Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 10
Zwei, drei Tage vergingen. Nichts. Die Verzweiflung saß an dem Bette der Frau, die ihrer schweren Stunde entgegensah, und in dieser Verzweiflung tat Kurt von Berg das, was niemand tun durfte. Er ging hinaus in den Wald, um irgendetwas, ein Kaninchen, einen Fasan, einen Hasen zu schießen! Während er von der einen Seite in den Wald hinein schritt, kam von der anderen Paul Braczko zurück. Er brachte alles. Brachte eine Menge. Ja, der Junge, der Naujok, trieb sogar eine Kuh her. Eine von den sieben mageren Kühen, aber doch eine Kuh.
»Wo ist Kurt?« fragte der Braczko.
Keiner wusste es.
War er nicht in den Wald gegangen? Richtig, ja, in den Wald.
»Um Himmels willen, er wird doch nicht … ja…, das Gewehr war fort, also hatte er es mitgenommen. Und unten marschieren die Russen.«
Er hatte sie selber gesehen.
»Hat irgendeiner von euch einen Schuss gehört? Ja?! Dann müssen wir hin, müssen ihn suchen. Komm’, Junge, komm’.«
Aber es war zu spät.
Keuchend, mit zerrissenen Kleidern, barhaupt, Schreck und Entsetzen im Auge und in allen Gliedern, kam Kurt von Berg, aus einer Armwunde blutend, daher.
»Nimm, nimm,« sagte er und reichte dem Braczko einen geschossenen Fasan.
Der warf ihn von sich, um Kurt in seinen Armen aufzufangen, der durch den Blutverlust und das Überstandene kraftlos und völlig erschöpft war.
»Was ist denn geschehen?«
»Ich … habe … gejagt … Beim ersten Schuss… antwortete mir ein zweiter … ein Mensch … ein Russe …, brach sich zu mir Bahn …, ein Soldat …, dem noch andere folgten. Er wollte mich packen …, wollte mir meine Beute entreißen, wollte mich mitschleppen …, dem Tode entgegen und da …«
»Was…, was, Kurt?…« rief Braczko.
»Da dreht’ ich mein Gewehr um, und … schlug ihn mit meinem Gewehrkolben nieder.«
»Um Gottes willen, Fritz, darauf steht der Tod.«
»Ich weiß. Aber mein Tod, nicht ihrer. Wenn ich aber das nicht gebracht hätte«, und er zeigte auf den im Staube liegenden Fasan, »dann wäre es … ihr Tod gewesen.«
»Und hat man dich denn geseh’n? Sag’ mir’s doch, Mensch, hat dich einer geseh’n?«
»Du siehst es ja, sie haben ja auf mich geschossen.«
»Dann mach’! … Mach’! Da hinein!« und er schob ihn schnell in das Zimmer, wenn man den Raum, in dem Madeline lag, mit diesem Namen belegen wollte.
Gerade im letzten Augenblick war’s, denn eben brachen die Russen aus dem Wald hervor.
Klare, helle Befehle erklangen. Die Leute schwärmten auseinander und umstellten den ganzen Hof. Ein Offizier mit Wachtmeister und Kornett trat auf Paul Braczko zu, der mit verschränkten Armen ruhig vor der Tür stand.
»Es ist im Walde geschossen worden,« sagte der Offizier. »Einer von meinen Leuten ist niedergeschlagen worden, weißt du, wer es war?«
Wie entgeistert starrte Paul Braczko den Offizier an.
»Roth, Roth,« schrie er auf, »Bogdan von Roth! Ist es denn möglich?!«
Und er streckte ihm die Hände entgegen, um ihn willkommen zu heißen. Der schüttelte jedoch mit dem Kopfe und nahm die Hand nicht.
