Kitabı oku: «Hinterfragen und Handeln», sayfa 3
Ganz anders kam es zum Kontakt mit Ibolya und Béla Kató, dem Pfarrerehepaar in Ţufalău/Cofalva bis 1988, seit dann und bis 2012 in Illyefalva/Ilieni. Wir bereisten mit einer Reisegruppe 1984 Rumänien und besuchten dabei die Kirchen der Erdbebenhilfe im Bezirk Covasna. Offenbar war diese Reise für die |32| rumänischen Behörden so interessant, dass es bei jeder Begegnung von Spitzeln wimmelte, auch in der kurzen Kaffeepause in Covalva. Immer wurden alle und alles beobachtet, in diesem rein ungarischen Dorf ganz besonders. Dennoch fanden der Ortspfarrer Béla Kató und ich ein paar wenige Minuten für ein Gespräch, um uns etwas kennenzulernen und irgendwie Freunde zu werden, auch wenn weitere Begegnungen aus verschiedenen Gründen vorerst nicht gelangen. Béla Kató bat um heilpädagogische Literatur für seine Frau, die an einer Sonderschule arbeitete. Das war damals ein untrügliches Zeichen, dass die beiden nicht auf der offiziellen Linie lagen, Heilpädagogik und bestimmte Formen der Psychologie galten als westliche Softprogramme. Das kurze Gespräch sorgte für Vertrauen zwischen Béla Kató und mir.
1986 erlebte ihr Dorf Cofalva von zwei ganz unterschiedlichen Seiten ernste Bedrohungen: Ein Erdbeben beschädigte die Kirche so sehr, dass sie nicht mehr betreten werden durfte. Gleichzeitig wurde den Menschen im Dorf mitgeteilt, ihr Dorf würde systematisiert. Was das bedeutete, war allen klar: Das traditionelle Szeklerdorf sollte dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner in neue Plattenbauten umgesiedelt werden. Die Leute im Dorf wollten das nicht akzeptieren und Pfarrer Kató organisierte den Widerstand, der aus zwei Massnahmen bestand: Eine Foto mit allen Bewohnern wurde aufgenommen, vergrössert und aufgehängt. Niemand sollte sagen können, es habe ja kaum mehr Menschen in der Gemeinde gehabt, nur noch ein paar alte Leutchen. Und die Kirche wurde in Rekordzeit durch Freiwilligenarbeit und mit ins Land geschmuggelten finanziellen Mitteln, auch von HEKS, wieder aufgebaut. Bei der Einweihung 1987 strahlte der neu befestigte Kirchturm leuchtend weiss: ein weitherum in der Ebene von Covasna sichtbares Zeichen, dass sich die Leute nicht aufgaben, sondern weiter an die Zukunft glaubten und an ihr arbeiteten, ein Zeichen des Widerstandes. Das Zeichen wurde verstanden und Béla Kató deshalb an die wichtige Pfarrstelle in Ilieni berufen, am Fuss der historisch bedeutenden Kirchenburg. Widerstand gegen Unrecht und für Menschenrechte kann und muss zuweilen seltsame Formen annehmen, eben zum Beispiel der Wiederaufbau einer zerstörten Kirche, offiziell nicht verboten, aber ganz und gar unerwünscht. Ich bin überzeugt, dass auch solche Formen von Menschenrechtsarbeit für kirchliche Werke wichtig und kennzeichnend sein können. Ilieni/Illyefalva wurde dann zum Ausgangspunkt der HEKS-Aufbauarbeit nach 1989. |33|
Kirchen und Religionsgemeinschaften in Rumänien14
Der konfessionelle Reichtum des Landes entspricht der ethnischen Vielfalt: Seit Jahrhunderten leben auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens rumänischsprachige, ungarische und deutsche Bevölkerungsgruppen; dazu kommen Roma und viele kleine Minderheiten. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Rumänien grosse neue Gebiete zugeschlagen, zu denen die multiethnischen Bukowina und Siebenbürgen gehörten.
Traditionell sind Rumäninnen und Rumänen orthodox, während die ungarischen und deutschen Minderheiten katholisch oder protestantisch sind.
