Kitabı oku: «Der Mann von Eisen», sayfa 4
Mit leuchtenden Augen hatte die Mutter ihr zugehört, jetzt streckte sie die Hände nach ihr aus, zog das errötende Mädel an ihre Brust und küsste es auf Stirn und Haar … Ja, Mütter sind manchmal so komisch.
7. Kapitel
Eines Abends fragte Nadrenko, weshalb Hanna nicht mehr ausritte. Der kleine Unfall könne ihr doch nicht das Vergnügen an dem edlen Sport verleidet haben. Außerdem müssten die Reitpferde auch bewegt werden. Ihm persönlich würde es auch sehr angenehm sein, ein Reitpferd benutzen zu können, da er jetzt doch das große Gut allein beaufsichtigen müsste.
Hanna ging bereitwillig auf den Vorschlag ein und ordnete an, dass ihr am anderen Morgen um neun Uhr das Reitpferd ihrer Mutter vorgeführt würde. Als sie zur festgesetzten Stunde aus dem Hause trat, hielt der Reitknecht zwei Reitpferde am Zügel.
»Für wen ist das zweite Pferd?«
»Herr Nadrenko hat befohlen, dass ich das gnädige Fräulein begleiten soll.«
Langsam ritt Hanna in den taufrischen Morgen hinein. Sie war etwas enttäuscht, denn sie hatte erwartet, dass Nadrenko sie begleiten würde. Eine Viertelstunde war sie unterwegs, als sie den Inspektor vom Felde her auf sich zukommen sah. Er machte zu Pferde eine vorzügliche Figur und sah aus wie ein Kavallerieoffizier in Zivil, wie Hanna mit Kennerblick feststellte.
»Darf ich Sie bitten, gnädiges Fräulein«, rief er grüßend, »das Feld zu inspizieren? Ich hoffe, Sie werden mit mir zufrieden sein. Es steht alles vorzüglich. Die Sommerung ist gut aufgegangen.«
Lachend schüttelte Hanna den Kopf.
»Ich bin zu dieser Rolle wenig geeignet. Meine landwirtschaftlichen Kenntnisse sind recht gering. Und außerdem will ich spazieren reiten und die Natur genießen. Auf einen fachmännischen Vortrag von Ihnen verzichte ich gern. Ihre Versicherung genügt mir.«
Nadrenko verbeugte sich lachend im Sattel.
»Dürfte ich Sie trotzdem begleiten?«
Lachend wies Hanna mit dem Kopf nach dem Reitknecht, der in angemessener Entfernung zurückgeblieben war.
»Sie haben mir ja schon einen Begleiter mitgegeben.«
»Verzeihung, gnädiges Fräulein, sonst hätte ich Sie ja nicht bitten dürfen, auch meine Begleitung anzunehmen.«
»Ach so«, lachte Hanna, »das ist von Ihnen ein wohlüberlegter Plan. Sie haben schon vorher für einen Anstandsjüngling gesorgt.«
Langsam setzten die Pferde sich in Bewegung.
Nadrenko erzählte, dass er schon einmal bis zur hintersten Grenze gewesen sei und dort Soldaten erblickt hätte.
»Ach, da wird die Garnison wohl eine Übung abhalten. Wollen mal hin reiten und uns die Sache ansehen. Ich kenne alle Offiziere.«
Sie ließ ihr Pferd in Trab fallen. Auf der nächsten Anhöhe machte sie halt und sah sich um.
»Gnädiges Fräulein werden vergeblich ausschauen. Im modernen Kriege ist wenig von den Soldaten zu sehen. Wir haben sehr oft in heftigem feindlichen Feuer gestanden, ohne die Stellung der Japaner entdecken zu können.«
In demselben Augenblick erschien über dem bewaldeten Bergrücken, der etwa einen Kilometer vor ihnen lag, ein weißes Wölkchen. Und eine Sekunde später kam der dröhnende Schall eines Kanonenschusses, dem schnell hintereinander mehrere folgten. Jetzt knallte es auch rechts von ihnen aus einer Erdfalte, die sie nicht übersehen konnten.
