Kitabı oku: «Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten», sayfa 4
Aber in den Dörfern hatte es auch keine Amazonen gegeben. Als er an diesem Morgen in seinem Büro in der Schwarzen Burg sass und jeweils einen Strich in die Spalte Mensch und Torak zeichnete, fühlte Makral eine aufkommende Müdigkeit. Die Macht Flanakans in das gesamte Reich zu tragen war eine wirklich mühevolle Aufgabe. Conchar war inzwischen gesäubert, aber das genügte nicht.
Er hatte das Fenster geöffnet, er hörte das Rauschen des kalten Herbstwindes, ansonsten war die Stadt ungewöhnlich still. Kein Rufen, keine schreiendes Kind, kein krakelnder Torak. Die Stadt wartete auf den anbrechenden Tag und den Kommandos der Schergen, die ihre Kunden abholten. Makral lächelte. Es spürte die Macht Goibas. Tod und Kälte. Wer konnte sich dieser Magie entziehen?
*
Das Stadttor von Truk war um diese frühe Uhrzeit noch geschlossen. Kard konnte oben auf dem Wachturm einen Uniformierten wahrnehmen, der sich angestrengt am Geländer festhielt und in die Weite der Winxgrasfelder starrte, dabei aber dermaßen bewegungslos wirkte, dass Kard davon ausging, dass der Mann im Stehen schlief. Unten am Fuß des Turms stand ein recht betagter Soldat, ein Mensch, der nur noch aus Knochen zu bestehen schien. Der Alte stierte sie ohne eine Miene zu verziehen an, als sie sich ihm näherten. Kard hatte schon die Vermutung, dass auch dieser Mann im Stehen schlief, als sich aus dem Knochenberg eine Stimme erhob, die ganz im Gegensatz zur brüchigen Erscheinung tief und fest klang.
»Haaaaalt! Stehen bleiben.«
Kard, Benji und Madad schauten auf das verschlossene Tor, dann auf den alten Soldaten. Was bitte, außer stehen zu bleiben, hätten sie in diesem Moment sonst tun sollen?
»Du…«
Der Mann hatte die Rechte vom Schwertgriff genommen und deutete auf Kard.
»Bist du vielleicht ein Torak?«
Kard wusste nicht so recht, ob diese Frage ernst gemeint war und schüttelte nur stumm den Kopf.
»Vielleicht bist du einer von diesen kleinen Toraks?«
»Äh, nein, ich bin ein Mensch, wie ihr bestimmt sehen könnt.«
»Ein Mensch, ja? Ob du ein Mensch oder ein Torak bist, das bestimme ich, kapiert!«
Die Stimme der Wache vibrierte jetzt leicht und als Kard ihm in die Augen schaute, sah er, dass der Blick glasig und unfokusiert war. Die ganze Nacht in die Dunkelheit zu starren, konnte einfach seltsame Sachen mit einem machen.
»Er ist wirklich ein Mensch, Herr Wache. So wie ich. Ich bin auch ein Mensch.«
Benjis jugendliche Stimme, in der keine Arglist oder Besserwisserei mitschwang, schien die Wache etwas zu beruhigen.
»Denn Toraks brauchen jetzt eine Ausgehgenehmigung, eine Stadtverlassenserlaubnis. Oder so was. Ist ganz neu. Der Herrscher traut ihnen nicht mehr, diesen dicken, dicken… dicken Hamstern, jawohl!«
Doch nun schallte die Stimme des anderen Wächters vom Turm herab.
»Mach doch mal die Augen auf, Dall. Das sind echte Menschen.«
Offensichtlich schlief der Mann auf den Zinnen doch nicht.
