Kitabı oku: «FRANZ», sayfa 5
Es war spät
Werner und Natia hatten sich schon seit geraumer Zeit zurückgezogen, da saß der frisch gebackene, schwer angetrunkene „Onkel“ immer noch mit den zwei K’s aus der ehemaligen K&K-Monarchie auf deren Terrasse. Franz, der Hund, döste vor sich hin und gab zwischenzeitlich einen satten Schnaufer von sich. Ab und zu zuckten seine Flanken, als träume er von einer läufigen Hündin. Frauchen trank weiterhin Wein, rauchte Kette und Herrchen servierte weißes Pulver, streichholzlang, auf der DVD-Hülle von ‚Jules & Jim‘. Dass es sich bei den Gastgebern nicht um sporadische Konsumenten dieses weißen Pulvers handelte, hatte Franz zwar vermutet, es wurde ihm aber aufs Schönste bestätigt, als er das filigrane, durch regen Gebrauch leicht abgegriffene, antike Silberröhrchen zwischen den Fingern hielt, es mit Wohlgefallen betrachtete, ehe er sich über das Cover beugte und von Jeanne Moreaus Lippen das Pulver in seine Nase zog.
Franz war siebzehn, als er das erste Mal Kokain schnupfte. Es geschah auf der Karnevalsparty einer Wohngemeinschaft, zu der ihn ein Freund mitgenommen hatte. Franz hatte eigentlich keine Lust gehabt, ließ sich dann aber doch überreden, sogar dazu, sich eine Augenklappe umzubinden, einen Dreispitz aufzusetzen, ein geringeltes T-Shirt überzustreifen und einen Piraten abzugeben, der er eigentlich nicht hatte sein wollen. Da war er dann gestanden, der Pirat Franz, mit dem dritten Gin-Tonic in der Hand, allein, wie ein Männlein im Walde, still und stumm, inmitten ausgelassen feiernder Menschen, bis sich ein als schwarzer Schwan verkleidetes Mädchen ihm genähert hatte, ihn bei der Hand genommen, zum Lachen aufgefordert und ihn durch trubelnde Körper mit sich gezogen hatte in ein Zimmer, wie Franz annahm wohl das ihrige. Sie hatte die Tür hinter sich abgeschlossen und ihn lachend aufs Bett geschubst, wobei ein Schluck Gin-Tonic aus dem Glas schwappte, worüber sie, ob seines unglücklichen Dreinschauens erneut hatte lachen müssen. Während sie aus einer Schublade mit Unterwäsche ein kleines Briefchen hervorzog, den weißen, pudrigen Inhalt vorsichtig auf einen Handspiegel rinnen ließ, mit einer Visitenkarte zwei Linien zusammenschob, hatte sie ihm gesagt, dass er ihr gefiele und sie ihn etwas lockerer machen wollte. Sie hatte einen Zwanzigmarkschein zusammengerollt, Franz gefragt, ob er oder sie als erste, seine Unentschiedenheit bemerkt, ihm einen kalten Schlag im Schnick-Schnack-Schnuck angeboten, den er mit seiner Schere gegen ihren Stein verlor ebenso wie wenig später, nachdem das Kokain sich zeitlupenhaft in ihn hineingeschlichen hatte, auch seine Unschuld.
Erst dreißig Jahre später machte er seine zweite Erfahrung, die zu gesteigertem Kokskonsum führte, den er sich, da er ein gutes Geld verdiente, auch leisten konnte. Bis irgendwann in Kombination mit Alkohol nichts mehr ging, er kapitulierte und für ein dreiviertel Jahr in eine Klinik musste. Auch wenn er danach auf Kokain verzichtete, so saß doch dessen Wirkung tief in ihm und er mied die Erinnerung und den Gedanken an diese Droge.