»Ich bin dienstlich hier, Paul Braczko,« sagte er, »in einer schweren, traurigen Sache. Ich muss den Täter entdecken, der nicht nur ein Gewehr behalten, sondern sich auch gegen einen meiner Leute tätlich vergriffen hat. Kannst du mir sagen, wer’s war?«
»Nein,« sagte Paul Braczko und sah dem Freunde, der als sein Feind hergekommen war, fest ins Gesicht.
»Von hier war es keiner?« fragte Bogdan von Roth.
»Nein, von hier nicht.«
»Dann können wir weiter.«
»Der Niemez lügt,« sagte der Wachtmeister. »Was ist denn das, du Hund?« fragte er, hob den frisch geschossenen Fasan von der Erde auf und hielt ihn dem Braczko vors Gesicht. Der wurde bleich.
Noch bleicher wurde Herr von Roth.
»Ja, dann bitte mir zu erklären, wie dieser Fasan herkommt?« fragte Bogdan von Roth, und sein Ton hatte etwas Strenges.
»Das kann ich nicht,« sagte Paul Braczko.
»Dann muss ich das Haus durchsuchen lassen.«
»Das wirst du nicht,« rief Braczko und versperrte zu dem Raume den Weg. »Bogdan! Die Madeline ist drin! In Kindesnöten, Bogdan, sie liegt da drin. Horch!«
Denn in diesem Augenblick gellte ein Schrei aus dem Raume.
Bogdan trat zurück und sah sich mit einem fast hilfesuchenden Blick nach dem Kornett und dem Wachtmeister um. Der Kornett stand da, als ob ihn die Sache nichts anginge. Er war da, weil er da sein musste, und was zu tun war, das musste der Leutnant tun. Der Wachtmeister aber trat vor und geradewegs auf die Tür zu:
»Werde ich geh’n,« sagte er.
Paul Braczko aber wehrte ihn mit beiden Händen ab.
»Wen verfolgt ihr?« fragte er, »den einen aus dem Walde, nicht wahr? Und wenn ihr den habt, Bogdan von Roth, dann habt ihr hier nichts mehr zu suchen. Ist es so oder ist es nicht so? Dann brauchst du hier nicht erst hinein?«
»Nein,« sagte Bogdan von Roth, »dann haben wir hier nichts mehr zu suchen.«
»Nun denn, dann nehmt mich mit, denn … ich war es!«
»Du?!«
»Wer denn sonst?« sagte Paul Braczko und lächelte: »Hier ist doch kein anderer.«
»Dann sei Gott deiner armen Seele gnädig,« sagte Bogdan von Roth tief erschüttert, »ich darf es nicht.«
Der Wachtmeister hatte indessen zwei Mann heran gewinkt.
»Binden!« sagte er; natürlich auf Russisch.
Die beiden Soldaten traten auf Braczko zu.
»Muss das sein?« fragte er.
»Wenn du gutwillig gehst und keinen Fluchtversuch machst, kann ich es dir ersparen.«
»Dann erspare es mir. Ich gebe dir mein Wort darauf, dass ich nicht fliehe.«
»Sind ja nur ein paar Schritt,« sagte der Wachtmeister. »Instruktion lautet ja: ‘wird an die nächste Mauer gestellt und erschossen’.«
»Wollen Sie mich meine Pflicht lehren, Wachtmeister, oder weiß ich, was ich zu tun habe?« fragte von Roth.
»Na, boze, habe halt geglaubt, ist einfacher gleich hier … Aber, Gewehr müssen wir haben.«
»Ja,« sagte Bogdan von Roth, »das müssen wir allerdings haben. Wo ist es?«
Einen Augenblick lang suchte Paul Braczko nach einer Antwort, dann lächelte er wieder.
»Im Keller unten versteckt. Du, Hans,« rief er, da sich gerade der kleine Naujok vorbeischleichen wollte. »Kriech’ einmal in unser Versteck und bring’ die Büchse herauf, die dort steht.«
Es dauerte zwei, drei Minuten, ehe der Junge die Büchse brachte.
