Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 8
3. Kapitel
Hatte der Tag voller Erregung begonnen, so steigerte sie sich in den frühen Abendstunden ins Ungemessene.
Der Tag war zwar besser verlaufen, als man gehofft hatte, denn Herr von Iwolski hatte sich für heute entschuldigen lassen: er habe in Kowahlen zu tun, da er für sein Werk dort Wertvolles zu finden hoffe.
So konnten die Mahlzeiten ziemlich vergnügt eingenommen werden und die beiden Roths, die armen Kerle, die mit ihrem Herrn Sekretär so schön reingefallen waren, brauchten noch nichts zu merken.
Am späten Nachmittag aber, wer kam da im gestreckten Galopp auf den Hof gesprengt? Wer anders als der dicke Athlet!
»Wisst ihr schon, wisst ihr schon?« rief er.
»Was denn, Paul Braczko?«
»In … in Bosnien unten … in Sarajevo … oder wie das Nest heißt, da haben sie den Franz Ferdinand .... den Thronfolger von Österreich, ermordet! Ihn und seine Frau! Ganz Goldap ist voll davon. Überall spricht man nur davon. Der Mörder … ist natürlich ein Serbe…«
»Das ist der Krieg,« sagte Herr von Berg und wurde totenblass.
»Doch nicht mit uns. Was haben wir damit zu tun?!«
»Nein, aber Österreich mit Serbien. Sie warten ja nur darauf.«
»Wer?«
»Die Russen.«
»Ih, dass dich! … Da soll doch die Russen der Teufel holen! Die werden’s doch nicht mit dem Mordgesindel halten?!«
»Wir wollen’s hoffen, denn wenn …,« und seine Stirn verdüsterte sich …, »dann Gott Gnade uns allen.«
»Unsinn. Auch in Goldap sehen sie düster. Die Offiziere dagegen, die, glaub’ ich, hätten tatsächlich gar nichts dagegen, wenn’s einmal losginge. Über vierzig Jahr Frieden, da wird ja dem besten Militär das Blut schon zu dick.«
»Trotzdem, unser Kaiser will Frieden und schließlich wird das Karnickel, das Ding da, das Serbien, von Österreich an den Löffeln genommen und tüchtig daran geschüttelt.«
Natürlich war von nichts andrem die Rede.
Einzelheiten wusste Paul Braczko noch nicht, die aber erfuhr Kurt von Berg aus Goldap.
Telefonisch. Direkt vom Landratsamt.
Krieg? Wir? Gar keine Rede! kam’s aber beschwichtigend auch von dort.
Die beiden Roths waren sehr bestürzt. Sie glaubten freilich an die Möglichkeit eines Krieges auch nicht, bei drei Kaisern, die so friedliebend sind. Dem alten österreichischen, dessen Regierung gerade den Serben gegenüber eine solche Langmut gezeigt hatte…
»Ja, aber Langmut ist Schwäche,« unterbrach ihn Kurt, »oder kann wenigstens als solche ausgelegt werden, und Österreich – nehmt mir’s nicht übel – hält sich ja nur noch mühsam zusammen, wenigstens soweit man von hier aus die Sache überblicken kann.«
»Ich kenne Österreich,« sagte Bogdan von Roth, »und habe einen anderen Eindruck von ihm gewonnen.«
»Jedenfalls mit Serbien wird es schon fertig,« sagte Nikolai.
»Aber der Zar?«
Beide Roths zuckten die Achseln.
»Der Zar,« sagte Nikolai und sah sich erst überall um, als ob auch hier die Gefahr lauern könnte, gehört zu werden: »Der Zar ist der Friede selbst. Aber der Zar hat gar nichts zu sagen. Die Großfürsten sind’s … und ihre Frauen. Überhaupt führen nur Panja8 und Pop’, die Frauen und die Geistlichkeit das große Wort, wenigstens bei Hofe. Ihr glaubt gar nicht, was für Fäden im Palaste der Zarin-Mutter und in dem der Großfürstin Nikolai Nikolajewna zusammenlaufen, von den anderen gar nicht zu reden. Die Weiberrockpolitik beherrscht alles, und ’ce que femme veut. le diable le veut’9 heißt es bei uns, im Gegensatz zu unseren Freunden, den Franzmännern.«
»Denen Sie natürlich Recht geben, Bogdan,« sagte Madeline lächelnd.