Die orthodoxen Kirchen
Zur Rumänischen Orthodoxen Kirche gehören nach eigener Einschätzung 85 % der Bevölkerung des Landes; sie hat aber auch Mitglieder im Ausland, insbesondere in der Nachbarschaftsrepublik Moldawien. Sie ist seit 1885 autokephal (selbständig) und als Kirche mit einer lateinischen Grundsprache einzigartig in der Orthodoxie. Seit 1989 erlebt die Kirche einen starken Aufschwung: Sehr viele Kirchenbauten, 15 theologische Fakultäten und 500 Klöster. Patriarch ist seit 2007 Daniel Ciobotea. Dazu kommen orthodoxe Kirchen der armenischen und serbischen Minderheit.
Die protestantischen Kirchen
Zur Reformierten Kirche Rumäniens gehören rund 800 000 Mitglieder, die fast ausschliesslich ungarischer Sprache sind. Die Kirche ist eng mit der Reformierten Kirche Ungarns verbunden und mit Partnerkirchen in den Niederlanden und der Schweiz.
Es gibt zwei Evangelisch-Lutherische Kirchen, eine ungarische und eine deutschsprachige. Letztere hatte bis vor wenigen Jahrzehnten eine grosse kulturelle Bedeutung in Siebenbürgen.
Eine Besonderheit ist die Unitarische Kirche mit ihrem antitrinitarischen (Ablehnung des Dogmas der Dreifaltigkeit) und ohnehin liberalen Glaubensverständnis.
Weit über 500 000 Rumänen gehören einer neuprotestantischen Kirche an: Baptisten, Adventisten, Pfingstler etc.
Die katholischen Kirchen
Die Römisch-Katholische Kirche hat gegen eine Million Mitglieder, einerseits traditionelle Bewohner Siebenbürgens, anderseits gewisse Minderheiten wie die Donauschwaben oder die Tschango/Csangó in den Südkarpaten.
Die Rumänische Griechisch-Katholische Kirche ist eine aus der Herrschaftszeit der Habsburger stammende Kirche mit orthodoxer Liturgie, aber unter römischer Jurisdisktion. Die Kirche wurde vor allem unter den Kommunisten |34| stark verfolgt und in den Untergrund gedrängt. Sie wird bis heute von den Orthodoxen als Vasallenkirche Roms beargwöhnt und bedrängt.
Andere Religionen
Die Juden hatten in der Vergangenheit wichtige Beiträge zur Entwicklung der rumänischen Kultur geleistet und sie bildeten in einzelnen Städten grosse Minderheiten. Nach dem Genozid durch rumänische und deutsche Faschisten leben heute nur noch 9 000 Menschen jüdischen Glaubens im Land.
Die gut 50 000 Muslime leben als türkische oder tatarische Minderheit in der Dobrudscha.
Mit einer Reisegruppe unterwegs
Es gehörte etwas Verwegenheit dazu, nach erst zwei Jahren bei HEKS im Herbst 1984 eine Gruppenreise zu Partnern in Rumänien durchzuführen. Im Sommer spulte ich die geplante Route ab und meldete uns mit Datum und Zeit bei allen vorgesehenen Gastgebern an. So vermied ich jede Korrespondenz. Nur mit dem staatlichen Reisebüro musste ich eine schriftliche Abmachung treffen: ein Bus mit Fahrer, keine rumänische Reiseleitung und die ungefähre Reiseroute. Im Oktober des Jahres flogen wir mit gut 20 Teilnehmenden nach Bukarest. Wir wurden durch Vater Verzan, einen Priester und Leiter der orthodoxen Druckerei in Bukarest, herzlich empfangen. Wenige Monate zuvor hatte er vier Wochen in der Casa Locarno15 verbracht; für ihn war es selbstverständlich, dass er uns persönlich am Flughafen begrüsste.
