Kitabı oku: «Seewölfe Paket 35», sayfa 19
Es war, als mische sich feiner gelber Schlamm in das Dunkelblau oder Schwarz des Wassers und bleibe in großen Wirbeln achteraus zurück. Aber in der Dunkelheit konnte Hasard nicht sicher sein, daß er das gesehen hatte, was er zu sehen geglaubt hatte.
Al Conroy hatte vier Culverinen schußfertig. Er hantierte mit Richtscheit und Keilen und überprüfte immer wieder die Verzurrung der langläufigen Geschütze. Vorläufig sah es so aus, als wäre die Schebecke auf der Flucht, und so war es wohl auch.
Hasard ließ seine Augen eine Weile über die Wuhling an Deck gleiten und wandte sich, dann an seinen Ersten.
„Die Wachen sind eingeteilt, Ben?“ fragte er.
Der Erste nickte und gab mit säuerlicher Miene die Antwort: „Natürlich. Bis zum letzten Mann. Wie immer, Sir.“
„Dann werde ich jetzt das überzählige Volk unter Deck scheuchen müssen.“
Hasard hob die Hände an den Mund und rief: „Jeder, der an Deck nichts mehr zu suchen hat, verholt sich in die Koje, klar? Bei Tageslicht müßt ihr sowieso wieder antreten. Ruht euch aus, Freunde. Wir wissen nicht, wann die Dons und die Portus gleichauf sind. Es wird ein harter Tag. Also nehmt eine Mütze voll Schlaf.“
Ein Chor aus rauhen Stimmen, zum größten Teil voller Erleichterung, antwortete ihm.
„Aye, aye, Sir!“
Hasard ließ die Schultern nach vorn sinken. Bis jetzt hatte ihn die Anspannung im Griff gehabt und festgehalten. Jetzt schienen sie in Sicherheit zu sein. Jedenfalls mehr als in den vielen schlimmen Stunden des vergangenen Tages. Daß sich die meisten Teile der Schanzladung in den Laderäumen und den Kapitänskammern der Karavelle und der Galeone befanden, war eine ganz andere Sache. Er verlor etwas von seinem wachsamen Mißtrauen und hatte plötzlich das Bedürfnis, sich entweder zu betrinken oder vierundzwanzig Stunden lang zu schlafen. Beides durfte er nicht.
Er winkte Sven Nyberg zu und bat: „Holst du mir einen Schluck Rum, Sven? Für die Crew auch eine Runde. Wir haben uns wieder mal freigepullt, wie?“
„Sofort, Sir“, erwiderte Sven und enterte den Niedergang ab. „Und wann zeigen wir’s den verdammten Dons und Portus?“
„Kommt Zeit, kommt Rache“, brummte der Seewolf und setzte sich endlich auf einen seiner Lieblingsplätze, nämlich auf die oberste Stufe des Niederganges zum Achterdeck.
Die Seewölfe an den Riemen pullten mittlerweile langsamer und weniger kraftvoll. Die Schebecke schob sich durch die Wellen und lief fast genau Südkurs. Nach und nach verholten sich die Seewölfe, die Freiwache hatten, unter Deck und versuchten zu schlafen. Der Kutscher, nicht weniger müde als die meisten, teilte eine Runde guten Rum aus und fragte sich schweigend, wann diese Nacht der Unordnung und Wuhling endlich ihr Ende haben würde.
Und vor allem: welches Ende?
Ben Brighton zuckte wieder mal hilflos mit den Schultern. Er wäre froh, wenn sie wieder weit draußen auf hoher See wären, mit gutem Wind, gleichgültig aus welchem Sektor. Aber es gab keinen Wind, der in der Lage gewesen wäre, die Segel zu füllen und ihnen ein sicheres Manövrieren zu garantieren. Vielleicht am Tag, vielleicht ein paar Stunden nach Sonnenaufgang, wenn der Monsun wieder einsetzte.
Er wunderte sich, daß ganz plötzlich sein Schweiß zu trocknen schien. War es seiner Müdigkeit zuzuschreiben, daß er plötzlich am ganzen Körper Kälte spürte?
Er hob den Kopf und sah das Tuch über sich flattern. Einige Herzschläge später begannen die Segel leise zu knattern.
„Wind!“ murmelte er.
Er phantasierte nicht, denn Dan rief von der Kuhl: „He! Da kommt Wind auf!“
Die Schebecke war nach Süden getrieben und gepullt worden. Jetzt packte sie, von Steuerbord voraus, der erste Vorbote des Südwestmonsuns. Die Rahruten begannen leise zu knarren, die Segel fingen Wind.
Hasard war aufgesprungen und rief: „An die Schoten! Wir brauchen die Riemen nicht mehr!“
Es dauerte eine Weile, bis die Riemen eingezogen und längs des Schanzkleides verzurrt waren. Die Segelwache eilte zum Großmast und schwenkte die Rah an den Wind. Die Schebecke begann zu gieren und zu stampfen, und endlich entfaltete sich das große Dreieckssegel mit einem gedämpften Knall. Die Schebecke holte weit nach Backbord über und vergrößerte dann ihre Geschwindigkeit.
Es war fast wie ein scharfer Ruck, der durch das Schiff ging, als es wieder dem Ruder gehorchte.
„Gut so“, sagte Hasard grimmig. „Mister Brighton: wir nehmen wieder Kurs auf Mannar.“
„Aye, aye, Sir“, entgegnete der Erste und gab seine Kommandos.
Die Schebecke empfing den Wind von Steuerbord voraus, fiel nach Osten ab und gewann Geschwindigkeit. In einer weiten Halse ging das Schiff stampfend und gierend auf Nordost- und dann zurück auf Nordkurs. Der Bug wies nach einiger Zeit wieder auf die Einfahrt der Bucht.
Die Einfahrt der Bucht war allerdings nur zu ahnen. Sämtliche Landmarken waren unsichtbar, es gab keine Feuer und keine Lichter.
„Verdammt!“ schrie der Rudergänger. „Wir müssen bis zum Morgengrauen warten, Sir!“
„Wennschon“, erwiderte der Seewolf, der deutlich merkte, wie nicht nur seine Laune wechselte. „Das müssen uns die Portus und Dons erst mal nachmachen.“
Auch wenn die Schebecke mit achterlichem, nicht gerade starkem Wind nach Norden lief, segelte sie über unreinem Grund. Jeden Augenblick konnten sie wieder auf eine Untiefe geraten. Sie befanden sich geschätzte zwei Seemeilen von der Mannar-Bucht entfernt und rückten dem Schauplatz des nächtlichen Kampfes langsam wieder näher.
„Sir“, bemerkte Dan nach einer Weile, „diese Segelei vor Mannar ist mehr als gefährlich.“
Nordkurs lag an. In wenigen Minuten würden sie wieder auf die Untiefen vor der ceylonesischen Küste geraten.
„Weiß ich.“ Der Seewolf nickte und sah vor sich nicht mehr als jeder andere, nämlich eine Küstenlinie in tiefem Schwarz vor dem weniger dunklen Himmel. Die Einfahrt der Bucht war nicht klar zu erkennen. „Wir gehen gleich nach Nordwesten.“
„Verstanden. Und dann?“ fragte der Erste.
„Und dann“, Hasard zog die Schultern hoch und sah vor sich die Seewölfe an Brassen und Schoten arbeiten, „kreuzen wir vor der Bucht auf und zeigen den spanischen und portugiesischen Freunden, daß wir ihnen die Beute nicht gönnen.“
„Das wird sie freuen“, bemerkte Ben Brighton. „Denkst du auch daran, daß sogar ein Bordartilleriekünstler wie unser Meister Conroy in der Dunkelheit der Nacht nicht gut zielen und noch weniger gut treffen kann?“
Hasard hieb ihm auf die Schulter.
„Ich denke daran, Ben“, sagte er entschlossen. „In diesem Fall werden wir vor der Bucht solange auf und ab segeln, warten oder meinetwegen vor Anker liegen, bis unser Meister etwas sieht.“
„Höre ich gern“, bemerkte der Erste, noch immer mißtrauisch, was die Pläne des Kapitäns betraf. „Bis zum Morgengrauen ist noch etwas Zeit.“
„Sie sind nicht vorbereitet“, sagte Hasard. „Wir können sie aus einem Dutzend Culverinen mit einer feurigen Morgengabe bedenken.“
„Ich bedenke“, erwiderte Ben, noch immer nicht überzeugt, „daß sie den größten Teil des Goldes in ihren Laderäumen haben, Sir.“
„Stimmt. Wir holen uns das Gold“, knurrte der Seewolf.
Der Wind frischte in einzelnen Böen auf. Mit den Wellen lief die Schebecke auf Mannar zu, segelte nach Nordwesten, dann wieder nach Südosten, einmal nach Nordosten und wieder südwärts. Die Seewölfe zitterten förmlich, aber noch immer brummten sie nicht auf. Vielleicht gab es nur die sprichwörtlichen paar Handbreiten Wasser unter dem Kiel, aber das Schiff lief nicht auf, schrammte nicht durch den Grund und segelte frei.
Die Atemzüge addierten sich zu Minuten, die Minuten zu halben Stunden, und endlich verblichen die Sterne. Längst war der Mond hinter der Kimm, hinter Dunstschleiern an Land oder fernen, unsichtbaren Bergen versunken. Schwach leuchteten die breiten Spuren der Heckwelle, und grau in grau zeichneten sich allmählich die Umrisse des Landes ab.
„Alles bereit, Mister Conroy?“ rief der Seewolf, den Geschmack des letzten Schluckes Rum noch auf der Zunge.
„Feuerbereit, Sir“, antwortete Al Conroy mit einer Stimme, die ebenso von der Müdigkeit gezeichnet war wie seine Bewegungen.
Ben Brighton rechnete, verglich und schätzte ab. Er würde versuchen, die Schebecke mit der Steuerbordbreitseite, kurz bevor sie nach Nordwesten abdrehen mußten, dicht vor der Bucht vorbeisegeln zu lassen. Dann konnte Al Conroy, wenn es sein mußte, alle sechs Culverinen abfeuern.
Die letzten Sterne waren verschwunden.
Über dem Wasser und über der Insel breiteten sich verschiedene Abstufungen von Grau und Schwarz aus. Vage und schemenhaft zeichneten sich Hügel und die Wipfel des Waldes ab. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob das, was man sah, auch wirklich war.
Dunkelblau, an der Grenze zur reinen Schwärze, so breitete sich die See um das Schiff aus, nur unterbrochen von den winzigen Schaumkronen der Wellen. Wenn es noch Fackeln oder Lichter im Bereich des Hafens gab, so verschmolzen die winzigen Lichter mit dem fahlen Grau des frühen Tages, der bevorstehenden Morgendämmerung.
Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen, bis die Schebecke vor der Einfahrt der Bucht wieder auf den anderen Bug ging. Sie legte nach Steuerbord über, und der Stückmeister und seine Helfer mußten die Richtkeile weiter hineintreiben.
Dan O’Flynn, der vor Müdigkeit blinzelte, hielt es auf dem Achterdeck nicht mehr aus und enterte auf die Kuhl ab. Er blieb neben dem Stückmeister stehen, sah eine Weile dessen Hantierungen zu und entdeckte über dem Schanzkleid, nicht sehr deutlich, die vertraute Kulisse, die sie einen Tag lang vor sich gehabt hatte, ohne sich bewegen zu können.
„Viel Zeit bleibt dir nicht, Al“, sagte er und wunderte sich, daß die Galeone und auch die Karavelle noch immer an den Plätzen lagen, die sie tagsüber eingenommen hatten. „Ein guter Schuß oder zwei, dann müssen wir nach Nordwesten abdrehen.“
Al Conroy schwenkte seinen Luntenstab und entgegnete ärgerlich: „Störe mich nicht, Mister O’Flynn. Ich weiß selbst, was ich zu tun habe.“
„Verzeihung“, murmelte Dan und trat zwei Schritte zurück. „Ich wollte dich nicht stören.“
Der Stückmeister visierte, verglich die Neigung des Rohres mit der Kimm, schloß die Augen und schien schweigend zu rechnen. Als der Bug der Schebecke schließlich auf die qualmenden Reste des Steges wies, stellte er sich hinter die erste Culverine und blies auf die Lunte.
„Vielleicht treffe ich sogar“, sagte er wie zu sich selbst und berührte mit der Lunte das Pulver im Zündloch.
Er sprang zurück.
Dan hielt sich am Dollbord des Beibootes fest, riß den Mund auf und steckte sich schließlich den Finger der rechten Hand ins Ohr.
Das Geschütz wurde nach hinten getrieben. Donner und Feuerzunge aus der Mündung dröhnten und blitzten. Grauweißer Pulverdampf wolkte in die Höhe. Das Vollgeschoß heulte durch den Dunst über dem Wasser und verschwand aus den Blicken der Crew.
Alle starrten hinüber zum Land. Die Kugel schlug ein, traf die Karavelle und legte den Großmast um. Laufendes sowie stehendes Gut und Segel brachen über dem Deck zusammen. Die Schebecke drehte ab, es war keine Gelegenheit für einen zweiten Schuß. Erst in dreißig Minuten würde es richtig hell werden, dann ging der Kampf weiter.
Während die Schebecke nach Nordwesten über die Untiefen gesteuert wurde und sich der stechende Pulverdampf über dem Deck des Schiffes verzog, blickten Hasard und Ben Brighton durch die Spektive auf das Chaos, das sich an Deck der Karavelle ausbreitete.
Es schien, als hätte der erste Biß der Seewölfe eine Wunde gerissen, von der sich die Gegner nicht so schnell erholen würden.
Aber noch hatte der neue Tag nicht angefangen.
Noch herrschte das Zwielicht vor der Morgendämmerung …
ENDE

1.
Sie waren Geusen, Wassergeusen, die gegen die politische und religiöse Gewaltherrschaft der Spanier Kaperkrieg führten, genauer gegen den Beauftragten Seiner Allerkatholischsten Majestät, Herzog Alba. Sie führten den Befreiungskrieg der Niederlande, und sie führten ihn für sich allein immer noch weiter, obwohl Fernando Alvarez de Toledo schon lange nicht mehr lebte. Sie kämpften ganz einfach gegen die Spanier, ähnlich wie der Seewolf Philip Hasard Killigrew.
Diese Ecke erkundeten sie, um sich nach einer holländischen Niederlassung in Indien umzusehen und das Vorfeld zu sondieren.
Der Bootsmann, Pit de Haas, ein breitschultriger blonder Hüne, zeigte nach einer Weile wieder in die Richtung, wo kurz ein Feuerschein aufflackerte. Sie hatten dieses merkwürdige Feuer schon in der Dämmerung gesehen. Mal Rauch, mal Feuer, dann wieder dunkler Rauch.
De Haas klatschte sich auf die Wange, wo sich ein Moskito niedergelassen hatte. Er hatte schon etliche kleine Beulen im Gesicht und am Oberkörper.
„Da ist es wieder“, sagte er. „Immer kurz bevor es auszugehen scheint, flackert es wieder auf.“
Das Feuer veränderte sich abermals. Eine pechschwarze Wolke, einem Riesenpilz ähnlich, stieg zum Himmel auf und wälzte sich einem schwach sichtbaren Hügel entgegen. De Haas war sich nicht ganz sicher, aber es konnten Teile einer Tempelanlage sein, die er zu erkennen glaubte. Auch ein größerer Baum war zu sehen.
Eine weitere halbe Stunde lang stieg Rauch zum Himmel. Es war das letzte Mal.
Der Rauch wurde schwächer und war schließlich nur noch als dünnes qualmendes Wölkchen zu sehen, bis auch das allmählich verblaßte.
Inzwischen war es Nacht geworden. Am Himmel standen ein paar Sterne, aber die Nacht brachte keine Abkühlung. Es war immer noch drückend heiß und schwül, und überall schwirrten Stechfliegen herum. Es waren lästige und blutsaugende Plagegeister, die erst dann Ruhe gaben, wenn man sie totschlug.
Die Holländer hatten mit steigender Neugier den Rauchsignalen zugesehen, aber das Rätsel vermochte sie nicht zu lösen.
Der Bestmann Frans Kuiper wandte den Blick ab. Seine Augen tränten bereits vom angestrengten Hinsehen, und immer wenn er etwas zu erkennen glaubte, verwischte alles in den Konturen und wurde unscharf.
„Weiß der Teufel, was das ist“, sagte er achselzuckend. „Ich werde ebenfalls nicht schlau daraus. War es nun ein Signal, oder hat da jemand nur ein einfaches Lagerfeuer entzündet?“
Dem Kapitän ließen die rätselhaften Zeichen auch keine Ruhe mehr. Jetzt, da sie erloschen waren, wurde alles nur noch geheimnisvoller. Irgendwo im Dunkel der Nacht schien sich jemand zu verbergen, dessen war er ganz sicher. Die Unbekannten konnten sich aus irgendeinem Grund der Fleute nicht nähern, aber van der Koop glaubte zu wissen, daß die Signale ihnen galten und der Unbekannte den Niederländern etwas mitteilen wollte.
Van der Koop war nicht der Mann, der Entscheidungen lange hinauszögerte. Er zog den geraden und direkten Weg vor, und jetzt war er der langen Grübelei überdrüssig geworden.
Sein hartes Gesicht straffte sich. In die bläulichen Augen trat ein unternehmungslustiges Glitzern.
„Genug gerätselt, verdomme“, sagte er, eins seiner Lieblingsworte gebrauchend. „Wir sehen uns das mal aus der Nähe an. Von hier aus kann man ja so gut wie nichts erkennen. Frans wird mich begleiten. Die anderen bleiben an Bord und halten die Ohren in den Wind. Falls es irgendwelchen Ärger geben sollte, Bootsmann, dann weißt du, was du zu tun hast.“
„Soll ich nicht lieber an deiner Stelle gehen?“ fragte der breitschultrige blonde Bootsmann. Er hätte genau so gut in den Wind reden können.
„Beim nächsten Mal“, versprach van der Koop. „Sauft mir inzwischen nicht den Genever weg, sonst gibt’s Ärger.“
Die anderen blickten ihn nur schweigend an. Keiner sagte was, denn jedes Wort war überflüssig. Sie waren eine gut eingespielte Mannschaft, und sie kannten ihren Kapitän, der ein hervorragender Seemann und ein harter, unbeugsamer Mann war. Ihm etwas ausreden zu wollen, war absolut unmöglich.
Der Bestmann und van der Koop verließen die Fleute und wateten ein paar Schritte bis zum nahen Ufer.
Das Schiff lag unglückseligerweise etwas auf dem Schlick, doch die Flut würde es in etwa zwei Stunden wieder anheben. Sie waren ganz sanft auf diese Bank im Wasser hinaufgerutscht.
Darum sorgte sich jedoch keiner. Ein Angriff von See her war nicht zu befürchten, außerdem hatten die Wassergeusen starke Zähne zum Zubeißen.
Van der Koop fluchte verhalten, als er bis an die Knie in matschigem Dreck versank, kaum, daß sie das Ufer erreichten. Der Bestmann watete ebenfalls in modrigen Untergrund.
Mühsam zogen sie ihre Beine aus dem Modder, doch nach ein paar weiteren Schritten wurde der Boden etwas fester. Tiefer unter ihnen aber befand sich Sumpf oder Moor, denn immer wieder gluckerte es, stiegen Blasen in die Höhe, die mit schmatzendem Geräusch zerplatzten.
Bis der Boden ganz fest war, hatte Mijnheer van der Koop schon mindestens zehnmal sein „Godverdomme“ geflucht.
Die Hitze stand wie eine Mauer um sie her. Myriaden kleiner und unsichtbarer Plagegeister umschwirrten sie unaufhörlich. Die Luft war ein Miasma aus süßlichem Geruch, Sumpfgasen und Morast, das sich beklemmend auf die Lungen legte. Mitunter hatten sie das Gefühl, elend ersticken zu müssen.
Sie kämpften sich mühsam in die Richtung vorwärts, wo sie Feuer und Rauch gesehen hatten. Über ihnen spannte sich ein schwarzblauer Himmel mit funkelnden Sternen und einem sichelförmigen Mond. Über der See war alles pechschwarz und von absoluter Finsternis. Selbst die Fleute war kaum noch zu erkennen.
Aber den Rauch rochen sie. Kein Windhauch hatte ihn vertrieben, und so war die stickige Luft zusätzlich noch mit diesem Rauch gesättigt.
„Dort vorn links muß es sein“, flüsterte der Bestmann Frans Kuiper. Er wies in die betreffende Richtung, wo in der Luft ein heller, dünner Faden fast unbeweglich stand.
Sie marschierten durch ein brachliegendes Reisfeld. Unter ihren Füßen begann es wieder zu gluckern. Der Schwarm der Moskitos wurde noch dichter und hing wie eine Wolke um ihre Köpfe.
In weiter Ferne waren kleine Hütten zu erkennen, aber niemand zeigte sich. Alles schien verlassen und wie ausgestorben zu sein.
„Wie tot“, sagte der Bestmann leise und sah sich unbehaglich um. „Das sieht hier aus wie in einer Geisterwelt.“
„Mit Geistern, die Feuer entzünden und Rauchsignale geben“, brummte van der Koop. „Oder glaubst du, die haben nur ein paar Fische über offenem Feuer gebraten?“
„Wahrscheinlich nicht. Aber das werden wir ja gleich sehen. Es ist nicht mehr weit.“
Kurze Zeit später standen sie an einer Stelle, wo der Boden noch qualmte und fast heiß war. Ein paar winzige Äste gaben noch etwas Glut ab, es roch nach versengtem Gras und fauligen Blättern. Trotz der Dunkelheit war die Feuerstelle gut zu erkennen.
Van der Koop untersuchte sehr sorgfältig den Boden nach Spuren. Nach einer Weile richtete er sich auf.
„Da sind Abdrücke von Schuhwerk zu erkennen“, sagte er. „Wahrscheinlich Stiefel, wenn ich mich nicht irre. Ich glaube aber kaum, daß diese armen Schlucker teures Schuhwerk tragen. Hier latscht jeder mit den Dingern herum, die ihm der große Kapitän gegeben hat.“
Auch der Bestmann richtete sich auf, nachdem er den Boden einer genauen Musterung unterzogen hatte.
„Das war keine Feuerstelle, um etwas zu braten oder zu rösten, Willem. Das Feuer ist einzig aus dem Grund entzündet worden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Will sagen, da hat jemand ein Signal gegeben. Ob das wohl für uns bestimmt war?“
„Vielleicht als Warnung. Ich weiß es nicht. Aber wir werden versuchen, den Spuren nachzugehen.“
Ihre Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und so fiel es ihnen nicht sonderlich schwer, der Spur zu folgen. Mittlerweile hatten sie auch schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt, als van der Koop plötzlich stehenblieb.
Er zeigte mit der ausgestreckten Hand in nordwestliche Richtung.
„Ein kleiner Hafen“, raunte er.
Im Schutz hoher Büsche und einiger Palmen schlichen sie vorsichtig weiter.
Nach einer Weile war der Hafen einwandfrei zu erkennen.
Van der Koop blickte aus schmalen Augen überrascht auf die Szene, die sich seinen Blicken bot.
„Ich dachte, wir seien hier allein“, sagte er. „Das ist ja eine gelungene Überraschung. Siehst du auch, was ich sehe, oder bilde ich mir das nur ein?“
„Drei Schiffe“, zählte der Bestmann auf. „Und, der Teufel soll mich holen, das eine ist doch ein verdammter Spanier.“
„Ganz recht, eine Galeone und damit zweifellos ein Spanier. Das andere scheint eine portugiesische Karavelle zu sein. Auch das ist seltsam genug in dieser gottverlassenen Ecke.“
„Der dritte Kahn ist noch seltsamer“, sagte der Bestmann. „Der paßt hierher wie eine Faust aufs Auge. Irgendwo habe ich so ein Schiff schon mal gesehen, aber wo?“
„Im Mittelmeer“, sagte van der Koop mit einem kleinen Grinsen. „Da gibt es sie öfter als einem lieb sein kann. Der Kahn ist eine Schebecke, wie sie von Piraten benutzt wird. Schnell, elegant, sehr seetüchtig und außerdem gut armiert. Das erstaunt mich wirklich, daß sie hier so friedlich nebeneinander liegen. Piraten, Spanier, Portugiesen, und das alles hier in dieser abgeschiedenen Ecke.“ Ihre Verblüffung war echt, als sie die drei Schiffe erneut einer Musterung unterzogen.
„Und doch stimmt hier etwas nicht“, sagte der Bestmann. „Das friedliche Bild trügt. Ich habe das Gefühl, als würden sich alle gegenseitig belauern oder zumindest gegeneinander etwas aushecken.“
„Da kannst du recht haben, Frans. Mir fällt auch auf, daß da einiges nicht stimmt, aber ich bin mir nicht sicher, was es ist. Vielleicht die Kerle, die da so unauffällig an der Pier lauern. Sehen wie Inder aus.“
Der Bestmann erkannte ebenfalls etliche Gestalten, aber die schienen sich nicht sonderlich um die drei Schiffe zu kümmern. Ihre Absichten waren nicht klar erkennbar. Es konnte sein, daß sie die Schiffe bewachten, es konnte sich aber auch um eine regelrechte Belagerung handeln.
„Ob heimlich einer von denen das Feuer entzündet hat?“ fragte er.
Die Antwort war ein Schulterzucken des Kapitäns. Er wußte es nicht. Sie fanden auch keine weiteren Spuren mehr, die ihnen Aufschluß geben konnten, denn der Boden war mittlerweile hart geworden, und so verlor sich jeder Abdruck.
Sie rätselten eine Weile herum, doch sie vermochten das Rätsel nicht zu lösen. Aus dem Verhalten der seltsamen Kerle wurden sie ebenfalls nicht schlau.
Es passierte auch nichts. Alles blieb still und ruhig. Doch van der Koop hatte das Gefühl, als veränderte sich der Liegeplatz der Schebecke allmählich. Er schrieb es seinen überanstrengten Augen zu, die er ständig zusammenkniff, um besser sehen zu können.
„Ist dir sonst noch was aufgefallen?“ fragte er den Bestmann. Er fragte es möglichst harmlos und hoffte, daß auch dem Bestmann die kleine Veränderung nicht entgangen war.
Aber Frans Kuiper räusperte sich nur leise. Er hatte früher mal behauptet, ständig das Gefühl zu haben, von einer Ente beobachtet zu werden. Seitdem hatten sie ihn dauernd gehänselt, weil diese Vorstellung, die er sich selbst nicht erklären konnte, einfach absurd und idiotisch war. Aber diese Ente, die ihn ständig beobachtete, geisterte sogar durch seine Träume, und er wurde das Vieh nicht mehr los.
Sogar jetzt beschlich es ihn wieder, obwohl es hier in der Nähe ganz sicher keine Ente gab. Und selbst wenn, dann würde sie ihn, den Bestmann Frans Kuiper, sicher nicht beobachten.
Quatsch war das, und doch hatte er jetzt etwas gesehen, das ebenfalls nicht ins nächtliche Bild paßte.
Die Schebecke bewegte sich so unmerklich, als würde sie von Geisterhänden getrieben. Es geschah ganz langsam, doch sie hatte in der Zeit schon eine kleine Strecke zurückgelegt, obwohl kein Mann an Deck zu sehen war, kein Segel gesetzt war und es keine Strömung gab. Wenn er das jetzt dem Kapitän verklarte, würde der ganz sicher fragen, ob nicht zufällig auch eine Ente in der Nähe sei.
„Godverdomme, ich habe dich was gefragt, Frans!“
Der Bestmann entschloß sich jetzt doch, zu antworten.
„Eigentlich nicht“, sagte er langsam. „Mir tränen die Augen vom vielen Starren, und da habe ich das Gefühl, als bewege sich die Schebecke langsam weiter.“
„Dann stimmt es also“, murmelte van der Koop nachdenklich. „Aber wer oder was bewegt diesen Piratenkahn? Er wird doch nicht etwa von einer Ente gezogen?“
Frans Kuiper schluckte hart und stieß eine leise Verwünschung aus.
„Das mit der verdammten Ente mußte ja folgen“, sagte er gallig. „Konnte ja nicht ausbleiben. Wir sollten hier verschwinden, Willem, und uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Was gehen uns diese Schiffe an?“
„Spanier gehen uns immer was an, und da drüben liegt ein Spanier. Vielleicht können wir ihn ein bißchen rupfen, sobald er ausläuft. Jedenfalls werden wir uns auf die Lauer legen.“
Inzwischen war die Schebecke wieder ein kleines Stück in Richtung Hafenausfahrt gedriftet.
„Irgend etwas geht hier vor“, sagte der Kapitän leise. „Aber was nur? Will da einer vor dem anderen flüchten, oder planen die Kerle einen heimlichen Überfall?“
Einmal wurden ein paar Männer aufmerksam und spähten in ihre Richtung. Daß die Schebecke noch weiter driftete, schienen sie nicht zu bemerken oder nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Sie warteten noch eine halbe Stunde und beobachteten. Doch alles blieb auffallend ruhig, und die Aufmerksamkeit der Männer war wieder erloschen.
Van der Koop entschloß sich zum Rückzug. Es hatte keinen Zweck, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen. Bei Tageslicht sah alles ganz anders aus. Da waren Einzelheiten zu erkennen, die bei Nacht nur Kopfzerbrechen bereiteten.
„Gehen wir“, sagte er knapp. „Bei Tagesanbruch sieht alles anders aus.“
Auf fast der gleichen Strecke kehrten sie langsam wieder zurück. Hin und wieder blieben sie stehen, um einen Blick zurückzuwerfen.
Mittlerweile war eine Wolkenbank herangezogen, die den Himmel teilweise verfinsterte und die Vorgänge im Hafen noch mehr ihren Blicken entzog. Nur vereinzelte Sterne und der schmale Rand der Mondsichel waren jetzt noch zu sehen.
Van der Koop blickte aufmerksam zu der Schebecke, doch er sah nur einen verwaschenen Schemen weiter draußen und war sich nicht sicher, ob es das Piratenschiff war. Die Masten hoben sich kaum noch gegen den nächtlichen Himmel ab. Wenn sie es aber war, dann befand sie sich mittlerweile schon außerhalb des Hafens.
Die beiden anderen, Spanier und Portugiesen, waren noch einigermaßen deutlich zu erkennen.
Nach und nach entschwand alles ihren Blicken und wurde gegenstandslos.
Später sahen sie auch die Mastspitzen ihrer Fleute in der Bucht. Sie war gut versteckt und man sah sie erst, wenn man ganz in der Nähe war.
Da riß hinter ihnen plötzlich der nächtliche Himmel auf.
Van der Koop und Kuiper blieben wie erstarrt stehen und drehten langsam die Köpfe.
Wie aus dem nichts entstand im Hafen ein Feuerball, lautlos und von erschreckend greller Farbe, der die ganze Umgebung in blutrotes Licht tauchte. Das Feuer entstand an mehreren Stellen gleichzeitig und loderte wild zum Himmel, der jetzt ebenfalls blutrot erstrahlte.
Erst jetzt hörten sie den entsetzlichen Krach, den der Feuerball herübertrug. Es war eine dumpfe Explosion, der mehrere laute Detonationen folgten.
„Godverdomme!“ sagte der Holländer überrascht. Sein Gesicht war vom Widerschein des Feuers hellrot angestrahlt, und auch der Bestmann sah aus, als sei er mit Blut übergossen worden.
Der Holzsteg war zu sehen, wie er lichterloh brannte. Schwarz hoben sich die Konturen der beiden Schiffe ab.
An Land flackerte es an vereinzelten Stellen auf, und jetzt stieg aus dem Feuer auch dunkler Qualm zum Himmel, anfangs wie ein dicker Pilz, dann einer Wolke ähnelnd.
Eine weitere Explosion ließ auch die Schebecke sichtbar werden wie ein Geisterschiff, das sich weiter draußen im Nichts verlor.
Eine Stichflamme schoß in die Höhe, die Bretter, Holzstücke, Dreck und Splitter mit sich nach oben riß. Das alles wirbelte in einem rötlichen Regen wild durcheinander und senkte sich dann langsam nieder. Gleichzeitig wurde auch der Rauch dichter.
Schreie waren zu hören, ängstliches Gebrüll und hysterisches Kreischen. Männer rannten durcheinander, einige wurden von dem Druck der Explosion wie Puppen durch die Luft geschleudert. Sie landeten im Wasser des Hafens und brüllten laut ihre Angst hinaus.
„Die Schebecke!“ stieß der Bestmann hervor. „Die Piraten haben das alles angezettelt, und jetzt verschwinden sie.“
Van der Koop sah schattenhafte Gestalten an Bord der Schebecke. Stehend pullten sie das Schiff in die auf dem Meer liegende Schwärze. Ein paarmal zuckten von der Schebecke rötliche Blitze auf.
„Das sind Teufelskerle“, sagte er anerkennend. „Auch wenn es zehnmal Piraten sind, aber sie haben uns schon einen Teil der Arbeit abgenommen. Die Dons scheinen in arger Bedrängnis zu sein.“
Seinen Worten folgte ein heiseres Lachen. Er sah es nur zu gern, wenn die Dons eins auf den Schädel kriegten. Am liebsten hätte er in diesem undurchschaubaren Spiel kräftig mitgemischt.
An Deck der beiden Schiffe war jetzt ebenfalls die Hölle los. Ein paar dunkle Gestalten stürzten sich in ihrer Angst über Bord und ins Wasser. Andere hasteten auf den Schiffen ziellos hin und her und wußten nicht, was sie tun sollten.
„Die geben es denen aber richtig“, meinte Kuiper. „Das scheinen eisenharte Burschen zu sein. Aber warum nur? Sie lagen doch vorhin noch fast friedlich nebeneinander?“
„Mancher Friede trügt eben“, sagte der Kapitän mit einem Grinsen.
Auf den Spanier griff anscheinend Feuer über. Ein Funkenregen senkte sich über die Galeone, und an vereinzelten Stellen flackerten winzige Lichter auf. Der Portugiese blieb davon ebenfalls nicht verschont.
Mit allen Mitteln versuchten sie den Funkenflug zu löschen. Ketten wurden gebildet, Wasser geputzt, und nach einer Weile hatten sie das ausbrechende Feuer auf beiden Schiffen wieder unter Kontrolle.