Kitabı oku: «Die Wiederaufnahme in Strafsachen», sayfa 4

Yazı tipi:
II. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen

1. Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Verurteilten

65

Die wesentlichen Antragselemente ergeben sich nur zum Teil aus dem Gesetz, das verlangt, dass der Antrag in vorgeschriebener Form (§ 366 Abs. 2 StPO) den Grund der Wiederaufnahme sowie die Beweismittel angibt (§ 366 Abs. 1 StPO). Aus der Natur eines Antrags folgt, dass darüber hinaus der Gegenstand, das angegriffene Urteil also, sowie das Antragsziel mitgeteilt werden müssen.[87] Ferner wird für einen Antrag gefordert, dass das Vorbringen in sich geschlossen und für sich genommen verständlich ist; Verweisungen und Bezugnahmen sind daher grundsätzlich nicht zulässig.[88]

66

Diese Anforderungen sollten allerdings nicht überspannt werden. Bei der Überprüfung des Antrags hat das Gericht die besondere Fürsorgepflicht zu beachten, die ihm aus der Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens erwächst.[89] Zudem wäre eine restriktive Praxis unzweckmäßig. Ein Verwerfungsbeschluss, der auf leicht behebbare formale Mängel abstellt, erledigt die Sache nicht. Der Antrag kann erneut gestellt werden, denn mangels Sachentscheidung tritt kein Verbrauch des Antragsvorbringens ein.[90]

67

Aus Fürsorgegründen geboten und auch zweckmäßig ist daher zunächst eine Auslegung des Antrags, die dem erkennbaren Willen des Antragstellers Rechnung trägt. So bleibt z.B. eine fehlerhafte oder unvollständige Kennzeichnung des angegriffenen Urteils folgenlos, wenn sich dieses Urteil unschwer ermitteln lässt.[91] Auch ist bei erkennbar irrtümlicher Benennung eines gesetzlichen Wiederaufnahmegrundes auf den tatsächlich gemeinten abzustellen.

68

Ist im Wege der Auslegung eine Klärung nicht erreichbar, so sind aus den angeführten Gründen in Bezug auf leicht zu beseitigende Mängel gerichtliche Hinweise geboten.[92]

a) Zulässige Antragsziele

69

Ausdrücklich benannt sind Wiederaufnahmeziele in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem besonderen Wiederaufnahmegrund neuer Tatsachen oder Beweismittel in § 359 Nr. 5 StPO: Freisprechung, geringere Bestrafung in Anwendung eines milderen Strafgesetzes und wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Ein eindeutiger sprachlicher Bezug zu den Wiederaufnahmegründen in § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 StPO besteht zwar nicht. Gleichwohl ist der Katalog zulässiger Antragsziele in § 359 Nr. 5 StPO insoweit als allgemeingültig anzusehen, dass die Freisprechung, eine geringere Bestrafung in Anwendung eines milderen Strafgesetzes und eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung unabhängig vom Wiederaufnahmegrund mit jedem Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Verurteilten erstrebt werden können.[93] In diesem Sinne handelt es sich um allgemein zulässige Antragsziele (dazu nachfolgend aa).

70

Im Hinblick auf die Wiederaufnahmegründe des § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 StPO ist der in § 359 Nr. 5 StPO normierte Katalog zulässiger Antragsziele indes nicht abschließend. In Fällen des § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 StPO kann vielmehr darüber hinaus auch eine bloße Schuldspruchänderung zulässiges Antragsziel sein (dazu unten bb).

aa) Allgemein zulässige Antragsziele

(1) Freisprechung und vergleichbare Entscheidungen

71

Das in der weitaus größten Zahl der Fälle angestrebte Ziel der Freisprechung ist erreichbar durch das Geltendmachen derjenigen Straflosigkeitsgründe, die zu einer formell freisprechenden Entscheidung führen, wenn ihre Voraussetzungen in einer erneuten Hauptverhandlung festgestellt werden. Gegenstand eines entsprechenden Antrags können also z.B. auch Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- sowie Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe sein.

