Kitabı oku: «Das Heilige Fest», sayfa 4

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Rituelle Geräte

Unabdingbar für jedes Ritual ist, dass zumindest einer der Teilnehmer ein Trinkhorn mitbringt, mit dem das Trankopfer, das Blót, durchgeführt werden kann. Andere Trinkgefäße sollte man nur in Sonderfällen verwenden, etwa wenn sie ein Erbstück mit besonderem Heil sind. Das Horn war in der germanischen Ritualtradition fest verankert. Leute, die sonst aus Bechern tranken, griffen beim Blót zum Horn.

Ein weiteres wichtiges Ritualgerät ist der Thorshammer, der zum Weihen und Heiligen verwendet wird. Manche Leute bezweifeln, dass es in historischen Heiligtümern einen solchen Hammer gab, und ziehen das Zeichnen des Hammerzeichen (nordisch hamarsmark) mit der bloßen Hand vor. Im Eddalied Þrymskviða wird aber beschrieben, wie Thors eigener Hammer Mjöllnir der vermeintlichen Braut zur Weihe in den Schoß gelegt werden soll, sodass wohl anzunehmen ist, dass nach dem mythischen Vorbild zumindest im Hochzeitsritual auch historisch ein geweihter Hammer benutzt wurde. Es sollte ein eigens für Ritualzwecke hergestellter und durch keine profane Verwendung entweihter Hammer sein, vielleicht in Form eines der Thorshammer-Amulette, wie sie aus der Wikingerzeit erhalten sind. Ein solches Amulett kann auch als Ersatz dienen.

Da bei allen Ritualen draußen ein Feuer brennt, das den gemeinsamen Herd bildet, um den wir uns mit Göttern und Ahnen versammeln, braucht man in geschlossenen Räumen – es sei denn, man hätte tatsächlich noch einen Herd mit offenem Feuer – eine Feuerschale, Fackeln oder Kerzen, die es ersetzen. Ebenfalls nötig ist ein Gefäß mit Erde, die das Trankopfer aufnimmt, das man draußen direkt auf den Erdboden gießt. Die Erde aus dem Gefäß wird nach dem Ritual am besten dort, woher man sie genommen hat, wieder verstreut. Feuer-Ersatz, Erdschale und Trinkhorn sind die wesentlichen Geräte, die man braucht, wenn man einen Hausaltar errichten will. Er kann dazu dienen, kleine persönliche Zeremonien und familiäre Feiern abzuhalten, zu meditieren oder wiederkehrende Gebete zu sprechen, eignet sich aber nicht für große Rituale, die man im Freien durchführen sollte, und ist eigentlich auch kein germanischer Brauch. In Europa kennen wir Hausaltäre eher von den Römern, die damit ihre Haus- und Sippengeister, die Laren, verehrten.

Der Besitz ritueller Geräte ist natürlich nicht Voraussetzung, um Rituale abhalten zu können. Wer kein Horn hat, muss eben einen Becher nehmen. Es ist aber ratsam, sich nach und nach rituelle Geräte zu besorgen, die man ausschließlich der Verehrung der Götter weiht und immer wieder dafür verwendet, denn bei jedem Mal nehmen sie Heil auf und werden dadurch immer mächtiger. Solche Geräte sind heilig, da sie Heil bringen wie das Ritual selbst. Wenn wir sie an unsere Nachkommen weitergeben, werden sie eines Tages, wie es die Ritualgeräte früherer Zeiten waren, die heiligen Erbstücke der Ahnen sein.

