Kitabı oku: «FRANZ», sayfa 6

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Am nächsten Morgen

erwachte Franz mit einer Kreislaufentzündung und ausgekugeltem Gehirn. In ihm tanzten Vergangenheit und Gegenwart Tango. Und er schrieb in sein Tagebuch: „Etwas weit Zurückliegendes und wie ich dachte längst Erledigtes war unter Koks und Alkohol explodiert wie die Samenkapseln vom Springkraut, im Volksmund auch Rühr-mich-nicht-an genannt, und ohne Not habe ich zwei unrühmliche Ereignisse aus meiner Vergangenheit zum Besten gegeben, stolz wie Oskar, wiewohl es fast fünfundvierzig Jahre danach keinen Grund gibt, stolz wie Oskar zu sein, außer man will beim Gegenüber Eindruck schinden.“

Und das wollte Franz. Er wollte dem Gebrauchtwagenhändler und vor allem dessen Lebensgefährtin vor Augen führen, was für ein toller Hecht er gewesen war, und dass trotz fortgeschrittenen Alters mit ihm durchaus noch zu rechnen sei. Aber schon als er die Stufen zu seinem Apartment mehr hochstolperte als hoch ging, knackten die Kniegelenke; und in dem Stückchen Restnacht, das ihm noch zur Verfügung stand, quälten ihn Angst, Herzklopfen, Schweißausbrüche und Atemnot.

Werner und Natia empfingen Franz am Morgen mit maliziösem Lächeln und ein paar anzüglichen Fragen, die er mit schlaffer Hand hinwegwischte. Die Alka-Seltzer-Tablette sprudelte im Glas, vor seinen Augen schwirrten kleine schwarze Fliegen. Ihm war, als hätte die Sonne an diesem Morgen, speziell für ihn, noch ein paar Lumen draufgelegt.

Frau Doktor saß auf ihrer Terrasse, rauchte, trank Kaffee und begrüßte ihn mit einem süffisanten „Wie geht’s, wie steht’s?“, wobei sie einen spöttischen Zug um ihre sich kräuselnde Lippen nicht verbergen konnte. Franz fühlte sich sterbenselend, aber wiederum nicht so elend, dass er nicht bemerkt hätte, wie die hinter ihrem Rücken stehende Sonne ein Gegenlicht zauberte, das den Stoff des Oberteils der im Halbprofil Sitzenden durchsichtig werden ließ und ihm einen Blick auf die Umrisse ihrer sich deutlich abzeichnenden Brüste gestattete. Wie er bei der ersten Begegnung schon vermutet hatte, und diese Vermutung bei ihrem Ausstieg aus dem Meer zu einer vorläufigen Gewissheit geworden war, bestätigte das Sonnenlicht seine Vorstellung von ihren Brüsten aufs Schönste. „Die Sonne bringt es an den Tag“, orakelte seine Mutter immer, wenn sie im tief stehenden Abendlicht das schlecht geputzte Fenster in des Sohnes Zimmer sah. Wie recht sie doch hatte.

Die Brüste der Frau Doktor wogen sichtbar schwer, hingen schon ein wenig, trägen Glocken gleich, aber sie als Hängetitten zu bezeichnen, wäre des Bösen zu viel gewesen. Sie entsprachen genau Franzens Geschmack; zwei Bauernrosen, deren große und feste Köpfe immer ein wenig hängen. Franz liebte Bauernrosen, zeigten sie doch schon beim Aufblühen Ansätze von Vergänglichkeit. Sie hatte seinen Blick bemerkt, korrigierte ihre Sitzhaltung und versicherte auf seine Nachfrage, dass er sich nicht danebenbenommen habe und bot ihm eine Zigarette an, die er nach kurzem Zögern annahm, etwas ungeschickt anzündete und noch ungeschickter rauchte. Die folgende Stille war gefüllt vom Sirren der Zikaden, dem Rauschen des Meeres und Franzens unterdrücktem Husten. Franz schaute auf die Frau und seit langem war ihm wieder leicht ums Herz.

Drei Männer, zwei Frauen, ein Hund und ein Boot.

