Kitabı oku: «Arzt in den Höllen», sayfa 2

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Ich hatte auch Beziehungen zu einigen Genossen in Magdeburg, wo ich früher einmal gelebt hatte, und eines Tages erreichte mich ein Telefonanruf aus Magdeburg. Liesel sagte mir, dass sie eine Besuchsfahrt nach Dresden machen würde und heute nachmittag mit dem Auto käme.

Liesel brachte drei Freunde mit. »Der eine ist aus dem Konzentrationslager Oranienburg geflüchtet, du musst ihn über die Grenze in die Tschechoslowakei zu den dortigen Genossen schaffen. Die anderen sind Begleiter«, erklärte sie mir. Ich war sofort dazu bereit.

Der Geflüchtete war ein kräftiger, gesund aussehender Mann, Arbeiter im mittleren Alter. Er war auf listige Art entwichen, indem er zwei nachlässige Posten getäuscht hatte. Die sollten ihn zum Zahnarzt bringen und, zu bequem, ihn zu begleiten, hatten sie ihn ein Stück allein laufen lassen. Der Mann war übrigens der Zweite, dem bis dahin die Flucht aus dem Lager Oranienburg glückte, alle anderen Flüchtlinge waren ergriffen und erschossen worden.

Wir fuhren zu Barth. Der erklärte sich bereit, den Oranienburger bei sich aufzunehmen, bis die Flucht über die Grenze vorbereitet sei. Damals war ein Buch über das Konzentrationslager Oranienburg erschienen, geschrieben von dem SA-Führer Schäfer und gedacht als Antwort auf die Enthüllungen des ersten Entflohenen, des SPD-Abgeordneten Gerhart Seeger, der im Ausland ein Buch über die Greuel in Oranienburg geschrieben hatte. In dem von Lügen strotzenden Buch des ehemaligen Lagerkommandanten waren einige Bilder von Häftlingen abgebildet, unter denen sich auch unser Geflüchteter befand. Unrasiert, finster dreinblickend, in gestreifter Häftlingskleidung mit großem Nummernschild auf der Brust, sah er auf dem Bild wenig vertrauenerweckend aus.

In Wirklichkeit war er ein sympathischer Typ, ein Mensch wie Tausende. Es schien also keine Kunst zu sein, auf einer Fotografie einen normalen Menschen wie ein Tier verzerrt erscheinen zu lassen: ein Stück Nazipropaganda. Und so verlogen wie dieses Bild war das meiste in diesem Buch. Die Bilder aus dem KZ zeigten freundliche Baracken – die mit Maschinengewehren bestückten Wachtürme rings um das Lager waren wegretuschiert –, sie zeigten fröhlich arbeitende Menschen – von den Gemarterten und unter Qualen Gestorbenen waren weder ein Bild zu sehen, noch ein Wort zu lesen. Aber mit den Erzählungen unseres Geflüchteten erfuhren wir von alledem aus erster Hand.

Peschel, der in der Tschechoslowakei politische Freunde hatte, erklärte sich bereit, mit über die Grenze zu gehen. Thielemann hatte seine Ausweispapiere zur Verfügung gestellt, damit wir für den Flüchtling Grenzübergangsscheine bekämen.

Es war ein heißer Junitag, als wir drei losgingen: Peschel, der Flüchtling und ich. Wir fuhren ein Stück des Weges, über die Grenze mussten wir zu Fuß. Der Flüchtende hatte eine dunkle Brille aufgesetzt, aber es drohte keine Gefahr. Anstandslos bekamen wir unsere Papiere, und ohne Aufenthalt überschritten wir die Grenze. Dann wurde der Flüchtling plötzlich müde. Ich fragte ihn erstaunt: »Was, du kräftiger Mann willst nach zwei Stunden Marsch schlapp machen?«

»Du vergisst« , sagte der Flüchtling, »dass ich zwei Jahre schlechtes Essen und Entbehrungen hinter mir habe und das Bergsteigen nicht gewöhnt bin«. Ich war beschämt und verstand ihn. Wir kamen zu den tschechoslowakischen Genossen, übergaben den Flüchtling und kehrten heim.

Eine Welle des Glücksgefühls überflutete uns, dass wir diesem verhassten Dritten Reich wenigstens ein Opfer hatten aus den Zähnen reißen können. Endlich waren wir einmal aus der Passivität herausgekommen.

