Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 11
2. Kapitel
Georginne hatte noch sehr wenig Lebenserfahrung, sonst hätte sie nicht annehmen können, dem alten Herrn den Rotspohn einfach dadurch abzugewöhnen, dass sie ihm die Flasche vor der Nase wegnahm. Sie war auch darin im Irrtum, dass sie glaubte, der ganze Weinvorrat bestände aus den zwei Dutzend Flaschen, die im Keller lagen.
Nein, so dumm war der alte Fuchs denn doch nicht, dass er seinen sehr stattlichen Weinvorrat den Russen preisgegeben hätte. Oh nein! Und so gut hatte er ihn verwahrt, dass die Russen mit ihren Schnüffelnasen nichts finden konnten. Im Keller hatten sie jeden Stein beklopft, in den Scheunen, in den Ställen hatten sie überall den Boden mit einer langen spitzen Eisenstange untersucht, ja selbst im Garten und Park hatten sie die Bohrungen angestellt, aber nichts gefunden.
Sie waren aber überzeugt, vielleicht waren sie auch durch Spionage davon unterrichtet, dass der alte Herr auf Keimkallen einen sehr erheblichen Weinvorrat besaß. Und weil sie nichts fanden, behandelten sie den Gutsherrn sehr schlecht. Ja, ein Offizier hatte ihm sogar mit Erschießen gedroht, wenn er nicht das Versteck seiner Weinvorräte verriete… Zum Glück wurde dieser rabiate Kerl bald wieder in Marsch gesetzt.... Kaum war er fort, als der alte Braczko alle leeren Weinflaschen, die sich auf der Lucht12 durch Jahre hindurch angesammelt hatten, in den Keller und in die Stuben bringen ließ.
Den nächsten Russen, die bei ihm einrückten, zeigte er mit betrübter Miene die Ansammlung leerer Flaschen und versicherte ihnen mit ernsthaftem Gesicht, ihre Vorgänger hätten sie leer getrunken … Der älteste Offizier, ein Major, hatte kein Wort dazu gesagt. Auf den ersten Blick hatte Braczko in ihm einen Leidensgefährten erkannt, denn nicht nur seine kolbenartige Nase, sondern auch die angrenzenden Flächen der Backen schillerten in rötlichbläulichem Schein, den der alte Herr selbst mit gutem Humor den Heiligenschein des biederen Alkohols zu nennen pflegte.
Der alte Major hatte seine jüngeren Offiziere weggeschickt, und dann hatte er Braczko so recht vertrauensvoll angesehen und gefragt:
»Sollten Sie wirklich nicht für sich ein paar Fläschchen beiseite gebracht haben? Ich würde Ihnen sehr dankbar sein.«
Der Ton hatte den Keimkaller ans Herz gefasst.
»Ja, Herr Major … aber wenn die jüngeren Offiziere merken…«
»Das lassen Sie meine Sorge sein…«
Während die jüngeren russischen Offiziere abends Oko spielten, ein dem Poker ähnliches Hasardspiel, und reinen Spiritus dazu tranken, saß Braczko mit dem Major in seinem Jagdzimmer vor dem Kamin, in dem ein lustiges Feuer flackerte, und trank mit ihm Rotspohn, guten, alten, dicken Rotspohn, bei dem sich von selbst ein stummes, ehrfürchtiges Gefühl im Menschen einstellt. Und in solchen Augenblicken neigte selbst der alte Braczko zur Frömmigkeit und behauptete, man müsse Gott auf den Knien danken, dass er einen solchen Tropfen wachsen ließe.
Es war auch immer eine wehmütige Erinnerung dabei, denn genau so hatte Braczko mit seinem Freund Rosen beisammen gesessen.
Der russische Major war auch kein Freund vom Sprechen, wenn er Rotwein vor sich stehen hatte, und so passten die beiden alten Herren sehr gut zusammen … Er fragte auch nie, wo Braczko den Wein herholte. Er war zufrieden, dass nach dem Abendbrot sechs, sieben, acht Flaschen bereit standen. Dafür erwies er sich auch dankbar. Kein Russe durfte auf dem Gut etwas anrühren…
Dass er ein sehr gutmütiger Mensch war, ergab sich daraus, dass er jeden Abend bei der vierten oder fünften Flasche – ganz genau konnte auch Braczko die Zahl nicht angeben – seinem Zechkumpan Brüderschaft anbot und das Freundschaftsbündnis mit einem Doppelkuss auf beide Wangen besiegelte … Und nachts schlief der alte Herr so fest, dass er von der Schießerei, als die preußischen Truppen die Russen zurückgeworfen hatten, nichts merkte.
