Kitabı oku: «Relationalität in der Gestalttherapie», sayfa 2
»Theoretische Ergänzungen« und »Beispiele aus der Praxis«
Im Weiteren habe ich immer wieder Textboxen in den Haupttext einfügt, die durch ihren grau gefärbten Hintergrund und eine andere Schrifttype leicht zu erkennen sind. Sie enthalten entweder »Beispiele aus der Praxis« – eines davon haben Sie schon weiter oben gelesen – oder »Theoretische Ergänzungen« und sollen interessierten Lesern zur Illustration bzw. Erläuterung oder Vertiefung meiner im Haupttext formulierten Überlegungen dienen; sie sind aber zu deren Verständnis nicht unbedingt erforderlich.
2. Einleitung
Wir erleben und erkennen heute die »Wirklichkeit der Seele« nicht mehr nur als in sich geschlossenen Eigenbereich des Individuums, sondern sie offenbart sich uns je länger je eindringlicher zugleich als zwischenmenschliches Phänomen im Raum des partnerisch gelebten Lebens.
(Trüb 1951/2015, 12)
Wer die Texte zur Kenntnis genommen hat, die ich in den zurückliegenden dreißig Jahren veröffentlicht habe, wird manche meiner hier vorgetragenen Überlegungen wiedererkennen. Denn natürlich ist keineswegs alles neu, was auf den folgenden Seiten zu lesen ist; ich verstehe den vorliegenden Text eher als ein Zusammenführen und eine Fortsetzung früherer Gedankengänge. Ich knüpfe dabei hauptsächlich an die Inhalte dreier meiner Bücher an: Therapeutische Beziehung und Diagnose – Gestalttherapeutische Antworten (1993), Das Geheimnis des Anderen – Empathie in der Psychotherapie (2009a) und Das dialogische Selbst – Postmodernes Menschenbild und psychotherapeutische Praxis (2015a).
Diese Bücher (sowie viele Zeitschriften- und Buchbeiträge, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen) beleuchten unter jeweils verschiedenen Aspekten einen gemeinsamen inhaltlichen Schwerpunkt: die menschliche Relationalität.5 Mit diesem im Deutschen mancherorts (noch) recht ungebräuchlichen Begriff soll hier Folgendes angesprochen werden:
(1) Menschen können nur in Beziehungen zu anderen ihr jeweiliges Selbst entwickeln. Die kreativ verarbeiteten und angeeigneten Spuren dieser Beziehungen konstituieren dann das jeweilige Selbst; dies kann man die »Ko-Konstitution« von Selbsten nennen. Damit ist bereits gesagt, was im Weiteren noch deutlicher werden wird: Relationalität ist kein Gegensatz zu Individualität, denn diese entwickelt sich aus der Beziehungsgeschichte eines Menschen heraus. Das hier gemeinte Verständnis von Relationalität steht aber im Widerspruch zu einem Individualismus, der annimmt, Menschen seien hinsichtlich dessen, wer sie sind, primär getrennt und unabhängig voneinander.