72

Wird Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB geltend gemacht, so kommt im wiederaufgenommenen Verfahren die Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht. Gelegentlich wird die Anordnung der Maßregel sogar beantragt. Ein Zulässigkeitsproblem im Hinblick auf das Antragsziel ergibt sich daraus jedoch nicht. Die Freisprechung ist erreichbar, auch wenn letztlich nur die Sanktion ausgewechselt wird. Formell ergeht eine Entscheidung, in der ein Freispruch der Maßregelanordnung vorausgeht.[94]

73

Der praktische Hauptfall besteht im Bestreiten der Täterschaft durch Darlegung eines von den Urteilsfeststellungen abweichenden Geschehensablaufs.

74

Begründet dieser allerdings eine andere Strafbarkeit, kommt, sofern Tatidentität im prozessualen Sinne gegeben ist, nur das Ziel der Milderbestrafung[95] in Betracht. Der angestrebte Freispruch bleibt also erreichbar, wenn dem Bestreiten der abgeurteilten Tat ein Geständnis beigefügt wird, das eine andere prozessuale Tat betrifft.[96]

75

Von praktischer Bedeutung ist vor allem der Fall, dass der Antragsteller angibt, mit einem früheren falschen Geständnis eine andere Person gedeckt zu haben. Darin kann das Eingeständnis liegen, sich durch das Aussageverhalten strafbar gemacht zu haben (§§ 145d, 164, 258 StGB). Mit dem Aussageverhalten ist aber eine andere Tat im prozessualen Sinne gegeben.[97] Das hat zur Konsequenz, dass sich in dieser Konstellation ein erfolgreicher Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Verurteilten letztlich zu seinen Ungunsten auswirken kann. Nach dem Freispruch kann das Aussageverhalten, sofern es nicht verjährt ist, Anlass für eine erneute, eventuell sogar höhere Verurteilung geben. Dieses Risiko ist bei der Antragstellung zu bedenken.

76

Ein Freispruch ist auch durch einen Angriff erreichbar, der sich lediglich gegen Teile des Urteils richtet. So wird eine auf einer Wahlfeststellung beruhende Verurteilung insgesamt hinfällig, wenn die Verwirklichung nur eines Delikts erfolgreich bestritten wird.[98] Das oder die nicht angegriffenen Delikte vermögen, weil sie nur wahlweise festgestellt worden waren, das Urteil nicht mehr zu tragen.

77

Ferner ist ein zulässiges Wiederaufnahmeziel der Teilfreispruch, der dann ergeht, wenn die Verurteilung mehrere in Tatmehrheit (§ 53 StGB) begangene Straftaten betraf und das wiederaufgenommene Verfahren die Unschuld des Verurteilten hinsichtlich eines Teils dieser Straftaten ergibt.[99] Fraglich ist, ob der Wegfall auch solcher Straftaten beachtlich ist, die im Hinblick auf die Verurteilung völlig unwesentlich sind. Die Aufrechterhaltung der Rechtskraft bedroht in einem solchen Fall den Rechtsfrieden nicht. Im Übrigen: minima non curat praetor. Ein entsprechender Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