… Ein bisschen verdutzt sah er allerdings aus, als er vormittags die Treppe herunterkam und auf der Diele einen preußischen Hauptmann fand. Aber ohne großen Kummer fand er sich in die Veränderung seines Schicksals und nahm mit großem Bedauern Abschied von seinem Duzfreund Braczko und seinem guten Rotspohn…
Manchmal wunderte sich Georginne über die sonnige Stimmung des alten Herrn. Sie hatte seine gute Laune früher stets auf die Wirkung des Alkohols zurückgeführt. Aber darin musste sie ihm Unrecht getan haben. Er war auch jetzt ebenso lustig wie früher…
Endlich schöpfte sie Verdacht, als der alte Herr eines Mittags von einem Gang in die Wirtschaft gar zu aufgeräumt nach Hause kam. Ohne jede Veranlassung fasste sie ihn um und gab ihm einen Kuss. Da spürte sie nur zu deutlich, dass er Rotwein getrunken haben musste…
Sie war von ihrer Wahrnehmung so betroffen, dass sie im ersten Augenblick nicht wusste, was sie sagen sollte, und ehe sie noch den Mund aufmachen konnte, sagte der alte Herr scheinbar ganz friedlich:
»Mein Kind, du wirst mich nicht mehr umkrempeln, also lass’ mich ungeschoren.«
Aber in seiner Stimme lag etwas, was ihr den Mut zu einer Entgegnung nahm…
Bald darauf trat eine ganz gewaltige Veränderung in Keimkallen ein. Das ganze Gut wurde bis zum letzten Dachsparren mit deutschem Militär belegt. Die Front lag ziemlich nahe, so dass man Tag und Nacht den Kanonendonner vernahm, von dem die Scheiben klirrten und der Kalk hinter den Tapeten an den Wänden herabrieselte. Ein Teil des großen Gutshauses war als Feldlazarett eingerichtet … Die anderen Zimmer hatte ein Brigadestab mit Beschlag belegt … Täglich waren dreißig, vierzig Offiziere zu bespeisen, so dass Georginne den größten Teil des Tages In der Küche zubrachte.
Malvine war mit dem kleinen Bübchen, das ganz prächtig gedieh, in das ehemalige Niedergut übergesiedelt, in dem sie aufgewachsen war, um es mit der Bewirtschaftung von Berschkallen bequemer zu haben … Die eigentliche Leitung hatte Ohm Braczko in der Hand, aber sie war sein Inspektor. In jedem Wind und Wetter fuhr sie in einem kleinen, einspännigen Wägelchen aufs Feld hinaus.
Und täglich erschien auch Braczko auf seinem steifbeinigen alten Gaul, den selbst die Russen mitzunehmen verschmäht hatten. Und stets war sein erster Gang zu dem kleinen Buben, der ihn schon sehr gut kannte und ihm mit seinen dicken Patschhändchen in den Graubart fuhr.
Eines Tages war Braczko zu Mutter Strawischke gefahren und hatte ihr freudestrahlend etwas ins Ohr geflüstert. Sie hatte ihm einen leichten Klaps auf den Mund gegeben und lachend gesagt:
»Ach geh’n Sie doch, Braczko, Sie bilden sich was ein.«
»Nein, nein, liebe Freundin, es ist schon so, wie ich sage … Sie müssen mir die Erdmute zur Hilfe geben.«
Dann wurde Erdmute, die Älteste, hereingerufen, und ihre Mutter sagte zu ihr:
»Liebes Kind, du wirst auf einige Zeit, wahrscheinlich auf einige Monate nach Keimkallen übersiedeln … Georginne muss etwas geschont werden…«
Das Mädel war verständig genug, um zu verstehen, weshalb Georginne geschont werden musste. Sie errötete ein wenig, aber sie rief erfreut aus:
»Ist das wirklich wahr, Ohm Braczko? Weiß es Paul schon?«
»Das eine ist wirklich wahr, und das, andere weiß ich nicht,« erwiderte Braczko freudestrahlend. »Aber hoffentlich wird’s ein strammer Kriegsjunge.«
»Braczko, Sie haben sich noch nicht ein Spürchen geändert,« meinte Frau Strawischke mit leichtem Vorwurf.
