Kitabı oku: «Internationales Strafrecht», sayfa 16

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2. Vergleichsverhandlungen (friendly settlement, Art. 39 Abs. 1 EMRK)

a) Beendigung des Verfahrens aufgrund einer gütlichen Einigung

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Sobald eine Beschwerde für zulässig erklärt worden ist, bemüht sich der Gerichtshof, anstelle einer streitigen Entscheidung eine gütliche Einigung auf der Grundlage der Achtung der in der Konvention anerkannten Menschenrechte zu erreichen. Zu diesem Zweck nimmt der Kanzler – nach den Weisungen der zuständigen Kammer oder ihres Präsidenten – Kontakt mit den Parteien auf. Die Kammer selbst trifft alle geeigneten Maßnahmen, um eine solche Einigung zu erleichtern (Rule 62 Abs. 1).[64] Ob eine gütliche Einigung im Einzelfall als geeignetes Mittel zur Verfahrensbeendigung erscheint, erfordert eine umfassende Abwägung; hier sollte sich der Bf. bzw. dessen Vertreter zunächst vor allem vergegenwärtigen, welches Ziel mit der Beschwerde verfolgt wird.[65]

366

Obwohl Rule 62 Abs. 1 die Aufnahme von Vergleichsverhandlungen (friendly-settlement negotiations) zwischen den Verfahrensbeteiligten in Hinblick auf eine Erledigung der Beschwerde scheinbar auf den Zeitraum nach der Zulässigkeitsentscheidung des Gerichtshofs beschränkt, können die Verfahrensbeteiligten bereits in dem diesem Zeitpunkt vorgelagerten Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung ausloten, müssen hierzu allerdings selbst die Initiative ergreifen (Art. 39 Abs. 1 EMRK). Die Einschaltung des Gerichtshofs zur Anbahnung dieser Verhandlungen ist ebenfalls möglich. Insbesondere können die Parteien die Kanzlei bzw. die mit der Rechtssache (voraussichtlich) befasste Kammer um die Unterbreitung eines Vorschlags für eine gütliche Einigung bitten.[66]

367

Inhalt einer gütlichen Einigung kann auf staatlicher Seite ein ausdrückliches Anerkenntnis und Bedauern des eingetretenen Konventionsverstoßes (statement of regret), eine freiwillige Geldzahlung (ex gratia payment) und/oder das Versprechen sein, zukünftigen Konventionsverstößen vorzubeugen (undertaking to adopt appropriate/necessary measures). Daneben sind noch andere Inhalte einer solchen Einigung denkbar, einen festen Katalog möglicher Absprachen gibt es nicht. Es ist daher die Aufgabe des Verteidigers, konkrete Vorschläge zu unterbreiten, die für seinen Mandanten von Vorteil sind.[67] Eine Verpflichtung, das Verfahren nicht weiter zu betreiben, muss der Bf. nicht unbedingt eingehen, da der Gerichtshof den Fall ohnehin aus seinem Register streicht, wenn er der Meinung ist, dass die Einigung gütlich erfolgt ist (Art. 39 Abs. 3 EMRK; Rule 62 Abs. 3 i.V.m. Rule 43 Abs. 3).

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Um den Einigungsprozess nicht durch äußeren Druck zu gefährden, sind die im Hinblick auf eine gütliche Einigung geführten Verhandlungen vertraulich und erfolgen unbeschadet der von den Parteien im streitigen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen. Die Vergleichsverhandlungen werden auch nach Abschluss des Verfahrens der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht, ebensowenig wie die gegenüber der Gegenseite abgegebenen Erklärungen (Art. 39 Abs. 2 EMRK; Rule 62 Abs. 2 Satz 2, Rule 33 Abs. 1).