Nach dieser Wahnsinnsnacht gab es kein Verschnaufen. „El Loco“ kündigte noch für den Mittag eine Bootsfahrt an, und diesem Wunsch war Folge zu leisten. Innerhalb von vier Tagen standen die drei Deitschen voll unter seiner Kuratel. In kürzester Zeit hatte er sich ein Marionettentheater erschaffen und zog an den Strippen, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Durch ein Sonnensegel nur unzureichend geschützt, fuhr man in glühender Mittagshitze mit einem Motorboot hinaus aufs Meer. An Bord drei Männer, zwei Frauen, ein Hund und zwei Eimer voller gestoßenem Eis, Bier- und Weinflaschen. Frau Doktor vorn im Bug, Natia und Werner steuerbords, Franz backbords, Franz, der Hund, hechelnd in der Mitte. „El Loco“ mit nacktem Oberkörper hinterm Steuerrad. Sein Bauch hing überm Hosenbund. Das ließ seine Beine noch kürzer erscheinen und mit den zerzausten Haaren auf dem spitz zulaufenden Schädel sah er aus wie eine frisch aus der Erde gezogene Zwiebel. Er gerierte sich als Kapitän und erster Steuermann zugleich, schwadronierte über seine Kenntnisse als Segler und Motorbootführer, behauptete, über die mütterliche Linie von den Argonauten abzustammen, entfernte in den kurzen Sprechpausen mit den Zähnen die Kronkorken von den Bierflaschen und warf letztere mit einem martialischen „Hepp“ quer durchs Boot denjenigen zu, deren Namen er kurz zuvor bellte. Die Franz zugedachte Flasche traf den Hund in die Flanke. Da ihm dies Procedere wahrscheinlich nicht unbekannt war, jaulte er nur kurz auf und tat sich am auslaufenden Bier gütlich. Der Käpt‘n warf ihm zum Trost noch ein paar Eiswürfel zu. Schuld war natürlich Onkel Franz, der zu bleed war, eine Flasche zu fangen.

Das Meer war platt. Ein tintenblauer Spiegel, auf dem nur Spuren von Unterströmungen die Oberfläche kräuselten und das schäumende Kielwasser einiger weniger Boote weiße Wasserfurchen zog. Die Sonne brannte mit einer stumpfgelben Beharrlichkeit, aber in der Ferne, dort, wo der Himmel an die Wasserkante stieß, sah man schon Wolkentürme, die nichts Gutes versprachen. Franz, von der Nacht zuvor noch angeschlagen und nach zwei Flaschen Bier fast schon wieder betrunken, filmte die Bootsbesatzung und das in der Ferne heraufziehende Unwetter und versuchte, den ebenfalls angetrunkenen Kapitän zu einem Wiener Seemannslied vor laufender Kamera zu animieren. Sein klammheimlicher Schwenk auf die Frau Doktor wurde von ihr bemerkt und sie verbat sich mit einer Abwehrgeste jegliche Filmaufnahmen wie auch Fotos. Dann wollte sie unbedingt ins Wasser, was ihr aber der Kapitän, Steuermann und Lebensgefährte in Personalunion verbot. Dennoch prusselte sie unter dem weiten Badeschal trotzig das Bikinioberteil über ihre Brüste (Frauen sind bei dieser Beschäftigung immer Prusseliesen), was der Onkel zum Anlass nahm, beim Bildschwenk das linke, normalerweise geschlossene Augenlid kurz zu öffnen, um in Richtung der prusselnden Doktorin zu plieren. Wie ein Adoleszent hoffte er einen kurzen Blick auf ihre Brüste zu erhaschen. Diese zunehmenden, kaum mehr verstohlen zu nennenden, eher schon unverhüllt kühnen, aber, wie er heute noch meint, immer genügend gut getarnten Blicke auf Brüste, waren ihm fast schon eine Selbstverständlichkeit geworden. Bei den ihrigen schon eine Art von Du zu Du, unter Gleichgesinnten. „Na, ihr beiden! Wie geht’s euch denn? Ist euch auch so heiß? Woll‘n wir mal ein Eis lutschen gehen?“ Von diesen heimlichen Dialogen wusste die Besitzerin der Brüste natürlich nichts, ahnte aber womöglich, dass sich zwischen den beiden und dem Deitschen etwas anbahnte, bei dem sie nicht nur zuwarten konnte, sondern irgendwann Stellung beziehen musste.