Eine Woche später kam ein älterer Genosse aus dem Magdeburger Parteikreis zu mir in die Dresdner Klinik: »Ich komme aus der Tschechoslowakei, kann ich eine Nacht bei dir bleiben?« Ich sagte zu. Nach einigen Tagen kam er wieder und brachte einen Bekannten mit. Auch ihn nahm ich auf. Sie wollten über die Grenze. Ich hatte aber keine Zeit, selbst mit über die Grenze zu gehen, holte Berthold heran, der sich gern bereit erklärte, die beiden zu begleiten. Ich borgte meinen Pass, Bertholds Vater den anderen, und so gingen die drei bis zur Grenzstation, wo Berthold sie hinüberbrachte. Später gab er mir meinen Pass zurück.

Es kamen in der Folge noch einige Genossen, die ich selbst teils bei mir aufnahm, teils über die Grenze beförderte. Dann erhielt ich illegale Zeitungen und auch die kleinen, als Reclamhefte getarnten Broschüren über den Reichstagsbrand. Ich las alles und gab es an Vertraute weiter. Wir waren ja alle ausgehungert nach Informationen, konnten wir doch lediglich die starr frisierte Nazipresse lesen. Nur gelegentlich erwischte man einmal eine ausländische Zeitschrift, die einem mehr Wahrheit über Deutschland brachte, mehr von dem, was man nur wisperte.

Aber wo sollte ich illegale Zeitungen aufheben? In meinem kleinen Zimmer musste ich ständig darauf gefasst sein, auch einmal eine Haussuchung über mich ergehen lassen zu müssen. Oft sah ich meine ganze Habe durch, ob sich nicht irgend etwas Verdächtiges darin fand, machte »Haussuchungen« bei mir selbst. Und für die illegalen Zeitungen fand ich im Archiv der Klinik hinter einem Stapel von alten Büchern ein gutes Versteck. Niemand kam sonst dahin.

Im März 1935 fragte mich Berthold nach einem Quartier für einen illegal Arbeitenden. Da in meinem Zimmer kein Platz war, fragte ich Peschel, der bejahte. »Gut«, sagte ich zu Berthold, »ich habe ein Quartier, aber ich möchte dir die Anschrift nicht sagen, sondern nur dem Illegalen. Ich gebe dir einen Brief für den Illegalen mit, in dem die Anschrift steht.« Ich schrieb, versiegelte den Brief und gab ihn Berthold. Später erfuhr ich, dass der illegale Genosse richtig in sein Quartier gekommen war. Ich besuchte Peschel und traf den Illegalen bei ihm. In der Unterhaltung mit ihm setzte er sich hartnäckig für die Schaffung von »Einheitsgewerkschaften« ein. Ich schüttelte den Kopf, verstand nicht, wie man unter diesem Terror Einheitsgewerkschaften fordern konnte, statt kleinste Zirkel zu schaffen. Später zeigte sich, wie recht ich damit gehabt hatte.

Viele Jahre später erfuhr ich aus einem Buch, welch riesiges Ausmaß die illegale Arbeit im Grenzgebiet zur CSR damals angenommen hatte. Allein im Jahre 1935 registrierte die Gestapo über anderthalb Millionen illegale Materialien. Dass bei solchen Mengen für Verräter oder Spitzel der Zugriff nicht besonders schwer war, lässt sich denken. Dementsprechend gingen die Verhaftungen zu dieser Zeit in die Tausende.

Erst zu jenem Zeitpunkt, als der Illegale, Hedler hieß er, bereits in Polizeihände gefallen und bei einem Fluchtversuch nach einem Treff im Dresdner Ostragehege von der Gestapo erschossen worden war, begann ich mir über Berthold Gedanken zu machen. Meine Ahnungen von damals fand ich bestätigt, als ich in dem erwähnten Buch auch tatsächlich von der verhängnisvollen Rolle erfuhr, die Berthold bei all dem gespielt hatte.

Anfang 1935 rief mich Berthold an, ob ich einen Bekannten für kurze Zeit beherbergen könnte. Ich vertraute ihm damals immerhin noch so sehr, dass ich zusagte. Berthold brachte mir einen jüngeren Mann, einen Techniker, wie er angab. Der nächtigte bei mir. Wir unterhielten uns. Der Techniker erzählte von Einheitsfrontbesprechungen, die er gehabt habe, fragte auch, ob ich nicht Leute wüsste, die vielleicht zu weiteren Gesprächen über dieses Thema bereit wären. Ich sagte, ich wüsste wohl einige und vielleicht sogar einen, der aktiv mitmachen würde.