Relational verstandene Subjektivität ist vielmehr grundsätzlich intersubjektiv verfasst (vgl. Jacobs 2005) – oder, wenn man Elisabeth Conradi folgen möchte, »interrelational«; Conradi schreibt:
Der Begriff der Intersubjektivität ist mir zu statisch, da er suggeriert, es seien Subjekte vorhanden, die miteinander in Beziehung treten. Demgegenüber möchte ich den relationalen Aspekt auch der Subjektivität – nicht erst der Intersubjektivität – hervorheben. Die Tatsache, daß ›Subjekte‹ immer schon auf andere bezogen sind, ist ein ihnen wesentliches Merkmal. Die vielfältigen Zusammenhänge und Verhältnisse solcher Bezogenheit fasse ich mit dem Begriff der Interrelationalität. Er berücksichtigt die konstitutive Qualität sozialer Kontexte und umfaßt verschiedene Formen des Angewiesenseins und der Bezogenheit in ihrem Verhältnis zueinander. (2001, 175)6
(2) Die erwähnte Ko-Konstitution bedeutet, dass sich die Abkunft des Selbst von Beziehungen in einem relationalen (bzw. dialogischen) Format des Selbst zeigt. Durch diese Entstehungsgeschichte bleibt das individuelle Selbst nicht nur für immer mit den anderen verbunden, sondern tritt auch zu sich selbst in vielfältiger Weise in Beziehung:7
Genau gesagt besitzt ein Mensch so viele soziale Selbste, wie es Individuen gibt, die ihn erkennen und ein Bild von ihm in ihrem Geiste tragen.… Wir können praktisch auch sagen, dass er so viele soziale Selbste besitzt, wie es verschiedene Gruppen von Personen gibt, deren Meinungen ihm etwas bedeuten. (James 1890, 294 – H.i.O.)
(3) Damit verweist Relationalität auf die Eigenschaft von Menschen, über die gesamte Lebenszeit hinweg Teil eines komplexen Gefüges oder Netzes von Beziehungen zu sein, in das sie verwoben sind und dessen jeweilige Beschaffenheit entscheidend für ihre persönliche Lebensqualität ist. Dieses relationale Netz besteht nicht nur aus Beziehungen zu einzelnen anderen, sondern auch zu kleineren und größeren Gruppen: Denn »Kollektive sind integrale Teile der Person der Betroffenen, die wiederum diesen Kollektiven angehören« (Etzioni 1994, 344). – Dies hat einen motivationalen Aspekt zur Folge:
(4) Kaum jemand mag ohne realen Bezug zu anderen leben. Menschen sind in der Regel motiviert, Kontakte und Beziehungen mit anderen aufzunehmen und sie so zu gestalten, dass sie sich darin verbunden, verstanden und unterstützt fühlen; sie leiden darunter, wenn ihnen dies nicht in befriedigendem Maße gelingt. Dabei geht es immer um Kommunikation, denn »Kommunikation ist in erster Linie das, wodurch die Menschen ihre Bezogenheit aufeinander zum Ausdruck bringen« (Rothe & Sbandi 2002, 160).
Von daher hängt die generelle menschliche Bezogenheit mit der Tatsache zusammen, dass man »nicht nicht kommunizieren kann« (Watzlawick, Beavin & Jackson 1969, 51 – H.i.O.). »Zu sein heißt zu kommunizieren« (Bakhtin 1984, 252):
Wann und wo immer Menschen sich treffen, fängt sofort Kommunikation an. Sobald eine andere Person anwesend ist, wird diese Kommunikationspotenz aktiviert und immer schon gegebene Bezogenheit aktualisiert. Sobald Personen ihr gegenseitiges Vorhandensein am gleichen Ort und zur gleichen Zeit bemerken, ist Kommunikation gegeben. (Rothe & Sbandi 2002, 160)
(5) Aus den ersten vier Punkten ergibt sich die Notwendigkeit einer Ethik des Mitgefühls und der Fürsorge: »Die Sorge des menschlichen Da-seins impliziert auch die Sorge um den anderen Menschen, die Fürsorge des einen für den anderen. Sie kommt zum Da-sein nicht hinzu, sondern ist eine konstitutive Artikulation dieses Daseins« (Lévinas 1995, 245 f.). Individuelle Unterschiedlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit rigider Abgegrenztheit; Andersartigkeit kann vielmehr in Verbundenheit und Fürsorge gelebt werden. Diese ethische Haltung bedeutet, eine Einstellung der Inklusion gegenüber anderen sowie gegenüber dem Anderen im eigenen Selbst zu praktizieren und zu fördern.