Kultgemeinschaft und Priester

Große Rituale, die wir im Geist der êwa regelmäßig abhalten, um den Göttern für das Heil zu danken, das sie uns allen erweisen, sollte nach Möglichkeit jeder in Gemeinschaft feiern und nur in Ausnahmefällen auch einmal allein zelebrieren. Man kann eine Kultgemeinschaft nach mittelalterlichem Vorbild eine Gilde nennen. Die historischen, vor allem im nordischen und hanseatischen Bereich verbreiteten Gilden widmeten sich zwar der Verehrung christlicher Heiliger, taten dies aber mit Trinkritualen, die auf das heidnische Blót und Minni-Trinken zurückgehen und verdanken nicht zuletzt ihren Namen dem schon erwähnten Begriff gildi oder gilt/gelt für das Opfer. Der VfGH hat den Begriff der Gilde als Bezeichnung einer Form seiner Unterorganisationen wiederaufgenommen.

Die kleinste natürliche Kultgemeinschaft ist die Familie, in der bei unseren Ahnen, wie Tacitus berichtet, der Hausvater (pater familiae) die Riten leitete. Tacitus beschränkt diese Aufgabe auf die privaten, während er bei öffentlichen Riten Stammespriester (sacerdotes civitatis) erwähnt. Diese hatten auch einzelne rechtliche Aufgaben, unterschieden sich ansonsten aber, da Tacitus weitere Besonderheiten gewiss ebenfalls erwähnt hätte, nicht von den römischen Priestern, die seinen Lesern vertraut waren. Das heißt, sie waren weder religiöse Lehrer noch „Seelsorger“, spirituelle Führer oder „Eingeweihte“, sondern reine Kultpriester, deren Aufgaben sich auf den rituellen Bereich beschränkten.

Darauf weisen auch die meisten germanischen Bezeichnungen für „Priester“ hin, vor allem im Althochdeutschen: harugari und parauuari sind Männer, die am Altar (harug) bzw. im Heiligtum (paro) tätig sind, bluostrari bedeutet „Opferer“ und êwarto bzw. êwawarto und êsago sind der Wart und der Sprecher der êwa. Die letzteren Bezeichnungen sind auch im Angelsächsischen (æwawart) und Altfriesischen (âsega) überliefert und betonen mehr die rechtliche Funktion: êwarto und êsago sind verantwortlich dafür, dass die rituellen Pflichten erfüllt werden, und erklären, wie das zu geschehen hat; der friesische âsega ist überhaupt ein Rechtsgelehrter und Richter. Die Rechtsprechung gehörte auch zu den Aufgaben der isländischen Goden (nordisch goði, Mehrzahl goðar, für Frauen gyðja, Mehrzahl gyðjur), deren Amtsbezeichnung in heutigen Heidenkreisen der geläufigste Ausdruck für „Priester“ ist.

Obwohl goði wie auch die älteren Formen gudja auf Gotisch und cotinc auf Althochdeutsch „jemand, der mit den Göttern zu tun hat“ bedeutet und die Goden die Verwalter, in der Regel auch Besitzer der Heiligtümer waren und die gemeinschaftlichen Riten ihres Bezirks leiteten, können sie aber nur bedingt als Priester bezeichnet werden. Dies lässt sich daraus ableiten, dass sie, wie Bernhard Maier feststellt, „auf Island vor allem als politische Führungsschicht in Erscheinung treten und Aussagen über ihre einstigen religiösen Funktionen zumindest teilweise auf der Rückspiegelung christlicher Verhältnisse in die heidnische Vorzeit beruhen.“ Wie auch die meisten Religionsforscher vor ihm schließt Maier, dass es einen Priesterstand mit Ausbildung und Weihe, religiöser Lehrautorität oder privilegierter Mittlerfunktion zwischen Göttern und Menschen bei den Germanen nie gegeben hat.

Der VfGH lehnt es daher auch für unsere Zeit ab, eine „Priesterschaft“ oder einen Kreis von „Eingeweihten“ nach Kriterien zu schaffen, die im besten Fall spekulativ sein können. Die historisch gesicherten priesterlichen Funktionen – die Tätigkeit des Ritualleiters und die Wahrung der rituellen Gesetze, die allein Aufgabe eines Priesters im traditionellen heidnischen Sinn sind – kann jeder übernehmen, der sich dazu in der Lage sieht und das Vertrauen der Gemeinschaft hat. Das sind vor allem die Schwurmannen des VfGH, jene Mitglieder also, die sich durch einen freiwilligen Eid zur Treue gegenüber den Göttern verpflichtet haben und damit garantieren, dass sie unter ihrer Leitung angemessen verehrt werden, es können aber auch Leute sein, die diesen Eid nicht geleistet haben.

