Kitabı oku: «Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945», sayfa 7

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Zufahrt zum Duderstädter Polte-Werk, im Hintergrund die Feuerwache, 1992 (Sammlung Baranowski)

Im Herbst 1938 bekundete Polte Interesse an der Ansiedlung eines weiteren Rüstungsbetriebes in der Umgebung und hatte sich dabei für Duderstadt entschieden, nachdem Verhandlungen mit der Stadt Clausthal-Zellerfeld im Harz gescheitert waren.37 Anfang Januar 1939 verlangte das RLM die Einreichung prüfungsfähiger Bauunterlagen für das Duderstädter Werk.38 Anfang April 1939 kam der Rüstungslieferant der Forderung nach und legte seinen Planungsentwurf vor. Für die Auftragserteilung setzte Polte dem RLM eine Frist bis zum 1. Juli 1939.39 Die Konzeption überzeugte und der Magdeburger Rüstungsproduzent erhielt am 23. Juni 1939 die Genehmigung, mit dem Bau der Fabrik auf Staatskosten zu beginnen.40 Noch bevor diese Entscheidung gefallen war, hatte die Stadt Duderstadt auf ihre Kosten die Stichstraße „Am Euzenberg“ zum vorgesehenen Fabrikgelände anlegen lassen.41 Im Januar 1940, als die Bauarbeiten bereits im vollen Gange waren, kam die Idee einer Erweiterung des Werkes auf. Der überarbeitete Planungsentwurf vom April 1940 sah den Bau einer weiteren Füllstelle und einer zweiten Produktionseinheit für Geschosse, Hülsen sowie Zünder vor.42 Nur wenige Wochen später verwarf die Luftwaffe die Ausbaupläne und Polte erhielt die Weisung, die Arbeiten im ursprünglich vorgesehenen Umfang zum Abschluss zu bringen.43 Im Frühjahr 1941 verließen die ersten Chargen 2-cm-Geschosse das Duderstädter Werk, doch bald kam es wegen fehlender Arbeitskräfte immer wieder zu Produktionsengpässen. Der Betrieb brachte es nur selten auf die vom Rüstungskommando geforderten Mengen.44


Luftbild der teilzerstörten Abfüllstation des Polte-Werkes, 1950er Jahre

(Sammlung Baranowski)


Vor den Toren des Polte-Werkes, das „Wohnlager Am Euzenberg“, 1941

(Sammlung Baranowski)

Ab 1941 griff Polte Duderstadt vermehrt und im stetig steigendem Umfang auf zwangsrekrutierte Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zurück, die zunächst in acht Holzbaracken unmittelbar vor den Werkstoren einquartiert waren.45 Im Frühsommer 1942 setzte der Rüstungsproduzent sich mit seiner Forderung nach dem Bau eines Barackenlagers für 600 bis 800 Fremdarbeiter und Kriegsgefangene auf dem Fußballplatz „Am Westerborn“ durch.46 Am 27. Juli 1942 unterrichtete das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion die Stadt, „dass in den nächsten Tagen mit den Arbeiten zur Errichtung des Lagers für ausländische Arbeitskräfte der Firma Polte auf dem Fußballspielplatz in Duderstadt begonnen wird. […] Das ganze Lager, abgesehen von den Teilen, die mit Kriegsgefangenen belegt werden, wird durch einen 1,50 m hohen Lattenzaun mit darüber waagerecht gezogenen Stacheldraht, insgesamt 2 m hoch, umgeben“.47 Nach Bezugsfähigkeit der Baracken löste Polte die bisherigen Unterkünfte vor dem Werksgelände auf und verlegte die Insassen in das neu geschaffene Lager. Zusätzlich hatte Polte Räumlichkeiten im Gebäude der Möbelfabrik Steinhoff angemietet und darin weitere ausländische Arbeitskräfte, offenbar nur Frauen, untergebracht.48 Ende Dezember 1943 standen 2.424 Personen im Dienst des Rüstungsproduzenten, am 31. Januar 1944 waren es 2.487, dann sank die Zahl zum 30. Juni 1944 geringfügig auf 2.277.49 Im Frühjahr 1944 lag der Ausländeranteil bei etwa 40 %.50


Blick auf das KZ-Außenkommando, im Hintergrund der Rüstungsbetrieb Polte

(IWM London)