(6) Die zuvor genannten Punkte bedeuten schließlich, dass Relationalität eine maßgebliche Dimension in jeder Psychotherapie darstellt: Für die psychotherapeutische Situation gilt, dass nicht nur die Person des Klienten, sondern auch die der Therapeutin sowie die Qualitäten der Beziehung zwischen beiden entscheidend für die Art der interaktionellen sowie der psychischen Prozesse sind, die in einer Therapie ablaufen, sowie für die Wirkungen, die eine Therapie hervorruft.
Der Begriff der Relationalität kennzeichnet damit, zusammenfassend gesagt, »nicht nur die Bezogenheit auf und zwischen externale(n) Personen und Dinge(n), sondern auch auf und zwischen internale(n) Personifikationen und Repräsentationen. Er betont den Prozess – im Unterschied zu verdinglichten Entitäten – und die Beziehungen zwischen Prozessen« (Ghent 1992a, xx – H.d.V.).
Für den psychotherapeutischen Bereich heißt das: Im Begriff der Relationalität überschneiden sich verschiedene Fragestellungen: die Frage nach dem Menschenbild, auf dem ein therapeutischer Ansatz basiert; die Frage nach der allgemeinen Beschaffenheit zwischenmenschlicher Interaktionen und psychischer Prozesse; die Frage nach den speziellen Formen, die diese Interaktionen und Prozesse im psychotherapeutischen Kontext annehmen; und die Frage nach den Qualitäten, die Beziehungen zwischen Menschen zu therapeutisch wirksamen Beziehungen machen.
Es liegt in der komplexen Natur dieser Fragestellungen, dass es nicht einfach war, meine Gedanken dazu in eine sinnvolle und einigermaßen leicht nachvollziehbare Struktur zu bringen. Als grobes Kriterium für meine Gliederung des folgenden Textes habe ich die historische Entwicklungslinie der vergangenen Jahrzehnte genutzt, die sich in vielen Therapieformen durch die Auseinandersetzung mit Fragen der Relationalität hindurchzieht.
Da ich mich mit der Geschichte der Gestalttherapie besser als mit der von anderen Verfahren auskenne, zeige ich hauptsächlich anhand der Entwicklung der Gestalttherapie auf, was in ähnlicher Weise z. B. für die Psychoanalyse oder die Personzentrierte Psychotherapie, ja selbst für die Kognitive Verhaltenstherapie gilt: Sie alle nahmen ihren Anfang in einem mehr oder weniger ausgeprägten Individualismus und einer ihm entsprechenden ›Eine-Person-Psychologie‹ und setzten sich später in einer relationalen Wende‹ fort, die die Bedeutung zwischenmenschlicher Interdependenz und eine ›Zwei-Personen-Psychologie‹ zunehmend in den Vordergrund rückte.
Theoretische Ergänzung 1
Dem ungarischen Zweig der frühen Psychoanalyse, repräsentiert durch Sandor Ferenzci und Michael Balint, kommt eine wichtige Rolle als Wegbereiter der relationalen Wende in der Psychoanalyse zu. Diese übte einen Einfluss auf die relationalen Entwicklungen in den anderen therapeutischen Ansätzen aus, so auch in der Gestalttherapie. In diesem Zusammenhang ist aus gestalttherapeutischer Sicht mit Respekt und Bescheidenheit zu erwähnen, dass der Beginn der relationalen Wende in der Psychoanalyse dem in der Gestalttherapie zeitlich um viele Jahre vorausging; außerdem nahm der psychoanalytische Diskurs zu diesem Thema ab den 1970er- Jahren sehr schnell Fahrt auf und seither einen sehr viel größeren Raum in der entsprechenden Literatur ein, als das in der Gestalttherapie bis heute der Fall ist.8
Aber am Anfang stand wohl Ferenczi (1970a; 1970b); er überschritt in seinen letzten Lebensjahren die von Freud gesetzten Grenzen der psychoanalytischen Distanz und emotionalen Reserviertheit und ließ sich sehr persönlich auf die Beziehungen zu seinen Patientinnen ein. Freuds Rat hatte so gelautet:
Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich während der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt: die Operation so kunstgerecht als möglich zu vollziehen … Die Rechtfertigung dieser vom Analytiker zu fordernden Gefühlskälte liegt darin, daß sie für beide Teile die vorteilhaftesten Bedingungen schafft, für den Arzt die wünschenswerte Schonung seines eigenen Affektlebens, für den Kranken das größte Ausmaß von Hilfeleistung, das uns heute möglich ist. (1912/1975, 175)
Ferenczi dagegen vertrat in seinem »klinischen Tagebuch« von 1932 (Ferenczi 1988) nicht nur die Ansicht, dass es »ohne Sympathie keine Heilung« geben könne,9 sondern engagierte sich auch in seiner therapeutischen Praxis für manche Patientinnen sehr viel mehr als es bis dahin üblich gewesen war (vgl. Haynal 1989). So experimentierte er z. B. mit einem Vorgehen, das er als »mutuelle Analyse« bezeichnete; dabei brachte er sich als Person selbst stark ein, trat entschieden aus der üblichen analytischen Anonymität heraus und praktizierte ein Verhalten, das später als »self-disclosure«10 der Therapeutin ernsthaft diskutiert wurde (vgl. auch den Abschnitt über »Persönliche Präsenz« in Kapitel 4.2).
Während Ferenczi dafür einerseits heftige Kritik erfuhr – Jones erklärte ihn sogar für »paranoid« (in Balint & Jones 1985, 68) –, erhielt er andererseits sehr viel Anerkennung, z. B. von Balint, der schrieb, dass »Ferenczis letzte Schriften … die weitere Entwicklung der psychoanalytischen Technik um 15 oder 25 Jahre vorwegnehmen« (a.a.O.). – Ermann skizziert die historische Entwicklung so:
In der Psychoanalyse kann man die Zeit bis etwa 1940 als eine … Phase betrachten. Sie war dadurch gekennzeichnet, dass die innerseelischen Phänomene und Prozesse als Forschungsgegenstand galten. Hier handelt es sich um das intrapsychische Paradigma der Psychoanalyse. Danach sollte die Psyche (von Patienten) von einem außenstehenden Beobachter möglichst objektiv betrachtet und behandelt werden. Michael Balint sprach in diesem Zusammenhang von einer Ein-Personen-Perspektive …
Durch die Neubewertung der frühen Mutter-Kind-Interaktionen begann sich das Weltbild der Psychoanalyse und in der Folge auch ihre Praxis zu verändern. Zunehmend wurden jetzt die Interaktionen als bedeutender Bezugspunkt für das Verständnis seelischer Prozesse anerkannt. Damit entstand auch ein neues Denkmodell, das Beziehungsparadigma. (2014, 12 – H.i.O.)
Balint argumentierte als einer der ersten für diesen Paradigmenwechsel in einem Aufsatz, auf den ich etwas genauer eingehen möchte: Er stellte fest, dass »alle unsere Konzepte und technischen Begriffe – außer zweien – unter dem Vorzeichen der physiologischen Ausrichtung geprägt wurden und daher höchst individualistisch sind; sie reichen nicht über die Grenzen der individuellen Psyche hinaus. Die beiden Ausnahmen sind ›Objekt‹ und ›Objektbeziehung‹11« (1950, 120).12
Balint forderte dem gegenüber eine Neuorientierung, die »zuerst und vor Allem darauf abzielt, jeden Aspekt der Übertragung des Patienten im Kontext seiner Objektbeziehungen zu verstehen und zu deuten« (a.a.O., 119). Daraus leitete Balint schließlich ab: »Das wichtigste Forschungsgebiet … muss das Verhalten des Analytikers in der psychoanalytischen Situation sein bzw., wie ich vorziehe zu sagen, der Beitrag des Analytikers zur Entstehung und Aufrechterhaltung der psychoanalytischen Situation« (a.a.O., 121 – H.i.O.).