»Toooor öffnen.«
»Wieso? Was hast du da oben zu melden? Ich überprüfe gerade diese Verdächtigen. Sie sind vielleicht Toraks, kleine Toraks!«
»Die Goiba-Priesterin steht draußen.«
»Ach du liebe Goiba!«
Der Alte sprang zum Sperrbalken, der das Tor verriegelte und mit einer Kraft, die man den dünnen Armen gar nicht mehr zugetraut hätte, hob er das Kantholz aus der Halterung. Dann zog er mit Leibeskräften am Rahmen des Torblattes, dass sich langsam nach innen öffnete. Kaum hatte sich ein Spalt gebildet, konnte Kard die Gova im Morgennebel stehen sehen. Wie üblich für ihre Zunft war sie völlig in Schwarz gekleidet, die Kapuze hatte sie über den Kopf geschlagen. Im angewinkelten Arm schaukelte ein geflochtener Korb, in dem die Gova die Kräuter der Nacht, die sie für ihre Tinkturen und Rituale benötigte, gesammelt hatte. Kard überkam ein Frösteln bei ihrem Anblick. Ein Gefühl, als ob das Feuer, das in ihm jenseits der Wahrnehmungsgrenze loderte, plötzlich erstarren und in sich zusammenfallen würde. Einen ähnlichen Eindruck musste die Gova auf die anderen machen, denn sowohl Benji wie auch die Wache machten plötzlich den Eindruck, als ob sie einen Termin bei einem stümperhaften Bader hatten, der ihnen einen faulen und schmerzenden Zahn ziehen sollte. Das Quietschen der Scharniere des Tores gellte wie ein Verzweiflungsschrei durch den anbrechenden Tag.
»Schneller, Wache, ich friere mir hier draußen die Füße ab.«
Wie auf ein unsichtbares Kommando hin, sprangen Kard und Benji dem alten Soldaten zur Hilfe. Die dunkle, aufrechte Gestalt betrat geräuschlos ihr Reich.
»Und sind das deine neuen Gehilfen, Wache?«
»Nein, liebe Gova. Das sind Verdächtige!«
»Verdächtige?«
»Ich vermute, es könnten kleine Toraks sind, ihr wisst ja, diese neue Verordnung des Herrschers…«
»Das sind Menschen, Wache. Das sieht man doch sofort. Mit einem Hund. Kleine Menschen. Jungen. Halbe Portionen. Aber doch keine Toraks.«
Die Goiba-Priesterin lachte verächtlich und die alte Wache alterte in diesem Moment noch ein bißchen mehr.
»Aber der da…« Die Gova trat einen Schritt auf Kard zu. Nun konnte er die Züge eines Gesichtes im Dunkel der Kapuze sehen.
»Der da stinkt!«
Die Gova betrachtete Kard kopfschüttelnd von oben bis unten und zog dabei die Nase kraus.
»Du stinkst tatsächlich fast so wie ein Torak, Junge. Irgendwie, irgendwie nach…«
Der Priesterin fielen die Worte nicht ein. Sie trat noch einen Schritt auf Kard zu.
»Irgendwie nach Branu.«
Kaum hatte die Gova dies ausgesprochen, trat sie einen Schritt zurück. Kard war sich nicht sicher, ob es aus Schrecken oder Ekel war.
»Ein Mensch, der wie ein Torak stinkt und ganz eindeutig nach Branu, das ist sehr seltsam. Ich sollte…«
»Wir kommen von K’sandra und haben eine Lieferung für das Waisenhaus. Hier, der Auftrag.«
Benji war vorgesprungen, in der Hand hatte er ein Papier und wedelte der Priesterin nun damit vor der Nase herum.
»Von K’sandra, der Gova des Waisenhauses?«
Die Gova nahm das Schriftstück und studierte es genau. Dann gab sie es Benji zurück und musterte Kard noch einmal mißtrauisch.
»Es sind also keine Toraks?« Der alte Soldat wollte offensichtlich auf Nummer sicher gehen.
»Nein, natürlich nicht.«
»Dann können sie passiere. Das Tor ist ja jetzt schonmal auf.«
»Na gut. Geht. K’sandra wird schon wissen, was sie tut. Grüßt meine Cousine. Goiba für immer.«
Ein müdes, gehorsames Echo antwortete der Priesterin. Goiba für immer, Goiba für immer, Goiba für immer.
*
»Jetzt schlachten sie sogar uns Ichtos wahllos ab. Schon fast zehn meiner Schwarmbrüder haben die Wachen zur Schwarzen Burg abgeführt. Wegen Kleinigkeiten. Perlmuttschwindel und Fischvergiftung. Können wir was dafür, wenn der Kunde die Makrele erst eine Woche später ißt? Walkotze und Haifischgekröse, sollen wir etwa unsere Kunden vor Ort füttern? Und dabei haben wir uns hier in Conchar immer sicher gefühlt.«
Die Schreiende Makrele, selbst an überfüllten Markttagen zwar laut schreiend aber im Grunde die Ruhe selbst, war völlig aus dem Häuschen.