Auch diesmal schlich sich das Alkaloid wieder zeitlupenhaft in seinen Körper, beschleunigte dort spürbar von Sekunde zu Sekunde, um schließlich, bei einem Gedanken, den er längst tot und begraben wähnte, einen fast nicht enden wollenden Lachanfall in ihm auszulösen. Für Momente überlappten sich die Gesichter des ihm gegenübersitzenden Paares, während sein Lebensrad sich in einer affenartigen Geschwindigkeit rückwärts drehte und ruckartig dort stehen blieb, wo er vor 45 Jahren, zwanzigjährig, unter dem Einfluss von LSD die Küche seiner Freundin in der Müllerstraße 95a ausgeräumt hatte. Und der frisch gebackene Onkel, auf verkoksten Flügeln schwebend als habe er nie aufgehört zu koksen, begann von Fiete, wie sie ihn damals nannten, zu erzählen, diesem scheuen, jungen Schauspielschüler mit den melancholischen Augen und den gelockten, schulterlangen Haaren, diesem Sonderling, der keinen Anschluss gefunden hatte und oft wie ein einsamer Wolf durch die Bundesallee, von dort in die Künstlerkneipe ‚Kleine Philharmonie‘ in der Schapernstraße oder über die Joachimsthaler Straße hin zum U-Bahnhof Kurfürstendamm geschlichen war, um da wie dort, Auslöschung im Sinn, abzutauchen gedachte. Jetzt, jungen Herzens, schwatzte Onkel Franz von dem Tag, als der Fiete wieder mal in der ‚Kleinen Philharmonie‘ gesessen und die Besitzerin Wanda (auch Mutter Courage des Zapfhahnes genannt) kapituliert hatte, da sie ihn weder mit einer Gratis-Gulaschsuppe noch mit tröstenden Worten und auch nicht mit einer Nackenmassage den Liebeskummer zu vertreiben vermochte, und ihren Platz Jens, Fietes Kommilitonen, überließ, der dem Mitstudenten unterm Tisch etwas zusteckte, das seine Zustände lindern würde, wie er ihm zuraunte und ihm nach einem spendierten Bier riet, beim ersten Mal nur die Hälfte der Pille zu nehmen. Fiete hatte die ganze genommen. „Braaav!“, lachte „El Loco“ und schenkte Franz Wein nach. Frau Doktor bedachte den ihr gegenübersitzenden Franz mit einem neugierigen Blick – der Hund mit einem nach Lamm stinkenden Furz.
„Mutter, der Mann mit dem Koks ist da!“, grölte Franz den beiden entgegen und „El Loco“ grölte zurück, „Jo Fiete, jo, dös woaß i a, Du hoast ka Gööd und i hoab ka Gööd …“, und beide schütteten sich aus vor Lachen und grölten gemeinsam: „… Wer hoat denn den Mann mit dem Koooks bestellt?“ Eine erneute Lachsalve, die aber schnell verebbte. „Und Frau Doktor blickte stumm …“ „El Loco“ wusste nicht weiter, verstummte. „Boah! Boah! Bin ich gut drauf … Wow!“ schrie Franz und „El Loco“ lallte, „Völker der Welt, schaut auf diesen Onkel!!“ „… Und ich sag euch: der Fiete! Der war vielleicht drauf!!!“, bölkte Franz weiter. „Alles, was nicht niet- und nagelfest war, hatte der zunächst durchs geschlossene Fenster geschmissen und als er gemerkt hat, da geht noch mehr, obwohl er sich die Hände am splitternden Glas aufgeschnitten hatte, dieser Vollpfosten …“ „El Loco“ musste laut über den ‚Vollpfosten‘ lachen „… riss der Vollpfosten die Fensterflügel auf und warf den Rest durch das offene Loch!