Aber bedauerlicherweise, so fährt er fort,
wurden fast alle unsere Begriffe und Konzepte bei der Untersuchung pathologischer Erscheinungen gewonnen, die kaum über den Bereich der »Eine-Person-Psychologie« hinausgehen … Aus diesem Grund können sie nur eine unbeholfene, ungefähre Beschreibung davon liefern, was in der psychoanalytischen Situation passiert und was ihrem Wesen nach eine Zwei-Personen-Situation darstellt. (a.a.O., 123 f.)
Abschließend bringt Balint die traurige Vermutung zum Ausdruck, dass »wir nur einige vage Ideen, aber kein genaues Wissen davon haben, welche Verzerrungen stattfinden und wie viel wir übersehen, wenn wir Zwei-Personen-Erfahrungen … in einer Sprache beschreiben, die zu Eine-Person-Situationen gehört« (a.a.O., 124).
Erst in den 1980er-Jahren sollte Balints Vision in nennenswerter Weise zur Substanz psychoanalytischer Theorie werden. Mit den Entdeckungen der Säuglingsforscher begann eine echte Wandlung von einer primär »intrapsychischen« Betrachtungsweise hin zu einer »intersubjektiven« Perspektive – so die nunmehr übliche Terminologie. Jessica Benjamin fasste es seinerzeit in diese Worte: Mit
der Vorstellung eines aktiven, zu sozialen Kontakten bereiten Säuglings, der sich von anderen differenziert und mit anderen Beziehungen aufnimmt, gelangen wir zum intersubjektiven Standpunkt. Der intersubjektiven Theorie zufolge entwickelt sich das Individuum in und durch Beziehungen zu anderen Subjekten. Wichtig dabei ist die Überlegung, daß der Andere, dem das Selbst begegnet, ebensolch ein Selbst ist – also ein eigenständiges Subjekt. … Anders als der intrapsychische Standpunkt fragt die intersubjektive Theorie nach dem, was zwischen dem Selbst und anderen geschieht. Während der intrapsychische Standpunkt das Individuum als abgegrenzte Entität mit einer komplizierten Innenstruktur erfaßt, befaßt sich die intersubjektive Theorie mit jenen Fähigkeiten des Menschen, die sich in der Interaktion des Selbst mit anderen entwickeln. (1990, 22 f.)
Der Übergang von der Eine-Person-Psychologie zur Zwei-Personen-Psychologie kann als ein »Paradigmenwechsel« verstanden werden, »hin zu einem Paradigma der Bezogenheit. Danach entsteht und verändert sich psychische Struktur … vornehmlich als eine gemeinsame (nämlich intersubjektive) Konstruktion im Beziehungsfeld« (Ermann 2014, 12 – H.i.O.).
Dieser … Paradigmenwechsel, der längst noch nicht abgeschlossen ist, wird endlich der sozialen Natur des Menschen gerecht, der Tatsache also, dass Menschen ihre Lebenswelt miteinander teilen, dass sie sich real und mental aufeinander beziehen und dass jeder einzelne seine psychische Struktur und individuelle Persönlichkeit im Rahmen dieser Bezogenheit entwickelt. (Altmeyer 2016, 110)
Theoretische Ergänzung 2
Bei der »Natur des Menschen«, von der Altmeyer spricht, handelt es sich nicht um etwas im biologischen Sinne Natürliches. Was den Menschen gerade im psychosozialen Sinne ausmacht, hängt immer mit seiner Sozialität und Kulturalität zusammen. Ich ziehe es daher in Anlehnung an Hannah Arendt vor, von der sozialen »Bedingtheit« des Menschen zu sprechen, die einem tendenziell solipsistischen und größenwahnsinnigen Individualismus keinen Boden bietet.
