Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 12
Mit raschem Entschluss erhob sich Erdmute.
»Na dann in Gottes Namen, Onkel, ich habe dich auch lieb … Du bist bei all deinen Schwächen ein guter Mensch…«
»Schwächen … ich verstehe immer: Schwächen.«
Der alte Jons war unversehens eingetreten, wahrscheinlich, weil er die zweite Flasche entkorken wollte. Er war gewöhnt, nie ein Zeichen von Verwunderung von sich zu geben. Aber jetzt blieb er doch mit offenem Munde stehen, als er sah, wie der alte Herr das Fräulein Erdmute im Arm hielt und abküsste…
»Na dann zieh’ noch die zweite Flasche auf, aber Gnad’ dir Gott, alter Esel, wenn du nicht das Maul hältst … Ich habe mich eben mit Fräulein Erdmute verlobt … richtig verlobt … Mensch, Jons, siehst mir das nicht, an, dass ich ein Bräutigam bin?«
4. Kapitel
Onkel Braczko war der Meinung, dass er nicht viel Zeit mehr zu verlieren hätte, wenn er noch mal heiraten wollte. Deshalb warf er sich schon am nächsten Vormittag in seinen schwarzen Bratenrock, der nur bei ganz feierlichen Gelegenheiten seine Auferstehung erlebte, und fuhr zu Mutter Strawischke. Lotte, die Jüngste, kam gerade aus dem Milchkeller, als der Keimkaller Wagen auf den Hof fuhr.
Die feierliche und doch fröhliche Miene des alten Herrn, seine festliche Kleidung, deren Bedeutung noch durch einen Zylinder von altehrwürdiger Form erhöht wurde, ließ in ihr einen Gedanken aufkeimen, der sofort zur festen Überzeugung wurde, als Onkel Braczko sie in ernstem Ton fragte:
»Ist deine liebe Mutter zu sprechen, mein Kind?«
Sonst pflegte er wohl unter gleichen Umständen zu fragen:
»Lotte, ist die Olsch im Bau?«
»Selbstverständlich,« hatte sie geantwortet und war atemlos ins Zimmer gestürmt, wo Olga, die Zweite, und Trude, die Vierte, beisammensaßen…
»Kinder,« schrie sie, und dann musste sie erst einen Lachkrampf überwinden, ehe sie fortfahren konnte:
»Kinder, wisst ihr was? Der Onkel Braczko will die Mutter heiraten.«
»Ach, Quatsch,« erwiderte Trude, die sich durch nichts aus der Fassung bringen ließ, mit aller Seelenruhe.
»Das ist gar kein Quatsch.«
Sie kicherte wieder.
»Nein, wie komisch er aussieht im schwarzen Gehrock und ’nen Zylinder auf … bloß ’nen Blumenstrauß hat er nicht. … Das hat doch was zu bedeuten! Und ganz feierlich fragt er mich: ‘Ist deine liebe Mutter zu sprechen?’ Kinder, das gibt ’nen Feez, wenn wir auf Onkel Braczko Papa sagen müssen.«
»Die Mutter denkt nicht daran, die ist doch über solche Dummheiten schon hinaus,« meinte Trude.
»Na erlaube mal,« fiel Olga ein, die sehr praktisch veranlagt war, und bereits alles, was für oder gegen diese Möglichkeit sprach, überdacht hatte. »Uns kann das doch nichts schaden, so ’n reichen Stiefvater zu kriegen.«
»Na darauf verspitz’ dich bloß nicht,« erwiderte Trude. »Keimkallen fällt doch an den Paul.«
»Na, wenn schon,« ließ sich Olga schon etwas energischer vernehmen. »Ich bin schon damit zufrieden, was an Vermögen sonst noch vorhanden ist.«
»Ach, quatsch’ doch nicht, Olga,« erwiderte Trude scharf, »kannst du dir die Mutter und Onkel Braczko als Brautpaar vorstellen … Wie Feuer und Wasser…«
»Kinder, zankt euch nicht, die Sache ist im Lot,« rief Lotte, die am Fenster stand. »Er lässt ausspannen und bleibt hier. Wenn er ’nen Korb gekriegt hätte, wäre er doch sofort weggefahren.«
Jetzt standen auch die beiden anderen auf und traten ans Fenster, um sich ·davon zu überzeugen, dass der Wagen wirklich an den Stall fuhr und ausgespannt wurde.
»Kinder, ich werde mir das Lachen nicht verbeißen können,« quietschte Lotte.
»Du Kalb, wann wirst du mal vernünftig werden,« sagte Olga strafend. »Wir müssen sehr überrascht tun, aber uns sehr freuen. Ich freu’ mich wirklich,« fügte sie ernst hinzu.
