Kitabı oku: «Relationalität in der Gestalttherapie», sayfa 6

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Die zwei Seiten der Beziehung

Diese Perspektiven sind zwar aufeinander bezogen, aber deswegen keineswegs identisch. Wie der eine den anderen sieht, muss nicht mit dem übereinstimmen, wie der andere den einen sieht, und das ist im therapeutischen Zusammenhang genauso. Gerade weil Relationalität auf zwei unterschiedliche Perspektiven verweist, ist sie nicht gleichbedeutend mit vollständiger Mutualität. Vom Klienten ist z. B. nicht zu verlangen, dass er sich auf seine Therapeutin in gleicher Weise zugewandt und einfühlsam bezieht, wie man es umgekehrt von der Therapeutin in Bezug auf ihn erwarten kann. Aber

von der empathischen Zuwendung der Therapeutin könnte der Klient nicht profitieren, wenn er sie nicht als solche erkennen würde. Und dafür benötigt er selbst empathische Fähigkeiten. Jede Empathie, die die Therapeutin ihm entgegenbringt, bliebe wirkungslos, wenn sie vom Klienten nicht auch als solche erlebt würde. Die Empathie der Therapeutin muss bei ihm zumindest teilweise ›ankommen‹, sonst bringt sie ihm im unmittelbaren Kontakt gar nichts, auch wenn die Therapeutin sich einseitig von ihm vielleicht ein klareres Bild machen kann. (Staemmler 2009a, 65 f.)

»Das hat Implikationen für mich als Berater. Ich muß nicht nur sensibel sein für das, was in mir vor sich geht, und ein Gespür für die Gefühlsströme meines Klienten haben, sondern auch dafür, wie er meine Mitteilungen aufnimmt« (Rogers 1984, 111 – H.d.V.).39 Ich möchte das anhand einer Fallgeschichte verdeutlichen, die am Beispiel einer missglückten Situation zeigt, wie richtig Rogers mit seiner Empfehlung lag:

Beispiel aus der Praxis 4

Eine Frau, mit der ich wegen einer langen Warteliste die gewünschte Therapie nicht gleich beginnen konnte, hatte mich gebeten, mit ihr bis zum Beginn der regulären Therapie gelegentlich eine Sitzung zu machen, wenn einer meiner anderen Klienten aus irgendwelchen Gründen seinen Termin absagte. Dieser Bitte hatte ich entsprochen und im Laufe eines Jahres ungefähr fünf Gespräche mit ihr gehabt.

In einer weiteren derartigen Sitzung brach das grundlegende Leid dieser Frau, das sie bislang hinter einer attraktiven, gut angepassten Fassade verborgen hatte, unter dem Eindruck einer akuten Ehekrise für sie selbst überraschend und auf sehr vehemente Weise hervor. Ihre bislang latente Angst, sie könne verrückt werden oder sei es vielleicht sogar schon, wurde auf sehr krasse, panische Art manifest. Sie konnte nur mit Mühe die Kontrolle über sich bewahren und benötigte viel Unterstützung von mir, ihre Orientierung an der Realität aufrecht zu erhalten. Dabei wurde ihr klar, dass die niedrige Frequenz unserer vorläufigen Sitzungen gemessen an dem, was sie an Unterstützung tatsächlich benötigte, für sie viel zu gering war.

Als unsere Zeit zu Ende ging und sie sich wieder gefasst hatte, sagte ich ihr, dass ich mich »alarmiert« fühlte durch das, was ich von ihr verstanden hatte, und dass ich in Sorge um sie sei, zumal ich ihr nach wie vor aus Zeitgründen noch nicht jene regelmäßige Hilfe anbieten könnte, die sie brauchte. Diese Mitteilung löste einen für mich deutlich erkennbaren Rückzug bei ihr aus.