»Mein Gott, haben Sie sich doch nicht so … Erdmute ist doch kein Kind mehr. Und weshalb soll ich mich ändern? Haben Sie sich geändert? Solche alten Schlorren, wie wir beide sind, müssen schon so verbraucht werden, wie wir sind.«
… Die große Winterschlacht, die Ostpreußen befreite, war geschlagen. Die Front lag jetzt dreißig, vierzig Kilometer von der Grenze entfernt, und nur bei Ostwind vernahm man noch ab und zu das dumpfe Rollen der ganz schweren Geschütze. Der Trubel der Einquartierung war geschwunden. Nur ab und zu kamen lange Kolonnen mit Bagage oder Munition vorbei … Die Flüchtlinge begannen zurückzuströmen. Sie wurden von den Gutsherrschaften mit offenen Armen empfangen, obwohl sie zunächst nur die Not vermehrten, denn es war buchstäblich nichts vorhanden. Mit vieler Mühe ernährte man ein paar Kühe und Schweine, die aus den von den Feinden verschonten Gegenden stammten.
Jetzt bewährte der alte Braczko seinen Ruf als tüchtiger, energischer Landwirt, den er noch von früheren Zeiten her besaß. Seine Tatkraft war nur in den Jahren des Wohllebens etwas eingerostet. Jetzt hatte ihn die schwere Zeit der Not aufgerüttelt … An Geld fehlte es ja weder in Keimkallen, noch in Berschkallen. So setzte er sich eines Tages auf die Bahn und fuhr nach Westen, um einzukaufen.
Zuerst Pferde und Wagen und Milchkühe.
Dann Futter und Saatgetreide für beide Güter.
Nun begann ein reges Schaffen und Wirken … Bis in die Karwoche hinein hatte der Winter mit Schnee und Eis und harter Kälte seine Herrschaft ausgeübt. Am Grünen Donnerstag schlug das Wetter um. Da begann ein stürmischer Südwest zu wehen. Er trieb dunkle, schwere Wolken vor sich her und beutelte sie, bis sie sich ihres nassen Inhalts entledigten … Die Kuppen der Berge wurden dunkel. Unter dem Schnee brachen kleine Gießbäche hervor und stürzten zu Tal. Alle Gräben, alle Täler füllten sich mit trübem Wasser … Der Schnee verschwand wie Butter an der Sonne. Und als am Heiligen Abend die Glocke vom Keimkaller Kirchturm das Osterfest, das Fest der Auferstehung einläutete, da trippelte bereits die Lerche auf dem schwarzen Acker umher, als wartete sie sehnsüchtig auf den Festmorgen, um auch der Natur die frohe Botschaft vom Auferstehen und neuem Leben zu singen.
Malvine hatte sich in Berschkallen drei Stübchen in einem Insthaus13 als Wohnung eingerichtet Die Möbel hatte sie aus den Trümmern herausholen lassen. Sie sahen nicht schön aus, sie waren zum Teil mühsam zusammengenagelt, aber sie erfüllten ihren Zweck. Eben hatte sie Bubi zur Nacht gewaschen und in sein blütenweißes Bettchen gelegt, als ein Militärauto laut tutend die Dorfstraße entlanggefahren kam. Sie trat vor die Tür, um nach dem Wetter zu sehen; das Auto interessierte sie weniger, denn es kamen viele von der Front und nach der Front gefahren.
Da rief eine kräftige Stimme: »Halt, hier sind wir richtig…«
Ein Offizier sprang aus dem Wagen.
»Malvine, ich bin es…«
»Kurt.«
Stumm lag sie einen Augenblick an seiner Brust … Dann wandte Kurt von Berg sich um.
»Also auf Wiedersehen, Herr Kamerad, am dritten Feiertag holen Sie mich wieder ab.«
An der Hand führte ihn Malvine in das Stübchen, wo sein Bube im Bettchen lag…
Das Deckbett hatte er mit seinen drallen Beinchen abgestrampelt. Die Flasche hatte er ausgetrunken und war noch damit beschäftigt, den Saugpfropfen abzureißen … Malvine hob den kleinen Burschen auf und legte ihm dem Vater an die Brust. Mit nassen Augen drückte Kurt seinen Sohn ans Herz … den anderen Arm schlang er um Malvine.
»Wie soll ich dir dafür danken?«
»Ich habe genug Dank an der Freude, die mir der kleine Bursch’ bereitet … Ach wir sind schon so verständig … wir haben auch schon zwei Zähnchen und wir krakeelen auch schon … Aber nun wollen wir schlafen, damit wir morgen früh wieder vergnügt aufwachen.«
Aber erst mussten Bubis Händchen aus Vaters Bart losgemacht werden.