Doch Einberufungen zur Wehrmacht entzogen dem Betrieb weitere deutsche Arbeitskräfte. Mitte 1944 entschied die Magdeburger Konzernleitung, auch in ihrer Duderstädter Niederlassung KZ-Häftlinge zu beschäftigen, wie zu ihrer Zufriedenheit in anderen Zweigwerken praktiziert.51 Am 24. Oktober 1944 reichte der Polte den Bauantrag für „die Errichtung eines Zaunes um das KZ-Außenlager“ beim Bauamt der Stadt Duderstadt ein.52 Nach einer ärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung stellte die SS Ende Oktober 1944 in Bergen-Belsen einen Transport von 750 ungarischen Jüdinnen zusammen, der am 4. November 1944 in Duderstadt eintraf. Viele der Frauen trugen nur dünne Sommerbekleidung und Schuhwerk, das schlimme Wunden an den Füßen verursachte.53 „Unsere Bekleidung bestand aus Fetzen, anstatt Schuhe hatten wir Holzpantoffeln ohne Strümpfe“.54 Zum Außenkommando gehörten zwei Unterkunfts- und eine Waschbaracke, die in unmittelbarer Nähe des Rüstungsbetriebes auf dem Gelände der ehemaligen Möbelfabrik Steinhoff Aufstellung fanden.55 Nach den Erfahrungen in Auschwitz empfanden die Frauen die Bedingungen in Duderstadt erträglicher, obwohl sich an der lagermäßigen Unterbringung nichts geändert hatte. Zwar gab es keine Gaskammern, doch es bestand weiterhin die Gefahr, im Krankheitsfalle ins Stammlager nach Buchenwald zurückgeführt zu werden, was einem Todesurteil gleichkam.56


Aufseherinnen auf dem Gelände des KZ-Außenkommandos der Polte-Werke, 1944/​45

(Sammlung Baranowski)

Die Arbeit bei Polte wird von den Insassen übereinstimmend als schwer und kräftezehrend bezeichnet. „Ich arbeitete in einer Waffenfabrik, zwölf Stunden, abwechselnd bald tags, bald nachts. Die Arbeit war sehr schwer und erschöpfend“.57 Eine andere Ungarin erinnert sich: „Ich kam zur schwersten Arbeit. Wir mussten mit Eisen gefüllte zentnerschwere Kisten heben“.58 Auch Jolan Reich bestätigt: „Es herrschte Strenge, frühes Aufstehen, wir schleppten Kisten, und sie waren so streng, dass sie uns für den kleinsten Fehler mit dem Tod drohten“.59 Soweit bekannt ist, verstarben vier weibliche Häftlinge in den ersten beiden Monaten ihrer Gefangenschaft im Duderstädter Außenkommando. Ihre Beisetzung fand auf dem jüdischen Friedhof am Gänseweg statt.60 Am 25. Januar 1945 wurde eine der Frauen mit ihrem in Duderstadt zur Welt gebrachten Kind selektiert und nach Bergen-Belsen geschafft. Als ‚Ersatz‘ und zur Wiederherstellung der bisherigen Kopfzahl wurden dem Duderstädter Rüstungsbetrieb am 28. Januar 1945 fünf Frauen aus Bergen-Belsen zugewiesen.61 Anfang März 1945 kam die Produktion bei Polte fast vollständig zum Erliegen. Es bestand kaum noch eine Notwendigkeit, auf die Arbeitskraft der früher unverzichtbaren Häftlingsarbeit zurückzugreifen. Am 4. März 1945 waren 35 und am 11. März nur noch 16 der vormals 750 Frauen im Betrieb eingesetzt. Mitte März 1945 rechnete die SS die bis dahin erbrachten Arbeitsstunden ab, was darauf hindeutet, dass das werkseigene Außenkommando bereits zu dem Zeitpunkt aufgelöst werden sollte.62

Als die amerikanischen Truppen dem Harz näher rückten, transportierte die SS am 5. April 1945 die KZ-Häftlinge in einer ‚Blitzaktion‘ mit Bussen und LKWs nach Seesen.63 Von dort wurden sie in geschlossenen Eisenbahnwaggons, aus denen sie nur für seltene Pausen herausgelassen wurden, in Richtung Theresienstadt transportiert. Die Fahrtroute führte über Magdeburg, Dessau, Wolfen, Leipzig und Dresden. Am 21. April 1945 erreichten die Frauen völlig entkräftet und ausgehungert Lobositz, wo sie Ziel eines Tieffliegerangriffs wurden. Wie viele von ihnen ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Am 26. April 1945, nach fast dreiwöchiger Irrfahrt, trafen die Häftlinge des aufgelösten Duderstädter Außenkommandos in Theresienstadt ein. Am 9. Mai befreite die Rote Armee das Lager, das bereits am 2. Mai 1945 vom Internationalen Roten Kreuz übernommen worden war.64

