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Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 9

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5. Kapitel

Tatsächlich wurde ein Teil von Ostpreußen geräumt, und es begann jene furchtbare Völkerwanderung der Angst und des Elends, die den ersten Teil jener, in ihren Einzelheiten so grauenvollen Flüchtlingstage bildete, die unvergessen in der Geschichte des ostpreußischen Volkes bleiben wird. Es war der erste Abschnitt jener Ereignisse, die aus einem Teile des so schwer heimgesuchten Landes eine Trümmerstätte des Elends machte, die noch rauchend von Feuer und Blut, nicht lange darauf zur Stätte unauslöschbarem, einzig dastehenden Ruhmes werden sollte.

In unabsehbarem Zuge bewegten sich aus allen Straßen und Wegen die Karawanen des Leids. Fußgänger und Wagen mit kümmerlichem Hausrat und oft mit den unnützesten Dingen bepackt, denn in der Angst geht einem der Sinn für die Notwendigkeiten abhanden.

Hinter der Angst her aber gingen die tollsten, wahnsinnigsten Gerüchte. Der Ort und jener und jener andere, standen in Flammen! ‘Die Russen hausten wie die Wilden; mordeten, sengten, plünderten und jagten jetzt schon hinter den Flüchtenden her!’

‘Die Preußen seien in irgendeiner Schlacht geschlagen worden’, kein Mensch wusste allerdings wo und einige zischelten sogar schreckensbleich das Wort vom Verrat…

Der aber so was erzählte, kam schön an, denn alles konnte man glauben, nur das nicht.

Eines aber war ganz gewiss: Man verstand nicht, was vorging, nur im Hauptquartier selber herrschte die beste Stimmung und man rieb sich die Hände und freute sich, dass der Feind in die Falle ging.

Auch von dem von Bergschen Gute flüchteten ein paar Leute, aber nicht viele, trotzdem der Gutsherr alle aufgefordert hatte zu gehen.

»Warum geht denn der Herr nicht? Wenn der Herr nicht geht, brauchen wir auch nicht zu gehen.«

Das war die Logik.

Eine halsstarrige Logik, gegen die nicht aufzukommen war, denn die lag im Charakter der Leute.

Selbst, dass die Flüchtenden von der Gutsherrin Speck und Würste und Brot und Säcke voll Kartoffeln bekamen, verfing nicht. Wer ging, ging, die anderen aber blieben.

Kurt von Berg, der so bei seinen Leuten auf Weigerung stieß, fand bei den Seinen erst Recht einen Widerstand, der ihn einerseits allerdings freute, andererseits aber auch mit banger Sorge erfüllte.

»Gehst du?« hatte Madeline ihn gefragt.

»Nein, Madeline, mein Platz ist hier.«

»Und meiner bei dir.«

Und dabei blieb es, denn sie war immer noch die Alte geblieben; eine echte, unverbesserliche, auf ihrem Willen und ihrer Meinung fest bestehen bleibende Mertinat.

Aber auch die anderen zwei wollten bleiben und führten denselben Grund an: ‘Wo ihr bleiben könnt, können auch wir bleiben, Und die Gefahr, wenn tatsächlich eine ist, können wir mit euch teilen. Oder sind wir feiger als ihr?’ Nein, das waren sie wirklich nicht, also half keine Widerrede, half nichts.

Nur der Braczko, der Paul Braczko kratzte sich verlegen hinter dem Ohre.

»Weißt du was?« sagte er zu Kurt von Berg, »wenn die schon bleiben, dann, Schwager, nimm mich auch mit in den Kauf. Unten bei uns, da braucht man mich nicht, da ist mein Onkel, der nimmt’s allein mit einem Regiment Russen auf, wenn es sein muss; falls aber hier etwas geschieht, na, du verstehst mich doch, dann möchte ich auch lieber dabei sein und mit den Herrn Russen ein Wörtchen reden.«

Dass unter den Dagebliebenen selbstverständlich auch der alte Inspektor, der Grundmoser, war, das bedarf keiner Worte. Wenn selbst unter allen anderen die Erde gewankt hätte, diese gute, liebe, prächtige Heimaterde, ihm wankte sie nicht. Für ihn stand sie vollkommen fest. Stand unerschüttert und unerschütterlich. Und selbst wenn …, dann lieber sterben, als die Heimat verlassen.

Alle die Zurückgebliebenen scharten sich um ihn, um diesen kräftigen, unbeugsam starken Mann, dem nichts seine Ruhe und Zuversicht zu nehmen im Stande war. Um ihn scharten sie sich, und setzten ihren Stolz darein, auszuharren, bis auf den letzten Mann, bis auf die letzte Minute.

