Kitabı oku: «Ur-Praxis», sayfa 2
Was ist organische Gemeinde?
Wie schon an anderer Stelle ausgeführt, verwende ich diesen Begriff schon seit über fünfzehn Jahren. Inzwischen ist er zu einer Knetmasse verkommen. Jeder meint, er könne ihn nach Belieben formen und gestalten, und er wird ganz unterschiedlich gedeutet.
Unter organischer Gemeinde verstehe ich eine Gemeinschaft, die aus geistlichem Leben gezeugt wurde und weder das Produkt menschlicher Institutionen ist, noch durch religiöse Programme zusammengehalten wird. Organisches Gemeindeleben ist für jeden Christen erfahrbar und zeichnet sich durch persönliche, beziehungsorientierte Gemeinschaft, aktive Mitarbeit aller Mitglieder, offene Beteiligung aller an den Zusammenkünften (im Gegensatz zu pastoralen „von vorne“ geleiteten Gottesdiensten) sowie eine nicht-hierarchische Leiterschaft aus. Dabei nimmt Christus die zentrale und unangefochtene Stellung ein und bestimmt als Leiter und Haupt das Geschehen in der Versammlung.
Im Gegensatz dazu gilt: Immer wenn wir von Sünde gezeichnete Sterbliche versuchen, eine Gemeinde wie ein Geschäft aufzuziehen, verleugnen wir die organische Natur des Gemeindelebens. Organische Gemeinde entsteht ganz natürlich dort, wo eine Gruppe von Menschen Jesus Christus wirklich begegnet ist (äußerliche, kirchliche Requisiten sind dazu nicht nötig) und die DNA der Gemeinde ungehindert wirken kann. Der Kontrast ist vergleichbar dem Unterschied zwischen einem Luftzug, der durch einen Ventilator erzeugt wird und einem Wind auf freiem Feld.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass organische Gemeinde kein Theaterstück ist, das nach einem vorgegebenen Drehbuch abläuft. Vielmehr ist sie ein Lebensstil – eine authentische Reise mit dem Herrn Jesus und seinen Jüngern.
Den Unterschied zwischen einer organischen und einer nicht-organischen Gemeinde kann man vergleichen mit dem Unterschied zwischen einem Industriekonzern und Gottes Schöpfung. Das eine wurde von Menschen gegründet, das andere von Gott geschaffen; das eine ist künstlich, das andere lebendig und organisch.
Deshalb sind Gemeindegründer wie Landwirte und Hebammen.
1 Charles Brock, The Principles and Practice of Indigenous Church Planting. Nashville, TN: Broadman, 1981, 12-13.
2 Der griechische Begriff bedeutet wörtlich „bebautes Feld“. Das Neue Testament verwendet zur Bezeichnung Christi und dessen Volk interessanterweise stets Weizen (Joh 12,24; 4,35; Mk 4,29; Lk 10,2).
3 T. Austin-Sparks, Words of Wisdom and Revelation. St. Charles, MO: Three Brothers, 1971, 62.
TEIL 1: DIE SAAT AUSBRINGEN – BIBLISCHE PRINZIPIEN DER GEMEINDEGRÜNDUNG
Kapitel 1: Gemeindebildung nach Gottes Vorbild
Wenn wir den Willen Gottes für seine Gemeinde kennenlernen wollen, müssen wir bis zur „Schöpfungsgeschichte“ der Gemeinde zurückkehren, um festzustellen, was er damals sagte und tat. Hier finden wir den klarsten Ausdruck seines Willens. Die Apostelgeschichte ist die „Genesis“ der Kirchengeschichte, und die Kirche zur Zeit des Apostels Paulus ist die „Genesis“ des Wirkens des Heiligen Geistes. Die Verhältnisse in den heutigen Kirchen sind weit entfernt von den damaligen. Aber die heutigen Verhältnisse können uns niemals Beispiel und zuverlässige Führung sein. Wir müssen zum „Ursprung“ zurückkehren. Als Vorbild darf uns nur dienen, was Gott am Anfang als seinen Willen kundgetan hat.1
Watchman Nee
In den letzten fünfzig Jahren sind fast einhundert Bücher zum Thema „Gemeindegründung“ erschienen. Manche dieser Bücher haben aus diesem Thema eine regelrechte Wissenschaft gemacht. Erstaunlicherweise gehen aber nur wenige dieser Werke darauf ein, wie die ersten Gemeinden gegründet wurden.