Am nächsten Morgen wusch sich der Techniker nur flüchtig, und ich brachte ihn aus dem Haus. Wir verabredeten uns für den Nachmittag, wo ich ihn einem geeigneten Bekannten zuführen wollte. Der Techniker erschien, aber ich hatte meinen Bekannten noch nicht antreffen können. Wir gingen einige Schritte weiter, da sagte der Techniker zu mir: »Nun, ich weiß jetzt wohl genug. Hier, das kennst du doch sicher?« Und er zog aus der Tasche ein kleines Kärtchen, in Leder eingefasst, auf dem stand: »Geheime Staatspolizei«.

Es war wie ein Donnerschlag für mich.

Gestapo, Gefängnis, Zuchthaus

Ich war in den Händen der Gestapo. Wir standen an einer Straßenkreuzung, und von drei Seiten kamen Männer in Zivil auf mich zu, nahmen mich in ihre Mitte und führten mich zu einem Auto. Sie drohten, ja kein Aufsehen zu machen. Wir stiegen ein. Ich stand noch unter dem Eindruck des tödlichen Schreckens, aber ich biss die Zähne zusammen, um nicht zu zittern, um hart zu bleiben. Mich fror, und ich bat, das Außenfenster zu schließen. »Oh«, sagte der eine Beamte, »das ist nur die Reaktion auf die Verhaftung. Das äußert sich bei dem einen so, bei den anderen so.«

Wir fuhren. Dann standen wir wieder. Zwei stiegen aus, um meine Arbeitsstelle zu verständigen. »Wie viel verdienen Sie im Monat?« fragte der Beamte. Ich nannte eine Summe. Aber ich war nicht deprimiert und fragte den Beamten das gleiche, der antwortete ausweichend. Die zwei Beamten kamen wieder. »Wie heißt deine Freundin?«, wollte der eine Beamte wissen. Ich überlegte einen Augenblick, dann, als ich ganz klar wusste, dass sie nichts mit irgendwelchen illegalen Angelegenheiten zu tun hatte, sagte ich ihren Namen. »Und wo wohnt sie?« Auch das sagte ich. Wir fuhren. Der Ältere herrschte mich an: »Und nun muss die volle Wahrheit gesagt werden!« Ich biss auf die Zähne. Ich wusste genau, so lange ich lebte, könnten sie von mir nichts erfahren.

Vor dem Polizeipräsidium hielt der Wagen. Zum letzten mal grüßte ich die freie Straße mit den grünenden Bäumen. Dann betraten wir ein Zimmer. »Hände hoch!« Meine Taschen wurden visitiert, alles herausgenommen. Dann begann ein kurzes Verhör, aber als ich auf alle Fragen nur sagte: »Darüber werde ich nichts sagen«, schienen sich die Beamten eines anderen zu besinnen. Sie sagten: »Wir werden jetzt deine Freundin verhaften«.

»Sie ist völlig unschuldig und an dem Ganzen unbeteiligt«, entgegnete ich. Darauf reagierten sie nicht. Ich sagte: »Sonst hätte ich Ihnen ihren Namen nicht genannt.«

»Das hätten wir auch so herausbekommen.«

Sie ließen mich abführen. Eine eiserne Tür tat sich vor mir auf, und dann war ich in einem langen, schmalen Lichthof, von dem ich aufschauend sechs Etagen eiserner Rundgangsstiegen sah, Drahtnetze über jede Etage gespannt. Poltern dort, Schlüsselklirren, Rufen.

Man nahm mir sämtliche Sachen ab, sogar Hosenträger und Schuhbänder. Später erfuhr ich, dass das wegen der Selbstmordgefahr geschah. Sogar die Brille musste ich abgeben. Offenbar war auch Glas ein Gegenstand, der für Pulsadern gefährlich schien. Dann erhielt ich ärmliches Drillich und ein zerschlissenes Hemd. Ich war jetzt kein Zivilist mehr, das Gefangenenleben hatte begonnen.

Dann kam das Schlimmste: Ich musste beide Hände auf den Rücken legen, und sie legten mir eine Eisenfessel darum. Sie schnürte nicht nur die Hände, sondern auch die Arme zusammen, dass sie schmerzten. Dann führte man mich die äußeren, knarrenden Stiegen empor, schloss eine ächzende Tür auf, und ich betrat einen winzigen Raum, in dem ich in der dort herrschenden Dunkelheit zunächst gar nichts sah.