»Flanakan will uns alle einschüchtern.«
»Nein. Nicht Flanakan. Die Menschen sind es. Die hielten sich schon immer für etwas Besseres. Nur weil sie die Mehrheit sind.«
»Nicht auf Ichtien.«
»Nicht im Dunklen Wald.«
»Ja, aber hier. Hier in Conachar. Und auch sonst überall im Reich.«
»Aber die Befehle kommen von Flanakan. Er gibt den Wachen die Anweisungen, uns wegen Nichts und wieder Nichts verhaften zu lassen. Und die Hinrichtungen, alles sein Werk.«
»Wer profitiert denn von den Hinrichtungen? Die Schreiner! Die Galgenschreiner! Das sind alles Menschen!«
»Also haben jetzt die Galgenschreiner die Macht in Conchar?«
»Vielleicht…«
Im Keller des ›Knochenbruchs‹ gingen die Stimmen wild durcheinander. Obwohl es mitten am Tag war, war es hier unten dunkel. Alle Luken abgehängt, die Luft war stickig. Im Gang wischen den Schofffässern saßen Vertreter aller Wesen Conchars. Eine Kerze stand zwischen ihnen, ihre Flamme beugte sich in alle Richtungen, je nachdem aus welcher Richtung die unterdrückten, wütenden Schreie kamen. Draußen hielten einige von ihrer Gruppe Ausschau nach Wachen, um sie rechtzeitig warnen zu können.
»Ich sage, wir müssen etwas gegen die Menschen unternehmen. Ihnen ihren Hochmut austreiben.« Gsark blickte auffordernd in die Runde.
»Noch mehr Flugblätter?«
»Nein, Flugblätter bringen nichts. Wir müssen sie da packen, wo sie sich so toll finden.«
»Willst du ihnen ihre kleinen Finger abhacken?«
Gsark lächelte. »Gar keine schleckte Idee. Aber nein. Wir fangen sie und lassen sie dann nackt durch die Straßen Conchars laufen.«
»So ein Schwachsinn.«
»Nein, das ist gut. Schämen sollen sie sich, diese hochnäsigen Menschen.«
»Hey, ich bin auch ein Mensch.«
»Ja, aber du bist ja einer von uns.«
»Trotzdem…«
»Er hat recht.« Gsaxt, der jüngere der beiden Torakbrüder, hatte das Wort ergriffen. »Es geht nicht darum, welches Wesen in Conchar besser oder schlechter ist als das andere. Unser Feind ist Flanakan. Das hat unser Papa auch immer gesagt, Gsark.«
»Ja. Und Papa ist jetzt tot, oder?«
Jetzt schwiegen die Zellenmitglieder in Erinnerung an den, der sie einst alle zusammengerufen hatte.
»Wir brauchen einen Führer.«
Zustimmendes Gemurmel.
»Wir brauchen eine Armee!«
»Wir sind die Armee!«
»Wir brauchen den Segen der Götter!«
Die Götter. Die gab es ja auch noch. Ohne sie war in Haragor nichts möglich.
»Das mit dem Minas-Schwert hat ja wohl nicht geklappt.«
»Der Junge hat versagt.«
Gsaxt und Gsark schauten sich an. Das stimmte. Es gab kein Minas-Schwert. Keine Magie, die sie beschützen würde. Sie waren auf sich allein gestellt.
»Und wer hat versagt? Ein Mensch! Die sind zu nichts zu gebrauchen. Sie sind schwach, bösartig und wollen uns vernichten. Uns Toraks. Und Ichtos. Alle Nicht-Menschen!«
»Aber Gsark, das stimmt doch gar nicht. Wir leben mit ihnen zusammen, schon immer. Wir trinken sogar ihr Schoff!«
»Ja, genau. Und was wirft man uns jetzt vor? Schoffpanscherei. Dabei verkaufen wir das nur. Das Schoff, das uns die Menschen liefern!«
Gsark holte tief Luft.