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Das gilt prinzipiell auch im späteren Verfahren, falls die Verhandlungen scheitern. Im Rahmen der Vergleichsverhandlungen geäußerte schriftliche oder mündliche Mitteilungen, Angebote oder Eingeständnisse dürfen weder im Schriftwechsel mit der Kanzlei noch im Rahmen des streitigen Verfahrens erwähnt oder geltend gemacht werden (Rule 62 Abs. 2 Satz 2, § 17 PD-W[68]).[69] Nicht ausgeschlossen ist aber, dass der betroffene Vertragsstaat – außerhalb der Vergleichsverhandlungen – eine „einseitige Erklärung“ abgibt, in der er den Konventionsverstoß anerkennt, eine seiner Ansicht nach angemessene Kompensation anbietet, um eine Streichung der Beschwerde nach Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK zu erreichen (vgl. Rn. 376) und dabei auch über das Scheitern der Vergleichsverhandlungen „referiert“ (unilateral declaration, vgl. Rn. 378).[70]

370

Ob ein Verstoß gegen die Vertraulichkeit vorliegt, hängt nicht davon ab, wie viele Einzelheiten aus den Verhandlungen zur friedlichen Streitbeilegung Dritten bekannt gegeben werden; ein derartiger (vorsätzlicher) Verstoß kann dazu führen, dass die Beschwerde als missbräuchlich eingestuft wird.[71]

371

Wenn zwischen dem in seinen Rechten verletzten Bf. und der verantwortlichen Vertragspartei eine Einigung erzielt worden ist, prüft der Gerichtshof (lediglich noch), ob ihr Inhalt als gütlich (friendly) eingestuft werden kann. Eine Fortsetzung der Prüfung der Beschwerde erfolgt jedoch dann, wenn die Achtung der Menschenrechte dies erfordert (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EMRK), d.h. der Gerichtshof kann einen Fall, der für die Achtung der Menschenrechte wichtige Fragen grundlegender Natur betrifft (serious issues of general nature) auch gegen den Willen des Bf. weiterverfolgen, selbst wenn dieser oder sein Vertreter von einer staatlichen Wiedergutmachung und damit einem Wegfall der Opfereigenschaft durch eine gütliche Einigung ausgehen.

372

Liegt eine gütliche Einigung nach Ansicht des Gerichtshof vor und erfordern die Menschenrechte keine weitere Prüfung der Beschwerde, so kann der Gerichtshof durch Beschluss[72] entscheiden, die Rechtssache aus dem Register zu streichen (Art. 39 Abs. 4 EMRK; Rules 43 Abs. 3, 62 Abs. 3). Der Zulässigkeit einer erneuten Individualbeschwerde in derselben Sache steht dann Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK entgegen.[73]

373

Dieses Urteil kann auch eine Kostenentscheidung enthalten (award of costs), die vom Gerichtshof nach billigem Ermessen getroffen wird (Rule 43 Abs. 4). Die allgemeinen Grundsätze für die Erstattung von Kosten nach Rule 43 Abs. 4 sind wesentlich dieselben wie die nach Art. 41 EMRK. Kosten werden nur insoweit erstattet, als sie sich auf die behaupteten Verletzungen beziehen.[74] Soweit die Verteilung der entstandenen Kosten nicht bereits ein Element der zwischen den Parteien getroffenen Einigung ist, sollte der Bf. einen Antrag auf Festsetzung einer Kostenerstattung durch die beklagte Vertragspartei stellen.

374

Erst durch die Entscheidung des Gerichtshofs, die Beschwerde aus dem Register zu streichen, wird das Verfahren der Individualbeschwerde beendet. Hält sich jedoch der Vertragsstaat nicht an den Inhalt der getroffenen Einigung, deren Überwachung dem Ministerkomitee des Europarates obliegt (Art. 39 Abs. 4 EMRK; Rule 43 Abs. 3 Satz 2), kann der Gerichtshof die Wiedereintragung der Beschwerde ins Register beschließen (Art. 37 Abs. 2 EMRK; Rule 43 Abs. 5).