Der Raum war von einer Häuserwand, die unmittelbar vor dem winzigen, fast an der Decke klebenden Milchglasfenster stand, so dunkel, dass man Gegenstände erst nach einiger Zeit undeutlich unterscheiden konnte. Was war das für ein Apartment! Sechs kleine Schritte in die Länge und vier kleine Schritte in die Breite. Ein hölzernes Klappbrett als Tisch und ein kleines als Sitzgelegenheit. An der Wand befestigt eine Eisenpritsche, die anscheinend als Schlafgelegenheit dienen sollte. Gegenüber an der Wand ein kleines Holzgestell mit einem Becher und einem stumpfen Messer aus Holz. In der Ecke ein Abortkübel, in der anderen ein Krug mit Wasser und eine Schüssel, darüber ein Klingelknopf an der Wand. Weiter befand sich nichts, auch gar nichts im Raum. Und Dunkelheit, fast schwarze Dunkelheit. Hielt man in der Nähe des vergitterten Fensters einen Gegenstand hoch oben bis an die Milchglasscheibe, so konnte man ihn ziemlich genau erkennen, in den anderen Teilen des Raumes war es düster. Die Zelle war kalt, obwohl es draußen ein heißer Tag war. Aber die Steinwände waren dick, sehr dick und hielten die Kühle. Mich fror.

Ich saß, stand, ging. Die Wände hallten von meinen Schritten wieder, sonst war es totenstill in dem kleinen Raum. Allmählich begannen meine Schultern vom Druck der Fessel zu schmerzen.

Ich überdachte das bunte, farbige Leben, das ich draußen gehabt hatte, ich dachte an meine Freundin, und ich hoffte, dass sie von dem gleichen Schicksal verschont bliebe. Vielleicht hatten die Beamten nur drohen wollen.

Die Zeit verging, ich hatte keine Ahnung, wie schnell. Es musste wohl schon Abend sein. Ich hatte Hunger. Hatte man mich vergessen? Draußen schlurften Schritte auf dem Eisensteg vorbei. Ich klopfte mehrmals mit dem Fuß an die eisenbeschlagene Tür. Jemand stand vor der Tür. Ich fragte nach der Zeit. »Zum Abendessen ist es noch lange hin«, sagte die Stimme draußen. Merkwürdig, ohne Uhr, ohne bekannte Umgebung hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Es wurde noch düsterer in dem Raum.

Plötzlich ein Schlüsselklirren, man schloss auf. Ein uniformierter Polizeibeamter trat ein und schloss mir die Fessel auf, die »Brezel«, wie er sagte. Ich dehnte meine schmerzenden Schultern. »Ja, bewegen, immer bewegen«, meinte der Beamte. Man stellte irgendeine kümmerliche Suppe in einem Blechnapf vor mich hin. Dann ließ man die Pritsche von der Wand herab und gab mir zwei Decken. Aber die Hände wurden mir wieder auf dem Rücken gefesselt. So lag ich. Auf dem Rücken zu liegen war unmöglich, ein wenig auf der einen, ein wenig auf der anderen Seite. Aber kaum war ich eingeschlafen, so weckten mich grausam die angespannten Schultern und die gefesselten Hände. An Schlaf war kaum zu denken.

Nach einer endlosen Nacht graute der Morgen. Wieder öffnete man die Tür und schloss meine Fessel auf. Man ließ mir ein wenig Zeit, mich in der Schüssel zu waschen. Ich bekam trockenes Brot und irgend etwas Heißes zu trinken. Kurze Zeit danach schloss man meine Fessel wieder. Ich hatte mir eine Decke um die Schultern geben lassen, so dass ich nicht fror. Der Beamte hatte mir bedeutet, dass ich, wenn ich austreten müsse, klingeln solle. Mit der Stirn drückte ich dann auf den Klingelknopf an der Wand, bis nach einiger Zeit ein Beamter erschien.

Aber an diesem zweiten Tag war es insgesamt schon anders. Ich fand mich mit der Zeit besser zurecht. Irgendwo hörte ich weit in der Ferne und ganz leise eine Turmuhr schlagen und konnte ihre Schläge zählen. So hatte ich jetzt eine Tagesorientierung.

Dieser Tag war ein Sonntag. Ich fragte einen Beamten, ob am Sonntag auch Vernehmungen sein würden. »Im Allgemeinen nicht.« »Schade«, sagte ich, »so verliere ich wieder einen Tag.« Ich war noch unerfahren in diesen Dingen und naiv genug zu glauben, dass ein einzelner Tag in meinem künftigen Leben eine Rolle spielen würde. Ich dachte bei mir, viel länger als ein halbes Jahr könne die Sache doch wohl kaum dauern. Denn was konnten sie mir schon nachweisen? Ich kannte die Gestapo- und überhaupt die damaligen Polizeimethoden noch nicht, ich hatte ja niemals etwas damit zu tun gehabt.