»Mir reicht es, Leute. Heute Nacht ziehe ich los. Mit Kapuze und Keule. Ich werde es einen paar von denen heimzahlen. Wer ist dabei?«
»Ich.«
»Ich.«
»Ich auch.«
Gsaxt sah erschrocken in die Runde. Die Wut von Gsark hatte viele angesteckt.
»Bruder. Du machst einen Fehler. Wir sollten noch abwarten. Uns besser organisieren.«
»Abwarten? Warten auf was? Dass die Menschen uns wie Vieh zusammentreiben?«
»So weit wird es nicht kommen. Wir sind doch alle Brüder, alle Wesen von Haragor. Wir müssen gegen Flanakan und die Wachen vorgehen.«
»Ha, ha. Du willst gegen Flanakan vorgehen? Nur zu! Aber gegen die Magie der Schwarzen Burg bist du machtlos, Bruder. Aber die Menschen, die laufen da draußen auf der Straße herum. Wenn die erstmal gelernt haben, dass sie mit uns nicht alles machen können, wird wieder Frieden einziehen.«
»Du sprichst von Frieden, aber heute Nacht willst du sie verprügeln.«
»Die Wege der Götter sind unergründlich.«
»Oh, jetzt hast du schon die Götter auf deiner Seite?«
»Halt den Mund, kleiner Bruder. Du redest nur. Aber was machst du gegen Flanakan?«
»Wir müssen uns alle erheben gegen den Herrscher. Alle Wesen Haragors.«
»Und das willst du mit Flugblättern erreichen?«
»Das ist nur der Anfang.«
»Ja, aber die Menschen schlachten uns jetzt. Jetzt und hier. Wir haben keine Zeit zu warten. Sonst sterben wir.«
»Aber es sind nicht die Menschen, es ist Flanakan…«
Aber die anderen Mitglieder der Widerstandszelle hörten nicht mehr auf Gsaxt. Gsark war aufgestanden und hatte schon eine Keule in der Hand.
»Heute nacht schlagen wir zurück. Toraks gegen Menschen.«
»Und Ichtos.«
»Meinetwegen auch Ichtos gegen Menschen.«
Die aufgebrachte Meute folgte Gsark die Kellertreppe hoch. Gsaxt blieb alleine zurück. Ein formloser, in sich zusammen gesunkener Torak, der in eine Kerze starrte. Die Flamme warf seinen riesigen zuckenden Schatten auf die Schofffässer. Eine Weile noch starrte er in das Feuer, dann erhob er sich und ging zu einem der Fässer. Er hob es an und hervor kam eine Druckerpresse. Gsaxt legte ein Blatt unter den Stempel und begann, neue Flugblätter zu drucken.
*
Makral war nicht sehr reisefreudig, aber Pflicht war Pflicht. Dann ging es eben jetzt in die Alte Stadt. Flanakan war von den Berichten, die von dort kamen, nicht sehr angetan. Eine Meute Aufständiger, vor dem Feind fliehende Wachen und letztendlich ein toter Laoch. Alles nicht richtig so, wie man sich das als absoluter Herrscher vorstellte. Makral sollte daher einige der Hinrichtungen in der Alten Stadt vollziehen lassen und persönlich beaufsichtigen. Wer weiß, vielleicht erwischte man sogar einen dieser Branu-Priester, die es da oben noch gab?
*
Kard und seine Freunde standen vor der Mauer des Dunklen Waldes, der sich links und rechts von ihnen wie eine Mauer bis zu den Horizonten zog. Kalte, feuchte Luft drang ihnen entgegen.
Kard schaute noch einmal zurück. Die Hochebene von Asch-by-lan war hier karg und trocken. Keine blühende Kräuterwiese, dafür kurzes Gras, riesige Flächen in verschiedenen Farben, einmal grün, aber auch gelb oder rostrot, immer wieder unterbrochen von Gesteinsbrocken, als ob sich die Erde hier mit einer Hautkrankheit herumschlagen musste. Ab und zu hatten sie Bauern aus Truk mit ihren Mäh-Schafen gesehen, die mit ihren kleinen Herden die einzigen waren, die dieser sparsamen Natur etwas abgewinnen konnten. Einige Rennhasen, nur sichtbar durch die Staubfahnen, die ihren Weg kennzeichneten, hatten ihren Weg gekreuzt. Dunkle Vögel hatten sie am Himmel sichten können. Immerhin keine Harpyien.
