Kitabı oku: «Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten», sayfa 3
»Ein ganz normales Waisenkind?«
»Genau. Wir wir alle. Versteht ihr?«
Kard und Madad schauten sich an. Und zuckten mit den Schultern.
»Dieses Kind, das Buch, dieses Geschacher. Das machen die Govas bei allen. Versteht ihr? Jemand bezahlt die Govas dafür, dass sie uns durchfüttern und auf uns aufpassen. Nicht nur bei der kleinen Prinzessin. Das war die Mona übrigens, ist jetzt eine gute Freundin von mir. Ich meine, unsere Eltern hätten uns doch auch einfach auf die Straße setzen können. Gibt doch sogar hier in Truk ein paar von diesen Straßenkindern, oder? In der Alten Stadt soll es ganz viele davon geben. Und in Conchar sollen sie ganze Stadtviertel kontrollieren, hat mal einer erzählt. Oder man verkauft die Mädchen an eine Goiba-Priesterin zum Opfern, versteht ihr?Aber es gibt auch genug Mädchen bei uns im Waisenhaus. Hätte man gut verkaufen können. Goiba hätte sich gefreut. Aber nein, man gibt sie in ein Waisenhaus. Das von Govas geführt wird. Statt sie Goiba zu opfern. Ist doch alles irgendwie seltsam, findet ihr nicht?«
Kard nickte. Jemand bezahlt dafür, dass die Kinder überleben, nicht umkommen, nicht geopfert werden? Diese Information sickerte ganz leise und langsam in die große Leere, die in ihm wartete. Jemand, wahrscheinlich die Eltern, sorgte dafür, dass das Kind überlebte. In seiner tiefen Dunkelheit erglomm plötzlich ein kleine Flamme, ganz winzig, kaum zu spüren.
»Ist ja interessant, Benji. Aber jetzt gehen wir mal schlafen. Ist schon spät.«
»Oh, darf ich hier bleiben. Super. Ist so schön warm hier.«
»Ja, bleib mal da.«
»Bist du denn noch nicht fertig mit den Ofengriffen?«
»Doch. Nein. Muss ich mir morgen nochmal anschauen.«
»Gut, ich bleibe gerne hier.«
Madad war bei den Worten des Jungen ganz still geworden. Was gar nicht seine Art war. Kard spürte den Blick seines Freundes, seine Neugier, seine Abenteuerlust. Er nickte ihm zu. Erstmal die Nacht abwarten. Denn er musste über die Dinge, die Benji gerade erzählt hatte, einmal gründlich nachdenken.
*
Die Sonne war inzwischen untergegangen und die Bürger Conchars hatten sich in ihre Hütten und Häuser zurückgezogen. Auch Tsarr, Oberste Priesterin von Goiba, hatte sich in ihre privaten Gemächer innerhalb der Schwarzen Burg zurückgezogen und bereitete sich auf die bevorstehende Aufgabe vor.
Flanakan mochte die Schergen haben, die ihm Informationen aus dem letzten Winkel seines Reiches zutrugen, Tsarr hatte ihre Obsidiankugel. Und damit eine direkte Verbindung zu allen Govas ihrer Sippe! Und das waren nicht wenige! Tsarr hatte in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass in allen wichtigen Goiba-Tempeln des Reiches ihre Nichten und Großnichten als Oberste Priesterinnen ihren Dienst versahen. Selbst auf Amazonien und in Ichtien waren die Priesterinnen, was gerade bei den Halbkiemenatmern doch irgendwie wunderlich war, über mehrere Seitenlinien mit ihr verwandt. Die Anbetung und damit die Macht Goibas war fest in der Hand ihrer Familie. Leider war ihre einzige Enkeltochter vor einigen Jahren aus dem Leben geschieden, nachdem sich schon deren Mutter vorzeitig aus dem Staub gemacht hatte. Ärgerlich schluckte Tsarr die Erinnerung daran hinunter.
Tsarr stand vor einem Spiegel und blies sich eine störrige Locke, die ihr immer wieder über das Auge fiel, zum hundertsten Mal aus dem Gesicht. Gleich würde die magische Versammlung beginnen, da wollte sie einen guten Eindruck machen. Obwohl es ihr im Endeffekt natürlich gleichgültig war, was ihre Priesterinnen von ihr hielten. Sie war die Oberste Gova des Reiches, für Tsarr zählte nur Gehorsam. Aber diesen Gehorsam konnte sie natürlich nur einfordern, solange ihr der Respekt der anderen sicher war. Und dazu gehörte natürlich ein gewisses Aussehen. Niemand sah ihr an, dass sie dank der dunklen Magie von Goiba bereits über hundert Menschenjahre zählte, obwohl dass natürlich alle wussten. Sie war die Erste der Ersten und niemand sollte daran jemals zweifeln.