»Soweit es unsere Großfürstinnen angeht, gebe auch ich der russischen Fassung recht, obwohl es auch in nächster Nähe – nicht wahr, Malvine? – Frauen gibt, die uns arme Männer Höllenqualen ausstehen lassen.«
»Himmel!« rief Paul Braczko, »das erinnert mich ja an den Hund, den Iwolski. Wo ist denn der?!«
Nun war’s heraus.
Erstaunt sahen die beiden Roths auf, während die anderen in peinlichste Verlegenheit gebracht worden waren.
»Was … ist mit Iwolski?« fragte Nikolai von Roth.
»Ja, lieber Nikolai, wenn unser Schreckenskind da schon mit der Sache heraus geplatzt ist, dann hat es keinen Zweck mehr, sie vor euch zu verbergen. Wir haben – so leid uns die Entdeckung um euretwillen tut, doch die sichersten Beweise, dass wir es in Herrn von Iwolski mit einem ganz gefährlichen Spion zu tun haben.«
»Das ist unmöglich!« riefen Nikolai und Bogdan, wie aus einem Munde.
»Leider aber ist das Unmögliche wahr.«
»Nein, nein, nein, ehe ich nicht die Beweise davon habe, werde ich nie und nimmer an eine solche Niedertracht glauben.«
»Ich glaube, wenn wir hinauf gingen, und bei ihm Haussuchung hielten, würden wir Beweise genug finden.«
»Dann gehen wir hinauf, aber sofort.«
»Nein, Nikolai. Das werden wir nicht. Wir haben kein Recht dazu und nur die Behörde darf einschreiten. So lange, bis sie das tut, muss mir das Gastrecht heilig sein. Allerdings bin ich der Behörde wohl für ihn haftbar, und wo die Verhältnisse sich so zugespitzt haben, werden wir wohl dafür sorgen müssen, dass er uns nicht entwischt.«
»Entwischen?! Wenn er tatsächlich das ist, was, ihr sagt, dann schieße ich ihn ja selber nieder, wie einen tollen Hund!« rief Nikolai von Roth.
»Das wirst du nicht tun, Nikolai,« sagte aber Paul Braczko, »denn mit dem habe ich noch persönlich ein Hühnchen zu rupfen.«
Und er machte mit seinen Händen eine nicht misszuverstehende Bewegung.
»Aber, wo ist er denn eigentlich?«
»Er ist heute fort, angeblich, um für sein Werk neue Quellen zu finden.«
»Ja, für sein Judas-Werk,« sagte Paul Braczko, und Madeline nickte.
»In jedem Falle wird es gut sein,« sagte sie, »wenn du dir melden lässt, Kurt, wann er zurückkommt.«
»Das wollen wir tun,« sagte Herr von Berg und gab den entsprechenden Auftrag.
Natürlich dem alten Jons.
»Ach, gnädiger Herr,« fragte der, »ist es wahr, dass es Krieg gibt?«
»Unsinn,« sagte der Gutsherr. »Wer hat denn die Dummheit wieder aufgebracht?«
»Ich weiß es nicht. Die Weiberleute unten sind ganz wie verrückt, und die Dore weint, als würden die Zwiebeln heut’ zehnmal so stark beißen wie sonst, und singt ein Lied dazu, das sie sich selber gemacht hat: ‘Ach Gott, jetzt schießen sie ihn auch noch tot’.«
Alles lachte.
»Na, da siehst du ja,« sagte Nikolai von Roth, »dass du auch hier schon Weiberpolitik hast. Wenigstens unten in der Küche. Aber Scherz beiseite, Kurt, ich möchte mit dir noch besprechen, wie wir uns Herrn von Iwolski gegenüber verhalten sollen.«
»Das können wir ja tun,« erwiderte Kurt, und reichte seinem Freunde eine Zigarre.
Das Abendbrot, das bald aufgetragen wurde und wie immer ein Beweis für die reichen Vorräte Frau Madelinens war, verlief verhältnismäßig sehr ruhig, obwohl diesmal die Politik das Hauptgesprächsthema lieferte und natürlich das grauenvolle Ereignis von Sarajevo im Vordergrund stand.