Das dreieckige Schild mit rotem Rand der Obersten Verwaltung zeigte einen Kringel und erinnerte Kard an eine Nussschnecke, ein Zuckergebäck, das er besonders gerne mochte. Er fragte Benji, was es damit auf sich hätte.
»Das habe ich mich auch schon gefragt. Die Govas geben einem auf so etwas keine Antwort. Und in der Bibliothek habe ich auch nichts gefunden.«
»Ist das nicht ein Warnschild?«
Benji blickte erstaunt auf das Wegzeichen.
»So habe ich das noch nie gesehen. Aber vor was sollte man hier warnen. Es gibt nur den Weg und dann das Waisenhaus. Das Zeichen zeigt keinen Faol, das steht schonmal fest.«
»Da hast du recht, Benji. Aber vor Faols wird hier übrigens nicht gewarnt.«
»Nein, es gibt hier keine Faols.«
»Wirklich nicht? Aber das ist der Dunkle Wald. Warum sollte es hier keine Faols geben?«
»Yo, oder Riesenwildschweine?«
»Riesenwildschweine, so ein Quatsch. Der Weg zum Waisenhaus ist total ungefährlich. Keine Faols. Und auch keine Wahter.«
»Keine Wahter? Ein Wald ohne Faols und ohne Wahter, aber ein Zeichen mit einem Kringel. Ist doch irgendwie seltsam.«
»Du machst dir zu viele Gedanken, Kard. Die Govas haben das alles geregelt.«
»Du meinst mit Magie?«
»Ja, wahrscheinlich. Darüber habe ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht. Der Segen Goibas möge dich begleiten, sagen sie immer, wenn wir nach Truk gehen. Wenn das Magie ist, dann eine, die uns beschützt.«
»Yo, die Magie Goibas, die Wahter und Faols verscheucht, das schmeckt mir nicht. Mama sagt immer, hör auf dein Bauchgefühl und ich habe da gerade so ein komisches Grummeln.«
»Madad hat Recht, Benji. Wir übernachten hier. Durch diesen Wald gehen wir lieber bei Tageslicht.«
»Es ist aber wirklich nicht mehr weit. Und es ist noch nie etwas passiert.«
»Eben.«
»Ihr wollt also nicht weiter gehen, weil es ungefährlich ist?«
»Dass es für dich ungefährlich ist, heißt noch lange nicht, dass es auch für uns ungefährlich ist.«
»Ihr glaubt also, dass die Govas uns Waisenkinder mit so einer Art Schutzzauber belegt haben? Den ihr nicht habt?«
»So etwas in der Art. Wälder, in denen sich Faols nicht wohl fühlen, sind vielleicht auch für harmlose Cus nicht das Beste. Ich rieche Überraschungen. Glaub mir, Benji, ich spreche aus Erfahrung.«
Kard hatte sich inzwischen umgeschaut und sich dafür entschieden, die Nacht in einer Senke zu verbringen, die ihnen etwas Schutz vor dem Wind bieten würde, der über die Hochebene wehte und nach Sonnenuntergang an Stärke sicherlich zunehmen würde. Die anderen waren einverstanden und begannen damit, Holz zu sammeln. Madad brachte einen Rennhasen zur Strecke, und schon schauten sie in die Sterne, während Kard dem Tier das Fell über die Ohren zog.
»Mist, ich habe gar keinen Feuerstein dabei.«
Benji hatte in seinem Bündel gewühlt und schaute Kard und Madad jetzt enttäuscht an. Aber er sah Madad grinsen und selbst Kard schmunzelte ein wenig.