78

Zulässigkeitsfragen bei Angriffen gegen Teile einer Verurteilung wegen fortgesetzter Handlung werden auf Grund der „de-facto-Abschaffung“ dieser Rechtsfigur durch die neuere Rechtsprechung[100] zunehmend an Bedeutung verlieren. Ganz überwiegend werden insoweit sehr enge Voraussetzungen formuliert. Der Antrag müsse sich auf alle Einzelakte bis auf einen beziehen.[101] Nur dann sei ein formeller Teilfreispruch erreichbar. Ansonsten werde unzulässig die Strafzumessung angegriffen, weil kein anderes Strafgesetz zur Anwendung komme (§ 363 Abs. 1 StPO). – Diese Auffassung ist abzulehnen. Dem Fall des formell erzielbaren Teilfreispruchs bei Tatmehrheit ist gleichzustellen der Fall der Reduzierung einer Verurteilung um wesentliche Teile einer fortgesetzten Handlung.[102] Die Analogie ist zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung geboten. Es kann nicht sein, dass die Privilegierung der Fortsetzungstat beim Schuldspruch und bei der Strafzumessung für den Verurteilten in einen prozessualen Nachteil umschlägt. Die Kategorie des Fortsetzungszusammenhangs wurde im Wesentlichen aus arbeitsökonomischen Gründen geschaffen,[103] ein sachlicher Bezug zur prozessualen Rechtsstellung des Verurteilten besteht nicht.[104] Für die Gleichbehandlung mit dem Fall der Verurteilung wegen tatmehrheitlich begangener Straftaten spricht auch, dass die Kriterien für die Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs unklar und zum Teil umstritten sind.[105] In der Praxis wird in gleichen Fällen nicht selten ungleich entschieden. Schließlich wäre es widersprüchlich, auf dem Gesetzeswortlaut zu beharren und einen formellen Freispruch als Antragsziel zu verlangen. Denn für andere Fälle werden Ausnahmen zugelassen, so, wie im Folgenden zu zeigen ist, für den Fall eines auf eine Einstellung abzielenden Antrags. – Die Beschränkung auf Teile einer fortgesetzten Handlung von wesentlicher Bedeutung folgt aus dem Grundprinzip des Wiederaufnahmerechts, dass nur den Rechtsfrieden wirklich gefährdende Unrichtigkeiten zu beseitigen sind.[106]

79

Wenngleich die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung weitgehend obsolet sein mag, so bleibt die mit ihr verbundene wiederaufnahmerechtliche Problematik in anderem Zusammenhang nach wie vor aktuell. Denn auf Wiederholung angelegte Straftaten, die früher als fortgesetzte Handlung erfasst wurden, werden nunmehr bloß unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten – allerdings aus den gleichen arbeitsökonomischen Gründen – als einheitliche Tat gewertet, insbesondere durch weitreichende Bildung von tatbestandlichen Bewertungseinheiten sowie durch Ausdehnung des Anwendungsbereichs der natürlichen Handlungseinheit.[107] Dementsprechend gilt für die Wiederaufnahme in solchen Fällen Gleiches wie bei Angriffen gegen Teile einer Verurteilung wegen fortgesetzter Handlung: Der Wegfall wesentlicher Teile der abgeurteilten Tat ist ein zulässiges Antragsziel.

80

Die Zulässigkeit der Einstellung als Antragsziel ergibt sich daraus, dass mehr als das zulässige Ziel der Milderbestrafung angestrebt wird und die Einstellung in ihrer Wirkung der Freisprechung gleichkommen kann.[108] Eine Vergleichbarkeit ist jedoch nur bei solchen Einstellungsgründen gegeben, die ihrer Art nach das Verfahren dauerhaft beenden.[109]

81

Wenig zur Abgrenzung trägt das z.T. zusätzlich geforderte Kriterium eines Bezuges zur Tat oder zum Schuldspruch bei.[110] Die Unterscheidung zwischen tatbezogenen Verfahrensvoraussetzungen und solchen ohne Tatbezug ist mindestens so problematisch wie die zwischen Strafbarkeitsvoraussetzungen und Verfahrensvoraussetzungen.[111] Auch bleibt die Handhabung des Kriteriums unklar;[112] so wird für Verfahrenshindernisse wie Verjährung oder Amnestie ein Tatbezug angenommen, obwohl sie der Tat erst nachfolgen.[113] Schließlich können „reine“ Verfahrenshindernisse nicht unbeachtlich sein, wenn sie auf so schweren und irreversiblen Verfahrensfehlern beruhen, dass in einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren eine dauerhafte Einstellung geboten wäre. Nullum crimen sine processu – eine Straftat anzunehmen, verbietet sich, wenn sie unter Verletzung elementarer Prozessprinzipien festgestellt worden ist.[114]