Der einzige, dem sie selbst Respekt entgegen brachte, war der Herrscher. Und das obwohl er ja ein Bastard war, in Tsarrs Augen ein ewiger Makel. Sie selbst konnte auf Generationen von reinrassigen Goiba-Priesterinnen zurückschauen, ihr Stammbaum reichte hinab bis zu den Anfängen des Reiches, als noch die Drachenkrieger die Herrschaft über Haragor innehatten. Aber Flanakan? Gezeugt aus einer zweifelhaften Verbindung zwischen dem Drachenkönig und seiner Liebschaft, einer ehrlosen Vampyrin. Flanakan war ein Bastard mit unreinem Blut. Aber von den Göttern mit der Magie Goibas und zudem mit der Magie Branus gesegnet, einer magischen Kraft, die der von Tsarr in nichts nachstand. Allein deswegen zollte ihm die große Tsarr Respekt und Anerkennung. Umso verwunderlicher, dass der Herrscher trotz seiner magischen Fähigkeiten die Vorboten des Unheils nicht sehen wollte.
Tsarr erinnerte sich an die vielen Katzenleichen, die sie im Tempel ihrer Göttin geopfert hatte. Dutzende hatte sie geschlachtet und immer wieder die Zukunft Haragors erfragt. Und jetzt war sich Tsarr sicher, dass das Unglück, dass mit der Sonnenfinsternis ihren Anfang genommen hatte, noch lange nicht überstanden war. Deutlich waren im Gedärm weitere Anzeichen einer sich ausbreitenden Branu-Krankheit zu erkennen. So als ob der heilige Vulkan Branubrabat selbst eine kurze Rauchwolke in den Himmel des Reiches katapultiert hätte, um seine baldige Explosion anzukündigen. Flieht, ihr Sehenden, denn die Macht der Zerstörung, die Macht des Feuers wird bald auf euch niederregnen, schien er sagen zu wollen. Aber nicht umsonst war Tsarr seit Jahrzehnten die Oberste Goiba-Priesterin. Die Macht Branus war nur mit der Macht Goibas zu kontrollieren. Und Goiba ließ sich nicht durch ein paar tote Ichtos herbeirufen und noch weniger dadurch, dass man ein paar Toraks erhängte oder zu Sklaven machte. Obwohl das natürlich schon ein wenig half. Es war die richtige Richtung, aber Flanakan erkannte nicht die Brisanz der Lage. Die wenigen Jungfrauen, die sie zur Sonnenfinsternis geopfert hatte, waren nicht falsch gewesen, aber Tsarr war sich sicher, dass die Gefahr noch lange nicht gebändigt war.
Die Obsidiankugel knackte und ein schwarzweißes Gekrissel breitete sich über die Oberfläche aus.
»Schwestern!«
Hätte die Kugel Geräusche von sich gegeben, hätte man ein vielstimmiges, zustimmendes Gemurmel gehört. Aber die Kugel selbst blieb stumm, das schwarzweiße Gekrissel war in sich zusammen gefallen und hatte sich in ein gleichmäßiges graues Pulsieren verwandelt. Die Kugel selbst war nur das Medium für die magische Übertragung von Gedanken. Alles spielte sich daher nur in Tsarrs Kopf ab.
»Schwestern, ich habe über hundert Katzen getötet.«
Erstauntes Gemurmel. Hundert Katzen. Ganz schöne Menge. Und das von der Obersten Gova von Goiba. Das sollte schon etwas heißen. Aber was eigentlich?
»Ich sehe die Ankunft einer gefährlichen Branu-Energie, so wie wir es damals alle bei der Sonnenfinsternis gesehen haben.«
Zustimmendes Gemurmel. Entsetzen. Abscheu. Dieser Branu. Oh Goiba steh mir bei.
»Unser großer Herrscher Flanakan…«
Lautes zustimmendes Gemurmel, teilweise begeisterte Schreie, ähnlich dem junger Mädchen, wenn der Barde Weiße Schlange zum ersten Mal auf die Bühne tritt.
»…sieht wie ich diese Gefahr…«
Tsarr, der diese Worte einfach so aus dem Mund geflossen waren, erkannte zwar, dass sie gerade ihre Sippe anlog, aber sie war sich sicher, dass die Zeit ihren jetzigen Worten zur Wahrheit verhelfen würde.