Die Mühlenbau KG in Bad Lauterberg war wie Polte in Duderstadt ein metallverarbeitender Betrieb, der ab 1943 Teile für die A4-Rakete wie Halterungen und Gerätekreuze in den Kohnstein lieferte,65 aber auch 20-l-Benzinkanister herstellte. Ende 1944 beschäftigte der Betrieb 344 Personen.66 Die Hermann Weule Maschinenfabrik & Eisengießerei in Goslar arbeitete ebenfalls als Zulieferer der Heeresversuchsanstalt Peenemünde; sie erscheint erstmalig im April 1943 in einer Aufstellung über die Betriebe, „die mit der Herstellung des Gerätes A4 beschäftigt“ waren. Was die Firma genau herstellte, ist aus dem Dokument nicht ersichtlich, jedoch setzte sie ihre Tätigkeit auch für die unterirdische Produktionsstätte im ‚Raketenberg‘ bei Nordhausen fort.67

Die Arnold & Stolzenberg KG (Juliusmühle) bei Einbeck stellte Ketten und Kettenräder, zugleich Einzelteile für das Luftwaffenprogramm her.68 Die ebenfalls in Einbeck ansässige Fahrradfabrik Karl Heidemann lieferte Teile für Maschinengewehre, 2-cm-Sprenggranaten und Zündschrauben des Typs C12. Und in größerer Stückzahl verließen Infanteriekarren diese Fabrik.69 Das Ruwowerk Dassel war auf dem gleichen Gebiet tätig, es führte ab 1936 erste Rüstungsaufträge aus; ab 1939 spezialisierte es sich auf Maschinengewehrteile, insbesondere auf Feuerdämpfer und die Ummantelungen der Läufe. Gegen Ende des Krieges war offenbar die Herstellung von Teilen für V-Waffen geplant, aber dazu kam es nicht mehr.70 Die Eisenhütte Dassel und das Zweigwerk Zorge der Bergbau Lothringen AG hatten mit der Produktion von Werfergranaten ihr Tun.71 In Zorge stellte man unter anderem Maschinenguss für die Nordhäuser Maschinenbau und Bahnbedarf AG her. Die Lothringen AG hatte sich überhaupt auf den Guss von Motoren-Zylindern für die LKW-Industrie spezialisiert und erhielt daher im Herbst 1944 einen Großauftrag zur Bearbeitung der Zylinderköpfe des 4,5 t Büssing-Lastwagen.72 Ebenso führte die Herzberger Eisen- und Stahlgießerei Pleißner wichtige Rüstungsaufträge aus und belieferte die Wehrmacht mit Feldhaubitzgranaten, Nebelwerfern und Kettenantriebsgehäusen des Panzerkampfwagens „Tiger“.73


Die Lauterberger Mühlenbau KG „Miag“ (Foto Lindenberg)

Im Oktober 1934 erwarb die Harkort-Eicken-Stahl GmbH, ein Tochterunternehmen der Dortmunder Hoesch AG, die im Juli 1912 stillgelegte Silberhütte St. Andreasberg. Noch bis 1929 hatten die Harzer Werke „Glück Auf“ (Inhaber Dr. Rudolf Alberti aus Goslar) in den Gebäuden hauptsächlich Spielwaren hergestellt. Die neu gegründete Metallwerk Silberhütte GmbH übernahm zugleich den weiteren Grundbesitz der Silberhütte (Vereinigte Werke Dr. Rudolf Alberti & Co., später Werk I), dazu noch die Gebäude der Bauholzwerke und Kistenfabrik St. Andreasberg GmbH am Westbahnhof, später Werk II, sowie die der Firma C. W. Hertwig im Sperrluttertal, später Werk III, die jedoch an die Hoesch-Tochter Schmiedag weiterverpachtet wurden. Bis Ende 1935 baute die Metallwerk Silberhütte die Hallen in Werk I und II für ihre Zwecke um und erweiterte sie. Ab dem Frühjahr 1936 stellte der Hoesch-Zweigbetrieb in den übernommenen Räumlichkeiten Infanteriemunition her, vorwiegend Patronen und Ladestreifen für Standardgewehre der Wehrmacht.74 Ab 1941 dienten die Gebäude am Westbahnhof allerdings nur noch der Unterbringung zumeist russischer Zwangsarbeiter.75