“ Jetzt lachte „El Loco“ noch lauter, nein, er wieherte, schüttete sich aus; das offene Loch gefiel ihm, das offene Loch. Immer wieder wieherte er, offenes Loch, offenes Loch … und als Franz von dem Tisch erzählte, der nach mehreren vergeblichen Versuchen immer noch nicht durch den Fensterahmen wollte und dass er dachte, dass es sich um einen hölzernen Vierbeiner gehandelt habe, den er zwischenzeitlich für einen unartigen Hund gehalten und mit dem er über den Sinn und Unsinn des Lebens hatte diskutieren wollen, anstatt einfach, wie er es sich vorgenommen, mit ihm durch das offene Fensterloch im zweiten Stock auf die Straße zu treten und Gassi zu gehen, brüllte „El Loco“ auf vor Lachen, er, der schon die ganze Zeit kaum an sich halten konnte, schwadronierte von offenen Löchern, die er über alles liebe. „Offene Löcher der Welt, vereinigt euch! Stimmt‘s Schaatzi!?“ Er beugte sich zur Frau Doktor hinüber, die die offenen Löcher sehr dünnlippig beschmunzelte, während der betrunkene Onkel Franz für einen Moment über das Loch der Frau Doktor nachdachte, plötzlich völlig unvermittelt und unmotiviert „… und so weiter, und so weiter …“ in die Nacht schrie, um dann weiter zu fabulieren, wie Fiete den Hund bat, mit ihm aus dem zweiten Stockwerk hinauszutreten „… Geiiiil!!!“ schrie „El Loco“, „Geiiil!!!“ und schlug sich auf die Schenkel … und Franz weiter „… worauf sich jedoch der Tischhund unvermittelt und drohend auf mich zubewegte …“ und fast flüsternd fuhr er fort, dass die unregelmäßige Maserung des Furniers aufmüpfig Sprechblasen geworfen habe, die der Fiete nicht habe entziffern können, die er aber für Beschimpfungen übelster Art hielt, woraufhin er Tisch und Hund als Verräter an der Sache bezeichnet hatte, sie als zwei miese, räudige Köter beschimpfte, die man zum Fenster hinauswerfen müsse. Der Onkel war aufgestanden und malte riesige Blasen in die Luft, wobei ihm schwindlig wurde, möglicherweise weil er schwindelte, und er fiel wie ein Sack Zement auf den Stuhl zurück. „El Loco“ schob dem Onkel die Weinflasche hin, „Sauf!!“ lallte er, und der Onkel soff und fuhr fort „… und als der Fiete versuchte, das schwere Trumm von Tisch zum wiederholten Male aus dem Fenster zu expedieren, splitterte die Wohnungstür und maskierte Polizisten – ihr müsst bedenken, das war 1972!..“, sprach der Onkel mit aufklärerischem Ernst, „… die bleierne Zeit!!“ „… Jo, jo, die bleierne Zeit!!“, johlte „El Loco“, „Hätt i foast vergessen, die bleierne Zeit!“, worauf zwei Lachen gleichzeitig explodierten und keiner wusste warum und Franz weiter „… die maskierten Polizisten sind dann in die Wohnung gestürmt …“ „El Loco“ schrie vor Vergnügen. „… Stürmten in die Wohnung und ham dem Onkel Franz geholfen, den Rest auch noch zsamm zu schlagen …“ „Jo! Jo! Jo!“ schrie Franz „… auch noch zsamm g’schlagen … und aus lauter Wut hat sich der Fiete dann mit einer der herumliegenden Glasscherben die Pulsadern oder was er dafür hielt …“ Franz trank, prustete in einem erneuten Lachanfall den Wein in die Nacht und zeigte an seinen Handgelenken die nach fünfundvierzig Jahren noch sichtbaren, damals falsch angesetzten Schnitte, nahm aus der von Frau Doktor hingehaltenen Zigarette eine Zug und fuhr hustend fort, dass ihn die zwei verfickten Scheißbullen (Franz war in seinem damaligen Jargon angekommen) zu Boden geworfen, ihm ein Knie in den Rücken gerammt und Handschellen anlegt hatten. Für einen Augenblick war es still geworden. Man hörte das Meer träge gegen die Felskante schwappen, die Zikaden zickten müde, nur Nachtfalter und anderes Gefleuchs unternahmen unentwegt selbstmörderischen Anflüge auf das herzförmige Leuchtelement über dem Wohnungseingang. „El Loco“ bedauerte, dass ihm die Nasenkoteletts ausgegangen seien, aber er werde morgen in der Stadt für Nachschub sorgen. Mit einem Hunderter sei Franz dabei. Franz nickte – er wollte dabei sein. „Und? Wie ging‘s mit dem Fiete weiter?