»Wir sind mitten im Gefecht, ohne es zu ahnen«, rief Hanna, wandte ihr Pferd nach rechts und ritt in scharfem Trab den Seitenweg auf die feuernde Batterie zu. Nadrenko blieb am Rande der Anhöhe halten und sah, wie die Offiziere die junge Dame freundlich begrüßten. Nach einer Viertelstunde kam Hanna zurück.
»Weshalb haben Sie sich nicht näher herangewagt?«
»Verzeihung, gnädiges Fräulein, es ist wohl besser, wenn ich als Russe etwas Zurückhaltung übe, um jeder Missdeutung vorzubeugen.«
»So zartfühlend brauchen Sie durchaus nicht zu sein. Es ist doch bloß eine Friedensübung, noch dazu auf unserem eigenen Grund und Boden. Da sind Sie als Vertreter meines Vaters nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet festzustellen, ob nicht irgendwo Flurschaden angerichtet wird. Das wollen wir übrigens gleich feststellen.«
Beim Weiterreiten stießen sie auf eine langgedehnte Schützenkette, die den trockenen Graben einer Landstraße besetzt hatte. Auch hier wurde Hanna von den Offizieren lebhaft begrüßt. Lachend erklärte sie dem Major, sie sei gekommen, um festzustellen, ob nicht etwa Flurschäden verübt würden.
»Das ist nicht ganz ausgeschlossen, gnädiges Fräulein«, erwiderte der Offizier, der für seine militärische Würde noch recht jugendlich aussah. »Unsere Übungen hier an der Grenze haben, wie Sie sich wohl vorstellen können, noch einen Nebenzweck, der eigentlich die Hauptsache ist. Es sind Proben auf den Ernstfall mit unserem Herrn Nachbar über der Grenze, und da nimmt es die Intendantur uns nicht übel, wenn wir mal etwas Flurschaden anrichten, den die Herren Landwirte uns ja nie zu schenken pflegen.«
Nadrenko hatte etwas abseits gestanden, aber doch so nahe, dass er jedes Wort der Unterhaltung verstehen konnte. Seine hellen Augen wanderten langsam die Schützenlinie entlang, scheinbar teilnahmslos.
»Haben Sie gehört?« fragte Hanna beim Weiterreiten. »Das ist eine Probe für den Ernstfall mit Ihrem Vaterlande.«
»Die Herren Offiziere wünschen wohl alle den Krieg mit uns?« fragte Nadrenko dagegen.
»Wenn ich offen antworten soll«, erwiderte Hanna mit Ernst, während es in ihren Augen aufleuchtete, »dann muss ich diese Frage bejahen. Unsere Offiziere halten den Krieg mit Ihrem Lande für unvermeidlich. Und unsere ganze Grenzbevölkerung denkt ebenso. Wir verhehlen uns ja nicht, dass unsere Grenzbezirke von Ihren Truppen überrannt werden könnten, aber die Zustände, wie sie sich nachgerade hier an der Grenze entwickelt haben, sind unerträglich geworden.«
»Gnädiges Fräulein scheinen eine sehr glühende Patriotin zu sein!«
»Das ist doch bei uns selbstverständlich, Herr Graf. Bei Ihnen etwa nicht?«
Nadrenko zuckte mit einer etwas verlegenen Miene die Achseln.
»Sie erlassen mir wohl darauf die Antwort. Die Verhältnisse meines Landes sind lange nicht so einheitlich wie bei Ihnen. Da ist es schon möglich, dass die Meinungen über die Notwendigkeit eines Krieges mit Ihrem Vaterlande geteilt sind.«
Sie waren wieder auf einer Anhöhe angelangt, von der sich ihnen ein überraschender Anblick bot. Die weite Talmulde, die auf der Rückseite von einem bewaldeten Bergrücken abgeschlossen wurde, war mit Kavallerie angefüllt.