Ein paar Tage später besuchte sie mich während meiner Sprechstunde, um mir zu sagen, dass sie nicht mehr zu mir kommen und von meiner Warteliste gestrichen werden wollte. Monate später, als ich ihr in anderem Zusammenhang begegnete, stellte sich heraus, dass sie mein Alarmiertsein und meine Sorge um sie als Ausdruck einer vermeintlichen Unsicherheit und Instabilität verstanden hatte, die sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen extremen Instabilität, wie sie durch die Ehekrise ausgelöst worden war, nicht tolerieren konnte. –

Wie die Reaktion meiner Klientin zeigte, war die Mitteilung meiner Resonanz ganz offenbar nicht ausreichend auf sie abgestimmt gewesen. Mit dem ersten Teil meiner Mitteilung, ich sei »alarmiert«, hatte ich zwar einen authentischen Ausdruck für meine persönliche Resonanz gefunden, die für mein Empfinden der Ernsthaftigkeit ihrer aktuellen Problematik durchaus entsprach. Meine Mitteilung war von daher vielleicht eine Bestätigung für ihr subjektives Erleben und ein Zeichen meines Verstehens. Zugleich galt meine Wortwahl, wie sich später herausstellte, für sie als Indiz dafür, dass meine Reaktion eher von Angst vor ihrem Zustand getragen sei und nicht, wie ich selbst es empfand, von meinem Engagement für sie.

Möglicherweise hätte es die Situation schon entscheidend verändert, wenn ich mich auf den zweiten Teil meiner Mitteilung beschränkt und nur von meiner Sorge um sie gesprochen hätte, ohne die Formulierung, ich sei »alarmiert«, zu gebrauchen. Dies hätte ihr vielleicht geholfen, sich sowohl in der aufkommenden Panik verstanden zu fühlen als auch genügend Halt und Sicherheit im Kontakt mit mir zu erleben, um die Panik ertragen zu können.

An diesem Beispiel aus der Praxis werden die Tücken sichtbar, die sich daraus ergeben, dass es unmöglich ist, die Art und Weise, wie Klientinnen ihre Therapeuten verstehen, immer treffend vorherzusehen. Eine Mitteilung schreibt, wie schon gesagt, ihre Effekte eben nicht vor. Dass auch im therapeutischen Kontext eine Kommunikation zu Missverständnissen, Irritationen oder zu von der Klientin erlebten Kränkungen (vgl. Staemmler 2016b) führen kann, ist an sich weder überraschend noch muss es unbedingt zum Abbruch der Therapie durch die Klientin führen.40

Ich habe im Gegenteil in den meisten Fällen die Erfahrung gemacht, dass die Beziehungen zwischen Klienten und mir, in denen einmal Irritationen aufgetreten waren, sich auf besondere Weise intensiviert und stabilisiert haben, wenn es uns gelungen war, das Missverständnis zu klären und aufzulösen. Von da an wussten wir beide, dass wir uns darauf verlassen können, gemeinsam schwierige Situationen bewältigen zu können (vgl. auch Kapitel 4.4, Abschnitt »Beziehungskrisen«).

Es sind im Übrigen wohl eher die gar nicht als solche erkannten, die nicht thematisierten41 sowie die nicht zu klärenden Irritationen, die die therapeutische Beziehung belasten oder gar scheitern lassen. Insofern ist es in aller Regel zu begrüßen, wenn Missverständnisse von den Beteiligten angesprochen werden, und ich ermutige meine Klienten bereits im Erstgespräch dazu. Von einem relationalen Standpunkt aus könnte man sogar die Ansicht vertreten, dass die gemeinsame Auseinandersetzung mit Beziehungsproblemen zwischen Therapeutin und Klient – jedenfalls wenn sie nicht zu häufig nötig wird und für beide Beteiligte zufriedenstellend verläuft – einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Therapie leisten kann.