Natürlich blieb auch die alte Marie. Wer sollte denn für die Herrschaft kochen, wenn nicht sie? Und dann, was hatte sie denn von den Russen zu fürchten? Einem so alten Weibe, wie sie war, wird doch niemand was tun! Aber auch die Dore, das tapfere Mädel, erklärte, mit blitzenden und lachenden, ja wirklich, jetzt lachenden Augen, dass sie selbstverständlich auch bleibe. Ihr hatte es ja noch nie so gut auf dem Gutshof gefallen, wie jetzt.

So viele Soldaten hatte sie noch nie zusammen gesehen, und wann die nur konnten, guckten sie durchs Fenster in die Dienstbotenkammer hinein und plauderten und schwatzten und machten ihre Späße, dass einem ganz anders dabei zumut' werden konnte, und man den eigenen Schatz darüber beinahe vergaß.

Eines schönen, oder vielmehr nicht schönen Tages rückte das Militär aber ab.

Nicht dem Feinde entgegen, wie es der Wunsch und die Hoffnung aller gewesen war, sondern in andere Stellung zurück.

»Meinetwegen. Befehl ist Befehl,« sagte der Oberst. »Ich werde mich hüten, mich dagegen zu vergeh’n und wie der G. einen Rüffel zu kriegen, weil er gesiegt und die Russen geworfen hat. Nein, nein, adieu, oder vielmehr auf Wiederseh’n, denn ich hoffe zuversichtlich, Sie, Herr von Berg und Ihre Damen wiederzusehen. Lieber freilich wäre es mir, Sie verließen den Hof.«

Damit aber war nichts zu machen.

Der Inspektor, der Grundmoser, sagte gar nichts, nicht ein Wort sagte er. Er presste nur die Lippen zusammen und gab Befehl, das ganze Vieh in die Koppeln zu treiben. Ein großes Feuer war da entzündet, und die Glut warf in der nächtigen Stunde einen seltsamen Schein auf die, gleich Schatten dahinhuschenden Menschen, die plötzlich von dem grellroten Licht wie mit Blut übergossen waren.

Laut brüllte das Vieh und die Bullen gebärdeten sich förmlich wie rasend, denn in dem Feuer lagen zum Glühen gebrachte Eisen, mit denen wurden sie alle gebrannt, um später, wenn ein oder das andere Stück sich wiederfand, als das rechtmäßige Eigentum des Gutsherrn von Berg erkannt zu werden. Denn der Inspektor ließ nicht ein Stück Vieh, auch nicht eines in den Ställen, damit’s vielleicht dort den Herren Russen in die Hände fiel! Nein, nein, lieber sollte das Vieh frei sein. Lieber, wenn’s sein musste, irgendwo verrecken, als den Russen als Speise dienen.

Von drüben her hörte man das Schießen, dumpf und weit, aber immer näher. Jetzt schlugen unten, in das einst Mertinatsche Gehöft, schon die Granaten ein. Rauch und lodernde Flammen schlugen empor. Über dem Gutshof, hoch oben, erscholl ein seltsames Sausen und Brausen. Ein feindliches Flugzeug ist’s, das zweifellos die Räumung des Gutshofs entdeckt hat, denn es wendet in weiter, kreisender Schleife und das Geschützfeuer hört mit einem Mal auf. Dafür stürzt kurze Zeit später einer der Knechte atemlos zu dem Gutsherrn hin:

»Die Russen kommen, die Russen!«

»Fliehen! Fliehen! Fort, um Himmels Willen, fort!«

Einige der jetzt Verzagenden wollten allerdings das Heil, jetzt wo es zu spät war, in der eiligen Flucht versuchen. Die Gutsherrschaft aber blieb.

Herr von Berg ging den anrückenden Russen sogar entgegen.

Da sprengten sie schon über den Hof. Ein Jessaul10, ein Rittmeister, voran. Ihm zur Seite ein Leutnant und ein Kornett. Hintennach die ganze Rotte. Wilde, verwegene Kerls. Herr von Berg trat grüßend, wie sich’s Gästen, selbst ungebetenen Gästen gegenüber geziemt, höflich grüßend entgegen.