»Hurra, unsere Dragoner!« rief Hanna laut und schwenkte grüßend die Hand.
Mit sachverständigem Blick sah der ehemalige Offizier, dass das ganze Regiment in Gefechtsbereitschaft stand. Alle Offiziere hielten bei ihren Schwadronen und Zügen den blanken Säbel in der Hand. Abseits hielt der Oberst mit den Stabsoffizieren und Adjutanten.
Die Augen des Russen leuchteten.
»Ein schönes Regiment, gnädiges Fräulein. Meine Spezialkameraden von der Gegenseite.«
Er fasste Hannas Pferd am Zügel.
»Sie dürfen jetzt nicht stören, gnädiges Fräulein. Das Regiment wird sich wohl sofort in Bewegung setzen.«
Von dem bewaldeten Bergrücken herab kam ein einzelner Dragoner in gestrecktem Galopp angesprengt.
Schon von weitem hörte man ihn in unverkennbarem Dialekt ’Mäldung, Mäldung!’ rufen. Ein Leutnant sprengte ihm entgegen und führte ihn zu der Stelle, wo der Oberst hielt. Wenige Sekunden später erscholl ein lauter Kommandoruf. Das Regiment setzte sich in Bewegung. Auf kurze Entfernung kam es im Trab an der Stelle vorüber, wo Hanna mit ihrem Begleiter hielt.
Die Offiziere senkten alle grüßend den Säbel. Fast in jedem Auge konnte man die Freude über die Begegnung mit der jungen Dame lesen. Hanna hatte die Hand gehoben. Dem Oberst, der sie mit freundlichem Lächeln grüßte, rief sie ein fröhliches ‘Heil und Sieg!’ zu.
Wie eine Bildsäule hatte Nadrenko auf seinem Gaule gesessen. Nur seine Augen funkelten. Hanna wandte sich zu ihm.
»Na, wie gefallen Ihnen unsere Dragoner?«
»Ich habe es schon gesagt, gnädiges Fräulein. Fast möchte ich wünschen, wieder Soldat zu sein, wenn das Schicksal es will, dass unsere beiden Reiche die Waffen kreuzen. Das wären doch andere Gegner als die elenden Japs, die wie Affen auf ihren kleinen, unansehnlichen Pferden hockten.«
Lachend erwiderte Hanna:
»Ich finde es sehr ritterlich von Ihnen, Herr Graf, dass Sie unseren Dragonern solch eine Anerkennung zollen, aber sollte Ihre Abneigung gegen die kleinen gelben Affen nicht doch aus einer erlittenen Niederlage stammen?«
»Nein, gnädiges Fräulein. Wo wir mit japanischer Kavallerie allein zusammenstießen, haben wir sie niedergeritten und zusammengehauen. Leider hing meistens an der Mähne jedes Pferdes ein Infanterist, und wenn wir vorbrachen, lag uns plötzlich eine Schützenkette gegenüber, in deren Feuer unser Ansturm zusammenbrach, weil uns die Pferde unter dem Leib erschossen wurden.«
Noch eine Stunde hatten sie den Gang der Übung verfolgt, ohne wenig mehr zu sehen und zu hören als die platzenden Rauchwolken der Artillerie, das rasselnde Gewehrfeuer unsichtbarer Schützenketten und Maschinengewehre.
Plötzlich stießen sie wieder auf die Dragoner, die hinter einem Waldrande abgesessen waren. Die Offiziere standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich. Der Russe behielt noch gerade so viel Zeit, seiner Begleiterin zuzuflüstern, sie möchte ihn, falls eine Vorstellung sich nicht umgehen ließe, nicht als ehemaligen russischen Offizier bezeichnen, als sich auch schon die Gruppen öffneten und grüßend der Reiterin zuwendeten.
Hanna hatte für einen Augenblick ihr Pferd gezügelt.
