzuwerben. Erste Rüstungsgüter, Teile für die Flugzeugindustrie und Schwingen für Geländewagen wurden bereits im Jahr 1936 ausgeliefert.30

Wenige Monate später erhielt Walter & Co. vom RLM einen weiteren Großauftrag, für den die vorhandenen Kapazitäten nicht ausreichten. Um ihn dennoch ausführen zu können, gründete die Firma mit finanzieller Unterstützung des Reiches ein Tochterunternehmen unter gleichem Namen und brachte es in den stillgelegten Fabrikräumen der Firma Christoph Walter in Beyrode unter.31 Der neugegründete Zweigbetrieb stellte Maschinengewehre und MG-Zubehörteile her.32 Nach einer grundlegenden Modernisierung des Maschinenparks wurde die Mühlhäuser Muttergesellschaft Walter & Co. mit weiteren Aufträgen bedacht und produzierte vorwiegend Justierlagerungen, Bombenträger, Sporne, Abwurfgeräte für Flugzeuge und andere Einzelteile für die Luftwaffe, Granatwerfer sowie Geschützrohre unterschiedlicher Kaliber.33

Die Claes & Co. KG führte ebenfalls Rüstungslieferungen aus, wenn auch in geringerem Umfang. Der Betrieb fertigte Schwenklager für Zieleinrichtungen, Schlossgehäuse und mechanische Getriebe für Funkgeräte.34 Zudem war das holzverarbeitende Gewerbe zumindest mittelbar in die Rüstungsproduktion eingespannt. Die Möbelfabrik Kleeberg und die Holzbearbeitungsfabrik Conrad Haberstolz stellten Pulver- und Munitionskisten her.35

Darüber hinaus ist schon in der Anfangsphase des NS-Regimes die Ansiedlung zweier Großbetriebe zu verzeichnen; einerseits der Gerätebau GmbH im Mühlhäuser Stadtwald, eine Zweigstelle des Zünderproduzenten Thiel,36 andererseits einer Zweigniederlassung der Berliner Lorenz AG.37 Beide Betriebe gehörten neben Rheinmetall in Sömmerda bis Sommer 1943 mit zu den wichtigsten Rüstungsunternehmen Nordthüringens. Gesamtwirtschaftlich hatten die vorstehend genannten Unternehmen zwar von der reichsweiten Aufrüstungspolitik profitiert,38 jedoch hatten sie die sich daraus ergebende Möglichkeit weiterer Konsolidierung durch die Aufstockung ihrer Produktionskapazitäten nicht konsequent genutzt. Ein Grund für das Ausbleiben kostenintensiver Modernisierungsmaßnahmen mag darin gelegen haben, dass wegen unzureichender Spezialisierung der dortigen Unternehmen nur sekundäre Zulieferaufträge an sie gingen, die genauso gut an andere Firmen vergeben werden konnten. Die Ausnahme bildeten einzig Rheinmetall und Selkado. Auch die Infrastruktur bot sowohl Privatwirtschaft als auch Großkonzernen nur geringen Anreiz, in den Aufbau neuer Werke zu investieren. So blieb es bei der Ansiedlung einiger weniger mit Staatsmitteln geförderter Rüstungsfabriken. Zusätzliche wirtschaftliche Impulse gingen hiervon indes nicht aus.

Eine andere Situation innerhalb des Regierungsbezirkes zeigte lediglich die Stadt Erfurt. Zu den angestammten Großbetrieben wie der Erfurter Maschinen- und Werkzeugfabrik Berthold Geipel GmbH (Erma),39 der Olympia Büromaschinenwerke AG40 und der Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. AG41 gesellten sich ab 1935 neue rüstungsspezifische Industriebetriebe. So die von Berthold Geipel mit finanzieller Unterstützung des Heereswaffenamtes gegründete Feinmechanische Werke GmbH Erfurt (Feima).42 Auch die Berliner Telefunken GmbH hatte eine Zweigniederlassung errichtet. Am Nordrand der Stadt, auf dem Werksgelände der ehemaligen Lokomotivfabrik Hagans, siedelte sich die auf die Instandsetzung von Flugzeugen spezialisierte Reparaturwerk Erfurt GmbH an.43 Weiter führten die Erfurter Pumpen- und Flugzeugfabrik Otto Schwade & Co., die Metallwarenfabrik Friedrich Stübgen & Co., die Gebrüder Haller GmbH, die Friedrich Linde Stanzwerkzeuge und Metallwarenfabrik sowie die Eisengießerei Grail & Bischleb und andere Unternehmen der Stadt Rüstungsaufträge aus.44

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23 aralık 2023
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9783959660037
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