»Feuer ist das geringste Problem.«
*
Gsark hatte sich mit seinen Mitläufern für den Abend verabredet. Jeder sollte eine Kapuze und eine Keule mitbringen. Die Sonne war bereits untergegangen, als sich diese seltsame Schar im Dämmerlicht der anbrechenden Nacht in einer dunklen Ecke des Marktplatzes von Conchar traf. Die Händler, die von Außerhalb kamen, hatten schon Nachmittags ihr Hab und Gut zusammengeräumt, um noch vor dem Einbruch der Nacht wieder zurück in ihren Dörfern zu sein. Nur noch die ortsansässigen Händler und Handwerker, oder diejenigen, wie die Schreiende Makrele, die sich für eine längere Zeit in der Hauptstadt aufhielten, befanden sich jetzt noch auf dem Markt und räumten nun langsam ihre Sachen zusammen. Die Schreiende Makrele hatte Gsark und seine Gefolgsleute auch bereits entdeckt und gab ihnen geheime Zeichen (dreimaliges Lüften des Hutes), dass die Wachen hier noch patrouillierten. So blieben die rachsüchtigen Rebellen also im Schatten und warteten auf den richtigen Moment. An ihnen vorbei gingen die letzten Marktbesucher.
»Wen schnappen wir uns denn jetzt, Gsark?«
»Einen Menschen.«
»Aber es sind so viele, sollen wir uns die alle vornehmen?«
Gsark wusste darauf keine Antwort. Man wollte ja einerseits nicht auffallen. Was vor allen Dingen hieß, dass man den Überraschungsmoment ausnutzen wollte. Denn andere Menschen sollten ja nicht mitkriegen, dass man einen der ihren gerade vermöbelte. Einer der ihren. Genau das war das Problem - wen sollten sie auswählen?
Vielleicht sollten sie sich einen Kaminkehrer vornehmen? Ein Mensch, aber einer, mit dem die anderen irgendwie nichts zu tun haben wollten. Die waren immer dreckig, das Gesicht ganz verrußt, die Haut ganz schwarz. Aber natürlich nützlich. Wer sollte denn sonst die ganze Drecksarbeit machen? Da sahen die anderen vielleicht weg, wenn man den sich vorknöpfte?
Oder einen Bettler? Wenn die Wachen sie nicht alle verscheucht hatten? Gsark ließ seinen Blick über den Marktplatz schweifen aber so eine Art Mensch konnte er nirgendwo sehen.
Vielleicht einen der Händler? Das würde auch genug Aufsehen erregen. Ein zusammengeschlagener Kaminkehrer oder ein Bettler, dem man ein paar Knochen gebrochen hatte, würde vielleicht letztendlich doch niemanden interessieren.
»Wir knöpfen uns den Tuchhändler vor.«
»Echt? Aus dessen Stoff hat meine Frau meine Hosen geschneidert.«
»Der hat fünf Kinder.«
»Hat gute Preise.«
Gsark schaute seine Mannen entgeistert an.
»Ja, was denn? Wollen wir es den Menschen jetzt zeigen oder nicht?«
»Ja, schon. Aber es sollte schon ein richtig böser sein.«
»Vielleicht versteht ihr nicht den Kern unserer Mission. Menschen gegen Toraks. Toraks gegen Menschen. Glaubt ihr die Wachen fragen uns, ob wir nette Leute sind?«
Peinlich berührtes Gemurmel. Nein. Du hast ja recht. Was sollen wir denn jetzt tun?
Aber Gsark spürte, dass im Widerwillen seiner Leute ein Stückchen Wahrheit mitschwang. Der Mensch im Allgemeinen, das war zu diffus. Es fiel ihm ja selbst schwer, sich für das richtige Opfer zu entscheiden.
»Wie wäre es mit Pfandhaus-Hannes?«
Pfandhaus-Hannes. So ein geiziger Mann! Dem sie alle schon einmal den Schmuck ihrer Großmutter gebracht hatten, nachdem sie sich mit den Karten um Kopf und Kragen gespielt hatten. Was der für Zinsen nahm. Unerhört. Gsark nickte.
