Kitabı oku: «Relationalität in der Gestalttherapie», sayfa 5
4.2 Das therapeutische Beziehungsangebot – Psychologische Aspekte
Sobald es in den 1980er-Jahren innerhalb gestalttherapeutischer Kreise mehrheitsfähig geworden war, der therapeutischen Beziehung eine besondere Bedeutung beizumessen, wurde es möglich, den Anschluss an wichtige Ergebnisse der Psychotherapieforschung zu finden und die Gestalttherapie auf diese Weise nicht nur mit anderen Therapieformen, sondern auch mit der für sie relevanten empirischen Wissenschaft in Verbindung zu bringen. Denn durch diese Entwicklung wurde nun ein gemeinsamer Nenner mit der Psychotherapieforschung sichtbar, deren Resultate gleichfalls die große Wichtigkeit der therapeutischen Beziehung betonen (vgl. z. B. Ardito & Rabellino 2011; Lambert & Barley 2001; Norcross 2011).
Theoretische Ergänzung 8
In der Psychotherapieforschung hat sich für die therapeutische Beziehung die folgende Definition durchgesetzt: »Die Beziehung besteht in den Gefühlen und Einstellungen, die Therapeut und Klient füreinander haben, und in der Art und Weise, wie diese zum Ausdruck gebracht werden« (Gelso & Carter 1985, 159).
Im positiven Fall schafft das Therapeutenverhalten eine Voraussetzung dafür, dass sich die Beziehung positiv entwickelt und das entsteht, was in der Forschungsliteratur häufig als »Allianz« bezeichnet wird – eine Atmosphäre von Partnerschaft und guter Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten.
Dabei scheint es für die empirische Forschung typisch zu sein, dass sie vieles vorwiegend unter dem Blickwinkel der Effizienz sieht. So wurde die therapeutische Beziehung häufig unter der Fragestellung betrachtet, welchen Anteil sie zur Wirksamkeit einer Therapie beiträgt. Ich möchte, weil diese Fragestellung auf den folgenden Seiten immer wieder im Hintergrund mitschwingen wird, daher gleich zu Anfang dieses Abschnitts betonen, dass der (etwa am Verschwinden von Symptomen) messbare Therapieerfolg für mich nicht das alleinige oder oberste Kriterium darstellt, anhand dessen ich die Qualität einer zwischenmenschlichen Beziehung bewerte – auch die therapeutische Beziehung ist ja eine zwischenmenschliche Beziehung.
Qualität der Beziehung, Methoden und Techniken
Für mich überraschenderweise habe ich bei meinen Recherchen sogar in dem klassischen Lehrbuch der Psychiatrie von Eugen Bleuler eine Feststellung gefunden, durch die ich mich in meiner Haltung bestätigt sehe:
Die therapeutische Bedeutung des Verhältnisses des Arztes zu seinem Kranken wird am besten verstanden, wenn man es an der Bedeutung mißt, die alle menschlichen Beziehungen für die Prägung der Persönlichkeit und für das Befinden haben: Wir werden zu dem, was wir sind, im Zusammenhang mit den Beziehungen zu unseren Eltern, später zu Kameraden, Vorgesetzten und Untergebenen, zu allen, mit denen wir in Berührung kommen. Und unser alltägliches Befinden hängt weitgehend davon ab, wie unsere Beziehungen zu anderen sind und wie wir sie uns vorstellen. Unser Bedürfnis ist stark, sowohl Hilfe, Stütze und Liebe zu erhalten, wie Hilfe, Stütze und Liebe zu geben. (1916/1979, 141).