Gegen halb zehn meldete Jons, Herr von Iwolski sei da.
»So werde ich also hinaufgehen,« sagte Nikolai von Roth und stand in sehr ernster Stimmung auf. »Komm’ mit, Bogdan.«
Sie klopften.
»Herein,« rief Herr von Iwolski und war nicht wenig erstaunt, die beiden Roths vor sich zu sehen.
»Wir kommen in einer sehr peinlichen Angelegenheit, Timofei Simonowitsch,« sagte Nikolai. »Sind Sie ein Edelmann?«
»Ich glaube, tausend Beweise dafür gegeben zu haben,« entgegnete der Russe.
»Auch sind Sie, glaube ich, wenigstens sagten Sie so, Offizier?«
Die Gestalt Timofei Simonowitsch Iwolskis straffte sich.
»Ssotnik im Preobraschenskischen Garderegiment,« sagte er, »das wissen Sie ja.«
»Dann werden Sie auch wissen, was Sie zu tun haben. Haben Sie einen Revolver bei sich, Timofei Simonowitsch?«
Erstaunt sah er die beiden an.
»Allerdings,« sagte er dann.
»Dann wollen wir Sie zehn Minuten allein lassen mit Ihrem Revolver,« sagte Nikolai von Roth.
»Was soll das bedeuten …?« fragte Iwolski und wurde bis in die Lippen hinein blass.
»Das soll bedeuten, dass man Ihr Spiel hier durchschaut hat. Dass man weiß, dass Sie für Russland Spionage treiben.«
»Oh! Und seit wann, meine Herren, ist das in Ihren Augen ein Verbrechen, wo Sie doch auch Russen sind?«
»Das gehört in ein anderes Kapitel, Herr von Iwolski. Jedenfalls machen wir Sie darauf aufmerksam, dass das Kommando in Goldap schon von Ihrer Tätigkeit verständigt ist und jeden Augenblick jemand da sein kann, um Sie zu verhaften.«
»Oh, und dazu geben Sie sich her? Meine Herren,« rief er aus.
»Wir haben damit gar nichts zu tun,« erwiderte Nikolai von Roth.
»Dann müssen Sie mir zu meiner Rettung behilflich sein. Nicht um meinetwillen, meine Herren, sondern um unseres Vaterlandes willen, das mich notwendig braucht.«
»Leider können wir nichts in der Sache tun. Wir sind hier nicht die Herren, sondern genießen hier Gastfreundschaft so wie Sie.«
»Ja,« lachte er auf. »Eine Gastfreundschaft, die mich ins Zuchthaus bringen soll. Nein, nein, Sie müssen mir einen Weg finden, der aus dieser Lage hinausführt.«
»Wir haben Ihnen den Weg schon früher angegeben.«
»Ist das Ihr letztes Wort?«
»Es ist das einzig mögliche.«
»Nun denn,« rief er, »dann bin ich nur froh, dass ich Sie richtig eingeschätzt und bei der Regierung längst auf die schwarze Liste gestellt habe!«
»Schurke!« rief Bogdan von Roth, und es schien, als wolle er sich auf ihn stürzen.
Nikolai aber hielt ihn zurück.
»Lass’,« sagte er, »sein Schicksal ist ja doch schon besiegelt.«
Und sich an Timofei Simonowitsch wendend, setzte er, seine Uhr herausziehend hinzu:
»Es ist sechs Minuten vor dreiviertel auf zehn. Wir werden um neun Uhr neunundvierzig uns nach Ihnen erkundigen kommen …«
Mit verschränkten Armen und einem langen, hasserfüllten Blicke sah Timofej Simonowitsch ihnen nach.
»Le jeu est fait,« murmelte er, und ein spöttisches Lächeln überflog seine Züge, »rien ne va plus.«
Nein, für ihn hatte das Leben keinen Einsatz mehr. Aber …
Ein geradezu teuflischer Gedanke durchzuckte in diesem Augenblicke sein Hirn. Er ging an seinen Schreibtisch und holte seinen Revolver heraus. Vorschriftsmäßig geladen. Alle sechs Schuss steckten darin. Sechs Schuss! Und wieder verzog sich sein Gesicht in höhnischer, drohender, unheilverkündender Weise.