Im Metallwerk Silberhütte waren Ende Dezember 1944 fast 1.200 Personen in der Rüstungsproduktion beschäftigt, darunter 659 Ostarbeiter (137 Männer/​522 Frauen) und 75 Fremdarbeiter (55 Männer/​20 Frauen).76 Im Werk III stellte die Schmiedag AG ab 1935 Artilleriemunition (Geschosshülsen der Kaliber 7,5 cm und 10,5 cm) her, jedoch belief sich die Belegschaft auf nur 263 Personen, darunter 155 ausländischer Herkunft.77 Die fertigen Hülsen wurden an die Heeresmunitionsanstalt in Kummersdorf bei Berlin geliefert.78 Auch die Langelsheimer Firma Paul Uhlig arbeitete spätestens ab Februar 1939 als Direktlieferant der Kriegsmaschinerie; sie produzierte Blech- und Stanzteile für Flugzeugmotoren, insbesondere für die Junkers-Werke in Dessau.79 Die Gewehrfabrik und Maschinenbaufirma Burgsmüller & Söhne GmbH in Kreiensen war gleich mehrfach in die Rüstungsproduktion eingebunden. Der Betrieb stellte vorwiegend 8,8-cm-Sprengranaten (18.340 Stück im 2. Quartal 1944), 8-cm-Werfergranaten (265.518 Stück im 2. Quartal 1944), Zünderzwischenstücke und Flugzeugteile her. Ende Februar 1944 hatte der Betrieb 343 Arbeitskräfte.80


Teilzerstörte Pleißner-Werkhalle für Feldhaubitzgranaten, April 1945 (NARA)


Die stillgelegte Silberhütte, 1914 (Foto Lindenberg)


Werkzeug der Metallwerk Silberhütte mit Produktionskennzeichen (Sammlung Baranowski)

Die Einbindung weiterer Industriezweige in die Kriegswirtschaft

Die holzverarbeitende Industrie im Gau Südhannover-Braunschweig war ebenfalls großzügig in die Rüstungsproduktion eingebunden. Das Sägewerk und die Holzwarenfabrik August Müller & Co. (Amco) in Kirchbrak stellten Munitionskisten für die Marine her. Zusätzlich verließen Handgranatenstiele und Stößel für Zünderteile das Werk. Außerdem fertigte die Amco ab 1944 Teile für das Sperrholzflugzeug TA 154.81 Zeitweise waren in dem mittelständischen Unternehmen mehr als 300 Personen tätig.82 Zur Belegschaft zählten 79 Ukrainerinnen, die in einer 1940 errichteten Baracke am Eingang des Ortes Richtung Dielmissen untergebracht waren. Das Grundstück hatte die Gemeinde der Firma Amco kostenlos überlassen. Ansonsten beschäftigte das Sägewerk einige Holländer und Franzosen, die in ‚freien‘ Unterkünften beherbergt wurden. Noch gegen Kriegsende richtete der Rüstungsbetrieb mit Zustimmung des Hildesheimer Regierungspräsidenten ein werkseigenes Lager ein. Am 18. August 1944 hatte er der zuständigen Rüstungsinspektion XI a mitgeteilt, dass gegen den Bau einer Wohnbaracke zur Unterbringung von 40 weiteren Ausländern auf dem Gelände des Sägewerkes keine Bedenken bestünden.83


Die Kistenfabrik Haltenhoff, im Hintergrund das Metallwerk Odertal, 1937 (Foto Lindenberg)

Die 1889 gegründete und 1937 „arisierte“ Holzwarenfabrik Herlag in Lauenförde an der Weser führte nach Angaben ihrer Werkschronik ab 1940 Rüstungsaufträge aus. Sie stellte vorwiegend Munitionskisten sowie Waschhocker für das Militär und Holzstühle für Baracken her. Im Frühsommer 1944 kamen weitere Aufträge hinzu, nämlich Annietmuttern als Ausweichbetrieb für die Göttinger Aluminiumwerke GmbH.84

In Bad Lauterberg war die Kistenfabrik Albert Haltenhoff in die Rüstung eingebunden. Ab 1937 versorgte sie das wenige Meter entfernt arbeitende Metallwerk Odertal überwiegend mit Munitionskisten und Verpackungsmaterial, im Februar 1944 mit einer Belegschaft von 118 Personen.85 Die Uslarer Möbelfabrik Ilse & Co. [ehemals Vereinigte Möbelfabriken Neugarten & Eichmann] produzierte ebenfalls Munitionskisten, führte zugleich aber auch Zulieferaufträge für die Luftwaffe aus.86 Die Werkzeugfabrik Carl Bruns GmbH aus Kreiensen hatte sich gleichermaßen auf die Fabrikation von Munitionspackgefäßen und den Zellenbau für Flugzeuge spezialisiert.87 Die 1935 ins Leben gerufenen Mechanischen Werkstätten C. & M. Brüggemann in Hann.-Münden fertigten als „Sonderbetrieb“ Fallschirme zum Abwurf von Heeresmaterial. Am 15. März 1944 waren in dem Unternehmen über 700 Personen tätig.88 Selbst die Northeimer Baufirma Herbst war Ende des Krieges Zulieferer für die Rüstungsindustrie; sie produzierte in ihren ehemals der Reparatur und Konstruktion dienenden Gebäuden in der Güterbahnhofstraße 10 Metallteile für Splitterbomben, die zur Weiterbearbeitung an die Heeresmuna in Volpriehausen geliefert wurden.89 Der kurze Überblick zeigt, wie vielschichtig und in welch unterschiedlichen Bereichen Betriebe im heutigen Südniedersachsen in die Kriegsproduktion eingebunden waren, ohne zu den Rüstungsschmieden im Großraum Braunschweig-Hannover-Hildesheim-Salzgitter aufschließen zu können.