Ich halte es für einen schwerwiegenden Fehler, die Berichte in der Apostelgeschichte über die Geburt der christlichen Gemeinden im ersten Jahrhundert außer Acht zu lassen. Watchman Nee schreibt:
Lasst uns nie auf den Gedanken kommen, die ersten Kapitel der Apostelgeschichte seien heute nicht mehr anwendbar. Wie das erste Buch Mose, so offenbart uns auch die Apostelgeschichte den Anfang der Wege Gottes. Sein Vorgehen damals setzt ein für alle Zeit gültiges Muster für sein Wirken.2
Im Neuen Testament finden wir vier Wege, wie im ersten Jahrhundert Gemeinden gegründet wurden. Diese waren weder kulturell bedingte Modeerscheinungen noch raffinierte Einfälle besonders intelligenter Menschen. Ich bin davon überzeugt, dass sie auf Gott selbst zurückgehen.
Das Jerusalemer Modell
Der erste dieser Wege trat in Jerusalem auf. Zwölf Apostel gründeten eine Gemeinde, indem sie Jesus Christus predigten (Apg 2,14–8,3). Nach einer gewissen Zeit vermehrte sich die Gemeinde durch „Verpflanzung“ oder „Migration“.3
Wir nennen dies das Jerusalemer Modell, weil es in Jerusalem seinen Anfang nahm. Das Neue Testament berichtet, dass der Samen der Jerusalemer Gemeinde nach vier Jahren in ganz Palästina ausgestreut und verpflanzt (umgebettet) wurde.4 Aufgrund der Verfolgung zogen die Gläubigen von Jerusalem aus an andere Orte, wo sie ihren Glauben bezeugten und in der Folge neue Gemeinden entstanden (Apg 8,1-8; 11,19-21). Die zwölf Apostel blieben noch eine Zeit lang in der Stadt.5
Zu den besonderen Merkmalen der Jerusalemer Zerstreuung zählt die Tatsache, dass sämtliche Christen in Jerusalem bereits organische Gemeinde erlebt hatten, bevor sie woanders hinzogen, um neue Gemeinden zu gründen. Mit anderen Worten: Sie brachten ihre Erfahrungen mit Christus und der Gemeinde in den neuen Regionen ein. Wie wir noch sehen werden, ist dies ein entscheidender Faktor.
Bezeichnenderweise nahmen die neu entstandenen Gemeinden in Palästina die Hilfe der Apostel in Anspruch – obwohl sie nicht unmittelbar von diesen gegründet worden waren. Die zwölf Apostel besuchten die neuen Gemeindepflanzungen, begossen den Samen und jäteten das Unkraut (Apg 9,32–11,30). Zwar unterstützten die Apostel die neuen Gemeinden, festigten und ermutigten sie, doch lebten sie nicht dort und regelten auch nicht deren Angelegenheiten.
Das Antiochia-Modell
Die klassische Gemeindegründungsmethode im ersten Jahrhundert nahm in Antiochia in Syrien ihren Anfang. Dieses Gründungsmodell tritt am deutlichsten in Apostelgeschichte 13,1–20,38 zutTage. Paulus wurde mit seinen Mitarbeitern von Antiochia ausgesandt, um Gemeinden in Südgalatien, Griechenland und Kleinasien zu gründen. Man kann diese Methode der Gemeindegründung als das Antiochia-Modell (oder auch „Neusaat“-Modell) bezeichnen.6
(Übrigens lassen sich die Reisen des Paulus besser als „Gemeindegründungstour“ oder „apostolische Reisen“ bezeichnen. Der geläufige Ausdruck Missionsreise ist eine Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts und wird dem Wesen und Zweck des paulinischen Dienstes kaum gerecht.7 Dazu jedoch später mehr.)