Jede Kultgemeinschaft im VfGH wählt in eigener Verantwortung ihre Kultleiter, die ausschließlich für die Organisation und Durchführung der Rituale zuständig sind und keinerlei Lehrautorität oder Mittlerrolle haben. Sie heißen Blótmänner bzw. Blótfrauen. Die Begriffe goði und gyðja, die in manchen neuheidnischen Kreisen mystifiziert werden, werden im VfGH nicht verwendet.

Gedichte und Lieder

Einen sehr wichtigen Platz in den heiligen Festen unserer Vorfahren nahmen mythische Gedichte und Lieder ein, die im Ritual als Anrufungen der Götter oder beim Festgelage zu ihrem Ruhm vorgetragen wurden. Nicht von ungefähr hängt das angelsächsische Wort für ein heidnisches Opfer, lác, mit dem mittelhochdeutschen leich (Melodie, Gesang) zusammen. Das hatte natürlich auch ästhetische Gründe, denn man wollte die Feste schön und würdig gestalten, ihnen durch Wohlklang und gewählte Worte Glanz verleihen und die Götter damit erfreuen und ehren. Alle bedeutenden Dinge wecken im Menschen das Urbedürfnis nach künstlerischer Gestaltung.

Es ist aber zugleich auch so, dass das Große und Wesenhafte selbst „gesungen werden will“, wie Walter F. Otto, der Sohn des bereits genannten Religionsforschers Rudolf Otto, über die religiöse Bedeutung der Dichtung bei den Griechen sagte, für die sie eine heilige Kunst war: „Der Geist des Gesanges gibt ihnen Kunde, von welcher Art die Götter sind. Denn er ist im Grunde ihre Stimme.“ Deshalb waren nicht Priester und Philosophen die religiösen Lehrer der Griechen, sondern die Dichter, deren besondere Sprache und Erzählweise, das ehrwürdige Wort des mythos zum Unterschied von der Alltagsprosa des logos, den Göttern nahe stand und ihren Werken Wahrheit und Gültigkeit gab. In der Dichtung sprach, wie auch Platon in seinem Dialog „Ion“ erklärt, nicht der Mensch, sondern die Gottheit, die den Dichter ähnlich erfüllt und zu ihrem Sprachrohr macht wie den Seher. Apollon, der Gott der Seher, ist auch der Gott der Dichter, in dessen Gefolge sich die neun Musen befinden, von denen die Dichter ihre Inspirationen empfangen.

Bei den Germanen ist diese hohe religiöse Bedeutung der Dichtung, die sich bei den Kelten im druidischen Rang der Barden niederschlägt und ein indogermanisches Urerbe ist, noch viel deutlicher, denn hier ist es der höchste Gott selbst, Odin, der sich um sie kümmert. Auf seinem dreifachen Weg zu Wissen und Weisheit, der mit dem Erwerb der Seherkraft durch das Opfer eines seiner Augen im Brunnen Mimirs beginnt und sich in der Findung der Runen durch sein Selbstopfer am Weltbaum Yggdrasil vollendet, nimmt er in der Mitte zwischen diesen Ereignissen viele Mühen und Gefahren auf sich, um den Met Odrörir zu gewinnen, der ihn zum Dichter macht und fortan die Dichter der Menschen inspirieren lässt. Auch er schenkt ihnen dabei eine besondere Sprache, die in der nordischen Tradition bezeichnenderweise „runisches Reden“ genannt wird. Sie gibt dem Geheimnis, altgermanisch rûna, Gestalt und lässt es lebendige Gegenwart werden. Deshalb ist die Dichtung wahr und deshalb will alles, was wahr und wesentlich ist, zur Dichtung werden.