Mitten unter den Offizieren hatte sie Wolf entdeckt, der sich seinen ehemaligen Kameraden angeschlossen hatte, als sie über seinen Gutshof ritten. Im nächsten Augenblick ließ sie jedoch ihr Pferd vorwärts gehen und wurde sofort von den Offizieren umringt, die sich lachend bei ihr erkundigten, ob sie gekommen wäre, Flurschaden festzustellen.
Einer der Offiziere bot ihr die Hand als Steigbügel und half ihr aus dem Sattel. Wolf war zurückgetreten und kam um den Kreis der Offiziere herumgehend auf Nadrenko zu.
»Sie auch hoch zu Ross?«
Ohne eine Miene zu verziehen, erwiderte Nadrenko ernsthaft:
»Das gnädige Fräulein haben gewünscht, das Feld zu besehen.«
»So, so«, meinte Wolf gleichmütig, »und Sie haben bei dieser Gelegenheit unsere Truppen zu sehen bekommen. Verstehen Sie auch etwas von der Kriegskunst?«
»Soviel ein Soldat niederen Grades davon verstehen kann, Herr Stutterheim.«
»Sie sind also auch Soldat gewesen?«
»Gott sei Dank gewesen«, erwiderte Nadrenko lächelnd. »Bei uns herrscht keine große Begeisterung für die Annehmlichkeiten dieses Standes.«
Wolf lachte und nickte.
»Mir sind die russischen Militärverhältnisse nicht unbekannt. Wie geht es Ihnen in der Wirtschaft?«
»Danke, Herr Stutterheim. Ich habe mich ja ziemlich hineingefunden, aber manchmal wäre es mir doch lieb, wenn ich einen mit den hiesigen Verhältnissen vertrauten Landwirt um Rat fragen könnte.«
»Dazu ist doch Brinkmann da. Leiten Sie denn hier die Wirtschaft?«
»Jawohl, Herr Stutterheim. Brinkmann liegt schwer krank, und da bin ich doch wohl der Nächste dazu, ihn zu vertreten.«
»Hoffentlich mit Erfolg. Im übrigen stehe ich Ihnen zu Diensten, wenn Sie meinen Rat brauchen.«
Er lüftete die Mütze und schlenderte langsam auf die Offiziere zu, die um Hanna einen Kreis gebildet hatten.
Eben begann er sich zu öffnen. Hanna winkte zum Abschied grüßend mit der Hand.
»Also auf Wiedersehen, meine Herren, in einer Stunde zu einem Steigbügeltrunk in Andreaswalde.«
Als sie sich umwandte, stand sie vor Wolf, der sich schweigend verbeugte.
»Ei, sieh’ da, Wölflein. Hat dich die alte Lust am Kriegshandwerk auch herausgelockt? Ich sehe dich doch auch noch mit dem Regiment in Andreaswalde?«
»Bedaure sehr, Hanna. Ich habe heute schon zu viel Zeit meinen militärischen Neigungen geopfert und muss schnurstracks nach Hause.«
Mit heiterem Gesicht ging er neben ihr zu dem Pferde, das der Reitknecht heranführte, hielt ihr die Hand hin und hob sie wie eine Feder in den Sattel.
»Grüß’ mir die drei Waisenmädchen in Andreaswalde. Wann kommen die Eltern nach Hause?«
Lachend rief Hanna vom Pferde herab:
»Das ist mir so unbekannt wie dir. Sie haben die Gelegenheit zu einem Dampferausflug in die Nordsee benutzt. Ich weiß seit vorgestern nicht einmal ihre Adresse.«
Sie hob noch einmal grüßend die Hand.
»Auf Wiedersehen in Andreaswalde.«
Das erste, was sie zu Hause erfuhr, war, dass Brinkmanns Zustand sich verschlechtert hätte. Der Arzt war dagewesen und hatte seine Überführung ins Krankenhaus angeordnet. Wahrscheinlich würde eine Operation notwendig sein.