»…aber ich befürchte, dass die angesetzten Hinrichtungen nicht ausreichen werden…«
Mit einem Schlag Stille. Tsarr hatte ein wenig gehofft, dass die Brisanz der Lage nicht so offensichtlich zu Tage treten würde, aber die versammelte magische Familie hatte sofort verstanden, dass hier etwas Ungewöhnliches von statten ging.
»…wir werden den Großen Herrscher also mit allen Kräften unterstützen…«
Das Gemurmel setzte wieder ein.
»…irgendwo da draußen läuft immer noch dieser Junge herum…«
Wieder diese plötzliche Stille. Dass ihre Sippe aber auch immer sofort erkannte, wenn etwas im Busch war.
»Wir…«
Immer beruhigend, wenn man den anderen das Gefühl vermitteln, an der Entscheidung irgendwie beteiligt zu sein. Wobei eigentlich nicht klar war, wer mit dem Wir gemeint war. Tsarr und ihre Sippe, Tsarr und Flanakan oder alle zusammen?
»…müssen die Augen offen halten. Achtet darauf, ob ihr einem Jungen begegnet, der den giften Atems Branus verströmt. Schaut öfters in die Katzengedärme. Opfert zum Dadeugende mehr als üblich… für Goiba und unserem Großen Herrscher Flanakan.«
Die Nennung der Göttin und des Herrschers beruhigte die aufgeregte Gemeinde. Schon setzte wieder das sanfte Gemurmel ein.
»Und schaut euch nach Jungfrauen in euren Tempelbezirken um. Vielleicht brauchen wir sie bald wieder.«
Alles klar, Jungfrauenopfer waren schon immer Garantien für Goibas Segen gewesen.
»Goiba für immer.«
Goiba für immer. Immer, immer, immer. Langsam verabschiedeten sich die Govas Haragors aus der magischen Gedankenversammlung. Es war getan. Der Auftrag, den Jungen zu finden, war ausgesprochen worden. Es würde keine Stadt, kein Dorf geben, in dem ein Junge mit verdächtiger Branu-Aura unentdeckt bleiben würde. Auch wenn Flanakan das nicht angeordnet hatte, war es das Richtige. Das Richtige für das Reich, für Goiba. Für sie selbst.
Das sanfte Glimmen der Obsidiankugel war inzwischen erloschen und im privaten Gemach der Obersten Priesterin herrschte nun wieder magische Stille. Tsarr starrte noch eine Weile auf die glänzende Oberfläche der Kugel und konnte selbst in der Dunkelheit ihr verzerrtes Spiegelbild auf der Oberfläche erkennen. War es das Ritual, das sie immer ermüdet, oder wieso fühlte sie sich plötzlich so erschöpft? Oder sollte sich trotz des Zaubers die Müdigkeit des Alters bemerkbar machen? Aber sie hatte nicht alles, was ihr im Leben wichtig war, geopfert, um irgendwann in ihrem Leben sich dem Schicksal zu beugen. Niemals würde sie Branu oder einem seiner Gefolgsleute das Spiel übergeben.
*
Die Nacht war inzwischen weit fortgeschritten, der kalte Herbstwind fegte durch Conchars Gassen und die herumstreunenden Katzen wunderten sich, dass aus einem Haus laute Stimmen und fröhliches Gelächter erscholl. Der ›Rülpsende Roland‹ war bekannt dafür, dass er bis tief in die Nacht Menschen einen Rückzugsort vor den Mühen des Alltags bot.
Klaus schenkte dem Schatten noch einmal Schoff nach. Diese Person war ganz nach seinem Geschmack. Es tat so gut, wenn einer mal aussprach, was alle nur dachten. Diese Toraks waren Schoffpanscher! Ganz klar! Und dieses Gerücht, das seit einigen Wochen die Runde in Conchar machte, brachte ihm immer mehr Gäste. Die Idee, einfach die Nachbarkneipe zu übernehmen, so wie es der Schatten gerade vorgeschlagen hatte, war einfach genial. Denn der Wirt des ›Hustenden Hans‹, ein Torak natürlich, war erst gestern von den Wachen abgeführt worden. Und warum nicht seine eigene Kneipe, den ›Rülpsenden Roland‹ einfach erweitern? Er musste nur die Wand zwischen den beiden Schankräumen einreißen und schon hätte er doppelt so viel Platz.