»Auch für die Mutter, die wird doch endlich auch mal ein bisschen aufatmen können.«
Frau Strawischke hatte auch ein verdutztes Gesicht gemacht, als der alte Herr mit ernster Miene eintrat und mit Würde und Nachdruck fragte:
»Verehrte Frau Nachbarin, darf ich Sie um eine Unterredung bitten?«
»Nanu, Braczko, was machen Sie denn für verrückte Anstalten? Wo brennt’s denn?« erwiderte Frau Strawischke in ihrer derben Art. Aber schon in demselben Augenblick stieg in ihr ein Gedanke auf, der ihr so komisch vorkam, dass sie nur mit Mühe das Lachen verbeißen konnte. Aber gewöhnt, sich zu beherrschen, neigte sie würdevoll das Haupt und lud Braczko durch eine Handbewegung ein, ihr in das Staatszimmer zu folgen, wo sie in aller Eile die Bezüge von einem paar Sesseln streifte und sich niederließ…
Die wenigen Schritte hatten genügt, um einen Entschluss zu fassen. Frau Strawischke konnte noch besser rechnen als ihre Tochter Olga. Blitzartig schnell war ihr der Gedanke durch den Kopf geschossen: Verkauf des eigenen Gutes, Übersiedlung nach Keimkallen, behagliches Wirtschaften als Hausfrau, gute Versorgung der Töchter, angenehmer Verwandtenkreis durch Berschkallen und später Nikolai von Roth.... Das Rotspohntrinken wollte sie ihm schon abgewöhnen. Er sollte ja auch in letzter Zeit schon ganz anders geworden sein…
»Na, lieber Freund, was haben Sie mir denn so Wichtiges zu sagen?« begann Frau Strawischke und legte ihr Gesicht, das durch einen Schatten auf der Oberlippe etwas Männliches hatte, in freundliche Falten…
Onkel Braczko hatte seinen Zylinder vorsichtig auf den Tisch gestellt, seine Handschuhe abgezogen und in den Hut geworfen. Jetzt zog er die Schöße seines Rockes auseinander und nahm im Sessel ihr gegenüber Platz.
»Ja, liebe, verehrte Freundin, Sie werden sich wundern.«
Nach einer kleinen, aber eindrucksvollen Pause:
»Ich habe so lange einsam als Witwer gelebt…«
»Das hatten Sie doch wirklich nicht nötig,« fiel Frau Strawischke mit ermunterndem Lächeln ein.
»Nein, das hatte ich wirklich nicht nötig,« bestätigte Braczko, »aber ich habe es doch nun mal getan… Glauben Sie mir, das war kein Vergnügen, mich mit den Frauenzimmern rumzuärgern, ob sie nun Haus-Dame oder Wirtschafterin oder sonst was waren.«
»Ja, ja, das weiß ich, Sie haben mir ja oft genug Ihr Herz ausgeschüttet…«
»Nun habe ich aber kennen gelernt, dass man es anders, ich will sagen, besser haben kann…«
»Die Erkenntnis kommt ein bisschen spät, lieber Freund.«
»Aber hoffentlich noch nicht zu spät … ich bin zwar kein Jüngling mehr, aber, wie mein Schulmeister immer zu sagen pflegte, im besten Heiratsalter zwischen fünfzig und neunzig…«
»Ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste, lieber Freund…«
»Wa… was meinen Sie?« stammelte Braczko und sah Frau Strawischke ganz verdutzt an … In demselben Augenblick stieg in ihm die Erkenntnis auf, dass Mutter Strawischke sich für die Erkorene hielt … Ohne daran zu denken, was solch eine Bewegung auf die Strawischke für einen Eindruck machen musste, schlug er sich mit der Hand vor die Stirn und dachte: ‘Was hast du alter Kerl nun wieder angerichtet?’ Nun galt es, den verfahrenen Karren wieder ins rechte Geleise zu bringen.
»Na, erlauben Sie mal, verehrte Freundin, Sie haben doch sehr jung geheiratet … Warten Sie mal: Sie sind höchstens vierundvierzig.«
»Stimmt auffallend, lieber Braczko,« bestätigte Frau Strawischke, wobei sie wie ein junges Mädchen errötete…
‘Donnerwetter,’ dachte Braczko, 'wie komm‘ ich bloß aus der Brodelei raus …’
»Na, Sie könnten doch auch schon längst zum zweiten Mal geheiratet haben.«
»Allerdings, lieber Braczko, ich will Ihnen das nicht verschweigen, dass ich noch vor nicht sehr langer Zeit einen ernst gemeinten Antrag gehabt habe.«
»Weshalb haben Sie ihn denn nicht angenommen?«
»Ja, wissen Sie, lieber Freund, das ist doch immer ein schwerer Entschluss, wenn man erwachsene Kinder im Hause hat…«
Braczko holte tief Atem, ehe er antwortete. Das war der Rausreißer.