Das Antiochia-Modell kann folgendermaßen beschrieben werden: Ein Apostel kommt mit leeren Händen in eine Stadt, um Jesus Christus zu verkündigen. Er predigt keine „vier geistlichen Gesetze“, keine „Schritte zur Bekehrung“, keinen „Heilsplan“ oder irgendwelche christlichen Glaubenssätze. Auch verkündigt er nicht sich selbst (2 Kor 4,5). Stattdessen verkündigt er eine Person – Jesus Christus.8
Aufgrund der Christus-Verkündigung bekehren sich eine Anzahl von Menschen. Einige mögen religiös sein und schon eine Beziehung zu Gott haben (die Juden). Andere sind Gott noch nie begegnet (die Heiden).
Nachdem der Apostel die Menschen zu einer echten Begegnung mit Gott in Christus geführt hat, zeigt er der jungen Gemeinde, wie man aus diesem innewohnenden Leben des neuentdeckten Herrn heraus lebt. Er offenbart den Gläubigen den ewigen Ratschluss Gottes, und diese Schau ergreift die Gemeinde.
(Beachten Sie, dass Gottes ewiger Ratschluss, seine große Mission, Gott und nicht den Menschen zum Mittelpunkt hat.) Kurzum: Der Apostel pflanzt in den Geist der Gläubigen die gleiche „himmlische Vision“ hinein, die er selbst erhalten hat (Apg 26,13; Gal 1,15-16).
Der Apostel vermittelt der neuen Gemeinde auch die apostolische Überlieferung, die ihren Ursprung in Jesus hat (1 Kor 11,2; 2 Thess 2,15; 3,6). Er offenbart den Herzen der Gläubigen die unausforschlichen Reichtümer und die Größe Christi und dass Christus alles ist, was sie brauchen (Eph 3,8). Das heißt es, eine Gemeinde auf Jesus Christus als dem einzigen Fundament zu gründen (Mt 7,24 ff.; 16,16-18; 1 Kor 3,11; Eph 2,20). Jesus Christus als Fundament zu haben, bedeutet, dass die Gemeinde lernt, sich ganz auf Christus zu verlassen, in ihm zu ruhen und aus ihm zu leben.
Das Evangelium, das die Apostel im ersten Jahrhundert predigten, war: Christus ist der Herr und in ihm haben wir Gottes unverfälschte und wirksame Gnade. Paulus von Tarsus schmiedete die Menschen nicht mit irgendwelchen Regeln, religiösen Pflichten oder Gesetzlichkeit zusammen. Er verkündete stattdessen das Evangelium der Gnade mit solcher Vollmacht, dass es die Pforten der Hölle niederriss und die Juden aus ihren religiösen Zwängen und die Heiden aus ihrer Verderbtheit befreite. Es war ein doppelt mächtiges Evangelium.
In der Folge war die neugegründete Gemeinde gesättigt mit der Herrlichkeit, der Freude und der Freiheit in Jesus Christus (Apg 13,52; 2 Kor 1,24; 3,17). Beachten Sie, dass die frühen Apostel eine herrliche, atemberaubende Offenbarung Christi erhalten hatten, von der ihr Geist erfüllt war und die sie verströmten, ehe sie diese Offenbarung an andere weitergeben konnten. Hören wir Paulus:
Als er mir nun seinen Sohn offenbarte – mir ganz persönlich –, gab er mir den Auftrag, die gute Nachricht von Jesus Christus … zu verkünden (Gal 1,16 NGÜ).
Die unmittelbare und nachhaltige Frucht dieser himmlischen Schau war, dass die Gläubigen sich in ihren Herrn und ineinander verliebten.
