Kitabı oku: «FRANZ», sayfa 2
Mösenfotograf
raunte es irgendwann hinter seinem Rücken, in der Kantine des Theaters, in den Gängen, hinter den Kulissen, in den Kneipen, was ihn nicht weiter störte, im Gegenteil, eher amüsierte, ihm einen leicht verruchten Glanz verlieh, einen Zuckerguss, der ihn einerseits in seiner Funktion als jugendlicher Liebhaber adelte, andererseits ihm aber auch die Neugierde von Frauen außerhalb des Theaters bescherte. Was ihn ärgerte, war die abfällige Bezeichnung „Mösenknipser“. Diejenigen, die ihn als Fotograf bezeichneten, hatten zumindest schon mal das Wort Möse in den Mund oder zumindest eine Kamera in die Hand genommen – meinte er. Die, die ihn jedoch der Knipserei ziehen, hatten höchstwahrscheinlich noch nie eine gesehen, geschweige sie geknipst und hatten mit Sicherheit auch keine Ehrfurcht, kein künstlerisches Verständnis für die Öffnung, die man doch gemeinhin auch als „das Tor zur Welt“ bezeichnete – „L’Origine du monde“, wie Gustave Courbet titelte – ähnlich den „Brettern, die die Welt bedeuten“.
Bei dem Begriff „Mösenknipser“ fiel ihm immer der Besuch der Oma väterlicherseits ein. Als er diese ihm fremde, in den späten Fünfzigern aus der DDR in die BRD einreisende, stark aus dem Mund riechende Frau mit seinen Eltern vom Bahnhof abholte, musste man noch zehn Pfennige für eine Bahnsteigkarte lösen; ein kleines braunes Kärtchen in Männer-Daumenlänge, nur etwas breiter und dünner. Damals durfte er, der kleine Franz (von seiner Mutter überwiegend Fränzeken gerufen), seine Bahnsteigkarte mit einer Knipszange, die ihm der Bahnsteigkartenknipser wohlwollend aus seinem Bahnsteigkartenknipserhäuschen reichte, selber knipsen. Das machte ihn stolz. Der große Franz jedoch dachte mit Grauen an die Verbindung zwischen Knipszange und Möse, die sich bei dem verächtlichen Begriff „Mösenknipser“ unwillkürlich einstellte. – Wie dem auch sei. Dank der Mundpropaganda war die Auftragslage gut. Es blieb nicht immer beim Fotografieren, was Franz jedoch billigend in Kauf nahm und der überwiegenden Klientel damit Freude bereitete. Er vermied es jedoch, die Frauen vor oder nach den Shootings (wie man heute sagt), in die Taverne Z einzuladen.
Bevor die umfangreiche Sammlung ihren Bestimmungsort, die Kasseler Documenta, erreichen konnte, hatten Feministinnen davon Wind bekommen und den LKW, in dem die Bilder auf ihren Abtransport warteten, angezündet. Ehe jedoch dieser feministische Akt von Gewalt gegen ihr eigenes, von Franz Klefisch künstlerisch veredeltes Geschlechtsorgan den Schlusspunkt unter seinen Ausflug in die bildende Kunst setzte, war es Vassilios, Ewas Mann, der ihm in dieser Angelegenheit an den Kragen wollte.