»Ja, da haben Sie Recht, verehrte Freundin, wenn erst die älteren Mädchen aus dem Hause sind, dann könnten auch Sie noch mal daran denken.«
Jetzt sah ihn Frau Strawischke ganz verblüfft an.
»Ach Gott, lieber Braczko, das Bedenken hätte ich wohl schließlich überwunden, wenn mir die Person des Freiers gepasst hätte…«
Aber jetzt ließ sich der Freier nicht mehr aufs Glatteis locken. Er stand auf und reckte sich empor…
»Also kurz und rund heraus gesagt, ich stehe hier als Freier vor Ihnen … ich bin gekommen, um bei Ihnen um die Hand Ihrer Tochter Erdmute anzuhalten.«
Auf dem Gesicht der Gutsfrau wechselte jäh die Farbe. Zuerst wurde sie kreidebleich, dann schoss ihr das Blut ins Gesicht … Dann lehnte sie sich zurück und lachte aus vollem Halse. Das war die Rache für die Enttäuschung, die sie eben erlitten hatte. Und sie traf…
Braczko trat einen Schritt zurück und runzelte die Stirn.
»Was soll das heißen? Weshalb kommt Ihnen das lächerlich vor? Oder haben Sie sich verhört? Ich, Bernhard, Waldemar, Fürchtegott Braczko, Rittergutsbesitzer auf Keimkallen, halte um die Hand Ihrer ältesten Tochter Erdmute an…«
Jetzt hatte Frau Strawischke sich gefasst.
»Ach Gott Braczko, Sie sind immer ein Spaßvogel gewesen, aber damit treibt man doch nicht Scherz … Sie und meine Erdmute … Entschuldigen Sie, aber die Sache ist doch zu komisch…«
»Wenn Ihnen die Sache komisch vorkommt, dann will ich Sie weiter damit nicht behelligen. Erdmute ist zum Glück schon mündig und braucht sich nicht mehr daran zu kehren, ob ihrer Mutter die Sache komisch vorkommt oder nicht … Sie ist auch vernünftig genug, um nicht nach dem bisschen Plunder zu jammern, den Sie ihr im besten Fall mitgeben können. Wenn ich ein armes Mädchen heirate, dann kann ich ihr auch die Aussteuer kaufen.«
Jetzt hatte Frau Strawischke auch das neue Rechenexempel im Kopf fertig. Sie stand auf und legte Braczko die Hand auf den Arm.
»Herr Gott, Braczko, was sind Sie noch für ein Hitzkopf! Erst machen Sie Redensarten, dass ich, na sagen wir mal offen, schon einen freudigen Schreck kriege und denken muss, Sie wollen mir einen Antrag machen, und dann platzen Sie mit einem Mal raus, Sie wollen die Erdmute heiraten … Weshalb sagen Sie denn nicht gleich, dass Sie mit der Erdmute einig sind?« …
»Wo kann ich denken,« … beinahe hätte er ‘alte Schraube’ gesagt … »dass Sie als Mutter von sechs erwachsenen Töchtern noch einen Heiratsantrag erwarten…«
»Na erlauben Sie mal, Braczko, ich bin mit Ihnen verglichen doch noch ein Keichel.«
»Wollen wir uns nun Elogen sagen oder wollen wir vernünftig miteinander sprechen?« fragte der alte Herr brummig…
»Das liegt ja nur an Ihnen … Na gut … ich bin schon ganz still; aber nun sagen Sie mir mal, ist das wirklich wahr, hat die Erdmute Ihnen klipp und klar die Einwilligung gegeben, dass Sie bei mir um ihre Hand anhalten sollen … oder …«
»Was oder? …«
Doch Frau Strawischke ließ sich nicht unterbrechen.
»…oder soll ich…«
»Nichts sollen Sie, als ja und amen sagen,« erwiderte Braczko äußerlich ruhig, aber in seiner Stimme grollte es…
»Sie haben es mir ja schon vorhin an den Kopf geworfen, dass Erdmute mündig ist.«
Braczko hatte sich wieder gesetzt und die Hände gefaltet.