Vielleicht war es aber doch besser, lieber vorher noch an die Flucht zu denken. Die Tür war bewacht. Daran war nicht zu zweifeln. Da standen ja schon die beiden Roths, wenn nicht andere. Aber … durchs Fenster.
Er trat hin und sah hinaus.
Unten gingen der Oberförster Fröhlich und zwei Forstgehilfen auf und ab. Mit schussbereitem Gewehr.
Also nichts. Kein Ausweg mehr. Na gut. Wie spät war’s? Dreiviertel. Er hatte also noch vier Minuten Zeit.
Sollte er nichts von seinen Papieren verbrennen? Wozu? Denen konnten sie ja doch nichts nützen, nur seinem Lande hätten sie unschätzbaren Nutzen gebracht. Aber alle die, die er bestochen und für seine Sache gewonnen hatte? Und seine kleinen Agenten, die er unter den Arbeitern im Russenhaus hatte? Was mit denen? Nichts. Was gingen die ihn an? Ob sie heut’ an den Galgen kamen, oder später einmal, das war doch egal und spielte für ihn keine Rolle.
Neun Uhr achtundvierzig.
Eine Minute noch. Merkwürdig, wie ruhig sein Puls ging. Schade nur, dass er die Mertinatsche Georginne noch nicht so weit gehabt hatte. Ein prächtiges Mädel das und in ihn so verliebt … Fünfzehn Sekunden noch … vierzehn … dreizehn … bringt Unglück … und jetzt war es Zeit. Krach, gab er einen Schuss in die Luft ab.
»Gottlob,« sagte Nikolai von Roth und stürzte hinein. In demselben Augenblick krachte aber wieder ein Schuss, und noch einer.
Blutüberströmt taumelte Nikolai zurück.
»Ich … bin … getroffen …,« und damit sank er auch schon zusammen. Und dann wieder ein Schuss, und diesmal war es Ernst.
Diesmal hatte sich Herr von Iwolski glatt durch den Kopf geschossen.
Natürlich wurde die Strawischke sofort telefonisch von dem Unglück verständigt, und noch in der späten Nacht kam sie mit ihrer Tochter Lena an, die jammernd an dem Bette des geliebten Mannes in ihre Knie sank.
Der aber lächelte nur.
»Es wird nicht so arg sein,« lispelte er mühsam. »Fürchte dich nicht, du wirst nicht Witwe werden, ehe du meine Frau bist.«
Derselben Ansicht war übrigens auch der Doktor.
»Einen halben Zentimeter mehr nach rechts und es war vorbei, so aber wollen wir den Herrn Baron schon noch zusammenflicken, denn ein geflickter Mann, nicht wahr, Fräulein Lena, ist immer noch besser, als keiner.«
Von dem Tage an war es, wie man weiß, mit der Ruhe vorbei.
Alle Welt stand unter dem Banne des zu erwartenden Unglücks. Denn als ein solches empfand jeder den Krieg.
Trotzdem aber begriff man die Haltung Österreichs nicht.
‘Es muss sich doch fürchten, sonst hätte es Serbien doch längst schon den Krieg erklärt.’
Das war die allgemeine Meinung. Wenn aber der alte Inspektor immer und immer wieder fragte: »Wird Krieg, Herr von Berg?« dann fragte er nicht um seinetwillen, sondern des wundervollen Saatenstandes wegen, der eine Ernte versprach, die Scheunen und Scheuern und Speicher mit dem Golde des Feldes so füllen sollten, dass einem das Herz vor Freude im Leibe lachte.
Immer mehr aber zogen sich unten, wo sonst immer nur die Türken gekämpft hatten, die dunklen, finsteren Wolken zusammen, in denen jener furchtbare Blitz verborgen lag, der die ganze Welt in Brand stecken sollte.
Serbien, das erst klein beigeben zu wollen schien, wurde mit einem Mal wieder so unverschämt frech, so übermütig und so empörend herausfordernd, dass selbst die österreichische Geduld erschöpft werden musste. Wer Serbien das kranke Rückgrat gestärkt hatte, das war nicht schwer zu erkennen.