»Und die Tür vom ›Hustenden Hans‹ einfach zunageln?«
Der Schatten nickte. »Besser noch zumauern. Diesen gewaltbereiten Toraks ist nicht zu trauen. Denen muss klar sein, dass sie hier nicht mehr erwünscht sind.«
Klaus lachte. Das wäre ja noch schöner, wenn sich ein Torak in seine Kneipe verirren würde. Er schaute in die Runde und alle Leute am Stammtisch schauten ihn aufmunternd an.
»Kein Schoff für Toraks hier!«
»Toraks müssen draußen bleiben!«
»Die sollen mal gefälligst ihr eigenes Gesöff trinken. Diese Panscher.«
Der ›Rülpsende Roland‹ war zum Bersten voll. Klaus stellte sich vor, wie viele Gäste es erst sein würden, wenn der Schankraum des ›Hustenden Hans‹ noch dazu kommen würde. Allerdings würde er dann noch ein paar Schankmädchen einstellen müssen, was ihm nicht so wirklich schmeckte. Aber es half ja alles nichts.
»Äh, aber ist das nicht illegal?«
Klaus schaute den Mann, der das gesagt hatte, mißbilligend an.
»Bist wohl ein Torak-Freund, oder was?«
»Nein, aber die Wachen…«
Der Mann konnte seinen Satz nicht beenden, denn der Schatten unterbrach ihn wütend.
»Die Wachen werden ja wohl kaum gegen einen unschuldigen Menschen vorgehen. Es ist das gute Recht eines Menschen, dass er alles Notwendige tut.«
»Äh, wie, das Notwendige…?«
»Mann, die Menschen haben Durst. Soll da diese Torak-Kneipe leer stehen. Das wäre doch vollkommen idiotisch.«
Der Schatten fing an, mit seinem Schoffkrug rhythmisch auf den Tisch zu hämmern, begleitet von Wir-haben-Durst-Rufen. Nach wenigen Augenblicken hatte die Welle die gesamte Kneipe erfasst.
»Wir haben Durst. Wir haben Durst. Wir haben Durst.«
Ein Chor durstiger Menschenmänner.
Dermaßen geeint, brauchte es nur wenig, um die Menge zu weiteren Taten aufzuwiegeln. Der Schatten nahm sich einen Vorschlaghammer, der wie zufällig an der Wand lehnte, was Klaus verwunderte, denn er konnte sich gar nicht daran erinnern, überhaupt einen Vorschlaghammer zu besitzen, und drückte ihn Klaus in die Hand. Der Wirt des ›Rülpsenden Rolands‹ stellte sich auf den Tisch, wobei er sich den Kopf an der Decke stieß, denn hier war ja alles nach Menschenmaß gebaut. Ein weiterer Grund, die nachbarliche Torakkneipe zu übernehmen, die entsprechend den Erfordernissen ihrer Gäste wesentlich geräumiger war. So stand er nun gebückt über der Schar des ihn aufmunternden Chors, den er seinerseits anfeuerte. Ein sich gegenseitig steigernde Geräuschkulisse.
Einen wilden Schrei ausstoßend stürmte Klaus dann noch vorne, sprang über die Köpfe seiner Trinkkumpanen hinweg und schwang den Hammer gegen die Wand. Dann war die Masse nicht mehr zu halten. Plötzlich hatten alle irgendwas in der Hand, sei es ein mitgebrachter Knüppel oder nur ein Schuh. Alle standen vor der Wand und prügelten wie wild darauf ein. Nach einer halben Stunde, die Ersten waren schon heiser, andere hatten erhebliche Handgelenkprobleme, löste sich der erste Stein.
Während Klaus wild schreiend die Wand bearbeitet, fiel sein Blick durch ein Fenster und der Wirt hielt in seinem Tun inne. Zwei Wachen näherten sich der Kneipe. Der Lärm, den sie beim Bearbeiten der Wand verursachte, musste wie dumpfe Donnerschläge in der dunklen Gasse widerhallen. Klaus sah die Männer Makrals schon die Schwerter ziehen. Aber der Schatten hatte sie auch bemerkt und war vor die Tür getreten. Er begrüßte die Uniformierten wie alte Freunde, die darauf hin ihre Waffen wieder ins Futteral steckten. Immer gut, wenn man die richtigen Leute kennt, dachte Klaus und schwang erneut den Vorschlaghammer.
Aufbruch
»Ihr wollt wirklich mitkommen?«
Benji schien mehr überrascht als erfreut zu sein.
»Wir liefern die Ofengriffe aus…«
Kard zögerte ein wenig, bevor er weitersprach.