»Das hat ihm Onkel Braczko angewöhnt,« sagte Malvine leise lächelnd. »Dem ist nicht wohl, wenn er nicht mindestens einmal am Tage Bubi auf dem Schoß hat…«
Nach dem Abendessen saßen sie bei der Lampe am Tisch … Zuerst hatte Kurt erzählt von all den schweren Kämpfen, von den harten Tagen und Nächten, die er im Schützengraben durchgemacht hatte. Während er sprach, ruhten seine Augen voll Verwunderung auf Malvine. Sie schien ihm größer und stattlicher geworden, ja auch auf ihrem Gesicht glaubte er einen neuen Zug zu finden, der ruhigen, festen Willen verriet und sie Madeline ähnlicher gemacht hatte…
Dann holte Malvine ihre Wirtschaftsbücher hervor und erstattete Bericht. Und sie hatte genau Buch geführt und sein Eigentum sorglich verwaltet. Für alles, was sie während des Winters den deutschen Truppen geliefert hatte, waren die Belege da. Auch die alten Wirtschaftsbücher waren in dem unter dem Schutt ausgegrabenen Geldschrank aufgefunden worden. Wie gut, dass der alte Grundmoser noch bis zum letzten Tag so energisch geschafft hatte! Kurt staunte. Was hatte das junge, unerfahrene Mädchen alles geleistet. Sogar die Rüben und Kartoffeln hatte sie mit deutschen Soldaten eingeerntet und zum größten Teil an die deutsche Heeresverwaltung mit großem Nutzen verkauft.
Dann berichtete sie, dass Onkel Braczko von ihr das Geld zum Einkauf von Vieh und Ackergeräten erhalten hatte … Einige schwer beladene Fuhren mit Heu, Getreide und Vorräten mancher Art waren schon angekommen.
Auch einen erfahrenen Inspektor hatte er ihr für Berschkallen besorgt…
»Aber Kind, Malvine, weshalb hast du mir das alles nicht geschrieben? Immer bloß von Bubi, und von der Wirtschaft höchstens zwei, drei Zeilen?«
Malvine lächelte.
»Ich nahm an, dass du deinen Kopf mit anderen Dingen voll hättest … und dann hatte ich, offen gesagt, keine Zeit dazu. Ich hatte niemand, dem ich Bubi anvertrauen konnte, und wollte es auch nicht, weil ich dir für den Jungen verantwortlich bin. Und abends war ich oft so müde, dass ich über den Büchern eingenickt bin.«
Kurt legte ihr die Hand auf den Arm und strich sanft herab zu ihrer Hand. Da zog sie ihre Hand schnell zurück und stand auf. Du wirst müde sein, ich muss dir noch ein Bett rüsten.
»Ein Bett? Das ist nicht nötig. Ich lege mich auf irgendein Sofa und decke mich mit meinem Mantel zu…«
»Ein Sofa haben wir leider nicht, aber ein Bett habe ich für dich. So schlecht sind wir denn doch nicht in Berschkallen daran, dass wir nicht für den Gutsherrn, wenn er aus dem Felde auf Urlaub kommt, ein gutes Bett hätten. Das habe ich mir aus Keimkallen geholt … Wir sollen morgen dort zu Mittag sein, können aber schon früher fahren, wenn Bubi morgen Toilette gemacht hat…«
»Mir scheint, bei dir dreht sich alles nur um Bubi…«
»Findest du das nicht natürlich? Das Kind ist mir doch das heilige Vermächtnis meiner Schwester … deiner Gattin…«
Sie fuhr sich mit den Händen über die Schläfen und sprach leise weiter:
»Manchmal ist es mir, als wenn Madeline neben mir steht und mir zusieht, wenn ich den Knaben herze … ja, manchmal ist mir so, als wenn Madeline in mir selbst lebt…«
Mit leuchtenden Augen hörte Kurt ihr zu.
»Ja, Malvine … du bist Madeline furchtbar ähnlich geworden … Als ich ankam und du in der Dämmerung vor der Tür standest, da musste ich mir ordentlich einen Ruck geben, weil du auch in der Gestalt Madeline so ähnlich geworden bist. …Du bist größer, voller und schöner geworden.«
Malvine errötete bis in die Schläfen hinauf. Dann wandte sie sich ab und ging schnell hinaus.
3. Kapitel
Erst auf der Fahrt nach Keimkallen sagte Malvine zu Kurt:
»Du wirst Georginne verändert finden.«
»Ach, geh’ doch … weshalb denn?« fragte Kurt mitleidig, der zuerst an einen unheilvollen Einfluss der Trennungszeit dachte. Malvine errötete leicht.