Bei der Arbeit an dem vorliegenden Buch bin ich daher auf die Idee gekommen, zusätzlich einmal außerhalb des unmittelbaren therapeutischen Dialogs nachzuforschen, wie meine Klientinnen im Verlauf ihrer aktuell stattfindenden Therapien aus ihrer Perspektive heraus die Beziehungssituation mit mir erleben: In zwei zufällig ausgewählten Wochen habe ich ihnen am Ende unserer Sitzung einen Fragebogen mitgegeben, den ich selbst zuvor aufgesetzt hatte (vgl. Anhang 2). Die 19 Antworten, die ich bekam, waren für mich unabhängig davon interessant, dass ich natürlich keinerlei Anspruch auf statistische Repräsentativität oder sonstige methodische Gültigkeit erheben kann und will. – Hier ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse:

Die erste Frage bezog sich auf die von meinen Klienten erlebte Intensität der gesamten Sitzung, die sie auf einer Skala von 0 (= langweilig) bis 10 (sehr intensiv) einschätzen sollten. Mit dieser Frage wollte ich überprüfen, ob während der Sitzung eine nennenswerte »prozessuale Aktivierung« (vgl. Grawe 1998) stattgefunden und es sich von daher überhaupt um eine für meine Klienten bedeutsame Stunde gehandelt hatte. Da alle Klienten eine Zahl zwischen 7 und 10 angaben, schien mir das insgesamt gegeben zu sein. Die zweite Frage bezog sich auf die Bandbreite der in der Sitzung erlebten Intensität; mit ihr wollte ich den Gesamtwert von Frage 1 etwas differenzierter betrachten. Hier war der niedrigste angegebene Bereich der zwischen 3 und 8, der höchste der zwischen 7 und 10.

Die folgenden Fragen befassten sich dann damit, wie meine Klientinnen mich als ihren Therapeuten erlebt hatten. Hier wollte ich wissen, in welchem Maße ich als Person für sie im Vordergrund ihrer Aufmerksamkeit gewesen war. Dabei war diese Fragestellung wiederum differenziert: Frage 3 bezog sich darauf, welche Bedeutung ich für meine Klientinnen in den am wenigsten intensiven Momenten der Sitzung gehabt hatte, Frage 4 darauf, wie stark der Eindruck meiner Klientinnen von mir in den am intensivsten empfundenen Momenten der Sitzung gehabt hatte. Hier ergab sich im Durchschnitt ein Unterschied in dem Sinne, dass meine Klientinnen sich meiner Präsenz in den am wenigsten intensiven Momenten erkennbar weniger bewusst waren (Durchschnittswert: 6,5) als in den intensivsten (Durchschnittswert: 8).

Mit einer gewissen Plausibilität könnte man ja auch ein umgekehrtes Ergebnis erwarten und annehmen, dass für Klienten in Momenten großer emotionaler Intensität ihr eigenes Erleben so stark im Vordergrund ist, dass die Anwesenheit des Therapeuten etwas mehr in den Hintergrund rückt. Das wollte ich genauer erforschen. Daher lautete Frage 5: »Wenn Du an die Momente zurückdenkst, in denen ich für Dich mehr im Hintergrund Deiner Aufmerksamkeit war: Welche Bedeutung hatte ich in diesen Momenten für Dich?« An sechster Stelle stand die umgekehrte Frage: »Wenn Du an die Momente zurückdenkst, in denen ich für Dich stark im Vordergrund Deiner Aufmerksamkeit war: Welche Bedeutung hatte ich in diesen Momenten für Dich?«

Die Antworten, die ich von meinen Klienten erhielt, waren insofern für mich bemerkenswert, als sie die am Anfang des vorigen Absatzes formulierte Annahme einerseits bestätigten, andererseits aber relativierten, wie aufgrund der Werte für die Fragen 3 und 4 ja auch zu erwarten war. Viele Klienten erläuterten ihr Erleben jener Situationen, in denen ich für sie mehr im Hintergrund gewesen war, mit eigenen Suchvorgängen, in denen sie damit beschäftigt waren, ihre Gedanken zu ordnen und ihre Gefühle präziser zu erfassen. Während dieser Prozesse nahmen sie mich verständlicherweise nicht mehr so stark wahr, der Durchschnittswert von 6,5 zeigt jedoch, dass ich von ihnen immer noch ausreichend prägnant erlebt wurde, um als Unterstützung bei ihren Selbstexplorationen empfunden zu werden.