»Es steht Ihnen und Ihren Leuten hier selbstverständlich alles, was wir bieten können und müssen, zur Verfügung, nur bitte ich Sie, dass Ihre Leute mein Gut als meines achten und schützen. Mein Name ist Freiherr von Berg.«

»Bobriloff. Iwan Michailowitsch Bobriloff,« nannte auch der Rittmeister, der ein Weltmann war, seinen Namen. »Und was Ihre Bitte betrifft, so ist sie eine Selbstverständlichkeit. Wir sind Soldaten, Herr Baron, und keine Räuber. Nur einige Signalfeuer muss ich sofort anzünden, das ist mein Befehl, und da werden wohl, so Leid es mir tut, einige Mieten draufgehen müssen. Aber das ist der Krieg. – Absitzen!« wandte er sich an seine Truppe, »und dass mir von euch Kerls keiner sich untersteht, etwas zu nehmen. Geplündert wird nicht. Sie, Kornett, stehen mir persönlich dafür ein.«

Dann schritt er mit dem Leutnant und dem Gutsherrn dem Gutshause zu. Dort standen die drei Schwestern, blass, aber gefasst, und hielten sich umschlungen.

Als Frau Madeline ihren Mann so friedlich mit den feindlichen Offizieren herankommen sah, atmete sie hoch auf und ging den dreien entgegen.

»Willkommen kann ich Sie nicht heißen, Herr Rittmeister,« sagte sie, »aber ich kann Sie nur versichern, dass Sie und Ihre Leute alles erhalten werden, was Sie verlangen dürfen.«

»Dieselbe Zusicherung hat mir schon Ihr Herr Gemahl gemacht,« gab der Jessaul zur Antwort, »und ich denke, Sie werden sich weder über mich, noch über meine Leute zu beklagen haben, obwohl freilich die Mannszucht nicht ganz so groß wie bei Ihnen ist. Darf ich mir gestatten?« fragte er und reichte ihr seinen Arm.

Sie schüttelte mit dem Kopfe. »Ich bin eine Preußin,« sagte sie und lehnte damit in nicht misszuverstehender, aber freundlich lächelnder Weise ab.

Er biss sich auf die Lippen.

Dann lächelte auch er.

»Ich wusste nicht, dass wir auch gegen Frauen kämpfen,« sagte er und trat mit dem Leutnant in das Haus ein.

Wie so viele gebildete Russen, sprachen beide, er und der Leutnant, ein ziemlich fließendes Deutsch. Nur der Kornett, der sich später zu Ihnen gesellte, verstand kein Wort. Umso beredter aber waren seine Augen, die erst in dem ganzen Raume herumgingen, dann aber mit einem Ausdrucke der Bewunderung, der Paul Braczko gar nicht passte, an Georginne haften blieb.

Die Mahlzeit, die den feindlichen Gästen aufgetischt wurde, war reich, wie jede ostpreußische Mahlzeit ist, und auch an Wein und dem landesüblichen Schnaps wurde nicht gespart.

Diesem sprach der Kornett ganz besonders zu, so dass seine Augen bald mehr zu verraten begannen, als Paul Braczko und der Mertinatschen Georginne lieb sein mochte, die den heißen, roten Blicken des Kornett – denn so nennen die Russen diese unverschämt starrenden Blicke – mehr als einmal mit ihren eisigen, ruhigen, kalt und verächtlich strafenden begegnen musste.

In Paul Braczko kochte die Wut, und das merkte der Jessaul und kippte das Glas des Kornetts um und sagte:

»Es dürfte besser für Sie sein, Sie suchen die frische Luft aus, Kornett Dragumiroff; haben Sie verstanden, ja, oder nein?«

»Ich … ich …«

»Pascholl11!« schnitt aber der Rittmeister jede Bemerkung ab, und taumelnd stand der Kornett auf und torkelte hinaus.

Draußen aber verzog sich sein Mund zum bösen, hassvollen Grinsen, und er ballte seine Faust gegen die Tür und drohte damit:

»Warte, du mein Seelchen, warte du nur!«

In demselben Augenblicke entstand unten in der Gesindestube ein Lärm. Schreie wurden gehört, mit den Kolben wurde an die Tür geschlagen, um sie zu erbrechen, und russische Soldaten suchten durch sie und durchs Fenster in die Gesindestube zu dringen.

Einer der jungen Stallburschen stürzte schreckensbleich in den Speisesaal. Die alte Marie ebenso fassungslos hinterdrein.

»Herr, Herr, die Russen!…«

»Was ist mit den Russen?« fragten der Rittmeister und Herr von Berg wie aus einem Munde, und sprangen ebenso auf wie Paul Braczko schon längst aufgesprungen war.