In therapeutischen Beziehungen zählen für mich vor allem die humanen Aspekte, wie sie bei Bleuler anklingen und wie ich sie im Folgenden noch eingehender beschreiben werde (vgl. insbesondere Kapitel 4.3). Eine Wirksamkeit, die zu Lasten von Humanität erreicht wird, hat für mich einen nicht zu rechtfertigenden, überhöhten Preis. Um es an einem krassen Beispiel zu verdeutlichen: Methoden wie Gehirnwäsche oder Folter mögen äußerst wirksame Mittel zur psychischen Veränderung einer Person darstellen, aber ihre Effizienz wird unter Aufgabe humaner Werte bewerkstelligt, die für mich oberste Priorität besitzen müssen. Anders gesagt: Wenn Beziehungsmuster von Dominanz und Unterwerfung, von Machtausübung und Hilflosigkeit den Weg für effektive Einflussnahme bereiten, bin ich bereit, auf die auf diesem Weg hervorgerufene Veränderung zu verzichten.
Die krassen Beispiele von Folter oder Gehirnwäsche sollen nur der Verdeutlichung im Grundsatz dienen. Die Wirklichkeit in psychotherapeutischen Praxen und Kliniken ist glücklicherweise meist nicht so extrem. Und doch stellt sich dort prinzipiell dieselbe Frage: Heiligt der Zweck die Mittel? Soll den therapeutischen Techniken, die eine möglichst effiziente Veränderung versprechen, der Vorrang vor der Qualität der therapeutischen Beziehung gegeben werden, deren Aufbau und Aufrechterhaltung Geduld und Zeit benötigt und einige Unabwägbarkeiten mit sich bringt?
Klientinnen selbst scheinen hier den größeren Wert auf die Güte ihrer Beziehung zum Therapeuten zu legen als auf schnelle Besserung: Swift berichtet von seinen bemerkenswerten Untersuchungsergebnissen, »dass Klienten eine wenig effektive Behandlung bei einem Therapeuten, zu dem sie eine gute Beziehung aufbauen können, einer sehr effektiven Behandlung vorziehen, wenn sie zum Therapeuten … keine Beziehung herstellen können« (2015, 50). Ich denke daher, ich befinde mich mit meiner persönliche Wertentscheidung im Einklang mit einer Mehrheit von Klienten, wenn es um solche Alternativen geht.
Es gibt nun allerdings einige Einsichten aus der Psychotherapieforschung, die darauf hinweisen, dass die Alternativen möglicherweise gar nicht so beschaffen sind, wie sie zunächst aussehen.33 Es scheint sich nämlich zu zeigen, dass die zum Einsatz kommenden therapeutischen Techniken unter dem Strich einen geringeren Einfluss auf den Erfolg einer Therapie ausüben als die Qualität der therapeutischen Beziehung.
Dieser Meinung war Carl Rogers schon im Jahr 1957, in dem sein viel beachteter Text über »die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Persönlichkeitsentwicklung durch Psychotherapie« im Original erschien.34 Darin schrieb er:
Hinsichtlich der Theorie, die hier vorgestellt wird, ist die Technik in keiner Weise eine wesentliche Bedingung für Therapie. In dem Ausmaß jedoch, indem sie einen Kanal zur Verfügung stellt, durch den der Therapeut eine feinfühlige Empathie und eine bedingungslose Zuwendung zum Ausdruck bringt, kann sie als technischer Kanal dienen, durch den die wesentlichen Bedingungen von Therapie erfüllt werden. (1991, 183)
Wenn das so ist, kann man Irving Yaloms folgenden Bericht als eine eindrückliche Illustration dieses Sachverhalts verstehen:
Beispiel aus der Praxis 3
Mein Vater starb mit sechsundvierzig beinahe an einem Herzanfall. Es geschah mitten in der Nacht. Ich, vierzehn Jahre alt, war entsetzt, und meine Mutter war so außer sich, dass sie irgendeine Erklärung zu finden versuchte, jemanden, dem sie die Schuld an diesem Schicksalsschlag geben konnte. Ich war die verfügbare Zielscheibe, und sie ließ mich wissen, dass ich – meine Ungebärdigkeit, meine Respektlosigkeit, meine Störmanöver – voll und ganz für diese Katastrophe verantwortlich war. Während sich mein Vater vor Schmerzen krümmte, schrie sie mich mehr als einmal an diesem Abend an: »Du hast ihn umgebracht!«