Typische Kommentare zu Frage 5 waren z. B.: »Die eigene Intensität stand im Vordergrund, aber die Tatsache, Dich berührbar und liebevoll gegenüber (im Hintergrund) zu wissen (zu sehen und zu spüren), ermöglichte es mir erst, die eigene Intensität so in den Vordergrund kommen zu lassen.« – »Ich empfand Dich wie eine sichere Basis; ich glaube, die entsteht mit durch Deine Aufmerksamkeit, Zuwendung und Wertschätzung. Und dadurch kann ich mich mir zuwenden, mit dem Bewusstsein, dass wir das, was wir auf diese Art finden, gemeinsam anschauen.«

Die Frage nach meiner Bedeutung, während ich für meine Klientinnen stark im Vordergrund stand (Frage 6; Durchschnittswert: 8), wurde schwerpunktmäßig anders beantwortet. Hier ging es für manche Klientinnen darum, sich besonders in Situationen, in den sie sich »fallen ließen« und »Kontrolle aufgaben«, meiner Präsenz zu versichern, um sich dabei »gehalten« und »sicher« zu fühlen. Für andere kam ich besonders in den Vordergrund, wenn sie sich heiklen Themen und Gefühlen zuwandten. Anscheinend ging es ihnen um Sicherheit, aber um eine andere als bei der ersten Gruppe, die Halt suchte. Bei der zweiten Hauptgruppe spielte die Suche nach der Sicherheit eine hervorragende Rolle, die sie dadurch gewannen, dass sie genau im Blick behielten, ob ich sie bewertete oder nicht. Dies war verständlicherweise dann in großem Ausmaß der Fall, wenn es um Gefühle von Peinlichkeit und Scham ging.

Typische Kommentare zu Frage 6 waren daher: »Da ich ja das Thema ›Scham‹ mit Dir bearbeitet habe, bin ich natürlich während der gesamten Zeit sehr auf Dich fokussiert, um zu prüfen, wie reagierst Du, wenn ich Dir von diesen speziellen Themen berichte. Vielleicht kann man das so formulieren: Mit Scham ist man sehr aufmerksam, was die Reaktionen des Gegenübers anbelangt, sodass ich während der gesamten Thematik meine Aufmerksamkeit bei Dir hatte.« – »Ich brauchte es zu sehen: Da ist jemand, der sich wahrhaft und wohlwollend für mich und meine Not interessiert und vor dem ich mich nicht schämen muss. Ich fühlte mich wahrgenommen als jemand, der ›nicht falsch‹ ist, und dann nehme ich mich auch wahr als ›ich bin nicht falsch‹.«

Mit der siebten und letzten Frage des Fragebogens bat ich meine Klienten, in eigene Worte zu fassen, welche meiner Verhaltensweisen sie in unseren Sitzungen im Allgemeinen als (a) besonders hilfreich, (b) als eher irrelevant oder (c) als störend oder schädlich empfinden. Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: Hier bekam ich nur die Antwort, dass es dazu keine Beispiele gäbe. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren. Schmeichelhaft, aber zu schön, um wahr zu sein, wäre es natürlich, wenn es mir tatsächlich gelingen würde, meine Klienten weder in ihren Prozessen zu stören noch ihnen irgendwie zu schaden. Vielleicht gab es aber zum fraglichen Zeitpunkt einfach keine aktuellen Irritationen. Und selbstverständlich muss man mit der Möglichkeit rechnen, dass es andere Gründe für die hier ausbleibenden Antworten geben könnte, etwa die Sorge, mit möglicher Kritik die Beziehung mit mir zu belasten.