»Es ist nichts Schlimmes, im Gegenteil. Sie erwartet Mutterglück.«
»Ach, das ist aber herrlich. Weiß es Paul schon? Natürlich wird er es schon wissen,« verbesserte er sich selbst. »Da wird aber Paul glücklich sein. Ich habe mal acht Tage mit ihm zusammengelegen. Du, Malvine, das ist ein Soldat … der geborene Feldsoldat. Nicht tot zu kriegen! Tag und Nacht auf dem Posten und immer lustig. Es ging uns damals sehr dreckig. Wir hatten es verteufelt schwer. Tag und Nacht in strömendem Regen unter dem heftigsten Feuer der Feinde. Und jede Nacht Sturmangriffe. Da hielt er uns alle mit seinem Humor und seiner ruhigen Zuversicht aufrecht, nicht nur die Offiziere … bei denen war es auch weniger nötig …, sondern auch die Mannschaft, die an ihm mit abgöttischer Liebe hängt. Sein Eisernes Kreuz Erster hat er sich allein dadurch verdient, nicht nur durch sein rücksichtsloses Draufgängertum.«
»Erzähl’ Georginne nur sehr viel von ihm,« erwiderte Malvine lebhaft, »er schreibt zwar recht oft, aber immer nur ganz kurz, dass es ihm gut geht … weiter nichts. Und gebrauch’ nicht den Ausdruck: ‘rücksichtsloses Draufgängertum’, das könnte sie erschrecken.«
»Sie ist wohl sehr angegriffen von ihrem Zustand?«
Malvine schüttelte den Kopf.
»Sie ist noch tapferer, als es Madeline war. Onkel Braczko hat ihr zwar die Erdmute Strawischke … ja die Älteste ist es … zu Hilfe geholt, aber sie lässt sich nicht beschonen, sie ist den ganzen Tag auf den Beinen. Onkel Braczko lässt sich von ihr um den Finger wickeln. Du, Kurt, der ist auch ganz anders geworden.«
»Ach, schade, hat er seinen gottgesegneten, übermütigen Humor verloren?«
»Davon hat er noch mehr als zuvor. Aber energisch ist er wieder geworden … unermüdlich in der Wirtschaft, hinten und vorn. Und den Rotspohn hat er sich abgewöhnt.«
»Malvine, alles will ich dir glauben, nur das nicht…«
Sie lachte, ein kurzes, stilles Lachen, das wie ein Sonnenstrahl über ihr ernstes Gesicht flog.
»Ganz so schroff will ich es nicht hinstellen, aber die drei, vier Flaschen, die er sich sonst nach dem Abendbrot einverleibt hat, sind weggefallen.«
»Er hat wohl keinen Rotwein mehr?«
»Oh, doch. Unsere Truppen hatten ihn zwar ganz leer getrunken, und es mag ihm manchmal nicht ganz leicht geworden sein, seinen alten, gut gepflegten Wein herauszugeben, aber nun hat er schon wieder für Ersatz gesorgt. Nein, er strampelt sich tagsüber so paddenmüd’, dass ihm abends nach dem Essen schon die Augen zufallen.«
»Er ist wohl älter geworden und zusammengeruckt?…«
»Im Gegenteil, er ist frisch geworden, wie ein Jüngling, und wenn ich mich nicht sehr irre…« ein schalkhaftes Lächeln kräuselte sich um ihre Lippen … »geht er auf Freiersfüßen.«
Kurt sah seine Schwägerin misstrauisch von der Seite an. Misstrauisch und doch froh darüber, dass sie bereits scherzen konnte. Dabei fiel sein Blick auf das umfangreiche Bündel, das Malvine unter ihrem Mantel auf dem Schoß zu liegen hatte. Eben hatte es drin deutlich gequarrt, und schon nestelte Malvine an dem Bündel, beugte sich herab und fragte in zärtlichem Ton:
»Na schlafen wir nicht mehr, sind wir endlich aufgewacht? Nun kommen wir gleich zu Onkel Braczko, da bekommt Bubi sein Fläschchen und wird den Onkel im Bart zausen…«
Atemlos lauschte Kurt, und sein Blick hing mit Staunen und Rührung an Malvine, an der Pflegemutter seines Kindes. Ihr ganzes Gesicht war wie in Sonnenschein getaucht, und aus ihren Augen leuchtete eine Zärtlichkeit, als wenn sie ihr eigenes geliebtes Kind auf dem Schoß hätte. Dann beugte er sich auch vor, um seinem Söhnchen in die blitzenden Augen zu schauen. Ganz von selbst kam es, dass er dabei den Arm um Malvine legen musste. Da richtete sie sich auf, und ihr Gesicht erstarrte zu traurigem Ernst. Kurt wurde rot wie ein ertappter Sünder und stammelte:
»Verzeih’, Malvine, ich habe mir dabei wirklich nichts gedacht … Ich fühle bloß die Freude über den Jungen und die Dankbarkeit für dich…«
»Sprich nicht immer von Dankbarkeit, Kurt, das ist mir peinlich. Ich tue ja nichts mehr als meine Pflicht…«
»Nein, Malvine, du tust mehr, viel mehr. Weißt du, jetzt wird es mir doch schwer werden, Abschied zu nehmen. Bisher stand das Kind noch ganz undeutlich in meinem Bewusstsein. Ich habe oft daran gedacht, aber ich konnte mir kein Bild von ihm machen. Jetzt weiß ich, dass Madeline mich reich beschenkt, dass sie mir ein großes Glück hinterlassen hat, einen Stammhalter, für den ich sorgen, und wenn irgend möglich, mich erhalten muss … Und dir habe ich es zu danken, dass du meinen größten Schatz mir behütest und bewahrst…«
Um seine Rührung zu verbergen, beugte er sich zu dem munter quarrenden Jungen hinab und ließ sich den Bart zausen…
Als der Wagen rasselnd auf der Rampe von Keimkallen vorfuhr, trat der alte Jons aus der Tür. Er war wirklich alt geworden.