Kriegsproduktion in der Stadt Göttingen

Die Integration angestammter Unternehmen in die Rüstungsmaschinerie

Anfang des 20. Jahrhunderts war in der Universitätsstadt noch das Bau- und holzverarbeitende Gewerbe mit 1.830 Beschäftigten die stärkste Wirtschaftsbranche. Weit dahinter lag das Tuchmachergewerbe, bei dem 488 Personen in Lohn und Brot standen; etwa 75 % waren allein in der Tuchfabrik Levin beschäftigt.1 Doch daneben war eine Vielzahl hochspezialisierter Kleinbetriebe der Feinmechanik, Optik und Elektrotechnik mit zunächst nicht mehr als 25 Beschäftigten entstanden. Überwiegend stellten sie für Universitätsinstitute Präzisionsgeräte, wie Analysewaagen (Sartorius), meteorologische Instrumente (Lambrecht), Mikroskope (Winkel) und Apparate für die mineralogische Forschung (Optisch-mechanische Werkstätten von Voigt & Hochgesang sowie Spindler & Hoyer) her. 1912 wurde die Firma Kosmos für Präzisionsinstrumente gegründet, und 1913 die Physikalischen Werkstätten (Phywe), die sich auf Lehrmaterialien spezialisierte. Die Firma Ruhstrat hatte die Elektrotechnik zu ihrer Domäne gemacht; die Herstellung von Widerständen war ihr Schwerpunkt. Binnen weniger Jahre entwickelte sich eine „Universitätsindustrie“, die bald ihre Erzeugnisse auch weltweit vermarkten konnte. Während des Ersten Weltkrieges hatten diese Unternehmen mit ihren Produkten die Armee beliefert; dadurch waren sie zu Industriebetrieben mit mehreren hundert Mitarbeitern herangewachsen.2

Göttinger Betriebe versorgten schon während des Ersten Weltkrieges das Heer und die Marine mit mannigfaltigen Rüstungsgütern. Sie lieferten Vermessungsgeräte, Apparate zur Bestimmung des Standortes von Geschützen, Periskope für Geschütze, Armee-Beobachtungsrohre, Fern- und Prismengläser, elektrische Messgeräte, Notbeleuchtungen sowie Spezial-Widerstände für die Funktechnik. Andere stellten Zünder her oder bearbeiteten Granaten.3 Der Wegfall dieser kriesgbedingten Staatsaufträge führte zu Massenentlassungen und einer andauernden Krise der gesamten Branche, so dass im August 1933 noch immer 1.000 zumeist qualifizierte Arbeitskräfte erwerbslos waren. Verschärfend wirkte sich aus, dass gleichzeitig die Exportmärkte wegbrachen und die zivile Inlandsnachfrage stagnierte.4 Um der Krise zu begegnen, forderte der Magistrat der Stadt erstmals mit Schreiben vom 22. August 1933 vom Reichsarbeitsminister Unterstützung bei der Wirtschaftsförderung. Die Behörden sollten zu Neuanschaffungen angehalten und heimische Betriebe, so insbesondere die der Schwachstromtechnik, mit den großen Konzernbetrieben gleichbehandelt und mit Aufträgen bedacht werden.5 Als Anhang dieser Petition überreichte der Göttinger Magistrat eine ausführliche Übersicht der für eine solche öffentliche Unterstützung in Frage kommenden Industriebetriebe. Dazu gehörten etwa die Feinmechanischen Werkstätten Achilles (Maschmühlenweg 95), die vor allem Ausrüstung für das Eisenbahnsicherungswesen wie Morse-Farbschieber, Fernsprecher, Umschalter sowie Leitungsklemmen produzierte.