»Auf zu Pfandhaus-Hannes!«
*
Tsarr hatte Mühe, all die einkommenden Meldungen über verdächtige Branu-Energie zu sichten. Das Glühen der Obsidiankugel verblasste zwischen den einzelnen Berichten gar nicht mehr. In Conchar, in der es die größte Dichte an Govas gab, schien es auch die meisten Verdächtige zu geben. Ein Junge in der Bäckergasse hatte ein auffallend rundes Gesicht, so rund wie die Sonne. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass er auf der Seite von Branu stand. Er wurde festgenommen, strengstens verhört und für schuldig befunden, allerdings war er nicht der Gesuchte. Verdächtige Toraks wurden auch allenthalben gemeldet, bis man die Denunzianten darauf aufmerksam machte, dass man ja einen Menschenjungen mit verdächtiger Branu-Energie suche. Am Feuerturm wurde ein Mann mit roten Haaren gemeldet. Rote Haare sind immer verdächtig. Schließlich ist auch das Feuer rot. In Bo-Baoghalta wurden Männer mit Zöpfen in den Haaren gesichtet, die aber unverwunden zugaben, dass sie Anhänger Charabnus seien. Ein Junge war allerdings nicht darunter. In Truk wurde einer gemeldet, der wie ein Torak und damit nach Branu stank. Die große, weise Tsarr begutachtete alles, konnte sich aber nicht entscheiden, was wichtig oder unwichtig war. Verärgert sah sie, dass dies dazu führte, dass sich eines ihrer Haare grau verfärbte. Als sie es ausriss, wurde ihr klar, dass sie in Zukunft stärkere Magie benötigen würde, um ihre Jugend zu bewahren.
*
Der Herbstwind heulte und fluchte, riß an den Fensterläden und spielte auf den Schindeln der Dächer eine Melodie, die die Bürger von Conchar erschaudern ließ. Ach, wo war doch der schöne Sommer geblieben? Die tödliche Hitze, längst vergessen. Der Durst, die Trockenheit, hatte es das überhaupt gegeben?
Ein Blatt segelte auf die Straße, wurde hin und her geweht und landete schließlich zwischen Börger-Werbung und dem üblichen Straßendreck. Die Hand eines Toraks nahm dieses Blatt, denn dem Mann kam das Druckbild irgendwie bekannt vor. Wie die meisten Toraks konnte er kaum lesen. Zum Entziffern der Liste der Todgeweihten reichte es aber aus. Aber dieses Flugblatt war anders als die bisherigen. Mühsam entzifferte der Torak das Geschriebene. Arbeit niederlegen. Widerstand. Schluss mit der Leibeigenschaft. Unsere Geduld hat ein Ende. Sehr richtig, dachte der Mann. Sein Schwager war seit ein paar Tagen verschwunden. Die Schwester lief jeden Tag zum Stadttor, um nachzuschauen, ob sein Name auf der Liste stand. Zum Glück bisher umsonst. Irgendwann ist es zuviel.
Dann hörte er die Schritte von vielen Leuten durch die enge Straße auf sich zukommen. Im ersten Moment dachte er, es sei ein Patrouille der Wache. Schnell ließ er das verräterische Flugblatt fallen. Das würde noch fehlen, dass die Wachen ihn hier erwischten. Aber die Schritte der Uniformierten waren eigentlich gleichmäßiger. Was sich ihm näherte, war ungeordnet, wild, chaotisch. Dann bogen die Kapuzenmänner um die Ecke. Viele Toraks, aber auch einige Menschen und sogar einige wenige Ichtos, das konnte man trotz der Kapuzen leicht erkennen.
»Komm mit zum Pfandhaus-Hannes«, rief eine Stimme.
Zum Pfandhaus-Hannes? Dem alten Geizhals? Aber wieso? Was wollten sie da?
»Ein Mensch. Ein Mensch.«
Stimmt, dachte der Torak, ein Mensch. Und weiter?
»Nieder mit den Menschen. Nieder mit den Menschen.«
Inzwischen hatte der Pulk ihn eingekesselt, der Torak wurde von den anderen einfach mitgerissen. Eine Kapuze stülpte sich über seinen Kopf und schon hörte er sich mit den anderen rufen: »Nieder mit den Menschen«. Und während der Torak das rief, spürte er, wie ein unbändige Wut in ihm hervorkroch. Nieder mit den Menschen, genau! Sie, die Toraks, hatten lange genug diese Demütigungen erduldet. Viel zu wenig bekamen sie für ihre Arbeit bezahlt. Und die da oben machten kaum den Finger krumm und lebten in Saus und Braus. Und wie die sich immer aufspielten. Als ob die Toraks kein Gehirn hätten. Die Menschen wussten immer alles besser. Was hatte noch einmal am Ende des Flugblattes gestanden? Wir sind viele. Die Wachen nur wenige. Genau. Wir sind viele. Den Menschen werden wir es mal zeigen. Der Torak schaute sich um. Überall Kapuzen. Und eine Keule hatte er auch plötzlich in der Hand.