82

Geltend gemacht werden können somit Einstellungsgründe wie fehlender und nicht mehr nachholbarer Strafantrag,[115] Verjährung,[116] Strafunmündigkeit,[117] Eingreifen eines Amnestiegesetzes.[118] Auch können solche Einstellungsgründe vorgetragen werden, mit denen auf eine irreversible Verletzung fundamentaler Prozess- und Verfassungsnormen abgestellt wird,[119] wie etwa der Verstoß gegen § 136a StPO,[120] intensive Formen des Lockspitzeleinsatzes[121] oder eine extrem überlange Verfahrensdauer.[122] Zahl und Umfang dieser Gründe liegen derzeit nicht fest. Die Rechtsprechung ist schwankend. Die Entwicklung befindet sich im Fluss.[123]

83

Schließlich kann auch der Gesichtspunkt der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) mit dem Ziel vorgetragen werden, eine Einstellung des Verfahrens wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft zu erreichen.[124]

84

Überflüssig ist das Wiederaufnahmeverfahren in den Fällen der Doppelbestrafung keineswegs. Urteile dieser Art sind kaum einmal nichtig.[125] Die dafür nötige Evidenz der Fehlerhaftigkeit müsste sich aus ihnen selbst ergeben. Dass doppelt bestraft worden ist, zeigt aber erst der Vergleich mit einem zweiten Urteil. Im Übrigen können komplizierte Fälle einer nur teilweisen Überschneidung auftreten, wie sich erst bei genauer Analyse zeigt.[126] Die verschiedentlich – alternativ – vorgeschlagene Vollstreckungslösung (Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung nach § 458 StPO)[127] greift zu kurz.[128] Sie beseitigt nicht den verfassungswidrigen Zustand, dass zwei rechtskräftige Urteile in derselben Sache in der Welt sind.[129]

85

Unzulässig ist dagegen z.B. ein Wiederaufnahmeantrag, der auf die Verhandlungsunfähigkeit des Verurteilten oder die Prozessunfähigkeit des Privatklägers im vorausgegangenen Verfahren abstellt.[130] Zu den ungeeigneten Einstellungsgründen wird man auch diejenigen gemäß §§ 153, 153a StPO zählen müssen,[131] weil darauf gestützte Entscheidungen wegen der allenfalls eingeschränkten Rechtskraft keine endgültige Verfahrenserledigung bewirken können.

86

Der auf Einstellungen angewendete Grundsatz nötigt zu Ausweitungen. Zwischen den gesetzlich ausdrücklich anerkannten Antragszielen der Freisprechung und der Milderbestrafung liegt das Geltendmachen bestimmter Strafbefreiungsgründe „auf der Grenze zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit“.[132] Die Zahl solcher Gründe nimmt zu. Ihr systematischer Standort ist ungeklärt. Beispiele: Absehen von Strafe, z.B. gemäß §§ 23 Abs. 3, 60, 218a Abs. 4 StGB, Straffreierklärung gemäß § 199 StGB, Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59 StGB.[133] Ein entsprechender Wiederaufnahmeantrag erstrebt mehr als eine Milderbestrafung. In ihrer praktischen Wirkung stehen Entscheidungen, die auf derartige Strafbefreiungsgründe abstellen, einem Freispruch gleich: Die Verhängung strafrechtlicher Rechtsfolgen unterbleibt. Doch ergeht in diesen Fällen kein formeller Freispruch. Auch kann das Gericht nicht allein über eine Verfahrenseinstellung entscheiden (§ 153b Abs. 2 StPO). Die korrekte Entscheidungsform in der Hauptverhandlung ist das Urteil, das einen Schuldspruch mit der Erklärung verbindet, dass von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird.[134] Es kann einem Verurteilten nicht verwehrt sein, eine solche Entscheidung als Wiederaufnahmeziel anzustreben.[135] Das muss schon deswegen gelten, weil das Gesetz in einigen Fällen neben der Strafbefreiung auch die bloße Strafmilderung vorsieht (z.B. §§ 23 Abs. 3, 83a Abs. 1 StGB). Da letztere zweifelsfrei im Wege der Wiederaufnahme angestrebt werden kann, muss erst recht die auf gleichen Voraussetzungen beruhende Strafbefreiung ein zulässiges Wiederaufnahmeziel sein.