Als ich zwölf Jahre später auf der Analytikercouch lag, resultierte meine Beschreibung dieses Vorfalls in einem ungewöhnlichen kurzen Ausbruch von Zärtlichkeit seitens von Olive Smith, meiner ultraorthodoxen Freudianischen Psychoanalytikerin, die mit der Zunge schnalzte, ts ts, als sie sich zu mir beugte und sagte: »Wie schrecklich. Wie furchtbar das für Sie gewesen sein muss.« Ich erinnere mich an keine einzige von ihren klugen, durchdachten und behutsam vorgebrachten Interpretationen. Doch ihre Zuwendung, diesen Augenblick des Mitgefühls – die rechne ich ihr sogar jetzt, fast fünfzig Jahre danach, noch hoch an. (Yalom 2008, 149)
Was für mich an Yaloms Erinnerungen u. a. auffällig ist, hat mit der Perspektive des Klienten zu tun, aus der heraus er von seinen Erfahrungen erzählt. Man kann ja wohlwollend annehmen, dass seine Analytikerin ihre »klugen, durchdachten und behutsam vorgebrachten Interpretationen« nicht willkürlich gewählt hat, sondern davon überzeugt war, dass sie ihrem Klienten damit behilflich sein konnte. Aber aus dessen Perspektive waren sie offenbar nicht entscheidend; ihre Inhalte hat er vergessen. Woran er sich jedoch nachhaltig erinnert, ist der Moment »ihrer Zuwendung, dieser Augenblick des Mitgefühls«.
Die Dichotomie von Technik und Beziehung, wie sie von Rogers oder Yalom suggeriert wird, ist allerdings mit Vorsicht zu betrachten. Denn im guten Sinne ist eine Technik ja die äußere Form, in die die Therapeutin ihre Antwort auf die Situation des Klienten gießt; sie ist sozusagen der »Inhaltsaspekt« einer Mitteilung, der Informationen darüber enthält, um was es geht. Doch jede Mitteilung umfasst unvermeidlicherweise einen »Beziehungsaspekt«, der Hinweise darauf vermittelt, »wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht, und ist in diesem Sinn seine persönliche Stellungnahme zum anderen« (Watzlawick et al. 1969, 53 – H.d.V.).
Und der eine Aspekt braucht den anderen; die Kommunikation braucht ein Was, an dem sich ein Wie festmachen kann: »Der Kontakt kommt zustande über eine Beteiligung an etwas Gemeinsamem, einer Idee, einem Interesse, einem Werk, einer Mahlzeit, einem ›Dritten‹. Die Personen sind nicht einfach einander gegenüber, sie sind miteinander um etwas herum« (Lévinas 1997, 48 – H.d.V.). Das Wie und das Was sind »Aspekte«, wie Watzlawick et al. korrekt formulieren, also unterschiedliche Ansichten desselben Vorgangs, die in Abhängigkeit von der gewählten Perspektive für den Betrachter in der Vordergrund rücken, während der jeweils andere Aspekt aber im Hintergrund bestehen bleibt.35
Weil Menschen verkörperte Wesen sind und ihre Interaktion immer »zwischenleiblich« (Merleau-Ponty) ist, hat die Gestalttherapie von jeher Wert darauf gelegt, dass das Wie einer Mitteilung nie vernachlässigt werden darf. Merkwürdigerweise ist unter Gestalttherapeutinnen trotzdem wenig bekannt, dass diese Einsicht bereits in der klassischen Gestaltpsychologie, z. B. von Wolfgang Köhler, vertreten wurde:
Selbst wenn wir die Worte von Menschen verstehen wollen, kann die Art, wie sie sprechen, einen besseren Anhaltspunkt liefern als die Wortbedeutungen an sich.… Weil uns das Verhalten des anderen nur durch unsere Wahrnehmung gegeben ist, muss sich unser Verständnis vor allem auf diese Quelle stützen. (1929/1947, 217 ff. – H.i.O.)