»Sie, sie brechen ins Haus ein, sie … sie …«

Aber sie kamen gar nicht zum Ausreden, denn schon waren der Rittmeister und der Leutnant unten. Beide hatten – war es instinktiv oder gewohnheitsmäßig? – nach ihren Reitpeitschen gelangt. Sie kamen gerade in dem Augenblicke unten an, als die Tür, die schon in allen Fugen gekracht hatte, unter dem Zetergeschrei der in Todesangst befindlichen Mägde einbrach und die Russen sich wie die Tiere in den Gesinderaum drängten.

Durch Tür und Fenster kamen sie gleichzeitig, da aber sausten auch schon die Peitschen des Rittmeisters und die des Leutnants auf sie nieder.

»Oh, ihr Hundesöhne, ihr verdammten! Ist das der Befehl, den ich euch gegeben habe? Benimmt sich so ein Russe? Benimmt sich so ein Kosak, den man gastfreundlich aufnimmt? Wassil Wassiliewitsch, wo ist die Nagalka? Willst du wohl in die Kerle hineinschlagen, oder willst auch du mit meiner Peitsche Bekanntschaft machen, du Sohn einer elenden Mutter?!«

Und weiter klatschten die Peitschenhiebe auf die Soldaten nieder, die sich bückten und scheu an den beiden Offizieren und dem Wachtmeister, fast in sich geduckt, vorüber zu kommen suchten, und wenn ein Peitschenhieb sie noch traf, mit einem ‘o boze!’ ‘oh Gott!’ den Schlag quittierten und den Saum des Uniformrockes zu erfassen suchten und küssten.

Im Nu war die Gesindestube geräumt; nur die, jetzt erst recht zitternden Mägde blieben, angstvoll in eine Ecke des Raumes zusammengedrängt, stehen.

Der Rittmeister aber wandte sich lachend an Braczko und Herrn von Berg, die auch mit nach unten gerannt waren, und sagte, sich mit der Peitsche den Staub von den hohen Juchtenstiefeln klopfend:

»Sehen Sie, das ist unsere Disziplin, davon haben Ihre Truppen gar keine Ahnung.«

Lachend winkte dann der Rittmeister die Mädels heran.

»Nu sagt mal, wie ist die Sache gekommen?«

Und da … ja da stellte sich allerdings heraus, dass im Grunde die Dore die Schuldige war.

Die Russen hatten sich an den Fensterscheiben die Nasen noch platter gedrückt, um hineinzusehen, hatten in ihrer Sprache und auf ihre Art ihre Witze gemacht und gefragt, ob sie hinein dürfen, und da hatte die Dore ihnen eine lange Nase gemacht und ihnen die Zunge entgegengebläkt und das … na, das hatte die Leute erbittert und … so war halt die Sache gekommen.

»So, so? Du also bist die kleine Übeltäterin,« sagte der Rittmeister und nahm sie beim Ohrläppchen. »Na ja, zu begreifen ist ja die Sache, wenn ein Mädel so hübsch ist,« und damit kniff er ihr in die Backen und lachend gingen sie wieder nach oben.

6. Kapitel

Am nächsten Tage schon rückten die Russen ab, und so gern man sie scheiden sah, fragte man sich doch mit recht bangen Gefühlen, ob wohl alle so sein würden wie die, oder ob unter anderer Führung sich die wilden Szenen nicht nur erneuern, sondern eine ganz andere Wendung nehmen würden, als die war, die die Sache gestern genommen hatte.

Von überall her kamen ja Berichte von wahnsinnigen Gräueltaten.

Greise und Kinder waren zusammengeschossen, Frauen und Mädchen verschleppt und auf das Furchtbarste misshandelt worden. Der rote Hahn war auf jedes Dach gesetzt worden und das Vieh hatte man geradezu aus Übermut in die Flammen getrieben.

»Ist es nicht doch besser, ihr geht? Ihr sucht noch zu fliehen?« fragte der Gutsherr, und auch Paul Braczko drängte die Frauen zu gehen.

»Nicht ohne euch. Und dann sagt mir, wohin? Vor uns sind die Russen und hinter uns auch. Dann sind wir tausendmal sicherer hier.«

Sie richteten sich aber für alle Fälle ein Versteck ein, und Paul Braczko verscharrte in diesem auch sein Gewehr und Kurt von Berg ebenso seinen prächtigen Drilling, denn alle andern Waffen hatten sie abliefern müssen, nur die zwei Gewehre hatten sie zurückbehalten, in so große Gefahr sie sich auch dadurch begaben.

Den Frauen wurde davon nichts gesagt.

Frauen brauchen eben nicht alles zu wissen.

Und tags darauf brach das Unglück mit all seinen Schrecken herein.