(2) Strafmilderung

87

Die Wiederaufnahme mit dem Ziel der Strafmilderung[136] ist gemäß §§ 359 Nr. 5, 363 Abs. 1 StPO nur mit der Einschränkung zulässig, dass der Antragsteller die Anwendung eines anderen Strafgesetzes erstrebt. Das ist der Fall, wenn der Wiederaufnahmeantrag sich auf das Vorliegen von strafmildernden Umständen oder auf das Fehlen strafschärfender Umstände stützt, die Gegenstand einer tatbestandlichen gesetzlichen Regelung sind, also einer Privilegierung oder Qualifikation. Darüber hinaus wird die Wiederaufnahme auch im Bereich von nicht tatbestandlich vertypten Strafänderungsgründen zugelassen.[137] Die Zulässigkeit der Wiederaufnahme soll unabhängig sein von der oft zufälligen Entscheidung des Gesetzgebers, einen Strafänderungsgrund tatbestandlich zu vertypen oder nur als Strafzumessungsgesichtspunkt auszugestalten. Überwiegend wird die Zulässigkeit der Wiederaufnahme im Strafzumessungsbereich allerdings beschränkt auf benannte Strafänderungsgründe, wie z.B. § 213 Alt. 1 StGB. Im Bereich von unbenannten Strafänderungsgründen, z.B. bei § 213 Alt. 2 StGB, soll die Wiederaufnahme dagegen unzulässig sein.[138] Regelbeispiele für besonders schwere Fälle werden den benannten Strafänderungsgründen zum Teil gleichgestellt, so dass ein Wiederaufnahmeantrag, der die Annahme eines Regelbeispiels angreift, zulässig sein soll, nicht aber ein Wiederaufnahmeantrag, der sich gegen die Annahme eines atypischen besonders schweren Falles richtet.[139] Zum Teil wird die Wiederaufnahme bei Regelbeispielen insgesamt für unzulässig gehalten.[140]

88

Die Strafmaß-Wiederaufnahme muss auf neue Grundlagen gestellt werden. Die gebräuchlichen Grenzkriterien sind untauglich.[141] Das ist mit der Einführung der Regelbeispiele endgültig klar geworden. Diese sprengen das ohnehin nicht überzeugende Schema einer Unterteilung nach benannten und unbenannten Strafänderungsgründen und entziehen allseits als zulässig anerkannten Strafänderungsgesichtspunkten die Grundlage. So wird der Ausschluss der Wiederaufnahme bei Regelbeispielen mit deren Offenheit begründet.[142] Gleichermaßen offen sind aber auch die bloß fakultativen Strafänderungsgründe des Allgemeinen Teils des StGB, wie z.B. Versuch und vermeidbarer Verbotsirrtum. Gleichwohl soll bei ihnen die Wiederaufnahme zulässig sein.[143] Auch eine Differenzierung innerhalb der Regelbeispiele ist nicht begründbar. Die Beschränkung der Wiederaufnahme auf Fälle, in denen die Annahme eines Regelbeispiels angegriffen wird, soll dadurch gerechtfertigt sein, dass die betreffenden Strafschärfungsgründe immerhin im Gesetz näher bezeichnet sind, wenn auch nur als Regelbeispiele.[144] Da aber auch beim Wegfall des Regelbeispiels immer noch ein atypischer besonders schwerer Fall angenommen werden könnte, wird der die Einschränkung angeblich tragende Gesichtspunkt, dass die Strafzumessungsentscheidung Ermessenscharakter hat, nicht konsequent angewendet. Somit kann es auch keinen Unterschied ausmachen, ob die Wiederaufnahme sich gegen die Annahme eines Regelbeispiels oder eines atypischen Falles richtet. Konsequent ist daher eine Zulassung der Wiederaufnahme auch bei Annahme eines atypischen besonders schweren Falles.[145] Dann lässt sich allerdings der Ausschluss der Wiederaufnahme bei unbenannten Strafänderungsgründen nicht mehr überzeugend begründen.[146]