Mit wenig Vergnügen vernahm Christel die Botschaft, dass Hanna die Dragoneroffiziere zu einem Imbiss und Trunk eingeladen hatte, denn die Arbeit, die dazu erforderlich war, fiel ihr zu, während Hanna sich in ihr Zimmer zurückzog, um sich für den Besuch umzukleiden. Und sie heimste auch die Lobsprüche ein, als die Offiziere auf die Berge belegter Brötchen tapfer losgingen und ebenso eifrig sich das frische, kalte Bier munden ließen.
Erst als das Militär abgezogen war, kam Christel zum Vorschein.
»War das nicht famos, Schwesterchen?« rief Hanna ihr entgegen. »Die Eltern werden sich freuen, wenn ich ihnen schreibe, dass wir das ganze Regiment zu einem Steigbügeltrunk hier gehabt haben.«
»Dann, bitte, vergiss nicht zu erwähnen, dass ich die Arbeit getan und du die Ehren eingeheimst hast.«
8. Kapitel
Die Eltern waren zurückgekehrt. Ohne dass die älteren Schwestern es wussten, war Grete im Auto mit zur Bahn gefahren und hatte der Mutter unterwegs schon alles berichtet, was sich in ihrer Abwesenheit in Andreaswalde zugetragen hatte. Zuerst kamen die kleinen Ereignisse in der Wirtschaft an die Reihe. Dann gelangte sie über den Unfall Brinkmanns hinweg zu der Person des Herrn Nadrenko, und da sprudelte ihr Mund über.
Die Mutter hörte, wie es ihre Gewohnheit war, schweigend zu und tat nur ab und zu eine kurze Frage, um den Redefluss bei ihrem Nesthäkchen nicht stocken zu lassen.
Bei dem Empfang im Gutshause war Nadrenko nicht zugegen. Er hatte so viel Taktgefühl, auch zum Abendbrot nicht zu erscheinen. Entweder erwartete er eine Einladung von der Gutsherrschaft oder er hielt sich zurück, um die Aussprache in der Familie nicht durch seine Gegenwart zu stören. Erst eine Stunde nach dem Essen ließ er sich bei dem Gutsherrn melden und anfragen, ob er ihm Bericht erstatten dürfe. Ohne sich mit seiner Gattin vorher darüber zu verständigen, brachte Brettschneider den Russen, dessen Bericht ihn sehr zufriedengestellt hatte, in das Wohnzimmer, wo die Familie versammelt war.
Die Gutsherrin schien von dieser Eigenmächtigkeit ihres Gatten wenig erfreut zu sein. Nadrenko jedoch schien ihre kalte Zurückhaltung nicht zu merken, und wenn er sie merkte, wollte er sie augenscheinlich durch seine glänzende Unterhaltungsgabe besiegen. Und es gelang ihm wirklich, sich schon am ersten Abend die volle Gunst der Gutsherrin zu erwerben. Denn er verstand nicht nur zu unterhalten, sondern, was noch schwerer ist, klug zu fragen und mit dem tiefsten Verständnis zuzuhören. Und Frau Brettschneider erzählte gern und gut von der Reise, von der sie eine ganze Menge neuer, schöner Eindrücke mitgebracht hatte.
Als Nadrenko sich zu passender Zeit verabschiedet hatte, lautete ihr Urteil, dass der Russe ein vollendeter Kavalier sei, den man selbstverständlich fortan zu Tisch ziehen müsse.
Hanna hatte mit einiger Besorgnis der ersten Aussprache mit ihrer Mutter entgegengesehen. Und sie war froh, dass die Mutter mit ihrem Verhalten während der Zeit ihrer Abwesenheit zufrieden schien. Sie wusste nicht, dass die Mutter bereits von einem unbestimmten Verdacht erfüllt war, und sie sowohl wie Herrn Nadrenko den Abend über scharf beobachtete. Der Russe hatte sich nicht die geringste Blöße gegeben, während Hanna einige Male versucht hatte, die Aufmerksamkeit des Herrn Nadrenko auf sich zu ziehen.
Als die Schwestern den Eltern Gute Nacht wünschten, hielt die Mutter Hanna zurück.