Russland, das friedliebende und Frieden versichernde Russland, warf Regiment um Regiment, Heer um Heer, nicht nur an die galizische, sondern in nicht zu verkennender Absicht, auch weit darüber hinaus an die schlesische, posensche und ostpreußische Grenze.
Namentlich gegen letztere wurden Heeresmassen geworfen, die in das Unglaubliche gingen. Es war drüben, jenseits der schwarzweißen Grenzpfähle, grau von Militär, von Proviant- und Munitionskolonnen und Geschütztransporten, und die Nachschübe stauten sich so, dass alle Wege verstopft waren und die Wagen und Trupps sich förmlich in unentwirrbarem, formlosen Gewimmel ineinander verkeilten, so dass sich, wie ein russischer Oberst sich äußerte, ‘kein Schwein mehr darin auskannte!’
Österreich zog aus alledem natürlich die Konsequenzen und Deutschland auch, und während Österreich unten den Krieg erklärte und dadurch eine Begeisterung und eine Volkserhebung in seinen Landen erweckte, wie sie bis dahin beispiellos war und die Führenden selbst überraschte, bereitete sich auch das Deutsche Reich auf die Ereignisse vor, die jeder kommen sah und die zu verhüten doch noch von Kaiser zu Kaiser versucht wurde.
Auf die Frage Grundmosers nun, »Gibt es jetzt Krieg oder nicht?« lautete jetzt schon die Antwort ganz anders.
Die tollsten Gerüchte entstanden, kein Mensch wusste, wo und woher. Die erschrecktesten Mienen gab es, und man ging beinah scheu an sich und der Frage vorbei. Aber sie tauchte doch immer und immer wieder auf: ‘Ob es denn wahr sei, dass ganz Ostpreußen den Russen preisgegeben werden solle und ob man wirklich den Russen gar keinen Widerstand leisten wolle? Das wäre dann aber doch schrecklich!’
»Das wäre nicht nur schrecklich, sondern ist auch ein Unsinn,« lautete die Antwort.
Aber der Unsinn kroch immer weiter und weiter und nistete sich überall ein.
Selbstverständlich hatten die Russen alle das Land schon verlassen. Das heißt von den russischen Arbeitern die allerwenigsten.
»Boze, boze,« hatten die meisten gejammert, »Krieg! Krieg! Was soll ich mit dem Krieg? Drüben kein Arbeit, drüben kein Vaterland, ich nicht Russ’, ich Pol’. Ich sehr lieb’ die Deutschen. Niemez viel besser als Russ’.«
Und das war überall zu hören, nicht nur auf dem von Bergschen Gute, und nicht nur in der Gegend von Goldap, sondern überall.
Nur recht weit von der russischen Grenze sollte man sie bringen. Und ja nicht nach Berlin, ‘denn Russ’ ist gleich in Berlin. Russ’ hier, Russ’ auch schon in Berlin!’
Einige von den Russen wurden aber auch in sehr unangenehmer Weise daran erinnert, dass sie nicht hinüber, in ihre Heimat gehen durften, und das waren die, die in die Iwolskische Spionage mit verwickelt waren und deren Namen man in seinen nachgelassenen Papieren alle gefunden hatte. Eine Spionage übrigens, die sich nicht nur auf den Goldaper Kreis beschränkt hatte, sondern in weit ausgreifender Verzweigung fast das ganze ostpreußische Land umfasst hatte.
Und es waren ganz merkwürdige Leute, die man unter den einfachen Landarbeitern entdeckte: Ingenieure, Brückenbauarchitekten und Offiziere.
Selbstverständlich hatten auch die beiden von Roths das Gut verlassen und waren nach Russland zurückgekehrt. Auch Nikolai, mit dem es schon besser ging, der aber doch noch recht schwach und recht leidend war. Der Abschied von seiner jungen Braut war natürlich herzzerreißend. Am liebsten wäre sie ihrem Liebsten nach Russland gefolgt, aber das ging ja nicht, das wollte er nicht, ‘denn wir Balten wissen ja nicht, welchem Schicksale wir entgegen gehen. Du kennst Russland nicht, mein Lieb, und weißt nicht, was entfesselter Hass dort vermag.’