89

Mit der Aufhebung der Trennlinie zwischen benannten und unbenannten Strafänderungsgründen ist es nicht getan. Für die verbleibende Grenze zwischen Strafänderungsgründen mit einer Strafrahmenverschiebung und solchen ohne Strafrahmenverschiebung sind gleichfalls überzeugende Gründe nicht ersichtlich.[147] Die prozessuale Rechtsposition hängt allein davon ab, ob der Gesetzgeber Vorschriften für besonders schwere oder minder schwere Fälle geschaffen hat oder ob er die Differenzierung nach Schweregraden der Strafzumessung im engeren Sinne überlassen hat. Aus der Sicht des Prozessrechts führt diese Abhängigkeit zu Zufallsergebnissen. Im Übrigen ist es mit neueren Entwicklungen im Strafzumessungsrecht nicht vereinbar, wenn die Strafzumessungsentscheidung im engeren Sinne wegen ihres Ermessenscharakters einer Überprüfung im Wiederaufnahmeverfahren entzogen bleibt. Der richterliche Entscheidungsspielraum ist durch die Schaffung von Strafzumessungsvorschriften (insbesondere § 46 StGB) und durch die Intensivierung der revisionsrichterlichen Kontrolle drastisch reduziert worden.[148]

90

Einer Zulassung der Wiederaufnahme auch in den Fällen, in denen eine mildere Strafzumessung innerhalb desselben Strafrahmens erstrebt wird, steht allerdings der Wortlaut von § 363 Abs. 1 StPO entgegen. Es stellt sich deshalb die Frage, wie diese Vorschrift heute noch sachgerecht gehandhabt werden kann. Keinesfalls akzeptabel ist die Rückkehr zu alten Positionen. Die Beschränkung der Strafmaß-Wiederaufnahme auf tatbestandlich vertypte Strafänderungsgründe[149] würde ebenfalls zu willkürlichen Resultaten führen; denn die gesetzgeberischen Gründe für eine tatbestandliche Typisierung haben keinen Bezug zu prozessualen Anfechtungsmöglichkeiten. Auch würden sich einschneidende Beschränkungen der Strafmaß-Wiederaufnahme ergeben, die kaum im Sinne des Gesetzgebers sind. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber durch die Umwandlung des früheren Qualifikationstatbestandes des § 243 StGB in eine Strafzumessungsvorschrift die Wiederaufnahmemöglichkeiten hat einschränken wollen. Da auch die sonst gebräuchlichen Grenzlinien, die aus § 363 Abs. 1 StPO hergeleitet werden können, zu sachlich nicht haltbaren Ergebnissen führen, kann die Bestimmung des § 363 Abs. 1 StPO als solche unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr aufrechterhalten werden.[150] Ein Gesetz, das – wie auch immer es angewendet wird – nur zur Folge haben kann, dass wesentlich gleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

91

Verfassungskonform handhaben lässt sich § 363 Abs. 1 StPO nur im Wege der Rechtsfortbildung. Sie ermöglicht es, dem der Vorschrift zugrunde liegenden gesetzgeberischen Motiv, dass die Wiederaufnahme im Bereich der Strafzumessung nicht uneingeschränkt zulässig sein soll, ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz Geltung zu verschaffen.[151] Ein geeignetes Einschränkungskriterium lässt sich aus dem Systemzusammenhang des Wiederaufnahmerechts erschließen. Die Wiederaufnahme setzt ihrem Grundgedanken nach eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens voraus. Die Rechtskraft soll nur in Fällen krasser Ungerechtigkeit zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit zurücktreten. Als taugliches Abgrenzungskriterium für die Strafmaß-Wiederaufnahme kommt daher das Wesentlichkeitsprinzip in Betracht.[152] Ein Strafmilderungsgrund wird somit dann zulässig geltend gemacht, wenn im Einzelfall mit einer wesentlich milderen Strafzumessungsentscheidung zu rechnen ist. – Das Wesentlichkeitsprinzip ist im Wiederaufnahmerecht auch bereits an anderer Stelle positivrechtlich normiert. Es ist gemäß § 359 Nr. 5 StPO ein Kriterium für die Wiederaufnahme zum Zweck einer anderen Maßregelentscheidung.