Über den Himmel schob sich mittlerweile ein leichter Flor von Grau. Wind kam auf. Zunächst noch flüsternd, dann mit einem tiefen, schwingenden Ton. Das Sonnensegel gab ein paar vorsichtig knatternde Laute von sich. Frau Doktor wurde aufmüpfig, zeigte einige Variationen ihres Schmollmundregisters die der „Onkel“ noch nicht, ihr Partner aber zur Genüge kannte. „Hörst auf, mit deinem beleidigten Zuckergoschengsicht“, wies er sie zurecht und auf ihren Protest und die erneute Bitte, ins Wasser springen zu dürfen, folgte ein genervtes „Nein, nein und abermals nein!“ Aber die Doktorin ließ nicht locker. Sie quengelte weiter. Die beiden begannen zu streiten. Franz verstand nichts, entdeckte aber in sich eine klammheimliche Freude. Vielleicht ist da einiges nicht im Lot, mutmaßte er, schalt sich aber sofort einer Anmaßung ob dieser Mutmaßung. Ihre abermals vorgetragene Forderung nach einem Sprung ins kühle Nass quittierte „El Loco“ mit einem dezidierten „Nein“. Da sprach der Mann, der Gebrauchtwagenhändler, ihr Chef. Seines Satzes „Ich bin hier der Kapitän und ich bestimme!“ hätte es nicht mehr bedurft. Sie kuschte wie ein Kettenhund, dessen Wille zwar durch die lebenslange Fesselung an Hof und Hütte schon längst gebrochen war, der aber im Gegensatz zur Frau Doktor seine Wut heiser und unmissverständlich in die Welt hinaus bellt und alles und jedes anfällt, was ihm zu nahe kommt – außer seinen Peiniger, dem Herrchen, bei dem er kuscht, den er unterwürfig, schwanzwedelnd und speichelleckerisch begrüßt. Der Gebrauchtwagenhändler triumphierte. Obwohl Franz Kostas Kapitänsgehabe reichlich albern fand, musste er doch zugeben, dass dessen wahrer Grund, ein Badeverbot auszusprechen, die fehlende Badeleiter war, ohne die es höchst fahrlässig gewesen wäre über Bord zu springen, noch dazu alkoholisiert und angesichts eines sich immer rascher nähernden Unwetters.

„El Loco“ hatte das Boot gewendet und hielt auf den Hafen zu. Die Stimmung an Bord war umgeschlagen. Werner und Natia, anfänglich von dem Ausflug noch angetan, waren immer schweigsamer geworden, schließlich verstummt, hatten offensichtlich zu spät bemerkt, dass ein Bootsausflug nicht ihr Ding war. Beide sahen seekrank aus und hielten sich verkrampft am Bootsrumpf fest, was bei den schnellen engen Kurven, die „El Loco“ unter großem Geschrei fuhr, auch notwendig war. Aufgebrist zerrte der Wind an den Rändern und Schnüren des Sonnensegels und zog eine immer dunkler werdende Wolkenwand hinter sich her. Am Horizont die ersten Blitze, gefolgt von einem schon deutlich vernehmbaren Murren des Donners. Franz zählte die Sekunden zwischen Blitz und Donner, multiplizierte sie mit 343,2 – der Schallgeschwindigkeit in Metern pro Sekunde –, um die Entfernung des Gewitters zu bestimmen, so, wie er es als Fränzeken vom Vater gelernt hatte. Er kam auf vier Kilometer.

Das Ufer war nicht mehr fern, aber auch nicht nahe und das Wasser nicht flach genug, dass man trotz fehlender Badeleiter und aufziehenden Gewitters einen kurzen Badeaufenthalt hätte in Erwägung ziehen können, und nachdem Franz das Steuer übernommen hatte, startete Frau Doktor einen erneuten Versuch schwimmen zu gehen, was ihr Partner mit einem lauten „Bist deppert?“ beschied. „Du hast mir nix mehr zum Sagen, Onkel Franz ist jetzt Kapitän!“, retournierte sie listig. Dem Onkel war die Situation eher unangenehm, der Franz in ihm aber frohlockte. Sie zeigte Kante. Eine kleine. Wie sich am Himmel etwas zuspitzte, spitzte sich auch im Boot etwas zu. Da fand ein Machtspielchen statt, aber Franz wollte kein Brandbeschleuniger sein. Er erinnerte sich an seine Tante aus Oldenburg. Die hatte ihm zwei Sätze hinterlassen. Erstens: „Der Tod beginnt im Mund“, als sie, damals um die Fünfzig, im Briefkasten ein Schreiben für eine Zahnzusatzversicherung vorfand. Zweitens: (da war sie schon im Altersheim) „Niemand tritt aus der allgemeinen Lebensregel heraus, ohne dass er oder jemand anderes Schaden dadurch nimmt.“ Und doch wusste sie – spätestens als sie sich im Altersheim in den 92-jährigen ehemaligen Lufthansapiloten Herrn Anders verliebte, dass man in jedem Lebensalter an der Liebe sterben kann. Die Liebe kennt kein Verfallsdatum.