Franz war schlecht gelaunt, als er nach einer beschissenen Probe auf die Straße trat. Ihm war nach Ewas Brüsten zumute und er beschloss, nach längerer Zeit mal wieder Vassilios Taverne aufzusuchen. Kaum hatte er das Lokal betreten und Vassilios, der sich gerade am Gyrosspieß zu schaffen machte, ein schlecht gelauntes „Kalimera“ entboten, als dieser, ihn gewahr werdend, einen Urschrei ausstieß, bei dem selbst der große Stadttheater-Tragöde Walter Stickan vor Neid erblasst wäre. Der Spieß, den er mit bloßen Händen aus der Halterung riss, kam in dem Moment geflogen, als Franz sich nach dem Fünfzigpfennigstück bückte, das vor ihm auf dem Fußboden lag. Dadurch krachte das Fleischgeschoss hinter ihm in die Stühle und verfehlte ihn um Haaresbreite. In null Komma nichts, ahnend was hier abging, floh Franz panisch aus der Taverne. Vassilios rannte ihm wutentbrannt noch ein Stück hinterher, brüllte und schnaubte wie ein verwundeter Kampfstier, sodass die Passanten auf der belebten Straße erschrocken zur Seite sprangen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Franz Todesangst. „Ein Wort, das sich leicht ausspricht; ein Gefühl jedoch, dass sich kaum in Worte fassen lässt“ – schrieb er in sein Tagebuch. Ein paar Straßen weiter, wieder einigermaßen bei Atem, schwor er, sich nie wieder auf eine verheiratete Frau einzulassen. Zumindest nicht auf eine, die mit einem Griechen verheiratet war. Nun ja. Gute vierzig Jahre später sollte es im Leben von Franz Klefisch eine Situation geben, in der er sich wünschte, dass ihn der Fleischspieß damals getroffen hätte.
Von Heidrun, Ewas Freundin, erfuhr Franz ein paar Tage später, dass Vassilios die Mösenportraits seiner Frau gefunden und sie ihm nach einer Tracht Prügel alles gestanden habe. Als Franz Heidrun die Geschichte mit dem fliegenden Gyrosspieß erzählte, tat er ihr so leid, dass sie ihn zu sich nach Hause mitnahm. Ihr Mann war gerade auf Montage.
Vier Jahrzehnte später,
mit Werner und Natia in Griechenland, auf dem südwestlichen Peleponnes, in der Mani, erzählte Toni, ein seit dreißig Jahren dort ansässiger deutscher Arzt, bei einem Glas Wein, dass die Bewohner der Mani ein eigenartiges Völkchen seien. In Deutschland vergleichbar mit den Bayern oder Ostfriesen. Er schilderte, wie sich im Jahr 2012 die Einbrüche durch Albaner in und um Agios Dimitrios häuften, die Polizei machtlos war, somit die Bewohner gezwungen waren, diese Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Wissend, dass die Wander- und Gelegenheitsarbeiter aus Albanien in einer Höhle des Taygetosgebirges unweit der Ortschaft Pigi lebten, explodierte dort eines Nachts eine Sprengladung. Ergebnis: Drei Tote und zwei Schwerverletzte, aber im Folgenden keine Einbrüche mehr. Das gefiel dem Onkel (wie Franz zum Zeitpunkt dieser Geschichte schon genannt wurde), aber ihm lief immer noch ein Schauer über den Rücken, wenn er an Vassilios und den Gyrosspieß dachte; denn Vassilios kam aus Proastio, war also auch ein Bewohner der Mani. Dass er, der 160 Zentimeter messende Mann auf Grund eines Mösenfotos seiner Frau dieses Einsdreiundneunzig-Trumm von deutscher Ewa krankenhausreif geschlagen hatte, spricht für eine unkonventionelle Konfliktlösung der Bevölkerung in der Mani. „Auch ich bin in einer tiefen Kammer meines Herzens Anhänger unkonventioneller Lösungen“, wird Franz später in seinem Buch schreiben. Vassilios und Ewa hat er nie wiedergesehen und seitdem auch nie wieder ein griechisches Restaurant betreten.