»So, da ist sie,« sagte Braczko und maß den Wachtmeister von oben bis unten.
»Und jetzt …, Herr Leutnant …, bin ich bereit.«
Zehn Mann wurden kommandiert. Zwei voran, dann der Braczko und hintennach die acht Mann mit dem Wachtmeister. Der Kornett bummelte nebenher. Gelangweilt. Die Sache interessierte ihn nicht. Er hatte so viel Ähnliches schon erlebt.
Dort unten an der niedergebrannten Scheune konnte die Justifizierung vor sich gehen.
»Kornett, übernehmen Sie den Zug und führen Sie ihn hinunter …«
»Paul Braczko,« sagte mit einem Male Bogdan von Roth, der neben jenem dahinschritt, »sag’ mir, was soll ich tun?«
»Deine Pflicht selbstverständlich,« sagte der.
»Das ist es ja eben. Diese Pflicht, diese entsetzliche Pflicht. Wenn ich dich retten könnte, ich tät’ es gewiss. Ich weiß ja, dass du unschuldig büßt. Ich weiß, dass ein anderer das mit dem Soldaten getan hat, und doch … und doch …«
»Woher willst du, woher kannst du das wissen?« fragte Paul Braczko.
»Wo ist das Blut an dem Kolben? Und wie kommt’s, dass noch alle Schuss im Gewehr stecken? Wer, sag’ mir, wer war es? Wen willst du retten?«
»Niemand, ich war’s.«
Und dabei blieb’s. Er war’s, er nur allein.
Paul Braczko wurde an die vom Feuer zerfressene, vom schwarzen Rauch wie in unendliche Trauer gehüllte Mauer gestellt.
Das Peloton von acht Mann nahm Aufstellung; da mit einem Male krachte es hier und krachte es dort und ‘hurra, hurra’ klang der Ruf der stürmenden Deutschen.
Eine wahnsinnige Panik brach unter den Russen aus. Paul Braczko, die Situation im Augenblicke erfassend, sprang, sich deckend, hinter den Baum und suchte Bogdan von Roth mit sich zu ziehen, der aber, ein Deutscher, wenn auch ein Russe, tat seine Pflicht.
»Drauf! Drauf!« rief er und stürmte selber den Stürmenden entgegen. Beim ersten Schritt aber fiel er, von einer Kugel getroffen, zusammen…
Wie die Hilfe gekommen war, das war wie ein Märchen.
Eine furchtbare Schlacht war geschlagen worden. Die ganze Narewarmee war vernichtet. Hunderttausend Gefangene waren gemacht und ganz Ostpreußen sollte von den Russen gesäubert werden. Arbeit würde es ja wohl noch kosten, aber es war einer da, der diese Arbeit, weiß Gott, zu verrichten imstande war und dieser eine war: Hindenburg!…
Dritter Teil
1. Kapitel
Der Überfall der Russen durch eine Streifschar ostpreußischer Jäger hatte sich in wenigen Minuten abgespielt Was von den Russen nicht tot oder verwundet liegen geblieben war, hatte sich durch eilige Flucht zu retten gesucht.
Auch die Jäger waren bei der Verfolgung des Feindes verschwunden. Nur ab und zu hörte man noch einen Schuss fallen… Angstvoll waren die beiden Schwestern um Madeline beschäftigt, die bei dem Knattern der Gewehre sich aufrichtete und nach ihrem Gatten rief.
Sie beruhigte sich erst, als Kurt sich aufrappelte und zu ihr auf den Bettrand setzte…
Mit irren Augen sah Madeline sich in dem kleinen Raum um.
»Wo ist Paul? Weshalb ist Paul nicht hier?«…
Dann warfen die Schmerzen sie wieder auf ihr Lager zurück.