»Mein Kind, ich habe mit dir noch ein paar ernste Worte zu sprechen. Unsere Lage hat sich durch die Erbschaft sehr zu unserem Vorteil geändert.«
»Wie viel haben wir denn geerbt?« fragte Hanna schnell.
»Darüber möchte ich mich auch zu dir nicht äußern. Ich kann dir aber sagen, dass sie groß genug ist, um in einer Großstadt, wenn wir Andreaswalde verkaufen, ein sehr behagliches Leben zu führen.«
»Ach, das wäre herrlich.«
»Vater ist leider nicht dafür zu haben. Er hat den Ehrgeiz, in landwirtschaftlichen Kreisen als Autorität zu glänzen, und als Hintergrund muss ihm der Besitz des Gutes dienen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass er sich später bewegen lässt, es durch einen tüchtigen Menschen verwalten zu lassen, während wir nach der Stadt ziehen. Doch das war nicht die Hauptsache, was ich dir sagen wollte, mein Kind. Es wird sich wohl bald herumsprechen, dass Wolf bei uns nicht mehr die bevorzugte Stellung einnimmt, die wahrscheinlich manchen Herrn aus unserem Umgangskreis abgeschreckt hat, sich um dich ernsthaft zu bewerben. Nun wird das anders werden, denn auch die Nachricht von der großen Erbschaft wird ihre Wirkung tun. Ich kann wohl von dir erwarten, dass du als meine Tochter eine kluge Zurückhaltung beobachten und dich von mir bei der Wahl eines Gatten beraten lassen wirst. Ich will damit nicht sagen, dass du nicht dem Zug deines Herzens folgen sollst, wenn ein Mann in guter, gesicherter Stellung deine Neigung erwirbt. Du scheinst mir aber für wahllose Schwärmerei ebenso wenig veranlagt zu sein, wie ich es gewesen bin. Deshalb sage ich dir: Du wirst deine Ansprüche sehr hoch stellen können. Nicht wahr, du hast mich vollkommen verstanden?«
Mit leuchtenden Augen hatte Hanna zugehört.
Jetzt flog sie der Mutter an die Brust.
Christel hatte in Sorgen wach gelegen, denn sie glaubte, dass Hanna eine sehr energische Strafpredigt von der Mutter erhalten würde. Erstaunt sah sie Hannas Gesicht wie von dem Widerschein eines großen Glückes leuchten.
»Du scheinst ja sehr vergnügt zu sein?«
»Ich habe auch alle Veranlassung dazu, und du auch, denn Mutter hat mir eben gesagt, dass wir sehr reich geworden sind. Vielleicht ziehen wir bald in eine große Stadt.«
»Na, hoffentlich macht euch der Vater einen Strich durch die Rechnung«, damit drehte sie sich seelenruhig auf die andere Seite und war bald fest eingeschlafen, während Hanna noch lange wach lag. Sie versuchte, mit sich über Nadrenko ins Reine zu kommen. Der Russe hatte ihr in sehr deutlicher Weise den Hof gemacht, und ihr Herz war davon nicht ganz unberührt geblieben.
Sie war auf ihrem täglichen Spazierritt stets mit Nadrenko, den sie unter vier Augen immer Herr Graf nannte, zusammengetroffen und dabei hatten seine Augen jedes Mal eine sehr beredte und manchmal auch recht kecke Sprache geführt. Und sie musste sich sagen, dass sie ihn dazu ermutigt hatte. Bei einem Zusammentreffen hatte er ihr ein zierlich gewundenes Sträußchen von Feldblumen verehrt. Sie hatte es angenommen und war dabei wie ein kleiner Backfisch rot geworden.
Aber nun nahm sie sich vor, dass dieser harmlose Flirt, wie sie sich vor sich selbst entschuldigte, eine gewisse Grenze nicht überschreiten dürfte. Sollte sie ihn morgen wieder auf dem Felde treffen, würde sie schon damit anfangen, dass sie ihm nicht mehr die Hand gab, die er immer so feurig zu küssen sich erlaubte.