Das heißt: Paulus und seine Mitarbeiter zeigten den neuen Christen praktisch, wie sie aus diesem Christus heraus leben konnten, der nun in ihnen wohnte. Sie zeigten ihnen, wie man in Gemeinschaft und als Einzelne Gemeinschaft mit dem Herrn pflegt. Sie rüsteten das Volk Gottes zu, sodass die Menschen gemeinsam unter der direkten Führung des Herrn zusammenarbeiteten – ganz ohne amtliche Leitung. Die Apostel bereiteten die Gläubigen auch auf die Prüfungen und Schwierigkeiten vor, die nun auf sie warteten (Apg 14,22; 20,31; 1 Thess 3,4). Der Dienst der Apostel war daher nicht nur geistlich, sondern auch sehr praktisch ausgerichtet.9
Nachdem Paulus die Neubekehrten mit der Offenbarung Christi gesättigt hatte, tat er das Undenkbare: Er übergab die Gemeinde in die Hände des Herrn. Sanft schob er die Gläubigen aus ihrem Nest und überließ sie sich selbst. Er tat dies, ohne einen Pfarrer oder Pastor anzustellen oder Älteste mit der Gemeindeaufsicht zu betrauen. Mehr noch: Er überließ die Gemeinde noch im Säuglingsalter sich selbst – und dies angesichts unmittelbar bevorstehender Verfolgung.
Beim Antiochia-Modell verwendet der Apostel in der Regel zwischen drei und sechs Monate auf das Legen der Fundamente, bevor er die Gemeinde verlässt. Das heißt: Paulus und seine Mitarbeiter verließen eine Gemeinde, als sich diese noch im Kleinkindalter befand. Mit der Zeit wuchsen dann in vielen Gemeinden Älteste heran, die öffentlich anerkannt wurden. Aber das kam erst später. Und zu keiner Zeit fiel den Ältesten die Aufgabe zu, die Gemeinde zu lenken oder über sie zu bestimmen. Auch rissen sie nie die Dienste der Gemeinde an sich. (Auf dieses Thema bin ich andernorts eingegangen.10)
Hatte der Apostel die Gemeinde verlassen, kehrte er erst nach geraumer Zeit (zwischen sechs Monaten und zwei Jahren) wieder zurück.
Paulus demonstriert uns dieses Gemeindegründungsmodell nach seiner Aussendung aus Antiochia. Welch mächtiges, feuerfestes Evangelium musste Paulus doch diesen Neubekehrten weitergegeben haben! Welch tiefes Vertrauen in den auferstandenen Christus musste er gehabt haben, etwas so „Unvernünftiges“ zu tun und eine Gemeinde allein zu lassen, während sie noch in den Windeln steckte! Roland Allen beobachtet scharfsinnig:
Das sind die Fakten: Paulus predigte fünf bis sechs Monate lang an einem Ort und ließ dann eine Gemeinde zurück, die zwar noch einer gewissen Führung bedurfte, aber schon des Wachstums und der Ausbreitung fähig war … Nun stellt sich uns die Frage: Wie konnte er die neuen Gläubigen so zurüsten, dass er sie nach nur kurzer Zeit mit einer gewissen Sicherheit allein lassen konnte, dass sie festbleiben und wachsen würden? Auf den ersten Blick erscheint so etwas unglaublich … Was mag er sie in fünf oder sechs Monaten gelehrt haben?11
Unterm Strich: Das Evangelium des Apostels wurde schonungslos bis auf seinen Kern auf die Probe gestellt. War das Evangelium, das er predigte, wirklich Christus – mit Paulus’ Worten: „Gold, Silber und Edelsteine“ –, dann konnte die Gemeinde auch Krisen durchstehen (1 Kor 3,6-15). Bestand das Evangelium des Apostels jedoch aus Verbrennbarem – „Holz, Heu, Stroh“ –, verbrannte es in der Hitze des Feuers.12
Setzt ein Apostel unverwüstliche Stoffe zum Bau einer Gemeinde ein und rüstet er sie fachmännisch zu, dann wird sich alles, was sie benötigt, spontan und von innen heraus entwickeln. Zu gegebener Zeit werden aus ihr Propheten, Hirten, Evangelisten, Aufseher usw. auf ganz natürliche und organische Weise hervorgehen – genauso natürlich und organisch, wie sich die Gliedmaßen und Organe am und im Körper eines Kindes entwickeln. T. Austin-Sparks spricht von dieser Erfahrung:
Nachdem wir sämtliche Systeme der verfassten Christenheit aufgegeben hatten, verpflichteten wir uns dem organischen Prinzip. Wir stellten keine „Gemeindeordnung“ auf und setzten auch keine Ämter und Geistlichen ein. Wir überließen es ganz dem Herrn, uns durch die „Gaben“ und die Salbung zu zeigen, wen er für die Aufsicht und für die Dienste auserwählt hatte. Ein Ein-Mann-System ist dabei nie herausgekommen. Die „Aufseher“ sind nie gewählt oder bestimmt worden, schon gar nicht auf den ausdrücklichen Wunsch eines Leiters. Es gab weder Ausschüsse noch eine öffentliche Körperschaft – in keinem Teil unserer Arbeit. Nahezu alles ist aus dem Gebet hervorgegangen.13
Solche organische Entwicklung ist die Grundlage aller Lebensformen. Der Same einer Rose enthält schon im Keim Stängel, Blätter und Blütenknospen. Wird der Same gesät und angemessen gepflegt, bilden sich diese Merkmale zu gegebener Zeit auf ganz natürliche Weise aus. So bilden sich auch die erforderlichen Merkmale und Dienste der Gemeinde Jesu Christi ganz natürlich aus, wenn diese einmal auf richtige Weise gepflanzt und gepflegt wird, denn das ist Teil ihrer DNA.