Als Madeline nach Paul rief, hatte Georginne beide Hände mit festem Druck auf ihre Brust gepresst, um ihr heftig schlagendes Herz zu bändigen, und Malvine hatte sie mit beiden Armen umschlungen, aber mehr, um selbst an ihr eine Stütze zu suchen. Beide hofften, denn beide ahnten, was sich draußen abgespielt haben könnte, aber noch wusste keine, dass der nächste Augenblick der einen eine unermessliche Freude, und der anderen das tiefste Herzeleid bringen würde…
Denn jetzt räusperte sich hinter den Brettern, die den Raum als Tür abschlossen, jemand, und eine heisere Stimme flüsterte:
»Georginne, komm’ mal raus.«
Es war Paul Braczko … Mit einem Aufschrei warf sich Georginne an seine Brust.
»Du lebst? Du bist nicht mal verwundet?« …
»Nein, wie du siehst, aber Bogdan von Roth ist schwer verwundet … Wir können ihn doch nicht draußen liegen lassen. Es gibt Regen und es ist kalt.« …
»Ja, aber in den kleinen Raum zu Madeline können wir ihn doch nicht hineinbringen.«
»Weshalb denn nicht?«
»Um sie nicht noch mehr aufzuregen … Ich habe die größte Angst dass die Sache nicht gut abläuft. Wir haben kein Wasser, keine Seife, kein Handtuch, keine Schüssel, nichts … keine Wäsche für das Kindchen.«
»Dann nimm du dich des Bogdan an … Ich gehe ins Dorf, dort wird doch noch das aufzutreiben sein, was ihr braucht.« …
Mit langen Schritten ging er davon…
Hinter der dünnen Bretterwand hatte Malvine gestanden und jedes Wort gehört. Bogdan schwer verwundet … Vor ihren Augen schwangen leuchtende Kreise … ein fernes Klingen … ein Rauschen … Still, ohne einen Laut auszustoßen war sie an der Wand zusammengesunken.
Ein Bild trostlosen Jammers, das kein Ostpreuße Zeit seines Lebens vergessen darf.
Auf dem dürftigen Lager das mit Schmerzen ringende Weib, über sie gebeugt ihr verwundeter Gatte … und keine drei Schritt von ihnen das in seelischem Schmerz niedergebrochene Mädchen, dem die Befreiung und Rettung durch die Landsleute den Geliebten und künftigen Gatten entrissen hat … Mitten dazwischen, hoch aufgerichtet, Georginne. Die Freude über Pauls Rettung hatte ihr eine ruhige Entschlossenheit und eine Sicherheit wiedergegeben, die jetzt sehr vonnöten war.
Paul war bald wiedergekommen und hatte alles mitgebracht, was für einen solchen Fall nötig ist, und außerdem noch eine alte erfahrene Frau, die schon oft Wöchnerinnen in Kindesnöten geholfen hatte. Malvine war aufgewacht und zu Bogdan von Roth gegangen. Sie hatte sich zu ihm gesetzt und wischte ihm mit dem Taschentuch den kalten Schweiß von der Stirn. Er war bei vollem Bewusstsein, aber er konnte nicht sprechen.
Sein Mund versuchte wohl, noch Worte zu formen, aber die Kraft der von einer Kugel durchbohrten Brust reichte nicht aus, ihnen einen Ton zu geben. Nur seine Augen sprachen. Sie sprachen von seiner echten, tiefen Liebe, von den seligen Hoffnungen, die sich ihm an Malvines Liebe geknüpft hatten, und sie sprachen von dem grenzenlosen Trennungsschmerz, der ihnen beiden bevorstand, nein, der sie schon jetzt durchwühlte…
Es begann zu regnen. Klatschend fielen dicke Tropfen auf die welken Blätter, die den Boden ringsum bedeckten. Da kam Georginne heraus und deckte beide mit Pauls Mantel zu.
Malvine hatte sich niedergebeugt und ihre heißen Backen auf Bogdans kalte Stirn gelegt.