Franz hatte in seinem Leben schon häufig Lebens- und Liebesregeln verletzt. So hatte er einmal, Regieassistent noch, eine Schweizer Schauspielerin von deren Freund weggelotst, ihr eine Ehe versprochen und dann beim Besuch ihrer verheirateten Schwester diese auf dem Dach eines alten Patrizierhauses gevögelt, wobei beide von der aus dem Theater zurückkehrenden Schwester überrascht worden waren, woraufhin diese, ohne irgendein wahrnehmbares Zeichen innerer Erregung, ihre Zigarette auf Franzens Brust ausgedrückt hatte, noch in der Nacht mit ihrem Auto nach Paris gefahren war, dort den Mann ihrer Schwester verführt und sich anschließend vor die Metro geworfen hatte.

Als Franz von diesem Geschehnis erfuhr, schlug der Satz der Tante aus Oldenburg blitzartig in ihn hinein. „Ja, ja Tante!“, schrie er vom Dach des alten Patrizierhauses, „Ja! Ja! – Ich bin aus der allgemeinen Lebensregel herausgetreten!“ Dann setzte er sich auf eine der beiden vergammelten Plastikliegen, verfluchte die Tante aus Oldenburg und weinte. Der Arzt in der Psychiatrie sprach von einem Intermezzo – er sagte Intermezzo zu der Vögelei mit der Schwester - und dass das Intermezzo als alleiniger Grund für den Suizid seiner Freundin eher unwahrscheinlich sei. Allein schon durch die Fahrt nach Paris und die Verführung des Schwagers, der somit in Erfüllung gegangenen Rache an der Schwester, seien so viele Aggressionen abgebaut worden, dass er einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Seitensprung von Franz und dem Suizid von dessen Freundin als wenig wahrscheinlich einschätze. „Es muss tiefere Gründe gegeben haben, dass sie ihr Weiterleben ungewünschter angesehen hat als den Tod“, ergänzte er noch.

Als ihm diese Affäre mit den Schweizer Schwestern nach fünfundvierzig Jahren beim Schreiben seines Buches wieder in den Sinn kam, konstatierte er auf Grund seiner Erfahrungen, unabhängig davon was der Psychologe damals gesagt hatte, dass man aus Liebe sterben kann. Und dieser Gedanke sollte ihm in den kommenden Monaten noch einmal zur schmerzlichen Gewissheit werden.

Wie der eiserne Vorhang eines Theaters senkte sich die schwarze Wolkenwand dem mittlerweile graufarbenen, aufgewühlten Wasser entgegen. Die Wellen warfen weißes Schaumkraut, der Wind blies von achtern, und immer öfter fauchten silberblau aufflammende Blitze aus der Gewitterwand und fuhren ins Meer, gefolgt vom Gerumpel der schweren, vom schwarzen Regen gefüllten, aneinander stoßenden Wolkensäcke.

Franz hielt Kurs. Dabei war ihm das kurze, vom Wind gezauste schwarze Haar der Frau Doktor Kimme, ein Antennenmast am Ufer das Korn. So wie er hinter dem Steuer stand, mit dem Bug des Bootes die Wellen schnitt, sich einen kantigen Gesichtsausdruck verpasste, kam er sich großartig vor. Er wollte ein imposanter „Onkel“ sein. Dabei kam ihm der Gedanke, sozusagen ein Blitzgedanke, ob diese Frau nicht ausborgbar sei, so wie ein Buch aus der Leihbücherei in seiner Jugendzeit, damals 20 Pfennige für vierzehn Tage. Franz hatte alle Bücher, ob die eigenen oder die geliehenen immer sehr sorgsam und liebevoll behandelt; das wollte er mit der Frau Doktor auch so halten, sie liebevoll und sorgsam behandeln.