Zu Frage 7b (nach den als irrelevant empfundenen Verhaltensweisen des Therapeuten) erhielt ich überwiegend dieselben Antworten wie zu Frage 7c, nämlich keine. Aber manche Klienten merkten Dinge an, die sich lohnen zu erwähnen. Eine Klientin schrieb z. B.: »Im Grunde gibt es für mich keine irrelevanten Verhaltensweisen, schon eine herzliche Begrüßung ist bedeutsam dafür, mich öffnen zu können.« Ein anderer Klient nannte hier manche meiner »Ideen oder irgendeine Technik, die bei mir keinen Widerhall finden.«

Zu Frage 7a (nach den für meine Klienten als besonders hilfreichen Verhaltensweisen des Therapeuten) bekam ich einige interessante Auskünfte; eine Klientin zählte z. B. Folgendes auf: »Humorvolle Überzeichnungen nehmen die Schwere – die klaren und eindeutigen Rückmeldungen – das offene Fragen – die gemeinsame Suche nach dem einen treffenden Wort oder Satz für das Erleben – das Zeitgeben zum Spüren und Suchen nach Worten.« Eine andere schrieb: »Dein Spüren, was ich zu welchen Zeitpunkt in der Arbeit brauche, um weitergehen bzw. mich fallenlassen zu können. – Das Zulassen von körperlichem Kontakt (Trost spenden, in den Arm nehmen).« Ein Klient nannte »Deine Berührbarkeit, Humor, Ernsthaftigkeit, zu wissen, dass ich nicht verurteilt werde.« Und ein letztes Beispiel: »Deine Genauigkeit, Klarheit und feine Unterscheidung. Die Zeit, die Du lässt. Deine Art von Körperkontakt – ob das eine Hand auf meinem Bein ist, wenn ich mit geschlossenen Augen etwas intensiv erlebe, ein sanftes Streicheln an der Wange oder mich anlehnen zu dürfen. Die Momente, in denen ich in Deinen Augen Tränen gesehen habe. Humorvolle oder freche Bemerkungen zwischendurch.«

Für mich liegt das wichtigste Ergebnis dieser Befragung darin, dass sich nicht nur zu bestätigen scheint, wie wichtig die Person des Therapeuten und sein Verhalten für die Klientin in vielen Situation ist, sondern dass die Klientinnen das Verhalten ihres Therapeuten offenbar über die Sitzungen hinweg immer wieder sehr genau beobachten und u. a. daraufhin überprüfen, ob ihnen die Wertschätzung und Akzeptanz entgegengebracht wird, auf die sie angewiesen sind, wenn sie Sicherheit und Halt benötigen, insbesondere bei der Beschäftigung mit heiklen Themen. – Ich überlasse eventuelle weitere Interpretation dieser Ergebnisse Ihnen, meinen Leserinnen und Lesern. Mir ging es an dieser Stelle erst einmal darum, Klienten aus ihrer eigenen Perspektive zur Frage nach der therapeutischen Beziehung zu Wort kommen zu lassen.

Rogers’ Variablen und der klinische Kontext

Was sich aber vielleicht jetzt schon vermuten lässt, ist, dass das Erleben meiner Klientinnen von ihrem Therapeuten weitgehend dem entsprach, was Carl Rogers sich davon erhoffte, wenn der Therapeut die von Rogers beschriebenen drei zentralen Dimensionen eines fruchtbaren Beziehungsangebots realisiert: Kongruenz (Echtheit), Empathie und (möglichst bedingungslose) positive Wertschätzung. Die von Rogers charakterisierten Dimensionen – manchmal »Variablen« genannt – waren und sind für Generationen von Therapeutinnen vieler Orientierungen ein wichtiger Maßstab dafür, wie sie versuchen, positiv auf die Entwicklung der therapeutische Beziehungen mit ihren Klientinnen einzuwirken.