375

Zur Durchsetzung des Vergleichs, insbesondere der zugesagten Zahlungen vor nationalen Gerichten, siehe Rn. 381.

b) Gescheiterter Vergleich und einseitige Erklärungen (unilateral declarations)

376

Kommt zwischen den Parteien keine gütliche Einigung zustande („gescheiterter Vergleich“), so kann der Gerichtshof gleichwohl den Vorschlag des Vertragsstaats aufgreifen, den Rechtsstreit für erledigt i.S.v. Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK zu erklären, von einer weiteren Prüfung der Beschwerde absehen und deren Streichung im Register anordnen – auch dann, wenn der Bf. die Fortsetzung der Prüfung wünscht (Rule 62A Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 3).[75] Voraussetzung ist, dass der Vertragsstaat den geltend gemachten Konventionsverstoß anerkannt hat, zudem muss er ein angemessenes Vergleichsangebot unterbreitet und ggf. erklärt haben, die erforderlichen Maßnahmen zur Wiedergutmachung zu ergreifen (sog. unilateral declaration), vgl. Rule 62A Abs. 1 lit. b. Die Abgabe einer solchen einseitigen Erklärung unterliegt (anders als eine gütliche Einigung) nicht der Vertraulichkeit (Rule 62A Abs. 1 lit. c).

377

Bei der Überprüfung der Angemessenheit des (staatlichen) „Einigungs-/Vergleichsangebots“ berücksichtigt der Gerichtshof die Kriterien, die er zu der betreffenden Frage in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Die Streichung der Beschwerde aus dem Register kommt nur in Betracht, wenn die Umstände des Falles sowie eine eindeutige (und umfangreiche) Rechtsprechung zu den speziell aufgeworfenen Fragen eine weitere Prüfung der Begründetheit der Beschwerde nicht (mehr) erfordern.[76]

378

Beschließt der Gerichtshof aufgrund eines „gescheiterten Vergleichs“ die Streichung der Beschwerde aus dem Register, so stellt sich die Frage, ob der Vertragsstaat an sein bzw. das vom Gerichtshof übernommene und zugesagte Vergleichsangebot gebunden ist. Eine Überprüfung durch das Ministerkomitee erscheint regelmäßig nicht möglich, da die Streichung in der Regel in der Form einer Entscheidung ergeht, die dem Ministerkomitee grundsätzlich nicht weitergeleitet wird; eine Sonderregel wie für den Vergleich (Art. 39 Abs. 4 EMRK), wonach das Ministerkomitee ausnahmsweise auch die Durchführung des Vergleichs überwachen soll, fehlt zudem (vgl. Rn. 355, 372). Der Bf. kann aber, wenn ein einseitiges Angebot nicht in dem zugesagten Umfang erfüllt wird, beantragen, dass der Gerichtshof die Beschwerde wieder in sein Register aufnimmt (Art. 37 Abs. 2 EMRK).[77] Eine Regelung, die dem Ministerkomitee die Überwachung der Umsetzungen einseitiger Erklärungen ermöglicht, ist im Gespräch.[78]

379

Die Streichung der Beschwerde aus dem Register nach Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK nimmt dem Bf. nicht das Recht, weitergehende mit dem Konventionsverstoß verbundene oder sich später erst realisierende Rechtsverletzungen geltend zu machen (wichtig etwa bei der Verfahrensverzögerung in einem anschließenden Stadium, das nicht Gegenstand der Beschwerde war).

c) Gütliche Einigung nach Feststellung der Konventionsverletzung (Follow-up Friendly Settlements)

380

Eine gütliche Einigung ist auch dann noch möglich, wenn eine Verletzung durch den Gerichtshof bereits festgestellt wurde, wenn nämlich die Kosten und die Höhe der Entschädigung nicht im selben Urteil festgesetzt werden konnten. In diesem Fall wird die Beschwerde in Form eines Urteils aus dem Register gestrichen (Rule 75 Abs. 4).