Nun umfaßt aber die Condition Humaine, die menschliche Bedingtheit im Ganzen, mehr als nur die Bedingungen, unter denen den Menschen das Leben auf der Erde gegeben ist. Menschen sind bedingte Wesen, weil ein jegliches, womit sie in Berührung kommen, sich unmittelbar in eine Bedingung ihrer Existenz verwandelt. … Die Menschen leben also nicht nur unter den Bedingungen, die gleichsam die Mitgift ihrer irdischen Existenz überhaupt darstellen, sondern darüber hinaus unter selbstgeschaffenen Bedingungen, die ungeachtet ihres menschlichen Ursprungs die gleiche bedingende Kraft besitzen wie die bedingenden Dinge der Natur. Was immer menschliches Leben berührt, was immer in es eingeht, verwandelt sich sofort in eine Bedingung menschlicher Existenz. Darum sind Menschen, was auch immer sie tun oder lassen, stets bedingte Wesen. (1960, 16 f.)
Wie Altmeyer schon andeutet, vollziehen sich historische Entwicklungen des Zeitgeists nicht in inhaltlich oder zeitlich exakt abgrenzbaren Phasen; das gilt selbstverständlich auch für die Geschichte der Psychotherapie. Insofern lassen sich für Perioden, in denen die individualistische Psychologie dominierte, durchaus schon Autoren und Konzepte benennen, die – zumindest in der Tendenz – eine ›Zwei-Personen-Psychologie‹ oder sogar schon eine ›Mehr-Personen-Psychologie‹ vertraten; bisweilen findet sich sogar in ein und derselben Quelle die für Übergangszeiten typische Mischung der Paradigmen.
Und umgekehrt kann man heute, nachdem die meisten therapeutischen Ansätze bereits in die Phase einer relationalen Wende eingetreten sind, durchaus noch individualistische Tendenzen feststellen; ich selbst ertappe mich immer wieder einmal bei solchen Tendenzen in meinem Denken, obwohl ich mich seit Langem um eine relationale Perspektive bemühe. Kulturell geprägte Denkmuster kann man nicht einfach hinter sich lassen; man muss sie und ihre Residuen zuerst immer wieder mühsam überhaupt als solche erkennen, um sie dann Schritt für Schritt verändern bzw. überwinden zu können. Schließlich – und das macht den Sachverhalt sehr vielseitig und manchmal schwer überschaubar – gibt es auch hinsichtlich dessen, was unter Relationalität verstanden wird, beträchtliche Unterschiede – von den praktischen therapeutischen Konsequenzen, die dann aus dem jeweiligen Verständnis abgeleitet werden, einmal ganz zu schweigen.
Auf den folgenden Seiten werde ich darlegen, wie ich zu meinem derzeitigen Verständnis von menschlicher Relationalität gekommen bin, und formulieren, welche Schlussfolgerungen sich daraus für die Gestaltung therapeutischer Beziehungen aus meiner Sicht ergeben. Wie schon angekündigt, werde ich dabei immer wieder an Traditionen und Entwicklungen der Gestalttherapie anknüpfen. Je weiter Sie, meine Leserinnen und Leser, mit Ihrer Lektüre fortschreiten, werden Sie jedoch bemerken, dass meine Überlegungen nicht innerhalb der Grenzen des gestalttherapeutischen Diskurses verharren. Ich hoffe daher, dass Kolleginnen und Kollegen aller therapeutischen Orientierungen in dem folgenden Text Anregungen für ihre Arbeit finden werden.
Denn ich stimme Jürg Willi zu, der mit der erforderlichen Allgemeinheit feststellt:
Die westliche Psychotherapie hat jahrzehntelang sehr einseitig Werte wie Autonomie, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung oder etwas weniger schön ausgedrückt den Egotrip betont … [und sich] v. a. mit der Befreiung des Individuums von sozialen Zwängen und Abhängigkeiten befaßt. Heute geht es aber wohl weniger um die Einengung als vielmehr um die fehlende Zugehörigkeit zu tragfähigen Gemeinschaften. (1994, 147)