»Die Sache fängt gut an … so eine Schwiegermutter wie Sie, die hat mir auf meine alten Tage bloß noch gefehlt…«
»Wer ’ne junge Frau haben will, muss meistens auch eine Schwiegermutter mit in den Kauf nehmen.«
»Daran hatte ich allerdings nicht gedacht,« brummte Braczko. »Aber nun kann ich und will ich auch nicht zurück. Dazu habe ich Erdmute viel zu lieb. Und dass sie es nicht schlecht haben wird bei mir, darauf kann ich Ihnen mein Wort geben … Selbstverständlich stelle ich ihre Zukunft sicher. Keimkallen bekommt Paul. Das ist verbrieft und versiegelt und daran ist nicht zu rütteln.«
»Daran denkt ja auch kein Mensch,« lenkte Frau Strawischke mit sanftem Ton ein.
»Ich werde aber noch vor der Hochzeit Erdmute notariell so viel verschreiben, dass sie nach meinem Tode sehr behaglich leben kann.«
Frau Strawischke schob sich mit ihrem Sessel näher zu ihm heran und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Na, Onkel Braczko, auf ein anständiges Nadelgeld wird es Ihnen doch auch nicht ankommen.«
»Nadelgeld? Wozu Nadelgeld? Sie bekommt gleich vom ersten Tage an die Zinsen von dem, was ich ihr verschreibe. Das Kapital bleibt allerdings in meiner Verwaltung, das wird ihr erst bei meinem Tode ausgezahlt.«
»Das ist hoch nobel von Ihnen, lieber Freund…«
»Haben Sie mich schon mal als Schubjack14 kennen gelernt? Ich wollte übrigens sowieso in diesen Tagen mal zu Ihnen herüberkommen. Sie werden jetzt wohl den Kopf voll Sorgen haben?«
»Na, nicht zu knapp, lieber Freund … Mich haben die Russen ratzekahl ausgeplündert. Die Bahnstation liegt so dicht am Gut, da hatten sie es furchtbar bequem, alles fortzuschaffen … Jetzt fehlt es an allen Ecken und Kanten … und bis wir vom Staat Entschädigung bekommen, kann man koppheister gegangen sein.«
»Das habe ich mir schon gedacht … Reichtümer haben Sie nicht gesammelt … Nein, nein, Strawischken, das soll kein Vorwurf sein. Ich weiß, was Sie zu kratzen haben, um neben den Hypothekenzinsen einigermaßen anständig leben zu können. Das hat Ihr Seliger auf dem Gewissen mit dem verfluchten Spielen … Wenn er Rotwein getrunken hätte, meinetwegen noch einmal so viel wie ich, dann wären Sie eine reiche Frau … Na, Schwamm drüber … Also wieviel brauchen Sie?«
»Ach Gott, Braczko, ich weiß im Augenblick nicht … aber so um die Zehntaufend rum wird‘s wohl sein, ich muss…«
»Was Sie brauchen, weiß ich ganz genau. Also abgemacht, Sie geben mir einen Happen zu essen und dann fahren wir gleich nach der Stadt … Ich habe dort so wie so zu tun…«
»Ja, noch eins, lieber Braczko, wann soll denn die Hochzeit sein?«
»Keinen Tag später als wie es nötig ist. Ob meine Papiere in Ordnung sind, weiß ich nicht, aber das kommt ja jetzt im Krieg wohl nicht so genau darauf an … Ich werde uns noch heute in den Kasten hängen. Bloß wer wird uns trauen?«
Er kratzte sich am Kopf.
»Ich bin ja selbst stellvertretender Standesbeamter, weil der Grundmoser tot ist … und unser Pastor ist auch weg…«
»Na, da wird sich schon Rat finden. Das ist das allerwenigste. Aber Erdmute muss noch heute nach Hause … Sie können dafür Olga mitnehmen…«
Braczko lachte laut los.
»Ach so, weil wir jetzt Brautleute sind … Strawischken, nehmen Sie mir’s, nicht übel, das ist eine Hochschätzung meiner Person, die mir zwar sehr schmeichelhaft ist, aber…«
»Hierbei gibt’s kein aber, lieber Freund,« unterbrach ihn die Gutsherrin. »Das gehört sich mal so … Die Braut gehört ins Elternhaus und nicht ins Haus des Bräutigams … Olga kann gleich nach Mittag nach Keimkallen fahren, und der Wagen bringt Erdmute zurück. Und nun muss ich Ihnen vor Freude einen Kuss geben, Sie alter, lieber Brumbär, Sie…«
Der Augenblick für diese neugebackene verwandtschaftliche Zärtlichkeit war sehr schlecht gewählt, denn Lotte hatte es vor Neugier nicht mehr aushalten können. Sie war von Zimmer zu Zimmer geschlichen und stand nun vor Aufregung brennend und zitternd vor der Tür des Staatszimmers. Da hörte sie das Mädchen aus der Küche kommen und zu Olga sagen:
»Das Essen ist fertig.« …
Nun hatte sie den Vorwand, einzutreten.