Unter Fernweh
hatte Franz nie gelitten. Immer nur unter Heimweh. Wenn er gefragt wurde, warum er nicht oder nur wenig reise, antwortete er jedes Mal, dass ihm die Ferne nichts bedeute. Wenn er gut drauf war, fügte er noch hinzu: Ich reise halt im Kopf! Das befremdete einige Leute. Auch wenn deren Kopfschütteln nicht sichtbar war, spürte Franz Unverständnis, das ihm auf Grund der Tatsache entgegenschlug, dass er nicht aus seiner Welt heraustrat. Aber die Vagabunden wundern sich eben immer über die Sesshaften und die Sesshaften über die Vagabunden – dachte Franz –, und warum einer da lebt, wo er gerade lebt, kann er einem anderen sowieso nicht begreiflich machen. Er dachte manchmal auch, dass der verborgene Sinn des Reisens darin liege, Heimweh zu haben, und das Weh griff schon nach Franzens Herzen, kaum dass Werners Jaguar-Limousine sich in Bewegung gesetzt hatte, nach wenigen Metern die kleine Stichstraße verließ, links in eine andere Straße bog, die schon etwas größer und weiterführend war, um aus dieser schließlich in eine Hauptstraße einzufädeln, die geradewegs auf den Verteilerkreis zur Autobahn führte. Und obwohl ihm diese Straßen seit jeher vertraut waren, schien es Franz, als kennten sie ihn nicht, oder nicht mehr, als seien sie empört und zugleich beleidigt über die Tatsache, dass er wegfuhr, ohne sie gefragt zu haben. Wie der Vater, trotz regelmäßiger Aufforderung ab 21 Uhr das Lesen einzustellen und das Licht zu löschen, empört und zugleich beleidigt reagierte, wenn er den Zehnjährigen dabei erwischte, wie er sein Plumeau zum Vorderteil eines Faltbootes aufgeplustert hatte, das Kopfkissen als Rückenlehne benutzte, und luftpaddelnd, eine Taschenlampe im Mund, den Atlantik zu überqueren gedachte. Eingekapselt suchte Fränzeken die Weite. Als sein Vater, gründlich wie er in vielen Dingen war, die Bettdecke anhob, Karl Mays „Im Land der Skipetaren“, Bahlsen-Kekse als Proviant für die Überquerung des Atlantiks sowie die Taschenlampe konfiszierte, für die Zukunft härtere Maßnahmen androhte, dabei die Tür vernehmlich schloss, war außer Dunkelheit auch Einsamkeit in Fränzeken. Ab diesem Zeitpunkt begann er verstärkt im Kopf zu reisen. Seinem Vater, dem das ständige Lesen des Sohnes ein Dorn im Auge war, entwickelte außer den nächtlichen Kontrollen noch perfidere Methoden, um diese seiner Meinung nach sinn- und nutzlose Leserei einzuschränken. Zum Beispiel während dieser verhassten Sonntagsspaziergänge mit Vater, Mutter und deren mannloser Schwester. Fränzeken, schon der Schwelle zum Franz, suchte diesen Ausflügen dadurch einen Sinn abzugewinnen, dass er im Auto und bei den Spaziergängen in einem Reclam-Heftchen las. Denkwürdig ein Spaziergang an einem Sonntag, als sich der Vater in einer Strafstoßentfernung vor den Sohn hinhockte und der beim Satz „Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen, dass überall die Menschen sich gequält, dass hie und da ein Glücklicher …“ über seinen Vater fiel. Der lachte laut auf, jedoch, wie sich Franz aus ferner Erinnerung heute noch glaubend machte, auch ein wenig verschämt. Die besorgte Äußerung der Mutter, ob er sich verletzt habe, überhörte der Junge, weil ihm das Blut in den Ohren rauschte und er feststellen musste, dass das Reclam-Heft Schaden genommen hatte. Den Ratsch am Knie, als Dreizehnjähriger trug er damals noch kurze Hosen, erduldete er mit wütender Würde. Die aufkommenden Tränen weinte er nach innen. Seitdem war Franz ein Nach-Innen-Weiner. Jetzt, kaum weg von Zuhause, fühlte er sich fern. Fern wie auf diesen Sonntagsspaziergängen. Diesmal jedoch von einem unbekannten Magneten angezogen, aus dessen Kraftfeld es kein Entrinnen geben sollte.
Über den Wolken
wähnte sich Franz für Momente leicht und luzid. Er spürte eine Art Entrücktheit, die sicherlich auch dem Champagner geschuldet war, den die Armenierin noch während der Anfahrt zum Flughafen mit großem Getöse geöffnet und der unter Gelächter und Prosit-Gelärm auf den gemeinsamen Urlaub etwas zu hastig getrunken wurde.