Am nächsten Tage kam Tante Mathilde auf ihrem Staatsfuhrwerk, wie sie es mit gutem Humor zu nennen pflegte, zu Besuch. Das war ein kleiner, tiefgebauter Wagen, dessen Rückwand hinuntergeklappt werden konnte, so dass sie mit ihrem Stuhl hinein- und hinausgeschoben werden konnte. Frau Brettschneider hatte im Stillen einen sehr großen Respekt vor der alten Dame.
Er war im Laufe der Jahre ganz allmählich gekommen, wahrscheinlich aus dem Gefühl heraus, dass Frau Stutterheim jedem Menschen mit ihren klaren Augen bis ins innerste Herz zu schauen verstand. Und diese Äugen sprachen viel deutlicher und viel schärfer als der Mund.
Frau Stutterheim fiel sozusagen mit der Tür ins Haus. Nach der Begrüßung erklärte sie:
»Liebe Adele, ich komme, um dir Christel für ein paar Wochen auszuspannen. Ich will in den nächsten Tagen eine Kur beginnen … lacht mich nicht aus, Herrschaften …die Abdeckerfrau im Sybbaner Walde hat schon eine ganze Unzahl Menschen, die in der gleichen Tage waren wie ich, gesund gemacht. Denkt euch, sie schmiert die kranken Beine mit Dagget … das ist schieres Pferdefett … ein und erwärmt sie durch ein untergestelltes Kohlenbecken. Dabei macht sie ihren Hokuspokus, der natürlich vollständig überflüssig ist, den man sich aber gefallen lassen muss … Herrschaften, könnt ihr euch das vorstellen, wie mir bei dem Gedanken zumute ist, dass ich nochmal auf eigenen Füßen marschieren könnte?«
Christel hatte sich eben neben sie gesetzt und an sie geschmiegt.
»Tante Mathilde!«
Die Tränen liefen ihr aus den Augen.
»Na ja, mein Kind«, sagte Frau Stutterheim leise und strich ihr mit der Hand über die Backe, »willst du zu mir kommen und mir ein bisschen helfen, die Wirtschaft in Ordnung zu halten? Ich muss jeden Tag ganz früh wegfahren und komme erst gegen Mittag nach Hause. Und mein Wölflein macht mir Sorge. Ich habe Mühe, ihn zum Essen zu bringen. Da wirst du mir dabei helfen, dass er uns nicht verhungert. Auch Kurt kommt in diesen Tagen nach Hause … Es ist ein Jammer, nun hat der Junge sein Probejahr beim Gymnasium abgemacht und findet nicht einmal Beschäftigung in seinem Beruf.«
»Und nun will er zu Hause auf der Bärenhaut liegen?« fiel Hedwig ein.
»Nein, Jungfer Naseweis«, erwiderte Tante Mathilde lächelnd, »er ist vorgestern zum Reserveoffizier gewählt worden und wird seine unfreiwillige Mußezeit damit ausfüllen, dass er zunächst acht Wochen als Sommerleutnant in Lyck übt. Ich habe mir aber ausgebeten, dass er vorher noch ein paar Wochen mir schenkt.«
Kurz vor der Abfahrt fragte Tante Mathilde ganz beiläufig nach dem Verlauf der Reise, und Frau Brettschneider nahm die Gelegenheit wahr, ebenso beiläufig zu erwähnen, dass die traurige Veranlassung ihnen ein großes Glück in Gestalt einer sehr bedeutenden Erbschaft beschert hätte. Mit einem freundlichen Lächeln erwiderte Tante Mathilde trocken:
»Ja, Kinder, da seid ihr ja für eine Weile wieder fein raus.«
Frau Brettschneider schluckte die scharfe Pille, die noch durch einen schadenfrohen Blick ihres Gatten verdoppelt wurde, mit verlegenem Lächeln, und erst später fiel ihr ein, was sie darauf hätte antworten können.
