Kitabı oku: «Die Wiederaufnahme in Strafsachen», sayfa 2
Einleitung
Einleitung › A. Zur Praxis der Wiederaufnahme in Strafsachen und zugleich zur Konzeption des Buches
A. Zur Praxis der Wiederaufnahme in Strafsachen und zugleich zur Konzeption des Buches
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Die Praxis der Wiederaufnahme in Strafsachen ist höchst unbefriedigend. Es bedarf keiner aufwändigen empirischen Untersuchung, um wissen zu können, dass die Misserfolgsquote bei Wiederaufnahmeanträgen außerordentlich hoch ist. Die Auskunft ist von jedem Richter oder Staatsanwalt zu erhalten, der mit Wiederaufnahmesachen befasst ist. Sofern dieser sich vor Berufsblindheit hat bewahren können, wird er zugeben, dass keineswegs entsprechend selten rechtskräftige Fehlurteile in der strafrechtlichen Praxis vorkommen. Nur werden sie eben selten korrigiert.
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Verantwortlich für den unbefriedigenden Zustand ist einmal eine gesetzliche Konzeption, die einer Korrektur rechtskräftiger Fehlurteile sehr enge Grenzen setzt.[1] Von erheblichem Gewicht sind aber auch Gründe, die die Praxis der Rechtsanwendung betreffen. So handhabt die justizielle Praxis die Vorschriften des Wiederaufnahmerechts zumeist sehr restriktiv.[2] Ferner zeigt die richterliche Erfahrung, dass Strafverteidiger mit dem Wiederaufnahmerecht, das sich in wesentlichen Strukturelementen vom sonstigen Strafverfahrensrecht unterscheidet, oft nicht genügend vertraut sind.
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Das Buch soll zu einer Veränderung der Rechtsanwendungspraxis beitragen. Es bietet eine betont systematische Darstellung des Wiederaufnahmerechts, was das Verständnis für die Besonderheiten dieses Gebietes fördern soll. Die Abfolge der gesetzlichen Vorschriften ist nämlich eher verwirrend. Daher leisten Kommentare auch nur begrenzt Hilfestellung. Zugleich ist eine kritische Überprüfung der restriktiven justiziellen Praxis beabsichtigt. Somit wendet sich das Buch nicht allein an Strafverteidiger, sondern auch an sonstige in Praxis und Theorie mit dem Wiederaufnahmeverfahren befasste Personen.
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Soweit das Buch für Zwecke der Strafverteidigung benutzt wird, sollte Anleitungsliteratur zur Verteidigungstätigkeit im Ermittlungsverfahren ergänzend herangezogen werden. Denn die dort zu findenden praktischen Hinweise zur Informationsbeschaffung[3] sind weitgehend übertragbar auf das Wiederaufnahmeverfahren. Daher geht die vorliegende Darstellung nur gelegentlich auf diese Fragen ein. Das beruht im Übrigen auch auf der richterlichen Erfahrung, dass Wiederaufnahmeanträge selten an mangelndem Know-how hinsichtlich der Informationsbeschaffung, sehr häufig jedoch an unzureichendem Wissen darüber scheitern, welche Informationen wie darzulegen sind. Konkrete praktische Hilfen bietet das Buch insoweit durch Muster von Verteidigerschriftsätzen im Anhang sowie durch Fall- und Formulierungsbeispiele in dem praktisch besonders bedeutsamen Bereich der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten auf Grund von § 359 Nr. 5 StPO.
Einleitung › B. Einführung in das Recht der Wiederaufnahme in Strafsachen
B. Einführung in das Recht der Wiederaufnahme in Strafsachen
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Die Wiederaufnahme ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf. Ihre Funktion besteht in der Durchbrechung der Rechtskraft im Interesse materieller Einzelfallgerechtigkeit.[4]
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Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Strafverfahrens setzt einen entsprechenden Antrag voraus, vgl. §§ 360 Abs. 1, 361 Abs. 1, 364 Satz 1, 365, 366 StPO. Als Antragsteller kommen verschiedene Verfahrensbeteiligte in Betracht, in erster Linie der Verurteilte bzw. sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft, §§ 365, 296, 297 StPO. In dem Wiederaufnahmeantrag müssen der gesetzliche Grund der Wiederaufnahme und die Beweismittel angegeben werden, § 366 Abs. 1 StPO. Je nach dem Ziel des Antrags kommen teilweise verschiedene gesetzliche Wiederaufnahmegründe in Frage. Wenn Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten erstrebt wird, gilt § 359 StPO, bei Wiederaufnahmeanträgen zuungunsten des Angeklagten § 362 StPO.[5] Die praktisch bedeutsamste Besonderheit der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten gegenüber der Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten besteht darin, dass sie auf alle neuen Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden kann, wenn diese nur geeignet sind, allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Verurteilten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen (Wiederaufnahme propter nova, § 359 Nr. 5 StPO).
