Kitabı oku: «Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten», sayfa 5
Das Waisenhaus
Kard wachte auf, bevor die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont krochen. Der Wind, der über Nacht aufgefrischt war, hatte sich gelegt, kein Hauch strich über die schmale Grasnarbe, aber die Luft war kalt und feucht und legte sich auf sein Gesicht wie eine kühle Decke. Der Himmel war wolkenverhangen, schwarze und graue Flächen schoben sich langsam über- und untereinander.
Seit langem wieder spürte Kard den Drachenzahn auf seinem Brustbein, aber er wusste nicht, ob dies ein gutes oder schlechtes Omen war. Gab das Amulett ihm nun Kraft für die Abenteuer, die es zu bestehen galt, oder warnte es ihn vor einer bevorstehenden Gefahr? Manchmal wünschte sich Kard die Zeit zurück, als noch Goiba und Branu sein Leben umschlossen hatten, als er noch wie Benji mit blindem Vertrauen und ohne große Fragen in die Welt geschaut hatte. War es nicht besser, still zu stehen und einfach abzuwarten? Das Leben würde einen schon irgendwo hinwerfen. War doch egal wohin. Er, Kard, einst der Träger eines magischen Schwertes, jetzt, so dachte er, Mörder an seinem Ziehvater Wallas. Was nutzen Hoffnung und große Pläne, wenn am Ende Tod und Zerstörung herauskamen? Aber schon wieder fühlte er das Pulsieren des Drachenzahns und jetzt waren auch die ersten Sonnenstrahlen zu sehen. Automatisch reckte sich Kard in die Höhe, hob sein Kinn hoch und schloss die Augen, als ob er auf diese Weise die Energie Branus in sich aufnehmen könnte. So stand er da für einige Momente und spürte, wie etwas in ihm erwachte. Er spürte das Feuer, als ob es aus der Erde kommend seinen Körper durchfließen würde, um sich dann in den Himmel zu ergießen. Ein Lichtstrahl, der seine dunkle Seele kurz erleuchtete. Kard blickte sich um und betrachtete seine Freunde. Benji und Madad begannen sich zu rekeln. Kard ging zur Feuerstelle und befahl den Flammen zu erscheinen. Wenn er damals etwas von Kustos gelernt hatte, dann, dass man den Tag am besten mit einer guten Tasse heißen Tees beginnt.
Zum Frühstück gab es Mäh-Schafskäse, eine Trukker Spezialität, zersetzt mit leckeren, schimmeligen, grünen Pilzen. Außerdem das obligatorische Winxbrot. Und natürlich heißen Tee. Für Madad die Reste des Rennhasens und ebenfalls Tee, den Kard dem auf den Rücken liegenden Cu direkt ins Maul fließen ließ. Mit Tassen hatte es Madad nicht so.
Die Wolken würden heute die Oberhand behalten. Obwohl die Sonne schon längst am Himmel stand, war es weiterhin grau und ungemütlich. Der Wind hatte sich wieder erhoben und brachte immer wieder nasse Schwaden mit, sodass es fast besser schien, sich im Dunklen Wald in den Schutz der Baumkronen zu begeben.
Kaum hatten sie die Grasebene verlassen, spürte Kard, wieso es hier keine Faols und keine Wahter gab. Der Weg, der sich wie eine schwarze Schlange zwischen den Bäumen entlang schob, die hier locker und fast ohne Unterholz standen, war umhüllt von einer dunklen, schweren Magie. Benji und Madad schienen dies nicht zu merken, die beiden liefen unbekümmert vorne weg und Kard konnte hören, wie das helle Lachen des Jungen als schwaches Echo durch den Wald geisterte. Aber seit er die Arme unverletzt aus der Lava des Branubrabat gezogen hatte, konnte Kard magische Strömungen wahrnehmen, die ihm vorher verborgen gewesen waren. Und jetzt spürte er deutlich die dunkle Energie Goibas, die sich gegen seine eigene Branu-Energie stemmte. Automatisch verlangsamte er seine Schritte und musterte misstrauisch die Umgebung. Die Bäume um ihn herum, ein Gemisch aus Nadel- und Laubbäumen, zeigten keinerlei ungewöhnliche Anzeichen. Allerdings zeigten sich auch keine Chameliten. Was nicht hieß, das sie nicht da waren. Diese Waldwesen verschmolzen derart mit ihrer Umgebung, dass man sie erst wahrnahm, wenn sie direkt vor einem standen. Aber Kard vermutete, das die Chameliten wie die Wahter und Faols das Weite gesucht hatte. Fragte sich nur, vor was sie solche Angst hatten.