Auch die Werkstätten für Präzisions-Mechanik von Georg Bartels in der Unteren Maschstraße 26 (Aerodynamische, geophysikalische und elektrostatische Messinstrumente) und die Metallwarenfabrik Boie (Fabrikweg 2) wurden aufgeführt. Dieser Betrieb hatte bereits im Ersten Weltkrieg Zündladungskapseln sowie Beleuchtungsteile für Flugzeuge geliefert. Die Elektro-Schalt-Werke AG (Ruhstrat) wurde als Spezialfabrik für elektrische Apparate besonders hervorgehoben. Im Krieg hatte sie die Reichsmarine mit Notbeleuchtungen versorgt, war aber bei der Ausschreibung für zwei neue Panzerkreuzer unberücksichtigt geblieben. Neben automatischen Notbeleuchtungen, insbesondere für Gasschutzräume, konzentrierte sich die Firma auf die Fabrikation von Kontaktwiderständen sowie elektrischen Hochtemperatur-Schmelz- und Glühöfen. Als weitere potentielle Zulieferer von Instrumenten wurden die Mechanischen Werkstätten August Fischer in der Hospitalstraße 7 (Erschütterungsmesser, Abhorch- und Schallmess-Geräte) sowie die Firma Kosmos (meteorologische Stationen für Heereszwecke, Quecksilber-Barometer) präsentiert.6


Baustelleneinrichtung Feinprüf Göttingen (BA Berlin)

Anfang September 1933 übersandte das Reichsarbeitsministerium dem Reichsminister der Luftfahrt in Abschrift das Schreiben des Göttinger Magistrats mit dem eindringlichen Wunsch, der Bitte auf Zuteilung von Aufträgen zu entsprechen. „Die Erhaltung der hochqualifizierten feinmechanischen Werkstätten Göttingens und des zu ihnen gehörenden Facharbeiterstamms“ liege „im Interesse der deutschen Wissenschaft und Volkswirtschaft“.7 Am 10. März 1934 brachte die Hauptgeschäftsstelle Göttingen der Industrie- und Handelskammer das Begehren beim Reichsminister der Luftfahrt in Erinnerung. Sie bat ihrerseits um Unterstützung und Feststellung, „welcher Bedarf an feinmechanischen, optischen und ähnlichen Instrumenten“ bei sämtlichen „in Frage kommenden Instituten der dortigen Verwaltung“ bestehe. Das Ergebnis sollte den beschaffenden Stellen mit dem Auftrag zugeleitet werden, die erforderlichen Mittel zu bewilligen.8 Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.

In der ersten Märzwoche 1936 beauftragte das Oberkommando der Wehrmacht die Esslinger Firma Carl Mahr, in Göttingen nach dem „Montan-Schema“ staatsfinanziert eine Fabrik für den Lehren- und Vorrichtungsbau „betriebsfertig einzurichten“. Sie sollte 150 bis 200 Mann mit der Herstellung von in erster Linie Gewindelehren beschäftigen. Eine zentrale Ausbildungsstätte für Lehrlinge im Lehrenbau sollte angeschlossen werden. Mahr blieb es überlassen, eine passende Fabrik um- oder auszubauen oder aber ein Grundstück zu erwerben und darauf einen kompletten Neubau zu errichten, doch sollten die Kosten 1,1 Million RM nicht überschreiten.9

Mahr gründete zu dem Zweck am 25. März 1936 die 100%ige Tochtergesellschaft „Feinprüf, Feinmeß- und Prüfgeräte GmbH“ und entschied sich für einen Neubau im Göttinger Brauweg, der umgehend begonnen wurde.10 Für die Inbetriebnahme konnte Mahr ebenfalls aus Staatsmitteln 20 Göttinger Arbeitskräfte sechs Monate lang im Esslinger Stammwerk schulen lassen.11 Im Mai 1937 war die ‚Werksanlage A‘ noch im Rohbau, allenfalls in Teilen betriebsbereit,12 da lagen schon erste Aufträge vor. Anfang 1937 bestellte das Heer eine Lieferung von Lehren, überwies auch gleich 50.000 RM.13 Die ersten 40 Lehren wurden am 8. Mai 1937 fertig.14 Feinprüfs Speziallehren dienten allen Munitionslieferanten der Wehrmacht zur Herstellung ihrer Geschosse.15 Im März 1938 verlangte das OKH von Feinprüf auf dem Gelände unverzüglich eine zweite Fabrik gleicher Größe, ein ‚Werk B‘, zu errichten.16 In den kommenden zwei Jahren wandte das OKH weiter hohe Investitionen in den Ausbau der Anlage auf; eine Zweigniederlassung im thüringischen Schmalkalden, das ‚Werk C‘, kam hinzu.17 Die besondere Wichtigkeit für die Kriegsvorbereitung von langer Hand unterstreicht, dass die Errichtungskosten der „Feinprüf“-Werke voll vom Reich getragen wurden, die Fabriken erst nach Fertigstellung über die staatseigene „Montan“ an Mahr verpachtet wurden. Die Pachtverträge wurden sehr viel später schriftlich fixiert, der zwischen der „Montan“ und Feinprüf am 30. Juni/​31. August 1939, der Mantelvertrag zwischen Mahr und der „Montan“ am 26. April/​2. Juli 1940.18