Dieses Wie ist gerade im Kontext von Überlegungen zur Relationalität in der Psychotherapie und ihrem Verhältnis zur therapeutischen Technik insofern bedeutsam, als »Wörter wie ›sich beziehen‹ … im Allgemeinen benutzt [werden], um zu beschreiben, wie Therapeuten und Patienten sich zueinander verhalten. Demgegenüber werden Begriffe wie ›Technik‹ oder ›Intervention‹ verwendet, um zu benennen, was der Therapeut tut« (Norcross & Lambert 2011a, 5 – H.i.O.); so gesehen
formen Beziehung und Technik einander ständig. … Die Beziehung existiert nicht getrennt davon, was der Therapeut in Form von Technik tut, und man kann sich keine Techniken vorstellen, die nicht auch einen Einfluss auf die Beziehung ausüben. Anders gesagt: Techniken und Interventionen sind relationale Handlungen. (Norcross & Lambert 2011b, 5 – H.d.V.)
Ob ein Therapeut seiner Klientin z. B. eine Technik vorschreibt oder vorschlägt und ihr zur eigenen Umsetzung an die Hand gibt, ist Ausdruck dessen, wie er sich auf sie bezieht, und wird die Art und Weise beeinflussen, wie die Klientin die Technik nutzt und wie sie sich auf den Therapeuten bezieht.
Ich schreibe bewusst »beeinflussen« und nicht etwa »festlegen«, denn selbstverständlich hat die Klientin die Möglichkeit, ihre Antwort auf eine Mitteilung des Therapeuten selbst zu wählen. Daran wird deutlich, wie wichtig es ist, die Unterschiedlichkeit in den Perspektiven der Beteiligten zu berücksichtigen. Das findet nach meinem Eindruck seltener statt, als ich es für wünschenswert halte. Wenn von der therapeutischen Beziehung die Rede ist, wird oft so getan, als ob sie mit der Charakterisierung der Haltung der Therapeutin ausreichend beschrieben wäre. Insofern finde ich es z. B. bemerkenswert, dass Norcross und Lambert in ihrem schon zitierten Text, dem sie den Titel »Evidence-based therapy relationships« gaben, feststellen: »Zahlreiche und übereinstimmende Quellen belegen, dass die Person des Psychotherapeuten unauflöslich mit dem Ergebnis der Psychotherapie verknüpft ist« (2011b, 7 – H.i.O.).
Das ist zwar sicher richtig, aber bei dieser Formulierung fällt unter den Tisch, dass jede noch so gut gemeinte und sorgsam kommunizierte Einstellung einer Therapeutin prinzipiell nur so wirksam sein kann, wie sie vom Klienten entsprechend erlebt wird.
Die Wirkung des Therapeutenverhaltens auf den Klienten muss letztlich im Kontext des Erlebens des Klienten von diesem Verhalten verstanden werden, und dieses Erleben steht unter dem Einfluss der einzigartigen Lerngeschichte des Klienten. Dieselbe therapeutische Intervention kann daher von zwei verschiedenen Klienten sehr unterschiedlich aufgefasst werden. Während der eine Klient darin etwas sieht, das die therapeutische Beziehung fördert, empfindet der andere es als etwas, das sie beeinträchtigt. Aus diesem Grund erscheint es unerlässlich, dass der Therapeut versteht, welche Faktoren das Erleben des Klienten von den therapeutischen Interventionen beeinflussen. (Safran, Crocker, McMain & Murray 1990, 155 – H.d.V.)