Das Astwerk der sie umgebenden Bäume begann erst in einiger Höhe, auch das schien Kard nicht verdächtig. Allerdings gab es keine Vögel. Man sah weder welche noch konnte man irgendwo ein Zwitschern vernehmen. Aber auch die Hochebene, die sie gerade hinter sich gelassen hatten, war nicht gerade vom Federvieh bevölkert gewesen. Es war eben eine karge Umgebung. Insekten, insbesondere große Tausendfüßer, schien es allerdings recht gut hier zu gefallen. Kard konnte stattliche Exemplare im vor sich hin modernden Laub erkennen. Er spürte jetzt ein Ziehen im Unterleib, das ihn an etwas Unbestimmtes erinnerte. Er konnte es nur nicht einordnen, als ob ein Schleier des Vergessens es in irgendeine Ecke gedrängt hatte. Doch dann überkam es ihn, als ob er in ein kaltes Fass brackigen Wassers geworfen worden wäre. Natürlich. Wie hatte er das vergessen können?
*
Hundert Jahre nach der Großen Schlacht gab es nur noch wenige, die diese Zeit selbst erlebt hatten. Auch Laltan kannte sie nur vom Hörensagen. Aber bei seinen Nachforschungen war der Vampyr auf eine Person gestoßen, die ihm Informationen aus erster Hand liefern konnte. Im Kerker der Schwarzen Burg schimmelte immer noch N’ganak, der ehemalige Knappe Flanakans, vor sich hin.
Die Zelle, in der N’ganak sein Dasein fristete, war nur mit Stroh ausgelegt. In einer Ecke stand einen Latrineneimer. Die Wände bestanden aus groben Gesteinsbrocken, einige Lichtstrahlen fielen durch ein schmalesFenster, das an eine Schießscharte erinnerte. Dort saß eine ausgemergelte Gestalt, die Laltans Worten genau zuhörte.
»Ob ich Wallas noch kenne? Den Waffenschmied? Den Torak?«
Lange würde es dieser Mensch nicht mehr machen, dachte Laltan. Es grenzte an ein Wunder, dass dieser Mensch überhaupt noch lebte. Ein Wunder? Oder handelte es sich um Magie? Die Haut des alten Mannes war weiß und faltig, die Knochen ragten aus dem Brustkorb und Zähne hatte dieser Mensch auch nur noch wenige. Aber die blauen Augen, die selbst im schwachen Dämmerlicht der Zelle zu leuchten schienen, straften den Eindruck der Hinfälligkeit Lügen. Der Körper schien zu zerfallen, aber der Geist des Alten hatte in den Jahrzehnten des Siechtums offensichtlich nichts von seiner Lebendigkeit verloren.
»Nein, den kenne ich nicht.«
Die eben noch klaren Augen N’ganaks hatten sich plötzlich eingetrübt. Der Alte zuckte mit den Achseln.
Laltan kannte das schon. Er war ein Meister verschiedenster Verhörtechniken. Aber sein Gegenüber war offensichtlich umgekehrt ein geübter Verdächtiger, der diese Prozedur ebenfalls professionell beherrschte. Dafür achtete ihn der Vampyr, aber trotzdem musste er diesen Menschen zum Reden bringen. Drohen und Foltern kamen hier nicht infrage. Dieser Mann hatte nichts zu fürchten und nichts zu verlieren. Wahrscheinlich wäre es ihm gar nicht so unrecht, wenn ihm der Vampyr die Kehle aufschlitzen würde.
»Und über dieses Minas-Schwert kannst du mir auch nichts sagen?«
Atemgeräusche. Das leise Platschen eines Wassertropfens.
»Ein Minas-Schwert?«
»Wallas hat ein Minas-Schwert schmieden lassen. Von einem Menschenjungen.«
Das leise Piepsen junger Ratten. Rascheln im Stroh. Von ganz fern das Hämmern der Zimmerleute, die am Galgengerüst arbeiteten.
»Ha, ha, ha.«
N’ganak lachte und seine Augen waren mit einem Schlag wieder klar geworden.