Obwohl Rogers’ Variablen weithin bekannt sind, scheint es mir sinnvoll, sie hier wiederzugeben; damit die Lektüre für diejenigen meiner Leser nicht langweilig wird, die hinlänglich mit Rogers’ Positionen vertraut sind, zitiere ich zur Abwechslung aus einem seiner weniger bekannten Texte (Rogers 1984):

Kongruenz

Meine erste Hypothese besagt, daß persönliches Wachstum dann begünstigt wird, wenn der Therapeut lebt, was er wirklich ist, wenn er in seiner Beziehung mit dem Klienten echt und ohne Fassade bleibt, also ganz offen Gefühle und Einstellungen lebt, die ihn im Augenblick bewegen. (a.a.O., 104 – H.i.O.)

Empathie

Die zweite wesentliche Bedingung der therapeutischen Beziehung besteht nach meiner Ansicht darin, daß der Therapeut ein präzises einfühlendes Verstehen für die persönliche Welt des Klienten entwickelt und daß er fähig ist, von den Fragmenten des so Verstandenen einiges Wesentliche mitzuteilen. Die innere Welt des Klienten mit ihren ganz persönlichen Bedeutungen so zu verspüren, als wäre sie die eigene (doch ohne die Qualität des »als ob« zu verlieren), das ist Empathie, und das scheint mir das Wesentliche für eine wachstumsfördernde Beziehung zu sein. (a.a.O., 107)

Theoretische Ergänzung 10

Ich habe an anderer Stelle (Staemmler 2009a) deutlich gemacht, dass diese Sicht von Empathie eine kognitivistische Schlagseite hat, bei der der Bezug zur Leiblichkeit zu kurz kommt. Dabei verhielt Rogers sich als Person durchaus nicht grundsätzlich körperlich distanziert, sondern drückte sowohl seine Anteilnahme als auch seine positive Wertschätzung bei Gelegenheit durchaus sehr direkt aus, wie er berichtet:

Mit der Zeit habe ich gelernt, mit physischem Kontakt zu reagieren, wenn es wirklich, spontan und angemessen scheint. Als einmal eine junge Frau zu weinen begann, weil sie geträumt hatte, daß niemand in der Gruppe sie liebt, umarmte und küßte ich sie und streichelte ihr Haar. Wenn eine Person leidet, und ich spüre in mir den Wunsch, zu ihr zu gehen und meinen Arm um sie zu legen, dann tue ich das. (1974, 65)

Positive Wertschätzung

Nun zur dritten Bedingung. Meine Hypothese lautet hier, daß umso eher eine Weiterentwicklung eintritt, je ausgeprägter der Therapeut eine warmherzige, positive und akzeptierende Haltung den Vorgängen im Klienten gegenüber einnimmt. Dies bedeutet, daß er den Klienten als Persönlichkeit schätzt … Es bedeutet, daß er seinen Klienten in einer nicht besitzergreifenden Weise, als einen Menschen voller Möglichkeiten mag. Es schließt eine offene Bereitschaft für den Klienten ein, die ihm alle Gefühle gestattet, die im Augenblick in ihm vorhanden sind: Feindseligkeit und Zärtlichkeit, Auflehnung und Fügsamkeit, Selbstvertrauen und Selbstentwertung. … Das Gefühl, das ich beschreibe, ist weder patriarchalisch noch sentimental, auch ist es nicht von einer oberflächlich-liebenswürdigen Zuwendung. Es achtet den anderen Menschen als eigenständiges Individuum ergreift nicht Besitz von ihm. Es ist eine Art der Zuneigung, die Kraft hat und die nicht fordert. (Rogers 1984, 109)