»…und ich würde gerne mal einen Blick in dieses Buch werfen, von dem du erzählt hast.«
»Echt, wieso?«
»Na ja, ich war da auch mal.«
»Wo?«
»Im Waisenhaus.«
»Echt, du? Nein, bestimmt nicht, du verschaukelst mich?«
»Wieso sollte ich dich verschaukeln?«
»Yo, Mann, wieso sollte Kard kein Waise sein, so wie du?«
»Die Govas sagen doch immer, dass wir froh sein können, wenn uns irgendein Bauer nimmt, damit wir die Tok-Rind-Ställe ausmisten können. Aber eine Schmied? Sogar eine Schmiedemeister. So was werden wir nicht.«
»Sagen die Govas?«
»Yo, Benji, du musst nicht alles glauben, was die alten Hexen sagen.«
Bei den Worten Madads war Benji erstarrt. Erschrocken schaute er sich in der Schmiede um, als ob eine Gova sie hier belauschen und gleich mit einem Knüppel um die Ecke kommen würde. Aber weder kam eine der Priesterinnen der göttlichen Schwestern aus einem Schrank gesprungen noch tat sich der Himmel auf, um den Frevel zu sühnen, eine Gova als Hexe beschimpft zu haben. Kard kannte dieses Gefühl nur zu gut, er klopfte dem Jungen beruhigend auf die Schulter.
»Wirst du schon noch lernen, Benji. Die Govas machen viel Geschrei, aber im Endeffekt ist nichts dahinter.«
Benji schien sich langsam zu entspannen. Er nickte sprachlos.
»Aber das Buch werden sie nicht herausrücken.«
»Dann klauen wir es eben.« Madad grinste siegessicher.
Benji schüttelte heftig mit dem Kopf.
»Das geht nicht. Wenn sie das herausbekommen, dann…« Benji fehlten die Worte. Sich gegen die Govas aufzulehnen war für ihn offensichtlich ein neuer Gedanke.
»Und wolltest du noch nie…?« Kard wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte.
Jetzt war es Benji, der Kard etwas mitleidig ansah.
»Ja glaubst du, wir anderen Waisen wollen nicht wissen, wer unsere Eltern sind? Natürlich habe ich schon daran gedacht.«
Kard fühlte sich ertappt. Er hatte geglaubt, es würde ausreichen, Benji zu erzählen, dass er die Ofengriffe ausliefern wolle. Aber natürlich hatte der Waisenjungen gleich mitbekommen, um was es Kard eigentlich ging.
»Na ja, ich weiß ja, wer meine Eltern waren. Aber gibt genug andere im Waisenhaus, die das nicht wissen. Als ich das mit dem Buch erzählt habe, war das natürlich die erste Idee. Aber die Priesterinnen haben das recht schnell mitbekommen. Es muss irgendwo im Trakt der Govas sein, dort, wo wir Kinder nie hinkommen.«
»Super, ich liebe Geheimnisse. Und Suchen. Und Schnüffeln. Ganz mein Ding.«
»Und wieso weißt du, wer deine Eltern waren?«
»Ich war zwar noch ziemlich klein damals, als Mama gestorben ist, aber an ein paar Sachen kann ich mich noch gut erinnern. Ich weiß noch, dass viele Leute um Mama herumstanden und dann kam dieser reiche Herr. Der hatte tolle Kleider an, ganz anders als die anderen, ganz bunt und glitzernd. Und er roch gut. Nicht nach Schweiß. Oder Schwein. Oder Tok-Rind. Heute weiß ich, dass es so eine Art Duftwasser war, wie es die Govas manchmal benutzen. Und dann hat er etwas gesagt und alle anderen waren ganz still. Und dann hat mich jemand hier ins Waisenhaus gebracht.«
Benji schwieg eine Weile und hing seinen Erinnerungen nach.
»Ich glaube, es war ein Prinz. Vielleicht sogar der Drachenkönig.«
»Der Drachenkönig?«
»Ja, wer denn sonst?«
»Aber ist der nicht schon ein Weile tot…«
»Nein! Mama hat immer gesagt, der ist nur verschwunden und kommt eines Tages wieder. Mit den Drachen. Um uns alle zu retten.«
»Mit den Drachen?«
»Ja, Mama hat ziemlich oft davon gesprochen. Und immer, wenn wir mal nichts zu essen hatten, hat sie gesagt, dass er bald kommt.«
Kard nickte. War es nicht genau das, was er auch wissen wollte? Ob er ein Sohn des Drachenkönigs war? Oder wenigstens, ob es da eine Verbindung gab. Zwischen seiner Freundschaft zum Feuer und diesem Drachenkrieger-Märchen? Vielleicht war er einfach nur so wie Benji? So ein Drachenkrieger-Vater war irgendwie ein tolle Sache. Aber im Endeffekt war das natürlich alles Unsinn. Wahrscheinlich hatte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun. Aber wenn er es schwarz auf weiß sehen würde, wenn er in dieses Buch hineinschauen könnte, und dort geschrieben steht, wer seine Eltern waren, dann war das schon einmal ein Anfang. Und diesen Anfang suchte er. Gleichgültig ob Drachenkrieger oder einfacher Bauer, aber diese Leere in ihm, dieses Nicht-Wissen, machte ihn ganz krank.