Aus demselben Grund wäre es illusorisch, wenn Therapeutinnen meinten, ihre eigene positive Einstellung gegenüber ihren Klienten sei hinreichend für eine gute Beziehungsqualität, und es wäre vermessen anzunehmen, Therapeutinnen könnten einseitig eine fruchtbare therapeutischen Beziehung herstellen: Die Qualität der therapeutischen Beziehung resultiert aus der Art und Weise, wie beiden Beteiligten ihre Zusammenarbeit gelingt.36
Theoretische Ergänzung 9
Wenn Therapeutinnen dies nicht beachten, werden sie naiv annehmen, es sei mit ihrem guten Willen und ihrer Kompetenz schon getan. Doch das führt dann leicht dazu, dass sie nicht mehr aufmerksam dafür sind, wie der Klient die Zuwendung der Therapeutin aufnimmt und verarbeitet. Damit allein sind Enttäuschungen und Missverständnisse vorprogrammiert. Daher gilt:
Eine Fehleinschätzung davon, wie der Klient die therapeutische Beziehung erlebt (z. B. zu glauben, sie befinde sich ›in gutem Zustand‹, wenn der Klient diesen Eindruck nicht teilt), kann dazu führen, dass therapeutische Interventionen weniger wirksam werden. Daher empfiehlt es sich, während der gesamten Therapie aktiv im Auge zu behalten, wie der Klient die Beziehung erlebt. (Horvath, Del Re, Flückiger & Symonds 2011, 15)
Denn natürlich kann das, was die Therapeutin auf ihre Weise erlebt, vom Klienten auf andere Weise erlebt werden. Das ist eine basale Tatsache zwischenmenschlicher Kommunikation: Sie »schreibt … ihre Effekte nicht vor. Sie determiniert sie nicht und ist daher nicht ›instruierend‹ (Maturana & Varela 1987, 106). Jede Therapeutin, die Erfahrungen mit eigenen Übertragungen bzw. denen ihrer Klienten hat, wird das bestätigen können.
Und meist ist die Kommunikation ja durchaus komplex in dem Sinne, dass die Beteiligten einander nicht nur auf eine Weise verstehen, sondern den Mitteilungen des jeweils anderen durchaus mehrere, verschiedene Bedeutungen verleihen, die oft nur mit Mühe herauszufinden und zu unterscheiden sind. Die wichtigen in eine Kommunikation einfließenden Bedeutungen herauszuarbeiten, ist Teil des therapeutischen Dialogs, der dann ansteht.
In der Psychoanalyse hat man versucht, zwei grundlegend verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen (und dann therapeutisch zu nutzen), die für das Zustandekommen von unterschiedlichen Bedeutungen relevant sein können: das Arbeitsbündnis und die Übertragungsneurose (vgl. Greenson 1966). Manchmal wird in diesem Zusammenhang der problematische Begriff der »therapeutischen Ich-Spaltung« verwendet, den Körner Psychoanalyse-immanent kritisiert, weil er »es erlaubt, zwischen zwei Beziehungen, der neurotischen Übertragungsbeziehung und der relativ unneurotischen Arbeitsbeziehung zu unterscheiden. Der Nutzen dieser Unterscheidung liegt darin, daß sich die Analytiker … nur dann in die persönliche Beziehung zum neurotischen Patienten mit seinen infantilen, drängenden Phantasien und Wünschen einlassen mochten, wenn sie daneben die Sicherheit einer vernünftigen, ›erwachsenen‹ Beziehung erkennen konnten« (1989, 387).
Aus meiner gestalttherapeutischen Perspektive wende ich mich im Grundsatz gegen ein verdinglichendes Instanzenmodell der Psyche, dessen Bestandteil ein »Ich« ist, und bevorzuge eine prozessuale Sichtweise. Außerdem gefällt mir die unnötige Pathologisierung (»Spaltung«) nicht. Ich denke vielmehr, dass es sich hier um eine durchaus sinnvolle, synchrone Aktivierung von (mindestens) zwei Selbst-Positionen des Klienten – der unmittelbar erlebenden und der das Erleben beobachtenden, reflektierenden – handelt, mit denen er auf entsprechend unterschiedliche Weise mit der Therapeutin in Kontakt tritt und gerade dadurch zum Erfolg der Arbeit beiträgt (vgl. Staemmler 2015a). »Was mit der Ich-Spaltung eigentlich gemeint sein sollte, ist die Fähigkeit des Patienten und des Therapeuten, sich auf die therapeutische Situation und die therapeutische Beziehung einzulassen und sich gleichzeitig und/oder nachträglich … davon distanzieren zu können« (Heisterkamp 1993, 129).