“, ließ sich die Frau Doktor nach einer Pause träge vernehmen und zündete ihre wer-weiß-wievielte Zigarette an. Im Licht der Flamme glitzerten ihre anthrazitfarbenen Augen wie schwarzes Gold. Franz schwieg, suchte den Zustand des Fiete mit seinem jetzigen zu vergleichen und erschrak über das nahe Beieinander, obwohl über vierzig Jahre dazwischen lagen. „Und?“ fragte die Doktorin spöttisch, „Iss er müd, will er schlafen gehen oder möcht er noch weitererzählen?“ Dass die Doktorin ihn in der dritten Person ansprach sollte Franz später in weitaus prekäreren Situationen noch zu hören und vor allem auch zu spüren bekommen – im Moment klang es, eingebettet ins Wienerische, eher neckisch. Und Franz erzählte weiter von dem jungen Fiete, der nach einer Woche Aufenthalt in der Psychiatrie, von den Mitstudenten neugierig beäugt, den Schauspiel-Unterricht wieder aufnahm, die Handgelenke mit Mull verbunden, auf die er mit rotem Filzstift Hammer und Sichel gemalt hatte. Einen Tag später überkam ihn, ohne jede Vorwarnung, ein Flashback. Aus dem dramatischen Unterricht kommend, die Rede des Saint Just aus Dantons Tod lautstark auf den Lippen, querte Fiete mehrere Fahrbahnen und hörte sich mitten auf der Kreuzung Joachimsthaler Straße/Kurfürstendamm aus Mao Tse-tungs „Erklärung gegen die Aggression in Südvietnam und die Niedermetzlung seiner Bevölkerung durch die USA-Dinh-Diem-Clique“ vom 29. August 1963 zitieren. Ein infernalisches Hupkonzert war die Folge, und Fiete wurde erneut von der Polizei festgenommen. „Na Bravo! Auch noch Kommunist!“ Sehr trocken kam der Satz aus dem Mund von „El Loco“. Dann fiel er wieder in den Lachmodus, trank, rülpste und wiederholte ständig, „Ein Kommunist, ein Kommunist! Ein Kommunist bei uns am Tisch! Frau Doktor, der Onkel Franz ist ein Kommunist, ein Roter …“ und er lachte, zeigte dabei mit dem Finger auf Franz und forderte ihn auf, weiterzuerzählen. „Kumm, erzähl! Erzähl!“ Einen halben Gedanken lang wunderte sich Franz, dass „El Loco“ überhaupt so lange hatte zuhören können, nahm einen weiteren Schluck Wein und plauderte drauflos. Er verplauderte sein Leben – eine Plaudertasche von Graf Koksens Gnaden –, schüttete den ganzen alten Müll auf den Tisch, erzählte von dem Vorspiel zu dieser Küchenausräumung, diesem Abendessen mit mehreren Schauspielschülern und- schülerinnen bei dem Professor für Jazztanz, der auf Fietes gut aussehende Freundin scharf gewesen war und diese neben sich platziert hatte. Dem Platzmangel geschuldet, hatte man zusätzlichen einen kleinen runden Tisch – einen ‚Katzentisch‘ – ans Ende der Tafel gerückt und dort Fiete mit der sechszehnjährigen Tochter des Hausherrn hingesetzt, somit den Fiete ins Abseits geschoben und damit auch an den Rand der Welt – wie er damals gedacht hatte. „Das sich der Fiete dös gfallen lassen hat!“, bemerkte die Frau Doktor, nicht ohne einen Schuss Sarkasmus in der Stimme. „Der Fiete war damals, mit einundzwanzig, ein scheuer Mensch mit wenig Selbstbewusstsein, dazu hoch sensibel!“, entgegnete Franz in trunkenem Zorn. „Sensibel, sensibel! Sensibel san mir alle!“, krähte „El Loco“, „Hochsensibel!“ Er zündete sich eine Zigarette an. Franz erzählte weiter, dass der Lambrusco aus der Zweiliterflasche dem Fiete in den Kopf gestiegen war und sich damit auch die Wut auf den professoralen Jazz-Wichser gesteigert habe. „… Und jetzt hört‘s zu!“ Franz beugte sich über den Tisch zu den beiden ihm gegenüber Sitzenden und fuhr geheimnisvoll fort, „Der Fiete hatte schon den eisernen Feuerhaken im Visier, der in einer Halterung neben dem blau-weißen Berliner Kachelofen hing, und wie ich mich an den damaligen Fiete erinnere, war der kurz davor gewesen, den Feuerhaken zu nehmen und damit dem Jazz-Wichser eins überzubraten, aber ehe es so weit hätte kommen können, hatte ihn unterm Tisch jemand gegens Bein getreten. Also getreten ist nicht der richtige Ausdruck …“, korrigierte Franz und lehnte sich bei der Feststellung „… es war eher eine vorsichtig schubbernde Berührung gewesen…“ wieder im Stuhl zurück. „Und ratet mal von wem?“ – „Von dem Flitscherl, dem Professor sei Tochter“, grunzte „El Loco“. – „Genau, von dem sechzehnjährigen Jazzlehrer … nee …“ Franz lachte. „Von dem Jazz-Lehrer seine sechzehnjährige Tochter, die mit ihrem Fuß unterm Tisch an meinem Bein rummachte. Ich hab dann das Mädchen von der Seite angepliert, die aber hat keine Miene verzogen und die langen Maccheroni in einer provozierenden Langsamkeit durch ihre Lippen in den Mund gezogen, als hätte sie alle Zeit der Welt. Und das waren Lippen, sag ich euch! Lippen! Lippen wie Fahrradschläuche! Aber nix Botox oder so! Ein Lolita-Mund! Natur. Aber ich glaub‘, die hatte ihre Lippen für mich noch zusätzlich nach vorn geschoben, als sie meinen Blick gespürt hat. Genau genommen war es eigentlich der Mund eines Mädchens, eines Kindes noch … kindlich … ja kindlich …“ Franz nahm einen Schluck Wein „Also in diesem Fall vielleicht nicht ganz so kindlich, eher kindisch, … da war so eine Spur von Trotz in den Mundwinkeln.“ – „A saubres Früchtchen!“, amüsierte sich „El Loco“. „Also ein Kind war sie auch nicht mehr gewesen, schon auch ein Stückchen Frau, mit Brüsten, die für ihr Alter schon überdurchschnittlich …“, fuhr Franz fort. „Und dann noch das Geräusch! Kennt ihr das Geräusch, wenn man eine Nudel in den Mund saugt?“ „El Loco“ explodierte vor Lachen. „Und ob wir das Geräusch kennen! Stimmt‘s Schatzi!?“ Er tätschelte der Doktorin den Oberarm, den sie ihm aber entzog. „An scheens Geräusch! An guts Geräusch! An geils Geräusch!“, lachte er und schlug mit der flachen Hand mehrfach auf die geschlossene Faust. Die Frau Doktor schaute indigniert. Franz fuhr dazwischen. „Jetzt hörst zu!“, unterbrach er „El Loco“ in einem Versuch zu wienern. Und einmal im Erzählrausch fuhr er fort: „Im Laufe des Essens intensivierte meine Nachbarin den Einsatz ihres Fußes und ich hab mich auch nicht lumpen lassen …“, Franz lachte grob, „… und ihr die entsprechende Antwort gegeben. Ne Zeit lang hatten wir rumgefüßelt, uns nicht angeschaut, kein Wort gesprochen und Nudeln gegessen. Meine Freundin hat sich derweil mit dem Jazz-Tanz-Lehrer amüsiert, was mich überm Tisch wütend machte, aber unterm Tisch lief ja ein ganz anderes Programm.“ Franz trank, atmete tief ein und fuhr fort, „Und dann ging eine Grapscherei los, … ich sage Euch!!! Ich hatte einen wahnsinnigen Ständer, war stinksauer auf den Jazzwichser und auf meine Freundin, hatte aber schon meinen Finger in ihrer Möse!! Stinksauer und geil! – Wahnsinn …“ „El Loco“ schmatzte ein lüsternes Schmatzen. „… und irgendwann, später, von den Anderen unbemerkt, hatte ich mich mit dem Mädchen in die begehbare Garderobe verdrückt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was da abgegangen ist!!