»Yo, worauf warten wir noch?«
Madad hatte recht. Kard nahm das Schwert, das er sich in den letzten Tagen geschmiedet hatte, und steckte es in sein Bündel. Natürlich war es kein Minas-Schwert, aber es hatte eine gute und scharfe Klinge. Benji verstaute die Ofengriffe und Madad schnappte sich noch einen Knochen, damit er auch etwas zu tragen hatte. Dann verließen die drei Freunde die Schmiede, ließen den Raum mit der nach Asche riechenden Luft zurück und traten hinaus in einen kalten, grauen Morgen, der sie frösteln ließ.
*
Die Verhaftung des Wirtes des ›Hustenden Hans‹ aus unerfindlichen Gründen war nur einer von vielen Vorfällen, in denen bisher unbescholtene Toraks verwickelt waren. Wenn man als Torak nicht auf dem Laufenden war, wie die sich inzwischen täglich ändernde Gesetzeslage entwickelte, konnte man schnell Bekanntschaft mit den Schwertern der Wache machen. Gsark und Gsaxt, Toraks und Wirte des berühmten ›Knochenbruchs‹, hatten sich an diesem Tag in aller Frühe aufgemacht, um die neuesten Verlautbarungen des Herrschers zu erfahren. Falls eine Wache ihnen entgegentrat, wollten sie wenigstens wissen wieso. Sie standen am östlichen Stadttor und entzifferten mühsam den öffentlichen Aushang.
»Anordnung zur Haltung von Haustieren: Toraks, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet von Conchar (die umliegenden Gehöfte und Siedlungen eingeschlossen) haben, müssen alle ihre Katzen am Großen Tempel von Goiba abgeben.«
»Da sind wir nun also angelangt.« Gsark schaute seinen jüngeren Bruder direkt an und hatte dabei beide Augenbrauen in die Höhe gezogen. Die Lippen zusammengepresst nickte er langsam mit dem Kopf, als ob er eine still gestellte Frage bejahen würde. »Heute Katzen, morgen sind wir es selbst.«
»Ach Quatsch, Gsark. Tsarr sind die Opferkatzen ausgegangen. Mehr ist das nicht.«
Gsark deutete mit seinem massigen Kinn auf eine Ecke, in der die Leute Müll abgeladen hatten. Eine Unzahl von Katzen tummelte sich darauf und durchforstete den Haufen nach Essbaren.
»Sieht irgendwie nicht so aus, als ob es in Conchar an Katzen mangeln würde.«
Da musste Gsaxt seinem älteren Bruder zustimmen. Die Viecher vermehrten sich aber auch wirklich rasend. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, wieso die Govas gerade Katzen gewählt hatten, um in ihren Gedärmen die Zukunft zu suchen. Normalerweise gab es in einer Stadt wie Conchar niemals Katzenmangel.
»Also meinst du, dass es gar nicht wirklich um die Katzen geht? Aber was bezweckt Tsarr damit?«
»Oder Flanakan. Nichts geschieht ohne seinen Willen.«
»Na gut, dann eben die beiden. Was wollen Herrscher und Oberpriesterin?«
»Denk doch mal nach, Gsaxt. Die Leibeigenschaft gilt laut Verordnung nicht nur für Toraks. Auch wenn es im Endeffekt meistens unsere Brüder und Schwestern sind, die von der Obersten Verwaltungsbehörde dazu verdammt werden. Aber nicht weil sie Toraks sind. Sondern weil sie Schulden haben. Und weil die meisten von uns bisher glaubten, dass man alles abarbeiten kann. Dann steht man halt ein paar Jahre im Steinbruch, geht auch vorbei. Oder? So sind wir doch?«
Gsaxt musste seinem Bruder zustimmen. Ihr Fluch war das Ertragenkönnen. Wenn man es seit Urzeiten gewohnt war, den Kräften der Natur ausgeliefert zu sein, gewöhnt man sich eben daran, den Kopf einzuziehen und abzuwarten, bis der Sturm sich gelegt hat.