Ganz anders Malvine.
Die und Bogdan nahmen nur durch einen festen, innigen Händedruck voneinander Abschied.
»Nun?« hatte er vorher gefragt, »wollen wir uns nicht doch aneinander binden? Willst du nicht doch wenigstens den Verlobungsring von mir nehmen?«
Darauf hatte sie aber nur leise mit dem Kopfe geschüttelt und erwidert: »Nein, erst nach dem Kriege, Bogdan. Nicht der Reif an meinem Finger verbindet uns ja, sondern die Herzen. Das äußere Zeichen unseres Verlöbnisses aber würde ich wie einen Verrat empfinden, den ich in dieser Zeit an meinem Vaterlande begehe. Nach dem Krieg also. Nach unserem Siegel.«
Denn dass es zum Kriege kam, dass auch Deutschland darein verwickelt wurde, das nahm man schon allgemein an. Und man brauchte auch nicht lange auf ihn zu warten.
In Kowno, munkelte man, sei von den Russen schon der Kriegszustand erklärt worden und ein Telegramm des deutschen Konsulatsvertreters an den Reichskanzler bestätigte das auch.
Tags darauf gab aber der russische Kriegsminister dem deutschen Militärattaché in Petersburg, sein Ehrenwort, dass noch keine Mobilisationsordre in Russland ergangen sei.
Das wurde natürlich im Offizierskasino in Goldap ebenso wie überall lebhaft besprochen.
Alle Nachrichten, die man von anderer Seite erhielt, sprachen ja dieser Versicherung des russischen Kriegsministers Hohn.
»Na,« sagte der Oberst und zuckte die Achseln, »wenn er es sagt, dann, meine Herren, wollen wir’s man glauben, vorausgesetzt, dass es nicht sein ‘kleines Ehrenwort’ war, das er gegeben hat.«
Als aber zwei Tage später kein Geringerer, als der Zar selber sein ‘Kaiserliches Wort’, also sein ‘großes Ehrenwort’ gab, dass er weit davon entfernt sei, den Krieg zu wollen und zu wünschen, da glaubten einige Zaghafte in ihrer Vertrauensseligkeit, doch wieder aufatmen zu dürfen. Am nächsten Tage aber …
Am nächsten Tage kam wie ein Blitz die Kunde: Es wird mobilisiert. Der Kaiser hat erklärt: Deutschland betrachte sich, als ‘im Zustande des drohenden Krieges!’
Wo war da das Bangen und Zagen mit einem Mal hin? Fort.
Weg.
Verflogen.
4. Kapitel
Ein brausender Jubel erfüllte das Reich, ein brausender Jubel das ostpreußische Land.
Ein Jubel, der ebenso seelisch groß war, wie es das ’ave Caesar’ der römischen Gladiatoren gewesen war, die auch ihr Sterben voraussahen. Denn dass vieles in Ostpreußen dem wilden Ansturm der Russen zum Opfer fallen würde, das wusste jeder, und jeder sah die Opfer voraus, die der Krieg von ihm und dem Land fordern würde.
Der Grenzschutz war ja zu schwach, Die Landwehr allein konnte doch gewiss die gewaltigen Massen des Feindes nicht aufhalten, wenn der einmal geschlossen heranrückte. Und das Heer, das übrige Heer, war ja an den anderen Fronten vonnöten.
Trotzdem war aber Begeisterung überall. Singend und jauchzend tauschten die Männer jeglicher Arbeit ihren Rock mit dem grauen Rocke des Krieges.
Der Pflug wurde verlassen, die Sensen hingehängt, denn ein anderer Schnitter kam jetzt ins Land und um den vom Heimatherd fern zu halten, griff die Hand, griff die Faust nach dem Schwerte.
Herd und Schwert, das war zum Losungsworte der Zeit geworden.
Wie zum Feste ging man zum Kriege.
Willig gaben die Mütter die Söhne, gaben die Frauen ihre Männer, die Bräute die Liebsten her, und jene römische Mutter, die Ihre Söhne mit oder auf dem Schilde aus dem Kriege zurückkehren seh’n wollte, das heißt also: tot oder als Sieger, fand Hunderte von Müttern, die, ohne das klassische Beispiel der Römerin zu kennen, dieselbe Ermahnung an ihre Söhne richteten, zu siegen oder zu sterben.