Sein Haar war schlohweiß und der Körper hatte sich nach vorn geneigt. Jetzt wollten ihn auch die Knie nicht recht tragen, als er seinen Herrn auf dem Wagen erkannte. Aber das war nur die freudige Aufregung…
»Herr, Herr, gnädiger Herr,« rief er ein über das andere Mal, und die Tränen schossen ihm aus den Augen.
Vom Wagen herab nahm Kurt seinen Kopf zwischen beide Hände und sah ihm in die treuen Augen.
»Alter Jons, freust dich wirklich so? Na, Alter, lass’ nur, nicht doch,« rief er und zog seine Hände weg, die der Alte küssen wollte.
Dann nahm er Malvine den Jungen ab und trug ihn ins Haus…
Da war’s schon gemütlich … Im Kamin auf der Diele brannte ein helles Feuer aus Tannenscheiten. Am Tisch saß Onkel Braczko mit der Zeitung, und Georginne baute eben vor ihm ein gediegenes Frühstück auf … Eben kam auch Erdmute herein.
Georginne war bleich geworden und musste sich einen Augenblick an der Tischkante halten.
Sie hatte im ersten Augenblick, als sie die Uniform durchs Fenster sah, geglaubt, Paul wäre gekommen. Doch den freudigen Schreck und die nachfolgende Enttäuschung hatte sie schnell überwunden.
Kaum hatte sie Kurt begrüßt, als sie auch schon Malvine das Bündel abnahm und Bubi herausschälte. War das ein artiges Kind! Kurt hatte ihn noch nicht weinen hören. Selbst in dem kühlen Wasser, in dem er gebadet wurde, hatte er keine Miene verzogen, sondern mit Armen und Beinen geplantscht, dass Malvine ganz nass wurde.
Jetzt wanderte er von Arm zu Arm und landete schließlich auf Onkel Braczkos Knie, der mit glücklich lachendem Gesicht seinen Kopf herab bog, damit der kleine Bube ihm mit den Händchen in den Bart fahren konnte…
Das schien dem alten Herrn wichtiger als alles, was Kurt erzählte. Er begann natürlich mit der Begegnung mit Paul, wobei Georginne heiße Backen bekam und näher zu ihm rückte, um ihm die Hand auf den Arm zu legen.
Als Malvine dem Bubi sein Fläschchen gegeben und ihn zur Ruhe gebracht hatte, setzte man sich um den runden Tisch zum Frühstück, und da sah Kurt, dass Malvine nicht gescherzt hatte. Onkel Braczko ging wirklich auf Freiersfüßen, und das Ziel seiner Wünsche war Erdmute Strawischke.
Sie war nicht das, was man hübsch nennt, aber ein frisches, stattliches Mädel, lustig und ohne alle Ziererei. Das musste man der Mutter Strawischke lassen: Erzogen hatte sie alle ihre Mädel, dass jeder seine Freude daran haben konnte … und tüchtig in der Wirtschaft. Zu Hause hatten sie alle ran müssen. Nicht etwa so, dass die gnädigen Fräuleins wochenweise in die Küche gingen. Nein, sie hatten alle alles tun müssen, sie hatten in der Molkerei wie eine Magd arbeiten müssen, ehe sie die Aufsicht führen durften. Sie hatten am Waschfass gestanden und das Bügeleisen geschwungen, und wenn Mutter Strawischke eine ihrer Töchter unter fremde Leute gehen ließ, dann konnte sie sicher sein, dass sie ihr keine Schande machte.