Ihre Hände hatten sich zusammengeschlossen. Sie lauschte in wortlosem Schmerz auf seine leisen Atemzüge, deren jeder den wunden Mann seinem Ende näher brachte…
Die Zeit schien Malvine still zu stehen…
Da kam von dem Gemäuer her ein heller Schrei, der erste Schrei eines neugeborenen Kindes, … Hastig richtete sie sich auf … ein unsägliches Weh durchzuckte sie.
Derselbe Augenblick, der ihr den geliebten Mann entriss, schenkte der Schwester das größte Lebensglück, das mit Sehnsucht erwartete Kind…
Auch Bogdan hatte den Schrei vernommen. In seinen Augen leuchtete es wunderbar auf … eine helle Freude verdichtete sich auf seinem Gesicht zu einem Lächeln, und mit dem Lächeln tat er seinen letzten Atemzug…
Da schlug Malvine die Hände vor ihr mit glühender Scham übergossenes Gesicht…
Ja, sie schämte sich vor dem Toten, der noch mit seinem letzten Lächeln den Schrei des Kindes begrüßt hatte … während sie einem neidischen, bitteren Gefühl Raum gegeben hatte…
Mit fester Hand … sie hatte noch keinen Toten gesehen, sie wusste auch nur, dass man ihm die Augen schließen musste, strich sie ihrem teuren Toten die Augenlider herab. Dann beugte sie sich über ihn und küsste seine erkalteten Lippen…
Der freudige Ausdruck war auf seinen Zügen liegen geblieben. Er mahnte sie, an ihrer Schwester wieder gut zu machen, was sie mit dem flüchtigen Gedanken an ihr gesündigt hatte.
Sie stand auf und ging in den Wohnraum zurück, wo ihr Madeline bleich, aber mit freudigem Lächeln die weiße Hand entgegenstreckte…
»Ein prächtiger Junge,« flüsterte sie kaum hörbar und wies auf das Bündel, das neben ihr lag.
Der zukünftige Erbe der Berschkaller Begüterung hatte sich bei seinem Eintritt in die Welt mit sehr dürftigen Verhältnissen behelfen müssen. Er wurde in ein Stück Laken und ein altes Wolltuch gewickelt. Paul Braczko war schon wieder ins Dorf gegangen, um eine Wanne und warmes Wasser zu besorgen…
Als er beides gebracht hatte, machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Keimkallen. Er wollte, wenn es möglich war, einen Sarg aus dem Kirchturm holen, um Bogdan darin zu begraben…
Er fand die Bewohner von Keimkallen alle vor. Sie hatten sich vor diesem letzten Überfall der Russen in den nahen Wald gerettet. Von den Gebäuden war nur ein Stall den Russen zum Opfer gefallen… Das Vieh, das, von Hunger getrieben, aus den offenen Ställen entwichen und sich auf dem Felde zerstreut hatte, fand sich zum Teil wieder ein oder wurde eingefangen und nach Hause getrieben.
Auch ein paar alte Krümperpferde waren den Russen entgangen … Mit ihnen kehrte Paul abends nach Berschkallen zurück.