Die poetische Gestaltung eines Rituals hat also nicht nur ästhetischen, sondern auch spirituellen Wert und sollte bei großen Feiern nicht vernachlässigt werden. Wenn sich passende Texte aus der Überlieferung finden lassen, ist es gut – ihre Zahl ist aber leider relativ gering, sodass wir ohne neue, selbst gedichtete Anrufungen und Lieder nicht auskommen. Traditionelle Formen wie der Stabreim und die nordischen Strophen bilden dabei eine ideale Anknüpfung an die historische Dichtung; es eignen sich aber, wenn sie im Geist der Tradition eingesetzt werden, auch moderne Metren und Reimformen oder rhythmische Prosa. Die große Bandbreite, die sich etwa in der Wikingerzeit innerhalb weniger Generationen entwickelt hat, lässt erkennen, dass die germanische Dichtung nicht auf starre Formen fixiert, sondern sehr flexibel und innovativ war. Auch Mythen und Heldenepen wurden immer wieder neu bearbeitet, sodass wir mit neuen Gestaltungen, solange der Inhalt stimmt, in guter Tradition stehen.

Symbole

Rituale sind ebenso wie Mythos und Dichtung immer auch stark von Symbolen bestimmt. In beidem, der Dichtung wie dem Symbol, geschieht eine „Verdichtung“ der Realität und ihrer komplexen, oft undurchschaubaren Vielfalt zu einer signifikanten Einheit, die dennoch all das zum Klingen bringt, wofür sie steht. So zeigt der Mythos in einem einzigen, exemplarischen Ereignis das ganze Wesen einer Gottheit und die Heldensage im Schicksal einer einzigen Familie alles, was Schicksal bedeuten kann. Auch das Symbol unterscheidet sich vom „Signal“ im Sinn des Philosophen Ernst Cassirer dadurch, dass es nicht eins zu eins für eine einzelne Sache steht, sondern für einen ganzen Komplex an Bedeutungen.

Wir verwenden Symbole, um Vielfältiges und Vielschichtiges ausdrücken und erfahren zu können. Das beste Beispiel dafür sind die Runen, jede für sich ein Symbol für verschiedene heilige oder profane Bedeutungskomplexe, die in ihrem Aufeinandertreffen beim Loswerfen vielfältige Zusammenhänge enthüllen. Wenn wir sie im Ritual singen, sprechen wir diese Bedeutungen an. Auch die Kultgeräte, die wir verwenden, sind über ihren praktischen Gebrauch hinaus Symbole. So ist das Blóthorn Gemeinschaft mit Göttern und Mitfeiernden, Ehre für die Götter und Verbindung zu den Ahnen, der Kreis der Feiernden ist der Erdenrund, der Schutz der Umhegung und die zyklische Gestalt allen Seins, und im Kreisen des Blóthorns verbinden sich alle diese Bedeutungen.

Rituale sind somit im Wesentlichen symbolische Handlungen, die in ihrer Gesamtheit alles, was uns heilig ist, in verdichteter Form ausdrücken und erfahrbar machen, komprimiert die ganze Vielfalt unserer Religion enthalten und unserer komplexen Beziehung zu den Göttern und Ahnen eine klare, greifbare Gestalt geben. Symbolisch sind unsere Riten auch im landläufigen Sinn, dass sie notgedrungen „nur“ eine Geste sein können. „Die Gabe will stets Vergeltung“ kann ja nicht bedeuten, dass wir den Göttern ihre Segnungen gleich vergelten. Auch das größte Opfer ist gering im Vergleich zu den Geschenken, die uns die Götter geben. Es ist eine ehrende Geste, ein Symbol. Als solches aber enthält es alles, was wir an Ehre besitzen und den Göttern erweisen können.