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Der Wiederaufnahmeantrag durchläuft ein mehrstufiges Verfahren. Das nach den §§ 367 Abs. 1 Satz 1 StPO, 140a GVG zuständige Wiederaufnahmegericht entscheidet zunächst über die Zulassung des Wiederaufnahmeantrags (sog. Aditionsverfahren). Der Antrag wird als unzulässig verworfen, wenn er nicht in der vorgeschriebenen Form angebracht, in ihm kein gesetzlicher Grund der Wiederaufnahme geltend gemacht oder kein geeignetes Beweismittel angeführt worden ist, § 368 Abs. 1 StPO. Nach der Zulassung des Antrags werden die angetretenen Beweise erhoben, § 369 StPO; anschließend befindet das Gericht über die Begründetheit des Antrags (sog. Probationsverfahren). Wenn die in dem Antrag aufgestellten Behauptungen durch die Beweisaufnahme genügend bestätigt worden sind, wird die Wiederaufnahme des Verfahrens und – in der Regel[6] – die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet. Die neue Hauptverhandlung richtet sich wie die erste Hauptverhandlung nach den §§ 226 ff. StPO. Nach § 373 StPO gelten allerdings besondere Regeln für die Tenorierung und, was bedeutsamer ist, das Verbot der reformatio in peius.
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Die Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens unterscheidet sich grundlegend von derjenigen des Erkenntnisverfahrens.[7] Das Erkenntnisverfahren ist inquisitorisch strukturiert, die Verfahrensherrschaft liegt beim Gericht. Dementsprechend obliegt ihm auch die Stoffsammlung. Für Darlegungslasten anderer Verfahrensbeteiligter, namentlich des Angeklagten, bleibt kein Raum. Mit dem rechtskräftigen Abschluss des Erkenntnisverfahrens geht ein Strukturwandel einher. Ein anschließendes Wiederaufnahmeverfahren ist ähnlich akkusatorisch strukturiert wie der Zivilprozess. Das Gericht hat keine verfahrensbeherrschende Position inne. Die maßgebenden verfahrensgestaltenden Befugnisse besitzt der Antragsteller. Dementsprechend verschieben sich auch die Verantwortungsbereiche hinsichtlich der Stoffsammlung. Den Antragsteller treffen umfassende Darlegungs- und Beweisführungslasten. Andererseits ist das Wiederaufnahmegericht ähnlich wie ein Zivilgericht gemäß § 139 ZPO in besonderem Maße zur Hilfeleistung gegenüber dem Antragsteller verpflichtet, so dass es ihn insbesondere erforderlichenfalls auf das Ausmaß seiner Darlegungs- und Beweisführungsobliegenheiten hinzuweisen hat.
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Der Strukturwandel erklärt sich daraus, dass der Gesetzgeber mit Eintritt der Rechtskraft die öffentlichen Rechtsschutzinteressen hinsichtlich der Sache selbst als erledigt ansieht. Er geht davon aus, dass der öffentliche Rechtsfrieden durch den rechtskräftigen Urteilsspruch in jedem Fall wiederhergestellt worden ist und dass allenfalls noch der persönliche Rechtsfrieden privater Verfahrensbeteiligter, die ihre privaten Rechtsschutzinteressen durch das Urteil nicht verwirklicht sehen, gestört sein kann. Das öffentliche Rechtsschutzinteresse ist nunmehr auf Aufrechterhaltung des Urteils gerichtet. Seine Richtigkeit wird vermutet. Dementsprechend betrachtet der Staat das weitere Geltendmachen privater Rechtsschutzinteressen, namentlich die Rehabilitierung des Verurteilten, der sich zu Unrecht verurteilt fühlt, als Privatangelegenheit. Wie zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche stellt er lediglich Rechtspflegeorgane zur Verfügung, bei denen private Rechtsschutzinteressen in einem rechtlich geordneten Verfahren geltend gemacht werden können. Zum Gegenstand öffentlichen Interesses wird das weitere Aufbegehren privater Verfahrensbeteiligter erst, wenn es ihnen gelingt, die Vermutung für die Richtigkeit der Feststellungen, die das rechtskräftige Urteil in sich trägt, zu erschüttern. Da sich in diesem Fall der öffentliche Rechtsfrieden als nur scheinbar wiederhergestellt erweist, nimmt nunmehr der Staat die Sache wieder in die eigenen Hände.[8]