Empfangen wurden wir aber auch von einer jungen Frau, die sich vorstellte: «Carmen, ich habe die Freude, Sie durch unser schönes Land zu führen.» Alle Versuche, sie gleich wieder heimzuschicken, Hinweise auf die Verabredung nützten nichts. Im Bus dann neben dem Fahrer ein zweiter Mann, dessen Aufgaben und Rolle uns bis zum letzten Tag unklar blieben. Offenbar hatten Carmen und die beiden Männer den Auftrag, uns an allen Problemen des Landes vorbei zu den Nullachtfünfzehn-Sehenswürdigkeiten zu lotsen und persönliche Kontakte zu verhindern. Ein tagelanges Seilziehen begann. Mit viel Kraft und Energie konnten wir unser Programm durchziehen, die Partner und Partnergemeinden besuchen, meist mehrere am gleichen Tag. Am vierten Tag resignierte die Reiseleiterin, sie schlief meist im Bus oder schien zu überlegen, wie sie der Sicherheitspolizei |35| melden konnte, dass diese Schweizer machten, was sie wollten. Umso aufmerksamer wurden wir immer wieder begleitet, und wohl an jedem zweiten Treffen waren auch Geheimdienstleute dabei.
Als wir mit der Reisegruppe zwei Tage hintereinander in einem Hotel in Cluj übernachteten, erfuhren wir den ganzen Irrsinn dieses Systems. Wir hatten am Nachmittag unsere Hotelzimmer bezogen, und nach dem Nachtessen besuchte ich mit meinem Zimmergenossen Francis Gerber, der in Bukarest orthodoxe Theologie studierte und deshalb sehr gut Rumänisch sprach, einen kaltgestellten Pfarrer. Spätabends zurück im Hotel wurden wir vom Mann am Empfang mit öligem Lächeln begrüsst: Leider, leider hätten sie eine Hochzeitsgesellschaft im Haus, unser Zimmer läge direkt über dem Festsaal, und so hätten sie unser Gepäck in ein anderes gebracht. Wo nur der Schlüssel sei, fragte er sich, suchte theatralisch und telefonierte schliesslich ein wenig im Haus herum. Wir fragten uns, wo ums Himmelswillen in dieser Totenstille um Mitternacht denn nur dieses laute Fest sei, bis wir endlich die Schlüssel erhielten und ins Zimmer gehen konnten. Die Securitate-Leute hatten für das Verlassen des Raums die notwendige Zeit erhalten. Einen Tag später, wieder nach vertraulichen Gesprächen mit Freunden, die gleiche Szene um Mitternacht: Der Empfangschef tänzelte heran und meinte, man habe festgestellt, dass bei uns das heisse Wasser nicht laufe, und so hätten sie es sich erlaubt, uns in ein neues Zimmer zu verlegen – wir hatten am Morgen warm geduscht. Keine Sorge, sie hätten unser Gepäck schon ins neue Zimmer gebracht. Dieses entsprach ganz genau dem alten, in Grösse, Möblierung und Ausrichtung, und unsere Gepäckstücke, die abgelegten Dinge auf dem Nachttischchen, selbst Zahnbürste mit Zahnpasta und das Rasierzeug lagen ganz genau so da, wie wir diese am Morgen im andern Zimmer verlassen hatten, «eins zu eins gezügelt». Obwohl offensichtlich war, dass sie unsere Dinge in ihren Händen hatten, verwischten sie in ihrem seltsamen Reflex altgedienter Securitate-Leute gleichsam alle Spuren.
Wir konnten uns das ganze Theater nie wirklich erklären: Suchten sie belastende Dokumente oder westliches Geld bei uns? Hatte der welsche Pfarrer Francis wegen seiner Landeskenntnisse das besondere Interesse geweckt? Handelten sie aus Langeweile? Wollten sie uns einschüchtern? Ein mulmiges Gefühl hinterliessen sie auf jeden Fall. Oder ganz banal und den späten Ceauşescu-Jahren entsprechend: Hatten sie auf diese Weise drei Zimmer vermietet, um den Plan auf wundersame Weise zu erfüllen?