Wahrscheinlich ist es für die meisten Menschen, mit Sicherheit aber für diejenigen, die therapeutische Unterstützung suchen, wohltuend, wenn sie sich von einem Therapeuten, der auf sie authentisch und vertrauenswürdig wirkt, emotional verstanden und als die Person, als die sie sich erleben, gesehen, anerkannt und geschätzt fühlen – unabhängig davon, in welcher subjektiven Situation sie sich gerade befinden. Heinz Kohut, der (im psychoanalytischen Kontext) ähnlich viel Gewicht auf die Empathie des Therapeuten legte wie Carl Rogers (im personzentrierten Kontext), hat das schön zum Ausdruck gebracht, als er schrieb:

Die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen zu erfahren – dass einem zugehört wird, dass man beachtet und verstanden wird, dass der andere sich über einen Gedanken macht und sich an einen erinnert –, ist nichts ›Neutrales‹; vielmehr handelt es sich dabei um eine der subjektiv bedeutsamsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. (2011, 498)

Das gilt natürlich nicht nur für therapeutische, sondern genauso für andere Beziehungen. Daher behauptete Rogers, »daß die therapeutische Beziehung nur einen Fall zwischenmenschlicher Beziehung darstellt, und daß die gleiche Gesetzmäßigkeit alle sozialen Beziehungen regelt« (1973, 50).

Dem ist im Grundsatz sicherlich zuzustimmen. Rogers’ Statement war daher wohl auch Anlass42 für Hilarion Petzold, die folgende Ansicht zu vertreten:

Ich kam dazu, das »Therapeutische« an der therapeutischen Beziehung prinzipiell in Frage zu stellen. Eigentlich ist eine therapeutische Beziehung eine gute zwischenmenschliche Beziehung. Da sie in einem klinischen Kontext stattfindet, kann man dann sagen, sie sei »therapeutisch«, oder weil sie bestimmte therapeutische Techniken verwendet. Darin, daß sie das an Mitschwingen herstellt, an Verständnis, an Zuhörenkönnen, an Offenheit, an Wärme, an Erkennen und Wertschätzen, was in den sozialen Netzwerken dieser Menschen nicht vorhanden war oder nicht vorhanden ist. Nähe mit der rechten Distanz. (in Petzold, Gröbelbauer & Gschwend 1999, 364 – H.i.O.)

Trotz meiner Zustimmung zum wesentlichen Inhalt von Rogers’ und Petzolds Aussagen sehe ich dennoch einen kritischen Punkt: Bei beiden werden einige Aspekte nur unzureichend berücksichtigt, die, obwohl sie nicht auf der grundlegenden Ebene der gemeinsamen Intersubjektivität der Beteiligten liegen, nach meiner Erfahrung durchaus bedeutsam sein können und die pauschale Gleichsetzung der therapeutischen Beziehung mit einer guten zwischenmenschlichen Beziehung nicht ohne Weiteres zulassen. »Soziale Unterstützung«, wie sie durch private Beziehungen und Netzwerke bereitgestellt wird, ist – so notwendig, wirksam und wichtig sie für die Betroffenen sein mag – nicht dasselbe wie psychotherapeutischer Beistand, auch wenn es viele Überschneidungen zwischen beiden Hilfssystemen gibt und keines von beiden höher zu bewerten ist als das andere (vgl. Röhrle & Laireiter 2009 – vgl. auch Kapitel 6.3).

Ich halte es hier eher mit Martin Buber, der in seinem berühmten Gespräch mit Rogers dessen Achtung für die Person des Klienten zwar ausdrücklich anerkannte, gegen dessen tendenzielle Nivellierung der funktionalen Unterschiede innerhalb der therapeutischen Situation aber einwandte:

Ein Mensch kommt zu ihnen und bittet um Hilfe. Der wesentliche Unterschied zwischen ihrer Rolle und der seinen in dieser Situation ist offensichtlich. Sie kommen nicht um Hilfe zu ihm. Und nicht nur das; sie sind auch mehr oder weniger fähig, ihm zu helfen. … Es geht nicht nur um Sie, Ihre Denkweise, Ihre Handlungsweise; da ist auch eine bestimmte Situation. … Menschliches Sein, der menschliche Wille, menschliches Verstehen sind nicht alles. Wir sind mit einer Realität konfrontiert. (in Rogers & Buber 1992, 188 f. – H.d.V.)