Mit einem heftigen Druck stieß sie die Tür auf … und sah, wie ihre Mutter den Arm um Braczkos Schultern gelegt hatte und ihm einen herzhaften Kuss gab. Erst stieß sie einen Schrei aus, dann sprang sie auf ihre Mutter zu, warf sich an ihre Brust und schluchzte unter Tränen lachend:
»Ich wünsche euch viel, viel Glück und Segen…«
Frau Strawischke nahm den kleinen Wildfang in ihre Arme und strich ihr zärtlich über die blonden Locken…
»Du würdest dich also freuen, wenn ich Onkel Braczko heiraten würde?«
»Ja, Muttchen, furchtbar … wir alle freuen uns schon sehr … Wir haben das gleich gewusst, was Onkel Braczko wollte … und wie er so lange blieb, da wussten wir auch schon, dass du ihm keinen Korb gegeben hast.«
Sie verstand es nicht und machte ein dummes Gesicht dazu, als ihre Mutter lachend zu Braczko sagte:
»Ja, lieber Freund, da hätten Sie keine Schwiegermutter mehr gehabt. Aber nun geh’ und hol die Schwestern. Onkel Braczko hat sich mit Erdmute verlobt … und ich habe mit Freuden meine Einwilligung gegeben…«
Einen Augenblick stand Lotte wie zur Salzsäule erstarrt … nur ihre Augen irrten ratlos von ihrer Mutter zu Onkel Braczko.
Erst als dieser sie in die Backen kniff und lustig sagte:
»Ja, Lotte, jetzt bist du meine Schwägerin,« kam Leben und Bewegung in sie. Wie der Blitz war sie verschwunden. Wie der Blitz flog sie durch das zweite Zimmer. Man hörte sie noch rufen:
»Kinder … Olga, Trude, Liese …«, dann wurde eine Tür zugeschlagen.
Bei Tisch traten die Mädel ziemlich gefasst dem neuen Schwager gegenüber. Aber als die Mutter das Glas erhob, um das Brautpaar leben zu lassen, da war es mit ihrer Fassung vorbei … Olga lehnte sich schluchzend an die Brust ihrer Mutter … Trude knutschte abgewendet ein Tränchen ab … bloß Lotte stieß kräftig mit Onkel Braczko an und schüttelte ihm die Hand.
»Du bist doch ein Heimtücker, Onkel … entschuldige, Schwager wollte ich sagen. Lockst die Erdmute nach Keimkallen und verlobst dich heimlich mit ihr…«
Dann wandte sie sich zu den Schwestern:
»Weshalb granst ihr? Es geht doch nicht zum Begräbnis, sondern zur Hochzeit … Die musst du aber fein ausrichten, Schwager … Wirst du auch für junge, hübsche Brautführer sorgen?«
»Ja, ja, alles, was du willst, du kleiner Kobold … Jede von euch kriegt drei Brautführer zum Aussuchen … Ich werde gleich Paul schreiben, dass er ein Dutzend Jägeroffiziere mitbringt.«
5. Kapitel
Onkel Braczko war ein sehr aufmerksamer Bräutigam. Er überhäufte Erdmute mit Geschenken und fast täglich erschien er in Schorellen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, wobei er nie vergaß, einen Strauß mitzubringen. Auch die Spottsucht der jüngeren Geschwister hatte er durch seine Freigebigkeit überwunden. Sie schwärmten für den ‘Schwager’ und beneideten ihre Schwester.
Und was das Wunderbarste war: die Schwiegermutter hatte vor ihm Respekt bekommen. Nicht nur deshalb, weil er ihr so bereitwillig half, sondern weil er sich eines Tages ihren Wirtschaftsbetrieb ansah und Frau Strawischke dabei furchtbar abkanzelte. ‘Weiberwirtschaft’ war noch der gelindeste Ausdruck.
Er war tatsächlich wieder jung geworden, nicht nur geistig und körperlich, sondern auch im Aussehen. Mit seinem langen, eisgrauen Backenbart hatte er wie ein alter würdiger Herr ausgesehen. Jetzt hatte er bloß den Schnurrbart und den von wenigen grauen Fäden durchzogenen Knebelbart stehen lassen und sah wie ein wohl konservierter Vierziger aus…
Die kleinen Sticheleien, denen er anfangs ausgesetzt gewesen war, beachtete er nicht.
Georginne und Malvine waren mit seiner Heirat einverstanden, und das genügte ihm. Als er abends nach der Rückkehr von der Brautwerbung bei Georginne eintrat, war ihm doch etwas bänglich zumute. Sie konnte fürchten, dass Paul und sie durch Braczkos Heirat benachteiligt würden … deshalb überraschte ihn die Freude, mit der sie ihn empfing, umso mehr.
