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Kitabı oku: «Wachtmeister Studer», sayfa 7

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»Ja, ja, die Sonja«, er nickte. »Ein gutes Meitschi!«

— Der Aeschbacher müsse das ja besser wissen als andere, meinte Ellenberger leise, dann ließ er wieder ein dröhnendes Lachen hören, das so gar nicht zu seinem mageren Körper paßte…

In der Tür, die vom Haus in den Garten führte, erschien die Wirtin, sah sich suchend um, entdeckte den Tisch der drei und kam auf ihn zu.

»Herr Gemeindepräsident«, sagte sie mit der Stimme des jodelnden Gritli Wenger, »Ihr werdet am Telephon verlangt.

So, sagte Aeschbacher. Vielleicht erhalte er Nachricht von seinem verschwundenen Auto.

Studer wurde aufmerksam.

— Wann denn das Auto fortgekommen sei? erkundigte er sich. — Gestern abend, war die Antwort. Er habe es hier vor dem ›Bären‹ stehen lassen, aber wie er dann um Mitternacht habe heimwollen, sei es fortgewesen. Er habe vergessen, es abzuschließen.

Studer fluchte innerlich. Nicht einmal auf den Murmann war Verlaß. Warum hatte der Landjäger ihm das nicht erzählt?

— Er komme gleich wieder zurück, sagte Aeschbacher und ging mit der Wirtin. Seinen dicken Bauch trug er vor sich her wie ein Hausierer das Brett, auf dem er seine Waren ausgelegt hat.

Der alte Ellenberger war plötzlich wieder der sehr vornehme Freund des Residenten, er redete sein gepflegtes Französisch und gab Studer zu verstehen, er müsse sich vor dem Gemeindepräsidenten in acht nehmen.

Studer erwiderte, er habe gemeint, der Aeschbacher sei dümmer als ein zweitägiges Kalb?

Das sei nur eine Redensart gewesen, meinte Ellenberger und ließ die Karten in einer Kaskade auf den Tisch sprühen. Er sei nicht dumm, der Aeschbacher, oh nein… Es würde ihn, Ellenberger, gar nicht wundern, wenn auch der Diebstahl des Autos nichts weiter sei als ein Trick. Da kam aber der Gemeindepräsident schon zurück. Ein unangenehm höhnisches Lächeln zog seinen Katerschnurrbart schief.

»In Thun haben sie den Mann erwischt«, sagte er. »Ich muß es holen gehen. Aber Ihr sollt ans Telephon kommen, Wachtmeister, der Untersuchungsrichter will mit Euch reden…«

»Heut? Am Sonntag?«

»Ja… Dann könnt Ihr heut abend nach Bern zurückfahren. Der Fall ist erledigt…«

»Hä?« sagte der alte Ellenberger.

Aber Aeschbacher drückte seinen breitrandigen Filzhut auf den Kopf, grüßte: »Lebet wohl!« und verließ den Garten.

Der Untersuchungsrichter war wirklich am Telephon.

Seine ersten Worte waren:

»Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister…«

»Gestanden?« brüllte Studer ins Telephon. Er begann richtig wild zu werden. Es kam auch wirklich zu viel zusammen: Der Traum der vorigen Nacht, der Revolver, die leeren Hülsen in der Vase auf dem Klavier, das Angebot des Gemeindepräsidenten, die Spannung zwischen Ellenberger und Aeschbacher, Sonja Witschi, besonders die Sonja, die mit dem Coiffeurlehrling tanzte — und dann, vor allem, die Antwort des Landjägers Murmann auf die Frage, ob er den Schlumpf für schuldig halte: ›Chabis‹, hatte der Murmann gesagt… und nun flötete der Untersuchungsrichter ins Telephon:

»Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister…«

»Wann?« fragte Studer böse zurück.

»Heute nach dem Mittagessen, um halb eins, wenn Sie die genaue Zeit interessiert…« Auch noch Ironie! Das war zuviel für den Wachtmeister Studer!

»Gut«, er sprach ganz leise. Ich werde morgen früh nach Thun kommen, Herr Untersuchungsrichter.«

»Halten Sie das für opportun?« fragte die Stimme.

Das Wort ›opportun‹ schlug dem Faß den Boden aus. Konnte der Mann nicht deutsch sprechen? Konnte er nicht sagen, wenigstens, ob man es für ›gegeben erachte‹? Nein, ausgerechnet ›opportun‹!

»Ja«, krächzte Studer, »sogar für notwendig!«

Räuspern am andern Ende des Drahtes.

»Ich meinte nur«, sagte der Untersuchungsrichter versöhnlich. »Nämlich, ich habe auch mit dem Herrn Staatsanwalt gesprochen und der meinte auch, eine weitere Untersuchung des Falles erübrige sich. Wir wollten Ihre Abberufung veranlassen…«

Weiter kam der Untersuchungsrichter nicht.

»Bitte«, Studer sprach sein schönstes Hochdeutsch. »Das können Sie ruhig tun. Ich würde Ihnen aber dennoch raten, sich in der Fachliteratur über Geständnisse zu orientieren. Es gibt nämlich diverse Geständnisse… Übrigens können Sie mich abberufen lassen, wenn es Ihnen Freude macht. Ich habe nämlich daran gedacht, Ferien zu nehmen. Und Gerzenstein gefällt mir ausnehmend. Die Luft ist so gesund… Vielleicht laß ich meine Frau nachkommen. Wann haben Sie den Autodieb erwischt?«

»Hämhäm«, sagte der Untersuchungsrichter. »Den Autodieb? Heut morgen hat ihn ein Polizist angehalten. Ein Vorbestrafter…«

»Hat er mit Schlumpf gesprochen?«

»Ja… doch… ich glaube. Wir haben ihn in die gleiche Zelle gelegt…«

»Was Sie nicht sagen! Also auf Wiedersehen, Herr Untersuchungsrichter! Auf morgen! Ich bringe vielleicht noch einen wichtigen Zeugen mit…« Und Studer hängte den Hörer in die Gabel.

Es tanzte niemand mehr. Die Tische waren alle besetzt. Die Kellnerin lief mit Tellern herum, auf denen schlanke Emmentaler-, feiste, fettropfende Kümmelwürste oder mattschimmernde Cervelats lagen. Vielbegehrt waren die Gläser mit dem hellgelben Senf. Wein erschien auf den Tischen, Flaschenwein. Armin Witschi hatte eine Flasche Neuenburger bestellt. Sonja nippte nur an ihrem Glas. Sie sah verschüchtert und ängstlich aus.

Die drei Mann der ›Convict Band‹ in ihren scharfgelben Uniformen — und aus den kurzen Ärmeln kamen die Arme hervor, sehnig und braun — auch die Gesichter waren braun gegerbt — saßen um einen Tisch, den man ganz nahe an des alten Ellenbergers Tisch gerückt hatte. Aber Ellenberger thronte allein und steif auf seinem Platz — vor den Burschen standen zwei Flaschen Wein und eine große Platte Schinken.

Studer schritt durch die Reihen der Vespernden, flüchtig bemerkte er, daß Armin Witschi ein höhnisches Lächeln aufgesetzt hatte — Sonja hatte die Wange gegen ihren Handrücken gelegt und starte ins Leere, ihr Glas war noch voll, unberührt lag die saftschwitzende Kümmiwurst auf ihrem Teller.

Und der Wachtmeister nahm wieder neben dem alten Ellenberger Platz. ›The Convict Band‹ trank einmütig dem Wachtmeister zu. Ein leeres Glas stand plötzlich vor ihm — da erhob sich der Schreier, hielt die Flasche in der Hand und füllte das Glas…

»In fünf Minuten vor der Post, Wachtmeister«, flüsterte der Bursche. »Ich muß Euch etwas zeigen…«

Studer schielte auf Ellenberger, der nichts gehört zu haben schien, nickte Schreier unmerklich zu — was hatte das wieder zu bedeuten? Was wußte der Bursche? — stieß mit den dreien an, dem Buchegger, einem hagern Menschen mit einem unregelmäßigen Gesicht und schaufelförmigen Zähnen, dem Bertel, dessen Familienname er vergessen hatte, aber an den er sich dunkel erinnerte — hatte er den Burschen auch einmal geschnappt? Jetzt spielte er Baßgeige und hatte sich rangiert, scheinbar…

Laut sagte der Wachtmeister:

»Ich trinke auf das Wohl der Musik!« und leerte sein Glas. Ein dummes Sprichwort fiel ihm ein: »Wein auf Bier, das rat ich dir, Bier auf Wein, das lasse sein…« Er wurde die Worte nicht los, sagte sie laut, pflichtschuldigst lachten die drei, aber als das Lachen verklungen war, verkündigte Studer leise:

»Der Schlumpf hat gestanden!«

Es war merkwürdig, die Reaktion der vier am Tisch zu beobachten. Der alte Ellenberger räusperte sich und sagte ebenso leise:

»Vous n‘y comprendrez jamais rien, commissaire…« (er werde nie etwas von der Sache verstehen…)

Der Bertel fuhr auf er sah aus wie ein schlaues Äffchen — und schmetterte einen Fluch hervor, in dem viel vom Heiland und von Millionen Sternen die Rede war.

Buchegger, der magere Bär, sagte nur ein Wort:

»Idiot!«

Schreier aber fuhr sich durch das lange schwarze Haar, wandte das Gesicht ein wenig zur Seite, so daß die drei, die am andern Tisch, in etwa zwei Meter Entfernung, saßen, es deutlich verstehen mußten:

»So, so, hat der Schlumpfli gestanden!« und deutete dem Wachtmeister mit einem leisen Ruck des Kopfes an, er möge die Sonja, ihren Bruder und den Coiffeurlehrling beobachten.

Und wirklich war die Wirkung auf diesen Tisch noch merkwürdiger.

Sonja fuhr zusammen, ihre Hand ballte sich zur Faust, sie setzte sich gerade und starrte ihren Bruder haßerfüllt an. Sie fragte ihn leise etwas. Armin zuckte mit den Schultern. Der Coiffeurgehilfe Gerber war blaß geworden, seine ohnehin käsige Gesichtsfarbe wurde grünlich, er tätschelte beruhigend Sonjas Arm, so, als wolle er andeuten, das Meitschi möge sich nicht aufregen, wenn der Schlumpf verloren sei, so sei er immerhin noch da… Dann wurde Sonjas Ausdruck ängstlich, sie wollte aufstehen, ihr Bruder und Gerber zogen sie auf den Stuhl zurück, drückten ihr das Glas in die Hand. Sonja trank. Sie zog ihr Schnupftuch aus der Handtasche, wischte sich die Augen, blickte in Studers Richtung — ihre Blicke begegneten sich, Studer hob leicht die Hand in einer beschwichtigenden Gebärde — da lächelte Sonja plötzlich voll Vertrauen, und Studer wußte, daß er auf die Hilfe des Mädchens irgend einmal würde zählen können.

»Ich werd‘ wahrscheinlich den Schlumpf fallen lassen…«, sagte Studer laut, stand auf, grüßte in der Runde und verließ mit großen Schritten den Garten.

Nach fünf Minuten holte ihn Schreier ein. Er hatte seine Uniform abgelegt und trug einen einfachen Anzug.

Witschis Schießstand

Ich kenn‘ den Schlumpf gut«, sagte Schreier und paßte seinen Schritt dem des Wachtmeisters an. »Und ich hab‘ ihm von Anfang an gesagt, wie er zum Ellenberger gekommen ist: ›Paß auf‹, hab‘ ich ihm gesagt, ›nur keine Weibergeschichten, das kommt immer schlecht heraus. Eine Kellnerin, das macht nichts. Aber nur kein Meitschi vom Dorf.‹ Hab‘ ich nicht recht, Wachtmeister?«

Studer brummte, seufzte. Die Vorbestraften hatten es nicht leicht, wenn sie wieder draußen Arbeit gefunden hatten. Es brauchte sie nur einer wieder zu erkennen, ihnen »Zuchthäusler« nachzurufen — was sollten sie dann machen? Klagen? Man brauchte ja nicht einmal das Wort zu brauchen, das Wort, das als ärgste Beleidigung galt, einfach durch das Verhalten zu ihnen konnte man die Verachtung zeigen, die man für sie empfand. Im Grunde waren es ja meistens gar keine schlechten Teufel… Wie Studer damals den Schreier arretiert hatte, mit was war der Bursche beschäftigt? Er half der Frau, bei der er wohnte, Bohnen rüsten. Na, ja… »Was willst du mir zeigen?« fragte Studer.

»Das werdet Ihr sehen, Wachtmeister. Der Witschi hat nämlich Selbstmord begangen…«

Wieder diese Behauptung! Murmann war der gleichen Meinung… Selbstmord!… Aber Herrgott noch einmal! Der Witschi hatte doch nicht hexen können!…

Er hatte wohl lange Arme gehabt, der Witschi. Aber angenommen, er hätte den Revolver hinter das rechte Ohr halten und den Schuß in dieser Stellung abgeben können, dann blieb dennoch eine unerklärliche Tatsache: der Mangel an Pulverspuren. Eine leichtere Ladung? Unwahrscheinlich. Wie dann? Angenommen, der Witschi hätte die Courage gehabt — dann war jemand nach dem Selbstmord gekommen, um den Browning zu holen. Den Browning, der dann unter dem Packpapier in der Küche der Frau Hofmann versteckt worden war. Von wem? Wer hatte den Revolver geholt? Eine abgekartete Sache?

»Wie bist du auf den Gedanken gekommen, daß der Witschi sich selbst erschossen hat?«

»Das will ich Euch gerade zeigen…«

Auf der Straße heulten Autos. Motorräder knatterten gehässig. Man spürte den Sonntag. Verlassen sahen die Häuser aus, aber sie waren nicht stumm, nicht einmal heute. Ein Krächzen hier, ein Summen dort, manchmal ein Melodiefetzen… Die Lautsprecher Gerzensteins spielten mit den atmosphärischen Störungen, es war niemand da, der sie beaufsichtigte… So trieben sie Schabernack, für sich allein, um die Langeweile des einsamen Nachmittags zu würzen… In der Woche gab es so viel zu tun für sie. Sie sangen, sie spielten, sie sprachen. Professoren, Bundesräte, Pfarrer, Psychologen — gehorsam blökten die Lautsprecher die Worte nach, die irgendein bedeutender Herr von seinem Manuskripte ablas — und die Worte drangen in die Ohren der Gerzensteiner, durchweichten die Köpfe… Sie wirkten wie ein Landregen auf Moorland… Die Lautsprecher waren die Beherrscher Gerzensteins. Redete nicht selbst der Gemeindepräsident Aeschbacher mit der Stimme eines Ansagers?…

Da war endlich Witschis Haus. Auch hier krächzte es durch die geschlossenen Läden, so laut, daß Studer zuerst meinte, es sei eine Gesellschaft in einem der Zimmer versammelt… Aber es war eben doch nur einer der einsamen Lautsprecher, der sich die Zeit vertrieb…

Alpenruh

in blauer Farbe, die abzubröckeln begann.

Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein…

Warum wirkte der Spruch auf Studer wie ein Hohn? Glück? Waren die Witschis wirklich einmal glücklich gewesen? Er sah den Witschi Wendelin in Hemdsärmeln die Zeitung lesen, aufstehen, den losen Trieb eines Spalierbaumes anbinden… Die Ladenklingel schrillte… Gespräche über Politik…

Und jetzt lag Witschi in einem kaltweißen Raum mit einem Schuß hinter dem rechten Ohr…

Studer schüttelte sich. Schreier sagte:

»Kommt nur mit, Wachtmeister!« und ging voran durch den Garten, auf den alten, verfallenen Schuppen zu, dessen Dachstützen eingeknickt waren… Die Tür fehlte, an ihrer Stelle gähnte ein schwarzes Loch.

Aber im Schuppen war es nicht einmal so dunkel. Einige Dachziegel fehlten. Das spärliche Licht, das durch die Löcher drang, vermischte sich mit der Finsternis zu einer grauen Dämmerung…

Zerbrochene Spaten, ein verbogener Rechen, leere Kisten, Holzwolle, Persilkartons, Packpapier… Winzige, glänzende Staubteilchen tanzten in den Lichtbalken, die vom Dach zum Boden reichten.

»Und?« fragte Studer. Er mußte husten. Die Luft im Schuppen legte sich ihm auf die Lungen.

Schreier war an einen Stapel Kisten getreten, er räumte ihn vorsichtig beiseite, zog schließlich eine Tür hervor, die Tür des Schuppens offenbar, an der noch die rostigen Angeln hingen.

»Habt Ihr eine Taschenlampe?« fragte der Bursche.

»Ja.«

»Zündet einmal«, verlangte Schreier.

Studer ließ den Lichtkegel über die Tür streichen. Er pfiff ganz leise zwischen den Zähnen.

Zwei, vier, sechs, zehn — fünfzehn Einschüsse. Über die Mitte der Türe verteilt. Sie saßen alle in einem Rechteck, das etwa sechzig Zentimeter hoch und vierzig Zentimeter breit war. Und das Rechteck, in dem die Schüsse saßen, war ein heller Fleck in der sonst altersschwarzen Tür. Studer beugte sich tiefer. Richtig, das Rechteck war gehobelt worden. Man sah noch die Spuren des Hobels…

Aber das Merkwürdigste an diesen Einschüssen war folgendes:

Die ersten Einschüsse, links oben im Rechteck, zeigten deutlich an ihren kreisförmigen Rändern Verbrennungsspuren.

»Deflagrationsspuren!« sagte Studer leise.

Es waren fünf Löcher, die solche Spuren trugen. Beim sechsten Loch waren die Spuren geringer, sie nahmen ab, je weiter unten im Rechteck die Einschüsse saßen. Die letzten drei Einschüsse hatten saubere Ränder, das Holz um sie herum war weiß…

Die Tür war dick. Alle Kugeln steckten im Holz. Studer nahm den dünnen Bleistift aus seinem Notizbuch und begann die Tiefe der Löcher zu messen. Die Lampe hatte er Schreier in die Hand gedrückt. Er maß verschiedene Male, er gab sich Mühe, er preßte den Daumennagel fest auf den Bleistift, um so genau als möglich — auf den Bruchteil eines Millimeters — den Unterschied festzustellen, der vielleicht in der Tiefe der Löcher bestand. Alle fünfzehn Löcher waren gleich tief. Also waren auch die letzten Schüsse, deren Ränder sauber geblieben waren, aus der gleichen Entfernung abgegeben worden wie die ersten. Warum aber hatten nur die ersten verbrannte Ränder?

»Warum haben nur die ersten Löcher Pulverspuren?« fragte Studer laut.

Schreier kicherte. Es war ein unangenehmes Geräusch. Es erinnerte Studer an Zuchthaus, dieses Kichern. Es klang so verdrückt.

»Red‘ schon, wenn du etwas weißt«, schnauzte er.

»Ich bin ja nicht sicher, Wachtmeister«, sagte Schreier. »Aber Ihr wißt es doch auch: wenn man vor die Mündung ein Blatt Papier hält und dann abdrückt, so bleiben alle Pulverteilchen an dem Papier haften und…«

Studer wurde böse:

»Und du bildest dir ein, der Witschi hat vor die Mündung ein Zeitungsblatt gehalten, mit der linken Hand, und dann den Schuß abgegeben? Mach mir das einmal vor…«

Schreier schüttelte den Kopf. Er zog etwas aus der Tasche, ließ das Licht darauf fallen. Es war ein rotes Kartonviereck. ›Riz La Croix‹ stand darauf zu lesen. Der Umschlag eines Heftchens Zigarettenpapiers.

»Das hab‘ ich hier im Schuppen gefunden«, sagte Schreier bescheiden. »Damals, wie ich hier gestöbert hab‘. Am Tag nach der Verhaftung vom Schlumpf. Ja.«

»Und?« fragte Studer.

»Es rollt keiner in der Familie seine Zigaretten selbst. Der alte Witschi hat Stumpen geraucht, in der letzten Zeit Pfeife. Der Armin raucht englische Zigaretten, dieselben, die sie im Laden führen. Also…«

»Also?« fragte Studer. Der Schreier begann ihn zu interessieren.

»Ich hab‘ mir die Sache so vorgestellt: Der alte Witschi hat ein paar Zigarettenblättli genommen und sie, zusammengeknüllt, vorne in den Lauf gestoßen. Er hat ausprobieren müssen, wie viele es braucht, um saubere Einschußöffnungen zu bekommen. Darum hat er so oft geschossen. Bis es gegangen ist…«

»Einleuchtend«, sagte Studer. »Kompliziert, aber nicht unmöglich.«

Er drehte gedankenvoll den roten Pappdeckel zwischen den Fingern. Ein dünnes weißes Blättchen haftete noch daran. Studer riß es ab, hielt es zwischen den Fingern, zündete es mit einem Streichholz an und ließ es auf seiner Handfläche verbrennen. Es gab eine kurze, sehr helle Flamme. Auf die Asche ließ Studer den Lichtkegel der Lampe fallen. Ein winziger schwarzer Rest. Und doch, angenommen, Witschi hatte ein paar Blättli gebraucht, so war die Asche sicher nicht ganz verschwunden. Spuren davon mußten in der Wunde zu finden sein. Aber der Assistent im Gerichtsmedizinischen hatte von nichts Derartigem gesprochen. Und Studer war sicher, daß die Untersuchung gründlich geführt worden war… Man mußte dem Italiener noch einmal anläuten, schade, daß heute Sonntag war…

»Das hast du gut gemacht, Schreier, ich wär‘ nie auf den Gedanken gekommen. Aber ob wir damit ein Geschworenengericht überzeugen können? Und dann der Browning? Der ist doch nicht neben der Leiche gelegen… Wer hat den aufgelesen? Fortgebracht?«

»Der Schlumpf natürlich«, sagte Schreier. »Aber wollen wir nicht weitergehen, Wachtmeister? Die Alte« — Schreier meinte Frau Witschi — »kann jeden Moment heimkommen. Von vier bis fünf schließt sie ihren Kiosk. Sogar am Sonntag, und es ist schon fünf Minuten über vier…«

»Versorg‘ noch die Tür«, sagte er. Und Schreier nahm die Türe, lehnte sie an die Wand, schichtete Kisten, Schachteln davorauf…

»Wenn sie nur nicht verbrannt wird«, seufzte Studer. »Dann haben wir keinen Beweis mehr… Beweis?… Schöner Beweis!«

Sie verließen den Schuppen, gingen durch den Garten, blieben einen Augenblick in der Gartentür stehen und sahen zum Hause zurück. Als sie auf die Straße treten wollten, versperrte eine magere, schwarze Gestalt den Weg.

»Hat der Herr mich gesucht? Oder was hat er sonst zu suchen? Auf meinem Grundstück? Der Herr Wachtmeister!«

Nach jeder Frage stieg die Stimme ein wenig höher…

Anastasia Witschi, geb. Mischler

Studer hatte Frau Witschi nur flüchtig gesehen, damals, bei seiner Ankunft. Und daß er sie Anastasia getauft hatte, ganz unbewußt (merkwürdigerweise hatte der Name gestimmt), das hatte doch einen ganz verständlichen Grund gehabt.

Frau Witschi sah nämlich aus wie eine Karikatur der Zensur. Und die Franzosen hatten während des Krieges die Zensur Anastasie getauft…

Nachdem Frau Witschi ihre Fragen abgeschossen hatte, verschnaufte sie ein wenig. Ihre Blicke ruhten mißbilligend auf Studers Begleiter. Was der da wolle, fragte sie, und diese letzte Frage war ganz besonders giftig; ihre Stimme überschlug sich. Schreier wurde rot.

Studer fühlte sich unbehaglich, aber er ließ sich nichts anmerken. Und daß seine Zehen in den Schuhen kleine Tänze aufführten, das sah niemand.

»Wir haben Sie gesucht, Frau Witschi«, sagte Studer und seine Stimme wurde ganz tief, wahrscheinlich als Ausgleich gegen die allzu hohe der Frau. »Wir haben uns den Garten angesehen. Ein schöner Garten, wirklich ein wunderbarer Garten. Es fehlt ein wenig an der Pflege, aber natürlich, das ist begreiflich…«

»Sind Sie noch nie hier oben gewesen?« fragte Frau Witschi. Studer sah sie an. War die Frage eine Falle? Nein…wahrscheinlich nicht… Also hatte Sonja nichts von seinem Besuch erzählt. Übrigens wartete Frau Witschi gar nicht auf eine Antwort.

— Wenn der Wachtmeister etwas zu fragen habe, so solle er nur eintreten… »Ich habe nichts zu verbergen«, sagte sie. »Nein, gewiß nicht. Unser Gewissen ist rein, was nicht alle Leute behaupten können.«

Jetzt wurde Schreier blaß. Er zitterte. Merkwürdig, wie empfindlich diese anscheinend abgebrühten Burschen im Grunde waren!…

»Ruhig, ruhig«, sagte Studer leise und legte die Hand auf die Schulter des Burschen. »Geh‘ wieder zurück. Ich dank‘ dir auch. Du hast mir viel geholfen. Leb‘ wohl«

Schreier gab dem Wachtmeister schweigend die Hand. Die alte Frau grüßte er nicht.

» Sie sind viel zu gut mit diesen Leuten, Herr Wachtmeister.« (Frau Witschi betonte das Sie, Studer sollte merken, daß sie nicht zu den kommunen Leuten gehöre, die alle Welt ihren.) »Treten Sie ein, wir wollen nicht vor der Tür stehenbleiben.«

Die Küche war sauber. Kein schmutziges Geschirr stand mehr im Schüttstein. Der Strähl war verschwunden. Auch das Wohnzimmer war aufgeräumt.

Die Vase unter Wendelin Witschis Bild fehlte.

»Nehmen Sie Platz, Herr Studer. Ich hol‘ etwas zum Trinken. Sie werden sicher Durst haben.«

Und Frau Witschi kam zurück mit einer Flasche Himbeersirup und zwei Gläsern. Studer mußte wohl oder übel mittrinken. Es schüttelte ihn gelinde.

»Mein armer Mann«, sagte Frau Witschi und zog die Luft durch die Nase. Sie wischte sich die Augen mit ihrem Taschentuch. Aber die Augen waren trocken und blieben es.

»Ja, ja«, meinte Studer und hielt die Hand über sein Glas, das Frau Witschi wieder mit der klebrigen Flüssigkeit füllen wollte. »Es ist traurig, daß er so hat ums Leben kommen müssen. Aber es war vielleicht doch ein Glück…«

»Ein Glück? Wieso ein Glück? Was meinen Sie?«

»Eh, wegen der Versicherung…« sagte Studer und zündete umständlich eine Brissago an. Eine Sturzflut von Worten ergoß sich über ihn. Und Studer ließ sie brausen…

Es war merkwürdig, fast wie eine Vision.

— Das Zimmer ist dunkel, ganz plötzlich. Die Lampe, von einem grünen Schirm verhangen, gibt ein düsteres Licht. Leere Teller stehen auf dem Tisch. Am oberen Ende sitzt der verstorbene Wendelin Witschi. Rechts neben ihm seine Frau, links Sonja, ihm gegenüber der Sohn.

Witschi schweigt, Müdigkeitsfalten liegen um seinen Mund, auf seiner Stirn. Ununterbrochen schwatzt die Frau. Sie klagt. Er sei schuld, nur er allein. Er habe die Familie in Schulden gestürzt, nun sei es an ihm, das gestrandete Schiff wieder flott zu machen. Geld habe er aufgenommen, ohne jemanden zu fragen — und die Kreugeraktien, die habe doch er gekauft, oder? Witschi hebt die Hand, die weiße, dürre Hand, so, als wolle er Einspruch erheben. Aber die Frau lafert weiter. Nichts da, er habe zu schweigen, ganz zu schweigen. Und dann flüstert sie plötzlich: Die Versicherungen brächten Geld… Ein Unfall… Nichts Arges. Aber er müsse so ausgeführt werden, daß er wie ein Überfall aussehe… Es seien ja genug Vorbestrafte im Dorf, auf die man die Schuld schieben könne…

Der Sohn mischt sich ein. Die Schwester habe ja ein Geschleipf mit so einem, sie müsse die Sache übernehmen. Den Burschen zu einem Rendezvous bestellen, damit er kein Alibi beibringen könne… Dann könne man ihn anklagen, und wenn der Vater ihn wiedererkenne, dann könne der Bursche gar nichts machen…

Oben am Tisch hat der Witschi die Hände gefaltet, er schüttelt den Kopf, unaufhörlich, aber kein Mensch sieht auf ihn. Der Redestrom geht weiter. Der Sohn löst die Mutter ab, die Mutter den Sohn. Sonja sitzt still da, weint in ihr Taschentuch. Es nützt nichts, Sonja findet nirgends Schutz vor den Plänen der beiden andern…

Wie oft hatte sich die Szene abgespielt, so wie Studer sie sah und hörte, jetzt, im Wohnzimmer der Familie Witschi, während die alte Anastasia auf ihn einredete und ihre Worte an seinen Ohren vorbeisausten wie ein saurer Biswind?

Studer nickte, nickte ununterbrochen zu den Worten der Frau. Es war ja alles gelogen, warum also zuhören?…

Er sah den Schuppen vor sich, ganz deutlich.

Die Frau hat eine Stallaterne in der Hand. Und Witschi probiert den Revolver aus. Er schießt auf das weißgehobelte Rechteck der Tür, immer aus einer Entfernung von zehn Zentimeter. Nicht mehr, nicht weniger. Er probiert es mit einem Zigarettenblättchen, dann mit dreien, dann mit fünfen. Bei welcher Zahl gibt es keine Deflagrationsspuren mehr?

Fünfzehn Patronen, dachte Studer… Wo war wohl die Schachtel? Man sollte sie finden. Und immer das Bild, das sich dazwischenschob:

Der Witschi, der beim Schein der Stallaterne Schießübungen veranstaltet… Die Frau hält sicher einen Sack, um den Schall abzudämpfen.

War es sonst möglich, daß keiner der Nachbarn etwas gehört hatte?… Vielleicht hatten sie etwas gehört, das nächste Haus stand in etwa fünfzig Meter Entfernung… Sollte man dort fragen gehen?

Und wie aus einem Traum heraus, mitten in den Redestrom der Frau Witschi, sagte Studer mit leiser Stimme:

»Wie Ihr Mann auf die Tür im Schuppen geschossen hat, haben Sie da einen Sack gehabt, um den Schall abzudämpfen?«

Das Glas zerschellte auf dem Boden. Frau Witschi hatte die Augen weit aufgerissen, das Häutchen, das über dem einen lag, war weiß.

»Wie?… Was?…« stotterte Frau Witschi.

»Nichts, nichts«, Studer winkte müde ab. »Es hat ja alles keinen Wert, der Schlumpf hat ja gestanden.« Aber unter den halbgesenkten Lidern beobachtete Studer neugierig die Frau.

Ein Aufatmen. Frau Witschi stand auf, ging in die Küche, kam mit einer Küderschaufel zurück und wischte die Scherben zusammen.

»Scherben bringen Glück«, sagte Studer leise.

Ein giftiger Blick der Frau. Dann:

»So! Hat der Mörder endlich gestanden! Ein Glück! Dann habt Ihr ja hier nichts mehr zu tun, Wachtmeister!« (›Ihr‹ statt ›Sie‹! Studer lächelte.)

»Sie haben ganz recht, Frau Witschi, ich hab‘ nichts mehr zu tun…«

Wie spät war es? Draußen war noch heller Tag. Der Schuppen stand am Ende des Gartens, man sah ihn gut durchs Fenster. Studer blickte lange hin. Er dachte: Diese Nacht sollte ich hier in der Nähe Posten stehen, die Mutter und der Sohn werden versuchen, die Tür zu verbrennen. Hätt‘ ich nichts sagen sollen? Doch, es war ganz gut. So ein Schreckschuß ist manchmal ganz gut. Obwohl der ganze Fall hoffnungslos ist. Düster, düster… Er hat recht, der Kommissär Madelin! Ein Mordfall auf dem Land!… Wollen wir den Witschi in Frieden lassen? Er hat sich geopfert für die Familie… Er hat sich erschossen, damit die Versicherung zahlt… Hat er wirklich geschossen?… Mit dem rechtwinklig abstehenden Arm?… Vielleicht steckt doch mehr hinter dem Fall… Aber wer hat dann geschossen?… Der Schlumpf?… Doch der Schlumpf?… Kann man einen Mord aus Liebe begehen?… Warum nicht? Gleichwohl, es ist unwahrscheinlich… Der Armin?… Der Maquereau?… Nein, nein, zu feig… Die Mutter?… Chabis!… Wer dann? Wenn man nur wüßte, wer den Revolver gekauft hat, vielleicht gäbe das einen Anhaltspunkt…

»Wo schafft Ihre Tochter in Bern?« fragte Studer laut.

»Beim Loeb«, die Stimme der alten Frau zitterte. Man sollte sie in Ruhe lassen, die Frau Anastasia, dachte Studer. Er streckte die Hand aus, um sich zu verabschieden. Aber Frau Witschi sah die Hand nicht. Sie ging mit winzigen Schritten zur Tür, öffnete sie. Auf ihrem Gesicht stand ein gefrorenes Lächeln.

»Auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister«, sagte sie.

Studer neigte stumm den Kopf…

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Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
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