»Aber das hier«, Gsark deutete auf die Tafel der Öffentlichen Bekanntmachungen, »das ist neu.«
Es war kurz vor Dardeugende, letzter Arbeitstag der Woche, heute Abend würde der ›Knochenbruch‹ zum Bersten gefüllt sein mit durstigen Toraks. Gsaxt und Gsark waren zum östlichen Stadttor gegangen, um auf alle Änderungen der aktuellen Gesetzeslage vorbereitet zu sein. Auch hatten sie erwartet wie üblich die Liste der Hinrichtungen hier zu finden. Doch diese fehlte an diesem Tag. Aber dass an diesem Wochenende die Galgen der Schwarzen Burg wieder bestückt werden würde, stand außer Frage. Man konnte das Hämmern der Galgenschreiner in der ganzen Stadt hören.
»Ab jetzt geht es ganz offiziell gegen uns Toraks, Gsaxt. Heute unsere Katzen, morgen sind wir es selbst.«
»Da werden die Leute nicht mitmachen.«
»Die Leute, die Leute. Welche Leute? Meinst du deine Menschenfreunde? Glaubst du wirklich, dass ein Mensch, wenn Flanakan erst einmal die Wachen auf uns hetzt, auch nur einen Finger krumm machen wird?«
»So weit ist es ja noch nicht.«
»Noch nicht, Gsaxt, noch nicht. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass das schneller geht, als wir uns das vorstellen können. Wieso hat unser Vater damals das Drucken der Flugblättern begonnen, was glaubst du? Er hat schon damals gewusst, dass die Leibeigenschaft nur der Anfang ist.«
»Aber Papa hat immer gesagt, dass es Flanakan ist, dass der Herrscher unser Feind ist. Und mit dieser Meinung stand er ja nicht allein. Du weißt ja selbst, dass unsere Gruppe auch aus Menschen besteht.«
»Ach, die können doch alle nicht bis zehn zählen. Ich sage dir, wenn es ernst wird, kann man nicht auf sie setzen.«
»Wieso sollen wir nicht auf sie setzen können? Die Leibeigenschaft geht uns doch alle an.«
»Genau, die Leibeigenschaft. Aber nicht, wenn es gegen uns Toraks geht. Dann sind wir auf uns allein gestellt. Toraks gegen Menschen.«
Mit dem letzten Wort hatte Gsark seine rechte Faust in seine linke offene Handfläche geschlagen, als ob er mit dieser Geste gleich einen Menschen zermalmen könnte.
»Darf ich mal.«
Eine Wache drückte sich an den beiden Toraks vorbei. In der Hand eine Rolle mit einer weiteren Bekanntmachung. Mit ausdrucksloser Miene nagelte der Uniformierte diese ebenfalls an das Brett, direkt neben die Haustierverordnung. Offensichtlich war es eine Ergänzung, denn die Überschrift lautete schlicht Paragraph Zwei.
»Auch das Halten von Hunden, Vögeln, Zierfischen – solange sie nicht dem baldigen Verzehr dienen – sind Toraks ab sofort verboten.«
Gsaxt und Gsark schauten sich an.
»Wenn das so weiter geht, werden sie den Bauern bald verbieten, Tok-Rinder zu halten.«
Die Wache, die Gsarks Worte gehört hatte, drehte sich um. Ein Mensch.
»Ihr seid doch die vom ›Knochenbruch‹, oder?«
Gsaxt nickte.
»An eurer Stelle würde ich besseres Schoff ausschenken, die halbe Stadt weiß ja schon, dass ihr da rumpanscht. Wenn ihr nicht aufpasst, dann entzieht euch die Oberste Verwaltungsbehörde noch die Schanklizenz.«
Gsark trat ein Schritt auf die Wache zu, aber Gsaxt packte seinen Bruder beim Ärmel.
»Danke, Herr Wache. Wir panschen nicht. Unser Schoff ist so gut wie in allen anderen Kneipen.«
»Ich sage es ja auch nur. Passt auf.«
Mit diesen Worten drehte sich der Mann um und verschwand im Tor des Wachturms.