Beide Hände streckte sie ihm entgegen.
»Vater, das ist ein Geniestreich von dir! Und wie ich mich über Erdmute gefreut habe, dass die so verständig ist…«
»Wirklich, hast dich gefreut? Das ist mir eine große Erleichterung Ein bisschen werdet ihr beide, Paul und du, ja benachteiligt werden, aber bloß ein bisschen, denn Keimkallen bleibt dem Paul, und was ich brauche, um Erdmute sicher zu stellen, das wirtschafte ich noch raus…«
»Vater, daran habe ich nicht mit einem Gedanken gedacht … Im Gegenteil, ich habe es mir sofort gesagt, dass dein Testament jetzt hinfällig wird.«
»Daran ist kein Gedanke.«
Georginne drohte ihm schalkhaft mit dem Finger.
»Na, und wenn ihr einen Sohn bekommt…?«
Jetzt machte Braczko erst ein verblüfftes Gesicht und kratzte sich im Haar, dann lachte er laut auf.
»Wir werden doch nicht? … Kind, mal’ den Deuwel nicht an die Wand…«
»Erdmute würde sehr glücklich darüber sein.«
»Dann wird er Offizier,« erklärte Braczko, »und wenn er durchaus Landwirt werden will, kann ihm Paul Jerkischken abtreten…«
Wieder lachte er hell auf…
»Nein, Georginne, das ist zu komisch, dass wir uns schon darüber Gedanken machen. Wollen mal erst abwarten…«
Am nächsten Vormittag war er nach Berschkallen geritten, um sich Malvine als Bräutigam vorzustellen und zu hören, was sie dazu sagen würde. Er trat vor sie hin, warf sich in die Brust und fragte:
»Siehst du mir nichts an?«
»Ich weiß ja schon alles, Onkelchen … Meine herzlichsten Glückwünsche zu deiner Verlobung…«
»Danke, danke sehr, aber nun sag’ mir mal ganz offen, habt ihr euch nicht ein bisschen darüber gewundert, dass ich alter Esel noch mal aufs Glatteis gehen will?…«
»Ich sehe weder Glatteis, noch einen alten Esel, sondern einen lieben guten Menschen, der Erdmute glücklich machen wird. Nimm es mir nicht übel, Onkel, alles, was dem alten Braczko«, sie betonte ‘alten’, »anhaftete, rührte nur davon her, dass du keine Frau hattest, die dich ein bisschen ans Bändel genommen hätte. Ich glaube, das wird Erdmute sehr gut und sanft besorgen, ohne dass du was davon merkst…«
»Hoffentlich wird sie nicht viel Arbeit mit mir haben. Nun bring’ mir mal erst den Jungen, und dann wollen wir in die Wirtschaft gehen. Sag’ mal, willst du bauen?«
»Ja, ich will das Inspektorhaus in Ordnung bringen und hineinziehen. Der Inspektor bekommt dann diese Wohnung.«
»Das ist sehr vernünftig, Malvine… Hast du Nachricht von Kurt?«
»Leider nein … Ich fürchte, dass ihm etwas zugestoßen ist. Ach, Onkel Braczko, mir ist manchmal so schwer zumute … wie ein Alp liegt es auf mir. Denk’ mal die Verantwortung, wenn Kurt fallen sollte und ich sollte allein den Jungen erziehen.«
»Ach, Kind, man muss nicht gleich das Schlimmste annehmen. Unsere Truppen sind in rascher Vorwärtsbewegung … Er wird weder Zeit, noch Gelegenheit haben, dir regelmäßig Nachricht zu geben.«
Auch in Schorellen lag ein Schatten auf dem Glück. Mutter Strawischke und die Schwestern sorgten sich um Lena. Sie war ohne Zweifel in russische Gefangenschaft geraten … Gleich zu Beginn des Krieges war sie nach Königsberg gefahren, um sich zur freiwilligen Krankenpflege in der sie ausgebildet war, zu melden… Sie war sofort nach Insterburg geschickt worden, wo sich das erste Feldlazarett befand. Von dort hatte sie noch einmal geschrieben … Man hatte zwar noch nicht gehört, dass die Russen sich an einer Krankenschwester vergriffen hätten, aber das Herz der Mutter war doch voll Sorge, denn Lena war nicht nur die Klügste, sondern auch die hübscheste ihrer Töchter…