“ Franz machte eine Pause und erbat sich von der Frau Doktor eine Zigarette. Sie gab ihm Feuer. Dabei fasste er ihre Hand und zog die Flamme an sich heran. Er sog den Rauch tief ein, musste husten und fuhr kurz darauf fort: „Als ich zwei Tage später, es war ein Montag, die Tochter des Jazzlehrers im Friseursalon ihrer Tante gevögelt habe, ahnte ich nicht, dass der Salon zu Wochenbeginn zwar für Personal und Kunden ein Frei-, für die Putzfrau jedoch ein Arbeitstag gewesen war. Da hat das Unglück dann seinen Lauf genommen. Wir sind im Frisierstuhl erwischt worden, als ich der Nichte der Friseuse bei 150 Grad nach hinten gekippter Rückenlehne die Petersburger Schlittenfahrt beibringen wollte. Die Putzfrau, stoisch, wie ein altes Stück Brot, hatte dann der Tante Bescheid gegeben, die wiederum ihrem Bruder … ja, und schon war das Abenteuer für den Fiete gelaufen. Das Mädchen ist dann auf ein Internat gekommen und ich habe eine Abmahnung vom Dekan erhalten. Prost!“
Franz trank sein Glas aus und fühlte sich wie ausgewrungen. Nach einer kurzen Stille, in der man nur das Meer müde an die Felskante klatschen hörte, ließ sich Frau Doktor mit trunkener Anzüglichkeit vernehmen: „Oho! Ein Schwerenöter, unser Onkel Franz!“, und schob, während des erneuten Anzündens einer Zigarette, etwas von Verführung Minderjähriger und irgendwelchen Paragraphen hinterher, wovon Franz aber nur die Hälfte verstand oder noch weniger. „Und danach hat er dann die Kuchen ausgeräumt“, ergänzte ihr Lebensgefährte. – „Franz! Du Sau, du Sau, du dreckerte Sau, du!“, brüllte „El Loco“ nach einer kurzen Stille unvermittelt los. Franz und die Frau Doktor erschraken. Franz noch heftiger als sie, dachte er doch, „El Loco“ bezöge diese herausgeschleuderte „Sau-Suada“ auf ihn und die Geschichte mit dem Mädchen. Aber „El Loco“ hatte nur den Hund angeschnauzt, der sich, als wisse er, um was es sich handele, davontrollte. „Die Sau hat vielleicht einen Schaas glassen – riecht ihr des net?“ Dann, dröhnend an seine Lebensgefährtin gewandt, „Kann ja heut mal der zweibeinige Franz neben der Frau Doktor schlafen … un net der Vierbeiner! Iss dann net so fad.“ Er schlug sich bei diesem Vorschlag mehrfach auf die nackten Schenkel, als bereite ihm diese Vorstellung allergrößtes Vergnügen und fügte, den Zeigefinger drohend erhoben, hinzu: „Aber net unsere Kuchen ausräumen, Franz!“ Noch ein trompetenhaftes Lachen, dann Stille. Eine dröhnende Stille. Franz suchte in den Augen der Doktorin eine Reaktion auf den Satz ihres Lebensgefährten zu entdecken, aber er fand keine. Wahrscheinlich war er zu betrunken. Auf ihren Lippen glaubte er zwar ein stummes Einverständnis zu erkennen, zumindest wünschte er sich das, aber mit Sicherheit war es nur eine Koks-Halluzination, ähnlich den Kipp- und Wackelbildern, die er als Kind in Wundertüten vorgefunden hatte, eine optische Täuschung, bei der durch minimales Kippeln des Bildchens aus einer Hexe eine Prinzessin geworden war, bei ihm aber meist umgekehrt. „Wenn ich nicht so zugedröhnt gewesen wäre, hätte ich diesem Vorschlag sicher etwas abgewinnen können, sogar wollen“, schrieb er einige Tage später in sein Tagebuch. „Und wenn der Wiener Gebrauchtwagenhändler nicht so zugedröhnt gewesen wäre, hätte er den Vorschlag sicherlich nicht gemacht. Aber wer weiß? Der Kerl ist unberechenbar!“ Franz wankte seinem Apartment entgegen, im Glauben, dass ihn die Frau Doktor zum Abschied gern geküsst hätte, einen warm-züngelnden Gutenachtkuss, nach dem ihm hungerte, aber das war, wie so oft, ein über das Ziel hinausschießendes Wünschen, wollte er doch immer Alles, Ganz und Sofort.