Da sah es nicht gut aus. Madeline hatte heftiges Fieber … Schon stand der Todesengel zu Häupten ihres Bettes. Aber noch wehrte sich ihr jugendstarker Körper gegen die unheimliche Macht, die ihr Herz zu unheimlich schnellen Schlägen antrieb und das heiße Blut durch ihre Adern rasen ließ…
Kurt saß, von aller Energie verlassen, neben ihrem Bett. Wirr gingen ihm unklare Gedanken und Gefühle durch den schmerzenden Kopf. Die Freude über den Stammhalter war einer lähmenden Angst um Madeline gewichen… Er wusste nur zu genau, was solch’ ein Fieber bei einer Wöchnerin bedeutet…
Auch seine Wunde schmerzte, aber er fühlte es kaum… Es erschien ihm kleinlich, jetzt davon zu sprechen. Malvine war still und teilnahmslos. Nur Georginne behielt den Kopf oben. Sie hatte die alte Frau ins Dorf geschickt und einen Topf heißen Fliedertee kochen lassen, der Madeline eingeflößt wurde, um sie zum Schwitzen zu bringen. Sie legte ihr kalte, nasse Tücher auf Kopf und Brust…
Als Paul eintrat, war ihr erstes Wort:
»Paul, du musst unter allen Umständen einen Arzt austreiben.«
»Verlange lieber, dass ich dir einen Stern vom Himmel herunterhole, das würde wohl leichter sein, als einen Arzt auszutreiben. Aber wenn es nötig ist, will ich es versuchen. Vielleicht treffe ich einen deutschen Truppenteil, bei dem sich ein Arzt befindet. Vielleicht treffe ich auch auf Russen…«
Als er gegangen war, atmete Georginne tief auf. Sie wusste, wenn es eine Menschenmöglichkeit gab, dann brachte Paul einen Arzt.
Nun kam die schwerste Stunde für die Bewohner von Berschkallen. Kurt saß völlig gebrochen und in sich zusammengesunken zum Fußende auf Madelines Bett. Das Bewusstsein, hilflos der entsetzlichen Macht dieser Krankheit gegenüber zu stehen, hatte sich wie ein lähmender, nein wie ein zermalmender Alp auf seinen Geist gelegt.
Nur Georginne ging aufrecht umher. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie gegen ein gefährliches Ungeheuer zu kämpfen. Dann ballte sie die Fäuste und straffte ihren Körper … Von Zeit zu Zeit trat sie vor die Tür und horchte in die Nacht hinaus. Eine stille finstere Nacht. Ein feiner Regen sprühte ihr ins Gesicht, ohne dass sie darauf achtete … Von den Schaluppen her hörte man unbestimmtes Geräusch … Da rüsteten sich die Menschen, in die jetzt erst die Angst gefahren, zum Abzug … und die Alte, die sie nach Tee geschickt hatte, war nicht wiedergekommen…
Sie musste selbst gehen … Vorsichtig tastete sie sich ein paar Schritte vorwärts…
Da stieß sie auf einen länglichen, dunklen Gegenstand. Sie beugte sich nieder und betastete ihn mit der Hand. Es war der Sarg, den Paul von Keimkallen für Bogdan gebracht hatte. Mit jähem Erschrecken richtete sie sich auf, sie hatte in diesem Augenblick vergessen, dass er für Bogdan von Roth bestimmt sein konnte, sie dachte an Madeline…
Es war gut, dass sie ins Dorf kam. Da hatten die Leute schon ihre Sachen auf Schubkarren gepackt. Ein paar alte Männer, die zum Dableiben rieten, wurden nicht gehört. Georginne fragte nicht. Sie kriegte ein Weib am Genick und stieß sie in das Haus zurück.
»Seid Ihr wahnsinnig geworden? Wollt ihr den Russen in die Hände laufen? Sofort tragt ihr alles in die Häuser zurück … Na wird’s bald? Oder soll ich Herrn Paul Braczko holen?«
Der Name wirkte besser als jede Vorstellung … Die Leute trugen ihre Sachen von den Karren wieder in die Stuben und zogen ihre Reisekleider aus. Eine Viertelstunde später ging Georginne mit einer Kanne Tee und einer Laterne wieder zur Ruine zurück. Zwei junge Frauen begleiteten sie freiwillig, als sie hörten, dass es mit der jungen Frau schlecht stände…
Ja, es stand wirklich sehr schlecht um Madeline. Sie war bei vollem Bewusstsein. Ihre Augen blickten so klar und vernünftig, dass Georginne einen freudigen Schreck bekam. Sie wusste noch nicht, dass sehr oft das Leben noch einmal aufflackert, wenn es zu Ende geht.