Biblisch gesehen ist eine Gemeinde ein geistlicher Organismus, keine menschliche Organisation.14 Sie ist sozusagen ein biologisches Gewächs. Als solches entwickelt sie sich auf ganz natürliche Weise weiter, wenn sie der, der sie gegründet hat, sich selbst überlässt. Selbstverständlich sollte der Gärtner von Zeit zu Zeit nach ihr schauen, sie „bewässern“, „düngen“ und „von Unkraut befreien“, das sie zu ersticken droht. Deshalb gehört es zu den vorrangigen Aufgaben eines Apostels, Fremdkörper von der Gemeinde fernzuhalten, sodass sie auf natürliche und organische Weise heranwachsen kann. (Doch dazu später mehr.)
Diesem Verständnis von Gemeindeentwicklung steht das vorherrschende Modell gegenüber, wonach man versucht, verschiedenen Dienste und Gaben (etwa Älteste, Propheten und Lehrer) einzusetzen und dabei scheinbar dem „neutestamentlichem Muster“ folgt. Solch eine technische Methode der Gemeindebildung wird lediglich ein erbärmliches, papierenes Bild von Gemeinde erzeugen. Es ist, als wollte man eine reife Rose schaffen, indem man Stängel, Blätter und Blütenkelch mit einem Nylonfaden zusammenbindet. Damit würde man die organische und inhärente Natur der Gemeinde leugnen und sich über den biblischen Tatbestand, dass die Ekklesia in Wirklichkeit ein lebendiger Organismus ist, hinwegsetzen.
Das Antiochia-Modell geht also letztlich davon aus, dass Gemeinde ein organisches Wesen ist, dass sie durch die Verkündigung Jesu Christi ins Leben gerufen wird und dass sie organisch weiterwächst, wenn der Gründungsapostel sie sich selbst überlassen hat. Freilich hat es eine Gemeinde nötig, dass der Apostel von Zeit zu Zeit zurückkehrt, um nach ihrem Wachstum zu schauen und fremde Elemente, die ihr Leben zu ersticken und zu zerstören drohen, zu entfernen (Apg 13–20). Dazu stellt Howard Snyder fest: „Die Gemeinde wächst in dem Maße, wie man alles ausräumt, was Wachstum beeinträchtigt. Wird sie nicht durch unbiblische Barrieren behindert, entwickelt sie sich auf ganz natürliche Weise.“
Das Antiochia-Modell („Ausbringen neuen Samens“) ist die klassische Weise, nach der im ersten Jahrhundert Gemeinden gegründet wurden. Dazu Roland Allen treffend:
In nur wenigen Jahren baute er [Paulus] die Gemeinde auf einer so festen Grundlage auf, dass sie im Glauben und im praktischen Dienst leben und wachsen konnte und dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und allen Gefahren und Hindernissen von innen und außen begegnen konnte.15
Während beim Jerusalemer Modell die Gemeinde den apostolischen Mitarbeiter verlässt, verhält es sich beim Antiochia-Modell umgekehrt: Der apostolische Mitarbeiter verlässt die Gemeinde. Im Ergebnis ist es dasselbe: Sobald ein apostolischer Mitarbeiter das Fundament einer Gemeinde gelegt hat, bleibt das Volk Gottes sich selbst überlassen und verzichtet auf Hilfe von außen. Zum Vergleich beider Modelle schreibt Watchman Nee:
Wir sehen hier, dass es zwei verschiedene Arten der Verkündigung des Evangeliums und der Gemeindegründung gibt, zwei unterschiedliche Methoden, veranschaulicht an den Beispielen Jerusalem und Antiochia. Von Antiochia gehen Apostel aus, von Jerusalem gehen Heilige in die Zerstreuung aus. Im einen Fall ziehen die Apostel in Teams aus, wie z. B. Paulus und Barnabas, Paulus und Silas oder Paulus und Timotheus, um das Evangelium von Ort zu Ort zu verkündigen, Gemeinden zu gründen und danach zurückzukehren. Im anderen Fall wandern die Gläubigen in Städte und Länder aus, verkündigen den Herrn Jesus, wohin sie kommen, und überall dort, wo sie sich ansiedeln, entstehen Gemeinden.16
Das Ephesus-Modell
Eine dritte Art der Gemeindegründung begann in der Stadt Ephesus. Wir nennen sie daher das Ephesus-Modell. In seinen späteren Jahren reiste Paulus nach Ephesus. In den sieben Jahren zuvor hatte er etwa acht Gemeinden gegründet.
Was Paulus in Ephesus erreichte, war ebenso einzigartig wie genial: Er machte Ephesus zum Trainingszentrum, von dem aus sich das Evangelium verbreitete und wo junge Männer als Gemeindegründer geschult wurden. Paulus mietete einen Versammlungsort – die „Halle des Tyrannus“ –, wo er täglich von 11:00 Uhr vormittags bis 16:00 Uhr nachmittags predigte und lehrte.17 Diese Ausbildung dauerte zwei ganze Jahre. Paulus nennt folgende Männer, die dort zugerüstet wurden:
• Titus aus Antiochia
• Timotheus aus Lystra
• Gaius aus Derbe
• Aristarch aus Thessalonich
• Secundus aus Thessalonich
• Sopater aus Beröa
• Tychikus aus Ephesus
• Trophimus aus Ephesus
Auch Epaphras aus Kolossä dürfte dazu gerechnet werden. Offenbar hat Paulus ihn während seiner Zeit in Ephesus zum Herrn geführt.18 Etwas später gründete Epaphras drei Gemeinden im Lycos-Tal in Kleinasien: je eine in Kolossä, in Laodicea und in Hierapolis (Kol 1,7; 4,12-13). Der Neutestamentler Donald Guthrie merkt an:
Die Gemeinden Kolossä, Laodicea und Hierapolis im Lycos-Tal sind vermutlich in dieser Zeit entstanden, obwohl Paulus sie nie persönlich besucht hat. Männer wie Epaphras und Philemon – wohl Bekannte des Paulus – dürften in der Halle des Tyrannus unter seinen Einfluss gekommen sein.19
So schreibt auch F. F. Bruce:
Dann kam Paulus in diese große Stadt … wo er fast drei Jahre blieb und die Evangelisation von Ephesus und der gesamten Provinz leitete. Offenbar wurde er dabei von etlichen Mitarbeitern unterstützt, etwa von Epaphras, der die phrygischen Städte des Lycos-Tals evangelisierte (Kolossä, Laodicea und Hierapolis). Ihr Einsatz war so erfolgreich, dass, wie Lukas berichtet, „…alle, die in Asia wohnten, das Wort des Herrn hörten, Juden und Griechen“.20
Obwohl die Ausbildung dieser acht Männer durch Paulus in Ephesus nicht ausdrücklich erwähnt wird, lässt sich diese durchaus aus dem Neuen Testament herleiten. Beachten Sie folgende Punkte:
• Alle acht Männer waren bei Paulus in Ephesus während dessen längeren Aufenthalts dort.21 Wie die zwölf Jünger dreieinhalb Jahre mit Jesus zusammen waren, so verbrachten auch die Paulusschüler eine ähnlich lange Zeitspanne mit Paulus. In gewisser Weise duplizierte Paulus in Ephesus den Dienst, den Jesus in Galiläa getan hatte.