Man holte mich zum Verhör. Ich stand, die Beamten saßen. Scharf war der Ton der Fragen. Man fragte mich nach den Leuten, die ich über die Grenze gebracht hatte oder hatte bringen lassen. Ich war überrascht. Woher wussten sie davon? Nur Berthold war davon informiert gewesen, aber der war doch zuverlässig, dachte ich. Ich leugnete alles ab. Ich wusste genau, dass ich niemanden von meinen Kameraden verraten würde. Die Beamten sagten zu mir: »Es hat keinen Zweck, wir wissen doch alles, wie Sie sehen werden. Also geben Sie es zu, und Sie werden besser behandelt. Solange Sie nicht zugeben, besteht Verdunkelungs- und Selbstmordgefahr, und wir müssen Sie fesseln«. Ich versicherte ihnen, dass mir nichts ferner liege als ein Selbstmord, aber sie gingen nicht darauf ein. Offenbar war ihnen diese Fesselung ein bequemes Mittel der Tortur, um Aussagen zu erzwingen. Sie ließen mich wieder gehen.

Nach einigen Tagen holten sie mich wieder, um mich meiner verhafteten Freundin gegenüberzustellen. Das Mädel sah verstört aus, weinte, bat, doch zu reden, damit sie freikomme. Ich war entsetzt. Das war sie also, die immer treu zu mir gestanden hatte, an deren Moral ich nicht gezweifelt hatte. Und sie bat mich nun, die Kameraden zu verraten, damit sie frei käme! Ingrimmig lachte ich in mich hinein und wandte mich ab. »Und das rührt Sie nicht?«, fragte der Beamte. Ich schwieg.

Einige Tage später rief man mich wieder hinunter. Ich fuhr entsetzt zurück, als ich meine weinende Mutter vor mir sah. Die alte Frau hatte eine weite Reise zurückgelegt, um mich zu sehen. Weinend umarmte sie mich und flüsterte mir ins Ohr: »Tue doch alles, was man dir sagt, damit du bald wieder freikommst!« Ich war befremdet. Offenbar hatten die Gestapo-Beamten es ihr so geraten. Dann meinte sie laut: »Wenn du aber in vier Wochen nicht frei bist, komme ich noch einmal zurück.«

Ich war kühl geworden, es war mir alles peinlich. In diesem zerschlissenen Drillichanzug, seit Wochen nicht rasiert, mit ungekämmtem Haar, von Polizisten hereingebracht und wieder abgeführt, mochte ich meinen Angehörigen nicht gegenübertreten. Ich wollte nicht Gegenstand ihres Weinens oder ihres Mitleids sein und nicht unter den Augen von neugierigen Beamten irgendwelche Worte wechseln. Mein Stolz ließ das alles nicht zu. Ich war froh, wieder allein zu sein. Aber offenbar hatte man meine Mutter hereingelassen, um mich weich zu machen. Gewiss, schreiben wollte ich ihr, aber das ließ man nicht zu, so oft ich auch darum bat. Ich wusste, dass die anderen politischen Gefangenen schreiben durften, aber bei mir sagte man stets: »Erst wenn Sie ausgesagt haben.« Ich durfte auch nicht wie die anderen politischen Gefangenen täglich eine halbe Stunde im Hof herumgehen oder mir Wäsche schicken lassen oder ein paar Lebensmittel kaufen oder meine Zivilkleidung tragen. Alles verweigerte man mir und immer mit der Begründung: »Erst aussagen!«

Aber das Schlimmste war die Fessel. Mit der Zeit wurde der Schmerz in den Schultern fast unerträglich. Der Wachbeamte, mit dem ich darüber sprach, sagte zu mir: »Machen Sie doch ein Gesuch, schreiben Sie, dass die Fesseln Sie in Ihrer Gesundheit beeinträchtigen.« Ich tat das. Ich wurde heruntergerufen, und man hielt mir mein Gesuch als eine bodenlose Unverschämtheit vor, man beschimpfte mich. Und wieder befahl man mir: »Erst aussagen!«

Um irgend etwas auszusagen und den unbequemen Fragereien zu entgehen, gab ich zwei Adressen an, mit denen ich angeblich in Verbindung gestanden hatte. Aber ich hatte diese Personen fingiert, sie existierten für die Gestapo nicht. Eine war, das wusste ich, bereits vor Monaten ins Ausland emigriert, für die andere gab ich eine Phantasie-Adresse an: »Berlin SW 68 postlagernd«. Das war die Anschrift eines früheren Zeitungsamtes, die mir eingefallen war.