»So ein Idiot. Wer sagt, dass wir panschen? Ich dreh ihm den Hals um.«
»Gsark, komm, der Mann wollte uns warnen. Wir müssen einfach auf der Hut sein.«
»Auf der Hut sein? Wie sollen wir das machen? Sollen wir jetzt das Schoff wirklich panschen und es dadurch besser machen, damit dann die Menschen sagen, dass wir nicht panschen? Panschen, um nicht in den Verdacht zu geraten, zu panschen?«
»Nein, ich weiß auch nicht. Am besten wir treffen uns mit der Zelle. Machen einen Plan.«
»Mit der Zelle. Aus Menschen und Toraks?«
»Und vergiß die Schreiende Makrele nicht.«
»Und ein Ichto dazu. Das kann ja nichts werden.«
In diesem Moment flog ein fauler Salatkopf durch die Luft und traf Gsark in den Nacken. Die Toraks drehten sich um, konnten aber nur noch die eindeutig menschlichen Fersen sehen, die hinter einer Hausecke verschwanden. Und dann die Rufe von Kindern. Schoffpanscher, Schoffpanscher, Schoffpanscher.
Jetzt waren sie also schon zum Gespött der Straße geworden.
*
Zwanzig Hinrichtungen in Conchar, davon über die Hälfte Ichtos, Makral war mit seiner Arbeit ziemlich zufrieden. Zudem war es recht einfach, passende Hinrichtungsobjekte zu finden, schließlich gab es kaum einen Straßenzug, in dem er keinen Spitzel hatte. Aber auch der normale Bürger, genervt vom fischigen Gestank und dem blubbernden Schnauben der Halbkiemenatmer, hatte gerne Namen aus der Nachbarschaft den schwarz Uniformierten mit dem Axtemblem zugetragen. Wenig Arbeit, hohe Effizienz, viel zu tun für die Henker, so mochte Makral seine Amt.
Der gestrige Tag war dagegen recht mühselig verlaufen. Inzwischen bemühte er sich mit seinen Männern, die Anordnung Flanakans in den umstehenden Dörfern umzusetzen. Aber man sah sie natürlich kommen. Sieben schwarz gekleidete Gestalten auf wilden Rappen, den Staub aufwirbelnd, während die Sonne die Klingen ihrer Schwerter glitzern ließ.
Und dann liefen die Bauern und Dorfbewohner. Versteckten sich. In geheimen Kellern, auf dem Boden ihrer Scheunen und zwischen den wallenden Halmen der Winxfelder. Ichtos gab es auch kaum, da die Halbkiemenatmer zwar als Händler in die Hauptstadt kamen, sonst aber nur als Wassertaxifahrer zu finden waren. An der Küste gab es sie natürlich überall. Aber nicht in den Dörfern. Auf den Höfen der Winkbauern und in den Ställen der Tok-Rind-Züchter suchte man sie vergeblich, dort gab es nur Menschen und Toraks. Die angesichts der schwarzen Bedrohung seltsam geeint die Flucht ergriffen.
Irgendwann hatten sie dann doch noch jemanden gefunden, nachdem sie zwei Gehöfte in Feuer gelegt hatten. Aus einer der Scheunen waren ein Torakmann und einen Menschenfrau geflohen. Hand in Hand. Makral hatte seinen Augen nicht trauen wollen. Mensch und Torak gemeinsam auf der Flucht. Wieso lieferte der eine den anderen nicht aus? Makral verstand diese ganze Welt der Gefühle nicht. Denn er war sich sicher, dass es um so solch seltsamen Irrglauben wie Freundschaft oder Loyalität oder gar Liebe ging. Verstanden die Wesen dieses Reiches denn nicht, dass es nur eine Art von Loyalität gegen konnte und das war die Loyalität gegenüber Flanakan?
Aber der Herrscher wollte ja ein Exempel statuieren, indem er keinem Wesen den Vorrang in der Hinrichungsauswahl gab. Keiner wurde verschont. Wenn es in einem Dorf keine Ichtos gab, dann taten es auch Menschen und Toraks. Vor dem Henker waren sie alle gleich.
Nur eine Amazone hatte er bisher nicht erwischt. Das ärgerte Makral, der gerne hatte, dass eine gewisse Ordnung in seinen Angelegenheit herrschte. Flanakan hatte schließlich auch auf die wehrfähigen Frauen hingewiesen. Wenigstens eine wollte Makral in seiner Liste der hundert Hinrichtungen verzeichnet wissen. In Conchar hatte man zwar eine gesichtet, aber dies konnte nur noch der Scherge berichten, der die Leiche der Wache meldete, die dem Schwert der Amazone zu nahe gekommen war. Und seit diesem Vorfall waren die tätowierten Frauen im Lederkostüm nicht mehr gesehen worden. Aber im Gerberviertel waren noch zwei weitere tote Wachen aufgetaucht. Dort verkauften diese Frauen das teure Fell der Faols und Makral war sich auch sicher, dass es niemand anderes gewagt hätte, seine Männer zu massakrieren.