92

Mit einer wesentlich milderen Strafzumessungsentscheidung ist nicht bereits dann zu rechnen, wenn nach dem Wiederaufnahmevorbringen irgendein Strafmilderungsgesichtspunkt im Sinne des § 46 StGB in Betracht kommt, der ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils bislang nicht berücksichtigt wurde. In den Urteilsgründen sind nämlich gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nur diejenigen Umstände anzuführen, die für die Zumessung der Strafe „bestimmend“ waren, insoweit mithin maßgebliche Bedeutung hatten, weil ihnen einiges Gewicht zuerkannt wurde.[153] Dementsprechend kommt eine wesentlich mildere Strafzumessungsentscheidung nur dann in Betracht, wenn das Wiederaufnahmevorbringen entweder bislang nicht berücksichtigte Strafmilderungsgründe von solchem Gewicht aufzeigt, dass sie als das Strafmaß bestimmend anzusehen sind, oder im Urteil angeführten bestimmenden Strafschärfungsgründen die Grundlage entzieht. Ob die durch das Wiederaufnahmevorbringen aufgezeigten bestimmenden Strafzumessungsgründe eine so gravierende Strafmilderung erwarten lassen, dass die Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit unerträglich wäre, ist unter Berücksichtigung der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen und deren Gewicht zu beurteilen. Orientierungshilfen bieten insoweit die Bestimmungen der §§ 154, 154a StPO sowie die Dogmatik zur Revisibilität der tatrichterlichen Strafzumessung, wonach die Strafe jedenfalls dann rechtsfehlerhaft bemessen ist, wenn sie sich von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist.[154] Dementsprechend ist die zu erwartende Strafmilderung zum einen jedenfalls dann nicht als wesentlich anzusehen, wenn sie im Hinblick auf die verhängte Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fiele. Zum anderen ist sie aber jedenfalls dann als wesentlich zu betrachten, wenn die verhängte Strafe unter Berücksichtigung der durch das Wiederaufnahmevorbringen aufgezeigten bestimmenden Strafzumessungsgründe in einem offenkundigen Missverhältnis zur Schuld des Antragstellers stünde. Das ist der Fall, wenn sie nicht mehr innerhalb des Spielraums der schon bzw. noch schuldangemessenen Strafe läge.[155]

93

Eine am Wesentlichkeitsprinzip orientierte Neuregelung der Strafmaß-Wiederaufnahme sah der von der SPD-Fraktion während der 13. Legislaturperiode in den Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf vom 29. Januar 1996[156] vor. Danach sollte als zulässiges Ziel der Wiederaufnahme „eine wesentlich mildere Bestrafung“ eingeführt werden, was insbesondere damit begründet wurde, dass die bestehende Gesetzeslage im Bereich der Strafmaß-Wiederaufnahme zu willkürlichen Ergebnissen führe; außerdem sollte durch die Einführung des Wesentlichkeitsprinzips bei der Strafmaß-Wiederaufnahme eine Angleichung an die Maßregel-Wiederaufnahme erreicht werden.[157] Der Gesetzentwurf, der eine umfassende Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens vorsah, in deren Rahmen die Neuregelung der Strafmaß-Wiederaufnahme eher untergeordnete Bedeutung hatte, ist nach Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestages zunächst nur insoweit umgesetzt worden, als allein der weitere Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO eingeführt wurde.[158] Die weitergehende Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens wurde auf die nächste Legislaturperiode vertagt.[159] Neue Gesetzesinitiativen sind seitdem indes noch nicht wieder ergriffen worden.