• Alle acht Männer brachten als Abgeordnete ihrer Gemeinden finanzielle Unterstützung nach Jerusalem. Statt jedoch mit ihren Gaben direkt nach Jerusalem zu reisen, trafen sie in Ephesus mit Paulus zusammen und blieben drei Jahre bei ihm. Timotheus und Gaius waren aus Galatien, das sehr viel näher bei Jerusalem als bei Ephesus liegt.
• Zwei Jahre lang lehrte Paulus täglich fünf Stunden lang in der Halle des Tyrannus. Die Intensität seines Dienstes trägt alle Merkmale einer Ausbildung.
• Paulus kam persönlich für seinen eigenen Unterhalt und den der Männer auf (Apg 20,34). Wieso sollte er sie unterstützen, wenn er sie nicht ausbildete?
• Nach seinem Einsatz in Ephesus sandte Paulus diese Männer aus, die von ihm gegründeten Gemeinden zu unterstützen und darüber hinaus in noch unversorgten Gebieten weitere Gemeinden zu gründen. Ganz ähnlich hatte Jesus die zwölf Jünger probeweise ausgesandt (Mk 6,7).
David Shenk und Ervin Stutzman haben das Ephesus-Modell so zusammengefasst:
Als Paulus Ephesus verließ, nahm er eine Gruppe von Leuten mit sich, um einige Gemeinden zu besuchen, die er in Mazedonien und Griechenland gegründet hatte. Wir dürfen davon ausgehen, dass es Leiter waren, die er in Ephesus selber ausgebildet hatte. Sie sollten die Gemeinden kennenlernen, von denen er im Unterricht erzählt hatte. Zu den Männern zählten Sopater, Aristarch, Secundus, Gaius, Timotheus, Tychikus und Trophimus. Nach seinem Willen sollten diese in Gemeindeaufbau erfahrenen Leiter aus Kleinasien auch die in europäischen Gemeinden gelebte christliche Gemeinschaft kennenlernen. Dies war eine interkulturelle Gemeindegründungstour für die bei Paulus in Ausbildung stehenden Leiter.22
Weil die Paulusschüler aus verschiedenen Gemeinden und Regionen (Galatien, Mazedonien, Achaia und Kleinasien) stammten, konnten sie zweifellos voneinander lernen, indem sie einander von ihren Erfahrungen in organischem Gemeindeleben aus jeweils unterschiedlicher kultureller Perspektive erzählten. In einer späteren Phase ihrer Ausbildung in Ephesus sandte Paulus seine acht Schüler nach Kleinasien aus, um das Evangelium Christi zu verkünden und neue Gemeinden zu gründen. Einige dieser Gemeinden begegnen uns in Offenbarung 2 und 3. Dazu schreibt F. F. Bruce:
Während Paulus in Ephesus blieb, missionierten einige seiner Kollegen in den Nachbarstädten. In dieser Zeit scheint sein Mitarbeiter Epaphras die Städte im Lycos-Tal gelegenen Städte Kolossä, Laodicea und Hierapolis evangelisiert zu haben – Städte, die Paulus offenbar nie persönlich besucht hat (Kol 1,7-8; 2,1; 4,12-13). Möglicherweise sind alle sieben Gemeinden, wie wir sie in der Offenbarung des Johannes finden, während dieser Zeit entstanden. Die ganze Provinz wurde intensiv evangelisiert und zählte über viele Jahrhunderte zu den führenden Zentren der Christenheit.23
Die acht Paulus-Schüler kann man in gewisser Weise mit den zwölf Jüngern Jesu vergleichen. Die zwölf Apostel brachten das Evangelium der jüdischen Welt; die jungen Mitarbeiter des Paulus trugen es in die heidnische Welt.