d) Durchsetzung der Zusagen einer gütlichen Einigung/einseitigen Erklärung

381

Zahlt der Vertragsstaat die zugesagte Summe nicht, so kann nicht unmittelbar aus der Entscheidung des EGMR über die Streichung aus dem Register, in dem die Einigung enthalten ist, vollstreckt werden; sie stellt keinen Titel dar. Aus einer Entscheidung folgt zudem keine völkerrechtliche Pflicht, diese zu befolgen, anders als beim Urteil (siehe dazu noch Rn. 463 ff.). Der Bf. kann aber einen Amtshaftungsanspruch anhängig machen (siehe dazu Rn. 520). Es bleibt dem Bf. nur die Möglichkeit, die Wiedereintragung in das Register zu beantragen; dasselbe gilt für die Nichterfüllung von Zusagen im Rahmen einer einseitigen Erklärung.

3. Gewährung einer Verfahrenshilfe

382

Für die anwaltliche Beratung vor bzw. bei der Erhebung einer Individualbeschwerde zum EGMR ist die Gewährung einer Verfahrenshilfe (VH) im deutschen Recht nicht vorgesehen. Auch der Gerichtshof selbst wird in diesem vorprozessualen Stadium keine finanzielle Unterstützung (legal aid) bewilligen.[79] Der Präsident der mit der Beschwerde befassten Kammer kann dem Bf. auf dessen Antrag oder von Amts wegen eine finanzielle Unterstützung (VH) erst bewilligen,


sobald die Beschwerde dem Vertragsstaat zur Stellungnahme weitergeleitet worden ist (Rule 54 Abs. 2 lit. b) und dieser sich zur Zulässigkeit geäußert oder die ihm zur Stellungnahme gesetzte Frist hat verstreichen lassen,
die Bewilligung dieser Hilfe für die ordnungsgemäße Prüfung der Rechtssache vor der Kammer notwendig ist und
der Bf. nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um die anfallenden Kosten ganz oder teilweise zu begleichen (Rules 100 ff.).

383

Zur Feststellung seiner Mittellosigkeit wird der Bf. aufgefordert, ein ihm bei der Kanzlei anzuforderndes Erklärungsformular (form of declaration) auszufüllen, aus dem sein Einkommen, sein Kapitalvermögen und seine finanziellen Verpflichtungen hervorgehen, insbesondere solche gegenüber Unterhaltsberechtigten (Rule 102 Abs. 1 Satz 1).

384

Diese Erklärung und die in ihr enthaltenen Vermögenspositionen sollten von der oder den jeweils zuständigen nationalen Stellen bestätigt sein (Rule 102 Abs. 1 Satz 2).[80] Zu dieser Erklärung des Bf. kann der betroffene Vertragsstaat Stellung nehmen (Rule 102 Abs. 2). Erst dann trifft der Kammerpräsident eine Entscheidung über die Gewährung der VH (Rule 102 Abs. 3 Satz 1).

385

Die VH umfasst die Honorare[81] für einen oder mehrere Verfahrensbevollmächtigte nach Rule 36 Abs. 4[82], die Fahrt- und Aufenthaltskosten sowie andere notwendige Auslagen, die dem Bf. oder der zu seinem Vertreter bestellten Person entstehen (Rule 103). Derzeit besteht die durch den Gerichtshof gewährte Verfahrenshilfe aus einer Pauschale in Höhe von 850 € für das gesamte schriftliche Verfahren nach der Zustellung.[83]

386

Die Bewilligung der VH für das Verfahren vor der Kammer gilt auch im Verfahren vor der Großen Kammer, wenn die Voraussetzungen ihrer Bewilligung auch zu diesem Zeitpunkt noch vorliegen. Die VH wird aus dem Budget des Gerichtshofs finanziert (siehe Art. 50 EMRK) und an den Bf. ausgezahlt. Eine Auszahlung direkt an den Verteidiger ist ebenfalls möglich (vgl. Rule 103 Abs. 1).