Über den Alkohol hinaus waren es aber auch die gutaussehenden Stewardessen der Aegean Airlines, die Franzens Wohlbefinden steigerten. Sein Nullkommasechs-Promille-Weichzeichner verlieh den ohnehin schönen Frauen einen zusätzlichen champagnerhaften Schmelz. „Der Appetit unserer Augen nach Schönheit ist ja im Grunde das Verlangen nach Trost“, ein Satz aus Bodo Kirchhoffs Roman „Wo das Meer beginnt“, war Franz unvergessen geblieben. Und Trost war ihm ein willkommener Gast, nachdem ihn seine Frau nach drei Jahrzehnten verlassen hatte. In seinem Buch schrieb er: „Dreißig Jahre hatte ich diese Frau auf meine Art und Weise geliebt, aber kurz bevor es in das einunddreißigste ging, stellte sie fest, dass meine Art und Weise ihr nicht mehr genügte und eines Tages, mir nichts dir nichts, verschwand sie aus meinem Leben.“
Schon beim Betreten des Flugzeuges war Franz die Purserette aufgefallen. Ihr guttural hin gehauchtes „Kalimera“ im unteren Hertz-Bereich begleitete ihn bis zu seinem Sitzplatz, durchrieselte seinen Körper wie Sand eine Eieruhr. Als er Platz nahm, zog ihr dunkelblaues Kleid seine Aufmerksamkeit auf sich. Auffallend der fast zwei Zentimeter breite, vertikale, gold-rote Streifen, der auf dem Träger der linken Schulter ansetzte und am Saum, knapp eine Bauarbeiterhandbreite über ihrem Knie endete. Vom Saum ausgerechnet, fünf gespreizte Finger darüber, fielen Franz drei Querfalten auf, fast beiläufig an jener Stelle, die man im Großen und Ganzen als Schoß bezeichnet. Eher zu ahnen, denn sichtbar, die ebenmäßig hervorstehenden Schlüsselbeine, die sich unter dem lose um den Hals geschlungenen Tuch mit den schwarz-weiß-roten Streifen und dem Emblem der Fluglinie (zwei stilisierten Möwenschwingen, perspektivisch angeordnet vor einem runden Kreis), abzeichneten. Franz, der vor drei Stunden noch reiseunwillig in der Stichstraße mit Wendehammer auf seinem Koffer saß, sah sich jetzt hohen Wangenknochen gegenüber, die an poliertes Wurzelholz erinnerten. Er konnte sich von den mandelförmigen, ägyptisch anmutenden Augen nicht losreißen, die, durch Schminke zum Schläfenbereich hin vergrößert, cinemaskopische Breite suggerierten, und hätte vor Freude in die Luft springen mögen. Es blieb jedoch bei einem Nießen und vorsorglich schloss er die Düse mit der Frischluftzufuhr. Als er die Purserette erneut betrachtete, fiel ihm ein wehmütiger Schleier hinter ihren Augen auf, dessen Ursache er in einem möglichen Trauerfall mutmaßte. Jedoch zog er den Gedanken vor, dass ihr Kummer eventuell auch mit ihrem rasant in den Bankrott taumelnden Heimatland zusammenhängen könnte, dem Land, das einst als Wiege der europäischen Kultur galt, in das man in wenigen Augenblicken starte, was sie mit kehliger Stimme über die Bordlautsprecher mitteilte. Vielleicht entsprach diese Traurigkeit aber auch ihrem Naturell, dachte Franz. Was immer diesen wehmütigen Schleier in ihre Augen gezaubert haben mochte, er überzog ihr Gesicht wie ein später Morgentau, machte sie zur Herrscherin des Kabinenpersonals. Da Werner um die klaustrophobischen Anwandlungen seines Freundes wusste, hatte er ihm einen Platz am Gang reserviert. Der optischen wie auch der akustischen Aufforderung sich anzuschnallen, kam Franz erst nach, als Werner ihn mit einem freundschaftlich gemeinten Ellbogencheck darauf hinwies und damit aus dessen Pursetten-Wach-Traum riss. Und Franz schrieb in sein Tagebuch: „War es der Ärger über Werners Ellbogen oder meine kurzfristige Verwirrtheit, die die Purserette in mir ausgelöst hatte? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls gelang es mir nicht, den Anschnallgurt zu schließen. Einmal war er zu kurz, einmal zu lang, dann wieder verdreht … das machte mich nervös und ich begann vor mich hin zu fluchen, was wiederum Werner nervös machte, sodass er sich genötigt fühlte, mir behilflich zu sein. „Zu blöd sich anzuschnallen!“ moserte er, woraufhin ich grob zurückkeilte und somit die Aufmerksamkeit der um mich herum Sitzenden auf mich zog, aber auch, bewusst oder unbewusst, dass erinnere ich nicht mehr, die der Purserette, saß ich doch nur einen Drei-Reihen-Blick von ihr entfernt. Sie schien meinen Unmut bemerkt zu haben, kam auch sofort, aber ohne Eile, lächelte, wie mir schien ein leicht maliziöses Lächeln, als seien ihr diese Anschnallkapriolen älterer Herren täglich Brot. Während sie, knapp auf Tuchfühlung mit mir, den verstellbaren Teil des Gurtes ergriff und ihn verlängerte, sah ich, dass nicht nur ihre Finger langgliedrig waren. Mit meinem Kopf in Sichthöhe ihres Schoßes fielen mir wieder die drei Falten auf. Eine Dreifaltigkeit, wenn auch keine heilige, und als ich mir vorstellte, was sich dahinter verbarg, musste ich meinen Bauch einziehen, weil sie gerade das längere in das kürzere Teil des Gurtes einschnappen ließ. Während sie sich aufrichtete, streifte ich versehentlich ihren Oberschenkel.“ (Dazu sei angemerkt, dass Franz es liebte, Absichten im See des Versehentlichen untergehen zu lassen). Efcharisto (Danke) stotterte er, wollte aber eigentlich Signomi (Entschuldigung) sagen, sich für die versehentliche Berührung entschuldigen, erntete aber nur einen irritierten Blick. „Als ich mit dem festen Fleisch ihres Oberschenkels kurz in Berührung kam,“ notierte Franz am Abend in sein Tagebuch, „löste dieser unbeabsichtigte Körperkontakt einen elektrischen Impuls in mir aus, so wie ich ihn aus meiner Kindheit kannte, wenn ich die zwei verschieden langen Kontaktzungen der 4.5 Volt Flachbatterie an meine Zunge hielt, einfach so, oder um zu überprüfen, ob sie noch genügend Spannung hatten. Ich verspürte dann ein Prickeln ähnlich dem eines Knister-Knall-Brause-Bonbons, wenn es mit der Zunge in Berührung kommt, von dort in den Magen fährt und dort nicht Halt macht. Nein, sie hatte im Gegensatz zu mir keinen Knister-Knall-Brause-Bonbon-Effekt verspürt und stöckelte ungerührt zu ihrem angestammten Platz, klappte ein noch offenstehendes Bordgepäckfach zu, wie mir schien etwas zu heftig, und hinterließ eine Wolke aus Mandelöl, Veilchen und Anklängen von Bergamotte. Ich ertappte mich dabei, wie ich der Purserette einen ganz und gar nicht klammheimlichen Blick hinterherwarf, eher einen lüsternen, einen in fremdem Terrain wildernden, und an der Reaktion des neben mir sitzenden Werner stellte ich fest, dass ich nicht nur mich selbst ertappt hatte.“