Lotte hatte sich gleich eine ganz abenteuerliche Geschichte ausgedacht. Das hätte Lena mit Nikolai von Roth so besprochen. Sie sollte sich gefangen nehmen lassen, und dann würde er sich mit ihr kriegstrauen lassen … Und sie blieb steif und fest bei dieser Geschichte, die dadurch noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit erhielt, als Mutter Strawischke vom Roten Kreuz die Nachricht erhielt, dass sich die anderen Schwestern und Pflegerinnen alle vor den Russen gerettet hätten und nur Lena anscheinend freiwillig zurückgeblieben wäre…
Etwas Wahres war allerdings dabei. Als nach der siegreichen Schlacht bei Gumbinnen am 20. August plötzlich der allgemeine Rückzug unserer Truppen befohlen wurde, war auch Insterburg geräumt worden. Die Bergungszüge waren im Nu überfüllt … Die meisten zogen zu Wagen oder zu Fuß fort. Aber mindestens ein Drittel der Einwohner blieb…
Lena war nach anstrengendem Nachtdienst in ihre Wohnung gegangen und hatte sich schlafen gelegt. Ihr Stübchen lag im Hinterhaus nach einem großen Garten raus … Da hörte sie nichts von dem Trubel, der die Straße anfüllte, von dem Rattern der Wagen, dem Schreien und Drängen der Menge. Als sie bald nach Mittag zum Lazarett ging, wunderte sie sich über die Stille und die Menschenleere in den Straßen … Vor dem Tor des Lazaretts stand kein Posten mehr. Sie trat in das große Haus; alle Türen offen, alle Zimmer leer … Die Verwundeten mussten fortgeschafft sein…
Es war ihr doch recht beklommen zumute, als sie durch die leeren Korridore, in denen ihr eiliger Schritt lauten Widerhall hervorrief, ging. Einen Augenblick kam ihr der Gedanke, umzukehren und zu fliehen. Wenn sie an der Bahn entlang ging, konnte sie vielleicht noch den Russen entkommen… Aber erst wollte sie noch nachsehen, ob auch die Schwerverwundeten fortgeschafft wären. Immer schneller lief sie … Jetzt riss sie die Tür des Saales auf … Da lagen noch acht Schwerverwundete…
Jetzt war kein Gedanke mehr an Flucht in ihr. Sie gab den Kranken zu trinken, sie gab ihnen Medizin ein und sah die Verbände nach … Die armen deutschen Brüder, die für ihr Vaterland geblutet hatten, sollte sie ohne Pflege lassen, der Willkür der Russen preisgegeben? … Nein …
Bei der Arbeit verging ihr die Zeit…
Sie erschrak, als ein fester Schritt den Korridor entlang kam. Doch als die Tür geöffnet wurde, atmete sie auf. Sie war nicht mehr allein.
Eine ältere Frau, eine Witwe, die in Insterburg wohnte und freiwillig geholfen hatte, war auch zurückgeblieben und kam, um nachzusehen, ob die Schwerverwundeten zurückgeblieben wären…
Nun fühlte sich Lena geborgen. Das war eine energische Frau, die sich nicht vor dem Deuwel, geschweige denn vor einem Russen fürchtete. Und was noch mehr wert war, sie sprach fertig russisch…
Gemeinsam machten sie sich daran, nach Vorräten zu suchen und fanden auch eine reichliche Menge. Die ganze Apotheke des Lazaretts war geblieben und auch reichliche Lebensmittel, so dass sie die Verwundeten und sich selbst versorgen konnten … Gegen Abend hörten sie die Russen einmarschieren. Das waren die Vortruppen, die schnell die ganze Stadt absuchten und dann am Bahndamm nach Westen weiterzogen, bis die gesprengte Eisenbahnbrücke ihnen Halt gebot … Bald darauf kam die Hauptmacht … Man hörte taktmäßigen Marsch auf den Straßen, man hörte Wagen und Geschütze rasseln … Mit einem Mal war die Stadt wieder voll Lärm.