Die paar Männer, die da waren, und die Weiber und Kinder arbeiteten auf dem Felde. Die Sonne, die herrliche, warme, Leben spendende Sonne, schien wundervoll. Die Wiesen und Fluren, die Äcker und Felder, lagen wie in Gold getaucht da. Im See spiegelte sich das glitzernde Sonnenlicht in zitterndem, die ganze Fläche des Wassers, wie in flüssiges Gold tauchendem Lichte wider. Jenseits lag die Stadt, wie in einem flirrenden, flimmernden Nebel, aber man sah gleichzeitig drohende, sich ballende Wolken aus ihr emporsteigen, und in diesen Wolken zuckten irrende Flammen.

Sie brannte.

Und rechts und links die Dörfer brannten, und vom unteren Gutshofe schwelte der Rauch noch immer herüber.

Auch hörte man, dumpfem, rollendem Donner gleich, das Grollen der schweren Geschütze.

Ein dumpfes Bangen schien trotz des Sonnenglastes die Welt, diese Welt, zu erfüllen.

Nur die Natur fühlte den Krieg nicht.

Nur sie hauchte aus dem Boden, den Bäumen, den Blüten, den Atem des Friedens, und dort am westlichen Horizonte, grüßte wie ein Fels des Vertrauens das Massiv des Goldaper Berges herüber.

Finster und in sich Verschlossen, ging der Inspektor von Acker zu Acker, von Gruppe zu Gruppe. Er sagte kein Wort. Kaum dass er das Grüßen erwiderte. Man sah es ihm an, wie es in seiner Seele wogte und tobte.

Nur als der Naujoksche Bengel an ihm vorbei kam, die Arme mit Ährenbündeln bepackt, legte er einen Augenblick lang seine Hand auf des Knaben Kopf und sah ihn tief aufseufzend an. Dann wandte er sich um und sagte:

»Geh’ nur, geh’, arbeit’ nur weiter. Ich will weiter nichts von dir.«

So hatten die Leute den alten Grundmoser noch niemals, gesehen.

Es hatte aber offenbar seinen Grund. Denn auch der Mensch hat sein Voraussehen und seine Ahnungen, nicht nur, wie der Schulmeister von Weissuhnen sagte, das Tier. Diese Ahnungen aber, wenn es wirklich solche waren, trafen nur allzu schnell ein.

Sprengten da nicht feindliche Reiter querfeldein auf sie zu? Wahrhaftig, Kosaken. Riefen ihnen etwas zu, was kein Mensch verstand, und da man es nicht verstand, kein Mensch befolgte.

Und da man das Befohlene nicht tat, so krachten die Schüsse.

Nicht die Reiter schossen, sondern die Kerle, die an der Seite des Reiters im Steigbügel standen, sich mit der einen Hand am Sattelgurt hielten und mit der Rechten das Gewehr anbackten und schossen.

Donsche Kosaken, die wildesten, verwegensten aller Kosaken, auf ihren kleinen struppigen Pferden.

Im selben Augenblicke, in dem der erste Schuss fiel, erscholl auch ein Schrei, und das eine Mädel stürzte getroffen lang hin.

Blut! Blut! Das erste Blut war auf dem Gute geflossen! Die Sicheln und Sensen, die Bündel und Garben entfielen den Händen all der Entsetzten. Schreiend stoben sie auseinander, und hinter ihnen drein krachten die aufs Geratewohl, mehr zum Zeitvertreib, als zu anderem abgegebenen Schüsse. Einige trafen, einerlei, ob Weiber, Männer oder Kinder, wenn sie nur trafen, und dann plötzlich loderte es auf. Eine der noch nicht abgedeckten Mieten, die beim ersten Russeneinbruch verschont worden waren, war in Brand gesteckt worden, andere folgten, und bald loderte ein Flammenmeer über das Feld hin. Hinter einer der Mägde her jagte ein Kosak, erreichte sie, beugte sich vom Pferde herab zu ihr hin und schleifte sie an den Haaren über das Feld.

Mit einem Male aber stellte sich der Grundmoser, der keuchenden Atems dagestanden hatte, ohne sich vom Flecke zu rühren, dem sich aufbäumenden Pferde entgegen. Ein Schlag mit der Faust, mitten auf die Stirn des Tieres und dieses brach, wie vom Blitze getroffen, zusammen und begrub im Fallen seinen Reiter unter sich.

»Lauf’,« sagte der Grundmoser dem Mädchen, das sich an ihm tastend emporzurichten versuchte, im selben Augenblicke aber zusammenbrach. Gleichzeitig waren zwei von den Reitern über ihn her, und ob er sich gleich wie ein Wütender verteidigte, wurde er doch überwältigt.