Werner war nicht ohne Bewunderung für Franzens Fähigkeiten im Umgang mit Frauen. Er beneide ihn um „diesen feinen Draht“, wie er einmal sagte. Für ihn selbst waren Frauen, zumindest die der Freunde, ein notwendiges Übel. Er hätte gut auf sie verzichten können. Sie interessierten ihn nicht. Die Männer dieser Frauen waren ihm wichtiger. Werners Sohn bezeichnete das Verhältnis seines Vaters zu Frauen einmal Franz gegenüber als etwas gestört. Sekunden später stellte er fest, dass er auf das „etwas“ auch hätte verzichten können. Franz war der Meinung, dass sein Freund Frauen entweder nur bewundern und zu ihnen aufschauen oder sie verachten und auf sie herabschauen konnte. Eine von Werners Ex-Freundinnen äußerte Franz gegenüber einmal, dass für Werner in Wirklichkeit nur zwei Frauen existieren: seine Mutter und seine Tochter. Und in diese Konkurrenz wolle sie sich nicht begeben, hatte sie noch hinzugefügt. Das klang erkenntnisbitter. Seitdem Werner mit Natia, der Armenierin, zusammen ist, hat sich sein Blickwinkel auf Frauen verändert, wenn auch nur geringfügig. Die in der Vor-Natia-Zeit stark männlich fokussierten Äußerungen über das weibliche Geschlecht, hatten Franz immer wieder zusammenzucken lassen. Obwohl er Werners zum Teil verachtende Haltung gegenüber Frauen nie zu seiner eigenen gemacht hatte, fand er mittlerweile, nach dem ein oder anderen Glas Wein, Gefallen daran, auch mal „die blöden Weiber“, zu sagen, statt „Frauen sind anders“, was ja eh jeder weiß. Franz hatte mit der Zeit immer öfter das Bedürfnis aus seinem ihm nachgesagten Frauenversteher-Dasein auszubrechen und sich eine Männerstammtischeinschätzung über das weibliche Geschlecht zuzulegen. Schlampen, Votzen, Weiber oder dergleichen. Das war neu, und deshalb wollte er sich weder seine Blicke auf die Purserette, noch die lüsternen Vorstellungen die damit verbunden waren, verkneifen. Schließlich – ließ er Werner wissen – könne er ja nichts dafür, wenn seine Augen hinter seinem Rücken Heimlichkeiten begingen und überdies seien schöne Frauen dazu da, dass man sie anschaut!
Dieser Meinung war auch der Vater von Franzens zweitem Schwiegervater. Durch einen Satz und eine Begebenheit auf dem Sterbebett, ist der kleine Steuerberater aus Königsberg für Sohn, Enkel und Urenkel unsterblich geworden. 1933, bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten, sagte er zu seinem damals elfjährigen Sohn, „Königsberg werden wir wohl räumen müssen!“ und zog wenige Monate später mit Sack und Pack in den Westen Deutschlands, in die Nähe seines Bruders, der am Niederrhein eine Ziegelei betrieb. Auf dem Sterbebett schließlich – so wird erzählt – lebte er auf, wenn Krankenschwestern das Zimmer betraten und er mit ihnen schäkern konnte. Kurz bevor er sein Leben aushauchte, soll er den Sohn beiseite gescheucht haben, weil der ihm den Blick auf einen ‚weißen Engel‘ verstellte, der gerade im Begriff war sich zu bücken, um eine Mullbinde aufzuheben. „Zerstör mir meine Aussicht nicht!“ erinnerte sich der Sohn der vorletzten Worte seines Vaters. Dessen letzte, „Ach, Frauen!“ Ein Singular stand dem kleinen Steuerberater diesbezüglich wohl nie zur Verfügung, wobei das „Ach“ einen nicht zu erwartenden romantischen Schmelz verströmte, ein sozusagen zwischen erlittenem Schmerz und erstrittener Lust lang ausgehauchtes „Aaach“, ein letzter Atemzug, wie der Sohn später erzählte. Franz hat sich vorgenommen, dass dies auch seine beiden letzten Worte sein sollen. Der Bordlautsprecher knackte. Die Stimme der Purserette wies die Passagiere daraufhin sich anzuschnallen, da man die Reiseflughöhe verlassen habe, und sich im Landeanflug auf Kalamata befände.