Der Grundmoser, der alte Inspektor, war wie verwandelt. Er, der ohnedies Kraftvolle, schien neue, doppelte Kraft zu bekommen. Er war überall, wo es zu tun gab, und überall gab es zu tun. Nein, nein, verwüsten ließ er seine Felder nicht und von den Russen zertrampeln.
Was auf dem Felde noch so wundervoll stand, musste herein. Was in den Schobern eingedeckt war, musste zum Drusch, musste in die Speicher hinein.
»Aber wir haben ja gar keine Zeit mehr dazu.«
»Zeit wird geschafft.«
Und er schaffte sie wirklich. Doppelt, nein dreifach so viel Zeit, wie er sonst hatte, denn er nahm auch die Nacht noch zu Hilfe, und Rast und Ruh’ gab es keine.
»Gibt denn der Krieg Rast und Ruh’? Na also.«
»Aber wir haben keine Arbeiter, keine Kräfte.«
»Na, das möcht’ ich seh’n! Laufen genug Weiberleute und Kinder herum. Braucht die Marie wirklich in der Küche sieben Menschen? Ich werde sie fragen, ob es nicht ein Mensch tut, ob nicht die Dore, statt Zwiebeln zu schneiden, draußen auf dem Feld schaffen und singen kann? Und nicht die Dore allein! Und die Stallburschen werden auch frei, wenn wir morgen … wenn wir morgen …,« und er wiederholte das, weil sich seine Stimme vor Schmerz und Erregung verschleiert hatte, »die Pferde doch ans Militär abgeben müssen.«
»Aber was nützt denn das Getreide, auch wenn’s in den Speichern ist und die Russen kommen?«
»Die Russen? Hierher auf den Hof? Den Russen möchte ich seh’n, der hier auf den Hof kommt und dem ich nicht den Schädel einschlagen würde!« sagte der Grundmoser und meinte es wirklich und ließ sich’s nicht ausreden, dass er das nicht dürfe, dass Deutsche den Krieg so nicht führen. Dass der Krieg, nur Sache der Soldaten sei.
»Gut, dann werde ich auch noch Soldat,« sagte er.
»Sie, mit Ihren sechsundfünfzig Jahren?«
»Ja, ich mit meinen sechsundfünfzig Jahren!« sagte er und reckte seinen Arm und ballte seine Faust, als wolle er zeigen, was für eine Kraft in ihm steckte.
Diese Kraft zeigte er aber vor allem in seiner, Arbeit, denn er führte alles so durch, wie er gesagt hatte. Es war ein geradezu phantastischer Anblick, in dunkler Nacht, bei Fackelschein, die Lokomobilen hinausfahren, die Leute auf dem Felde arbeiten zu sehen.
Arbeiten und singen.
Und wenn die einen durch die anderen abgelöst wurden, den Grundmoser löste keiner ab, der war unermüdlich.
»Mein Gott, Grundmoser, wer gibt Ihnen denn diese Kraft?«
»Der Hass,« erwiderte er und reckte sich und drohte über die Grenze hinüber …
Bald kam neues, anderes Leben in den Gutshof.
Das Militär.
Grau, wie die Mäuse.
Nicht nur die Remontekommission kam, um die Pferde, die guten, prachtvollen Pferde abzunehmen, sondern der ganze Stab eines Regiments war in das Gutshaus verlegt worden.
Das war ein Kommen und Gehen von Soldaten und Offizieren, ein Melden und Arbeiten bis in die Nacht hinein. Und überall und bei allen die gute, frohe, zuversichtliche Stimmung, die durch die Nachrichten aus dem Westen nur noch gehoben wurde.
Da kam man ja aus dem Knallkümmel gar nicht heraus, wenn man alle die Siege mit Champagner begießen wollte!
»Sie werden’s schon auch hier noch erleben, ganz, ganz genau so.«
Und man erlebte es wirklich.
Da kam die Nachricht von einem Zusammenstoß zwischen Deutschen und Russen bei Soldau.
Lag da auf einem der langgestreckten Hügel eine preußische Reiterabteilung, wenige Schwadronen nur.