Malvine hatte sich aufgerafft, zu der Kranken aufs Bett gesetzt und ihre Hände gefasst … Sie sah, dass die Schwester etwas sagen wollte. Da bog sie ihr Ohr herunter…
Wie ein Hauch kam es von Madelinens Lippen:
»Schwester, verlass’ meinen Jungen nicht.«
Dann schlossen sich ihre Augen…
Wie ein Lichtlein ging ihre Lebensflamme aus…
Im Morgenschimmer kam ein Wagen angebraust … Paul Braczko brachte einen Arzt … einen Stabsarzt von der nächsten deutschen Truppe, die er erreicht hatte … Die beiden alten Gäule hatte er um Mitternacht stehen lassen müssen, weil sie nicht weiter konnten. Zu Fuß war er weiter gewandert. Es war ihm, wie er später erzählte, gewesen, als wenn er im Gehen geschlafen hätte. Aber der eiserne Wille trieb ihn vorwärts, bis ein Posten ihn anrief…
Der Arzt kam trotzdem nicht vergeblich, denn es war die höchste Zeit, dass Kurts Wunde in ärztliche Behandlung kam. Derselbe Wagen brachte Kurt und Malvine mit dem Kleinen nach Keimkallen. Georginne blieb, um bei Madeline die Totenwache zu halten.
Auch Paul blieb. Er hatte sich in einem Winkel auf die Diele geworfen und schlief wie ein Toter…
Gegen Abend waren die beiden Gräber auf dem Gutskirchhof ausgehoben … Dicht nebeneinander wurden sie begraben. Die deutsche Frau, der der Krieg das Leben gekostet hatte, und der russische Offizier mit dem deutschen Namen und dem deutschen Herzen…
Mit tränenlosen Augen sah Malvine, die mit dem alten Braczko gekommen war, die Schollen auf den Sarg fallen…
Unbewusst fühlte sie jetzt, dass der Tod des Geliebten sie aus einem schweren Widerstreit der Pflichten erlöst hatte. Wie sie schon früher sich geweigert hatte, mit Bogdan von Roth sich öffentlich zu verloben, solange er russischer Untertan wäre, so wäre es ihr jetzt unmöglich erschienen, einem Manne die Hand zum Lebensbunde zu reichen, der als Feind ihrem Vaterland Wunden geschlagen hatte…
Wie ein Riss war es durch ihre Seele gegangen, als sie Bogdan in russischer Uniform erblickte! Im Stillen hatte sie gehofft, dass er alles, was ihn an Russland band, von sich werfen und sich auf die deutsche Seite stellen würde. Aber nein, er hatte es vorgezogen, die Pflicht gegen sein Vaterland zu erfüllen…
Sie wusste nicht, welchen Seelenkampf die beiden Brüder durchgemacht hatten, als sie die russische Uniform, die sie schon im Frieden als Offizier getragen, anlegen mussten. Vielleicht war es auch nur die Unmöglichkeit, Russland zu verlassen, die sie dazu gezwungen hatte…
Auf dem Rückweg hatte sie davon zu Paul gesprochen. Er hatte ruhig erwidert:
»Liebe Malvine, darüber musst du dir keine Gedanken machen. Jeder Mensch hat seine Pflicht auf der Stelle zu tun, auf die ihn das Schicksal gestellt hat. Die Roths sind seit Generationen russische Untertanen und haben als solche ihre Pflicht zu tun. Dass sie deutsch sprechen und deutsch fühlen, das ist ein schwerer Konflikt, in den sie dieser wahnsinnige Weltkrieg gestürzt hat…«
»Ja, ja, lieber Paul, aber es ist so entsetzlich, zu denken, dass Bogdan dich oder Kurt oder euch beide hätte erschießen lassen müssen.«
Paul Braczko zuckte die Achseln.