Nach einigen Wochen sahen auch die Gestapo-Beamten ein, dass ich sie an der Nase herumgeführt hatte. Sie waren zornig darüber, welch großen Beamtenapparat sie hatten aufbieten müssen, um das zu begreifen. Fortan war ich noch schlechter bei ihnen angeschrieben. »Nie werden Sie die Freiheit wiedersehen«, schrieen sie mich an. Ein andermal riefen sie mich zum Verhör. Als ich an der Tür stand, erblickte ich Anni Sindermann, mit der ich einen illegalen Treff gehabt hatte. Plötzlich erhielt ich einen wüsten Stoß gegen den Rücken und taumelte ins Zimmer gegen die Frau. »Du willst dich wohl an der Frau vergreifen, du feiner Bruder, wart’ nur, das werden wir dir austreiben!« herrschte mich einer der Gestapo-Beamten an.

Und als ich alles Vorgehaltene wieder einmal ableugnete, schlugen sie mir mit Fäusten ins Gesicht und traten mir gegen die Schienbeine. »Mit dir fahren wir noch einmal in den Wald!« drohten sie.

Ich war noch immer unerfahren und dachte tatsächlich, halbwegs in einem Rechtsstaat zu leben. Keuchend bat ich den uniformierten Wachbeamten vor meiner Zelle um Schutz.

Am nächsten Tag wurde ich hinuntergerufen. Gefesselt betrat ich das Zimmer eines Gestapoinspektors. Die beiden Beamten, die mich geschlagen hatten, saßen auch dabei.

»Sie haben um Schutz nachgesucht?« fragte der Inspektor.

Ich bejahte.

»Warum? Sind Sie geschlagen worden?«

Ich erklärte, hier, vor diesen zwei Beamten, könne ich nicht sprechen.

Der Inspektor befahl den Beamten, hinauszugehen. »Sind Sie geschlagen worden?«

Ich bejahte.

»Von wem?«

Ich überlegte. Würde ich jetzt die Namen der Beamten nennen, die der Inspektor natürlich genau kannte, so würden sie meine martervolle Fesselung und die übrigen Torturen bis ins Endlose weiter fortsetzen, vielleicht käme noch Schlimmeres. Es hatte also keinen Zweck, sich noch persönliche Feinde zu schaffen. Ich sagte darum: »Ich verweigere die Aussage.«

»Dann verweigere ich auch die weitere Untersuchung«, schrie der Inspektor, und er beschimpfte mich, wie man ein Stück Vieh beschimpft. Dann ließ er mich abführen. Immerhin war der Erfolg in dieser Sache doch der, dass ich bei den folgenden Verhören nun zunächst nicht mehr geschlagen wurde.

Sie hielten mir Dinge vor, über die ich erstaunt war. Nur Berthold war darüber so genau informiert gewesen. Warum hatte er das alles gesagt? Warum hatte er geradezu mit Liebe jede Einzelheit ausgemalt? Warum hatte er Dinge gesagt, die darauf schließen ließen, dass ich noch weitere Leute über die Grenze gebracht hatte? Berthold, dieser so zuverlässige Bursche, der mit Eifer jede illegale Sache verfolgte! Es war Verrat, den ich nicht verstand.

Sie fragten mich: »Was war mit dem versiegelten Brief?« Ich leugnete, irgend etwas darüber zu wissen. Sie fragten mich, wer denn das sei, »der alles mitmache?« Ich nannte die fingierte Adresse. Sie fragten mich, was Thielemann in der Sache mitgemacht habe. Ich sagte, ich kenne den Mann nicht. Sie fragten weiter: »Wer ist der Ingenieur in den Hille-Werken?« Innerlich erschrak ich, denn Barth war ja in den Hille-Werken beschäftigt. Aber weil ich zufällig einen anderen, harmlosen Menschen dort kannte, nannte ich den. Sie achteten nicht darauf. Später drohten sie mir, dass sie mich zu ihm nach Warnemünde mitnehmen würden. Woher wussten sie, dass Barth jetzt in Warnemünde war? Wollten sie ihn verhaften? Sollte ich dabei als Lockspitzel dienen? Aber ich blieb äußerlich ruhig, und sie gingen nicht weiter darauf ein.

Dann empfing ich einen Brief, den meine Freundin aus der Zelle an mich geschrieben hatte. Sie erinnerte mich daran, wie sie sich früher für mich aufgeopfert, wie sie andere Menschen für mich aufgegeben hätte, und nun wollte ich sie vernichten. Sie halte das nicht mehr aus. Wenn ich nicht spräche, so würde sie Selbstmord verüben, Gelegenheit dazu böte ja ihre Zelle. Ich war betroffen. Ich hatte mich bei den Aufsicht führenden Polizeibeamten genau erkundigt und wusste, wie es meiner Freundin ging.