»Hat er es also geschafft, der alte Halunke.«
»Was geschafft?«
»Den Zunft-Schwur zu umgehen. Kein Torak darf ein Minas-Schwert schmieden. Das haben sie Flanakan geschworen. Und ich weiß nicht, ob ihr Vampyre das Wort Ehre kennt, aber für die Toraks ist sie heilig. Ganz abgesehen von dem Vertrag. Aber von Menschen war nie die Rede. So ein schlauer Fuchs, dieser Wallas. Aber dass er auch einen Menschen gefunden hat, der dazu fähig war.«
Der Alte verfiel in Schweigen. Laltan versuchte nochmal, ihn zum Reden zu bringen, schüttelte ihn, versprach ihm eine Portion Schoff oder bei Wunsch einen schnellen Tod, aber N’ganak hatte den Kopf auf die Brust fallen lassen und begann wie ein kleines Kind vor sich hin zu kichern.
»Branu. Branu kommt«, brach es noch einmal aus ihm hervor. Und bestätigte dem Vampyr genau das, was Tsarr befürchtet hatte. Branu kommt. Laltan ahnte, dass dies ein wirklich schlimmes Omen war.
*
»Madad, spürst du das nicht?«
»Was soll ich spüren, Kard? Ich habe Benji gerade davon erzählt, dass Mama meint, dass es völlig in Ordnung ist, wenn man sich im Dunkeln fürchtet. Es könnte ja ein Monster irgendwo sein.«
»Monster ist ein gutes Stichwort, Madad.«
»Was, wie, wo?«
Madad sprang mit allen Vieren in die Höhe, drehte sich in der Luft um die eigene Achse und hatte so in einem Sekundenbruchteil die komplette Gegend abgesucht.
»Nichts zu sehen, Kard!«
»Man sieht es nicht, Madad, aber ich spüre es genau.«
»Was spürst du? Ich bin diesen Weg schon dutzendmal entlanggelaufen. Mir ist hier noch nie etwas passiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass mir nie etwas passiert ist, wenn es hier tatsächlich etwas Gefährliches gibt, sehr gering.«
»Glaub mir, Benji, es gibt hier etwas Gefährliches. Etwas Altes und Magisches. Das letzte Mal, als ich so etwas gespürt habe, war in der Gegenwart des Blutbaumes. Schau.«
Kard versuchte, eine Flamme auf seine Handfläche zu rufen. Das Feuer kam auch, aber die Flamme fiel sofort wieder in sich zusammen, als ob sie in einen Raum ohne Luft aufgelodert wäre, in dem ihr nach wenigen Augenblicken das Lebenselexier entzogen worden war.
Während Madad verstand, was Kard damit sagen wollte, schaute Benji ihn verständnislos an.
»Hast du Krämpfe in den Händen?«
Kard schüttelte verneinend den Kopf.
»Der Blutbaum, Benji, stammt aus einer Zeit vor der Erschaffung allen Lebens, wie wir es in Haragor kennen.«
»Yo, was heißen würde, das am Ende dieses Weges…«
»Ach, der Weg hat kein Ende.« Benji machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Also dieser Weg endet nicht am Waisenhaus?«
»Nein, der zieht sich dann weiter in die Drachenberge. Ewig.«
»Ewig?«
»Ewig! Sagen die Govas. Wenn sie uns drohen wollen, sagen sie uns, dass wir den Weg nach Norden gehen sollen und erst zurückkommen dürfen, wenn wir sein Ende erreicht haben.«
»Und, ist schon mal jemand zurückgekommen?«
»Nein, es ist nur eine leere Drohung. Wirklich gehen musste diesen Weg noch keiner.«
»Vielleicht steckt ein Funken Wahrheit in dieser Drohung. Diese alte Magie verpestet den Weg und den angrenzenden Wald geradezu. Das erklärt auch, wieso hier weder Faols noch Wahter sind.«
»Ist mir lieber, als irgend so ein Baum, der einen Fressen will.«
»Da magst du im Moment recht haben, Madad. Aber so wirklich wohl ist mir bei der ganzen Sache nicht.«
Im Augenwinkel glaubte Kard plötzlich tief im Wald einen riesigen dunklen Schatten wahrzunehmen. Aber als er sich blitzschnell umdrehte, konnte er nichts entdecken. Wahrscheinlich spielte ihm seine Phantasie einfach nur Streiche. Doch dann lief irgendwas über seinen Fuß. Er stieß einen spitzen Schrei aus und sprang einen Schritt zurück.