Baustelle ‚Werk A‘ des Feinprüf-Werkes im Göttinger Brauweg, 1937 (BA Berlin)


Blick von anderer Richtung auf die Feinprüf-Baustelle, 1937 (BA Berlin)

In Skelettbauweise errichte Feinprüf-Produktionshalle (BA Berlin)

Kriegsbedingt fand das Unternehmen ab November 1941 kein deutsches Fachpersonal mehr. In einem Schreiben an die „Montan“ äußerte Feinprüf am 19. November 1941 die Hoffnung, für das Werk Göttingen 30 und für Schmalkalden 20 französische Metallarbeiter rekrutieren zu können. Das Göttinger Stammwerk wollte die Franzosen „geschlossen in einem Gasthaus“ unterbringen und in der Werkskantine verpflegen. Die „Montan“ wurde gebeten, „die Aufforderung mit allem Nachdruck beim Reichsminister für Rüstung und Munition“ zu vertreten.19 Die letztendlich 60 bis 80 auf diesem Weg zugeteilten französischen Arbeiter quartierte die Firma dann im Gemeindehaus der Albani-Gemeinde in der Innenstadt ein.20 Ende 1942 bat die Firmenleitung den Kirchenvorstand, „die unteren Räumlichkeiten des Gemeindehauses zur Unterbringung von ausländischen Rüstungsarbeitern benutzen zu dürfen“. Der Mietvertrag wurde Mitte Januar 1943 geschlossen.21 Mindestens fünf weitere Franzosen waren in einem Steinbau in der Hospitalstraße untergebracht.22 Im März 1943 bekam „Feinprüf“ neun Ostarbeiter aus dem Durchgangslager Siemsen bei Recklinghausen zugewiesen.23 Im Oktober 1944 ging das Göttinger Werk ebenso wie die nach dem „Montan-Modell“ angepachteten Feinprüf-Fabrikationsstätten in Schmalkalden und Berlin-Neukölln in das Eigentum der Muttergesellschaft Mahr über. Der Anschaffungswert aller drei Betriebe hatte bei knapp acht Millionen RM gelegen, der Buchwert im Jahr 1944 betrug 5,3 Millionen RM. Davon hatte Mahr als Kaufpreis 85,7 % zu zahlen, mithin 4,947 Millionen RM.24 Ende 1944 beschäftigte Feinprüf Göttingen 690 Mitarbeiter, darunter ein Fünftel ausländische Zwangsarbeiter.25

Die Firma Josef Schneider & Co., Optische Werke, aus Bad Kreuznach hatte im Jahr 1936 ebenfalls Kapazitäten nach Göttingen verlagert; zunächst in das Stadtzentrum, Goethe-Allee 8a. Der Zweigbetrieb, zur Abarbeitung von Rüstungsaufträgen gegründet und ebenfalls mit Staatsmitteln gefördert, wurde am 9. April 1936 in das Handelsregister der Stadt eingetragen.26 Das Göttinger Werk stellte vorwiegend für die Luftwaffe optische Mess- und Bilderkennungsgeräte, Doppelfernrohre und Reflex-Visiere her.27 Die Einzelfirma wurde im Februar 1942 gelöscht. An ihre Stelle trat die Josef Schneider Optische Werke GmbH, die noch im selben Jahr das neu erbaute Fabrikgebäude in Weende an der Reichsstraße27 bezog.28 Ende Dezember 1944 beschäftigte der Göttinger Rüstungsbetrieb 653 Personen; darunter 46 Ost- und 37 Fremdarbeiterinnen anderer Herkunft, 76 männliche Ausländer sowie 41 französische Kriegsgefangene.29 Die Franzosen waren in einer Holzbaracke, zur Straßenseite mit Stacheldraht abgezäunt, auf dem Betriebsgelände selbst untergebracht.30


Ehemals Schneider & Co. in Weende, später ISCO, 1970er Jahre (Sammlung Karlheinz Otto)