Heilige Bäume und Tiere

Beachten sollte man in Ritualen auch die Bedeutung von Bäumen und Tieren, die in besonderer Beziehung zu bestimmten Gottheiten und Festen stehen. Grundsätzlich gilt, was auch noch Hermann Hesse wusste: „Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit.“ Für einige Bäume gilt das nach der germanischen Tradition aber ganz besonders.

Die Eiche nimmt dabei den ersten Platz ein. Eichen sind Kultstätten aller Götter, vor allem aber Thor geweiht. Bekannt ist die Donareiche, die das Stammesheiligtum der Thüringer war und vom Missionar Bonifatius gefällt wurde. Odins Bäume sind Esche und Eibe, die beide mit Yggdrasil verbunden werden: Die Edda nennt sie eine Esche, zugleich aber immergrün. Der Baum im Heiligtum von Uppsala soll eine Eibe gewesen sein. Alle diese Bäume eignen sich ganz besonders, um unter ihnen ein Ritual zu feiern. Als Baum bezeichnet die Edda auch die Mistel, die als Heilpflanze zu Baldur gehört, zugleich aber das Geschoss ist, das ihn tötet. Beim Julfest wird sie erneut zum Symbol seiner Wiederkehr.

Von den Tieren sind besonders die wichtigsten Tiere Odins zu nennen, Wolf und Rabe, die seine Begleiter sind, und das Pferd (Sleipnir). Die Gesellschaft von Raben bei einem Ritual ist ein sehr gutes Zeichen. Das Pferd ist auch ein heiliges Tier Freyrs, neben dem Schwein, das ihm und Freyja geweiht ist. Freyja allein gehört die Katze. Thors Tier ist der Ziegenbock, Nerthus gehört das Rind und Ostara der Hase. Die essbaren unter diesen Tieren eignen sich am besten für ein Opfermahl. Rabe und Pferd halfen den alten Sehern auch bei der Weissagung. Die genauen Methoden sind nicht mehr bekannt.



Tradition und Erneuerung

Genaue Überlieferungen über germanische Rituale gibt es nur über das Blót im engeren Sinn, das zwar das wichtigste und häufigste, aber natürlich nicht das einzige religiöse Ritual unserer Vorfahren war. Unsere heutigen Rituale sind daher nicht durchweg alte, die in exakt dieser Form auch früher so begangen wurden, und in manchen Fällen könnten sie es auch gar nicht mehr sein. Gleich ist aber der Geist, in dem wir sie begehen und aus dem unsere Worte und Handlungen wachsen.

Unsere Rituale sind keine detailgetreue Wiederholung, sondern eine Erneuerung der Tradition unserer Ahnen. Wir stellen sie auf eine solide historische Basis und beschäftigen uns daher auch mit alten Ritualformen, die wir nicht mehr ausüben, aber verstehen wollen. Darum wird hier auch das Menschenopfer zur Sprache kommen: Wir wollen es natürlich nicht wieder einführen, aber wenn wir in Erfahrung bringen, warum unsere Vorfahren es darbrachten, lernen wir etwas über den Geist des Opferns, der auch hinter anderen Kulthandlungen steht.

Zunächst aber zu einigen wichtigen Dingen im Umfeld des Rituals.

Das Gebet

Grundform der Rituale aller Religionen ist, dass man zu den Göttern betet. Es scheint da keine Unterschiede zu geben, doch wenn man die Texte etwa des christlichen Vaterunser und des Gebets aus dem Sigrdrífumál der Edda vergleicht, tut sich eine Kluft auf.

Der erste Teil des christlichen Gebets ist eine Anbetung, die den Adressaten als absoluten Herrn preist, dessen Wille geschehe usw., der zweite Teil ein schuldbewusstes Bitten um Vergebung und Erlösung. Die Walküre Sigrdrífa dagegen, die am Beginn des Lieds nach ihrer Erweckung durch Sigurd (Siegfried) dieses Gebet spricht, entbietet Tag, Nacht, Erde und Göttern und Göttinnen einen schlichten Heilgruß und fordert sie stolz auf, ebenfalls Heil, Kraft der Rede, Verstand und heilende Hände zu schenken – und zwar ausdrücklich „uns zwei Ruhmreichen“ (mærum tveim).