Viel Mutterwitz und Bildung hatte sie ihren Töchtern nicht mitgeben können, aber einen gesunden Menschenverstand. Und Erdmute hatte schon lange gemerkt, dass es mit Onkel Braczko nicht ganz richtig war, wie man so zu sagen pflegt. Er machte sich nicht zum Narren, wie das manchmal bei alten Herren in unangenehmer Weise einzutreten pflegt, wenn in reifem Alter noch der Johannistrieb einsetzt, er war nur sehr aufmerksam gegen sie, und machte Jons, der bei Tisch bediente, durch einen energischen Blick aufmerksam, wenn er nach Braczkos Meinung Erdmute vernachlässigte.
Das war aber auch nur Einbildung von ihm, denn Jons war der aufmerksamste Diener, den man sich denken kann, und eher hätte er den alten Herrn selbst als Fräulein Erdmute vernachlässigt, die für den alten Mann wie eine Tochter sorgte…
Die zwei Tage waren wie im Flug vergangen. Fauchend und ratternd hielt das Auto vor der Tür. Kurt war noch einmal an das Bettchen seines Jungen getreten, der fest schlief. Da trat Malvine herein, nahm den Jungen auf und gab ihn dem Vater auf den Arm. Lächelnd schlug der Knabe seine Augen auf und fuhr dem Vater in den Bart.
»In dem Jungen muss ein sehr freundliches Gemüt stecken.«
»Das hat er von mir und … Madeline,« fügte er schnell hinzu. Dann legte er den Jungen in sein Bettchen und schloss wortlos Malvine in seine Arme. Sie stand ganz still mit herabhängenden Armen. Da küsste er sie leise auf die Stirn, wandte sich ab und ging hinaus…
Eines Abends saß Onkel Braczko allein am Kamin. Georginne war bereits zur Ruhe gegangen, und Erdmute schaffte noch in der Küche. Da kam die alte Sehnsucht nach einem guten Tropfen so heftig über ihn, dass er Jons nach einer Flasche Rotwein in den Keller schickte. Dabei war dem alten Herrn gar nicht gut zumute, denn er wusste, dass Jons den Kellerschlüssel von Erdmute holen musste. Er sprach sich aber selbst Mut zu.
»Das wäre ja noch schöner … wer ist denn hier Herr im Hause?«
Aber er staunte doch, als Jons zwei Flaschen anbrachte, und worüber er noch mehr staunte, auch zwei Gläser. Eine Minute später kam Erdmute und setzte sich ihm gegenüber.
»Du willst mir Gesellschaft leisten?«
»Ja, Onkelchen, es schmeckt dir doch nicht, wenn du nicht zu jemand Prost sagen kannst.«
Gerührt hob Onkel Braczko sein Glas.
»Na, denn prost, mein liebes Kind.«
»Wohl bekomm‘s dir, Onkel.«
»Das ist ein guter Wunsch, Erdmute. Was man auch darüber sagen mag, für einen alten Mann ist solch ein guter Tropfen das reine Lebenselixier.«
»Die Milch der Greise,« fügte Erdmute schalkhaft lächelnd hinzu.
»Na, erlaube mal,« fuhr Onkel Braczko in komischer Entrüstung auf. »Ich bin noch lange kein Greis. Ich bin zwar kein junger Mensch mehr, aber zum alten Eisen lasse ich mich noch nicht werfen.«
»So habe ich es nicht gemeint, ich wollte bloß die Redensart anbringen.«
Der alte Herr hob prüfend das Glas und hielt es unter die Nase …
»Ein ganz süffiger Tropfen, aber doch nicht mit dem alten Wein zu vergleichen, den ich zwanzig Jahre im Keller liegen hatte. Weißt du Kind, Wein und Männer werden immer besser, je älter sie werden.«
Erdmute nickte zustimmend.
»Sie müssen bloß nicht zu alt werden…«
»Ja, Kind, da hast du auch recht…«
Dann gab sich Onkel Braczko einen Ruck und richtete sich straff auf.
»Sag’ mal, Erdmute, antworte mir mal ganz offen. Ich möcht’ dich etwas fragen. Hast du einen Schatz? Einen Mann, den du so recht von Herzen lieb hast?«
Ganz unbefangen sah Erdmute auf.
»Weshalb fragst du, Onkelchen?«
»Ach, ich möchte es wissen.«
Jetzt wurde Erdmute etwas rot und verlegen.
»Wie ich ganz jung war, habe ich Paul furchtbar angeschwärmt … das ist aber schon kluge her.«
»Na, aber jetzt, es ist doch so viel Militär bei euch im Hause gewesen? Hat dir da nicht dieser oder jener gefallen?«
Erdmute zuckte resigniert die Schultern.