Keuchenden Atems, Schaum vor dem Munde, stand er da, während die abgesessenen beiden Kosaken ihm die Arme nach Kosakenart vorne zusammenbanden, dann schwangen sie sich auf ihre Pferde und heidi! ging es im gestreckten Galopp, mitten über das brennende Feld hin, den Alten mit sich ziehend.

Die ersten Schritte, wollend oder nicht wollend, hinter den Pferden herlaufend, mit stieren, aus ihren Höhlen tretenden Augen und gesträubtem Haare, dann hinstürzend und über den schwelenden, brennenden, qualmenden Boden geschleift. Nun den Abhang hinab, gegen den Fluss zu, mitten in diesen hinein mit den Pferden, die Leiche des Mannes hinten nach, dann ein Schnitt mit dem haarscharfen Säbel … stt! durch den Strick, und das Reiterkunststück der beiden Kosaken hatte sein Ende.

Einer von allen denen, die dem Überfalle entgingen, erreichte den Gutshof. Das war das Bürschchen, der Naujok.

Auch ihm pfiff eine Kugel nach, doch traf sie ihn nicht, und er erreichte das Gutshaus, gerade als der Braczko – Paul Braczko natürlich – hinauseilen wollte, um zu sehen, was da unten geschehen sei, denn der Rauch und das Feuer und das Feuern verkündeten Böses.

So Böses aber, wie das, was der Kleine atemlos und mit allen Zeichen des Schrecks und Entsetzens, mehr keuchend hervorstieß, als wirklich erzählte, so Böses hatte niemand erwartet.

Schnell hinein, schnell, schnell ins Versteck.

Nicht fragen, um Gottes Willen nicht fragen!

»Ich bitte dich, Berg, ich bitte dich, Madeline, kommt. Und du Malvine und meine Georginne.«

Und er schlug die Hände ineinander, dass sie sich krampften.

Der kleine Naujok natürlich, der musste mit. Und die Marie und der Jons. Ja, war denn sonst keiner mehr da? Schnell, schnell in den Keller hinunter. Die eiserne Falltür geschlossen und das Versteck aufgesucht.

Ein glücklich gewähltes Versteck in einem alten Kellergelass, hinter mächtigen Fuderfässern, zwischen denen man durchkriechen musste.

Nur schnell, um Gottes willen, nur schnell.

Und hier saßen, lauerten die acht Menschen und lauschten hinaus und ließen sich leise, ganz leise, von dem Bürschchen das Grauenvolle erzählen, ihn immer durch ein ‘Pst’ unterbrechend, um nur ja zu hören, ob niemand sich nahe. Sehr bald merkten sie, dass oben über ihnen irgendetwas geschah. Aber was? Dumpfes Krachen, ein Poltern, ein Zusammenstürzen von Gott weiß was, dann unten, dicht neben ihnen, ein Fluchen, Johlen, Juchzen, dann ein Dröhnen und endlich ein seltsames Gurgeln. Und plötzlich, selbst in ihrem Verlies, ein nasses, klebriges Steigen: der Wein, den die Unholde aus den zerschlagenen Fässern auslaufen ließen.

Längst hatten die beiden Männer ihre Gewehre herausgeholt. Schussbereit knieten sie, wie der Soldat auf dem Anstand.

Bleich standen die drei Frauen dicht aneinandergeschmiegt, der kleine Kerl, der Naujok aber … der schlief!! Der war vor Erschöpfung eingeschlafen, den Kopf auf einem Kartoffelsack, den die beiden Männer schon Tage vorher hingeschafft hatten.

Die alte Marie und der alte Jons aber saßen da, wie in dumpfer Benommenheit, und der Kopf sank ihnen so schwer hinab, dass man nicht wusste, ob nicht auch sie eindrusselten, denn so alt sie waren, alt geworden waren sie erst heute.

Oben und überall rings umher war es ruhig geworden. Die beiden Männer hatten ihre Gewehre stillschweigend beiseitegelegt, aber so, dass ein Griff genügte, um sie sofort zur Hand zu haben.

Nun stand Paul Braczko auf und tastete sich leise zu den drei Frauen hin. In die redete er ein, und da ließen auch die sich auf die Säcke nieder und warteten.

Worauf? Auf das Ende?

Auch Berg war zu seiner Gattin getreten. Neben ihr kauerte er sich hin. Wortlos. Nur ihre Hand hatte er ergriffen, und so saßen sie Hand in Hand da.

Wie lange? Wer konnte das wissen? Stunden; Minuten; Ewigkeiten.