»Yo, Kard, das ist nur einer von diesen niedlichen Tausendfüßern.«
»Niedlich?«
»Och, guck doch mal, wie der schnell wieder verschwindet auf seinen kleinen Beinchen.«
Endlich kam das Waisenhaus in Sicht. Wobei der Begriff Haus nicht so recht zu dem festungsähnlichen Gebäude passte. Der Wald öffnete sich hier und machte Platz für eine weitläufige Lichtung. Die weite Fläche voller Gras und Kräutern wurde in den Abendstunden gerne von Haranis besucht, erinnerte sich Kard. Die dunkle Magie, die den Weg umschlungen hielt, hatte hier offensichtlich keine Macht. Inmitten dieser Idylle stand das Waisenhaus wie ein Fremdkörper. Dunkle Steine, hohe Mauern, darüber die Flagge Flanakans.
Aber noch waren sie nicht dort. Kurz bevor die Herrschaft des Waldes gebrochen wurde, schienen die Bäume noch einmal zusammenzurücken, als ob sie dem Reisenden den Blick verstellen wollten. Wieder pikste Kard etwas am Fuß. Ein Tausendfüßer. Ein niedliches, etwa armlanges Insekt. Deutlich konnte man an seinem Kopf die Fresszangen sehen, mit der dieses Exemplar problemlos einen Finger durchbeißen konnte. Kard überlegte, ob die Bezeichnung niedlich hier wirklich noch zutreffend war.
»Bei Goiba, schaut mal.«
Benji meinte nicht etwa den einen Tausendfüßer, der ihnen zwischen den Beinen herumlief. Vor ihnen auf dem Weg hatten sich dutzende, wenn nicht gar hunderte oder sogar tausende Artgenossen des niedlichen Tierchens versammelt. Nicht ganz so groß, vielleicht nur so dick wie ein Zeigefinger. Aber eben nicht nur ein paar Exemplare. Sondern sehr, sehr viele.
»Das hat es bisher noch nie gegeben, wenn ich den Weg entlang bin.«
»Erklärt aber, wiese hier keine Faols sind. Benji, du bist doch ein schlauer Bursche und hast viel gelesen. Wenn ich mich recht erinnere, sind Tausendfüßer Pflanzenfresser, oder?«
»Oh, es gibt solche und solche.«
»Du meinst…?«
»Es gibt Pflanzen- und Fleischfresser.«
»Ihr erinnert euch an das Warnschild? Die Nussschne-cke?«
»Ja, Madad, danke für den Hinweis.«
Der Riesentausendfüßer hatte sich inzwischen zu den anderen gesellt. Die Tiere versperrten ihnen eindeutig den Weg zur Lichtung und zum Waisenhaus.
»Gehen wir halt durch den Wald.«
»Nein, Benji. Keine gute Idee.«
Zum ersten Mal bereute es Kard, dass er kein Minas-Schwert mehr hatte. Mit der magischen Klinge in seiner Hand wäre er jetzt mitten in diese Ansammlung angriffslustiger Insekten hineingerannt. Auch Madad schien diesen Gedanken gehabt zu haben, denn er schaute seinen Freund auffordernd an. Der gute Madad stürzte sich ja nur zu gern kopfüber in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Kard überlegte. Die dunkle Magie, die ihn an den Blutbaum erinnerte, lag wie ein schwerer Schleier über den vielgliedrigen Tieren. Und er war sich sicher, dass abseits des Weges, den die Goiba-Priesterinnen des Waisenhauses mit einen Schutzzauber abgeschirmt hatten, die Macht dieser dunklen Magie noch wesentlich stärker war.
»Ich glaube, die wollen, das wir den Weg verlassen.«
Benji deutete auf die Lichtung.
»Schau doch Kard, da vorne sieht man schon das Waisenhaus. Nur ein paar Meter durch den Wald und schon sind wir dort.«
»Ich nehme an, die wollen, dass wir das glauben.«
»Die?«
»Die Tausendfüßer, Benji. Sie sind Teil einer alten Macht. Eine alte Macht, die sehr hungrig ist. Dort im Wald wartet etwas auf uns. Und diese paar Tierchen sind nur die Vorhut.«
»Ist gut, Kard. Ich bin kein kleines Kind mehr. Deine Märchen kannst du dir für andere aufsparen.«
»Ich meine das ganz ernst, Benji. Ich befürchte, es gibt nur einen Weg. Und der führt mitten durch diese kleine Bestien.«
»Ich gehe da doch nicht durch diese… diese Mauer.«
»Hast du noch etwas zu essen dabei?«
Benji nickte. »Noch ein wenig Winxbrot.«
»Schmeiß es in den Wald.«
»In den Wald? Nicht zu diesem Haufen da vor uns.«
»Nein, in den Wald. Durch den du so gerne laufen würdest.«
Schulterzuckend nahm Benji das Brot in die Hand und warf es jenseits der magischen Mauer, die die Govas um den Weg errichtet hatten. Mit einem dumpfen Geräusch fiel es auf den Waldboden und blieb dort liegen. Aber nur kurz. Dann begann die Decke aus abgestorbenen Laub zum Leben zu erwachen. Eine Welle ging durch die Schicht, bäumte sich auf. Für einen Augenblick sah und hörte man die Kauwerkzeuge unzähliger Tausendfüßer. Innerhalb kürzester Zeit war das Brot verschwunden. Weg. Vom Boden verschluckt. Von einer Unmenge hungriger Insekten in kleine Stücke zerrissen.