Dann hastige Schritte und lautes Sprechen und Rufen im Lazarett selbst …
Still saßen die beiden Frauen im dämmernden Abend bei ihren Kranken. Dann wurde die Tür aufgerissen, ein Russe sah hinein, konnte aber wohl nichts erkennen, denn er zog den Kopf zurück und schmetterte die Tür zu, dass die Fenster klirrten…
Eine Stunde später merkten die beiden Frauen, dass Verwundete hereingeschafft wurden. Schließlich wurde auch die Tür ihres Saales geöffnet und Verwundete hereingetragen … Bald darauf kam ein russischer Stabsarzt herein, der den verwundeten Deutschen die Deckbetten abriss und sie in der rohesten Weise zu untersuchen begann. Vor Aufregung und Zorn bebend, bat ihn Frau Kowalla, doch etwas schonender mit den Kranken umzugehen, sie wären schwerverwundet und krank…
»Halt’ das Maul!« der russische Ausdruck war noch viel gröber, brüllte der Arzt sie an und fuhr in seiner Beschäftigung fort. Da stellte sich die Frau vor das nächste Bett, und als er herantrat, stieß sie ihn zurück, und dann legte sie auf Russisch los:
»Du Sohn einer Hündin, du Schinder, du Mörder … nicht einmal ein Stück Vieh darf man so behandeln…«
Die Energie der Frau schien ihm zu imponieren, denn er lachte laut auf und ging zum nächsten Bett, in dem ein Russe lag. Lena nahm Verbandszeug und trat neben ihn. Unter seiner Aufsicht wusch und verband sie die Wunde, einen ziemlich ungefährlichen Schuss durch die Wade…
»Serr gut, serr gut…«, sagte er dabei. »Schönes Mädchen, sehr schön … Wirst du heute zu mir kommen?«
»Lena,« rief Frau Kowalla, »lassen Sie die Hände davon und kommen Sie mit mir. Wir müssen erst sehen, ob wir nicht Schutz vor diesem Ekel finden…«
»Nein, bleiben, hier bleiben,« rief der Arzt, aber die beiden Schwestern kehrten sich nicht daran, sondern gingen hinaus … Die Soldaten, die ihnen begegneten, traten ehrfurchtsvoll zur Seite und grüßten … Frau Kowalla fragte einen Unteroffizier, wo der Chefarzt zu finden wäre. Er führte sie bereitwillig … Ein brummiger, alter Herr empfing sie mit einem gebrüllten »Pascholl … raus …«
Unerschrocken erwiderte Frau Kowalla:
»Wir sind keine Russen, wir sind Deutsche, wir sind als Krankenschwestern nicht gewöhnt, so angebrüllt zu werden.«
Der alte Herr stand auf.
»Ah, Sie sind Deutsche? Sie sind hier geblieben? Weshalb sind Sie nicht geflohen?«
»Wir haben hier im Lazarett acht Schwerverwundete, die nicht fortgeschafft werden konnten. Wir sind hiergeblieben, weil wir befürchteten, dass sie von den Russen schlecht behandelt werden könnten…«
»Oh, oh,« erwiderte der Arzt und schüttelte missbilligend seinen Kopf. »Wir sind doch keine Barbaren.«
»Das freut uns, Herr Oberstabsarzt…, denn ich bin gekommen, mich über einen Arzt zu beschweren, der unseren Verwundeten in der rohesten Weise die Verbände abreißt und gegen Schwester Lena ungezogen geworden ist.«
»Das werde ich gleich untersuchen.«
Er rief einen Soldaten herein und schickte ihn, den Arzt zu holen … Währenddessen sagte Frau Kowalla ihm:
»Wir sind bereit, auch Ihre Verwundeten zu pflegen, aber nur, wenn wir angemessen, das heißt, achtungsvoll behandelt werden.«
»Dafür stehe ich Ihnen ein. Ich weiß Ihre Dienste zu schätzen, umso mehr, als wir keine Pflegeschwestern haben … Es werden hoffentlich bald welche nachkommen, aber jetzt bitte ich Sie um Ihre Hilfe.«
Als der Soldat mit dem von ihm geholten Arzt eintrat, fuhr der alte Herr auf ihn los und überschüttete ihn mit einer Flut der allergröbsten Schimpfworte, wie sie nur die russische Sprache kennt.
Lachend trat Frau Kowalla dazwischen.
»Herr Oberstabsarzt, das ist nicht der richtige.«
Aber der alte Herr ließ sich nicht stören.
»Ach, das schadet nichts, der kann es sich auch gleich merken, dass diese Damen hier, diese deutschen Schwestern, unter meinem Schutz stehen. Ich lass‘ euch sofort ablösen und in die Front stecken, wenn einer von euch sich das Geringste zuschulden kommen lässt, und nun geh’ und sag’ dem Iwan Georgewitsch, was ich dir gesagt habe.«
Mit einer feinen Handbewegung zu den beiden Frauen fuhr er im höflichsten Ton fort:
»Bitte, meine Damen, ich schicke Ihnen noch heute ein Schreiben, das Sie haben müssen, wenn Sie aus dem Lazarett rausgehen wollen…«
Der sehr heftig angeschnauzte Arzt entledigte sich seines Auftrags an den Kollegen durchaus wahrheitsgetreu Die Botschaft schien aber wenig gefruchtet zu haben, denn er forderte die beiden Frauen in sehr wenig höflichem Tone auf, Hand anzulegen. Doch Frau Kowalla ließ nicht locker.
»Erst werden wir unsere Deutschen verbinden und dann Ihnen helfen, aber nur, wenn Sie uns, höflich darum bitten…«