Neben diesen in Göttingen neu angesiedelten Unternehmen kamen auch die alteingesessenen Firmen der feinmechanischen und optischen Branche in den Genuss von Rüstungsaufträgen in stetig steigender Zahl. Die Ruhstrat AG produzierte seit 1936 in ihrem Stammwerk in der Lange Geismarstraße 68 – 72 und ab 1942 im „Leinewerk“ in der Goethe-Allee (heute Am Leinekanal 4) Widerstände, Schiebetrafos, Verdunkelungseinrichtungen und Notbeleuchtungen. Zudem lieferte die Fabrik Abwurfgeräte und Zubehörteile wie Kolbenmagnete für Bombenschlösser.31 Wie schon im Ersten Weltkrieg war das Unternehmen erneut für die Marine tätig. So rüstete Ruhstrat U-Boote mit Akku-Notleuchten und Ladeschränken aus.32 Am 1. April 1940 beschäftigte der Betrieb 520 Personen; 119 waren im Bereich der Luftwaffenrüstung tätig.33 Ende Dezember 1944 war ihre Zahl allein im Hauptwerk auf 688 und im „Leinewerk“ auf 344 angewachsen. Zu diesem Zeitpunkt waren in beiden Niederlassungen 52 Ost- und 157 Ostarbeiter/​innen sowie weitere 73 Ausländer im Einsatz.34 Die Russin Tamara Borisowna P., die im Juli 1942 als 13jährige deportiert und mit 37 anderen Zwangsarbeiterinnen Ruhstrat zugeteilt wurde, berichtet, sie habe zunächst an der Drehbank gearbeitet, dann Akkumulatoren mit Spezialsäure aufgefüllt. Schließlich sei sie an eine Fräsmaschine versetzt worden, und zwar in der Nachtschicht. Vor Müdigkeit habe sie die Maschine laufen gelassen, sei auf die Toilette gegangen und eingeschlafen. Der Meister habe sie entdeckt und mit kaltem Wasser begossen. Sie sei aufgeschreckt und habe dabei den Meister berührt. Das sei so ausgelegt worden, als hätte sie ihn geschlagen. Danach sei sie strafweise zu den Pelikanwerken nach Hannover gekommen.35


Das Ruhstrat-Stammwerk, Mitte der 1930er Jahre (Sammlung Baranowski)

Ruhstrat unterhielt für seine ausländischen Zwangsarbeiter auf einem Ziegeleigelände eine aus fünf Holzbaracken bestehende Sammelunterkunft.36 Auch Tamara Borisowna wurde in das von Ruhstrat betriebene Lager ‚Tonkuhle‘ gebracht. Das, so berichtet sie, wäre eines der schlimmsten Lager in Göttingen gewesen. Eingerichtet in einer alten Ziegelei, am Boden eines ausgebeuteten Tonlagers, so dass man den Himmel nur sah, wenn man den Kopf in den Nacken legte und so feucht, dass die Baracken auf Klötzen über dem Boden schwebend errichtet werden mussten.37 Gegen Ende des Krieges war dieses Lager ‚Tonkuhle‘ mit 250 Arbeitern belegt; 90 % waren Russen, die anderen Franzosen.38


Rede vor dem Ruhstrat-Stammwerk, 1938 (Sammlung Baranowski)

Der Laboreinrichtungshersteller Physikalische Werkstätten AG (Phywe), ein Göttinger Traditionsbetrieb, lieferte Nachrichtengeräte, Zünder, Frequenz-Prüfgeräte, Stromanzeige-Vorrichtungen für Schaltkästen und Auswurfklappen für das MG 42.39 Ende 1944 beschäftigte die Phywe 718 Personen, darunter 55 Ostarbeiterinnen, 35 weitere Ausländer (20 Männer und 15 Frauen) und 43 Kriegsgefangene.40 Die französischen Arbeitskräfte waren im Saal der Gastwirtschaft „Zur Linde“ im Göttinger Vorort Geismar untergebracht.41 Zivile Aufseher führten sie täglich quer durch Göttingen zur Fabrik im Salinenweg.42 Die Phywe verzeichnete seit 1938 jährlich zweistellige Umsatzzuwächse, 1941 gar 100 %.43 1941 richtete die Phywe ein Zweigwerk im annektierten Elsass ein: „Zwecks rationeller Ausnutzung der Fertigungsräume wurden Teile der Fertigung nach Straßburg-Neudorf verlegt“.44 Auch 1942 zeigte die Firma sich mit dem Gang der Geschäfte durchaus zufrieden: „Der Umsatzrückgang, bedingt durch weitere Einschränkungen der Friedenssektoren, hat im Geschäftsjahr 1942 durch Bearbeitung vermehrter Kriegsaufgaben voll ausgeglichen werden können“. Das galt auch für die elsässische Dependance: „Das Zweigwerk Straßburg-Neudorf konnte nach Anpassung der Fertigungsmöglichkeiten an einem […] Teil der Aufgaben des Stammwerkes bereits mit größeren Lieferungen einsetzen“.45

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23 aralık 2023
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1253 s. 272 illüstrasyon
ISBN:
9783959660037
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