387

Das am 25.4.2013 in Kraft getretene EGMRKHG[84] enthält Regelungen für die Gewährung einer Verfahrenshilfe für Drittbetroffene, im Strafrecht also in erster Linie für Personen, die dem nationalen Strafverfahren als Nebenkläger beigetreten waren, im Übrigen vor allem für die sog. „multipolaren Grundrechtsverhältnisse“ (BVerfG), etwa in Verfahren der Presseberichterstattung.

388

Vor dem Inkrafttreten des EGMRKHG hing eine Drittbeteiligung weitgehend von der finanziellen Leistungsfähigkeit der betreffenden Person ab; die Neuregelung bezweckt daher, dass diese Schutzlücke geschlossen wird. Der Drittbetroffene erhält nunmehr Kostenhilfe aus der Bundeskasse; die Höhe der erstattungsfähigen Kosten richtet sich nach der EGMR-KEV.[85] Nach § 1 Abs. 2 EGMRKHG richtet sich das Bewilligungsverfahren nach den dort aufgeführten Regelungen der ZPO zur Gewährung von Prozesskostenhilfe, wobei das Bundesamt für Justiz an die Stelle des Prozessgerichts tritt.

389

Statthafter Rechtsbehelf gegen die Kostenhilfeentscheidung ist die sofortige Beschwerde, die gemäß § 4 Abs. 1 EGMRKHG binnen einer einmonatigen Notfrist einzulegen ist. Sofern das Bundesamt für Justiz der Beschwerde nicht abhilft, entscheidet das LG Bonn als (derzeit) zuständiges Gericht über die Beschwerde (vgl. § 4 Abs. 2 EGMRKHG).

4. Anordnung der obligatorischen Vertretung

390

Ist der betroffenen Vertragspartei die Beschwerde zugestellt worden (notification/communication of the application; Rule 54 Abs. 2 lit. b), wird der Kammerpräsident regelmäßig die obligatorische Vertretung des Bf. anordnen (Rule 36 Abs. 2). Der Bf. muss aber spätestens in der mündlichen Verhandlung vertreten sein (Rule 36 Abs. 3). Ihm kann jedoch ausnahmsweise gestattet werden, seine Interessen selbst zu vertreten,[86] falls erforderlich mit Unterstützung eines Rechtsbeistands oder einer anderen für die Vertretung fachlich geeigneten Person (Rule 36 Abs. 3).

391

Der Verfahrensbevollmächtigte bzw. Vertreter des Bf. muss ab dem vom Kammerpräsidenten bestimmten Zeitpunkt ein in einem Vertragsstaat der EMRK zugelassener Rechtsbeistand sein, der über einen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates der EMRK verfügt (Rule 36 Abs. 4 lit. a). In Deutschland zählen dazu auf dem Gebiet des Strafrechts neben Rechtsanwälten auch Rechtslehrer an Hochschulen, letztere auch nach ihrer Emeritierung (§ 138 Abs. 1 StPO).[87] In Deutschland wohnhafte Bf. können sich ebenso durch einen in einem anderen europäischen Vertragsstaat nieder- und (berufsmäßig) zugelassenen Rechtsbeistand vertreten lassen. Dessen Zulassungs- und Wohnsitzstaat müssen nicht identisch sein.

392

Neben Rechtsanwälten und sonstigen nach dem Recht eines Vertragsstaates als Rechtsbeistand zugelassenen Personen kann der Kammerpräsident im späteren Verfahren auch andere Personen als Rechtsbeistand zulassen[88] (Rule 36 Abs. 4 lit. a, z.B. Lehrbeauftragte).[89] Praktisch kommen aber als obligatorische Vertreter nur Rechtsanwälte oder Personen mit vergleichbaren Rechts- und Verfahrenskenntnissen in Betracht, die eine Amtssprache des Gerichtshofs mindestens passiv beherrschen. Letzteres gilt auch für den Bf., der seine Interessen selbst vertreten will. Der Kammerpräsident kann jedoch den Gebrauch einer anderen Sprache genehmigen (Rule 36 Abs. 5 lit. b; 34 Abs. 3).