Das Gelingen der therapeutischen Zusammenarbeit beruht, wie Edward Bordin in einer Reihe von Publikationen (z. B. 1979; 1994) gezeigt hat, zu einem wesentlichen Teil darauf, dass zwischen Klientin und Therapeut in bestimmten Punkten ein (expliziter oder impliziter) Konsens bzw. eine »Genauigkeit der Passung« (engl.: closeness of fit – 1979, 253) be- bzw. entsteht. Aus seiner Sicht geht es hier hauptsächlich um drei Dimensionen: erstens »eine Übereinstimmung hinsichtlich der Ziele, [zweitens] die entsprechende Zuordnung der Aufgabe oder einer Abfolge von Aufgaben [die von der Klientin bzw. dem Therapeuten zu erfüllen sind], und [drittens] die Entwicklung von Verbundenheit« (a.a.O.).
Die allgemeinen Ziele einer Therapie werden meist schon in den ersten Gesprächen als das Anliegen benannt, weswegen eine Therapie überhaupt gewünscht wird: Eine Klientin gibt vielleicht an, dass sie selbstsicherer werden möchte. Ein Klient wünscht sich, seine Arbeit so zu strukturieren, dass er nicht mehr so sehr unter Druck kommt und mehr Zeit für sich und seine Familie hat. Ein anderer möchte aufhören, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, und eine andere strebt an, ihren Körper zu akzeptieren und eventuell sogar zu mögen. In der Regel können Therapeutinnen auf dieser allgemeinen Ebene solche Zielformulierungen akzeptieren und sich so zu eigen machen, dass eine gemeinsame Zielvorstellung entsteht. In den seltenen Fällen, in denen das nicht der Fall ist, muss selbstverständlich darüber verhandelt werden, was die Ziele der gemeinsamen Arbeit sein könnten, die für beide Beteiligte akzeptabel und wünschenswert sind.
Wenn es dann aber um die konkrete therapeutische Arbeit geht, ist es immer wieder erforderlich, das aktuelle Entwicklungsbedürfnis der Klientin Schritt für Schritt zu erarbeiten (vgl. Staemmler 1988). Dies ist ein kleinschrittiger gemeinsamer Prozess – wir sprechen hier von der »Erarbeitung eines therapeutischen Themas« (Staemmler 1993, 232 ff.; Staemmler & Bock 1998, 98 ff.) –, in dessen Verlauf beiden Beteiligten klar wird, in welche Richtung die angestrebte Veränderung gehen muss, welche Hindernisse dabei im Weg stehen und wie sie zu überwinden sind. Das dabei deutlich werdende konkrete Ziel eines Veränderungsprozesses besteht dann in dem Erreichen einer subjektiven Situation, in der die Klientin die erforderlichen Fähigkeiten besitzt und nutzen kann, ihr bislang unbefriedigt gebliebenes Bedürfnis in ihrem Alltag zu befriedigen. Anders gesagt: Ziel eines Veränderungsprozesses ist nicht die Bedürfnisbefriedigung, sondern die subjektive Fähigkeit dazu.37
Was den erforderlichen Konsens über das konkrete Ziel angeht, ergibt er sich aus der schrittweise erfolgenden Abstimmung und Verständigung zwischen Therapeut und Klientin darüber, welche Bedeutung sie jedem während der Erarbeitung des Themas auftauchenden Element im Erleben der Klientin zuordnen wollen und welches Gesamtbild für sie dabei entsteht (vgl. auch Anhang 1). Diese Abstimmungsprozesse sind dann sehr viel minutiöser als die zuvor besprochenen Klärungen der allgemeinen Therapieziele, und mögliche Unterschiede in der jeweiligen Auffassung von einem der einzelnen Aspekte lassen sich meist relativ leicht überbrücken und zu einem Konsens zusammenführen, vorausgesetzt der Therapeut versteht sich nicht als besserwissender Experte, sondern als gleichberechtigter Dialogpartner.
Das notwendige Einverständnis über die Aufgabenverteilung zwischen den Beteiligten ist der zweite Punkt in Bordins Aufzählung. Es sollte Einigkeit darüber bestehen, welchen Beitrag jeder dazu zu leisten hat, dass die festgelegten Ziele erreicht werden können. Es gibt bisher nur einige wenige Versuche, die Aufgabe der Gestalttherapeutin zu umreißen; sie liegen nicht nur auf recht unterschiedlichen Abstraktionsniveaus, sondern setzen auch sehr unterschiedliche Schwerpunkte (vgl. z. B. Fagan 1970; Staemmler & Bock 1998, 135 ff.).