Beim Treffen in der reformierten Gemeinde Covalva wimmelte es buchstäblich von grauen Herren. Und doch lernte ich gerade damals und dort meinen Freund Béla Kató kennen. In Câmpia Turzii konnte ich die Hilfe für die verfolgten Pfarrkolleginnen und -kollegen, die Kollegenhilfe, besprechen, gleichsam unter den Augen des Staates. Mit Miklós fuhren wir zu seinen zehn Gemeinden |36| um Zăneşti und besuchten das eben fertiggestellte Gebetshaus. In Méra prüfte ich die Abrechnung der Kollegenhilfe, während der Reisegruppe die prächtigen Trachten der Gegend gezeigt wurden. Mit Vater Verzan wurde in Bukarest die weitere Zusammenarbeit für den Betrieb seiner Bibeldruckerei geplant. Teilnehmende der Gruppen tauschten Adressen aus, lebendige Kontakte entstanden. Trotz aller Widrigkeiten hatte sich die Reise gelohnt; die Menschen in den Kirchgemeinden wussten: man hat uns besucht, wir sind nicht vergessen.
Für Kirchen und Menschen, aber keine Kalten Krieger
Die Hilfswerksarbeit in den Ländern des kommunistischen Ostens gründete auf Vertrauen. HEKS unterstützte die Kirchen bei der Wahrnehmung ihres evangelischen Auftrages, auch wenn das oft nur an der Kirchenleitung vorbei möglich war. In diesem Sinn passte die Osteuropaarbeit sehr gut in das gesamte Engagement des Werks: Unterstützung von Benachteiligten und Entrechteten durch praktische Projektarbeit, sei das in Südafrika, Palästina oder Osteuropa – und Öffentlichkeitsarbeit. Hier gilt es ein Missverständnis zu klären: HEKS hat die Antiapartheid-Bewegung in Südafrika nicht nur unterstützt, sondern ihre Anliegen auch in der Schweiz gezielt in die Öffentlichkeit getragen. So wurde zum Beispiel Ende 1986 der Geschäftskontakt mit der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft aufgegeben, worüber breit informiert wurde. Eine Information über die skandalösen Geschäfte der wirtschaftlichen Schweiz mit dem weissen Südafrika, allen voran die Grossbanken, war damals eben dringend notwendig, weil die bestimmenden Kräfte der Schweiz mit ihren Medien lange und intensiv das Apartheid-Regime hinnahmen. Hier musste ein kirchliches und evangelisches Werk seine Stimme erheben. Anders die Situation mit Osteuropa: Antikommunismus war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch Jahrzehnte gleichsam offizielle Staatsdoktrin in der Schweiz, die Unterdrückung der Menschen und Kirchen durch Partei und Staat in den Ländern Osteuropas der allgemeine Stand des Wissens. Es war und ist nicht unsere Aufgabe, uns allgemeinen Meinungen anzupassen und mit ihnen zu protestieren. HEKS berichtete über Ungerechtigkeiten und unterstützte auf subversiven Wegen viele Aktivitäten. Zur gleichen Zeit erzählten wir bei uns von Kirchen, Gemeinden und Einzelnen, die auf engagierte Weise Kirche im Sozialismus waren. Wir unterstützten in der DDR und in Ungarn diakonische Einrichtungen bisweilen mit grossen Beiträgen, wir ermöglichten den Ausbau theologischer Institute, bestückten Bibliotheken mit Literatur und konnten auch bei der Verbreitung von Bibeln helfen. Zuweilen wurde dieses Engagement in der Schweiz leider völlig falsch als pro-kommunistische Arbeit missgedeutet. |37|
Helden der Arbeit
Die jahrzehntelang vermeldeten Grosserfolge sozialistischer Staaten in der Landwirtschaft, beim Bergbau und in der verarbeitenden Industrie mit Wachstumsraten des Volkseinkommens von jährlich gegen zehn Prozent erwiesen sich als Potemkinsche Dörfer. Die Wirtschaft klappte in sich zusammen, verrottete und veraltete Betriebe waren nichts wert, schlecht gebaut und nicht gepflegt.