393

Der Ausschluss eines Verfahrensbevollmächtigten wegen fachlicher oder sprachlicher Mängel oder seinem Auftreten vor Gericht ist nur unter außergewöhnlichen Umständen zulässig (Rule 36 Abs. 4 lit. b). Als weiterer Grund für den Ausschluss eines Rechtsbeistands kommt die Abgabe unangemessener Erklärungen (inappropriate submissions) durch diesen in Betracht (Rule 44D). Gemeint sind ausfallende (abusive), unseriöse (frivolous), lästige (vexatious), irreführende (misleading) oder ausschweifende (prolix) Erklärungen. Nur wenn das konkrete (Fehl-)Verhalten des Rechtsbeistands es rechtfertigt, kann der Kammerpräsident (zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens) bestimmen, dass dieser den Bf. nicht mehr vertreten oder unterstützen darf. In diesem Fall muss sich der Bf. einen anderen Vertreter suchen (Rule 36 Abs. 4 lit. b), es sei denn ihm wird die Vertretung in eigener Person gestattet (s.o.).

394

Weigert sich der Bf., entgegen der Anordnung des Kammerpräsidenten einen Rechtsbeistand zu benennen, so kann der Gerichtshof die Beschwerde aus dem Register streichen (Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK).[90]

5. Schriftliches Verfahren – Vorbereitung der mündlichen Verhandlung

395

Üblicherweise findet vor dem EGMR nur ein schriftliches Verfahren statt, in dessen Verlauf sich die Parteien mit Schriftsätzen innerhalb bestimmter Fristen zur Sache äußern können (zu den Fristen siehe schon oben Rn. 288 ff). Nach Zulassung der Beschwerde kann die Kammer


die Parteien auffordern, weitere Beweismittel vorzulegen und schriftliche Stellungnahmen abzugeben (Rule 59 Abs. 1).

396

Ab diesem Zeitpunkt können die Verfahrensbeteiligten auch von sich aus (weitere) Erklärungen zur Begründetheit der Beschwerde bzw. Stellungnahmen zu Einlassungen der Gegenseite abgeben (Rule 59 Abs. 2).

397

Für die Behandlung und Prüfung der Beschwerde gilt grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz. Nach der Registrierung der Beschwerde betreibt der Gerichtshof das Verfahren also von Amts wegen und ist an Erklärungen, Anträge oder Anregungen der Beteiligten nicht gebunden. Der beklagte Vertragsstaat hat die Pflicht, die Durchführung der Ermittlungen zu erleichtern und zu fördern (duty to cooperate; Art. 38 EMRK; Rule 44A), insbesondere wenn sie auf seinem Territorium stattfinden (Rule A2 Abs. 2; bei Zeugenvernehmung durch eine Delegation: Rule A5 Abs. 4 u. 5). Eine mangelhafte Kooperation bedeutet zwar nicht automatisch eine Verletzung des Bf. in dem gerügten Recht aus dem Ersten Abschnitt der EMRK, wohl aber einen eigenständigen Konventionsverstoß, den der Gerichtshof auch ausdrücklich im Urteil feststellen kann.[92] In einigen Fällen hat der Gerichtshof außerdem aus einer mangelhaften staatlichen Kooperation Rückschlüsse auf Tatsachen für das Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung gezogen.[93] Schon aus diesem Grund sollte auf eine Weigerung des betroffenen Vertragsstaates zur Vorlage in seinem Besitz befindlicher Dokumente etc. ausdrücklich hingewiesen werden.

398

Andererseits trifft auch den Bf. eine Pflicht, die Behandlung der Beschwerde durch den Gerichtshof effektiv zu fördern (Rule 44A). So kann die Kammer aus der Nichtvorlage von Beweismitteln oder sonstigem entscheidungserheblichem Material negative Schlüsse ziehen (Rule 44C Abs. 1).