»Mama hat mir mal von Flüssen erzählt, in denen solche Fische wohnen, die einen auffressen, bevor man Piep sagen kann. Aber Tausendfüßer? Wenn ich ihr das erzähle, wird sie aber Augen machen.«
»Wenn du ihr das noch erzählen kannst, Madad. Erstmal müssen wir hier raus.«
Kard hatte zwar kein Minas-Schwert mehr, aber dafür hatten sich in letzter Zeit seine eigenen magischen Kräfte weiter entwickelt. Während andere Jungen in seinem Alter sich mit vermehrter Körperbehaarung und einer sich verändernden Stimme herumschlagen mussten, hatte er es zusätzlich noch mit dieser Feuermagie zu tun. Bisher hatte er nur damit gespielt, hatte Flammen entstehen lassen oder mit dem lodernden Feuer in einer Sprache gesprochen, die er selbst nicht wirklich verstand. Aber jetzt war es offensichtlich an der Zeit, diese Magie gezielt einzusetzen.
Kard konzentrierte sich. Der Einfluss der Magie Goibas, die den Weg schützte, machte es ihm nicht leicht. Vielleicht war es sogar seine eigene Branu-Energie, die die Magie Goibas hier beschädigt hatte und so den Tausendfüßern erst ermöglicht hatte, hier einzudringen. Irgendwie seltsam. Er würde jetzt seine eigene Magie hervorrufen, aber die Magie Goibas würde ihm zuarbeiten. Die Energien von Branu und Goiba konnten vielleicht etwas gegen diese uralte Magie ausrichten, die diese Tausendfüßer hervorbrachte.
Der Zahn pulsierte auf dem Brustbein, die Lava des Branubrabat schoß in seine Arme. Kard rannte los, Benji und Madad ihm hinterher. Er sah Feuerbälle, die nun plötzlich aus seinen Handflächen schossen, die Panzer der Insekten auseinanderplatzen ließen und ihnen eine Gasse bereiteten. Er wusste nicht wirklich, was er tat. Irgendwie geschah es. In ihm herrschte eine Mischung aus Angst und Wut und diesem Bewusstsein, dass er diesen Weg gehen musste. Es gab kein Zurück. Es gab nur ein nach Vorne gehen. Er spürte, wie etwas gegen seine Beine schlug, dass etwas ihn festhalten wollte, was er voller Ekel abzuschütteln versuchte. Von den Bäumen fielen weitere Tausendfüßer auf sie herab. Kard fuchtelte mit den Armen und schoß dabei Feuerbälle in die Dunkelheit. Er hörte Benji und Madad hinter sich keuchen und schreien, aber er blickte sich nicht um. Das Ganze dauerte nur wenige Augenblicke. Die drei Freunde rannten, bis sie die letzten Bäume hinter sich gebracht hatten, schüttelten die letzten Tausendfüßer von sich ab und zertraten sie panisch mit ihren Schuhen. Der Wald selbst schien enttäuscht zu seufzen und wieder sah Kard einen riesigen Schatten, der sich sofort zurückzog. Er wollte gar nicht wissen, was im Wald auf sie gewartet hätte, wenn sie es nicht bis zur Lichtung geschafft hätten.