Mitten in den achtziger Jahren fuhren wir im Zug von Mediaş nach Sighişoara (Schässburg). Wir schauten aus dem Fenster, und wie so oft diskutierten wir. Man sah zwar die vielen Probleme, Armut, zerstörte Umwelt, aber, sagten wir uns, es kann ja nicht nur schlecht sein, innerlich immer etwas in Verteidigung des geliebten Rumäniens, vor allem seiner liebenswerten Bewohnerinnen und Bewohner. Wir ruckelten an rauchenden Köhlerhaufen vorbei, Aufbau von unten, einfache Technologie wie eben Holzkohle, das müsste es sein. Fast unmerklich hatte sich die Landschaft verfärbt, die grünen Wiesen wurden grau, die Dächer grau, auch Bäume, selbst Schafe und Menschen – ja, auch angepasste Technologie, auch Köhlerei hätte ihren Preis, schwadronierten wir verunsichert. Als der Zug dann in dieser grauen Welt stoppte, schauten wir eher zufällig auf der andern Seite aus dem Fenster: Eine riesige Fabrikanlage, mit schwarz rauchenden Kaminen, fauchenden Öfen und verrosteten Anlagen. Da dämmerte es mir. Von wegen angepasste Technologie! Vor uns lagen die Anlagen von Copşa Mica, der bekanntesten Dreckschleuder von ganz Rumänien, wo Russbestandteile für Autoreifen und andere Chemikalien hergestellt wurden. Der Umgang des Regimes mit Menschen und der Schöpfung war damals schlicht brutal. Wir suchten auch im Schwierigen das Gute, wollten nicht nur auf das Üble des Regimes und seiner Schwierigkeiten fixiert sein und vielleicht auch nicht alles so sehen, wie es war. In Realität war es einfach miserabel und menschenverachtend. Wie konnten sich da Arbeitsethos und Verantwortung entwickeln?
Und doch gab es sie, die unzähligen Helden der Arbeit, welche mit grösstem persönlichem Engagement marode Betriebe aufrechterhalten konnten. Ich hatte unmittelbar nach der Wende, als dies überhaupt erst möglich war, Fabriken besucht und immer wieder gestaunt, mit wie viel Fantasie und Engagement die Menschen arbeiteten, überbrückten, abdichteten, schweissten, was weiss ich. Anders hätte in all den Anlagen nichts mehr funktioniert: Kein Zucker in der Zuckerfabrik, keine Traktoren, keine Wärme in den durch Fernheizungen bedienten Wohnungen. Die Liste könnte lang sein. Kleine Beispiele rumänischer Arbeitsqualität trotz allem habe ich selbst immer wieder erlebt: Ich hatte 1984 dem Stadtpfarrer von Târgu Mureş 10 000 Dollar übergeben, um die dringendst notwendigen Reparaturen im Eingangsbereich der reformierten Stadtkirche |38| zu finanzieren. 1985 wollte ich das Resultat dieser Unterstützung an einem Samstagabend fotografieren, aber meine Kamera funktionierte trotz aller Bemühungen nicht. Der begleitende Pfarrer erinnerte sich an einen Bekannten, der einen Sachsen kannte, der die Verbindung zu einem Namensvetter Franz herstellte. Doch, er könne Kameras meist flicken, komme sie holen, und als Bezahlung würde er sich über etwas Kaffee freuen. Am nächsten Tag stand er nach dem Gottesdienst mit der Kamera da, sie funktioniere wieder, meinte er bescheiden, und vielen Dank für den Kaffee, ein Kilo, damals für ihn fast ein Vermögen. Zuhause schickte ich die Kamera der offiziellen Firmenvertretung ein, sie kam ein paar Wochen später zurück, die Reparatur sei bestens gemacht, zwar nicht mit dem originalen Plastikteil, sondern einem zurechtgefeilten Aluwürfelchen, das würde aber auf alle Zeiten halten. Wer singt das hohe Lied der rumänischen Arbeiterin, des rumänischen Arbeiters trotz allem? Ich denke an Pfarrkolleginnen und -kollegen, die nolens volens praktische Fähigkeiten haben erlernen müssen. Nicht nur das Anpflanzen von Paprika und Tomaten oder das Schlachten der Schweine, sondern weit mehr: Unter ihnen gab es Baufachleute, Organisationstalente, Pfarrer, die ganze Orgeln reparieren konnten, wenn wir ihnen nur die notwendigen Ersatzteilchen gebracht hatten. So viel Begabungen!