Sie hatte eine für meine jetzigen Begriffe schöne, sonnige Zelle. Sie konnte jeden Tag an die frische Luft gehen, sie konnte schreiben, Pakete empfangen, sie konnte Lebensmittel kaufen, sie konnte ihre Zivilkleidung tragen, während ich wie ein Hund lebte. Und dann schrieb sie, sie halte das nicht mehr aus! Sie wollte mich dazu bringen, meine Kameraden zu verraten, nur damit sie selbst frei käme. Ekel erfüllte mich. Hatte man mich nicht früher schon einmal vor ihr gewarnt? Warum war ich so blind gewesen?

Was blieb noch übrig? Der Freund, der mich verraten hatte, das Mädchen, das mich zum Verrat erpressen wollte. Dazu die dunkle Zelle und die endlosen Tage. War ich nicht sehr unvorsichtig gewesen, mich solchen Menschen anzuvertrauen? Hätte ich nicht viel mehr prüfen sollen? Gewiss, ich glaubte, geprüft zu haben, aber das war doch alles viel zu kurz und zu oberflächlich gewesen.

Zwei- oder dreimal brachte man mir einen Brief meiner Mutter. Sie war sehr verzweifelt. Sie schrieb von den Schönheiten unserer ländlichen Heimat und von der Hoffnung, mich bald wieder zu sehen. Man erlaubte nicht, dass ich ihr antwortete. Dann blieben die Briefe aus. Offenbar glaubte sie nicht, dass ich die Briefe bekommen hätte. Ich war mir selbst überlassen. Nur die Briefe der Mutter lagen auf dem Holzbrett, das als Tisch diente.

Meine Stimmung begann zu sinken. In der dritten oder vierten Woche nach der Verhaftung war ich auf dem tiefsten Punkt angelangt. Das Schlagen bei den Verhören, der Verrat des Freundes, die erpresserischen Versuche der Freundin, die Verzweiflung der Mutter, die eigene Hilflosigkeit, die schmerzenden Fesseln, die düstere Zelle, das alles drückte mich sehr nieder.

So äußerte ich mich auch einem Wachmann gegenüber, der freundlich zu mir war. Der munterte mich auf, erzählte mir von seinen eigenen Erlebnissen als gefangener Soldat in Afrika, wo er ein halbes Jahr in Ketten unter der Erde geschmachtet habe. Und wirklich, die wenigen freundlichen Worte machten mir wieder Mut. Ich überwand den Tiefpunkt meiner Stimmung. Ich begann, meine morgendlichen Waschungen mit einem gewissen Zeremoniell zu betreiben, es gelang mir sogar, eine alte Illustrierte zu bekommen, in der ich während der Zeit, in der man mir in der dunklen Zelle das Licht kurz eingeschaltet hatte, jedes Wort von vorn bis hinten gründlich las.

Freilich, die Verhöre blieben. Die Drohungen der Gestapo-Beamten, die mir sogar den Tod ankündigten, ließen mich gleichgültig. Meine innere Stärke wuchs. Aber ich war mir klar darüber, dass ich dies alles nur aushalten könnte, wenn ich bis zum letzten entschlossen wäre. Und das war ich. Ich war entschlossen, nichts, aber auch nichts von meinen Geheimnissen preiszugeben, niemanden von meinen Kameraden zu verraten, auch wenn sie mich totschlügen. »Irgendwann vorher wird mich eine wohltätige Ohnmacht umfangen«, sagte ich mir. So trug ich die Schläge und Tritte bei den Verhören, die Qual der Fessel und die übrigen Schikanen. Das Schlimmste war, dass ich nicht wusste, wie lange diese Marter dauern würde. Ich fragte manchmal die Wachleute danach. Sie antworteten immer ausweichend. Einer nannte mir einmal ein viertel bis ein halbes Jahr. Innerlich erschrak ich. Sechs, acht Wochen waren jetzt vorbei. Sechs, acht qualvolle Wochen. Und nun noch länger?

Die Wachleute wurden allmählich freundlicher zu mir. Anscheinend hatten sie Achtung vor mir. Meine Fesseln wurden oft nur lose angelegt, so dass es mir gelang, eine Hand daraus hervorzuziehen. Freilich musste ich das sorgfältig verbergen, denn jeden Moment konnte die Tür aufgehen und ein nicht eingeweihter Wachtmeister eintreten. Unter der Decke, die mir über die Schultern hing, verbarg ich meine Hände. Ab und zu brachte man mir auch eine leichte Lederfessel, die die Hände nur vorn band. Sie war im Vergleich zur »Brezel« auf dem Rücken ein Vergnügen. Auch konnte man gelegentlich eine Hand daraus hervorziehen.