Keine Spur von Demut enthält auch das im Hyndlalied zitierte Gebet an Odin: „Lasst Heervater um Huld uns bitten“, sagt es einfach und schildert dann, wie er sich in früheren Beispielen aus Mythos und Heldensage huldvoll gezeigt hat – ein Appell an seine Ehre, sich so zu verhalten, wie es von ihm zu erwarten ist.

Gebete können im Voraus, wenn man etwas will, oder im Nachhinein als Dankgebete gesprochen werden. Viele Heiden halten Dankgebete für ehrenvoller und wollen lieber erst abwarten, ob ihnen die Götter helfen, und ihnen dann danken, statt im Vorhinein etwas zu erbitten. Das deutsche Wort „beten“ ist aber aus „bitten“ abgeleitet, das andere germanische Sprachen (nordisch biðja, englisch to bid, später to pray nach dem lateinischen precare, das ebenfalls „bitten“ heißt) durchweg auch im religiösen Sinn verwenden, was annehmen lässt, dass unsere Vorfahren Gebete wohl hauptsächlich als Bitten betrachteten.

Es ist wahrscheinlich, dass in den traditionellen zweiteiligen Gebeten, die wir noch näher besprechen werden, ursprünglich nur der zweite, den konkreten Bitten an die Götter gewidmete Teil als Gebet (althochdeutsch gibet) bezeichnet wurde, während der erste – im Sigrdrífumál auf einen Heilgruß reduzierte – Teil als spill oder spell bezeichnet wurde.

Von Tacitus wissen wir, dass die Germanen „mit zum Himmel erhobenen Augen“ beteten. Über die Körperhaltung erfahren wir nichts, es gibt für sie aber Beispiele in Darstellungen aus derselben Zeit. Der berühmte „betende Suebe“, ein Bronzefigürchen in der Nationalbibliothek in Paris, ist „mit zum Himmel erhobenen Augen“ und Händen und kniend dargestellt. Freilich hat er nur ein Knie am Boden, bleibt also sprungbereit und hält dadurch nicht zuletzt auch sein Rückgrat gerade. In einer Szene der Marcus-Säule in Rom, die einen Überfall von Legionären auf ein germanisches Dorf zeigt, ist ein Mann dargestellt, der ebenfalls mit dem Blick zum Himmel betet, dabei aber die Hände faltet. Der römische Bildhauer stellte hier eine für ihn fremde, im Mittelmeerraum unübliche Haltung dar, die ihm wohl als Besonderheit der Germanen geschildert wurde. Auch die römischen Christen falteten die Hände ursprünglich nicht. Nach Rudolf Simek wurde diese Geste erst nach der Germanenmission ins Christentum übernommen und geht auf eine heidnische Gebetstradition zurück.

Trotzdem sind die gefalteten Hände heute, nach mehr als 1000 Jahren christlichen Gebrauchs, für unser Gefühl „christlich belegt“ und können dadurch nicht mehr ausdrücken, was wir vor den Göttern empfinden. Auch das halbe Knien des „betenden Sueben“ erinnert uns zu sehr an die christliche Demutshaltung. Wir bevorzugen daher das aufrechte Stehen, bei dem es über unsere Stellung als Freunde der Götter kein Missverständnis gibt. Dabei können wir wie die Augen auch die Hände zum Himmel erheben, entweder wie der „betende Suebe“ schräg nach vorn oder seitlich, sodass wir insgesamt die Form der Algiz-Rune stellen. Bei gemeinsamen Gebeten bilden wir oft auch einen Kreis, in dem sich alle an den Händen halten.

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