Kard drehte sich um. In der Mitte des Tals, noch ein gutes Stück entfernt, lag das Waisenhaus. Er hatte sich nie über die Geschichte dieser wehrhaften Mauern Gedanken gemacht, aber als er es jetzt nach so vielen Jahren wiedersah, war er sich sicher, dass es nicht immer ein Zufluchtsort für Waisenkinder gewesen sein konnte. Angesichts seiner Lage hier im Dunklen Wald könnte es vielleicht einst eine Wehranlage der Drachenkönige gewesen sein, wahrscheinlich im Großen Krieg errichtet. Vermutlich war es einst von Mauern umsäumt gewesen, Kard erinnerte sich an die Reste von Geröll hier im Tal, die damals beim Versteckspielen einen guten Unterschlupf geboten hatten. Das Gebäude selbst hatte sich im Lauf der letzten sieben, acht Jahre, die vergangen waren, seit Kard fort war, so gut wie nicht verändert. Eine viereckige Anlage, Mauern so hoch wie fünf Toraks, gesäumt von wehrhaften Türmen.
Benji freute sich offensichtlich, dass er wieder nach Hause kam. Auf den letzten Metern beschleunigte er seine Schritte und warf den Freunden einen Blick zu, der wohl besagen sollte: Schaut, das ist meine tolle Burg, mein Zuhause.
Über dem Portal bemerkte Kard schon von weitem das Zeichen der Obersten Verwaltung, das P in einem Kreis, wofür auch immer dies stehen sollte. Als Kind hatte Kard dem Symbol keine besondere Beachtung geschenkt. Immerhin besagte es, dass das Waisenhaus nicht etwa eine Institution des Goiba-Kultes, sondern ein Verwaltungsgebäude war. Am Tor befand sich ein gewaltiger Türklopfer, ein Eisenring in der Form eines Drachens, der sich selbst in den Schwanz biss. An der Halterung, mit der der Türklopfer am Tor befestigt war, konnte Kard ein V mit auf dem Rücken liegenden D in seinem Innern erkennen – das Signum von Davischi, dem letzten Baumeisters der Drachenkönige.
Das Dröhnen des Türklopfers hallte in dem Gebäude wieder. Benji machte sich einen Spaß daraus, das massive Holztor wie eine Trommel zu benutzen. Dann packte Benji Kard am Arm und zog ihn vom Tor zurück. Stimmt, dachte Kard. Das Begrüßungsritual. Kurze Zeit später wurde von den Mauern über ihren Köpfen ein Eimer Wasser entleert, begleitet von Kinderlachen und dem Geräusch fliehender Schritte. Und schon bald hörte man von Innen jemanden fluchen und sich mit schlurfenden Schuhen dem Eingang nähern.
Ein Riegel wurde zurückgeschoben, das schwere Tor öffnete sich quietschend und der Kopf einer Gova streckte sich durch den Spalt.
»Ah, Benji, zurück aus der großen, weiten Welt.«
»Genau, hochverehrte Kl’dia. Und ich habe den Schmied mitgebracht, damit er die Ofengriffe montieren kann.«
»Ah, du hast also jemanden gefunden, der uns die Griffe machen konnte. Gäste. Na gut. Kommt mit.«
Die Gova öffnete das Tor. Kl’dia musste neu hier sein, jedenfalls kannte Kard sie nicht. Sie trug die übliche schwarze Robe ihrer Zunft, der Kopf war von einer Kapuze bedeckt und nur das Gesicht einer Frau im mittleren Alter schaute daraus hervor. Sie lächelte freundlich und bedeutete den Freunden, ihr zu folgen. Die Frau führte sie in den Innenhof der Anlage, der von einem Säulengang gesäumt wurde und ließ sie dort warten.
Auf den ersten Blick hatte sich hier wenig verändert, stellte Kard fest. Im linken Flügel, dessen graue, bemoosten Wände aus imposanten Steinquadern nur von wenigen hohen und spitzgiebeligen Fenstern unterbrochen waren, befanden sich die Schlafquartiere der Kinder und die Unterrichtsräume. Im vorderen Bereich, der von dem großen Tor und dem sich anschließenden Durchgang dominiert wurde, hatte man Küche und Wirtschaftsräume untergebracht, während im rechten Flügel die Govas hausten. In dem Gebäudeabschnitt gegenüber des Tores befand sich der Tempel Goibas. In der Mitte des Innenhofs befand sich ein Brunnen, in dem das klare Wasser einer Quelle aus dem felsigen Untergrund sprudelte, ein Zeichen Branus und vermutlich der Grund, wieso die ursprünglichen Bauherren diesen Platz gewählt hatten.