Arbeit, Effizienz und Würde
1983 hatten wir das kleine Dorf Comandău/Komandó, weit abgelegen und hoch in den Wäldern der Südkarpaten, besucht. Das Dorf und mithin die riesigen umliegenden Wälder wurden noch unter österreichischer Herrschaft mit einer Schmalspurbahn erschlossen, damit das geschlagene Holz verwertet werden konnte. Unser Besuch verlief unspektakulär, ein Gang durchs Dorf, der riesigen Sägerei entlang, welche das Holz verarbeitete, zum kleinen Kirchlein und zurück in den tristen Plattenbau, in welchem die jungen Pfarrersleute mit ihren Kleinkindern wohnten. Unterwegs las die Frau ein paar liegengebliebene Holzstücke ein, zum Einfeuern, wie sie sagte, denn obwohl sie eigentlich durch eine Grossheizung aus dem Sägewerk bedient würden, sei das nötig, die Warmwasserleitungen seien verstopft, um nicht zu frieren, müssten sie mit dem Holzherd die Wohnung notdürftig heizen; aber das Holz brenne schlecht, alles grünes Zeug, was den beissenden Geruch, der an diesem Tag über dem Dorf hing, erklärte.
Fast acht Jahre später, im Rahmen der gemeinsamen Mission der Schweizer Hilfswerke im Januar 1990, besuchte ich das Dorf Komandó wieder, bei starkem Frost, aber mit gleicher Luft, welche Augen und Lunge zu verbrennen schien. Diesmal durften wir das Gelände der Sägerei betrete. Vor uns lagen die grossen Gebäude und die Kamine, hinter uns explodierte und zischte es. In einem Feld |39| wurde von Zeit zu Zeit eine Fontäne aus Dampf und Dreck explosionsartig in den Himmel geschleudert. Die Fernheizung sei noch wie vor Jahren, sagte die Pfarrfrau, sie funktioniere meist nicht, aber es würde Tag und Nacht im Mehrschichtbetrieb eingeheizt, wie im Plan vorgesehen. Der Dampf entweiche mal hier, mal dort. Das sei so, seit vor Jahren die Heizung mit einem kleinen Kraftwerk kombiniert worden sei. Auch dieses funktioniere nicht, weil eine entscheidende Welle für die Dampfturbine auf dem Weg nach Komandó verloren gegangen sei, gestohlen wohl. Jahraus und jahrein wurde hier ein Kraftwerk und eine Fernheizung befeuert, weitgehend sinnlos, aber halt vom Plan gefordert.
Während ich noch darüber nachdachte, wie mit Menschen, die in einer solchen Wirtschaft arbeiteten, die jahrelang eine völlig sinnlose Arbeit ausgeführt hatten, wohl eine Zukunft aufgebaut werden könnte, trafen wir auf eine Gruppe Arbeiterinnen, schlecht gekleidet, mit Gummistiefeln und ohne Handschuhe in der klirrenden Kälte vor drei mit ihren fleckigen Krawatten und speckigen Anzügen fast ebenso schäbig gekleideten Herren. Es sei Teilstreik, wurde uns gesagt. Die Arbeiterinnen verlasen einen handgeschriebenen Katalog mit Forderungen: Anständige Kleider und Schuhe, genügend Lohn, Ferien und Arbeitspausen, Sicherheitsstandards und endlich die Reparatur von Kraftwerk und Fernheizung. Der Direktor und seine zwei Begleiter wirkten in ihrer Hilflosigkeit eingeschüchtert und traurig, wussten sie doch nur zu gut, dass dies alles eine Art Potemkinsches Dorf war, Sägerei, Kraftwerk, selbst die dünnen Anzüge der Direktoren. Das einzig funktionierende Gebäude im ganzen Hochtal war das Jagdhaus, von dem aus Nicolae Ceauşescu auf die Pirsch gezogen war. Die Dinge hatten sich radikal verändert, der Diktator lebte nicht mehr, das Direktorium der Sägerei war ein verängstigtes Häufchen und die Arbeiterinnen, bezeichnenderweise alles Frauen, waren voller Stolz und Würde trotz lumpigen Kleidern und ungenügendem Schuhwerk – unsere Revolution, signalisierten sie. Ich weiss nicht, wie die Geschichte des Sägewerks weitergegangen ist, ich erinnere mich aber, dass mir diese Arbeiterinnen Mut gemacht hatten, es lohnte und lohnt sich.