399

Die allgemeinen formalen Anforderungen an schriftliche Erklärungen gegenüber dem Gerichtshof (PD-W) gelten auch für solche Schriftsätze, die bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingehen, nachdem dieser die Beschwerde für zulässig erklärt hat (Rn. 303). Siehe insoweit bereits Rn. 279 ff.

400

Bevor die Beschwerde dem betreffenden Vertragsstaat mitgeteilt worden ist (Rule 54 Abs. 2 lit. b), muss der Bf. nicht notwendig die Amtssprachen (Englisch, Französisch) benutzen. Vielmehr kann er auch in einer der Amtssprachen eines Vertragsstaats kommunizieren (Rule 34 Abs. 1).

401

Nachdem die Beschwerde dem betreffenden Vertragsstaat mitgeteilt worden ist, muss die Kommunikation mit dem Gerichtshof allerdings grundsätzlich in einer seiner beiden Amtssprachen geführt werden (Rule 34 Abs. 2). Das gilt insbesondere für Schriftsätze in Vorbereitung der späteren mündlichen Verhandlung. Der Kammerpräsident kann jedoch ausnahmsweise den weiteren Gebrauch der in der Beschwerdeschrift verwendeten (oder einer anderen) Sprache gestatten (Rule 34 Abs. 3 lit. a), wenn es sich dabei um die Sprache eines Vertragsstaates handelt. Für die notwendige Übersetzung von Schriftsätzen und mündlichen Erklärungen sorgt dann die Kanzlei. Der Gebrauch einer anderen Sprache kann davon abhängig gemacht werden, dass der Bf. (teilweise) die für die Übersetzung anfallenden Kosten trägt (Rule 34 Abs. 3 lit. b, c). Diesbezüglich sollte eine frühzeitige Absprache mit dem Kammerpräsidenten erfolgen.

402

Die Kommunikation des Gerichtshofs mit dem Vertragsstaat und Drittbeteiligten sowie die Einreichung von Schriftsätzen von Vertragsparteien oder Drittbeteiligten erfolgen grundsätzlich in einer der beiden Amtssprachen des Gerichtshofs (Rule 34 Abs. 4 lit. a). Der Kammerpräsident kann allerdings auch hier den Gebrauch einer anderen Sprache genehmigen. In diesem Fall muss die Vertragspartei für die Übersetzung ihrer schriftlichen Stellungnahmen in die englische oder französische Sprache sorgen bzw. – soweit die Übersetzungen durch die Kanzlei veranlasst werden – die hierfür anfallenden Kosten tragen. Gleiches gilt für die Übersetzung der Erklärungen in der mündlichen Verhandlung (Rule 34 Abs. 4 lit. b). Dasselbe gilt für Drittbeteiligte.

403

Der Bf. hat demzufolge keinen Anspruch darauf, dass der beklagte Vertragsstaat seine Stellungnahmen und Erklärungen in einer seiner Amtssprachen, geschweige denn in der vom Bf. in der Beschwerdeschrift gewählten Sprache abgibt. Selbst der Gerichtshof kann die beklagte Vertragspartei lediglich bitten (invite), eine Übersetzung ihrer schriftlichen Stellungnahmen in einer ihrer Amtssprachen vorzulegen, um dem Bf. das Verständnis dieser Stellungnahmen zu erleichtern (Rule 34 Abs. 5). Einfordern kann der Bf. – gegenüber dem Gerichtshof, der sich dann an den Staatenvertreter wendet – allerdings nur die Übersetzung sämtlicher (mündlicher und schriftlicher) Erklärungen des Vertragsstaates ins Englische oder Französische.[94] Selbst auf die Festlegung einer der beiden Amtssprachen für die Kommunikation mit dem Gerichtshof hat der Bf. keinen Anspruch. Falls er nur in einer der beiden Amtssprachen über ausreichende Kenntnisse verfügt, so sollte der Bf. dies gegenüber der Kanzlei anzeigen, die diesem Umstand nach Möglichkeit Rechnung tragen wird.