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Den strukturellen Besonderheiten des Wiederaufnahmeverfahrens wird es nicht gerecht, die spezifischen Darlegungs- und Beweisführungslasten, die den Antragsteller treffen, lediglich als „gesteigerte Auswirkungen der Akkusationsmaxime“ anzusehen.[9] Die dafür vorgetragenen Argumente[10] sind nicht stichhaltig. Insbesondere steht die in § 244 Abs. 2 StPO normierte Amtsaufklärungspflicht dem hier skizzierten Strukturwandel nicht entgegen. Der Hinweis darauf, dass „die Handhabung aller Verfahrensvorschriften … unter dem beherrschenden Grundsatz des § 244 Abs. 2 StPO“ stehe, versperrt den Blick auf die strukturellen Unterschiede zwischen dem erstinstanzlichen und dem wiederaufgenommenen Verfahren auf der einen Seite sowie dem Aditions- und Probationsverfahren auf der anderen Seite, wie sie sich aus den betreffenden Verfahrensvorschriften ergeben.[11] Sie lassen eine derart deutliche Abkehr von dem das Erkenntnisverfahren prägenden Untersuchungsgrundsatz erkennen, dass es sachwidrig wäre, insoweit gleichermaßen von einem inquisitorisch strukturierten Verfahren zu sprechen. Dem hier angenommenen Strukturwandel steht auch nicht entgegen, dass erhöhte Darlegungsanforderungen anderen speziellen Bereichen des Strafverfahrens, etwa dem Wiedereinsetzungs-, dem Revisions- und dem Klageerzwingungsverfahren, ebenfalls nicht fremd sind. Die Besonderheiten dieser Verfahrensstadien belegen vielmehr, dass verschiedene Konstellationen des Strafverfahrens durchaus mehr oder weniger stark von akkusatorischen Strukturelementen geprägt sind, so dass der für das Wiederaufnahmeverfahren festzustellende Strukturbruch dem Strafprozessrecht keineswegs wesensfremd sein muss.[12] Schließlich spricht auch der Umstand, dass das Gesetz überhaupt eine Wiederaufnahmemöglichkeit vorsieht, nicht gegen die hier vertretene Auffassung. Die akkusatorische Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens bestätigt nur, dass das Wiederaufnahmebegehren lediglich als Ausdruck privaten Rechtsschutzinteresses angesehen wird, solange nicht die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet worden ist.
Anmerkungen
[1]
Vgl. zu entsprechenden Reformforderungen namentlich: Denkschrift des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, S. 74 ff.; Dippel GA 1972, 97, 119 ff.; Deml S. 21 ff.; Rieß NStZ 1994, 153 ff. Ein von der SPD-Fraktion während der 13. Legislaturperiode in den Bundestag eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Wiederaufnahmerechts vom 29.1.1996 (BT-Drucks. 13/3594) sah u.a. eine Ausweitung der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten auf offensichtliche Rechtsfehler und die Einführung des Wesentlichkeitsprinzips bei der Strafmaß-Wiederaufnahme vor (dazu näher unten Rn. 93). Nach der Beratung im Rechtsausschuss (vgl. BT-Drucks. 13/10333) wurde allerdings lediglich der neue Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO (Wiederaufnahme bei festgestellter Verletzung der Menschenrechtskonvention) eingeführt (dazu näher unten Rn. 276 ff.). Die übrigen Änderungsvorschläge wurden seitens der SPD-Fraktion zurückgezogen und nicht im Einzelnen beraten. Zur Diskussion um den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vgl. van Essen Kriminalistik 1996, 762 ff.; Wasserburg ZRP 1997, 412 ff.; Stoffers ZRP 1998, 173 ff.
[2]
Vgl. etwa Schünemann ZStW 84 (1972), 870, 888; Peters FS Dünnebier, S. 53, 71 ff.; Schöneborn MDR 1975, 441; Wasserburg StV 1992, 104; Stern NStZ 1993, 409 ff.; Strate StV 1999, 228 ff.; Bock/Eschelbach/Geipel/Hettinger/Röschke/Wille GA 2013, 328 ff.; KMR-Eschelbach, vor § 359 Rn. 5.
[3]
Z.B. Weihrauch/Bosbach Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rn. 91 ff.; Klemke/Elbs Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, Rn. 337 ff.; Dahs Rn. 285 ff.; Barton § 8 Rn. 17 ff.; Handbuch des Fachanwalts Strafrecht-Bockemühl, 2. Teil 1. Kap., Rn. 59 ff.; Günther Strafverteidigung, S. 82 ff.