An einem der nächsten Tage erschien Christel mit Sack und Pack in Dalkowen. Hedwig hatte es sich nicht nehmen lassen, die Schwester zu begleiten, um ihr, wie sie sagte, den Abschied vom Elternhause zu erleichtern. Kurz vor Mittag traf auch Kurt ein. Er war in Uniform, denn er hatte sich als neugebackener Leutnant bei den in Betracht kommenden Instanzen in seiner neuen Würde vorstellen müssen.
Ein sehr stattlicher junger Mann, der seinen älteren Bruder beinahe um einen ganzen Kopf überragte. Trotz der funkelnagelneuen Uniform fand ihn Hedwig abscheulich, denn er hatte sich sein schönes, dunkles Haar, das in sanft geschwungenen Wellenlinien seinen Kopf früher umrahmte, so kurz schneiden lassen, dass die Kopfhaut weiß durchschimmerte. Dafür waren seine gutmütigen, blauen Augen dieselben geblieben, und sein zierliches Schnurrbärtchen hatte in dem letzten halben Jahr sichtlich den Anlauf genommen, sich zu einen: Wachtmeisterschnauzbart auszubilden.
Bei Tisch herrschte eine sehr lustige Stimmung.
Kurt behauptete, noch nie hätte er es so deutlich gefühlt, dass seiner Mutter zwei Töchter fehlten.
Die Mutter hatte darauf lächelnd erwidert: Sie hoffe bestimmt und recht bald, diese fehlenden Töchter zu bekommen, denn wozu hätte sie sonst ihre beiden Söhne.
Bei dieser Antwort waren beide Mädchen etwas errötet. Um ihnen zu Hilfe zu kommen, erklärte Wolf, dass er für seine Person die Hoffnung der Mutter enttäuschen müsse, eine Antwort, die das Rot auf Christels Wangen tiefer färbte. Wie unabsichtlich legte sich Tante Mathildes Hand auf Christels Arm, während sie lachend ihrem ältesten Sohn erwiderte:
»Du bist ein ganz komischer Kauz. Einen Scherz verkehrst du in bitteren Ernst. Aber zum Glück. glaube ich nicht daran, und wenn ich erst auf meinen eigenen Füßen wandeln werde, laufe ich dir davon in die weite Welt, von der ich noch so wenig gesehen habe. Da wird mein Herr Sohn, wie ich ihn kenne, in seiner praktischen Gemütsart es doch wohl vorziehen, sich eine Hausfrau zu wählen.«
Die anderen, die dabei zu Tische saßen, hatten es gar nicht gemerkt, dass neben diesen Worten noch eine geheime Zwiesprache durch die Augen zwischen Mutter und Sohn stattfand. Ein abweisender Blick, der von Christel zur Mutter lief, die Antwort darauf war ein leuchtender, siegesgewisser Blick der Mutter, der von einem fast unmerklichen Kopfnicken begleitet war…
Dann lenkte sie das Gespräch in eine andere Bahn.
Wolfs Geburtstag stand in vierzehn Tagen bevor. Er sollte wie immer gefeiert werden. Dazu pflegten die jüngeren Offiziere seines Regiments, bei dem er gestanden und geübt hatte, zu erscheinen. Kurt sollte einige von seinen Kameraden mitbringen, dazu einige befreundete Familien aus der Umgegend.
Gegen Abend begleitete Kurt Hedwig nach Hause.
Er hatte sich ein bequemes Jagdzivil angezogen und nahm den Drilling mit. Er wollte noch einen Pirschgang auf den Rehbock unternehmen. Obwohl er aus Neigung das Studium erwählt hatte, das ihn im Beruf an die Stadt fesseln musste, hing er doch mit allen Fasern seines Herzens an der Natur. Hedwig neckte ihn damit, dass er als ‘Schulmeister’ auf die Jagd ginge. Er verteidigte sich gutmütig, und als sie ihm scharf zusetzte, erwiderte er ihr mit dem altbewährten Ausspruch: »Was sich liebt, das neckt sich.« Sie erwiderte schlagfertig darauf, das wäre keine Neckerei, das wäre ihr voller Ernst…