Eines Tages bekam ich einen kleinen Kriminalroman in die Zelle hineingeworfen. Ich war ausgehungert nach Lektüre. Hielt ich das Buch mit der Hand oben an das Fenster, so konnte ich sogar, wenn die Sonne schien, lesen. Manchmal machten mir freundliche Wachtmeister die kleine, vergitterte Deckenlampe an. Ich las den Roman mehrere Male, ich kannte bald jeden Satz darin auswendig. Wie köstlich es war, etwas Gedrucktes vor sich zu haben und für kurze Zeit der Eintönigkeit der eigenen Grübeleien zu entfliehen!

Und doch waren diese Grübeleien heilsam. Nie hatte ich soviel Zeit, mein eigenes Leben betrachten zu können, meine Fehler, meine Beziehungen zu anderen Menschen. Ich wurde hellhörig. Wie ich aus dem weit entfernten Glockenschlag jetzt die Zeit erkannte, so lernte ich in der Stille, aus kleinen, scheinbar nichtssagenden Zeichen, aus wenigen Worten den Charakter eines Menschen besser erkennen und beurteilen, als ich es je vorher gekonnt hatte.

Ich entsann mich winziger Begebenheiten, die ich an meinen Freunden, an Bekannten, an meiner Freundin, meinen Vorgesetzten beobachtet hatte. Warum hatte ich dies alles vorher nicht gesehen? Warum waren meine Sinne erst jetzt so geschärft? Nun sah ich ein, wie außerordentlich heilsam diese Wochen der Einsamkeit für mich waren. War nicht klösterliche Abgeschiedenheit etwas ähnliches? Schöpften nicht die größten Geister immer wieder ihre Kraft aus der Stille und der Einsamkeit? Ja, ich war bereit, jedem Menschen einmal einige Wochen solcher Abgeschiedenheit zu wünschen. Es musste ja nicht mit Fesseln und Torturen verbunden sein. Würden nicht viel Oberflächlichkeit, Heuchelei, viele Verkrampfungen verschwinden, wenn jeder irgendwann einmal eine Zeit stiller Selbstbesinnung hätte?

Als vielleicht acht oder neun Wochen verflossen waren, sagte ein Wachtmeister zu mir: »Nun wird es sich bald zeigen, wer stärker ist, die Behörde oder Sie«. Ich horchte auf, die Wachleute wussten also, worum es ging. Offenbar waren einige der Wachtmeister mir wohlgesonnen, vielleicht sogar auf meiner Seite. Sie wurden zusehends freundlicher, verschafften mir diese oder jene Erleichterung, sei es etwas zu lesen, sei es, dass sie meine Zellentür einmal lange aufließen oder mich für kurze Zeit gar in eine andere Zelle beorderten.

Das waren glückliche Augenblicke, denn die Sonne wollte ich noch einmal sehen, die Sonne. »Noch einmal die Sonne sehen, noch einmal die Sonne sehen«, so klang es in mir. Sie schien mir der Inbegriff aller Schönheit und der Freiheit zu sein nach dem Dunkel, das mich seit Monaten umhüllte. Aber noch war es mir nicht vergönnt, sie wieder zu sehen.

Ab und an wurde ich zum Baden in den Keller hinuntergeführt. Dort hing ein kleiner Spiegel. Ich erschrak, als ich mich sah. Blass, mit wirrem Haar; mein Bart, beinahe drei Zentimeter lang geworden und am Kinn schon grau, ließ mich um ein Dutzend Jahre älter erscheinen. Wie ein Straßenräuber sehe ich aus, dachte ich bei mir. Ein andermal traf ich dort überraschend auf Peschel. Es gelang mir, unbemerkt an seine Seite zu kommen und einige wenige Worte mit ihm zu flüstern. Dann wurden wir getrennt.

An den Abenden hörte ich jetzt über meiner Zelle hin und wieder Gespräche. Ich merkte, dass da politische Gefangene miteinander sprachen. Ich rief am Fenster nach oben und machte mich bemerkbar. Die über mir gehörten zu einer Parallelgruppe, die zum gleichen Zeitpunkt wie ich verhaftet worden waren. Ich erfuhr, dass Redler, jener illegale Flüchtling, dem ich das Quartier bei Peschel beschafft hatte, von der Polizei erschossen worden war.

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18+
Hacim:
293 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783360500670
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