Vor dem Haus von Pfandhaus-Hannes blieb die Meute stehen.
»Sollen wir vielleicht erstmal klopfen?«
Füße scharrten am Boden. Hustengeräusche drangen durch den Stoff der Kapuzen. Als der Wind sich für einen kurzen Moment legte, konnte man das Trippeln der Füße einer Ratte hören, die am Fuß der Häuser entlang lief.
Doch als die nächste Böe die Kapuzen erzittern ließ, trat einer von ihnen vor und schwang die Keule gegen die Eingangstür. Als habe die Horde einen gewaltigen Tritt in den Hintern bekommen, stürmten sie nun Keulen schwingend nach vorne. In nur wenigen Augenblicken gähnte in der Vorderfront des Hauses ein schwarzes Loch, durch die sich die Leiber der Aufständischen ins Innere zwängten.
Hatte seine Schwiegermutter nicht einen silbernen Armreif bei Pfandhaus-Hannes hinterlegt, um die Beerdigung ihres Mannes bezahlen zu können? Wäre das nicht eine passende Gelegenheit, dieses Schmuckstück wieder seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzuführen? Der Torak, der mit der Masse mitgespült worden war, drängte mit den anderen ins Innere und dann hinunter in den Keller, wo die Pfandstücke gelagert wurden.
»Nieder mit den Menschen«, hörte man eine Stimme rufen. Ach egal, erst mal schauen, was der Laden so zu bieten hatte. Wenn es das Schmuckstück der Schwiegermutter nicht war, dann irgendetwas anderes.
Dann erklang plötzlich weiter oben die drohende Stimme des Hausbesitzers.
»Er hat eine Armbrust«, schrie daraufhin jemand und schon hörte man das Sirren eines Pfeiles und das dumpfe Geräusch, als das Geschoss wohl irgendwo an die Wand prallte.
Sollen die da oben sich mit ihm herumschlagen, dachten wohl die meisten da unten im Keller. Was hier alles herumlag. Schmuck ohne Ende, aber auch silberne Kerzenhalter, goldene Schalen und wertvolle Stoffe. Hände griffen zu und packten ein.
»Wachen!« Der gellende Schrei drang durch das ganze Gemäuer.
»Es sind nur zwei«, rief eine andere Stimme, aber eine übernatürliche Kraft war in die Beine der Meute geschossen und katapultierte Toraks und Menschen und Ichtos heraus aus dem Keller, heraus aus dem Haus und mitten auf die Straße. Der große Torak, der die Tür eingeschlagen hatte, stand da breitbeinig auf dem Pflaster, die Keule schwingend und wartete auf die Uniformierten.
»Wir sind viele«, rief er. »Die sind nur zu zweit.«
Aber es waren eben Wachen. Die Wachen von Flanakan. Daran ließ sich nicht rütteln. Und in den Taschen klimperten Schmuckstücke und goldenen Gabeln. Da musste man nicht lange überlegen, was zu tun war. Wie Hasen, die den Fuchs in ihrem Bau gewittert hatten, sprangen die Kapuzen nun davon. Gerade noch rechtzeitig. Denn dieser Mensch, dieser Pfandhaus-Hannes, war davongelaufen und hatte noch mehr Wachen verständigt. Sie schienen plötzlich überall zu sein.
Fünf Torak-Wachen überwältigten den Plünderer, der zu spät gemerkt hatte, dass es kein Entkommen kam. Der Mann spuckte ihnen vor die Füße und nannte sie Verräter und Stiefellecker der Menschen. Aber die Uniformierten ließen sich davon nicht beeindrucken. Man verdrehte dem Mann die Arme hinter dem Rücken und riss ihm die Kapuze herunter.
»Vom Schoffpanscher zum Plünderer, das nenne ich mal eine Karriere.«
»Wir haben hier nicht geplündert. Wir Toraks lassen uns von euch nichts mehr bieten. Die Menschen haben lange genug ihr Spiel mit uns getrieben. Irgendwann ist Schluss.«
Der Torak bekam keine Antwort. Ein Nicken des Anführers der Wachen reichte. Ab in den Kerker, hieß das. Oder in den Steinbruch. Die Kerker waren einfach zu voll. Also doch gleich an den Galgen?