Das Boot schwankte, Natia kotzte, Werner war weiß wie die Schaumkronen der Wellen. Ein Blitz riss eine silberne Naht in den schwarzen Himmel, zackte über das dunkel schäumende Meer, und Franz sah die Augen der Frau Doktor auf sich gerichtet. Ein Härchen der Augenbraue, vom Wind herausgezupft, querte seinen Augapfel, ließ sein Augenlid irrlichternd zucken, doppelte den Blick auf sie. Nur noch dreiviertel zweiäugig sah Franz einen gewaltigen Blitz ins Meer fahren, gefolgt von einem noch gewaltigeren Donner. Sekunden später knirschte der Rumpf des Bootes im Kies. Während der Bootsverleiher das Boot sicherte, sprangen drei Männer, zwei Frauen und ein Hund heraus und rannten auf eine Taverne zu, unter deren Vordach sie Schutz fanden.

Um einen Tag Leihwagenmiete zu sparen,

hatte Werner beschlossen, das Auto früher abzugeben. Dadurch verblieben noch drei Stunden bis zum Abflug der Aegean-Airlines von Kalamata nach München. Jetzt stand man auf einem Flughafen, der seinen Namen nicht verdiente, hatte Geld gespart und viel Zeit zur Verfügung, mit der man nichts anzufangen wusste. „Waas wir jetzt maachen?“, fragte Natia, als man in der spärlich frequentierten Abflughalle stand, die gleichzeitig auch Ankunftshalle war. Franz zuckte mit den Schultern und Werner überhörte die Frage, wie er Fragen, die ihn nicht interessieren, einfach überhört. Wie fast immer war er mit seinem Tablet beschäftigt. Wie eine verzögerte Antwort auf Natias Frage dröhnte ein Lachen, dessen Lautstärke es mit jedem startenden Urlaubsjet hätte aufnehmen können, unvermittelt durch die Halle. Franz traute seinen Ohren und Augen nicht. Da stand er. „El Loco“. Inmitten der Flughafenhalle, hineingekracht wie ein 30-Tonner in einen Schrebergarten. Zunächst glaubte Franz einer Halluzination aufzusitzen, wähnte er „El Loco“ doch dort, wo man sich vor anderthalb Stunden verabschiedet hatte, im Asteria & Ilios. Aber er war es wirklich, unübersehbar und vor allem unüberhörbar. Eine Welle überbordender Freude gepaart mit einer fiebrigen Aufgeregtheit durchströmte Franzens Körper. „Herz, mein Herz, sei nicht beklommen, Und ertrage dein Geschick, Neuer Frühling gibt zurück, Was der Winter dir genommen.“ Er rannte auf „El Loco“ zu und die beiden Männer fielen sich in die Arme. „Alles, alles darfst du lieben!“ Franzens Herz war weiter als sein Kopf. Später notierte er: „Und wir schlugen uns mit flachen Männerhänden heftig und ausgiebig die Rücken, als handele es sich um eine spezielle Disziplin des Schnitzel-Klopfens, und gaben, zur Verwunderung wie auch zum Befremden der wenigen in der Flughafenhalle wartenden Passagiere, Laute von uns, die paarungsbereiten Hirschen in nichts nachstanden.“

Franzens Freude, „El Loco“ zu sehen, wich schnell der bangen Frage, ob er alleine gekommen war oder seine Lebensgefährtin mitgebracht hatte. Sekunden später, man prügelte sich immer noch die Rücken, erlebte Franz einen gefühlten Herzstillstand, als Frau Doktor durch die automatische Schiebetür auftrat, den bellenden Hund kurz an der Leine. Das war Großes Kino. Als Franz, an seinem Roman arbeitend, sich die Situation noch einmal vergegenwärtigte, wie er die Frau Doktor über „El Loco“‘s Schulter hinweg angestarrt hatte, sich in diesem Augenblick gewünscht hatte ihr Hund zu sein, „El Loco“ die Veränderung von Franzens Körperhaltung wahrgenommen und süffisant bemerkt hatte, „Sie wollt unbedingt mit, um den Onkel noch mal zu sehen“, war Franz sich nicht mehr ganz sicher, ob sie auf ihn oder er auf sie zugegangen war, was in diesem Moment auch keine Rolle spielte; jedenfalls waren sie wie an einer Schnur gezogen aufeinander zugegangen oder auch geschwebt, hatten sich umarmt, zum ersten Mal und, wie der spätere Schriftsteller Klefisch sich erinnerte, mehr als nur flüchtig.