Um sicherzugehen, hier nicht erkannt zu werden, hatte Kard sich Dreck ins Gesicht geschmiert, seine Haare waren ja auch ganz anders wie vor einigen Jahren, dazu war er gewachsen und seine Stimme hatte sich verändert. Aber trotzdem befürchtete er doch noch, von eine der alten Govas entdeckt zu werden. Oder vom dicken Adrian. Wie hätte er dann seine Anwesenheit hier erklären sollen, ohne Misstrauen zu erwecken? Falls Benjis Geschichte mit dem Buch wahr war, wusste zumindest die Oberste Gova K’sndra um die Umstände seiner Unterbringung hier. Sie direkt zu fragen, war natürlich nicht möglich. Die Gefahr, dass sie umgehend Tsarr Bescheid sagen würde, war einfach zu groß.
Trotzdem wagte Kard einen Blick auf sein altes Zuhause. Seine Augen glitten die kahle Wände entlang, folgten dem Säulengang. Hier hatten sie Fangen oder auch Verstecken gespielt. Dort hatten die anderen ihn in die Ecke gedrängt, hier hatte er stundenlang im Regen stehen müssen, nachdem er von den Govas entdeckt worden war, als er einmal ein Brot aus der Küche geklaut hatte. Kard stellte fest, dass seine Erinnerungen an diesen Ort nicht unbedingt angenehm waren. Vielleicht hatte er auch deswegen dieses mulmige Gefühl im Bauch?
Kl’dia kam bald zurück. Während Madad oben im Innenhof blieb, folgten Kard und Benji der Gova in die Keller, ein Weg, den Kard nur zu gut kannte, denn hier unten waren die Öfen. Das Feuer. Er erklärte der Gova auch, wieso seine Anwesenheit notwendig war. Die Ofengriffe mussten noch einmal erhitzt werden, damit man er sie dann in die Halterungen an den Öfen schieben konnte. Während sie sich abkühlten, verformten sie sich noch einmal und dann saßen sie so fest, dass sie danach jeder mechanischen und thermischen Belastung standhielten. Die Gova schöpfte keinen Verdacht. Sie ließ die Jungen allein im Keller zurück, damit sie die notwendigen Arbeiten verrichten konnten.
Kard nutzte die Öfen selbst als provisorische Esse und sprach mit dem Feuer. Es war als begegnete er einem alten Freund. Hier unten hatte es angefangen. Sein besonderes Verhältnis zu den Flammen. Würde es jetzt auch das Ende sein? Das Ende seiner Suche nach seinen Ursprüngen?
Benji äußerte sein Erstaunen, wie schnell die Griffe die notwendige Temperatur erreichten. Nach seinem Wissen müsste es viel länger dauern. Aber Kard erzählte ihm von einer bestimmten Technik, die er gerade anwandte, und damit ließ sich die Neugier des Jungen besänftigen. Offensichtlich vergaß Benji nichts von dem, was er in den Büchern der Bibliothek gelesen hatte. Ein Umstand, der vielleicht irgendwann nützlich sein konnte.
Die Arbeit war dank Kards Feuermagie schnell erledigt. Inzwischen war es aber doch zu spät, um den Schmied mit seinem Hund durch den Wald zurück nach Truk zu schicken. Genau darauf hatte Kard spekuliert. Die Gova wies ihnen einen Schlafplatz im Wirtschaftsraum zu. Neben Schaufeln, Harken und Schubkarren befand sich dort eine Schlafstelle, die für Handwerker wie Kard oder auch andere Reisende bestimmt war.
In dieser Nacht wollte Kard herausfinden, wo sich die Unterlagen befanden, in denen über die Waisenkinder Buch geführt wurde. Sie hatten also nicht viel Zeit. Und was erschwerend hinzukam, war, dass die Gova ihn zum Abendessen in den großen Speisesaal gebeten hatte. Eine Einladung, die Kard schlecht ablehnen konnten. Dort würde er auf die anderen Kinder und auch die anderen Govas treffen. Kard betete zu Branu, dass ihn bei dieser Gelegenheit niemand erkennen würde. Denn dann hätte er einiges zu erklären.
Der Speisesaal war nicht wirklich groß, aber da es der einzige Ort mit großen Fenstern war, wirkte er offener und weiträumiger als die anderen Räume des Waisenhauses. Die untergehende Sonne hüllte die wenigen Tische in orangefarbenes Licht. Vier missmutig dreinblickende Govas, die gemeinsam an der Stirnseite des Raumes an einer Tafel saßen, mussten diesen letzten Gruß Branus über sich ergehen lassen, bevor die Nacht und damit Goiba die Regentschaft übernahm.