[4]
Vgl. etwa M.-G. vor § 359 Rn. 1 f.
[5]
Außerhalb der §§ 359, 362 StPO finden sich gesetzliche Wiederaufnahmegründe in § 79 BVerfGG (dazu unten Rn. 517 ff.) und in § 18 des Zuständigkeitsergänzungsgesetzes vom 7.8.1952 (BGBl. I, 407 ff.). Diese Wiederaufnahmegründe sind praktisch weniger relevant. Das gilt auch für die durch die Gesetze zur Beseitigung oder Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege gewährten, der Wiederaufnahme ähnlichen Möglichkeiten zur Aufhebung rechtskräftiger Urteile. Einzelheiten dazu bei LR-Gössel, vor § 359 Rn. 180 ff. Rechtsstaatswidrige Entscheidungen von Strafgerichten der ehemaligen DDR können nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG – vom 29.10.1992 aufgehoben werden. Näher dazu LR-Gössel, vor § 359 Rn. 186 f.
[6]
§ 371 StPO sieht in Ausnahmefällen, etwa wenn der Verurteilte bereits verstorben ist, eine Entscheidung ohne neue Hauptverhandlung vor.
[7]
Näher dazu Tiemann insbes. S. 68 ff., 92 ff. und 135 ff. Vgl. außerdem Marxen S. 288 ff.
[8]
Näher zu allem Tiemann insbes. S. 79 ff.
[9]
So allerdings LR-Gössel, vor § 359 Rn. 13.
[10]
Vgl. LR-Gössel, vor § 359 Rn. 13.
[11]
Näher dazu Tiemann S. 70 ff.; wie hier auch Hellebrand NStZ 2004, 413, 415.
[12]
Näher dazu Tiemann S. 70 ff.
Teil 1 Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags
Inhaltsverzeichnis
A. Zulässigkeitsvoraussetzungen
B. Zulässigkeitsverfahren
C. Entscheidungsmöglichkeiten des Wiederaufnahmegerichts
D. Rechtsbehelf und weitere Entscheidungen
Teil 1 Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags › A. Zulässigkeitsvoraussetzungen
A. Zulässigkeitsvoraussetzungen
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Die Darstellung unterscheidet zwischen allgemeinen und besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen werden diejenigen vorab erörtert, die sich im Wesentlichen unabhängig von der Zielrichtung des Wiederaufnahmeantrags darstellen lassen.
Teil 1 Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags › A › I. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen
I. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen
1. Allgemeine Prozessvoraussetzungen
a) Antrag
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Das Wiederaufnahmeverfahren wird nicht von Amts wegen betrieben. Stets ist ein Antrag erforderlich.
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Berufsethische Gründe sollten den Richter jedoch veranlassen, durch Unterrichtung des Verurteilten oder der Staatsanwaltschaft auf die Beseitigung einer als falsch erkannten Verurteilung hinzuwirken, sofern eine Wiederaufnahme möglich erscheint.
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Die Antragstellung ist an keine gesetzliche Frist gebunden.[1] Theoretisch existiert überhaupt keine zeitliche Grenze, weil weder die erfolgte Strafvollstreckung noch der Tod des Verurteilten die Wiederaufnahme ausschließen und zu den Antragsberechtigten die Verwandten absteigender Linie gehören (§ 361 StPO). Praktisch ergibt sich eine zeitliche Begrenzung aber daraus, dass es im Laufe der Zeit immer schwieriger wird, geeignete Beweismittel (§ 368 Abs. 1 StPO) beizubringen.