Dröhnend hatte „El Loco“ seinen Auftritt damit erklärt, dass man die Deitschen nicht drei Stunden auf ihren Abflug habe warten lassen wollen, da ihnen, depressiv wie sie nun mal alle seien, durchaus ein Massenselbstmord zuzutrauen wäre. Er lachte wieder sein krachend-krankes Lachen. „Jetzt machen wir einen Ausflug nach Kalamata!“, hatte er geschrien und sich unter den irritierten Blicken aller Beteiligten zwei Koffer geschnappt, „Die deitschen Koffer in den Kofferraum!“, und alle zum Ausgang dirigiert, wo der Cherokee stand. Die drei Deitschen hatte er hinten, die Frau Doktor samt Hund vorn platziert. Mit einem sogenannten Kavalierstart war der Wagen aus der Parkbucht geschossen und mit wohliger Wehmut hatte sich Franz an eine Haarnadellinkskurve und eine Kopflandung in einem Schoß erinnert.

Kosta hatte der Urlaubsbekanntschaft sein Geburtshaus in Kalamata gezeigt und sie in eine Taverne eingeladen, in der, wie er erzählte, schon sein Großvater gesessen habe, während Franzens ganz und gar nicht mehr heimliches Auge immer wieder den Blick der Frau Doktor suchte, die vornehmlich mit dem Hund beschäftigt war oder, wie er insgeheim hoffte, es nur vorgab zu sein. Franz hatte auch gemeint, das ein oder andere Zublinzeln wahrzunehmen, hatte aber gleichzeitig gedacht, dass nur sein Wunsch Vater dieser Wahrnehmung sein konnte, glauben doch alle Männer bereitwillig, was sie wollen. (Cäsar, „Gallischer Krieg“ 3,18: „Libenter homines id, quod volunt, credunt“ – Es ist für Männer einfacher, das zu glauben, was sie wollen).

Der endgültige Aufbruch nahte. Wieder in der Abflughalle hatte man sich zum zweiten Mal verabschiedet und tauschte Adressen und Handynummern aus. Frau Doktor schrieb ihre Adresse und Telefonnummern in den Deckel einer Zigarettenschachtel, während die beiden Männer geschäftsmäßig ihre Handynummern austauschten. „Jo, jo, der Onkel kriegt wieder mal ‘ne Sonderbehandlung!“ krähte Kosta in Anspielung auf die handbeschriebene Zigarettenschachtel, in der sich noch fünf Tschicks befanden, die Franz in den folgenden Tagen erinnerungsselig aufrauchte.

Als Franz seinen Arm um sie gelegt hatte, sie zum Abschied an sich zog, spürte er für Millisekunden ihre Brust. „Eine Umarmung, zu kurz um verfänglich zu sein, aber zu lang um zufällig zu sein.“ stand in seinem Tagebuch. Zwei Lippenpaare verfehlten einen beiderseitig gewünschten Kuss, was er sich nicht nur eingebildet hatte. Sie würde es ihm später bestätigen. „Man traue keinem erhabenen Motiv für eine Handlung, wenn sich auch ein niedriges finden lässt.“ Katharinas erhabenes Motiv nach Kalamata zu fahren, war die Absicht, einen Transportkäfig für den Hund zu erstehen, da die beiden vorhatten, mit dem Flugzeug nach Wien zurückzufliegen, den Jeep in Griechenland stehenzulassen, um ihn vier Wochen später, nach einem weiteren Kurzurlaub, abzuholen. Das niedere Motiv war jedoch ihr Wunsch, den Onkel Franz noch einmal zu sehen. Wie sie ihm zwei Wochen später schrieb, begehrte sie ihn zu diesem Zeitpunkt schon sehr. Von der Kontrolle unbemerkt, nahm Franz als zweites Handgepäck einen nicht geküssten Kuss mit an Bord und war seit langer Zeit wieder einmal glücklich.

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