Kard hatte den dicken Adrian sofort erkannt und darauf geachtet, dass er und Benji an einen anderen Tisch saßen. Madad hatte leider nicht mitkommen dürfen, was den stolzen Cu ziemlich verstimmt hatte. Doch seine unfehlbare Nase hatte ihn in Richtung Küche geführt, was seine Stimmung wesentlich verbessert hatte.
Zum Glück gab es außer dem dicken Adrian keine anderen Kinder, die Kard noch erkennen konnten. Aber K’sndra, die Oberste Gova des Waisenhauses, hatte hier wie eh und je die Leitung inne. Ob sie Kard, so wie er jetzt aussah, erkennen würde? Er wollte es auf jeden Fall nicht darauf ankommen lassen und wandte sein Gesicht ab.
Kaum war die Sonne untergegangen, begann die Lobpreisung Goibas. K’sndra intonierte das Gebet und brav sprachen ihr alle nach. Auch Kards Zunge fanden automatisch die richtigen Worte, obwohl er dieses Gebet seit Jahren nicht mehr aufgesagt hatte.
Natürlich gab es Winxgrassuppe. In ganz Haragor gab es abends Winxgrassuppe. Vielleicht nicht bei den Reichen. Immerhin gab es hier sogar einige Fleischfetzen in der Suppe. Auf dem Tisch standen auch einige Schalen mit Beeren, die man im Dunklen Wald fand, offensichtlich an Stellen, die nicht unter der Macht der Tausendfüßer standen.
Kl’dia stellte den Gast vor, den die anderen Kinder schon neugierig beäugt hatten. Kard stellte beruhigt fest, dass K’sndra offensichtlich andere Sorgen hatte, denn sie schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Dafür drehte sich der dicke Adrian während des Essens dauernd um, und Kard senkte seinen Kopf tief über den Suppenteller. Leider fiel es aber auch Benji auf, dass sich da jemand für ihn interessierte.
»Der dicke Adrian ist ganz schön neugierig.«
»Ach ja?«
»Der dreht sich dauernd um.«
»Aha.«
»Ist halt der dicke Adrian. Der weiß sich nicht zu benehmen. Ist halt ein bisschen zurückgeblieben. Deswegen will ihn auch keiner.«
»Will ihn keiner?«
»Na ja, schau ihn dir doch mal an.«
»Ach, ich weiß, wie er aussieht.«
»Nein, ehrlich, dreh dich mal um.«
»Nein, nein. Die Suppe wird kalt.«
»Wink ihm doch mal, vielleicht gibt er dann Ruhe.«
Ohne sich umzudrehen hob Kard den Arm und wedelte ein wenig mit der Hand in der Luft herum. Leider hatte er damit genau das Gegenteil erreicht. Der dicke Adrian winkte zurück und zwinkerte Benji heftig zu.
»Nach dem Essen müssen wir ihn kurz treffen, Kard. Ich kenne Adrian. Er kann ziemlich hartnäckig sein.«
Kard verschluckte sich. Der dicke Adrian mochte ein wenig einfältig sein, aber das machte ihn in gewisser Weise noch gefährlicher.
»Benji, tust du mir einen Gefallen? Nenne mich bitte vor den anderen Kindern einfach nur ›Der Schmied‹, einverstanden? Wenn wir unter uns sind, kannst du mich gerne mit meinem Namen ansprechen, aber von Fremden erwarte ich ein wenig mehr Respekt.«
»Respekt?«
»Ja, äh, ich bin ja nicht irgendwer. Ich bin ja ein Schmied. Und da hat man ja wohl etwas Respekt verdient, oder?«
»Wenn du meinst, Kard.«
Kard schaute Benji ärgerlich an.
»Gut, gut. Schmied. Herr Schmied. Alles klar.«
Irgendwie doch schade, dass er es nicht wagte, sich zu erkennen zu geben. Der dicke Adrian konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Er war einer von Kards wenigen Freunden gewesen.
Die Govas beendeten das Essen wieder mit einem Dankgebet an Goiba, zwei der Kinder hatten Tischdienst und räumten die Teller ab, die Govas verschwanden in ihren Gemächern und die Kinder durften noch einige Zeit im Speisesaal herumsitzen. Der dicke Adrian gesellte sich umgehend zu ihnen.
»Hey Adrian, was sollte das vorhin. Das ist nicht höflich. Der Schmied ist unser Gast.«
»Hey Schmied.«
»Hallo Adrian.«
Benji versuchte den dicken Adrian abzuschütteln aber der Junge hatte seine Augen starr auf Kard gerichtet.
»Erinnerst mich an jemanden, weiß nur nicht mehr genau an wen.«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.