Zu den recht generellen Aufgabenbeschreibungen gehört etwa Richard Hycners Forderung, der Therapeut solle sich als »Hüter des Dialogischen« (1989, 55) verhalten. Für Lore Perls war es
wichtig, keine therapeutische Rolle zu spielen, sondern den Klienten so zu begegnen, wie ich im Augenblick bin: mich mit meinem Hintergrund, mit allem, was mir an Erfahrung, Wissen und Geschick zur Verfügung steht, in der gegebenen Situation in den Dienst des Dialogs, der Begegnung zu stellen. (1989, 179)
René Sassenfeld sieht seine Aufgabe so:
Der Psychotherapeut nimmt … ein komplexeres Bündel an Aufgaben auf sich: einerseits muss er ähnlich dem Patienten seiner eigenen Erfahrung im Rahmen des therapeutischen Raumes besondere Aufmerksamkeit schenken; andererseits trägt er die entscheidende zusätzliche Verantwortung, die Aufrechterhaltung des sich entfaltenden psychotherapeutischen Prozesses zu sichern und zu schützen. Das bedeutet für den Therapeuten, dass – obwohl auch seine eigene Teilnahme am therapeutischen Geschehen erwartet wird – er gleichzeitig einen psychischen Zustand aufrechterhalten muss, der es ihm erlaubt, die therapeutische Qualität des mit dem Patienten geteilten Raumes zu garantieren. (2015, 131)
Etwas technischer orientierte Charakterisierungen der Aufgabe des Therapeuten sprechen davon, dass er die Bewusstheit der Klientin fördern solle; andere sehen es als seine besondere Aufgabe, Verhaltensweisen der Klientin, die er für neurotisch hält, ›geschickt‹ zu frustrieren (engl.: skillful frustration). Eine wiederum ziemlich umfassende Aufgabenstellung formuliert David Mann: »Der Therapeut bringt seine Gefühle, Beobachtungen, Vorlieben, persönliche Erfahrungen und Gedanken zum Ausdruck und liefert der Klientin auf diese Weise ein Modell für phänomenologische Beschreibungen« (2010, 181).
Es ist für mich offensichtlich, dass die Literatur zu dieser Frage noch rudimentär ist und weiterer Klärungsbedarf besteht. Dasselbe gilt – vielleicht sogar in noch stärkerer Ausprägung – für die Aufgabe des Klienten. Viele Klienten tun sich gerade am Anfang einer Therapie nicht leicht, weil sie keine oder nur eine sehr vage Vorstellung davon haben, worin ihr Beitrag zur therapeutischen Arbeit bestehen sollte.38 Das kann nicht nur zu der heiklen Situation führen, dass sie eine Entscheidung für die Therapie treffen sollen, ohne genau zu wissen, was das für sie genau bedeutet, sondern es kann auch zu unnötigem Zeitverlust und zu vermeidbaren Missverständnissen und daraus resultierenden Enttäuschungen sowie zu Beziehungskrisen beitragen, die eventuell zu umgehen wären, wenn Klienten im Vorgespräch klare Informationen darüber erhielten, worin ihre Aufgabe besteht.
»Informed consent« ist sicher ein wünschenswerter Ausgangspunkt für jeden therapeutischen Prozess sowie für die dritte von Bordin genannte Dimension, die Verbundenheit zwischen den Beteiligten, also für das, was im engeren Sinn unter der therapeutischen Beziehung zu verstehen ist. Die erwähnten Unterschiede in der therapeutischen Aufgabenverteilung stellen nur einen Aspekt der Tatsache dar, dass Beziehungen zwischen Menschen – im Allgemeinen wie auch im speziellen Kontext von Psychotherapie – immer mindestens zwei Beteiligte und ihre jeweiligen Perspektiven umfassen.