Als sich aber gar nichts mehr rührte, wollte der Braczko hinaus.

Sie ließen ihn nicht.

Warten hieß es.

Und so wartete man weiter, bis man das Warten nicht mehr aushalten konnte. Der Kleine, der Naujok, war längst wieder erwacht und erzählte den beiden Alten, der Marie und dem Jons, all das Grauenvolle noch einmal, das er gesehen und geträumt hatte, denn Traum und Wirklichkeit vermischten sich in seinem Bewusstsein, weil ja die Wirklichkeit ärger gewesen war, als ein Traum jemals sein kann.

Jetzt hörte er, dass einer hinaus wollte, um zu sehen, was oben geschehen war und ob der Feind noch da, oder schon fort sei. Da erbot er sich.

Er konnte leichter ungesehen hinausschlüpfen Er verstand sich auf alle Schliche und kam ganz leicht auch dort durch, wo andere nicht durchkamen. Der Braczko freilich und der Herr von Berg wollten es nicht; da aber war es Madeline, die sagte:

»Lasst ihn doch, er hat Recht; und ist er früher behütet worden, um uns zu retten, so wird er auch weiter behütet werden, um uns Kunde zu geben.«

Die beiden Männer gaben daraufhin ihren Widerstand auf und der Kleine schlüpfte aus dem Versteck raus.

Und wieder wartete man. Lange, unsagbar lange, obwohl der Kleine gar nicht so lange ausblieb. Was er, als er endlich kam, denen da unten erzählte, war furchtbar. Alles ein Haufen von rauchenden Trümmern und Mauern, alles zerschlagen, zertrümmert, zerstört und vernichtet. Überall brennender, rauchender Schutt, aber die Russen waren schon fort, weit und breit war keiner zu sehen.

»Komm’,« sagte Herr von Berg, als er lautlos den Bericht des Jungen gehört hatte. »Nein, nicht ihr. Nur der Paul. Ihr, ich bitte euch, wartet noch hier.«

So gingen die zwei und ließen die Frauen allein, denn der alte Jons zählte ja nicht. Alte Männer sind ärger als die alten Frauen.

Was Paul Braczko und der Gutsherr dann oben sahen, das spottete jeder Beschreibung.

Das ließ alles hinter sich, was man selbst nach dem, was ihnen der kleine Naujok gesagt hatte, hatte glauben können. Das war mehr als Verwüstung, das war Vernichtung.

Hand in Hand, in stummem Händedruck standen die beiden Männer da und blickten auf das Bild der Zerstörung.

Nur mit Gewalt drängte Kurt von Berg die Tränen zurück, die ihm in die Augen treten wollten. Vor wenigen Stunden noch ein reicher Mann und jetzt .... ein Bettler! Ärger noch als ein Bettler.

»Madeline, meine arme, arme Madeline.«

Das waren die einzigen Worte, die sein unermesslicher Schmerz zu finden vermochte.

Überall das sinnloseste Wüten und da … mein Gott, was war das? Lag da nicht mitten unter den rauchenden Trümmern eine Leiche?

»Paul! Paul!«

Beide machten den Leichnam frei. Es war der eines Weibes. Eines jungen, einst lachenden, jugendstrotzenden Weibes: Dores.

Seitab legten die beiden Männer die Leiche hin, und Paul Braczko nahm den eigenen Rock herunter, um das Gesicht der Toten damit zu bedecken. Dann gingen sie zu den andern, den Wartenden, wieder hinunter.

»Es ist furchtbar. Furchtbarer, als man sich’s vorstellen kann, aber du wirst auch weiter noch mein tapferes Weib sein, und auch das noch ertragen. Nicht wahr, Madeline?«

Statt aller Antwort drückte sie ihm die Hand.

»Habe ich dich, dann habe ich alles,« sagte sie, und man sah es ihr an, dass sie es nicht nur sagte, sondern auch meinte.

Trotzdem aber zuckte sie zusammen, als sie die Verwüstungen sah. Ihr Arm legte sich schwer auf den seinen. Ihr Gang nahm etwas Schleppendes an und sie musste sich setzen.

Wohin? Jede Bank war zerschlagen, jeder Stuhl war verbrannt, nichts war mehr da von all dem ruhigen, behaglichen, vornehmen Reichtum, der sie bisher umgeben hatte; nichts, gar nichts. Dort, umgestürzt, ein halbverbrannter Karren. Auf den setzte sie sich. Sie musste sich setzen; ihr Zustand erforderte das.