»Gefallen hat mir schon mancher, aber ich habe keinem gefallen. Ich bin schon ins alte Register gekommen. Ja wirklich,« rief sie lebhaft aus, »das passiert einem sehr früh, wenn man jüngere Geschwister hat, besonders hübsche Schwestern; besonders die Liese und Lotte … ich glaube, bei denen hat sich wohl was angesponnen.«
»Sieh da, hoffentlich was für die Dauer … Du wirst auch noch einen Mann bekommen…«
Erdmute winkte abwehrend mit der Hand.
»Ich glaube nicht mehr daran, Onkel. Wer soll sich auf mich verleckern? Ich bin nicht hübsch…«
»Na, erlaub’ mal…«
»Nein, nein, Onkel, das weiß ich selbst am besten, ich brauch ja bloß in den Spiegel zu sehen.«
»Du bist ein frisches, gesundes, stattliches Mädel…«
»Stimmt alles, Onkel, aber das hilft mir nichts, weil ich keine Dittchen habe.«
»Aber die Lene hat doch den Nikolai von Roth bekommen…«
»Ja, die hat aber auch Augen, wie ein paar Kohlen, und ist so mollig und so schmiegsam wie eine Katze. Und ich wie eine Bohnenstange.«
»Den Vergleich verbitte ich mir, verstehst du mich, du dumme Margell.«
»Na, dann prost, Onkelchen, ich fühle mich furchtbar geschmeichelt, dass du so viel von mir hältst … Aber nun sag’ mal selbst, wer soll mich denn heiraten? Ein Fräulein vom Rittergut, da wagt sich schon keiner heran, der gesellschaftlich unter uns steht.«
»Es könnte sich doch mal ein Witwer treffen, der dich wegen deiner häuslichen Eigenschaften hoch schätzt … oder ein anderer alter Herr…«
Jetzt schien Erdmute ein Licht aufzugehen.
Sie beugte sich herunter und warf einige Stücke Holz ins Feuer. Als sie sich aufrichtete, war sie rot geworden … Gedankenvoll senkte sie ihren Blick aufs Glas.
Jetzt wurde der alte Herr kühn…
»Sag’ mal, Erdmute, würdest du dich entschließen können, einen alten Herrn zu nehmen, der dich sehr gern hat?«
Lächelnd hob Erdmute ihre Augen.
»Onkel Braczko, mach’ keine schlechten Scherze.«
Der alte Herr lachte auf.
»Siehst du, da bist du schon auf der richtigen Fährte. Aber nach Scherzen ist mir nicht zumute. Ich meine es in vollem Ernst. Du kennst mich, wie einen alten Groschen. Ich brauch’ mich dir nicht vorzustellen, was ich bin und wie ich bin. Ich möchte dich auch nicht in dem Irrtum lassen, als wenn ich bald abzukratzen gedenke, um dich als junge, reiche Witwe zu hinterlassen. Nein, ich bin zäh wie Kernleder und werde hoffentlich noch recht lange leben.«
Jetzt war sein Redefluss versiegt, und es überkam ihn eine Befangenheit über die er sich selbst ärgerte … Er musste sich ordentlich innerlich einen Ruck geben, um weiter sprechen zu können. »Ich will dich nicht wie ein Jüngling bestürmen, dessen Leben und Tod von der Antwort abhängt. Aber das kann ich dir ehrlich sagen, dass ich in der Zeit, wo du hier im Hause bist, dich lieb gewonnen habe. Ich bin ein gutmütiger Kerl, und wenn du mich nicht zu schlecht behandelst, wirst du von mir kein hartes Wort hören. Ja, und noch eins muss ich dir sagen. Keimkallen soll, wenn ich mal die Augen zumache, dem Paul zufallen, damit das Gut nicht auf einen Fremden kommt. Aber ich habe noch so viel auf der hohen Kante liegen, dass du als Witwe sehr behaglich leben kannst.«
Er stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Nun überleg’ dir das in aller Ruhe. Ich werde mich nicht in den Tod grämen, wenn du nein sagen würdest, aber wenn du ja sagen würdest, wäre ich sehr glücklich … Ja, Kind, ich habe mir das schon so schön gedacht, wenn wieder eine Frau im Hause schaltet und waltet, eine gute, liebe Frau, die mit mir Geduld hat und nicht wie ein Deuwel im Hause herumfährt … eine Frau, wie du sein würdest…«
Mit schelmischem Blick sah Erdmute zu ihm auf.
»Weißt du so genau, Onkel Braczko, dass ich kein Zankdeuwel bin?«
»Ja, Erdmute, das, weiß ich, das fühle ich.«