Die therapeutische Situation ist nicht der Rahmen für eine x-beliebige menschliche Begegnung oder Beziehung; sie ist mit einer Aufgabenstellung verknüpft, die eine andere soziale Wirklichkeit schafft als es der Fall ist, wenn sich z. B. Freunde zum Abendessen treffen. Daher gilt es, hier die Unterschiede zu beachten, ohne deren Berücksichtigung die Gefahr von Gleichmacherei, Vermischung oder Verwechslung von Verantwortungen, Vernachlässigung oder Verleugnung von Machtfragen bis hin zu missbräuchlichen Verhaltensweisen des Therapeuten besteht.

Wenn man einmal von dem Aspekt der therapeutischen Techniken absieht, zu dem ich weiter oben schon Stellung genommen habe, könnte man Petzolds Aussage so umformulieren: ›Der Unterschied zwischen einer guten zwischenmenschlichen Beziehung und einer therapeutischen Beziehung liegt darin, dass die zweite in einem klinischen Kontext stattfindet.‹ Damit spricht Petzold in zutreffender Weise nicht nur das räumliche Setting, sondern auch die Aufgabenstellung an. Und er sagt hier nichts Marginales, denn Kontexte üben in der Regel einen erheblichen Einfluss darauf aus, was in dem Rahmen passiert, den sie setzen. Dieser Einfluss ist es folglich durchaus wert, genauer betrachtet zu werden.

Deshalb möchte ich hier die Frage anschließen: Welche Implikationen bzw. Rückwirkungen hat dieser Kontext auf die therapeutische Beziehung, die zu ihrer therapeutischen Qualität und damit dazu beitragen, dass eine therapeutische Beziehung noch ›ein gewisses Etwas‹ hat, das sie von einer guten zwischenmenschlichen Beziehung unterscheidet?43

Die therapeutische Beziehung ist eine Arbeitsbeziehung,44 die einen bestimmten Zweck erfüllen und nicht einfach nur den Wünschen nach sozialen Kontakten der Beteiligten dienen soll. Klaus Grawe hat die dazu gehörigen Aspekte so charakterisiert:

1. Eine als Therapiebeziehung definierte Beziehung zwischen einem Hilfeempfänger und einem sozial sanktionierten Hilfegeber mit einer speziellen Ausbildung, die ihn für diese Tätigkeit qualifiziert und in den Augen des Patienten kompetent erscheinen lässt.

2. Ein formalisiertes Behandlungsangebot in einem gewissen institutionellen Rahmen wie einer Klinik, einer Beratungsstelle, Ambulanz, Praxis usw. …

3. Ein bestimmtes Behandlungsrationale. Dieses vermittelt dem Patienten eine bestimmte Auffassung von seinem Zustand, aus der sich wiederum ein bestimmtes Behandlungsvorgehen ableitet.

4. Die Durchführung eines mit dem Behandlungsrationale konsistenten Behandlungsrituals oder Behandlungsvorgehens. (1998, 21)45

Das therapeutische Setting bzw. der Vertrag legt fest, dass es um ein Ziel, und zwar eine Veränderung des Klienten (und nicht etwa der Therapeutin) und um nichts anderes geht. Damit verpflichtet sich die Therapeutin, die vereinbarte Zeit ausschließlich für den Klienten zur Verfügung zu stellen und sich nach Kräften um eine persönlichen Verfassung zu bemühen, in der sie sich dem Klienten ungestört mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit zuwenden und ihn mit allen ihren Kompetenzen in seinem Veränderungsprozess unterstützen kann.

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