94

Im Hinblick auf die vorstehend skizzierten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 363 Abs. 1 StPO ist eine Neuregelung der gesetzlichen Vorschriften über die Strafmaß-Wiederaufnahme nach wie vor geboten. Da eine entsprechende erneute Initiative des Gesetzgebers freilich in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, kann es sich im Einzelfall aus Verteidigersicht unter Umständen empfehlen, auf eine verfassungsrechtliche Überprüfung des § 363 Abs. 1 StPO hinzuwirken. Das kann insbesondere dadurch geschehen, dass dem Wiederaufnahmegericht die Notwendigkeit einer konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG aufgezeigt wird. Eine derartige Anregung sollte allerdings nur dann erwogen werden, wenn in dem betreffenden Fall bei einer Wiederaufnahme zweifelsfrei mit einer wesentlich milderen Strafzumessungsentscheidung zu rechnen ist.

95

In Fällen der Tateinheit soll die Wiederaufnahme gemäß § 363 Abs. 1 StPO zulässig sein, wenn die Verurteilung nach dem schwereren Gesetz, dem die Strafe nach § 52 Abs. 2 StGB entnommen worden ist, angegriffen wird. Auch in Fällen gleich schwerer Gesetze wird die Wiederaufnahme zugelassen. Dagegen soll sie ausgeschlossen sein, wenn sie sich lediglich gegen die Verurteilung nach einem minder schweren Gesetz richtet, dem die Strafe nicht nach § 52 Abs. 2 StGB entnommen worden ist, weil in jedem Fall erneut eine Verurteilung nach dem schwereren Gesetz erfolgen würde.[160]

96

Auch hier zeigt sich, dass § 363 Abs. 1 StPO nicht zu sachlich gerechtfertigten Differenzierungen führt. Im Einzelfall kann sich das minder schwere Gesetz im Rahmen der auf der Grundlage des schwereren Strafgesetzes vorgenommenen Strafzumessung durchaus erheblich zulasten des Verurteilten ausgewirkt haben. Sachgerecht ist daher eine Zulassung der Wiederaufnahme, wenn bei Fortfall der Verurteilung nach dem minder schweren Gesetz mit einer wesentlich milderen Bestrafung des Verurteilten zu rechnen ist.[161]

97

Wiederaufnahmeanträge, die sich gegen eine im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurückgetretene Strafvorschrift richten, werden im Ergebnis zu Recht überwiegend als unzulässig angesehen.[162] Anders als bei Tateinheit kann sich das schon bei der Schuldfeststellung unberücksichtigt gebliebene Gesetz nicht wesentlich auf die Straffestsetzung ausgewirkt haben.

98

Nach § 363 Abs. 2 StPO ist ein Wiederaufnahmeantrag, der auf verminderte Schuldfähigkeit, § 21 StGB, gestützt wird, stets unzulässig.

99

Auch diese Ausschlussvorschrift ist, wenn die Strafmaß-Wiederaufnahme überhaupt zugelassen wird, nicht mehr verständlich[163] und mit Art. 3 Abs. 1 GG kaum vereinbar.[164] Die Befürchtung, dass die Wiederaufnahmegerichte bei einem Wegfall der Vorschrift mit einer Flut unbegründeter Wiederaufnahmeanträge überzogen würden, weil die Behauptung der Voraussetzungen des § 21 StGB unschwer möglich sei,[165] ist unbegründet. Es wird übersehen, dass ein Wiederaufnahmeantrag nur zulässig ist, wenn der neue Sachvortrag im Einzelfall geeignet ist, eine dem Antragsteller günstige Rechtsfolge herbeizuführen, §§ 359 Nr. 5, 368 Abs. 1 StPO.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
550 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783811454651
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu