Kitabı oku: «Der Zauberring», sayfa 6
Und als Otto in der frühen Dämmerung bei seinem Hengste war, und ihn sattelte und aufstangte, ging ihm ein schmuckes Reisiger flink zur Hand, den er erst draußen, da er sich auf einen goldgelben Polacken schwang, für Tebaldo erkannte. Sie gaben sich beide, vertraulich lachend, die Hand, und trabten miteinander lustig zu den Toren hinaus, während die Sonne frisch und fröhlich, wie die Jugend der beiden Reisenden, über die grüne Erde hervorzuleuchten begann.
Eilftes Kapitel
Während nun Otto und sein Gefährt immer weiter in die fremde Welt hinein ritten, die Grenzen des deutschen Vaterlandes bereits überflogen hatten, mit den Leuten in französischer Mundart verkehrend, und manches lustige, manches ernsthafte Abenteuer im bunten Wechsel erlebten, sah es auf der alten Burg Trautwangen am Donaustrand gar anders aus. Es war außer Herrn Hugh und Bertha noch ein dritter Inwohner dazu gekommen; aber der machte eben das Leben dorten noch viel trauriger, denn er war Herr Heerdegen von Lichtenried, der sich trotz seiner schweren Wunde geeilt hatte, zu der Schwester zu gelangen, und dessen Leib nun von der zu großen Anspannung in desto tiefere und fieberhaftere Erschöpfung gefallen war. Unweit von der alten Waffenhalle, drinnen Herr Hugh zu hausen pflegte, lag Ritter Heerdegen, damit Bertha nach ihm sehen könne, ohne doch den greisen Ohm gänzlich aus der Acht zu lassen. Herr Hugh und Bertha bedurften es gleichermaßen, sich aneinander zu trösten, denn Heerdegen hatte in seiner trüben Fieberglut alles herausgesagt, von wessen Faust er die Wunde trage, und auch warum. Darüber weinte nun Bertha oftmals recht helle Tränen auf die verschämte Wange, daß es fast anzusehen war, wie ein Mairegenguß im Morgenrot. Herr Hugh dagegen schaute sehr finster vor sich hin, und zog daraus, daß seines Sohnes erster Kampf ein so unheilbringender gewesen sei, allerhand trübe Folgerungen, die er jedoch meistens mit einem heitern, gottvertrauenden Lächeln zu unterbrechen pflegte, wie sie denn überhaupt mehr auf seinen Gesichtszügen lagen, als daß sie sich über seine Zunge herausgemacht hätten. Ein Trostsprüchlein Meister Walthers aber sagte er, wenn das Lächeln aufzog, gewöhnlich ganz laut:
»Man geht aus Nacht in Sonne,
Man geht aus Graus in Wonne,
Aus Tod in Leben ein.«
Es war dasselbe, welches Otto vormalen in der Kapelle gebetet hatte.
Zu dem Kranken durfte Herr Hugh gar nicht, denn in den Lichtern der Fieberhitze schien er sich vor dessen Augen zu verjüngen, und sich in den Sohn zu verwandeln, indem ihn Heerdegen beständig mit harten Worten ansprach, und schalt, und ihm gebot, sich hinauszumachen, sonst werde er ihm noch die ganze glühende Stirnwunde mit all ihrem lodernden Brand an den Kopf werfen. Wirklich faßte er alsdann ingrimmig nach seinem Verbande, und der alte Herr Hugh ging schwer seufzend und kopfschüttelnd nach der einsamen Halle zurück, durch deren große eichne Tür die beiden holden Kinder, Bertha und Otto, nun nicht mehr hereintreten konnten.
Wenn aber an des Wunden Lager die holde Schwester ganz alleine saß, und nur eine milde Lampe fernher aus dem Winkel des Gemaches brannte, ward er still und friedlich, erzählte ihr auch wohl ein Geschichtchen. So unter andern einmal das folgende:
»Hoch an den Ufern des Meeres liegt ein Land, welches Ostfriesland geheißen ist. Da gibt es einen unaustilgbaren Streit zwischen Häuptlingen und zwischen Untersassen, denn jene wollen alles durch ihren Willen allein ausrichten, diese vermeinen nicht minder, Bestallung zu haben, daß sie es nach ihren eignen besten Einsichten verordnen könnten. Drum tost es auf und ab im Lande von häßlichen Streitwiderwärtigkeiten, wie es ja auch mir, du holde Schwester, im Kopfe tost. Aber dann gibt es auch einen stillen, mondlichen Lampenschein, wie soeben, wenn du an dem Hauptende meines Lagers sitzest, und ich wie in einer Wiege woge, dort Schatten, hier Licht, und wieder hier Licht, dort Schatten. Das kommt aus einer hohen, stillen, dem Monde frei gelegnen, und heilig von seinen Lichtern bestrahlten Felsenburg. Da wohnt eine Abkömmlingin der alten Druden, welche zu gleicher Zeit unsre Muhme ist, unsre wunderbare, von uralter Zeit gewaltige Muhme, liebe Schwester. Sie heißt Frau Minnetrost, und kocht alle Tage viele Kräuter in einem einzigen Kessel zusammen, der aber aus nichts als aus lauterm Golde getrieben ist.
Ich hatte mich eines Abends verirrt, und hielt unversehens vor dem steilen Schloßberge, der weit über das ganze flache Land hinaussieht. Und so müde ich auch war, und so Not mir irgend eine Erquickung tat, war es doch, als lagre sich mir etwas in den Weg, wenn ich die stille, unbekannte Höhe hinaufreiten wollte. Eben weil sie so still war, und mir so gänzlich unbekannt, durfte ich vor mir selber nicht hinan. Indem ich noch so halte, und mit mir zu Rate gehe, trabt etwas schnell und luftig über die tauhelle Wiese. Ein Rittersmann war es, mit einer schlanken Maid im Arm, und die schmiegte sich an ihn, gar scheu und inniglich zu gleicher Zeit. Halb sang sie zu ihm, halb sprach sie zu ihm:
›Sporn, Liebling, sporn dein schnelles Roß!
Nah ist der stillen Drude Schloß!‹
Der Ritter entgegnete:
›Was geht die stille Drud uns an?
Bist nicht mein Weib? Ich nicht dein Mann?‹
Sie mußten aber von ihren Liebesreimen bald ablassen, denn es sprang ein Haufen von Untersassen aus verschiednen kleinen Gebüschen vor, wo sie gelauert hatten, und während ein hochschlanker Jüngling dem Ritter in die Zügel fiel, rufend: Du! Du! Wo willst mit meiner Schwester hin?, stellten sich die andern mit hochgehobnen Hallebarten im Kreise umher. Der Ritter aber hatte im Augenblick sein leuchtendes Schwert aus der Scheide, und sagte: ›So leicht kriegst du sie nicht. Sie will mich, und ich will sie. Was hast du drein zu reden, wenn dein Häuptling deine Schwester will? Siehst du nicht, daß ich der Ritter Edekon bin?‹ – ›In einer halben Viertelstunde seid Ihr seine Leiche‹, rief der Untersaß, ›oder gebt mir meine Schwester zurück.‹ – Da hieb der Ritter nach ihm, und es ward ein wildes Gefecht. Weil ich nun wohl sahe, das Mädchen wolle gern bei dem Rittersmann bleiben, sprengte ich ihm zu Hülfe, und traf die Bauern nicht schlecht. So mannhaft sie auch standen, wären wir doch wohl bald mit ihnen fertig geworden, aber Gott weiß, wie es kam, daß wir alle zugleich, mitten durch unser ingrimmiges Hauen und Stoßen durch, den leisen Ton eines Fensters vernahmen, welches fern oben auf der steilen Höhe in der Burg ward aufgetan, und daß wir innehalten mußten, und emporschauen, was sich dorten begebe. Siehe, da schimmerte eben der Vollmond ganz hell gegen das Fenster, und drinnen stand Frau Minnetrost, ganz lang, ganz weiß, die hielt drohend den Zeigefinger der rechten Hand starr gegen den klaren Sternenhimmel empor. Das ging uns allen durch Mark und Bein; wir blieben lange still und sie auch. Endlich sagte sie: ›Ihr habt groß unrecht allzumal, so viel ihr seid. Einer unter euch ist ein fremder Mann, heißt Heerdegen von Lichtenried; der ist mein Neffe, und soll das Mägdlein säuberlich vor sich setzen auf sein Roß, und mir sie heraufbringen in die Veste. Die andern gehn im Frieden nach Hause, und Bruder und Bräutigam fragen, sobald drei Tage verflossen sind, weiter nach.‹ – Da geschah es alles, wie sie gesagt hatte, so bitterlich das Mägdlein weinte, so ingrimmig der Ritter und der Bräutigam knirschten, so unheimlich mir die Verwandtschaft mit der Schloßbewohnerin erschien. Es war, als könne es gar nicht anders sein. Im tiefen Schweigen schieden die Kampffertigen auseinander, im tiefen Schweigen brachte ich die Entführte in die Burg.
Wie es nun dorten aussahe, mein holdes Schwesterlein, davon weiß ich der Worte nicht viele zu machen, und hülfe das auch wohl nichts, denn vor dem recht Wunderbaren gehen doch von keinem Beschreiben dem Sinne die Tore auf. Aber siehe hier den friedlichen Lampenschimmer an, siehe im Spiegel deine Wehmut tauenden Augen, und dein ganzes liebliches Antlitz und Wesen, und denke, ein Strahl, der zarteste Strahl aus alle dem, war über Frau Minnetrost ergossen und über ihre ganze Burg. Ich durfte nicht hinein, aber unter einem Vorsprung am Tore hieß sie mich warten. ›Es wird Euch leicht werden‹, sagte sie, ›hier halb im Freien auszuharren, denn groß Unwetter gibt es hier nicht. Was etwa fällt von Regen, ist nur ein mild freundliches Sprühen, das die Erde erquickt, und die Halme nicht bricht. – So soll auch noch dein Weinen werden, und noch ein fröhlicher Sonnenaufgang hinterdrein‹ sagte sie, zu dem Mädchen gekehrt, und wirklich hörte die auch fast zu weinen auf, wie sie in das vom Mondenstrahl vergoldete Antlitz der freundlichen Drude schaute. Dann gingen die beiden ins Schloß hinein, und eine liebliche Musika von Flöten und Zithern hub an, aus den Kammern zu erklingen. Ich konnte es recht vernehmen, wie das Mädchen anmutig damit eingeschläfert ward. Darauf kam Frau Minnetrost wieder heraus, und brachte einen großen goldnen Pokal voll Weines mit für mich, und auf silbernen Schüsseln köstliche Speise. Auch satzte sie sich neben mich, und erzählte mir, wie sie mit unsrer seligen Mutter verwandt sei, und wie ein heimliches, doch frommes Wissen seit Menschengedenken ihrem Stamme gehöre, und wie sie nun hier lebe, und denke erkoren zu sein zur Sänftigung des wilden Landes. Die Geschichten waren lang und wunderbar, und dauerten die ganze helle Mondnacht durch. Oft ward mir schauerlich dabei zu Sinn, dann aber auch wieder unendlich süß, als halte unsre liebe Mutter mich im Arm, und erzähle mir schmeichelnde Märchen vor. Gegen Morgendämmerung verließ mich die Drude, und sagte: ›Du wirst wohl hier den Ausgang dieser Dinge gern erwarten wollen, und kannst es auch ohne Gefährde.‹ – Da schlief ich fröhlich ein, wie in sichrer Heimat Schirm.
An den folgenden Tagen sahe ich bisweilen, wie Frau Minnetrost mit der Entführten lustwandelte auf der Schloßmauer, hinter hohen, weißen Blumen, die Wohlgeruch duftend wie stille Flammen über die Zinnen heraussahen. Oft weinte das Mädchen bitterlich und schrie nach ihrem Liebsten. Dann aber ließ sich die Drude weder auf Tröstungen noch auf Versprechungen ein, sondern schaute nur die Klagende mit ihren hellen Mondscheinaugen freundlich an, oder brach eine weiße Blume, und wehte ihr damit Kühlung zu, oder sang ihr auch wohl ein altes schlichtes Lied. Und das Mädchen ward still, und lächelte bisweilen in wunderbarer Heiterkeit. Eben so machte sie es auch, wenn, jedesmal nach dreien Tagen, Bruder und Liebster erschienen, um nach der Entführten zu forschen, und ungeduldig wurden, oder gar aussahen wie Drohung und Gewalt. Die Drude brauchte nur zu lächeln, und die Worte schwebten ihnen von den Lippen fort, wie ein Seufzer, oder wurden zu freundlichen Bitten, voll Hoffnung und Trost. Nach dreimal drei Tagen waren alle ganz mild geworden und fromm. Da gab ihnen Frau Minnetrost das lächelnde Mädchen zurück, und die Braut ging zwischen dem Liebsten und Bruder zum Altar, und Häuptling und Untersasse blieben traute Schwäger und Freunde ihr Leben lang.
Viel kennt die Gegend von solchen Taten unsrer Muhme, und heißt sie billig Frau Minnetrost; teils weil sie oftmalen kranke Minne tröstet und heilt, teils, weil ihr Trost nur immer der der Minne und Güte ist, niemalen der des Trotzes und der Gewalt.«
Zwölftes Kapitel
So wie nur Ritter Heerdegens Erzählungen an seine Schwester milder wurden und frömmer, – seit der letztern handelten sie fast alle von Frau Minnetrost, – ward es auch sanfter und stiller in seinem Sinn, und endlich auch in seinem Körper, und in dem ganzen Menschen durchaus. Da fing er an, nach Herrn Hugh zu fragen, und wenn der herein kam, sich ehrerbietig und sittig zu bezeigen gegen den alten Mann, und sich zu entschuldigen, falls die Fieberglut ihm irgend Ungeziemliches habe sagen heißen oder tun. Nun saß Herr Hugh vielmalen an seinem Bette, aber es war nicht lange mehr nötig, denn wie Heerdegen erst einmal im Siegen war gegen das Kranksein, ward er es auch bald vollends über die Grenze fort, zog freudig in die Wälder und Ebnen nach dem Waidwerk hinaus, und saß zu Mittag und Abend mit Herrn Hugh bei den vollen Bechern.
Dagegen ward Fräulein Bertha, so wie der Bruder aufblühte und genas, bleicher und trauriger mit jedem Tage. Man sah es ihr wohl an, daß nur die Sorge für seine Heilung und für den Trost des alten Herrn Hugh sie so aufrecht gehalten hatte. Nun die beiden Männer miteinander zechten und sprachen, und oftmals wieder der alte Meister Walther mit seinen fröhlichen Heldenliedern auf die Burg gerufen ward, tat die holde Blume ungestört, wie die Art solcher holden, verlassenen Blumen zu sein pflegt: sie hauchte in wehmütigen Liedern und Seufzern und Träumen den reinen Duft ihres Lebens aus in die stille Natur, und wäre wohl bald verwelkend zusammengesunken, wie der Waldbruder an der finnischen Grenzmark, und wie Lisberta in Mailand. Aber der Bruder wußte die beiden Geschichten auch, und stellte sich neben sein Schwesterlein, wie ein aufrecht erhaltender Gartenstab neben die zarte Blüte. Nun rankte sie sich immer am zuversichtlichsten zu ihm auf, wenn er von Frau Minnetrost erzählte, und es gereichte ihr zu einer ganz absonderlichen Freude, daß diese fromme Drude nicht etwa nur ein mondliches Fiebergebild in den kranken Träumen ihres Bruders gewesen sei, sondern daß es wirklich in dem nördlichen Ostfriesland eine so wunderbare Herrin des Friedens gebe und des Trostes, und die noch obenein ihre freundliche Muhme sei.
Aber demungeachtet nahm Berthas Erbleichen und Schweigen zu, und wenn Heerdegen sie deshalben fragte, pflegte sie wohl zu antworten: »Bruder, die eine Frau Minnetrost hienieden bekomm ich wohl nimmer von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Aber jenseits des Grabens, welcher so tief ist, daß man ihn ausschließlich das Grab geheißen hat, wohnt ja nichts, als lauter Minnetrost. Und siehe, wer uns hinüberhebt, tut es im Schlaf, und muß also eine gar leichte Hand haben.«
Diese und ähnliche Reden hinterbrachte Heerdegen dem alten Herrn Hugh, mit dem Beifügen, wenn man Bertha nicht baldigst leiblich zu ihrer Muhme Frau Minnetrost geleite, werde sie derengleichen wohl nach wenigen Monden jenseits aufsuchen. Da nahm Herr Hugh seine ganze Kraft zusammen, ließ die Nichte vor sich rufen, und gebot ihr sehr ernstlich, sie solle mit dem Bruder in diesen Tagen nach Ostfriesland abreisen, zu ihrer Muhme, welche dorten Frau Minnetrost geheißen sei. Bertha schaute dem greisen, schon längst vom Sohne verlassenen Oheim zweifelnd ins Gesicht. Da lachte Herr Hugh laut auf, und sagte: »Denkt so ein klein töricht Maienvögelein, ich alter Turm müßte zusammenfallen, flög’ es nicht mehr drum herum.« – Und laut lachend ging er in seine Kammer, und schloß die Tür hinter sich zu. Dann rollten zwei große Tränen in seinen Bart.
Als er aber wieder hervorkam, machte er schleunige Anstalten zur Abreise der beiden Geschwister, und das zweite Morgenrot, von da an, sahe die Saumrosse und zwei Reisige zur Bedeckung und Heerdegens gerüsteten Streithengst im Hofe. Die große Steige herab kam Herr Hugh mit den Reisenden, und summte ein lustiges Liedchen aus alten Tagen dazu. Er küßte sie beide, und trieb, daß sie zum Schloßhofe hinauskamen. Dann ging er nebst Meister Walther, den er sich hereingeladen hatte, um diesen und die nächsten Tage zu verzechen, auf den Burgwall, setzte sich schweigend ins Gras, und sahe zu, wie Heerdegen und seine Schwester weit und immer weiter über den morgenbeglänzten Anger trabten. Dem Meister Walther kam es dabei in den Sinn, wie er hier mit Bertha gesessen hatte, als der junge Ritter Otto seinen lichtbraunen Hengst denselben Anger entlängst spornte, und ohne etwas Bestimmtes dabei zu denken, fing er wieder an zu singen, wie damals:
»Ich bin ein schwacher Greise,
Zieh nicht mehr weit hinaus« –
Da faßte der alte Herr Hugh im Grimme die Schulter des Meisters. Mit Löwenzorn im Auge, mit Löwenkraft im Arme brüllte er laut: »Ich schleudre dich hier den Burgwall hinab, falls du mein spotten willst! Der alte Greise fühlt noch der Kräfte genug.« – Meister Walther schwankte bereits am glatten Rande, doch sah er dem zornigen Starken getrost ins Antlitz, sprechend: »Wenn Ihr Euch an einem Sänger vergreifen wollt, der noch dazu Euer Gast ist, tut’s! Euer ist die Rechnung, nicht mein, und der Abschluß ist nah.« – Darüber ließ ihn der alte Herr Hugh bebend los, und sagte: »Um Gott, verzeiht mir! Ihr wißt, es haben grimmige Geister im Leben Gewalt über mich gehabt, und wie ich nun hier so still empfand, daß meine jetzt beginnende Einsamkeit die Buße dafür sei, drang Euer Singen mir ins Ohr, wie von einem ganz fremden Menschen her, der über mich ohnmächtigen Greisen zu spotten gedächte. Den wollte ich denn über den Burgwall hinabschleudern.« – »Das wär auch eine schöne Buße gewesen!« sagte Walther. Herr Hugh stand eine Weile beschämt, welches man selten an ihm zu schauen gewohnt war; dann fing er an: »Ich weiß nicht mehr, ob Ihr nun noch Lust und Mut habt, mit mir auf einen Becher Weins hereinzukommen?« – »Warum nicht?« entgegnete Walther. »Sänger verstehn sich schon darauf, mit edlen reißenden Kreaturen umzugehn.« – Und damit folgte er seinem ernsthaften Wirte in die Burg.
Dreizehntes Kapitel
Heerdegen und Bertha reisten viele Tage lang, und je höher sie gegen die nördlichen Küsten hinaufkamen, je still fröhlicher ward die Jungfrau, je unzufriedner der Jüngling. Sie fragte ihn einmal deshalb, und da sagte er: »Es ist ja doch um nichts besser, oder doch um nicht viel, als ob ich dich einem Kloster entgegenführte. Denn hat dich die stille Frau einmal, läßt sie dich gewißlich nicht so bald wieder fort. Und so wie ich dich kenne, mit deinem wehmütigen Blumenherzen, trachtest du aus den Mondscheinmauern auch wohl nimmer wieder heraus.« – »Nun, lieber Bruder,« entgegnete Bertha, »so geschieht mir ja nach meinem Willen, und das siehst du doch ohne Zweifel gern.« – »Es ist schade für die Welt«, murrte Heerdegen. »Zum Altare hätt’ ich dich gern geführt.« – »Ei«, sagte Bertha, »Wir finden in der frommen Muhme Haus gewiß, was nur zum Gottesdienste taugt: Kapelle, Betstuhl, Kreuz und Altar.« – »Ich meinte aber was anders mit dem Altar«, entgegnete Heerdegen, und sahe schmollend auf die Hufe seines Rosses hinunter, während Bertha ihre halbgeschlossenen Augen und leiserrötenden Wangen auf der andern Seite nach den Blumen und Gräsern abwärts sinken ließ.
Wenn sie nach solchen Gesprächen dachte, den Bruder zu erheitern, ihm zeigend, wie die Gegend mild werde, und friedlich mit sanftgehobnen, weichbegrasten Hügeln und grüner Hecken frischer Umkränzung, antwortete er wohl: »Das macht sich im hohen Sommer ganz hübsch. Laß nur den Winter herankommen mit seinem hohlen Sturmgepfeif zwischen die Hügel hin, mit seinem Schneetreiben, wenn es Hecken und Wege unter die kalte lockere Decke begräbt, und sieh dann, wie die einzeln rauchigen Wohnungen in der pfadlosen Wüste liegen, weit minder Häusern ähnlich, als heidnischen Gräbern, von denen ein trüber Scheiterhaufendampf durch die graue Luft hinqualmt, – da wirst du schon aufhören, des Landes Milde zu preisen.« – »Oben bei der Frau Minnetrost soll es ja nicht schneien und heulen?« fragte dann öfters Bertha, und Heerdegen antwortete verdrießlich: »Ja, ja, man sagt’s; ich selbsten bin zu Winterszeit nicht dort gewesen.« – Dann zog er schweigend des Weges weiter, und je mürrischer er aussah, je mehr wuchs Berthas herzinnige Sehnsucht nach der sanften, geheimnisreichen Muhme, die aller liebefrommen Hulden kräftig war.
Eines Tages war des Bruders Antlitz noch weit nachdenklicher, als zuvor, und Bertha meinte daraus abnehmen zu können, das Ziel ihrer Reise müsse ganz nahe sein. Ihr schlug das junge Herz vor träumerischem Erwarten, während Heerdegen gegen Abend fast ängstlich nach einer Herberge umherschaute, ohne doch etwas anders entdecken zu können, als einsam gelegne, moosige Bauerhütten. Beide Reisige sandte er hier und dorthin aus, und als sie nach einer ganzen Weile noch immer nicht zurück waren, hieß er die Führer der Saumrosse seiner auf der Stelle, wo man angehalten hatte, warten, und ritt mit Bertha nach einer andern Richtung suchend aus. Aber in den Gewinden von Hecken und kleinen Hügeltälern verlor man sich bald gänzlich, und die Sterne zogen golden am Himmel herauf, ohne daß die Reisenden ein Nachtlager antrafen, ja, ohne daß sie auch nur gewußt hätten, sich nach dem angegebnen Sammelplatze zurückzufinden. Da hielten sie plötzlich vor einer steilen Höhe, und der Bruder sagte: »Mein Gott, irr’ ich mich, oder sind wir dennoch früher zur Stelle, als ich wollte? Wie gern, wie gern, o du liebe Bertha, hätt’ ich dich erst morgen von der Hand gelassen. Sieh doch einmal recht scharf nach dem dunkeln Berge hinauf, ob denn wirklich eine Veste droben steht.« – Und im selbigen Augenblicke stieg der Mond hinter ihnen voll und goldig über die Hügel herauf, und die Fenster der Burg leuchteten vor seinem Scheine festlich hell in schöner, geordneter Reihe, und blanke Kreuze schimmerten von den Türmen gegen den Himmel empor, und ein süßes Tönen schlich die Gräser und Gebüsche herab, während Bertha sehnend ihre Arme ausbreitete nach der milden Herrlichkeit, ihr Bruder aber mißmutig mit der beerzten Faust gegen den Küris schlug.
Da trat hinter einigen Birkenstämmen eine Frauengestalt hervor, weiß und schlank wie die Birkenstämme selbst, und auch eben so einen lichtgrünen Schleier um Haupt und Schultern hergehangen. Bertha dachte gleich, es müsse wohl Frau Minnetrost sein, und als nur der Schleier zurücke flog, und aus einem freundlich ernsten Antlitze gegen den Mond an zwei milde lichtbraune Augen, unschuldig und freundlich, wie die eines Rehes, strahlten, da ward sie ihrer Sache gewiß, und sank von ihrem Zelter herab, freudig weinend, vor der hohen Gestalt in das Gras. Auch Heerdegen vergaß alles Unwillens. Er stieg sittig vom Roß, neigte sich ehrerbietig gegen die Frau, und wollte ihr Berthas Gesuch anbringen. Aber sie sagte: »Ich weiß schon. Gerngesehenen Gästen geht man mit Freuden entgegen, und bis an die Burg, lieber Heerdegen, darfst du mit.« – Damit reichte sie beiden Geschwistern die Hände, und riet ihnen, sie möchten die Pferde nur hier grasen lassen; sie ständen in guter Hut. So schritten sie alle drei Hand in Hand den Schloßberg hinauf, und Frau Minnetrost sang unterweges mit höchst anmutiger Stimme:
»Was hat die gute Muhme?
Sie hat, was nur Eu’r Herz begehrt,
Hat Spiel und Fest und sichern Herd,
Hat auch des Friedens Blume,
Die ist den Menschen wert.
Ei, folgt der guten Muhme!
Wenn gute Ding’ Eu’r Herz begehrt:
So blüht Euch Heil auf ihrem Herd,
Und auch des Friedens Blume,
Die ist dem Himmel wert.«
Sie kamen vor der Burg an, und Heerdegen nahm ganz freundlich und ohne alles unmutige Widerstreben von seiner Schwester Abschied. Es war, als hätte er im Leben nichts von schroffem oder heftigem Wesen gewußt. Sie redeten ganz heiter miteinander ab, zu welchen Tagen er vor die Burg kommen solle, um Bertha zu besuchen. Dann wandelte er grüßend die Höhe hinab, und die Jungfrau schritt mit der lächelnden Muhme in die Burg.
Ein klarer Weiher tat sich jenseits der wiedergeschloßnen Pforten vor den beiden Frauen auf, und wie sie in eine Barke stiegen, welche sie von selbst an die feierlichen Gebäude jenseits hinüberwogte, stand der Vollmond hell am Himmel, und sahe mit fast noch vermehrter Klarheit aus dem Gewässer herauf, seine goldne Herde von lichten Sternenfunken um ihn her. Und auf den Zinnen rings wehten und flüsterten im Nachtwinde die hohen weißen Blumen, von welchen Bertha ihren Bruder damals auf dem Krankenbett hatte erzählen hören. Sie sahe nun erst eigentlich was alle seine Worte gemeint hatten, auf dem stillblauen Spiegel des Sees schwebend, die Düfte der weißen Blumen wie ein süß verschlungnen Reigen um ihre Schläfe hin. Aus den Gebäuden klang es grüßend wie Cymbelklang und Harfenrauschen, und wie die Frauen ausstiegen, und die vielfach gewölbten Hallen entlängst wandelten, tönte der holde Laut immer vernehmlichen ihnen entgegen. Es war alles hell in der Burg, aber sehr mild, denn die Erleuchtung strömte einzig vom Vollmonde herab, der, in verschiednen Gläsern und Spiegeln kunstreich aufgefangen, die Gegenstände zumal wie mit einem schneeweißen verklärenden Teppich überzog. Eintretend in einen großen, von reichen Schwibbogen durchzogenen Saal, konnte nun Bertha sehen, woher die schöne Musika komme, welche hier mit ungehemmt wogenden Fluten einherdrang. An dem hohen Gewölbe nämlich kreiseten reingoldne Reifen über- und durcheinander, mit herrlichem Getöne sich berührend, und teils silberne Cymbeln klingen lassend, welche daran hingen, teils Harfensaiten streifend, die sich wie ein goldnes Netz zwischen den Pfeilern hinwebten. Da wußte Bertha erst recht, wie der entführten Braut zumute gewesen war, als sie vor diesen Himmelsklängen getröstet in Schlummer sank, und sich auf die weichen Teppiche zurücklehnend schwebte auch sie ins Land anmutiger Träume hinüber; wenn sie noch bisweilen zwischen Schlaf und Wachen aufsah, erblickte sie die goldnen Reifen im Kreistanz über sich, und das holde Mondscheinauge der sie bewachenden Drude.