»Grüble nicht, Malvine Ich weiß, was du antworten willst, dass du deinen Gedanken nicht gebieten kannst … Dagegen gibt es nur eins. Schaff’ dir Arbeit, schwere, große Arbeit, bei der man keine Zeit hat zu grübeln. Nimm dich des kleinen Burschen an, der womöglich auch noch den Vater verlieren wird. Da hast du genug Arbeit…«
Es war selbstverständlich, dass alle vorläufig bei Onkel Braczko blieben. Paul musste sich jetzt, wo die Verbindung mit den deutschen Truppen hergestellt war, zum Militär melden. Schon am anderen Morgen fuhr er ab, kehrte aber nach zwei Tagen zurück … Er hatte noch acht Tage Urlaub erhalten, um seine Verhältnisse zu ordnen, soweit es möglich war, und um zu heiraten…
Es war eine sehr stille Hochzeit … Die Schwestern richteten in aller Eile ein schwarzes Seidenkleid von Braczkos verstorbener Frau als Brautkleid her. Paul sah in seiner Jägeruniform sehr schmuck, aber auch sehr ernst aus … Onkel Braczko vollzog als stellvertretender Standesbeamter die Trauung. Die kirchliche Trauung konnte erst später nachgeholt werden, weil der Pastor, der im Vertrauen auf seine Würde nicht geflohen war, von den Russen verschleppt worden war…
Aber bei der Mittagstafel gab es doch noch einige Flaschen Rotwein, und Onkel Braczko konnte sich auch einen Toast auf das junge Paar nicht verkneifen. Er lief aber in der Hauptsache auf die dringende Aufforderung an Paul hinaus, die Russen gründlich zu verhauen…
Mit Kurt ging es täglich besser. Auch er musste sich zur Fahne stellen und sehnte den Tag herbei, wo er seinen Arm wieder würde gebrauchen können. Ein Trost war ihm sein kleiner Bube, der ihm jetzt als heiliges Vermächtnis seiner geliebten Madeline erschien.
Stundenlang saß er an dem Waschkorbe, in dem der Kleine schlief und freute sich an den rosigen Bäckchen und Patschhändchen, die sein Sprössling beim Schlafen gegen das Gesicht zu drücken pflegte. Ja, der kleine Paul Eberhardt gedieh unter Malvines sorgsamer Pflege … und Kurt wusste, dass sein Kind gut behütet war, wenn er in den Krieg zog…
Eine geradezu wunderbare Veränderung war mit dem alten Braczko vorgegangen…
Auch er schlich öfter auf den Zehen an das Bettchen des Kleinen, um ihn liebe- und ehrfurchtsvoll zu betrachten. Aber abends pflegte er sich mit einigen Flaschen Rotwein in sein Zimmer zurückzuziehen. Da war Georginne ihm nachgegangen und hatte ihm die Flaschen vor der Nase weggenommen. Er sah sie einen Augenblick sprachlos an.
Dann grunzte er ärgerlich: »Was soll das heißen?«
Georginne ließ sich nicht einschüchtern. Sie legte dem Graubart den Arm um den Nacken, bog sich zu ihm herab und gab ihm einen richtiggehenden Kuss auf den Mund.
»Das soll heißen, lieber Vater, dass wir den Rotwein wahrscheinlich noch sehr nötig brauchen werden für Verwundete und Kranke.«
»Lieber Vater?« stammelte der alte Herr etwas verwundert.
»Na, ja, du bist doch nicht nur wie ein Onkel, sondern wie ein Vater zu Paul gewesen, und ich bin Pauls Frau, deshalb nenne ich dich lieber Vater als Onkel…«
»Na, wenn’s so ist, dann…« ‘prost’, wollte er eigentlich gewohnheitsgemäß sagen, besann sich aber und sagte nicht nur: ‘Liebe Tochter’, sondern umhalste sie und gab ihr den Kuss ehrlich zurück…