b) Sonstige allgemeine Prozessvoraussetzungen
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Ein Wiederaufnahmeantrag ist grundsätzlich nur zulässig, wenn die allgemeinen Voraussetzungen jedes Strafverfahrens vorliegen. Da das in der Praxis regelmäßig der Fall ist, seien nur beispielhaft genannt:[2] Zulässigkeit des Rechtsweges (§ 13 GVG), Verhandlungsfähigkeit, keine Immunität bei Abgeordneten, keine Begnadigung, keine Amnestie, keine anderweitige Rechtshängigkeit, keine rechtskräftige Entscheidung.[3]
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Besonderes gilt für die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten. Sein Rehabilitationsinteresse kann die Durchführung des Verfahrens gebieten, auch wenn allgemeine Prozessvoraussetzungen fehlen oder Verfahrenshindernisse vorliegen. Das bringt § 361 Abs. 1 StPO zum Ausdruck; danach hindern die erfolgte Strafvollstreckung oder der Tod des Verurteilten die Wiederaufnahme nicht. Die Vorschrift ist analog anwendbar auf Fälle der Verhandlungsunfähigkeit des Verurteilten,[4] der Vollstreckungsverjährung (§ 79 StGB), der Begnadigung und der Amnestie.[5]
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Das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten hat auch Vorrang vor einer etwaigen Verfolgungsverjährung. Wenn das gewichtigste Verfahrenshindernis, der Tod des Verurteilten, einer Wiederaufnahme des Verfahrens nicht entgegensteht, dann muss das Verfahren auch im Falle der Verfolgungsverjährung zulässig sein,[6] selbst wenn die Frist der absoluten Verjährung gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB verstrichen ist. Das Recht auf Rehabilitierung verjährt nicht.[7]
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Dagegen hindert eine eingetretene Verfolgungsverjährung an einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten.[8] Der Fristablauf ist gemäß § 78a StGB zu berechnen: Maßgebend für den Beginn der Verjährung ist der Zeitpunkt der Beendigung der Tat. Die zwischenzeitlich erfolgte freisprechende Entscheidung hat für den Ablauf der Verjährungsfrist keine Bedeutung. Weder beendet sie die Verjährung mit der Folge, dass mit dem Beschluss gemäß § 370 Abs. 2 StPO eine neue Verjährungsfrist beginnt,[9] noch bewirkt sie ein Ruhen der Verjährung gemäß § 78b Abs. 1 StGB, das bis zu einem Beschluss gemäß § 370 Abs. 2 StPO andauert.[10]
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Damit wird dem durch den reinen Zeitablauf bedingten Schwinden des Strafbedürfnisses Rechnung getragen.[11] Zugleich wird die notwendige Gleichbehandlung mit demjenigen Täter erreicht, der von der Verjährung profitiert, weil er gar nicht erst verfolgt wurde oder eine Anklageerhebung unterblieb.[12] Ein Ruhen der Verjährung gemäß § 78b Abs. 1 StGB kann nicht angenommen werden, weil ein gesetzlicher Grund für einen völligen Ausschluss jeder Strafverfolgung nicht gegeben ist. Vielmehr können zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags gemäß § 362 StPO durchaus einige derjenigen Strafverfolgungsmaßnahmen getroffen werden, die nach § 78c StGB die Verjährung unterbrechen.[13]
2. Statthaftigkeit
a) Rechtskräftige Urteile
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Nach den §§ 359, 362 StPO können „rechtskräftige Urteile“ mit einem Wiederaufnahmeantrag angefochten werden.[14]
aa) Vollrechtskräftige Sachurteile
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Danach können zunächst solche in Rechtskraft erwachsenen Urteile Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein, die in der Sache selbst entscheiden, und zwar über den gesamten Verfahrensgegenstand.
bb) Prozessurteile, insbesondere Einstellungsurteile
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Prozessurteile sind grundsätzlich nicht im Wege der Wiederaufnahme anfechtbar. Das betrifft vor allem Einstellungsurteile,[15] welche die Unzulässigkeit des Verfahrens mangels einer Prozessvoraussetzung oder wegen eines Prozesshindernisses aussprechen. Solche Urteile enthalten in der Regel keine Sachentscheidung und sind dementsprechend nur der formellen, nicht aber der materiellen Rechtskraft fähig. Die formelle Rechtskraft einer Entscheidung hat jedoch nur zur Folge, dass die Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie erlassen worden ist, nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angreifbar ist. Eine spätere Fortführung des Verfahrens wird dadurch nicht ausgeschlossen. Für das Wiederaufnahmerecht besteht an sich kein Anwendungsbedarf.[16]
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Ein solcher kann sich allerdings ergeben, wenn der Rechtsfrieden und die Schutzinteressen des Angeklagten es erforderlich machen, dem Einstellungsurteil eine der materiellen Rechtskraft vergleichbare Bestandskraft zu verleihen. Das ist der Fall bei denjenigen Einstellungsurteilen, die das Vorliegen eines endgültigen Verfahrenshindernisses aussprechen (z.B. fehlender Strafantrag, Verjährung). Sie wirken für den Angeklagten wie freisprechende Urteile und sollten daher gleichermaßen nur im Wege der Wiederaufnahme beseitigt werden können.[17] Beruht das Einstellungsurteil dagegen auf einem behebbaren Verfahrenshindernis (z.B. Verhandlungsunfähigkeit), so kann das Verfahren nach dessen Wegfall ohne weiteres fortgeführt werden.