Dicht hinter ihnen, durch den Hügel gerade noch gedeckt, einige Maschinengewehre, die man der Kavallerie zugeteilt hatte. Da waren von drüben her zwei russische Kavalleriebrigaden gekommen, sehen die paar Reiterchen und denken sich: ‘die paar Mann da oben, die essen wir rein zum Frühstück’, reiten gleich auf sie los, eine Brigade vorn und die andere als Rückhalt hinterher.
Unsere Reiter ihnen entgegen, in voller Karriere, wie die Teufel.
Schon prallen die und der Feind aufeinander, da teilen sich die preußischen Reiter, schwenken, in rasendstem Galopp, die einen nach rechts, die anderen nach links, und die Russen gerade hinein in das Schussfeld der Maschinengewehre!
»Was dann geschah? Na, Kinder, das könnt Ihr euch denken! In zwei Minuten war die erste Brigade ein wilder, wüster Knäuel von Menschen- und Pferdeleibern; die zweite jagte, aufgelöst und erschüttert zurück und nun unsere Preußen aufgeholt, eingeschwenkt, und die Linie zu einem Haufen zusammengepresst, dass von den Russen sich keiner mehr rühren konnte, geschweige denn Plempe und Lanze gebrauchen. Und wir? Wisst ihr wie viel wir an Toten hatten? Drei. Und achtzehn Verwundete. Ist’s so, oder ist’s nicht so, Herr Oberst?«
Es war Paul Braczko, der das mit leuchtenden Augen erzählt hatte und der Oberst bestätigte es. Ja, es waren wundervolle Taten, die unsere Grauen vollbrachten. Waren nicht die Russen, die auf Tilsit vorstoßen wollten, bei Coadjuthen mit blutigen Köpfen zurückgeschlagen worden? Waren nicht bei Stallupönen Russen, und darunter auch die verdammten Kosacken, so zurückgeworfen worden, dass sie auf eine Zeit lang das Wiederkommen vergaßen? War nicht…
Aber was war nicht alles an prachtvollen Waffentaten, an tollen Husarenstückchen und wundervollen Einzelleistungen geschehen? Überall, wo die Russen sich zeigten, wurden sie zurückgeschlagen, bei Goldap auch in zwei, drei blutigen Treffen, und die Stimmung infolge dessen ganz ausgezeichnet.
Die Kerls, die Russen sahen’s jetzt wohl schon ein, mit wem sie’s zu tun hatten.
Das war kein Schotter und Kies, über den die russische Dampfwalze zu laufen hatte, sondern harter, im festen Gefüge zusammenhaltender Fels, und da lief sie sich, weiß Gott, eher schartig, als dass sie diesen Fels klein kriegte und zerbröckelte.
Umso unfassbarer war’s, dass mit einem Mal der Befehl kam: ‘zurück!’
Alles was Militär war, zurück, und die Bevölkerung sofort den ganzen Kreis räumen.
Oder, wo das nicht schnell genug ging, der gute Rat, den Russen, ‘falls sie kämen’, keinen Widerstand entgegenzusetzen, sondern die Häuser zu öffnen und den Russen gegenüber Gastfreundschaft zu üben, denn ‘der Russe plündert nur geschlossene Häuser’.
Was um Himmels Willen war denn geschehen? Sind wir geschlagen?
»Gar keine Spur. Wir siegen in einem fort aber …,« und der Oberst schmunzelte, »wir siegen uns zurück.«
Das sollte der Teufel verstehen.
»Nee,« sagte der Oberst. »Das wäre schlimm, wenn der es verstünde, mein lieber Herr von Berg. Die Hauptsache ist, dass Gott es versteht.«
Aber der alte Inspektor, der Grundmoser, der doch so vieles verstand, verstand auch das, und wusste es in seiner drastischen Weise auch jedem zu erklären:
»Wenn ich, mein lieber Paul Braczko, einem eine Ohrfeige geben will, aber eine ganz gehörige, was tue ich dann?« sagte er. »Ich hol’ mit der Hand aus, trete einen Schritt zurück und dann schlag’ ich zu. Und so, denk’ ich mir, wird’s wohl hier im Krieg auch gemacht werden müssen.«