Und so saß sie da, den Kopf in die Rechte gestützt und die Augen geschlossen, um das furchtbare Bild nicht zu sehen, dieses grauenerregende Bild der Verwüstung.

Kurt stand bei ihr, und plötzlich legte sie ihren Kopf an seine Brust, und sie, die starke Mertinat von einst, weinte und weinte…

Aber das Elend war noch längst nicht vorbei. Das kam erst.

Die wenigen Vorräte, die Paul Braczko und Kurt von Berg in dem Versteck aufgestapelt hatten, währten nicht ewig. Sie boten auch nicht die Nahrung, die man – die vor allem Madeline in ihrem Zustande brauchte. Überdies fanden sich von dem Gesinde einige allmählich ein, die sich im Walde versteckt und durch ihn gerettet hatten, und die jetzt der Hunger zurücktrieb. Auch die mussten zu essen bekommen. Zu schießen wagte man nicht. Nicht einmal sein Gewehr zu zeigen, denn … wer konnte wissen … im Elend …, man weiß ja, wie das ist…

Außerdem konnten immer noch Russen in der Nähe sein oder noch kommen. Und dann …, dann drohte der Strick, wenn man ein nicht abgeliefertes Gewehr beim Gutsherrn oder sonst jemand fand.

Der Strick, oder sonst wie der Tod.

Vom ganzen Vieh war natürlich nicht ein Stück mehr übrig. Keines hatte den Weg zum Stalle zurückgefunden. Dem Stalle? Sagt lieber dem rauchenden Trümmerhaufen, der einstmals ein Stall gewesen war! Nichts war da, gar nichts. Aber Rat musste geschafft werden. Und den schaffte Georginne.

Erstens hatte sie mit Malvine einen Raum in dem abgebrannten Gutshofe wieder halbwegs bewohnbar gemacht. Irgendwie war es ihr gelungen, einen Strohsack zu finden und frisch zu füllen; den bekam Madeline.

Dann gelang es ihr mit Hilfe Paul Braczkos und des alten Jons, aus alten Möbeltrümmern irgendetwas zusammenzuzimmern, was mit einem Möbelstück eine entfernte Ähnlichkeit hatte. Mit einer Bettstelle sogar.

Das alles bekam auch Madeline. Die brauchte es am notwendigsten. Und schließlich richtete man sich auch selber noch ein, so gut es eben ging.

Das Wichtigste aber war Fleisch. Und eines Tages brachte Georginne, die früher einmal ein ‘Wilddieb’ gewesen war, nie aber Schlingen gelegt hatte, zwei Kaninchen nach Haus, die sie in Schlingen gefangen hatte. Am nächsten Tage waren es deren sogar drei.

»Ich begreife nur nicht, warum ihr nicht schießen geht,« sagte sie. »Es ist ja kein Mensch, kein Feind in der Nähe. Gebt doch mir euer Gewehr. Es sind Fasanen da. Rehe habe ich allerdings keines mehr gesehen.«

Und eines Tages schlich sie sich wirklich zu ihrem Versteck und nahm eine der Büchsen, die noch dort lehnten. Paul Braczko aber, der Unheil ahnte, erwischte sie gerade noch zur rechten Zeit, um ihr – was sie ihm nie mehr verzieh, das Gewehr mit sanfter Gewalt aus den Händen zu nehmen.

»Willst du das Unglück auf uns alle hier bringen?« fragte er.

»Nein, ich will Madeline davor retten, Hungers zu sterben.«

Merkwürdigerweise war der Naujok, der wackere Bursche, verschwunden, und gerade an dem Tage kam er zurück und brachte ein Huhn und ein Ei und, oh Wunder über Wunder, ein Kännchen Milch. Woher er das hatte, das war aus dem Jungen nicht rauszubringen. Genug, das, was er gebracht hatte, war da, und er behauptete, wo es da s gegeben habe, gebe es noch mehr.

Aber die Tage schwanden und er brachte nichts. In den Schlingen fing sich auch gar nichts mehr und man starrte wieder dem Elend ins Auge.

Da machte Paul Braczko sich auf. Ohne jemandem etwas zu sagen, war er gegangen.

Nur der Georginne hatte er ein paar Zeilen hinterlassen. Er sei seinen Onkel suchen gegangen, ‘vielleicht, dass der uns hilft’. Und den Naujok, den unschätzbaren Bengel, hatte er mitgenommen, oder vielmehr der führte ihn. Denn der kannte alle Schliche und Wege.

10.Jessaul, Dienstgrad bei den Kosaken, in etwa Rittmeister.
11.Paschol! (Пошёл вон!): Russisch "verschwinde!"

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04 aralık 2019
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